HAUSER - IMMER FESTE DRUFF! - Andreas Zwengel - E-Book

HAUSER - IMMER FESTE DRUFF! E-Book

Andreas Zwengel

4,0

Beschreibung

Hauser ist Detektiv – und auch noch ein verdammt guter. Wobei sein Erfolgsrezept in den meisten Fällen schlicht darin besteht, geradewegs in eine heikle Situation hineinzumarschieren und dann abzuwarten, was passiert. Nach einem durchschlagenden Fahndungserfolg, der sogar die gesamte Frankfurter Presse auf den Plan rief, wird Hauser für einen neuen Fall engagiert: Er soll fünf Erben ausfindig machen. Das gelingt ihm auch in Rekordzeit … gegen eine kleine Gefälligkeit für einen Frankfurter Gangsterboss. Wo ein Ganove ist, sind die anderen aber nicht weit, weshalb Hauser schnell die gesamte Frankfurter Unterwelt an den Hacken hat, die ihm nun an jeder Straßenecke auflauern und zu einer weiteren Unterweltgröße schleppen. So bleibt Hauser nichts anderes übrig, als auch die Wünsche der anderen Gangster zu erfüllen, wenn er lebendig aus dieser Sache herauskommen will … Tarantino auf Hessisch. Eine ebenso augenzwinkernde wie rasante Kriminalkomödie aus der Mainmetropole, mit einem Detektiv irgendwo zwischen Sherlock Holmes, Inspektor Clouseau und Schimanski.

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Hauser – Immer feste druff!

Andreas Zwengel

Impressum

Deutsche Erstausgabe Copyright Gesamtausgabe © 2020 LUZIFER-Verlag Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Cover: Michael Schubert Lektorat: Angelika Hartl

Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2020) lektoriert.

ISBN E-Book: 978-3-95835-530-9

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

Inhaltsverzeichnis

Hauser – Immer feste druff!
Impressum
Prolog
Blackout
Im Auftrag von Boris
Die fünf Erben
Lessings Geduld
Der (kleine) Pate
Zeugenschutz
Porno-Disney
Lessings Zorn
Der Maulwurf
Der Liebhaber
Verpasste Chancen
Erpressung
Der Leibwächter
Der Sündenbock
Und der Spitzel ist …
Die Schlinge zieht sich zu
Zufriedene Kundschaft
Der Unterschlupf
Das Netzwerk
Der verlorene Sohn
Trauerfall
Alles auf Anfang
Das Tribunal
Fluchtgedanken
Hölle auf Rädern
Chevys Ende
Im Asbest
Über den Autor

Prolog

Die Aussicht war schon immer das Beste an diesem Dreckloch, dachte Dustin Kohl, während die beiden Männer ihn mit dem Kopf nach unten von seinem Balkon im vierten Stock hielten. Er spürte deutlich, wie die Arme, die sein linkes Bein umklammerten, absackten. Der Boss hatte deutlich weniger Kraft in den Armen als sein maskierter Begleiter und würde früher schlappmachen. Aber planten sie überhaupt Kraftreserven ein, um ihn wieder heraufzuziehen? Dustin sah nach unten, wo die geparkten Autos seiner Nachbarn standen. Wenn er mit den Armen flatterte, schaffte er es vielleicht, den giftgrünen Kombi des ewig griesgrämigen Hausverwalters zu erwischen, der ihm ständig wegen der Miete im Nacken saß. Auf die Art konnte sein Tod noch etwas Sinnvolles bewirken.

»Kichert der etwa?«, fragte über ihm der Boss den Maskierten.

»Der Kerl ist völlig hinüber! Wer weiß, was der sich eingepfiffen hat.«

Doch Dustin Kohl war angesichts seines bevorstehenden Todes so klar wie selten in den letzten Wochen. Er fühlte beinahe Erleichterung darüber, dass es bald vorbei sein sollte. Endlich würde der Druck enden, den verschiedene Parteien unentwegt auf ihn ausgeübt hatten. Daran war er natürlich nicht unschuldig, denn er hatte in der Vergangenheit viele Fehler begangen; den falschen Leuten vertraut, sich verschuldet und weitere Schulden gemacht, um die vorherigen zu tilgen. Er war Verpflichtungen bei Leuten eingegangen, die dafür berüchtigt waren, gnadenlos die Schulden samt angefallener Wucherzinsen einzutreiben. Um die anstehenden Raten aufzubringen, hatte Dustin Einbrüche begangen. Eine Tätigkeit, bei der er noch nie besonders glänzen konnte, die aber immerhin keine Interaktion mit anderen Menschen verlangte. Trotzdem hatte ihm die Aufregung so schwer zu schaffen gemacht, dass er zu bewährten Drogen griff, um die Anspannung zu lösen. Man brauchte keine Kristallkugel, um das Ende dieser Geschichte vorherzusehen: Bei seinem letzten Bruch lief er heftig zugedröhnt der Polizei direkt in die Arme.

Da man auf dem Revier mit seinen diversen Abhängigkeiten bestens vertraut war, stellte ein hochrangiger Beamter Dustin vor die Wahl: Gefängnis oder Spitzeldienst. Im Grunde handelte es sich um keine richtige Wahl. Dustin wollte zwar keine Ratte sein, denn wer wollte das schon, aber er wusste genau, wie es ihm im Gefängnis ergehen würde. Typen wie er konnten dort nicht überleben und bestenfalls als Fußabtreter für die anderen Insassen dienen.

Also begann Dustin Kohl, die Leute auszuspionieren, denen er Geld und Gefallen schuldete und war dabei erfolgreicher als erwartet. Da die schweren Jungs ihn nicht für voll nahmen, sprachen sie in seiner Gegenwart recht freimütig. Die meisten Informationen bestanden aus hohlem Angebergeschwätz, besonders im Bereich sexueller Aktivitäten, hinsichtlich deren Quantität und Qualität. Seine Polizeikontakte erkannten dies schnell und reagierten dementsprechend unzufrieden. Sie verlangten mehr Einsatz und bessere Ergebnisse von ihm, andernfalls würden sie ihn von der Straße nehmen. Dustin fürchtete sich allerdings davor, die kriminellen Schwergewichte auszufragen, weil ihm jeder deutlich seine Aufregung ansehen konnte. Doch niemand in der Frankfurter Unterwelt verdächtigte das schwitzende Nervenbündel, ein doppeltes Spiel zu treiben. Stattdessen machte man Scherze über das männliche Klimakterium oder steckte ihm wohlwollend ein paar Zellophanbeutel zu, um die heftigen Entzugserscheinungen zu lindern.

Sechs Monate verbrachte Dustin auf diese Weise: Aufgerieben zwischen mehreren Parteien, die sich mit ihren Drohungen und Einschüchterungen ständig gegenseitig zu übertreffen versuchten. Aber von jetzt an ohne ihn.

Er verspürte eine tiefe Ruhe, die von seinem aufgeputschten Körper und Geist Besitz ergriff. Unter sich sah er den Postboten aus dem Haus treten. Der junge Marokkaner hatte zwar nie Post für ihn, doch die anderen Hausbewohner mochten ihn. In ihrer Straße entsprach dies einem Ritterschlag, denn die Hausbewohner galten nicht als sehr freigiebig mit ihrer Gunst. Gerade ihm wollte Dustin nicht auf den Kopf fallen.

