Healing Touch - Tina Keller - E-Book
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Tina Keller

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Beschreibung

Julia hat eine traumatische Kindheit hinter sich, die sie noch lange nicht überwunden hat. Ihr neuer Nachbar Noah bietet heilsame Berührungen an, die lang verschlossene Gefühle an die Oberfläche bringen. Dadurch können sich diese destruktiven Gefühle allmählich auflösen. Julia fasst Vertrauen zu Noah und lässt sich auf seine unkonventionellen Behandlungen ein. Als jedoch romantische Gefühle ins Spiel kommen, wird es kompliziert. Und dann ist da noch ein Geheimnis, das Noah auf keinen Fall preisgeben will.

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1 - Julia

Kapitel 2 - Noah

Kapitel 3 - Julia

Kapitel 4 - Julia

Kapitel 5 - Julia

Kapitel 6 - Julia

Kapitel 7 - Julia

Kapitel 8 - Julia

Kapitel 9 - Julia

Kapitel 10 - Julia

Kapitel 11 - Julia

Kapitel 12 - Noah

Kapitel 13 - Noah

Kapitel 14 - Julia

Kapitel 15 - Julia

Kapitel 16 - Julia

Kapitel 17 - Noah

Kapitel 18 - Julia

Impressum

TINA KELLER

Healing Touch

Roman

Können Berührungen heilen und helfen, die traumatische Vergangenheit zu überwinden?

Julia hat eine traumatische Kindheit hinter sich, die sie noch lange nicht überwunden hat.

Ihr neuer Nachbar Noah bietet heilsame Berührungen an, die lang verschlossene Gefühle an die Oberfläche bringen. Dadurch können sich diese destruktiven Gefühle allmählich auflösen.

Julia fasst Vertrauen zu Noah und lässt sich auf seine unkonventionellen Behandlungen ein. Als jedoch romantische Gefühle ins Spiel kommen, wird es kompliziert. Und dann ist da noch ein Geheimnis, das Noah auf keinen Fall preisgeben will.

Kapitel 1 - Julia

„Hast du schon das Schild gesehen?“

Aufgeregt winkt Hanna, meine Nachbarin aus dem 3. Stock, mich zu sich. Sie steht mit drei vollen Einkaufstaschen im Erdgeschoss und betrachtet eingehend etwas Silbernes, das über der Klingel unseres neuen Nachbarn angebracht ist.

„Was für ein Schild?“, erkundige ich mich und stelle meinen prall gefüllten Rucksack vorsichtshalber ab. Ich kenne Hanna und ihren Drang, mitten im Treppenhaus stundenlange Unterhaltungen zu führen. Das letzte Mal habe ich mir eine saftige Erkältung dabei geholt.

„Na, das da!“

Ungeduldig deutet Hanna mit dem Zeigefinger auf das Objekt ihrer Aufmerksamkeit. Ich trete ein paar Schritte näher und lese.

Noah Norton

Der Berührer

„Der Berührer?“, kichert Hanna hysterisch los. „Was soll denn das sein? Arbeitet der Typ als Callboy? Na, das ist ja mal ein Ding. Und dann schreibt der das auch noch ganz offen auf sein Schild, damit es auch bloß jeder lesen kann. Schämt der sich gar nicht?“

„Hier ist ein Callboy eingezogen?“

Wie aus dem Boden gewachsen steht plötzlich Gundula, die immer was zu meckern hat, auf der Treppenschwelle.

„Das ist nicht euer Ernst, oder? Da werde ich mich sofort beschweren! Das geht gar nicht. Ein Callboy! Meint ihr etwa, ich habe Lust, mir den ganzen Tag das Gestöhne anzuhören? Das gibt’s ja wohl gar nicht!“

„Jetzt hört mal auf mit euren haltlosen Vermutungen“, versuche ich, die aufgebrachten Gemüter zu beruhigen.

„Wir wissen doch überhaupt nicht, was diese Bezeichnung zu bedeuten hat.“

Spöttisch blickt Gundula mich an.

