Heimat-Roman Treueband 16 - Kristina Brunner - E-Book

Heimat-Roman Treueband 16 E-Book

Kristina Brunner

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Beschreibung

Lesen, was glücklich macht. Und das zum Sparpreis!

Seit Jahrzehnten erfreut sich das Genre des Heimat-Bergromans sehr großer Beliebtheit. Je hektischer unser Alltag ist, umso größer wird unsere Sehnsucht nach dem einfachen Leben, wo nur das Plätschern des Brunnens und der Gesang der Amsel die Feierabendstille unterbrechen.

Zwischenmenschliche Konflikte sind ebenso Thema wie Tradition, Bauernstolz und romantische heimliche Abenteuer. Ob es die schöne Magd ist oder der erfolgreiche Großbauer - die Liebe dieser Menschen wird von unseren beliebtesten und erfolgreichsten Autoren mit Gefühl und viel dramatischem Empfinden in Szene gesetzt.

Alle Geschichten werden mit solcher Intensität erzählt, dass sie niemanden unberührt lassen. Reisen Sie mit unseren Helden und Heldinnen in eine herrliche Bergwelt, die sich ihren Zauber bewahrt hat.

Dieser Sammelband enthält die folgenden Romane:

Alpengold 174: Das Vermächtnis des Anton Hurlacher
Bergkristall 255: Das Madel vom Waldwinkel
Der Bergdoktor 1705: Dr. Burger und das Drama am Berg
Der Bergdoktor 1706: Keine Hochzeit auf dem Buchenhof
Das Berghotel 111: Ausflug ins Ungewisse

Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 320 Taschenbuchseiten.
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Seitenzahl: 610

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Impressum

BASTEI ENTERTAINMENT Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG Für die Originalausgaben: Copyright © 2014/2016 by Bastei Lübbe AG, Köln Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller Verantwortlich für den Inhalt Für diese Ausgabe: Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln Covermotiv von © Bastei Verlag/Michael Wolf ISBN 978-3-7325-9247-0

Kristina Brunner, Marianne Burger, Andreas Kufsteiner, Verena Kufsteiner

Heimat-Roman Treueband 16 - Sammelband

Inhalt

Kristina BrunnerAlpengold - Folge 174An seinem fünfundzwanzigsten Geburtstag soll Jakob seinem Patenonkel eine Braut präsentieren - sonst wird es nichts aus dem großen Erbe, das er für ihn vorgesehen hat! Als die schöne Marie von dieser Bedingung des alten Hurlacher erfährt, muss sie plötzlich an Jakobs aufrichtiger Liebe zweifeln: War sie von Anfang an für ihn nur Mittel zum Zweck, um an das Hurlacher-Vermögen zu kommen? Verzweifelt trennt sie sich von Jakob ...Jetzt lesen
Marianne BurgerBergkristall - Folge 255Mit grimmiger Miene steigt Thomas den Berg hinauf. Er hat heute keinen Blick für die Schönheiten der Natur. Schließlich hat er den langen Weg nur auf sich genommen, um diese Sanna Wildgruber zusammenzustauchen. Es geht einfach nicht an, dass das Kräuterweiblein sich so massiv in seine Angelegenheiten mischt! Er ist der neue Tierarzt im Dorf, und zu ihm müssen die Bauern mit ihren kranken Viecherln kommen! Endlich hat Thomas das Haus im Waldwinkel erreicht. Noch bevor er an die Haustür klopfen kann, öffnet sie sich schon. Vor ihm steht ein blutjunges, bildhübsches Madel von fremdartiger Schönheit, lächelt und sagt: "Kommen Sie nur herein. Ich habe Sie schon erwartet ..."Jetzt lesen
Andreas KufsteinerDer Bergdoktor - Folge 1705Sicherungsseil im Haken ausklinken, weiter, im nächsten Haken einklinken, klettern, ausklinken ... Gebannt beobachten die Männer der Bergwacht, wie Simon Heller an einer der steilsten und gefährlichsten Stellen die Nordwand des Feldkopfs hochklettert. Dabei gönnt er sich keine Atempause, denn er will einen neuen Rekord aufstellen. Adrenalin pumpt durch seine Adern, sein Ehrgeiz ist stärker als alles andere. Und dann unterläuft ihm der verhängnisvolle Fehler! Das Sicherungsseil löst sich aus seinem Gürtel und ringelt sich in rasender Geschwindigkeit die Wand hinunter. Simon will es fassen und greift ins Leere! Sein letzter Gedanke gilt Karin, seiner Braut, und dem Versprechen, das er ihr gegeben und heute gebrochen hat ...Jetzt lesen
Der Bergdoktor - Folge 1706In wenigen Wochen soll auf dem Buchenhof eine fröhliche Hochzeit gefeiert werden. Sowohl für Hannes als auch für Eva ist es nicht die erste Ehe, beide haben sie schon einmal einen geliebten Menschen verloren und nicht mit einem neuen Glück gerechnet. Umso dankbarer sind sie dem Schicksal, dass sie sich gefunden haben. Jetzt freuen sie sich auf ihr neues, gemeinsames Leben auf dem Buchenhof. Doch kaum hat Eva ihre Umzugskartons ausgepackt, verändert sich Hannes. Bei der kleinsten Kleinigkeit rastet er aus. Außerdem verfolgt er Eva mit seiner Eifersucht und zweifelt an ihrer Treue. Nichts, was sie sagt oder tut, kann seine Zweifel vertreiben. Und dann, als sie eines Tages aus dem Dorf vom Einkaufen kommt, sieht er sie plötzlich an wie eine Fremde und weist sie vom Hof...Jetzt lesen
Verena KufsteinerDas Berghotel - Folge 111Schon seit einiger Zeit kriselt es zwischen Emma und Ben. Ben verbringt immer mehr Zeit im Büro und hat kaum noch Zeit für seine Frau und die gemeinsame Tochter Jasmin. Die junge Gärtnerin befürchtet, dass ihr Mann sie mit seiner Kollegin betrügt. Auf der letzten Betriebsfeier hat sie doch genau gesehen, welch verführerische Blicke die attraktive Rita Ben zugeworfen hat! Er streitet jedoch alles ab und wirft seiner Frau übertriebene Eifersucht vor. Immer öfter kommt es zwischen den beiden zum Streit, was auch Jasmin sehr belastet. Schließlich liebt sie ihre Eltern doch beide! Um ihrer Tochter eine Freude zu bereiten, beschließen Emma und Ben, einen Urlaub im Zillertal zu buchen. Vielleicht kann die gemeinsame Auszeit sogar ihre Ehe neu beleben? Zuerst scheint die malerische Umgebung tatsächlich zu helfen: Das Eis zwischen den Eheleuten beginnt allmählich, zu schmelzen, und sie reden wieder unbefangener miteinander. Doch dann gerät ein Ausflug für die ganze Familie zum Albtraum. Plötzlich geht es um alles: um Emmas und Bens Ehe, um Treue, Lüge und Vertrauen - und um Jasmins Leben ...Jetzt lesen

Inhalt

Cover

Impressum

Das Vermächtnis des Anton Hurlacher

Vorschau

Das Vermächtnis des Anton Hurlacher

Dramatischer Roman um ein schweres Erbe

Von Kristina Brunner

Wie gebannt bleibt der junge Meitinger-Jakob stehen, als er nach Jahren auf der Walz in seinem Heimatdorf in den Bergen am Schneider-Hof vorüberkommt. Aus der Bauerntochter Marie ist eine wahre Schönheit geworden! Und als sie den Blick hebt und Jakob in ihren warmen Augen versinkt, da ist es vollends um ihn geschehen! Kurzerhand mietet er sich für eine Weile in der kleinen Pension der Schneiders ein, um Maries Herz zu gewinnen …

Auch sie verliebt sich in den feschen Zimmermann, und beide träumen bald davon, für immer zusammenzubleiben. Doch da ahnen sie noch nichts von der seltsamen Klausel im Testament des alten Anton Hurlacher, Jakobs Patenonkel. Ausgerechnet die Bedingung des kauzigen alten Mannes, die Jakobs Glück sichern sollte, wird nun zum Prüfstein seiner großen Liebe …

»Hallo, Marie, was machst du denn da? Darf ich dir dabei helfen?«

Marie Schneider wandte sich nach der hellen Stimme um. Sie blickte in das neugierige Gesicht der kleinen Dina, einer der beiden süßen Töchter einer Gastfamilie, die hier in Wartenstein auf dem Hof der Schneiders Urlaub machte.