»Ein weiter Weg nach unten«, rief der Boss höhnisch, aber seine Stimme verriet die Anstrengung, die ihm selbst ein Fliegengewicht wie Dustin bereitete. Er gab sich gern als harter Kerl, aber eigentlich steckte nicht viel Saft in seinen aufgepumpten Sportstudiomuckies. Auch seine falschen Knasttätowierungen täuschten niemanden, der sich damit auskannte, und boten Anlass für gehässige Bemerkungen. Sein Leibwächter dagegen – denn um niemand anderen handelte es sich bei dem maskierten Mann an seiner Seite – galt als Vollprofi, der seine Gefährlichkeit eher noch tarnte, anstatt sie hervorzuheben. Vor ihm sollte man sich in Acht nehmen. Also nicht Dustin, denn der hatte es wohl bald hinter sich, aber alle anderen.

Dustin hörte einen überraschten Ausruf rechts von sich und die drei Männer drehten ihre Köpfe in die Richtung, aus der der Schrei kam. Es handelte sich um die Frau mit den riesigen Brüsten, die schräg unter Dustin wohnte. Sie stand auf ihrem Balkon und ihre voluminöse Stimme verhallte in den Straßenschluchten von Mainhattan. Erschrocken schlug sie die Hand vor den Mund und verschwand wieder in ihrer Wohnung. Die Ärmste! Sie war nun eine Zeugin.

»Hast du noch irgendwelche letzten Worte, du Ratte?«, brüllte der Boss von oben. Kniend auf seinem Wohnzimmerteppich mit einem Pistolenlauf an der Stirn hatte Dustin bereits versucht, alles zu erklären, bevor er die Flucht auf den Balkon antrat. Nichts, was er jetzt noch vorbringen konnte, würde etwas an seiner Lage ändern. Diese Inszenierung hier diente ohnehin nur dem filmverrückten Angeber, um sich in Szene zu setzen. Für diesen Kerl stellten Mafiafilme ein authentisches Abbild der Realität dar. Mit einem Mal ärgerte sich Dustin darüber, dass er durch die Hand einer solchen Witzfigur sterben sollte.

Die dickbusige Nachbarin kehrte auf den Balkon zurück. Bei sich führte sie kein Telefon, sondern ihren Ehemann. Was machst du nur?, stöhnte Dustin innerlich. Der bedauernswerte Schwachkopf war nun ebenfalls ein Zeuge. Das aufgeregte Rufen der Frau ließ den Postboten nach oben sehen. Zeuge Nummer drei. Die Frau stellte eine Gefahr für die gesamte Nachbarschaft dar. Neben dem Postboten trat die süße Studentin aus dem Dachgeschoss auf die Straße. Dustin hatte sie bei mehr als einer Gelegenheit versucht anzugraben, aber sie war standhaft geblieben. Sie stammte irgendwo aus dem Nahen Osten und war sicher schon jemandem versprochen oder längst verheiratet. Eine andere Erklärung fand er nicht für ihre ablehnende Haltung ihm gegenüber.

»Was ist das für ein Lärm da unten?«, schrie die Witwe aus dem Dachgeschoss und Dustin musste fast lachen, weil die ganze Szene zunehmend surreal wurde. Er ging jede Wette ein, dass der Boss ihm noch einen saublöden Spruch à la »Guten Flug« mit auf den Weg geben würde, denn so was entsprach genau seiner eingeschränkten Vorstellung von Coolness. Doch bevor es dazu kommen konnte, rutschte Dustin aus dem Griff des Gangsters und wurde nur noch von dessen Leibwächter gehalten. Der Maskierte wurde von dem zusätzlichen Gewicht überrascht und musste das Bein freigeben. Er versuchte noch nachzugreifen, aber es war bereits zu spät.

Dustin gab auf dem gesamten Weg nach unten keinen Laut von sich und schlug um Haaresbreite neben dem giftgrünen Kombi auf.

Blackout

Die untergehende Sonne veranstaltete ein psychedelisches Farbenspektakel über dem Pazifik. Am Strand tummelten sich halbnackte Tänzerinnen gemeinsam mit betrunkenen Rettungsschwimmern und kreischenden Surfern. Musikalisch unterlegt wurde die Szene von den schiefen Klängen einer sturzbetrunkenen Mariachi-Band, die sich verzweifelt an die Noten von When the saints go marching in zu erinnern versuchte. Ein englischer Butler, deplatziert wie ein eiterndes Ekzem auf der Nase einer Schönheitskönigin, bahnte sich seinen Weg durch die feiernde Menge, um den nächsten Drink zu servieren. Er lächelte einer Baywatch-Nixe zu und wurde im nächsten Moment von einem Grizzly von den Beinen gerissen.

Hauser wusste, dass er träumte. Er wusste es nur zu gut, denn vor dem Fenster lag Frankfurt und was seine Nase wahrnahm, war keine frische Meeresbrise, sondern der Geruch von verschüttetem Bier und kaltem Rauch. Der Gestank kroch in sein Bett wie die schleimigen Ungeheuer in den Albträumen seiner Kindheit. Er war immer noch betrunken. Hauser bewegte den Kopf und wollte das unwillkommene Eindringen in seine Strandfantasie abschütteln. Doch der rüttelnde Grizzly war hartnäckig und als die Sonne zischend im Meer erlosch, öffnete er die Augen.

Über ihm stand die Polizei. Genauer gesagt Hauptkommissar Richard Lessing. Der mittelgroße Endvierziger sah aus wie aus dem Ei gepellt. So wie man ihn kannte. Und wie immer zeigte er sich leicht angewidert, von dem Bild, das sich ihm bot.

»Der große Detektiv. Wenn die Öffentlichkeit dich so sehen könnte, würden viele Kriminelle sorgloser zur Arbeit gehen.«

Hauser brummelte Unverständliches. Kriminalistische Kompetenz und moralische Integrität waren ihm zwar nicht völlig fremd, aber die gängigen Laster des modernen Lebens standen ihm eindeutig näher. Er kämpfte sich von seinem Futon hoch und machte pappende Laute mit seiner Zunge, die immer wieder am Gaumen festklebte.

»Alkohol bekommt dir einfach nicht, Hauser. Du solltest bei deinen Gewohnheiten bleiben.«

»Das klingt aber sehr nach Verharmlosung sogenannter weicher Drogen«, antwortete Hauser und stemmte sich mühsam auf die Beine, wo ihn der Drehschwindel in Empfang nahm.

»Wir haben es eilig, willst du dich noch umziehen?«

Hauser schüttelte den Kopf, was diesem überhaupt nicht guttat. »Wieso? Irgendeinen Sinn muss es doch haben, in seinen Klamotten zu schlafen.« Er knöpfte die Weste über dem buntbedruckten Hemd zu, dessen Enden er nachlässig in den Hosenbund seiner Jeans stopfte. Unsicher schritt er ins Badezimmer, wo er sich notdürftig auffrischte. Er fuhr sich mit den Händen durch die Haare und fühlte sich gekämmt. Dies stellte weitaus mehr Zuwendung dar, als er für gewöhnlich seiner Frisur widmete. Sein Äußeres wirkte wie aus der Zeit gefallen. Der Schnauzbart und die Un-Frisur gehörten in die Siebziger, die Kleidung wirkte wie aus mehreren Epochen zusammengepuzzelt und nichts davon passte ins einundzwanzigste Jahrhundert.

Auf dem Weg zur Tür zog er sein Jackett über und griff nach seinem Beutel. Eine Umhängetasche, die er stets bei sich trug. Trotz der überschaubaren Größe befanden sich in ihr immer die Sachen, die er gerade benötigte. Sie war mit unzähligen Aufnähern übersät und mit Notizzetteln gefüllt, die für Hauser eine Art Ersatzgedächtnis bildeten.

»Wo fahren wir eigentlich hin?«, fragte Hauser, kaum dass sie in Lessings Mercedes Platz genommen hatten.