„Na, was soll diese Bezeichnung schon zu bedeuten haben? Ich wiederhole mal: Der Berührer. Was soll das sonst sein als ein Callboy? Er berührt jemanden. Er fasst also jemanden an. Da muss man nicht hellsichtig sein, um zu wissen, was das bedeutet.“

„Vielleicht ist er Masseur“, mache ich einen kreativen Vorschlag.

„Oder es ist im übertragenen Sinne gemeint. Er berührt Menschen im Herzen mit dem, was er macht. Vielleicht ist er Heiler oder sowas. Seid doch nicht gleich so voreingenommen!“

„Wenn er Masseur ist, dann bestimmt Tantra Masseur.“

Gundula verdreht die Augen.

„Dann bietet er dir eine Yoni Massage an – was aber auch nichts anderes ist als Sex, nur unter dem Schleier der Spiritualität.“

„Was ist denn eine Yoni Massage?“, will Hanna wissen. „Yoni … Das hört sich ja niedlich an.“

„Yoni ist der tantrische Begriff für die weiblichen Genitalien“, erklärt Gundula. „Und der Schwanz heißt Lingam. Hört sich viel besser an als Penis, oder? Fast wie ein ganz normaler Männername. Hallo, ich bin Lingam!“

Gundula fängt blöde an zu kichern. Also echt, woher weiß die das denn alles? Ich bin echt überrascht über ihre dubiosen Fachkenntnisse. Hannas ohnehin schon riesige Augen werden noch einen Tick größer.

„Wie jetzt – der Masseur massiert dir die …“ Ihr bleibt das Wort im Hals stecken. „Habe ich das jetzt richtig verstanden?“

„Richtig, deine Vagina“, bestätigt die allwissende Gundula. „Natürlich völlig absichtslos. Du bist verbunden mit dem Universum und entdeckst deine heilenden Kräfte. So ein Blödsinn. Wenn ein Mann da unten herumfummelt, ist das eindeutig Sex – ganz egal, welchen Namen die sich dafür ausdenken. Aber es hört sich natürlich besser an, wenn man sagt, man geht zu einer Tantra Massage als wenn man zugibt, dass man sich von einem Typen zum Orgasmus bringen lässt.“

„Das ist ja krass“, findet Hanna und starrt wieder auf das Schild. „Und du meinst echt, dieser Noah bietet so was an?“

„Wir können klingeln und ihn fragen“, schlage ich resolut vor. „Und dann gehen wir alle drei rein und lassen uns von ihm berühren, haha.“ Ich pruste los.

Gundula sieht mich strafend an.

„Mach du dich ruhig darüber lustig, Julia. Dir wird das Lachen schon noch vergehen, denn du wohnst direkt über ihm. Du wirst schon sehen, wie genervt du bist, wenn du dauernd irgendwelche Frauen in höchster Ekstase schreien und stöhnen hörst.“

„Keine Sorge, das wird nicht passieren“, vernehmen wir eine dunkle Stimme und drehen uns reflexartig zur Haustür um.

Da steht er dann wohl, der Berührer. Er sieht sehr sportlich aus, hat dunkle Haare, ein sympathisches Gesicht und eine absolut umwerfende Ausstrahlung. Wir stehen wie vom Donner gerührt da und können uns nicht bewegen. Ich möchte gar nicht erst wissen, welche Gedanken den anderen beiden jetzt durch den Kopf gehen und ob sie sich diesen Typen gerade bei der Ausübung seines Berufes vorstellen. Was eine durchaus reizvolle Fantasie sein könnte.

Noah der Berührer grinst uns an und ist mit zwei Sätzen an seiner Wohnungstür.

„Guten Abend allerseits“, begrüßt er uns und steckt den Schlüssel in die Tür.

„Wollt ihr mit reinkommen? Dann erkläre ich euch gern, was ich mache und warum ihr keine Angst zu haben braucht, dass ich das Haus in einen Puff verwandele.“

Wir zucken peinlich berührt zusammen. So war das nun auch wieder nicht gemeint! Aber man wird sich doch wohl noch seine Gedanken machen dürfen, oder?