»Sicher! Das ist lieb von dir. Komm, hier ist eine Matte. Knie dich darauf, damit deine Hose nicht schmutzig wird!«

Die Kleine kniete sich neben sie und sah zu, wie Marie Unkraut und einige zu klein gewachsene Möhrensämlinge auszupfte.

»Schau mal, die kräftigen lasse ich stehen, damit sie weiter wachsen können«, erklärte sie. »Die schwachen Winzlinge nehmen ihnen nämlich nur den Platz weg und werden dann doch nicht groß. Da geben wir lieber denen Platz, die schon etwas dicker sind und bestimmt noch weiter wachsen.«

»Darf ich auch mal?«

Marie nickte. »Die Pflänzchen müssen immer gerade so weit auseinanderstehen, wie dein kleiner Finger lang ist.« Sie sah zu, wie die Fünfjährige zaghaft an den Pflanzen zupfte. »Ja, so machst du es richtig.«

Marie konnte gut mit Kindern umgehen, und sie war sehr beliebt bei den kleinen Gästen. Seit ihre Eltern seit vier Jahren mit ihrem Hof am Programm »Ferien auf dem Bauernhof« teilnahmen, waren das ganze Jahr über Gäste mit Kindern da – die drei Apartments waren ständig ausgebucht.

Marie hatte es übernommen, sich um die Familien zu kümmern – sie richtete das Frühstück und die Lunchpakete für Ausflüge her, machte mit den Kindern tägliche Stallführungen und versorgte mit ihnen zusammen die kleinen Tiere, die tagsüber die »Streichelwiese« bevölkerten – drei junge Ziegen, etliche Kaninchen und Meerschweinchen sowie mehrere Perlhühner, die ziemlich klug schienen und erstaunlich zutraulich waren.

Marie gewann die Herzen der Kinder im Sturm.

Sie war gerade fünfundzwanzig geworden und lebte auf dem elterlichen Hof in Wartenstein, einem kleinen Dorf in den Alpen, abseits der üblichen Ski- und Feriengebiete. Sie hatte in der nahen Kreisstadt eine kaufmännische Ausbildung bei einer Spedition gemacht, aber die Firma war kurz nach Maries Prüfung in Konkurs gegangen. Marie hatte sich danach entschlossen, bei ihren Eltern zu bleiben, weil sie eine neue Arbeitsstelle wahrscheinlich nur im entfernten München gefunden hätte.

Die Idee, dem Hof die kleine Familienpension anzugliedern, stammte von ihr, und ihre Eltern waren sofort einverstanden gewesen. Nur der Vater hatte zuerst Bedenken gehabt.

»Wenn du einen Mann kennen- und lieben lernst, wirst du vielleicht, wenn du heiratest, zu ihm ziehen. Und wer übernimmt dann die ganze Arbeit?«

»Erstens«, hatte sie geantwortet, »habe ich in der Männerwelt bisher nur Enttäuschungen erlebt, und zweitens glaube ich net, dass in nächster Zeit einer hier zur Tür hereinspaziert, dem ich vertrauen kann.«

»Und wenn dir doch mal der Richtige begegnet, vielleicht in ein paar Jahren?«

»Dann läuft die Pension entweder so gut, dass ihr euch dafür eine Angestellte leisten könnt«, antwortete sie, »oder sie läuft net gut, und dann sollte man sie lieber schließen. Aber vertraut mir ruhig! Ich hab eine Menge guter Ideen.«

So hatten die Eltern ihr vertraut, und das hatte sich ausgezahlt. Marie steckte viel Fleiß und Arbeitszeit in ihre Pläne, und neben dem guten finanziellen Erlös gab es einen viel größeren und schöneren Lohn: das glückliche Lachen der Kinder.

So wie die niedliche Dina, die ihr jetzt beim Auslichten der Karottensaat helfen wollte, reagierten die meisten der Kleinen. Garten- und Stallarbeit machten Spaß, wenn man die richtige und vor allem geduldige Anleitung dazubekam. Manche Kinder sahen auch lieber nur zu, stellten aber eine Menge neugieriger Fragen.

»So«, sagte Marie schließlich, »ich glaube, wir beide haben allerhand geschafft. Sieh mal, wir haben die ganze Reihe fertig.«

»Sind das da vorn auch Möhren?«, wollte Dina wissen und zeigte auf die nächste Reihe, in der es Pflanzen mit langen, geraden Blättern gab, die wie zu klein geratener Porree aussahen.

»Das ist Knoblauch«, erklärte Marie geduldig. »Ich setze immer abwechselnd eine Reihe Knoblauch und eine Reihe Möhren. Weißt du, normalerweise kommen im Sommer ganz viele Schnecken, weil sie gern Möhren fressen. Knoblauch aber mögen sie net, noch net einmal den Geruch. So geht es vielen Menschen ja auch. Die Schnecken gehen dem Knoblauch aus dem Weg, und dadurch kommen sie gar nicht bis zu den Möhren.«

»Aha«, machte Dina altklug. »Muss ich mir merken, falls ich später mal selbst einen Garten habe.«

Marie erhob sich. »So, ich muss jetzt hier Schluss machen«, sagte sie. »In anderthalb Stunden soll das Mittagessen fertig sein.«

»Darf ich dir dabei auch helfen? Was gibt’s denn?«, fragte Dina eifrig.

Marie lächelte. »Zuerst eine Hühnersuppe, aber die ist schon fertig. Die machen wir nur heiß und geben ein paar Hörnchennudeln hinein. Dann bereiten wir Bratkartoffeln und Gemüse zu, dazu für jeden eine große Frikadelle, die man bei uns in der Gegend ›Fleischpflanzerl‹ nennt, und obendrauf geben wir ein Spiegelei. Und zum Nachtisch gibt es dann einen Wackelpudding.«

Die Kleine hüpfte auf beiden Füßen. »Au ja! Den Pudding kann ich schon allein machen! Da muss man nur ein Pulver in heißes Wasser rühren.«

»Der ist auch schon fertig und steht im Kühlschrank«, versicherte Marie. »Wir machen ihn hier etwas anders. Das dauert zwar länger, schmeckt aber viel besser. Er musste eine Weile gekühlt werden, damit er richtig fest wird. Aber du kannst auf jeden eine hübsche Verzierung aus Schlagsahne machen.«

»Echt? Darf ich das?«

Marie nickte und fuhr zusammen, als dicht hinter ihr eine männliche Stimme sagte: »Wenn Sie in die Hühnersuppe noch ein bisserl Wasser und ein paar Nudeln mehr tun, fällt dann für mich noch eine Portion ab?«

Sie fuhr herum und blickte in die hübschesten blauen Augen, die sie je gesehen hatte, umrahmt von einem jungenhaften Gesicht mit spitzbübischem Lächeln.