»Zum Revier natürlich, wo vor zehn Minuten die Pressekonferenz beginnen sollte. Die ersten Journalisten waren heute Morgen schon vor mir da und werden immer ungeduldiger. Die Verdächtigen sind ebenfalls erschienen, gemeinsam mit ihren Anwälten. Das wird eine heiße Angelegenheit.«

»Aha.«

»Was bedeutet Aha?«

»Nichts weiter«, sagte Hauser und sah aus dem Fenster. Die Stadt war lange vor ihm erwacht und lief bereits auf Hochtouren. Aber das tat sie eigentlich immer, abgesehen von ein oder zwei Stunden vor dem Morgengrauen, die man benötigte, um schnell feucht durchzuwischen. »Aber ich bedanke mich für die Wertschätzung meiner Arbeit.«

»Wovon redest du bitte?«

»Na, die Pressekonferenz! Ich sage, ich kenne den Täter und ihr trommelt sofort die Meute zusammen. Das ist doch nicht selbstverständlich, oder?«

Lessing blickte starr geradeaus und begann langsam den Kopf zu schütteln. »Mann-Mann-Mann, Hauser, du weißt es wirklich nicht mehr?«

»Was meinst du?«

»Die Pressekonferenz war sicher nicht unsere Idee. Du hast letzte Nacht in deinem besoffenen Kopf so ziemlich jeden Frankfurter Journalisten angerufen und für heute Morgen ins Revier bestellt.«

»Warum sollte ich so was tun?«

»Das weiß der Herr allein. Jedenfalls haben genug Medienvertreter deine Einladung angenommen und stapeln sich nun im Revier. Muss ich erwähnen, dass meine Chefin dir den Kopf abreißen möchte?«

Hauser verneinte. Kathrin Bornemann war die einzige Frau, der er einen solchen Gewaltakt zutraute. Wer so schnell in diesem Beruf aufstieg, ohne seine körperlichen Attribute einzusetzen, der konnte gar nicht anders als knallhart sein.

Lessing wirkte erstaunlich fröhlich, während er den Wagen von Bockenheim aus durch den Stadtverkehr lenkte. Er befand sich sogar in Plauderlaune. »Das war erstklassige Arbeit bisher. Wir mussten den Leichnam im Krematorium in letzter Sekunde vor der Einäscherung bewahren, aber inzwischen hat die Gerichtsmedizin deinen Verdacht bestätigt. Es war kein Unfall.«

Hauser nickte geschmeichelt, während er sich gleichzeitig angestrengt die Schläfen massierte. Er fürchtete die Frage, die Lessing auch prompt stellte.

»Wer hat den alten Ludlow erledigt? Jetzt kannst du mir ja sagen, wer der Täter ist. Nur, damit ich später nicht zu überrascht aus der Wäsche gucke«, sagte Lessing fröhlich.

»Hab ich den Namen bei meinem Anruf nicht genannt?«

»Dann würde ich wohl nicht fragen«, antwortete Lessing mit aufkeimendem Misstrauen in seiner Stimme.

»Sorry, erst wenn mein Honorar genehmigt wurde«, versuchte Hauser Zeit zu schinden.

Erfolglos, wie sich sofort zeigte. Lessing hielt mit quietschenden Reifen in einer Parklücke, von der Hauser geschworen hätte, dass sie kleiner als der Mercedes sei.

»Den Namen, Hauser! Jetzt sofort!« Die Stimme des Hauptkommissars klang scharf genug, um geschmeidig durch Stahl zu schneiden.

»Er wird mir schon noch einfallen.«

»OH-MEIN-GOTT!«, stieß Lessing stakkatoartig hervor.

Als sie vor dem ungewöhnlich beschaulichen Polizeirevier am östlichen Stadtrand hielten, wurde der Mercedes sofort von den Vertretern der Presse umringt. Die meisten von ihnen hielten sich nur zum Rauchen im Freien auf, aber sie erkannten den ermittelnden Beamten sofort. Kameras zoomten auf Hauser, Mikrofone wurden ihm ins Gesicht gestreckt. Werbung in eigener Sache konnte einem Privatdetektiv nicht schaden und so setzte Hauser sein charmantestes Lächeln auf.

»Warum haben Sie es getan?«, erkundigte sich der erste Journalist.

»Kannten Sie das Opfer?«, wollte der zweite wissen.

»Hat die Ehefrau Sie für den Mord bezahlt?« Die Gesichter begannen vor Hauser zu verschwimmen und wurden zu einer brüllenden Masse jenseits seiner Wahrnehmungsgeschwindigkeit.

»Oder der Sohn?« Wieder der erste.

»Oder Boris Schneider?«

»Brauchten Sie das Geld für Drogen?«

»Oder für Kleidung?«

Lessing schob Hauser grinsend ins Gebäude, die Szene hatte seine Stimmung ein wenig aufgehellt. Der Detektiv dagegen glaubte, in seinen Strandalbtraum zurückversetzt zu sein und ersehnte ein erneutes Erwachen.

»Hey, Hauser, du hattest ja gestern Abend im Asbest ganz schön einen sitzen. Betrunken kennt man dich gar nicht«, polterte Mayerbach, ein älterer Polizist, mit dem Hauser früher einmal in einem Drogenfall zu tun gehabt hatte. Allerdings nicht beruflich. Zumindest er nicht, Mayerbach schon. Das Frankfurter Original hatte innerhalb der Stadt schon mehrmals die Dienststelle gewechselt, sodass sich ihre Wege immer mal wieder kreuzten.

»Mach‘s dir bequem, ich hole Bornemann«, sagte Lessing und drückte ihn auf einen Stuhl.

Hauser zog seine Lesebrille aus der Westentasche, setzte sie auf und wühlte in seinem Beutel nach Informationen. Er betrachtete Bierdeckel, die Serviette eines Fastfood-Restaurants, mehrere abgerissene Zeitungsränder, das Flugblatt einer Demonstration, ein Streichholzbriefchen und einen Einkaufszettel für Brot und Milch. Warum schrieb er Lebensmittel auf, die er ohnehin bei jedem Einkauf brauchte? Er begann, die vollgekritzelten Zettel und Fetzen nach ihrer Bedeutung für diesen Fall zu sortieren. Leider enthielten sie keinen einzigen Hinweis auf den Täter.

Lessing kam mit einer gestresst wirkenden Frau zurück. Kriminaloberrätin Kathrin Bornemann war seine Vorgesetzte bei der Kriminalinspektion 60. Lessing arbeitete dort im Bereich Organisiertes Verbrechen. Dass er sich gerade mit einem Mordfall beschäftigen musste, verdankte er einzig und allein seiner Bekanntschaft mit Hauser. Worüber er einiges empfinden mochte, aber Dankbarkeit gehörte sicher nicht dazu. Hausers Telefonstreich, wenn man es so nennen wollte, hatte hohe Wellen geschlagen, sodass sich die Kriminaloberrätin nicht freiwillig zum zuständigen Polizeirevier für den Fall Ludlow begeben hatte, um dort Schadensbegrenzung zu betreiben.