Hanna, Gundula und ich sehen uns unschlüssig an, aber unsere Neugier ist stärker. Stumm folgen wir dem Berührer in seine Wohnung.

Erwartungsgemäß stehen überall Umzugskartons herum, denn Noah ist gestern erst eingezogen, wie wir anhand des großen Wagens mit der süßen Robbe beobachten konnten.

Er führt uns ins Wohnzimmer, das in hellen Farben eingerichtet ist, was sehr anheimelnd und gemütlich wirkt. Die positive Energie, die Noah ausstrahlt, spiegelt sich auch in diesem Zimmer wider.

„Setzt euch doch“, bietet Noah freundlich an und macht eine einladende Handbewegung.

„Was möchtet ihr trinken? Gin, Wein, Rum, Whisky auf den Schreck?“

Noah grinst schelmisch, während wir drei stocksteif stehen bleiben und unbehagliche Blicke tauschen. Ist der Callboy etwa auch noch Alkoholiker?

„Das war natürlich ein Scherz“, behauptet Noah. „Ich habe noch nicht alles ausgepackt, aber ich kann euch Kaffee, Tee und Mineralwasser anbieten. Vielleicht finde ich auch noch Orangensaft.“

„Wir wollen eigentlich gar nichts trinken“, wehrt Gundula störrisch ab.

„Wir wollen nur wissen, was das Schild zu bedeuten hat.“

„Ach, komm, sei mal nicht so ungastlich“, ermahne ich sie und ziehe sie in Richtung Couch. Dabei nicke ich Noah zu.

„Ich hätte gern einen Tee, wenn das nicht zu viel Umstände macht.“

Noah schüttelt den Kopf.

„Aber nein, natürlich nicht. Ihr beiden auch?“

Hanna und Gundula nicken verhalten und lassen sich vorsichtig auf der Couch nieder, während Noah in Richtung Küche verschwindet.

„Es sieht sehr gemütlich hier aus“, finde ich und lasse meinen Blick durch das Zimmer schweifen. Am besten gefallen mir neben den fröhlichen Farben die vielen Blumen auf dem Fensterbrett.

„Es sieht aus wie bei einer Bagwhan Sekte, die laufen auch immer alle in Orange herum“, meckert Gundula. „Vielleicht ist er ein Sex Guru.“

„Er wird uns gleich schon erzählen, was er ist“, vermute ich. „Ich bin jedenfalls sehr gespannt.“

„Ach, der kann uns doch erzählen, was er will“, winkt Hanna ab. „Woher willst du denn wissen, ob das der Wahrheit entspricht?“

„Eigentlich muss er uns gar keine Rechenschaft darüber ablegen, was er ist und was er tut“, finde ich. „Das ist ganz allein seine Angelegenheit.“

„Aber nicht, wenn es uns alle betrifft“, trumpft Gundula auf. „Wenn er sexuelle Dienstleistungen anbietet, geht uns das schon etwas an. Oder willst du, dass aus diesem Haus ein Bordell wird?“

„Er hat gesagt, dass genau das nicht der Fall sein wird“, erinnere ich meine Nachbarin, die daraufhin nur mit den Augen rollt.

Erstaunlich schnell kehrt Noah mit einem Tablett zurück, auf dem eine orangefarbene Kanne sowie dazu passende Tassen stehen. Lächelnd gießt er uns Tee ein und betrachtet uns dann aufmerksam. Sein Blick hat etwas sehr Warmes, Wohlwollendes, das mich sofort einhüllt. Ich kann mich seiner positiven, fast liebevollen Ausstrahlung nicht entziehen und versinke förmlich darin. Es ist selten, dass man jemanden trifft, der so sehr von innen heraus strahlt. Hier in Berlin begegnet man vorwiegend griesgrämigen, bärbeißigen Typen, die total unverschämt sind, sich aber allen Ernstes für witzig halten. Da ist Noah eine willkommene Abwechslung.