Irgendetwas kam ihr an diesem Gesicht entfernt bekannt vor, als hätte sie es schon mal irgendwo gesehen. Das fransige blonde Haar des Mannes schaute vorwitzig unter einem schwarzen Schlapphut hervor. Überhaupt trug der Fremde, der etwa in ihrem Alter war, vorwiegend schwarze Kleidung – Weste, Jacke und Hose aus Manchestercord, dazu schwarze, ein wenig klobig wirkende Lederschuhe und ein weißes, kragenloses Hemd, das sogar gebügelt wirkte.

Die lange Jacke war mit blitzblank polierten Silberknöpfen besetzt, und eine silberne Kette überspannte den unteren Bereich der Brust. Am seltsamsten war jedoch der große goldene Ohrring, der auf einer Seite unter dem weiten Schlapphut zu sehen war.

Er bemerkte ihren Blick und zupfte an dem Ring.

»Das sind meine Ersparnisse«, sagte er. »Ich gebe das Geld, das ich auf meiner Wanderschaft verdiene, nicht aus, sondern kaufe mir ab und zu, wenn ich genug beisammenhabe, einen größeren Ring. Vielleicht reicht es irgendwann für eine eigene Werkstatt, zumindest als Anzahlung oder für die Meisterschule.«

»Aha«, sagte sie und starrte ihn an. »Und jetzt sind Sie hungrig.«

»Ja und nein«, sagte er. »Eigentlich habe ich nur noch rund acht Kilometer vor mir, bis ich das Gesellenheim in Oberkraisbach erreicht habe, und ich könnte meinen Appetit durchaus noch für diese zwei Wegstunden ein wenig im Zaum halten. Aber eigentlich möchte ich lieber noch ein paar Stunden hier im Ort bleiben, weil ich als Kind ganz in der Nähe gelebt habe. Und Hühnersuppe mit Hörnchennudeln, das klang gerade richtig verlockend. So hat meine Mutter sie immer gekocht.« Er nahm den breitkrempigen Hut ab und machte eine tiefe Verbeugung. »Jakob Meitinger«, sagte er. »Zurzeit wandernder Zimmerer-Geselle.«

»Aha. Auf der Walz, wie man wohl sagt. Das hab ich mir schon gedacht, als ich Ihre Kleidung sah«, erwiderte Marie. »Ich bin Marie Schneider und wohne hier mit meinen Eltern. Und das hier ist Dina, die zurzeit mit ihrer Familie bei uns zu Gast ist.«

»Freut mich sehr«, gab er zurück.

»Kommen Sie einfach herein!«, bat sie. »Es ist genügend zu essen da. Ich gebe meinen Eltern Bescheid.«

»Besten Dank«, erwiderte er. »Ich freue mich. Man wird leider nicht überall so freundlich aufgenommen.«

***

Die junge Frau hatte den Wandergesellen Jakob Meitinger gleich beeindruckt, wie sie da im Garten gehockt und mit dem Madel geredet hatte. Bestimmt mochte sie Kinder sehr, genau wie er.

Als sie sich erhob und mit ihm sprach, schaute er in ein frisches, hübsches Gesicht, oval, mit nach hinten gebundenem dunklem Haar und Lachfältchen um die Augen. Es war jetzt von der Arbeit im Freien ein wenig gerötet, was ihr gut stand.

»Die Kuchl ist gleich hier rechts«, sagte sie. »Ich geh nur rasch ins Bad, meine Hände waschen. Kommst du mit, Dina?« Sie hängte ihre Schürze an einen Haken und nahm das Kind an die Hand.

Jakob sah den beiden nach. Er betrat die Küche nicht, sondern wartete in der geräumigen Diele, in der links und rechts alte Bänke standen, auf der früher bestimmt immer das Brot ausgekühlt war. Heute buken die meisten Bäuerinnen nicht mehr selbst, aber hier roch es appetitlich nach frischem, würzigem Brot.

Neben der Treppe stand ein alter Schrank, der so wuchtig aussah, als wäre er an Ort und Stelle zusammengebaut, und auf der anderen Seite schwang eine Standuhr ihr schweres Pendel.

Das Kind kehrte zuerst zurück, stellte sich vor ihn und schaute zu Jakob auf. »Die Marie hat gesagt, du bist durch die halbe Welt gewandert. Warst du wirklich überall?«

»Na ja«, meinte er, »natürlich nicht überall. Ich kenne die Schweiz, Frankreich, Belgien, Dänemark und Schweden. Das waren meine wichtigsten Stationen außer Deutschland natürlich, und dann kamen noch etwa drei Monate in Polen hinzu.«

»Da bringen Sie ja viel Erfahrung mit«, meinte Marie, die jetzt hinzugekommen war.

»Deswegen geht man ja auf Wanderschaft«, entgegnete er. »Ich habe fast alles gelernt, was es an Holzarbeiten beim Hausbau zu tun gibt – das Richten von Fachwerkbalken, das Eindecken von Reetdächern, der Bau von Holztreppen und Türrahmen und vieles mehr. Das Restaurieren von alten Möbeln habe ich dann in Polen gelernt. Da gibt es die besten Experten ganz Europas, von denen ich so manchen wichtigen Kunstgriff gelernt habe.

Gerade die Dinge, die in Bayern nicht so üblich sind, habe ich mir besonders eingeprägt, denn diese machen mich zu einem Spezialisten. Damit könnte ich überall Arbeit finden, wenn es nötig wird. Notfalls kann ich mich sogar beim Bootsbau an einem der großen Seen hier im Voralpenland bewerben.«

»Und jetzt sind Sie also wieder in der Heimat«, stellte sie fest. »Schön.«

»Ja«. Es habe ihn nach all dieser Zeit wieder hierhergezogen, berichtete er, als er der hübschen jungen Frau und dem kleinen Madel in die Küche folgte und eine Tasse Kaffee bekam – zur Hälfte Bohnenkaffee, zur anderen Hälfte Malz, dazu viel Milch. So war es hier in der Gegend üblich, denn so hatte seinerzeit König Ludwig ihn gemocht.

»Meine Lehre habe ich sogar hier in Wartenstein gemacht, im großen Sägewerk, dem damals schon eine Bau- und Möbelschreinerei angegliedert war«, berichtete er.

»Ah, beim Hurlacher«, wusste Marie.

»Genau. Mein Vater hat bereits dort gearbeitet, ist aber schon vor Jahren verunglückt. Der Besitzer der Firma, Anton Hurlacher, ist mein Patenonkel, und ich habe vor, ihn in den nächsten Tagen zu besuchen. Der alte Herr ist jetzt weit über achtzig, und ich habe ihn mehr als drei Jahre nicht gesehen.«

»So lange?«, wunderte sich die junge Frau, die mit dem Rücken zu ihm stand, weil sie am Herd hantierte.