Bornemann trug ihr mittellanges, blondes Haar fest am Hinterkopf zusammengezurrt. Auch ruckartige Bewegungen und schlechtes Wetter konnten dieser Frisur nichts anhaben. Hauser und Lessing hatten sie noch nie mit offenem Haar gesehen und wahrscheinlich war der Kreis derjenigen, denen das vergönnt war, sehr überschaubar. Ihre sehr schönen, aber auch strengen Gesichtszüge blieben meist unbewegt. Man hätte sie sicher hinter ihrem Rücken Eiskönigin genannt, wenn das nicht so ein klischeehafter Ausdruck wäre. Viele männliche Kollegen und Gegner hielten sie für lesbisch. Meistens aus gekränkter Eitelkeit, weil Bornemann so unempfänglich für den vermeintlichen Charme dieser Kerle war. Die Kleidung an dem asketischen und gestählten Körper tat ein Übriges. Sie trug ausschließlich dunkle Hosenanzüge und wirkte darin wie ein Manager mit Marathonambitionen. Kathrin Bornemann hatte ihren Ruf durch Härte, Fleiß, Unbestechlichkeit, Entschlossenheit, Mut, Beharrlichkeit und einer geradezu legendären Humorlosigkeit erlangt und damit die Latte für die männlichen Kollegen ziemlich hoch gelegt. Letztere Formulierung gebrauchte sie bewusst.

Sie kannte Hausers Namen nur von den horrenden Rechnungen, die er für seine Dienste ausstellte. Zweifelnd betrachtete sie seine Kleidung, den unmodischen Schnauzbart, den halb schläfrigen, halb zugedröhnten Gesichtsausdruck. Der Detektiv ließ die Musterung über sich ergehen und drehte dabei mit dem Daumen einen schwarzen Ring an seinem Zeigefinger.

Bornemann musterte den Schmuck. »Onyx?«

»Nein, das ist ein Stimmungsring«, brummte Hauser.

»Ich habe ein ganz schlechtes Gefühl, was Ihren Experten betrifft«, sagte Bornemann an ihren Untergebenen gewandt. »Wir werden die Presse nicht mehr los. Sorgen Sie dafür, dass er seinen Text beherrscht.«

Die Experten stritten noch darüber, ob sie ihre Gefühle besonders gut verbergen konnte oder einfach keine hatte. Jemand wie Hauser war bestens dafür geeignet, den Beweis für die Existenz von Gefühlen aus ihr herauszukitzeln.

Lessing sah ihr nach, bis er sicher sein konnte, dass sie sich außer Hörweite befand. »Kannst du dich inzwischen an den Namen des Täters erinnern? Es wäre nämlich genau der richtige Augenblick dafür.«

Hauser verzog das Gesicht. »Warum redest du nicht noch lauter? Ich glaube, der Mayerbach konnte dich hinten an seinem Schreibtisch nicht hören!«

»Doch, jedes Wort«, kam es vergnügt aus der Ecke.

Lessing packte Hauser am Arm und zerrte ihn über den Gang. »Wenn du die Sache versaust, wirst du berühmter, als du es je sein wolltest. Vielleicht fällt dir ja etwas ein, wenn du den Leuten gegenüberstehst.« Der Hauptkommissar öffnete die Tür eines kleinen Besprechungsraumes und schob ihn hinein.

Da saßen sie, die Verdächtigen im Mordfall Ludlow. Dem Unfall mit Todesfolge, der seit wenigen Stunden als Mord gehandelt wurde. Von links: Rudolf Ludlow, der Sohn des Opfers. Ein gutaussehender junger Mann, der einen äußerst sympathischen Eindruck machte. Hauser konnte sich gut vorstellen, dass er Menschen beiderlei Geschlechts mühelos um den Finger wickelte. Neben ihm saß seine Stiefmutter Monique Ludlow, etwa zehn Jahre jünger als er. Ein hübsches Püppchen, das durchaus ein Anreiz sein konnte, als steinalter Mann viel Geld zu besitzen. Der dritte Verdächtige war ein riesiger Kerl, der mit hochrotem Kopf in sein Handy brüllte. Sein Name lautete Boris Schneider. Er war der Anwalt des alten Ludlow und ein Großteil der Presse hatte ihn längst verurteilt, weil er weder eine trauernde Witwe noch ein gebrochener Sohn war. Außerdem befanden sich in dem Raum noch drei Männer in identischen Anzügen, die Hauser schnell als die Anwälte der drei Parteien identifizierte. Sogar der Anwalt hatte einen Anwalt dabei.

Hauser hatte mit ihnen allen innerhalb der letzten vierundzwanzig Stunden gesprochen, aber er konnte sich nicht mehr an den Inhalt dieser Gespräche erinnern. Außerdem versuchte er, sich seine Überraschung darüber nicht anmerken zu lassen, dass Rudolf Ludlow der Butler aus seiner Strandfantasie war und Monique die Badenixe, die er angelächelt hatte. Die junge Witwe schnüffelte und rümpfte die Nase. »Wonach riecht es hier? Sind Sie das?«, fragte sie Hauser.

»Nein, meine Kleidung.«

»Ziemlich herb«, urteilte sie.

Lessing sah Hauser an. »Und?«

»Nichts.«

»Entschuldigen Sie uns bitte«, sagte der Hauptkommissar und führte Hauser wieder aus dem Raum heraus. »Also, das nenne ich mal eine gelungene Zeitverschwendung. Und was machen wir jetzt?«

Eine junge Frau trat vor Hauser. Sie war Anfang oder Mitte zwanzig mit mittellangen, schwarzen Haaren und ausgesprochen hübsch auf eine ungekünstelte, naturbelassene Art. Ihr Anblick kam ihm irgendwie bekannt vor, aber da sein Gedächtnis ohnehin wie ein Sieb war, dachte er sich nichts dabei.

Sie verpasste ihm ansatzlos eine schallende Ohrfeige. Hauser hielt sich die Wange und blickte die Frau irritiert an. »Sie sind ein altes Ferkel!«, stieß sie hervor und machte auf dem Absatz kehrt. Einige Fotografen riefen ihr hinterher, ob sie den Schlag nochmal wiederholen könne. Mayerbach hielt die aufdringliche Meute halbherzig zurück.

»Kennst du sie?«, fragte Hauser den Polizisten und wies der Frau hinterher.

»Na klar, das ist doch die Kleine, die dir gestern Abend einen Schnaps nach dem anderen ausgegeben hat«, gab der Polizist fröhlich Auskunft. »Ihr Name ist Melanie Beck. Sie ist Schneiders Sekretärin oder Assistentin. Du wolltest gestern unbedingt mit ihr sprechen.«

»Das habe ich wohl auch getan«, murmelte Hauser und für einen Moment lichtete sich der zähe Nebel, den er sein Gedächtnis nannte. Er hatte mit der Sekretärin gefeiert. Der einzige Grund, der ihm dafür einfallen wollte, war, dass Melanie sich über die Ermittlung des Täters freute. Je nachdem, wie sie zu ihrem Chef stand, hatte sie sich entweder über den Beweis seiner Unschuld oder seine bevorstehende Verurteilung gefreut. Hauser fühlte sich mit einem Mal wie elektrisiert. Sie musste wissen, wer der Täter war, er hatte es ihr bestimmt erzählt. Und anschließend hatte er wohl noch etwas anderes getan, worüber sie immer noch verstimmt war. Rasch kritzelte Hauser eine Nachricht auf einen Zettel und drückte ihn Mayerbach in die Hand. »Hol sie zurück und gib ihr das.«

Mayerbach lag auf der Zunge, dass er nicht Hausers Laufbursche war, doch er freute sich auf eine Fortsetzung der Begegnung, also zuckte er mit den Schultern und eilte der jungen Frau hinterher.

Kathrin Bornemann erschien im Eingang des großen Konferenzraumes der Dienststelle, den man eilig für die Pressekonferenz vorbereitet hatte, indem von überall her Stühle und andere Sitzgelegenheiten herangeschafft worden waren. Bornemann winkte Lessing und Hauser energisch zu sich. Der Detektiv konnte sich nicht länger drücken, er musste sich der Presse stellen.