„Ich stelle mich am besten erst einmal vor“, beginnt Noah. „Ich heiße Noah, bin 37 Jahre alt und gelernter Masseur, Physiotherapeut und Heilpraktiker für Psychotherapie. All das wende ich an, um Menschen zu helfen, aber nicht nur das. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Berührungen sehr heilsam für Geist und Seele sind. Das ist keine neue Erkenntnis, aber ich setze diese Erkenntnis aktiv um. Ich berühre Menschen. Das bedeutet, dass ich sie in den Arm nehme, sie streichele und ihnen die Berührungen gebe, die ihnen guttun. Ich war eine Zeitlang in Amerika und dort gibt es sogar den Beruf als professioneller Kuschler.“

Gundula verschluckt sich prompt an ihrem Tee und bekommt einen Hustenanfall. Hilfreich klopfe ich ihr auf den Rücken.

„Professioneller Kuschler?“, wiederholt sie röchelnd. „Du meinst, du kuschelst mit wildfremden Leuten gegen Geld? Das ist doch verrückt.“

Noah grinst von einem Ohr zum anderen.

„Das ist die allgemein übliche Reaktion, wenn ich von meinem Beruf erzähle. Wenn ich sage, dass ich Menschen massiere, wobei ich sie selbstverständlich auch berühre, noch dazu ohne Klamotten, wird das vollauf akzeptiert. Wenn ich hingegen erkläre, dass ich Menschen in den Arm nehme und sie streichele, bin ich sofort der absolute Freak. Das finde ich ganz schön verrückt.“

„Aber du bietest keine sexuellen Dienstleistungen an?“, vergewissert Hanna sich mit zartrosa gefärbtem Kopf.

„Du streichelst die Leute nur … äh … also, die erogenen Zonen berührst du nicht?“

Noah schüttelt den Kopf.

„Nein, das tue ich nicht. Die primären Geschlechtszonen bleiben komplett außen vor. Ich streichele den Kopf, den Nacken, die Arme, den Rücken. Es gibt festgelegte Grenzen. Natürlich ist auch Küssen tabu.“

Ein professioneller Kuschler! Wir starren Noah an und schweigen ergriffen.

„Aber kann es nicht sein, dass die Leute sexuelle Gefühle bekommen, wenn du sie streichelst?“, erkundige ich mich.

Ich weiß nicht, warum, aber irgendwie fasziniert mich das, was Noah tut. Es mag ein bisschen freakig und ungewöhnlich sein, aber ich finde es überhaupt nicht schlimm. Im Gegenteil.

Wieder schüttelt Noah den Kopf.

„Nein, das ist bis jetzt noch nicht passiert; jedenfalls nicht, dass ich das wüsste oder es gemerkt hätte. Meine Berührungen sind nicht sexuell. Es sind liebevolle, zärtliche Berührungen, die meinen Kunden Wärme geben sollen. Es geht in keinster Weise um Sex. Das ist vielen Leuten nicht klarzumachen. Dabei gibt es viele liebevolle Streicheleinheiten, die völlig asexuell sind. Denkt nur mal an Eltern, die ihre Kinder liebkosen. So ungefähr müsst ihr euch das vorstellen. Oft genug ist es ja gerade das Kind in uns, das Zuwendung braucht.“

„Streichelst du nur Frauen oder auch Männer?“, will Hanna wissen.

Das ist ebenfalls eine sehr interessante Frage.

„Bis jetzt waren es ausschließlich Frauen“, bestätigt Noah. „Das liegt daran, dass sich nur Frauen bei mir melden. Ich weiß gar nicht, wie ich reagieren würde, wenn ich eine Anfrage von einem Mann erhalten würde. Da hätte ich vielleicht wirklich Bedenken, dass es ins Sexuelle abdriften könnte. Also, nicht von mir aus natürlich, aber ich denke, dass viele Männer körperliche Nähe mit Sex verwechseln.“

Wir nicken zustimmend, denn diese Erfahrung hat wohl jede von uns schon einmal gemacht. Oder auch mehrfach, je nachdem.

„Aber wie ist das bei dir?“, hake ich nach. „Du bist schließlich auch ein Mann. Was passiert bei dir, wenn du jemanden streichelst?“

Noah lächelt mich an. Ich weiß nicht warum, aber plötzlich flattert irgendetwas in meinen Bauch herum, als er mich aus seinen wunderschönen Augen so intensiv anschaut. Sein Blick ist fast magisch, anders kann ich es nicht ausdrücken.