»Ja. Wenn man sich auf die Walz begibt, muss man sich nämlich an strenge Regeln halten«, erklärte er. »Drei Jahre und einen Tag lang darf man zum Beispiel nicht näher als fünfzig Kilometer an den Heimatort kommen.«

»Ach ja. Davon habe ich gehört«, warf sie ein. »Ich finde, das ist eine harte Vorschrift.«

»Heute sieht das vielleicht so aus«, meinte er. »Wir haben in unserer Zeit schnelle Verbindungen und könnten mit dem Zug rasch mal irgendwo hin. Früher war man für eine Reise oft lange unterwegs, und Gesellen, die manchmal Heimweh hatten, mussten ihre praktische Ausbildung für eine Heimreise viel zu lange unterbrechen. Und wer gleich in der Heimat blieb und nur in der eigenen Umgebung Erfahrungen sammelte, brachte ja nichts Neues mit, wenn er sich sesshaft machen wollte. Das ist der Grund dieser Regel. Und wenn man die anderen Vorschriften betrachtet, hat jede einzelne davon ihren sinnvollen Ursprung.«

»Das leuchtet mir ein«, erwiderte Marie und wandte sich dem Kind zu, um der Kleinen den Umgang mit einer Spritztüte für Schlagsahne zu erklären. Sorgfältig malte Dina dann Herzchen und Blümchen auf etliche Schüsseln mit grünem Wackelpudding.

»Die ganz strenge Zeit ist nun für mich vorbei«, versicherte Jakob. »Jetzt, da ich meine offizielle Wanderzeit um ein freiwilliges Jahr verlängert habe, darf ich mich wenigstens hier in der Heimat wieder blicken lassen. Dieses Zusatzjahr ist jetzt auch fast vorbei.« Er seufzte. »Ich bin mittlerweile vierundzwanzig und habe wirklich eine Menge von der Welt gesehen. Wird Zeit, dass ich endlich wieder sesshaft werde.«

»Du kommst hier aus der Gegend«, sagte sie nachdenklich. »Eigentlich hätte ich dich dann doch kennen müssen.« Wie es unter einheimischen Brauch war, duzte sie ihn jetzt.

»Es wundert mich nicht, dass du mich nicht erkannt hast«, sagte er. »Ich habe auch erst nach ein paar Minuten gewusst, wer du bist. Immerhin sind wir in dieselbe Schule gegangen, wenn auch nicht in dieselbe Klasse. Ich war ein Schuljahr unter dir.«

Sie war ein Jahr älter als er, das machte in der Kindheit eine Menge aus. Sie hatten damals kaum etwas miteinander zu tun gehabt, denn Mädchen interessierten sich so gut wie nie für Jungs, die eine Klasse tiefer waren, und außerdem hatten die Jahre der Wanderschaft wahrscheinlich Jakobs Gesicht verändert. Das hatten jedenfalls Freunde gesagt, denen er auf seinen Reisen begegnet war. Das ging halt den meisten so. In den Wanderjahren erlebte man viel, und das verwandelte einen Menschen, auch äußerlich.

Er freute sich über ihre spontane Gastfreundschaft, mit der sie ihn zum Essen hereingebeten hatte. Wenn sie ihm ein Schüsselchen Suppe zur Tür gebracht hätte, wäre er damit zufrieden gewesen. Oft genug hatte er das so erlebt, und es war auch ein Teil der Tradition.

Jakob war häufig bei Fremden zu Gast gewesen, aber hier in diesem Haus verspürte er eine seltsame Befangenheit. Nur zögernd betrat er den Gastraum, den Marie ihm gezeigt hatte. Sie wollte noch rasch in ihr Zimmer hinauf, um sich umzuziehen.

»Grüß Gott! Herzlich willkommen!«, sagte eine freundliche Frau, die dem Aussehen nach Maries Mutter sein musste. Sie deutete auf die lange Tafel, die aus mehreren aneinandergestellten Tischen bestand. »Im Moment haben wir drei Familien hier zu Gast, die gern am langen Tisch gemeinsam essen«, erklärte sie. »Sie könnten sich hier vorn hinsetzen, zu uns. Suchen Sie sich einen Platz aus!«

»Danke.« Jakob Meitinger legte sein Bündel am Boden neben einen der Stühle, legte seinen breiten Hut darauf, setzte sich aber noch nicht. Er wollte nicht der Erste sein, der am Esstisch Platz nahm.

Nacheinander kamen die Familien mit ihren Kindern herein. Die Kleinen musterten ihn neugierig, denn er sah in seiner schwarzen Kluft ziemlich abenteuerlich aus.

»Bist du ein Räuber?«, fragte ihn eines der Kleinen.

»Nein«, erwiderte er. »Nur ein Wanderer.«

»Ach so. Wir sind auch schon mal gewandert«, erwiderte das Mädchen, »aber wir haben uns dafür nicht extra verkleidet.« Sie kehrte ihm den Rücken zu und setzte sich zu den Eltern.

»Was ist denn da drin?«, fragte ein Junge und bückte sich nach Jakobs Bündel.

»Das ist mein Charlie«, erklärte Jakob. »Das heißt einfach so. Oder Charlottenburger. In der Mitte ist meine Wasserwaage, um die mein ganzes Hab und Gut gewickelt ist, das ich unterwegs brauche – Wäsche zum Wechseln, darin ein paar Werkzeuge, und außen ein großes Tuch, das alles zusammenhält. Der Riemen, mit dem ich es über die Schulter trage, dient zugleich dem Schärfen von Messern.«

»Toll«, sagte der Kleine und lief dann zu seinen Eltern, die ihn riefen, und setzte sich.

Auch Jakob nahm jetzt Platz, nachdem er vom Hausherrn mit festem Handschlag begrüßt worden war. Josef Schneider war ein behäbiger, rundlicher Mann, der sicher auch kräftig war wie ein Ochse – das war nicht Fett, was der Mann zur Schau trug, sondern imposante Muskeln.

»Schön, dass wir jemanden wie Sie bei uns haben!«, sagte Josef Schneider. »Sind Sie zu einer bestimmten Arbeitsstelle unterwegs, oder können Sie Ihre Reise auch unterbrechen?«

»Jederzeit«, erwiderte Jakob. »Ich habe meine offizielle Walz zu Ende und habe nur noch ein Jahr drangehängt. Danach kann ich in der Bau- und Möbelschreinerei Hurlacher als Geselle anfangen.«

»Hier beim Sägewerk?« Der Bauer schien überrascht.

»Genau«, gab Jakob zurück. »Da hat mein Vater schon gearbeitet, ich hab’s vorhin Ihrer Tochter schon erzählt. Vater ist aber schon vor vielen Jahren verunglückt, da war ich noch klein.«

»Das tut mir leid. Sie sind also aus dieser Gegend? Dann müsste ich Ihren Vater vielleicht kennen.«

»Meitinger. Mein Vater hieß Georg.«

Josef Schneider zuckte mit den Schultern. »Ja, ich glaube, mich zu erinnern«, sagte er. »Ist auch schon lange her, und mir fällt gerade kein Gesicht zu dem Namen ein.«

»Wir haben auch net direkt hier im Dorf gewohnt, sondern drüben in Otterding, in der alten Häuslersiedlung hinter dem Kranzberg-Hof. Fünf Kilometer Entfernung machen schon etwas aus.«

»Heute net mehr«, erwiderte der Bauer. »Heute haben fast alle Leute ein Auto, und man fährt manchmal zum Arzt oder zum Haareschneiden nach Otterding. Der neue Supermarkt ist auch da, aber da kommen wir selten mal hin. Doch nach und nach kennt man die meisten Leute schon vom Sehen. Hast du noch Familie dort?«

Er duzte ihn jetzt, und für Jakob war dieses einheimische Du so viel wie ein herzliches Willkommen. Die Leute hier aus der Gegend fühlten sich wie eine große Familie.