Die vorderen Reihen bis zum Rednerpult waren von Reportern besetzt. In der letzten Reihe, direkt an einer Trennscheibe zu dem Großraumbüro, saßen die Verdächtigen und ihre Anwälte. Letztere hatten ihren Klienten zum jetzigen Zeitpunkt dringend davon abgeraten, an einer Pressekonferenz teilzunehmen. Doch die drei bestanden darauf, ihr reines Gewissen zu demonstrieren. In Wahrheit konnte keiner von ihnen vor der Presse kneifen, ohne sich gleichzeitig verdächtig zu machen.

»Viktor Ludlow war, wie Sie alle wissen, einer der vermögendsten und einflussreichsten Männer der Stadt …«, begann Lessing seine Einleitung.

»Weswegen Sie jetzt auch genug Druck von oben bekommen«, warf ein Reporter fröhlich ein und mehrere seiner Kollegen lachten. Einige Teilnehmer dieser Veranstaltung hatten durchaus ihren Spaß.

»In der Nacht zum Fünfzehnten dieses Monats wurde Herr Ludlow von seiner Frau Monique tot aufgefunden, als diese kurz nach dreiundzwanzig Uhr von einem Theaterbesuch nach Hause zurückkehrte. Sie verständigte zuerst ihren Stiefsohn Rudolf und gemeinsam mit ihm die Polizei. Allem Anschein nach hatte Herr Ludlow auf seinem Treppenlift den Halt verloren und stürzte die neununddreißig Stufen bis zum Fuß der Treppe. Der verständigte Arzt stellte seinen Tod durch Genickbruch fest. Es war keine Fremdeinwirkung erkennbar, zumal der Tote sich zum Unglückszeitpunkt allein im Haus befunden haben soll.« Lessing machte eine Pause und holte tief Luft. »Aber dann hat Herr Hauser hier einige interessante Entdeckungen gemacht, die zu einer erneuten Untersuchung des Falles führten.«

Lessing wandte sich an Hauser und machte eine einladende Geste zum Mikrofon, doch Hauser winkte ab. »Er fand heraus«, fuhr der Hauptkommissar routiniert fort, »dass Herr Ludlow aus seiner Sitzposition niemals so unglücklich hätte fallen können. Dies führte dazu, dass der Leichnam vor der Einäscherung einer genaueren Untersuchung unterzogen wurde. Wir fanden heraus, dass die Knochenbrüche vom Treppensturz post mortem entstanden waren. Außerdem gab es Spuren von Blutergüssen an Herrn Ludlows Rücken, die sich durch Liegen nach Eintritt des Todes bilden. Allerdings fanden wir den Toten auf dem Bauch liegend vor.«

Die Reporter hingen an Lessings Lippen und schrieben eifrig mit.

»Darüber hinaus fand Herr Hauser Blut an einem Ort, an dem sich normalerweise keines befinden konnte. Die Tat muss sich deshalb folgendermaßen abgespielt haben: Der Täter ließ zuerst den Lift nach unten fahren und warf erst dann den bereits toten Ludlow die Treppe hinunter. Für den Täter vielleicht unbedeutend, aber nicht für die Lösung des Falles. Beim Sturz erhielt die Leiche durch den harten Aufprall auf die Stufen mehrere Platzwunden und hinterließ feine Blutspritzer. Unter anderem auf dem Treppenlift. Dies bedeutet, dass der Lift vor dem Toten unten war. Wäre Herr Ludlow tatsächlich während der Fahrt herausgefallen, hätte dies nicht geschehen können.«

Lessing beendete seine Ausführungen. Hauser hatte mit offenem Mund zugehört, was er alles herausgefunden haben sollte. Das war tatsächlich ziemlich clever von ihm gewesen. Einer zweiten Aufforderung, zum Mikrofon zu gehen, konnte er sich nicht verweigern. Und Bornemann wollte ihm gar nicht erst die Gelegenheit geben, darüber nachzudenken. Sie schob Hauser an das Rednerpult, wo er einen Moment unbeholfen herumstand. Die Vertreter der Presse waren inzwischen über Hausers Identität im Bilde und fanden die Verwechslung vor dem Revier wesentlich amüsanter als er.

»Herr Hauser ist gelegentlich als Ermittler für uns tätig«, erklärte Bornemann freundlich und machte eine auffordernde Handbewegung in Hausers Richtung. »Er hat in diesem Fall nicht nur den richtigen Riecher bewiesen, sondern inzwischen auch den Täter ermittelt.«

Hauser trat an das Mikrofon.

»Haben Sie den Schuldigen überführt?«, herrschte ihn eine Reporterin aus der ersten Reihe an, sodass er zurückzuckte.

»Ja, das habe ich«, hauchte er in das Mikrofon.

Eine Pause entstand.

»Und?«, hakte die Reporterin nach.

»Nach den Ermittlungen gibt es drei Hauptverdächtige …«, begann er.

Ein Reporter wedelte abwehrend mit der Hand. »Das wissen wir alles. Wer war es?«

Hauser sah verzweifelt zum Eingang. Wo blieb Mayerbach mit der Assistentin? Er musste Zeit gewinnen. Die Anwälte machten sich Notizen, die Verdächtigen sahen unwillig auf ihre Uhren, Bornemanns Gesicht rötete sich und Lessing wich immer weiter in Richtung Tür. Die Situation wurde brenzlig.

»Nachdem wir die Todesursache ermittelt hatten, mussten wir herausfinden, wer ein Interesse …«

»Halloooo?«, fragte ein Reporter ungeduldig. »Wer war es?«

Bornemann räusperte sich und trat nach vorn. »Meine Damen und Herren, ich muss Sie doch bitten, ein wenig Geduld zu haben. Herr Hauser wird Ihnen alles sehr genau erklären, damit es anschließend weniger Fragen gibt.« Sie deckte das Mikrofon mit der Hand ab und streckte sich zu Hausers Ohr: »Sonst gnade Ihnen Gott.«

Hauser räusperte sich lang und ausgiebig. Mehrere Reporter in der ersten Reihe schauten angewidert. Der Detektiv nahm noch einen Schluck Wasser, bevor er sich über das Mikrofon beugte. »Was ist an diesem Abend wirklich passiert? … Äh, das fragen Sie sich sicher alle.«

»Nein, das fragen wir Sie!«, rief eine Reporterin.

Melanie Beck erschien hinter der Glasscheibe. Mayerbach tauchte hinter ihr auf und war völlig außer Puste. Trotzdem grinste er und machte eine präsentierende Geste. Hauser stieß erleichtert die Luft aus, doch Melanie stand nur mit verschränkten Armen dort und ließ ihn zappeln. Ihr Gesichtsausdruck zeigte weder Mitleid noch Milde. Sie wirkte eher, als wolle sie zuschauen, wie er hier geröstet wurde. Und davon bekam sie eine Menge geboten. Die anwesenden Reporter reagierten genervt wegen der langen Wartezeit und der spärlichen Informationen. Sie stellten ihre Fragen nicht brav hintereinander, sondern bombardierten den Clown am Mikrofon förmlich damit. Hauser wand sich unter den Fragen und warf flehende Blick in Melanies Richtung.

Endlich ließ sie sich erweichen und nickte. Sie simulierte einen gebrechlichen alten Mann und zog anschließend die Innenfutter aus ihrer Jeans. Hauser war nie besonders gut bei Gesellschaftsspielen dieser Art gewesen, doch dies verstand sogar er. »Viktor Ludlow war pleite, seine Firma stand vor dem Ruin«, begann Hauser zögernd. Ein Raunen ging durch die Zuschauerreihen bis hin zu den Anwälten.