„Bei mir passiert gar nichts“, behauptet er. „Ich empfinde für meine Kundinnen nichts weiter, sondern erbringe eine Dienstleistung. Das mag sich jetzt sehr gefühllos anhören, aber so ist es nicht. Natürlich bringe ich der Kundin eine gewisse Zuneigung und Wertschätzung entgegen. Aber mehr eben nicht. Der Punkt ist, dass ich keine Liebesbeziehung zu ihr habe.“

Tja, und genau das ist wohl das Seltsame: mit jemandem zu kuscheln, den man nicht liebt.

„Wie lange machst du das schon?“, fällt Gundula ein. „Und wie viele Kundinnen hast du?“

„In dieser Form mache ich das seit zwei Jahren“, gibt Noah bereitwillig Auskunft. „Im Moment habe ich etwa zehn Kundinnen pro Monat. Mein Beruf ist noch relativ neu und muss erst einmal bekannt werden. Und natürlich trauen sich viele Frauen nicht, zu einem Mann zu gehen, der mit ihnen gegen Bezahlung kuschelt. Das ist für die meisten ziemlich suspekt. Von daher ist das nur ein kleiner Teil meiner Tätigkeit. Dazu kommen die klassischen Massagen und die Patienten, mit denen ich als Physiotherapeut arbeite. Des Weiteren arbeite ich als Psychotherapeut. Oft greift alles ineinander, da viele medizinische Probleme geistiger Natur sind. Das kann man nicht voneinander trennen.“

Ich muss zugeben, dass Noah mich fasziniert. Das hört sich alles ungemein spannend an und ich würde gern noch viel mehr darüber erfahren. Er scheint ein sehr interessanter Mensch zu sein.

„Verlieben sich die Kundinnen nicht auch mal in dich?“, hat Gundula eine weitere Frage. „Wenn du regelmäßig mit ihnen herumschmust, kann das doch passieren, oder?“

Noah lächelt.

„Nein, eigentlich nicht. Ich denke, sie können schon unterscheiden, ob ich eine professionelle Dienstleistung anbiete oder ob ich an ihnen persönlich interessiert bin. Und natürlich bin ich das nicht. Selbstverständlich halte ich immer einen professionellen Abstand, das ist völlig klar.“

„Aber seltsam ist es schon, mit einem fremden Menschen zu kuscheln“, beharrt Gundula auf ihrer Meinung.

„Das ist doch eigentlich etwas, das man nur mit dem Menschen tut, den man liebt, oder etwa nicht?“

Hanna und ich nicken zustimmend.

„Im besten Fall, ja“, stimmt Noah ihr zu. „Aber was tust du, wenn du keinen Partner hast, und das vielleicht sogar jahrelang? Da baut sich ein riesiges Defizit in dir auf. Berührungen lindern nachweislich Symptome bei psychischen Erkrankungen. Es gibt sogar psychosomatische Rehabilitationskliniken, wo Kuscheln zum Therapiekonzept gehört.“

Erstaunt sehen wir ihn an.

„Wie jetzt – da kuscheln die Therapeuten mit den Patienten, oder wie meinst du das?“, hakt Hanna nach.

Noah schüttelt den Kopf.

„Nein, das nicht. Aber es gibt eine spezielle Kuschelcouch. Jeder, der sich darauf niederlässt, signalisiert damit, dass er nicht abgeneigt ist zu kuscheln. Natürlich stürzt sich nicht einer auf den anderen, sondern man fragt, ob man sich nähern darf. Wenn der andere damit einverstanden ist, hält man sich im Arm und streichelt sich.“

Wir drei schauen uns ungläubig an. Was es alles gibt!

„Da man sich in einer Reha sowieso sehr nahe ist, empfindet das niemand als schräg“, fährt Noah fort.