Jakob schüttelte den Kopf. »Meine Mutter ist auch vor einer Weile gestorben, und meine Schwester hat vor Jahren schon nach Traunstein hinüber geheiratet. Es gibt noch eine Tante, die Schwester meines Vaters, aber zu der haben wir keinen Kontakt mehr. Als Vater verunglückte, war sie etwas auf Abstand gegangen, weil ihr die arme Verwandtschaft peinlich war und sie Angst hatte, uns helfen zu müssen. Aber da war ja noch mein Patenonkel, Vaters Arbeitgeber, der sich schon früher oft um uns gekümmert hatte und das nach Vaters Tod dann verstärkt getan tat.«

»Der alte Hurlacher«, sagte der Bauer mit viel Wärme in der Stimme. »Das ist ein Ehrenname. Der Mann ist hier in der Gegend beliebt. Er hat eine Menge Gutes getan und nie damit geprotzt.«

Inzwischen waren alle zum Mittagessen erschienen. An der langen Tafel reichte man sich im Kreis die Hände und wünschte einander eine gesegnete Mahlzeit, bevor jeder zugriff. Schwere Suppenkellen klangen melodiös gegen das Porzellan großer Schüsseln, Löffel klapperten auf Tellern, zwei kleinere Kinder weigerten sich quengelnd zu essen, andere wollten mehr, und die Erwachsenen machten Pläne für den Nachmittag.

Das alles bildete einen anheimelndes Gemurmel im Hintergrund, als Josef Schneider sagte: »Wenn ohnehin keiner auf Sie wartet, könnten Sie doch ein paar Tage bei uns bleiben.«

»Wenn es entsprechend zu tun gibt«, antwortete Jakob. »Ich bin kein Mensch, der sich auf die faule Haut legen kann. Ausruhen kann ich mich genug, wenn ich irgendwann mal Rente bekomme. Ich führe Ihnen gern ein paar notwendige Reparaturen durch oder baue Ihnen ein neues Möbelstück, wenn ich dafür Kost und Logis bekomme.«

»Natürlich«, warf Dora Schneider, die Bäuerin, ein. »Platz haben wir, und Essen machen wir immer reichlich. Da haben wir für Sie stets etwas dabei. Und Arbeit gibt es auf einem Hof natürlich jederzeit.« Sie wechselte einen Blick mit ihrem Mann. »Der Hühnerstall könnte mal nachgesehen werden. Ich glaub, an der Tür ist eins der Scharniere locker, und ich habe auch den Eindruck, als hätte sich das Dach ein wenig geneigt.«

Der Bauer nickte. »Am besten, Sie gehen mal durchs ganze Haus und sagen mir, wo etwas getan werden müsste. Ich hab heute leider net die Zeit.« Er warf einen Blick auf seine Tochter. »Kannst du ihn herumführen, Marie? Denk bitte auch an den Wäscheschrank im Bügelzimmer! Der ist net mehr besonders stabil.«

Marie nickte und lächelte dabei – ein Lächeln, das dem Wandergesellen Jakob Meitinger tief ins Herz ging. Wie schön sie ist!, dachte er.

***

»Findest du net, dass das ein wenig zu auffällig war?«, fragte Dora Schneider ihren Mann ein wenig später. Sie waren nach dem Essen für ein halbes Stündchen in die gute Stube gegangen, wie sie es fast jeden Tag machten. Das war ihre Mittagsruhe, wobei sie meist nicht schliefen, sondern sich getrennt auf dem langen und dem kurzen Sofa ausstreckten und sich über wichtige Dinge des Tages unterhielten.

Diese Gespräche zwischen den Eheleuten genügten ihnen beiden als Erholung, und sie sammelten Kraft für den Rest des Tages. Wenn einer von ihnen einschlummerte, dann nie für mehr als zehn Minuten. Diese Mittagsruhe wurde von allen respektiert und war daher wirklich erholsam.

»Was meinst du?«, erwiderte ihr Mann.

»Dass du die beiden zusammen losgeschickt hast«, erklärte sie. »Marie hat doch sofort gemerkt, dass du sie verkuppeln willst. Sie hat richtig gegrinst.«

»Sie hat gelächelt«, korrigierte er Dora. »Und ich habe net die Absicht, unsere Tochter an irgendwen zu verkuppeln. Wie käme ich dazu? Sie ist ein erwachsener Mensch und weiß selber, was sie will.«

»Aber du hättest gern einen Schwiegersohn, und dieser junge Mann gefällt dir, net wahr?«

»Ich kann noch net viel über ihn sagen«, brummte Josef und legte die Hände auf seinen gewölbten Bauch. »Ich gebe zu, ich hab allerdings schon eine gute Meinung von ihm. Wer die Kraft hat, mehr als drei schwere Jahre als Wandergeselle durchzuhalten, ohne Geldmittel zu leben, und das wenige verdiente Geld auch noch für eine Werkstatt oder für die Meisterschule zu sparen, der hat unseren Respekt verdient.«

»Und dass er mit dem Sägewerksbesitzer verwandt ist, hat auch seine Vorteile.«

»Das hat er net behauptet«, erwiderte Josef. »Er ist sein Patensohn – wahrscheinlich einer von vielen, denn der alte Hurlacher war ja immer sehr spendabel und umgänglich mit seinen Angestellten. Aber ich will ihn auf seine Ehrlichkeit testen. Wenn er Holz für seine Arbeit bei uns benötigt, kann er das nur beim Hurlacher besorgen. Gewiss bekommt er dort einen Rabatt. Er muss ihn ja net an uns weitergeben, aber ich erwarte, dass er uns davon erzählt. Das gehört für mich zum Ehrlichsein.«

»Recht hast du«, sagte sie und seufzte. »Aber ich könnt schon verstehen, wenn sich die Marie in den Burschen verguckt. Er sieht stattlich aus und hat wundervolle blaue Augen, und wenn man seinen Worten glauben kann, dann ist er auch fleißig.«

»Wir werden sehen«, entgegnete ihr Mann. »Ein guter Schwiegersohn müsste allerdings deutlich mehr mitbringen als ein Paar himmelblauer Augen und einen blonden Schopf, meinst du net? Aber erst einmal ist er hier, und wir werden ihn im Auge behalten, net, dass er sich falsche Hoffnungen macht. Wie ich Marie kenne, wird sie ihm allerhand zeigen, was gerichtet werden könnte. Ihr fallen solche Dinge auf.«

»Hm«, machte Dora. »Da hast du recht. Sie hat einen guten Blick für das Notwendige. Unsere Tochter ist ein richtiger Glücksfall für uns.«

***

Zur gleichen Zeit war Marie bereits dabei, den Gast auf dem Hof herumzuführen. Sie hatte sich ihre Schürze mit einem flinken Handgriff wieder umgebunden. Diesen Wechsel machte sie aus Gewohnheit mehrere Male am Tag, denn er bedeutete für sie die Grenze zwischen Arbeitszeit und Freizeit.

Sie zeigte Jakob zuerst den Hühnerstall, weil ihr dort auch schon aufgefallen war, dass der hölzerne Anbau immer wackeliger wurde. Es ging längst nicht mehr um ein einzelnes Scharnier. Da musste dringend etwas getan werden, aber Vater hatte so viel Arbeit, dass er bis jetzt nicht dazu gekommen war.