Melanie drückte Mayerbach auf einen Stuhl und gestikulierte wild vor ihm.

»Sie hatten einen Streit«, übersetzte Hauser.

»Wer?«, fragten mehrere Reporter gleichzeitig.

Melanie wies auf Monique und machte eine kreisförmige Bewegung vor ihrem Körper.

»Ludlow und seine Frau Monique. Denn sie hatte eine Brustvergrößerung.«

»Was hatte ich?«, schrillte Moniques Stimme über die Aha-Laute der Reporter hinweg. Melanie wiederholte ihre Bewegung, diesmal hektischer.

»Äh, nein«, korrigierte sich Hauser rasch. »Sie ist aufgebläht … hat Essstörungen?«

Melanie schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. Da die Trennscheibe nicht durchgängig bis zur Decke verlief, reichte das Geräusch noch weit genug, damit sich einige der Reporter neugierig umdrehten.

»Sagen Sie mal, raten Sie gerade die Lösung?«, fragte ein Reporter lauernd.

Hauser verzog nachdenklich das Gesicht, dann klarte sich sein Blick auf. »Monique Ludlow ist schwanger.«

Das war allerdings eine Sensation, die kritischen Stimmen verstummten augenblicklich.

Melanie arbeitete weiter hinter der Glasscheibe, mit Unterstützung von Polizeihauptmeister Mayerbach, der ihr widerwillig assistierte. Bornemann und Lessing mussten dem pantomimischen Schauspiel zusehen, bemüht, keine Aufmerksamkeit auf den Hintergrund zu lenken. Was besonders der Kriminaloberrätin schwerfiel. Sie hatte die Zähne so heftig aufeinandergepresst, dass Lessing neben ihr hören konnte, wie der Zahnschmelz Risse bekam.

»Der alte Ludlow packte Monique und schüttelte sie heftig durch. Sie ohrfeigte ihn … mehrmals … und er packte sie an den Haaren. Dann kam ein Pizzabote herein … und sie taten so, als wäre nichts gewesen.«

Hauser sah zu, wie der Pizzabote das Großraumbüro irritiert wieder verließ.

»Quatsch, vergessen sie den Boten … den gab es nicht. Also, sie wurden handgreiflich, Ludlow ging zu seinem Schreibtisch, öffnete die Schublade und holte eine Pistole heraus.«

Die Reporter beugten sich geschlossen nach vorn.

»Was geschah dann?«

»Weiter! Los weiter!«

»Lassen Sie sich doch nicht jedes Detail aus der Nase ziehen!«

Hauser musste die Augen zusammenkneifen, um die Einzelheiten des Schauspiels verfolgen zu können, dann nickte er verstehend. »Monique versuchte vor ihrem Mann zu fliehen. Sie rannte davon und warf dabei einen Stuhl um, über den Ludlow stolperte. Dabei fiel er unglücklich auf eine Tischkante und … uhh … brach sich das Genick.« Hauser wartete gespannt, bis Mayerbach wieder auf die Beine kam und ihm signalisierte, dass alles in Ordnung sei.

Melanie simulierte mit Daumen und kleinem Finger ein Telefon und wies auf Rudolf.

»Als sie erkannte, was passiert war, rief sie ihren Stiefsohn Rudolf dazu«, erklärte Hauser.

»Warum ihn und nicht gleich die Polizei?«, unterbrach ein Reporter.

»Warum? Tja …«, er sah fragend zu Melanie. Sie wies mit einem Zeigefinger auf Rudolf und mit dem anderen auf Monique, dann hob sie beide Finger und führte sie zusammen.

»… echt? Äh, die beiden sind ein Paar.«

Melanie formte mit ihren Händen ein Fernglas, schwenkte von Rudolf zu Monique und zurück.

»Der alte Ludlow wusste davon, weil er sie beobachtet hatte.«

Melanie hielt eine Hand mit hochgestrecktem Zeigefinger und kleinem Finger hinter ihren Kopf.

»Er war ein Teufel.«

Melanie hielt zwei Finger senkrecht unter ihre Nase.

»… und ein Diktator.«

Hauser strahlte so stolz und zufrieden in Melanies Richtung, dass sich erneut einige Reporter zu ihr umdrehten.

»Die beiden hatten nun ein Problem«, fuhr Hauser rasch fort.

Mayerbach zeigte zunehmend Talent und Begeisterung für das Spiel. Melanie übernahm die Rolle des alten Ludlow und ließ sich durch den Raum ziehen. Mayerbach blieb stehen, warf Melanie von sich und machte mit dem Kopf Bewegungen, als würde er jemandem dabei zusehen, wie er Stufe und Stufe eine Treppe nach unten hopste.

»Der Tod von Viktor Ludlow war ein Unfall. Aber ein so dummer, dass er sehr unglaubwürdig klang und nur schwer zu beweisen war. Deshalb inszenierte Rudolf einen zweiten Unfall, der überzeugender sein sollte.«

Die Anwälte sprangen auf wie ein Mann. Rudolf und Monique klammerten sich aneinander, was die Presse als Bestätigung von Hausers Ausführungen nahm. Melanie wies auf ihren Chef.

»Ach ja, was Boris Schneider betrifft …«

Melanie legte die Handflächen aneinander und blickte sanftmütig zur Decke hinaus.

»… er ist vollkommen unschuldig.«

Später, nachdem sich der Trubel gelegt und die Reporter die Suche nach ihm aufgegeben hatten, verließ Hauser die Damentoilette des Polizeireviers. Er setzte seine Sonnenbrille auf, als glaubte er wirklich, dadurch nicht erkannt zu werden. Die Pressemeute dürfte längst weitergezogen sein. Sie hatten ihre Story bekommen, wahrscheinlich auch Stellungnahmen von Lessing und Bornemann, sowie Interviews mit fast allen Beteiligten. Da konnten sie es bestimmt verschmerzen, dass er sich klammheimlich aus dem Staub gemacht hatte. Ein paar Tage lang würde sein Telefon klingeln, aber das ließ sich ignorieren.

Er sah die Ausgangstür schon vor sich, als Kathrin Bornemann aus einer offenen Bürotür erschien, als habe sie dort auf ihn gelauert. Die Kriminaloberrätin respektierte Kompetenz und harte Arbeit. Schon allein deshalb stellte jemand wie Hauser eine einzige Provokation für sie dar. Ihr Gesicht blieb ausdruckslos, während er sich mit der Hand nervös durch den Nacken fuhr. Dann zuckte es leicht um ihre Mundwinkel, und schließlich nickte sie anerkennend. »Alles, was recht ist, das war die erbärmlichste Show, an der ich jemals teilnehmen durfte.«

Im Auftrag von Boris

Hauser lebte streng nach der Maxime, dass Planung nur der Ersatz des Zufalls durch den Irrtum sei. Deshalb verzichtete er darauf, dem Universum allzu lenkend ins Handwerk zu pfuschen. An diesem Morgen musste er allerdings feststellen, dass mangelnde Planung die Abwesenheit von Kaffee, Brot und Milch am Frühstückstisch zur Folge haben konnte. Also machte er sich zu einer Uhrzeit, die er trotz Sonnenschein definitiv noch zur Nacht zählte, auf den Weg zur Bäckerei seines Vertrauens.

Wenn er seine Wohnung verließ, lauschte er zuerst in den Flur hinaus, ob seine Nachbarn unterwegs waren. Er fand Smalltalk unglaublich schwer und anstrengend, obwohl dabei doch nur die üblichen Belanglosigkeiten ausgetauscht wurden.