„Man zieht sich – im übertragenen Sinne – bis aufs Hemd aus und erzählt den anderen seine intimsten Geheimnisse. Viele weinen auch, und da ist es dann ganz normal, dass sie in den Arm genommen werden. Da wird das intuitiv gelebt, mit dem wir uns normalerweise so schwertun: körperliche Nähe.“

Gundula lacht auf.

„Das habe ich auch schon gehört, aber anders. Ich habe schon oft gehört, dass ein Aufenthalt in einer Reha die reinste Orgie ist. Darum fällt es mir ehrlich gesagt auch schwer zu glauben, dass es bei dir beim Kuscheln bleibt bzw. deine Kundinnen damit einverstanden sind.“

Noah ist überhaupt nicht beleidigt, sondern grinst nur.

„Glaub es einfach, denn genauso ist es.“

„Es gibt ja auch Kuschelpartys“, werfe ich ein. „Auch da wird immer wieder gesagt, dass es nicht sexuell ist und es nicht über das Kuscheln hinausgeht.“

Noah nickt. „Ja, genau. Es ist wirklich ein Segen, dass es diese Partys gibt; vor allem hier in der Single-Hochburg Berlin.“

„Wie bist du denn überhaupt darauf gekommen, das anzubieten?“, frage ich.

Noah zuckt mit den Schultern.

„Da ich wie gesagt Masseur und Physiotherapeut bin, habe ich keine Scheu, Menschen zu berühren. Das ist mein Beruf. So gesehen war es nur ein kleiner Schritt, die Menschen noch ein bisschen anders zu berühren, als ich das bei einer Massage tue.“

„Auf so etwas muss man aber trotzdem erst mal kommen“, murmelt Gundula in ihre Teetasse hinein.

„Mir ist das bei meiner Tätigkeit als Psychotherapeut aufgefallen“, erklärt Noah und nimmt einen Schluck Tee.

„Mir haben meine Klienten oft von ihrer Einsamkeit erzählt und wie schwer es für sie ist, dass sie nie mal jemand in den Arm nimmt. Dem kann ich jetzt ganz leicht Abhilfe schaffen. Und sie fühlen sich danach viel wohler und sind sehr viel entspannter. Kennt ihr die Free Hugs Aktion?“

Wir schütteln synchron die Köpfe.

„Die Idee des Weltumarmtages kam von einem amerikanischen Pastor, der fand, dass Menschen sich mehr umarmen und liebhaben sollen“, berichtet Noah.

„An dem Tag sieht man auch hier in Berlin viele Pappschilder mit der Aufschrift ‚Free Hugs‘. Da bieten Menschen kostenlose Umarmungen an. Und schaut euch die Leute mal davor und danach an. Sobald sie eine Umarmung bekommen haben, sehen sie gleich viel glücklicher aus. Man sollte sich viel öfter im Alltag umarmen.“

„Hm, ich weiß nicht.“ Gundula runzelt ihre Stirn. „Ich glaube nicht, dass ich wildfremde Leute umarmen möchte oder meine bescheuerten Kollegen. Und schon gar nicht meine Vorgesetzten. Das würde mir gerade noch fehlen.“

„Wildfremde Menschen oder Kollegen vielleicht nicht, aber eigentlich umarmt man heutzutage fast niemanden mehr“, sagt Hanna nachdenklich.

„Bei den Familienfeiern, zu denen ich eingeladen bin, geben sich alle nur förmlich die Hand. Stell dir vor, als sich meine Tante letzten Monat im Krankenhaus von ihrem Mann verabschiedet hat, hat sie das allen Ernstes mit einem Händedruck getan. Ich dachte, ich sehe nicht recht. Er wurde am nächsten Tag operiert und es war keine leichte Operation. Wie kann man den Partner in so einer Situation nicht mal in den Arm nehmen?“

Noah nickt. „Seht ihr, ihr merkt es schon: Wenn man nicht gerade in einer Partnerschaft lebt, ist es schwer, körperliche Zuwendung zu bekommen. Und manchmal sogar da, wie im Fall deiner Tante. Die Menschen sind ziemlich stur geworden. Dabei hungert jeder Mensch nach Berührung. Es ist einfach elementar wichtig. Es verbindet und macht offen für Begegnungen. Es macht glücklich und entspannt. Es befreit. Es gibt wirklich nur Gutes, was Umarmungen und Berührungen bewirken.“