Der Handwerksgeselle sah alles genau an, klopfte prüfend auf das Holz, testete die Stabilität und sagte dann: »Da ist nix mehr zu machen«, meinte er. »Das gesamte Holz ist wurmstichig, und unten in der Bodenverankerung fault es. Da ist schon damals beim Bau wahrscheinlich ein schlechter Schutzanstrich gemacht worden. Ich werde deinem Vater vorschlagen, diesen alten Schuppen abzureißen und den Hühnerstall komplett neu zu bauen. Für so etwas brauche ich net mehr als einen Tag. Ich könnt ihn sogar auf Stelzen stellen, wie man es oft in Norddeutschland macht. Das gibt mehr Sicherheit vor Füchsen und Mardern.«

»Gute Idee«, meinte Marie. »Hoffentlich ist net noch mehr morsch geworden! Schauen wir mal zu den Schweinen in den Stall?«

Es fanden sich noch etliche Dinge, die gerichtet oder erneuert werden mussten, und Jakob Meitinger machte sich Notizen auf einem Block, damit er nichts vergaß. Marie staunte, wie treffsicher und genau er selbst Kleinigkeiten entdeckte. Ob Hühnerstall oder Schweinepferch, ob Gartenzaun oder Möbelstück – seinem geschulten Blick entging nichts. Sogar das Fehlen einer Querstrebe unter einem der Stühle im Esszimmer entdeckte er.

»Jetzt müsste ich darüber mit deinem Vater sprechen, bevor ich loslege.«

Marie sah ihn an und schenkte ihm ein Lächeln. Sie deutete auf seinen Notizblock.

»Da ist eine Menge zusammengekommen. Das wird Zeit brauchen.«

Er nickte. »Ich bin vollkommen unabhängig und kann mir die Zeit nehmen. Was meinst du, wann ich deinen Vater am besten sprechen kann?«

Sie nahm ihre Armbanduhr aus der Schürzentasche, wo sie sie immer aufbewahrte, weil sie sonst bei der Arbeit störte.

»Es ist jetzt fast sechs. Um sieben essen wir zu Abend, und danach hat er gewiss Zeit. Im Moment ist er droben am Waldrand und bessert den Fahrweg aus.«

»Hab ihn schon gesehen. Hm. Eine Stunde«, überlegte er. »Da könnte ich mir noch rasch ansehen, ob der Dachstuhl winterfest ist. Wie komme ich auf den Dachboden?«

»Wenn du die Treppe ganz hinaufgehst, ist dort unter der Decke eine Klappe. Du ziehst sie am Griff herunter und kannst dann eine Schiebeleiter ausfahren.« Sie zögerte, aber nur einen Moment. »Ich war selbst seit Jahren net da oben. Hast du etwas dagegen, wenn ich mitkomme?«

»Wie könnte ich?«, meinte er. »Es ist schließlich dein Zuhause, nicht meins. Brauchen wir da oben vielleicht eine Taschenlampe?«

»Ich hole eine«, sagte sie. Ihr fiel ein, dass es gleich am Eingang des Werkzeugschuppens eine Nische mit einer starken Stablaterne gab. Als sie damit oben an der Treppe ankam, hatte Jakob bereits die Klappe zum Dachboden geöffnet und die Leiter herausgezogen. Er deutete auf die Sprossen. »Bitte nach dir!«

»Das macht man net«, sagte sie. »Auf Treppen oder Leitern geht der Mann voraus, net die Frau.«

»Ach ja, Verzeihung«, erwiderte er. »Ich hab das irgendwann in der Tanzschule gelernt, das war nämlich eher ein Benimm-Kursus. Aber ich bin da aus der Übung.« Er lächelte sie gewinnend an und kletterte voraus.

»Du warst in der Tanzschule?«, wunderte sie sich, als sie hinter ihm oben ankam.

Er hustete, weil die Luft staubig war, und sagte: »Ja, in der letzten Klasse. War das bei euch net auch so?«

»Ich bin ja damals ab der vorletzten Klasse zur Realschule in der Stadt gewechselt, weil ich anschließend eine kaufmännische Ausbildung machen wollte. Aber tanzen kann ich auch so.«

Auf dem Speicher war es ziemlich dunkel, doch nicht so sehr, dass die Taschenlampe benötigt wurde. Marie reichte sie ihm trotzdem, damit er jeden Winkel zwischen den Balken ausleuchten konnte. Er prüfte alles sehr genau, klopfte hier und da gegen das Holz oder drückte kräftig gegen Stützen, um festzustellen, wie stabil sie waren. Marie bewunderte diese Selbstsicherheit, wie sie nur ein erfahrener Fachmann haben konnte.

»Alles gut in Schuss«, stellte Jakob dann fest. »Hier braucht in den nächsten zwei oder drei Jahren nichts gemacht zu werden.«

»Darüber wird Vater sich freuen«, versicherte sie und blickte noch einmal auf ihre Uhr. »Oh, es ist bald wieder Essenszeit! Haben wir den ganzen Nachmittag gebraucht? Kaum zu glauben, wie schnell die Zeit vergangen ist! Ich muss mir rasch die Hände waschen und den Tisch decken. Es kommen zwar am Abend net so viele Leute zusammen, weil die Familien für den Abend Selbstversorger sind, aber Vater mag’s gern pünktlich, da er sich seine Zeit immer sehr genau einteilt. Du kannst dich ja hier noch ein wenig umschauen.«

»Werde ich machen«, versicherte er. »Ich will mir den alten Bauernschrank noch genauer ansehen.«

»Der steht schon hier oben, seit ich lebe«, erklärte sie. »Ich glaube, der stammt noch von meinen Urgroßeltern und ist schon ziemlich hinüber. Wegen der hübsch bemalten Vorderfront traut sich aber niemand, ihn wegzuwerfen.«

Sie stand dicht vor Jakob und war gerührt von den staunenden Augen, mit denen er das alte Möbelstück betrachtete. Wie ein kleiner Junge, der etwas ganz Besonderes zu Weihnachten bekommen hat, dachte sie. Die Art, wie er mit den Fingerspitzen über das Holz strich, hatte schon etwas Zärtliches an sich.

Ihr Herz begann in diesem Moment heftig zu klopfen. »Also, ich geh jetzt nach unten«, sagte sie, und da war auf einmal etwas in ihr, das sie zwang, sich auf die Zehenspitzen zu stellen und ihm ganz plötzlich einen Kuss auf die Wange zu geben.

»Entschuldige.« Damit ließ sie ihn stehen, rannte zur Luke und kletterte hastig über die Leiter nach unten. Er blieb allein auf dem Dachboden zurück, sie hörte aber schon wenige Momente später, wie er die Leiter zur Dachluke wieder zusammenschob.

***

»Ich würde gern nach dem Essen besprechen, was ich auf meiner Liste stehen habe«, erklärte Jakob Meitinger, als er mit den Schneiders am Abendbrottisch saß. Marie hatte frisches Brot und Griebenschmalz aufgetischt, und in der Mitte stand ein großer Holzteller mit hausgemachter Butter und verschiedenen Sorten Käse.

Josef Schneider nickte und griff zu, nachdem er den jungen Gast dazu aufgefordert hatte. Beide Männer hatten eine Flasche einheimisches Bier vor sich stehen, das die hiesige Brauerei neben dem Gasthof nur einmal im Monat braute, wenn Vollmond war. Es war eine Köstlichkeit, aber Dora und Marie tranken jeweils nur ein kleines Glas davon und schoben ihre Flasche dann auch den Männern zu, die beide ohne Glas auskamen.