Hauser war in der Straße bekannt und wurde wie ein zutrauliches Haustier behandelt. Die Leute hielten ihn für einen Exoten und Exzentriker, doch niemand verspürte den Drang, sich über ihn lustig zu machen. Er wurde selbst von Leuten toleriert, die Toleranz nicht unbedingt zu ihren Kernkompetenzen zählten. Vielleicht lag es an der Gleichmütigkeit und an dem völligen Mangel an Aggression, die er ausstrahlte.

Hauser mochte die Großstadt. Er konnte sich nicht vorstellen, auf dem Land zu leben. Nicht einmal eine kleinere Stadt kam für ihn infrage. Und wie die meisten Frankfurter hatte Hauser nichts dagegen, wenn die Weltgeschichte einen großen Bogen um die Stadt machte. Sollte sie ihr Anliegen doch in Offenbach vorbringen.

Als er aus der Bäckerei trat, einen Becher Kaffee in jeder Hand und ein Frikadellenbrötchen zwischen den Zähnen, entdeckte er Melanie Beck auf der anderen Straßenseite. Seine unbezahlbare Souffleuse lehnte an einem Laternenpfahl, der mit mehreren Schichten aus Aufklebern und Kleinanzeigen beklebt war, sodass man erst ab einer Höhe von zwei Metern aufwärts das Metall sehen konnte. Auf dem gepflasterten Parkstreifen vor ihr stand ein schmutziger Corsa. Sie schien auf ihn zu warten.

Hauser war überrascht, sie so schnell wiederzusehen. Er berichtigte sich: Tatsächlich war er überrascht, sie überhaupt noch einmal wiederzusehen. Er stellte die beiden Kaffeebecher aufs Autodach und nahm das belegte Brötchen aus dem Mund, um ein ausgesprochen selbstzufriedenes Grinsen aufzusetzen. »Ich weiß um meine Wirkung auf …«

»Oh bitte, ersparen Sie mir das. Ich bin bestimmt nicht freiwillig hier. Mein Chef möchte Sie sprechen.«

»Boris Schneider?«

»Ich habe nur den einen Chef.«

»Weshalb will er mich sehen?«

»Ihre Leistung hat ihn sehr beeindruckt.« Der Spott in ihrer Stimme war nicht zu überhören. Hauser war überrascht. »Dann hast du ihm nicht erzählt, wie es abgelaufen ist?«

»Nicht die Vorstellung auf dem Polizeirevier. Die Ermittlungsarbeit, die Sie vorher geleistet haben.«

»Ach so. Worum geht es?«

»Das weiß ich nicht. Eine Modeberatung können wir wohl ausschließen. Ich nehme an, er hat einen Auftrag für Sie. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Aber ich würde die Angelegenheit gern rasch hinter mich bringen. Also, einsteigen!«

Melanie startete den Motor. Kaum hatte Hauser auf dem Beifahrersitz Platz genommen, galt seine ganze Aufmerksamkeit dem Kaffee, den er unbedingt in den Bechern behalten wollte. Das Brötchen hatte er vor dem Einsteigen mit vier raschen Bissen verschlungen und nun trank er abwechselnd aus beiden Bechern, um den Pegel darin rasch zu senken. An der Ampel vor der Friedensbrücke schüttete er die Kaffeereste in einem Becher zusammen, damit er eine Hand zum Festhalten am Türgriff nutzen konnte. Die Fahrt dauerte weniger als zehn Minuten, was nicht an der Kürze der Strecke lag, sondern an der Geschwindigkeit, mit der Melanie diese zurücklegte. Glücklicherweise waren dem Kleinwagen Grenzen gesetzt, was die Beschleunigung betraf, und so blieben sie die meiste Zeit auf der eigenen Fahrspur. Trotzdem war Hauser anschließend der Meinung, genug Aufregung für diesen Tag gehabt zu haben.

Das Büro von Boris Schneider lag am nördlichen Mainufer, in einem der gläsernen Paläste, die auf dem ehemaligen Gelände der Degussa errichtet worden waren. Gebäude und Lage unterstrichen noch einmal die Exklusivität von Schneiders Kanzlei und damit auch die seiner Kunden. Der Mann schien ausgezeichnet zu verdienen. Eine Eigenschaft, die Hauser bei seinen eigenen Klienten sehr schätzte.

Melanie fuhr in die Tiefgarage und stellte den Corsa zwischen Fahrzeugen ab, die etliche Preisklassen über ihm lagen.

»Ich muss dich bei der Gelegenheit auch mal zu mir einladen«, sagte Hauser, als sie mit dem gläsernen Aufzug ins Obergeschoss fuhren.

»Ich wohne hier nicht, ich arbeite hier nur«, gab sie giftig zurück, als hätte er ihr irgendetwas unterstellt. Als der Aufzug hielt, blickte Hauser weiter nach oben.

»Was ist über uns?«

»Dort befindet sich die Privatwohnung von Herrn Schneider.« Hauser pfiff beeindruckt. »Ein Penthouse am Main. Langsam verstehe ich, warum dein Boss auf keinen Fall in den Knast wollte.«

Er trabte fröhlich hinter ihr her durch die Glastür und den verlassenen Empfangsbereich. Außer Melanie schien um diese Uhrzeit noch niemand hier arbeiten zu müssen. Sie erreichten ein lichtdurchflutetes Büro mit einer phänomenalen Aussicht durch die riesige Panoramascheibe. Hauser gab einen anerkennenden Laut von sich. Als er sich in dem Raum umschaute, stellte er fest, dass die Inneneinrichtung trotz der Flusslage nicht aus nautischen Objekten bestand, sondern eher den Eindruck erweckte, Schneider habe einen Hessenshop geplündert. Hausers Blick blieb an der erdrückenden Fülle an Devotionalien hängen, die eine tiefe Verbundenheit mit der Stadt Frankfurt und dem umgebenden Bundesland ausdrückten.

»Einen Moment, ich hole Herrn Schneider«, sagte Melanie und ließ ihn allein. Hauser sah sich um, spazierte am Schreibtisch entlang und tippte beiläufig auf dem Laptop herum. Er sammelte einige herumliegende Zettelblöcke ein und steckte sie in seinen Beutel. Für jemanden, der von seinen Notizen abhängig war, durfte der Nachschub nicht abreißen. Kein Gratiskugelschreiber war vor ihm sicher und mit Post-its könnte er ganze Räume tapezieren. Ohne dass ihm das bewusst gewesen wäre, hatte er in den vielen Jahren seiner Detektivarbeit noch nie für Büromaterial bezahlt.

Boris Schneider kam telefonierend herein, beendete das Gespräch und knipste ein professionelles Lächeln an. »Ich hatte noch gar keine Gelegenheit, mich zu bedanken«, sagte er und packte die Hand des Detektivs, bevor dieser sie richtig ausstrecken konnte. Dann bewegte er Hausers Arm auf und ab, als müsste er eine störrische Wasserpumpe bedienen. Hauser wurde zusehends unwohl. Schnell befreite er sich aus dem Griff und ging auf Abstand. Die Freundlichkeit des Anwalts war alarmierend. Er sah hilfesuchend zu Melanie, die sich im Hintergrund hielt, ihm aber keine Signale zur Flucht gab.

Schneider marschierte um seinen Schreibtisch herum und ließ sich in den Stuhl fallen. »Kommen wir zum Geschäft!«

Hauser fiel auf, dass Schneider sich entgegen seiner Ankündigung noch nicht bei ihm bedankt hatte. Der Mann wirkte in seinem Büro völlig anders als auf der Polizeistation. Vor allem war seine Gesichtsfarbe annähernd normal und besaß nicht mehr diesen cholerischen Teint.