Jetzt nicken wir alle zustimmend. Ja, Berührungen tun gut. Und wenn wir drei Grazien ehrlich sind, fehlen sie uns auch. Wir sind alle drei Singles. Soweit ich weiß, haben Hanna und Gundula keinen Lover, und ich auch nicht. Aber im Alltag denkt man kaum darüber nach, dass irgendetwas fehlt. Es ist einfach so und man gewöhnt sich daran.

„Was macht ihr denn eigentlich, wenn ich fragen darf?“, erkundigt Noah sich und blickt in die Runde.

„Ich bin Sekretärin in einer Kanzlei“, eröffnet Gundula ihm.

„Ach du je, wir haben uns noch gar nicht vorgestellt: Ich heiße Gundula und wohne im dritten Stock.“

„Ich bin Hanna und wohne auch im dritten Stock, allerdings auf der anderen Seite“, stellt sich Hanna vor. „Ich arbeite als Pflegerin im Altenheim. Ich könnte mir übrigens vorstellen, dass die alten Menschen deine Dienste auch gern in Anspruch nehmen würden. Die hat schon sehr lange niemand mehr umarmt. Ich meine, ich fasse sie zwar an, aber in den Arm genommen habe ich sie eigentlich noch nie so richtig. Vielleicht sollte ich tatsächlich mal darüber nachdenken und sie fragen, ob sie das gern hätten.“

„Du würdest ihnen damit bestimmt etwas Gutes tun“, lächelt Noah. „Ja, frag sie doch einfach. Ich halte nichts davon, Menschen Berührungen aufzudrängen, aber wenn du sie fragst und sie ja sagen, tust du ein gutes Werk.“

Hanna nickt nachdenklich.

„Ich heiße Julia und arbeite in einer Tierarztpraxis“, bin nun ich dran. „Und da streichele ich auch sehr viel, allerdings eher die Tiere als meine Kolleginnen und die Tierärzte. Die würden sicher schön blöd aus der Wäsche gucken.“

Alle lachen.

„So weit bist du nicht von mir entfernt“, findet Noah und zwinkert mir zu. „Ich streichele Menschen und du streichelst Tiere. Sicher merkst du, dass es den Tieren dadurch besser geht.“

Ich nicke. „Ja, natürlich. Ich möchte ihnen einfach etwas Gutes tun. Ich liebe Tiere.“

Noah lächelt. „Das ist schön, Julia. Das tue ich auch. Und ich liebe Menschen ebenso. Ich glaube, sowohl dein Beruf als auch meiner hat viel damit zu tun, dass man das, was man tut, liebt. Das geht Hanna sicher nicht anders. Wenn du keine Zuneigung für die alten Menschen empfinden würdest, könntest du den Job wahrscheinlich gar nicht machen bzw. du würdest ihn nicht gut machen können.“

„Ja, das stimmt“, pflichtet Hanna ihm bei. „Bei der schlechten Bezahlung muss man die Menschen schon lieben, um diesen Job überhaupt machen zu wollen.“

„Es ist ein Unding, dass gerade diese Jobs, die so immens wichtig ist, so schlecht bezahlt werden“, rege ich mich auf. „Und irgendwelche Manager bekommen Millionen. Das ist total ungerecht.“

Nachdem wir uns eine Weile hitzig über dieses Thema unterhalten haben, fällt Hanna und mir plötzlich ein, dass wir leicht verderbliche Waren eingekauft haben. Etwas hastig verabschieden wir uns von Noah und brechen zu unseren Wohnungen auf.