Josef musste lächeln und stieß mit Jakob an, dass die Flaschen klirrten. Das war eine Geste, die von beiden so gleichzeitig kam, als wäre sie einstudiert gewesen.

»Das Besprechen können wir auch jetzt erledigen, wenn du willst«, sagte er.

»Ja, schon recht«, erwiderte der Wandergeselle und zog einen Block aus der Tasche seiner Cordjoppe. »Ich habe ziemlich viel entdeckt, was eine Reparatur vertragen könnte. Der Hühnerstall ist allerdings am dringlichsten. Da könnte beim Ausmisten ein Unglück passieren.«

Josef Schneider hörte sich ruhig an, was der junge Mann für Vorschläge hatte, wechselte hin und wieder einen Blick mit seiner Frau und nickte dann zustimmend.

»Und wie viel Zeit brauchst du für alles zusammen?« Er rechnete mit mindestens drei bis vier Wochen, denn mehr als acht Stunden am Tag brauchte niemand von seinen Angestellten zu arbeiten.

»Das ließe sich in den vierzehn Tagen erledigen, über die wir zuvor schon gesprochen hatten«, erwiderte Jakob Meitinger.

»So schnell?«

»Ich könnte von früh bis spät dranbleiben«, versprach der junge Mann. »Ich bin Frühaufsteher. Mittags brauche ich nach dem Essen vielleicht eine Viertelstunde, um mich auszuruhen, aber dann bin ich wieder topfit. Allerdings habe ich einen Gegenstand nicht mitgerechnet, und das ist der alte Schrank oben auf dem Speicher.«

Jakob meinte sicher das wackelige Ding, das noch von Josefs Großvater dort stand.

»Hm«, machte der Bauer und nahm einen Schluck Bier, das angenehm herb auf der Zunge prickelte. »Der ist auch net so wichtig. Man könnte die bemalten vorderen Türen herausnehmen und zum Schutz in alte Decken hüllen. Vielleicht kann man sie irgendwann noch verwenden. Der Rest kann weg.«

»Das wär schade«, sagte Jakob. »Es ist echtes, uraltes Eibenholz. Noch kein Stückchen verzogen. Dass der Schrank ein wenig wackelt, liegt daran, dass die Verleimung sich gelöst hat.«

»Eibenholz?«, überlegte Josef. »Nicht, dass ich wüsste. So was nimmt man normalerweise net für Möbel.«

»Genau. Es ist viel zu kostbar. Hatte dein Großvater vielleicht etwas mit Geigenbau zu tun?«

Josef überlegte. »Ja, das stimmt«, sagte er nach einer Weile. »Das ist sein erlernter Beruf gewesen, aber dann hat er hier auf dem Hof eingeheiratet, und weil schlechte Zeiten waren, hat er der Landwirtschaft den Vorzug gegeben. Den Schrank hat er übrigens bei einem Vorfahren vom Hurlacher bauen lassen.«

»Jeremias Böhme«, sagte der junge Mann.

»Kenn ich net.«

»Von diesem Künstler stammen die Bemalungen an der Vorderfront, und wahrscheinlich hat er den gesamten Schrank gebaut«, sagte Jakob. »Es gibt eine Signatur ganz unten am Rand, ein >J<, das Rücken an Rücken mit einem >B< verschmolzen ist. Ich würde mit einiger Mühe das schöne Stück wieder hinkriegen. Es ist ein sehr wertvolles altes Kunstwerk.« Er sah seinen Gastgeber an, aber Josef Schneider reagierte nicht.

»Ich mach dir einen Vorschlag«, fuhr Jakob deshalb fort. »Das Holz, das ich für den Neubau des Hühnerstalls und all die Ausbesserungen brauche, bekomme ich bei meinem Paten zu einem Sonderpreis, da er mich als Personal in seinen Büchern führt. Das Geld, was du da sparst, könntest du zum Einkauf des Materials verwenden, das ich zur Restaurierung dieses Schmuckstücks brauche – Farbaufheller, Spezialleim, Firnis und so weiter. Ich kenne einen Fachhandel in München, der so etwas besorgen kann.«

Das Du ging ihm offenbar immer noch schwer über die Lippen.

Josef Schneider starrte ihn an, warf dann seiner Frau und seiner Tochter nachdenkliche Blicke zu. Dass Marie bei diesem Gespräch über den alten Schrank leicht gerötete Wangen hatte, fiel ihm gar nicht auf. Worte wie »Firnis« oder »Spezialleim« sagten ihm, dass dieses alte Möbelstück in den Augen des jungen Mannes wirklich etwas Besonderes war. Und den Namen »Jeremias Böhme«, den hatte er ganz sicher schon gehört. War das nicht der Künstler, der auch die kostbare Heiligenstatue in der St. Anna-Kirche geschaffen hatte?

So ganz glaubte er noch nicht, dass ausgerechnet er ein weiteres Kunstwerk dieses berühmten Meisters auf seinem Dachboden haben sollte. Aber der junge Mann sollte seine Chance haben.

»Gut«, sagte er deshalb. »Wenn du meinst, dass das Möbelstück so wertvoll ist, investiere ich es in ein gemeinsames Geschäft. Ich stifte das, was vom Schrank noch existiert, und du investierst deinen Rabatt, den du beim Hurlacher bekommst. Außerdem bringst du deine Arbeitskraft ein, wir dafür weiterhin Unterkunft und Verpflegung. Den Erlös des fertigen Stücks teilen wir dann unter uns auf. Bist du einverstanden?« Er streckte ihm die Hand hin.

Der junge Mann schlug sofort ein.

»Abgemacht«, sagte er. »Es wäre allerdings schade, wenn du das gute Stück verkaufen würdest. Es macht sich bestimmt gut unten in der Diele, dort, wo die große Standuhr jetzt steht.«

»Und die Uhr?«, warf Marie ein, die die ganze Zeit diesem Gespräch aufmerksam gelauscht hatte.

»Passt ohnehin besser hierher ins Speisezimmer. Da kommt sie bestimmt gut zur Geltung.«

Damit hatte Jakob Meitinger allerdings recht, fand Josef Schneider und hielt seine Bierflasche hoch, um erneut mit Jakob anzustoßen. Der Bursche gefiel ihm wirklich.

***

Jakob hatte in der nächsten Zeit häufig das Gefühl, dass Marie ihn beobachtete. Vielleicht täuschte er sich – er sah sie aber hin und wieder in seiner Nähe, ob er nun gerade einen Stuhl reparierte oder Teile für den neuen Hühnerstall zurechtzimmerte, ob er einen Zaun richtete oder gerade eine Geländerstrebe schön glatt drechselte: Er spürte manchmal deutlich, dass ein Blick auf ihm ruhte, und wenn er dann aufschaute, sah er ihr Lächeln.

Natürlich störte ihn das nicht. Ihr Anblick freute ihn immer. Marie war sehr hübsch, sie war nett, sie war klug. Sie war alles, wovon ein Mann nur träumen konnte, und er erwischte sich bei dem Gedanken, wie es wohl wäre, wenn aus ihnen beiden ein Paar würde.

Diesen Gedanken schob er schnell beiseite. Natürlich wäre das großartig gewesen, aber es war eine Illusion. Er sollte sich lieber keine solchen dummen Hoffnungen machen. Der Kuss auf dem Dachboden war gewiss nichts weiter als ein spontanes Zeichen der Freude und Dankbarkeit gewesen, weil er sich so fachkundig um jede Kleinigkeit bemühte. Sie hatte sich sofort entschuldigt, weil sie gleich gemerkt hatte, dass sie wohl zu weit gegangen war und dass er die Geste – denn mehr war es ja nicht – falsch hätte verstehen können.