Selbstbeherrschung und Verstellung gehörten für den Anwalt zum Handwerkszeug seines Berufs. Wer Boris Schneider besser kannte, wusste, dass er zum Ausgleich und zur Psychohygiene Jahreskarten fürs Stadion besaß. Die einzige Großveranstaltung, die der Anwalt nicht zur Kontaktpflege besuchte. Sein Verhalten bei den Spielen der Eintracht eignete sich auch kaum dazu, neue Freunde zu finden. Er befleißigte sich dort einer Sprache, die Hooligans peinlich berührt abrücken und Väter ihren Söhnen die Ohren zuhalten ließ. Wie für viele andere Fußballfans auch diente ihm ein Stadionbesuch als Therapie und Katharsis. Die Unterwürfigkeit, mit der er seinen Mandanten begegnen musste, ließ er auf dem Parkplatz zurück.

»Ich habe mich über Sie informiert, Hauser. Man erzählt sich interessante Dinge über Sie. Angeblich sind Sie mindestens so clever wie Sherlock Holmes. Sie wissen schon, so Zeug wie: Sie hielten sich die letzten drei Monate auf Madagaskar auf, hatten als Siebenjähriger einen Reitunfall und ihr Cousin dritten Grades mütterlicherseits ist ein direkter Nachfahre des Dalai Lama.« Schneider lachte herzlich über seinen eigenen Scherz.

Hauser spielte mit dem Gurt seines Beutels und zuckte mit den Schultern. »Wenn Sie auf sowas stehen, kann ich natürlich damit dienen: Sie wurden auf Helgoland geboren, haben eine Lehre als Einzelhandelskaufmann gemacht, waren zweimal verheiratet und haben einen siebzehnjährigen Sohn, der sich nur an Ihrem Geburtstag meldet. Sie mögen schnelle Autos, waren dieses Jahr auf Teneriffa und Kreta, sprechen drei Sprachen und üben sich in Ihrer Freizeit in Kalligrafie. Außerdem sind Sie patriotischer Frankfurter und verehren die Eintracht.«

Schneider war sprachlos und sogar Melanie hob überrascht eine Augenbraue. »Du lieber Himmel, das ist alles richtig«, entfuhr es Schneider ehrfürchtig. »Melanie, hast du das gerade mitgekriegt?«

»Ich war anwesend.«

»Der Mann ist ein verdammtes Genie. Woher wissen Sie das alles über mich?«

»Berufsgeheimnis.«

»Kommen Sie schon!«

Hauser wies auf den Laptop. »Ihr Facebook-Account ist offen.«

»Haben Sie etwa meine Einträge gelesen?«

»Ich dachte, wenn es die ganze Welt darf, dann würden Sie es mir auch zugestehen.«

Schneider schien in Schnappatmung verfallen zu wollen, doch dann vollzog er einen innerlichen Kurswechsel und begann schallend zu lachen. »Das ist genau die clevere und kaltschnäuzige Vorgehensweise, die ich mir wünsche«, sagte er und wies auf den freien Sessel vor seinem Schreibtisch. »Ich habe ein Problem, bei dem Sie mir behilflich sein könnten, aber dazu müsste ich weiter ausholen.«

Hauser stellte seinen Beutel neben den Sessel und setzte sich. Er streifte die Schuhe von seinen Füßen und brachte sich in eine halb sitzende, halb liegende Position.

Boris Schneider sah zu, wie der Detektiv sich gemütlich einrichtete. »Äh, so lange wird die Geschichte vielleicht doch nicht.«

Hauser machte lächelnd eine auffordernde Handbewegung loszulegen und faltete die Hände vor dem Bauch.

»Also, Sie sollen fünf Personen für mich ausfindig machen.«

»Das ist quasi mein Job«, sagte Hauser und rechnete sich aus, was ihm ein dauerhaftes Arrangement mit einem Promi-Anwalt einbringen könnte. Wer Klienten wie den alten Ludlow betreute, der rechnete sicher einen ordentlichen Stundensatz ab. »Worum geht es? Eine Erbschaft?«

»Äh, ja, das ist tatsächlich der Fall.«

»Obwohl natürlich Ehebruch mit fünf beteiligten Personen noch viel interessanter wäre«, grinste Hauser und bemerkte Melanies Augenrollen. Es hielt es für angebracht, ein paar Pluspunkte bei ihr zu sammeln. Das würde er als Nächstes in Angriff nehmen.

Schneider nahm eine Akte von dem Stapel rechts von ihm, legte sie vor sich und begann zu erzählen, ohne den Hefter aufzuschlagen. »Es handelt sich um eine Erbschaftsangelegenheit. Ein Mandant hat vor seinem Tod verfügt, dass ein Teil seines Nachlasses an fünf Menschen weitergegeben wird, ohne dass seine leiblichen Verwandten davon erfahren. Um moralischen Bedenken Ihrerseits vorzubeugen, kann ich versichern, bei Letzteren handelt es sich um sehr vermögende Menschen, die keine Erbschaft benötigen, um auch weiterhin als steinreich zu gelten. Natürlich würden sie aus reiner Gier alles dafür tun, um auch an dieses Geld zu gelangen.« Schneider machte ein Gesicht wie kurz vor der Heiligsprechung. »Es geht nur darum eine Erbschaft an die richtigen Personen zu verteilen, nämlich an diejenigen, die den Verstorbenen gemocht und unterstützt haben. Sie wären ein moderner Robin Hood, Herr Hauser.«

»Robin Hood finde ich gut. Kann Ihr Mandant denn nicht vererben, an wen er will? Gibt es kein Testament?«

»Er hat es nie schriftlich festlegen lassen, nur ich wusste von diesem Wunsch. Außerdem sind die Verwandten wie gesagt vermögend und könnten mit teuren Anwälten einen jahrzehntelangen Rechtsstreit anzetteln. Die fünf Begünstigten hätten keine Chance, zu Lebzeiten an das Geld zu kommen.«

»Fünf Erben und Sie können keinen von ihnen finden? Das klingt merkwürdig. Man hinterlässt doch Spuren, selbst bei einem Umzug.«

»Ich weiß es leider nicht.« Boris schob den Schnellhefter über den Tisch. »Fünf Personen. Drei Frauen und zwei Männer. Zwei davon ein Ehepaar.«

»Welche Art von Ehepaar?«

»Bitte?«

»Mir fallen drei Kombinationsmöglichkeiten ein.« Hauser hob die Hand, um sie einzeln aufzuzählen.

»Die … äh … altmodische«, stammelte der Anwalt.

»Und wie haben Sie diese fünf Personen verloren?«

»Sie sind einfach verschwunden, irgendwann am frühen Montagmorgen. Alles, was ich über sie weiß, ist in dieser Akte enthalten. Melanie hat einiges an Vorarbeit geleistet und die Personen überprüft.«

Hauser beugte sich vor, zog den Hefter vom Tisch und blätterte ihn rasch durch.

»Die haben alle im selben Haus gewohnt«, sagte Hauser stirnrunzelnd, »und an keiner Adresse, an der man einen vermögenden Mann vermuten würde.«

»Das ist richtig.«

»Der Fall könnte doch interessanter sein, als es auf den ersten Blick aussieht«, sagte Hauser. »Ich vermute mal, die sind nicht gemeinsam in den Urlaub gefahren. Sind sie freiwillig mitgegangen oder hat man sie entführt?«

Boris machte ein Gesicht, als sei er noch gar nicht auf die Idee gekommen.