„Also doch kein Callboy“, stelle ich auf der Treppe fest und lache. „Überhaupt ist er ein charismatischer, toller Mann, findet ihr nicht auch?“

Hanna grinst. „Auf jeden Fall. Mal sehen, vielleicht buche ich mal eine Kuschelstunde bei ihm.“

„Für mich käme das nicht infrage“, behauptet Gundula. „Ich finde das nach wie vor merkwürdig.“

„Klar, es ist nicht unbedingt ein Job wie jeder andere, aber so oft macht er das ja gar nicht“, erwidere ich. „Und ein toller und interessanter Mensch ist er auf jeden Fall.“

Daran gibt es gar nichts zu rütteln.

Kapitel 2 - Noah

Ich muss lächeln, als ich die Tür hinter meinen drei neuen Nachbarinnen schließe. Es war klar, dass sie mich auf mein Schild ansprechen würden. Ich bin froh, dass ich meinen Beruf von Anfang an geklärt habe und sie wissen, was ich tue. Ich muss mich schließlich nicht dafür schämen, dass ich Menschen etwas gebe, was sie dringend brauchen. Berührungen sind ein ganz elementares Bedürfnis.

Mit Schaudern denke ich an das grausame Experiment zurück, bei dem man hilflosen Babys monatelang nur etwas zu essen und zu trinken gegeben hat, aber keine Wärme, keine Liebe, keine Berührungen. Sie sind alle gestorben. Und auch die Erwachsenen verkümmern, wenn sie keine Streicheleinheiten bekommen. Nur: Wo sollen sie sich die herholen? Wenn man jung ist, kann man sich diese Berührungen über Sex holen. Aber wenn man älter ist, ist es nicht mehr so einfach, auf die Piste zu gehen und sich einen one-night-stand aufzureißen. Und bei den ganz alten Menschen steht das sowieso nicht mehr zur Debatte. Die vegetieren in irgendwelchen unterversorgten Pflegeheimen vor sich hin. Das ist dann die letzte Station ihres Lebens. Ich finde das entwürdigend.

Ich finde, es müsste viel mehr professionelle Berührer geben und vor allem auch viel mehr Menschen, die dieses Angebot auch annehmen. Denn leider ist es nach wie vor mit viel Angst und Scham besetzt, weil sich die Menschen ganz falsche Vorstellungen davon machen. Sie denken, es ginge primär um Sex, was vollkommen falsch ist. Ich biete keinen Sex an, sondern Nähe und Wärme. Natürlich ist es schöner, all das von dem Menschen zu bekommen, den man liebt, aber oft genug gibt es diesen Menschen nicht. Oder nicht mehr. Und da ist es immer noch besser, diese Grundbedürfnisse mit einem fremden Menschen zu stillen als überhaupt nicht.

Das erste Mal kam mir der Gedanke, so etwas anzubieten, als eine meiner Klientinnen bei einer therapeutischen Sitzung hemmungslos an zu weinen fing. Ihr Mann hatte sie gerade verlassen und dann hatte sie auch noch ihren Job verloren. Sie war völlig am Ende. Als sie wie ein Häufchen Elend vor mir saß und ihre Tränen einfach nicht stoppen konnte, dachte ich mir, dass es ihr jetzt wahrscheinlich unendlich guttun würde, wenn sie jemand in den Arm nehmen würde. Genauer gesagt: wenn ich sie in den Arm nehmen würde. Aber selbstverständlich macht man so etwas als Psychotherapeut nicht. Das hätte die Klientin sicherlich als übergriffig bezeichnet, wenn nicht sogar als Belästigung. Aber es tat mir weh, stur und steif auf meinem Stuhl sitzen zu bleiben und ihr dabei zuzusehen, wie sie sich die Seele aus dem Leib weinte. Ich war mir sicher, dass es ihr geholfen hätte, wenn ich sie in diesem Moment festgehalten hätte. Aber so etwas darf ich in meinem Job als Psychotherapeut nicht tun.

In meinem Job als Berührer hingegen darf ich genau das. Mehr noch, die Leute kommen zu mir, weil sie genau das von mir wollen. Manchmal wollen sie auch alles zusammen. Sie starten mit einer psychotherapeutischen Sitzung und wenn dann Gefühle hochkommen, die sie lange verdrängt haben und sie anfangen zu weinen, nehme ich sie in meine Arme und streichele sie.

---ENDE DER LESEPROBE---