Nein, Hoffnungen sollte er sich nicht machen. Das konnte nur zu Enttäuschungen führen! Sie war die einzige Tochter und Erbin eines reichen Bauern, führte den Gästebereich des Hauses selbstständig und würde mit ihrer Ausbildung sicher noch mehr im Leben schaffen.

Er wusste außerdem auch nichts weiter über sie. Hatte sie vielleicht einen Freund oder gar einen Verlobten? Jemanden, der sich Hoffnung auf sie machen durfte? Jakob wagte nicht, danach zu fragen.

Es würde ihm schwerfallen, sie zu vergessen, wenn er von hier fortging, das wusste er jetzt schon. Aber er war ja erst einmal noch ein paar Tage hier, und wie es dann für ihn selbst weiterging, wusste er noch gar nicht. Er war sich seiner späteren Anstellung beim Hurlacher sicher, doch als Bau- und Möbelschreiner hätte er auch jederzeit anderswo Arbeit finden können.

Noch war er aber ein einfacher Wandergeselle, der nicht einmal eine eigene Bleibe hatte – kein eigenes Zimmer und erst recht keine Wohnung. Was hatte er ihr schon zu bieten? Etwa die Aussicht, dass er wahrscheinlich bald die Meisterschule besuchen wollte? Und dass er deswegen während der nächsten zwei Jahre nur ganz wenig Geld und vermutlich keine freie Minute mehr haben würde? Das konnte er doch keinem Madel zumuten! Er schüttelte den Kopf, ganz in Gedanken versunken.

»Ist etwas nicht in Ordnung?«, hörte er plötzlich ihre Stimme neben sich.

»Ich … äh …«, begann er stammelnd, aus seiner Versenkung aufgeschreckt. »Ich habe nur ein wenig über meine Pläne für die Zukunft nachgedacht«, sagte er. »Manchmal hat man ziemlich übertriebene Träume. Die Wirklichkeit sieht dann völlig anders aus.«

»Ja«, bestätigte sie, »das geht wohl jedem Menschen so. Aber man braucht nun mal seine Träume, um Ziele daraus zu machen – sonst erreicht man gar nichts.«

Er nickte. »Ja. Doch manchmal steckt man sich die Ziele ein wenig zu hoch. Man sollte nicht versuchen, nach den Sternen zu greifen.«

Sie sah ihn nachdenklich an. »Das ist besser, als wenn man gar keine Träume hat. Man kann sich schließlich auch freuen, wenn man wenigstens einen Teil davon erreicht.«

Daran war etwas Wahres, und er konnte ihr zustimmen. Marie war klug und besonnen, fand er. Sie hatte ihre Bemerkung aber gewiss nur ganz allgemein gemacht, ohne zu wissen, woran genau er gedacht hatte. Es lag keinerlei Anspielung oder Doppelsinn darin. Ihre Worte waren trotzdem ein kleiner Trost für ihn. Er konnte wenigstens froh sein, dass er für einige Tage hier zu Gast war und dass er dieses großartige Madel jeden Tag sehen konnte, um ganz unbefangen ein paar Worte mit ihr zu wechseln. Was konnte er mehr erwarten?

***

In diesen Tagen stand Marie morgens immer besonders gut gelaunt auf. Nach einer kurzen Dusche machte sie sich hübsch zurecht und ging fröhlich an ihre täglichen Aufgaben.

Mit ihren Eltern zusammen frühstückte sie zuerst eine Kleinigkeit – sie musste ja später den Gästen noch Gesellschaft leisten – und aß dann meist noch eine Käse- oder Marmeladensemmel mit den Leuten, nachdem sie Kaffee oder Kakao eingeschenkt hatte.

Nach dem ersten Frühstück, bei dem Jakob oft zugegen war, bereitete sie in der Küche alles für die Gäste vor, überflog die Tageszeitung und sortierte die Blätter. Vater hinterließ immer einen ziemlichen Wust und schaffte es nie, die Zeitung anschließend wieder ordentlich zusammenzulegen, damit sie für die Gäste wie frisch gedruckt aussah.

Als sie an diesem Morgen aufstand und sich im Badezimmer zurechtmachte, starrte sie nachdenklich auf ihr Gesicht. Ihre Wangen waren gerötet, ihre Augen glänzten. Sie fühlte sich ein wenig fiebrig, aber ihr war nicht unwohl dabei. Sie freute sich auf den neuen Tag, der vor ihr lag.

Aber was war nur mit ihr los? Lag das vielleicht an diesem verwirrenden Traum, der kurz vor dem Aufwachen durch ihre Gedanken gegeistert war?

In diesem Traum war sie ein Kind gewesen, und sie war mit Jakob Meitinger durch einen dichten Wald gelaufen. Sie hatte ihn damals doch noch gar nicht gekannt! Sie hatten sich prompt verirrt! Sie waren Hänsel und Gretel, stellte sich heraus, und prompt langten sie vor dem Pfefferkuchenhaus an.

Eine Hexe war nicht in Sicht, also machten sie es sich gemütlich und futterten Berge von Pfefferkuchen. Nachdem sie beschlossen hatten zu bleiben, begann Jakob, aus Ästen und Zweigen die Hütte zu reparieren, und während Marie ihm zusah, wurde daraus ein richtig stabiles Haus, das er geschickt zurechtgezimmert hatte. Und dann trug er sie wie ein Bräutigam über die Schwelle.

Sie schüttelte den Kopf und lächelte vor sich hin. Was man sich nicht alles zusammenträumt!, dachte sie. Was kommt einem nicht alles in den Sinn, wenn man verliebt ist!

Ihre Augen blitzten im Spiegel auf. Verliebt? Wie kam ihr nur dieses Wort plötzlich in den Sinn?

Sie hatte auf einmal Schweiß an den Schläfen.

»Ja! Ich habe mich verliebt!«, flüsterte sie.

Es war eher Bestürzung als Freude, die zusammen mit diesem Gedanken ihr Herz schneller schlagen ließ. Was kann ich nur tun? Das darf doch nicht sein! Verliebt sein war ein Gefühl, das ihr Angst machte.

Sie hatte sich fest vorgenommen, nie wieder so einfach Feuer zu fangen, wenn sie jemanden nett oder attraktiv fand. Das konnte nur zu Komplikationen und Enttäuschungen führen. Das wusste sie aus Erfahrung.

Marie war schon mehrmals verliebt gewesen und hatte auch schon zweimal einen Freund gehabt, aber beide Male waren es böse Reinfälle gewesen.

Der erste Freund war hier aus dem Dorf gewesen, Karli Benziger, den eigentlich alle mochten, weil er ein sonniges Gemüt hatte und als junger Sportler bei den Jugendfestspielen schon mehrere Goldmedaillen nach Wartenstein geholt hatte. Die Mädchen hatten sich immer gern mit ihm gezeigt, und es hatte Marie mit einem gewissen Stolz erfüllt, dass er sich ausgerechnet ihr zugewandt hatte.

Damals war sie erst siebzehn gewesen. Dann hatte ihr eine Freundin, mit der er früher einmal »gegangen« war, erzählt, dass er ein richtiges Album mit Fotos seiner Exfreundinnen hatte und dass sie, die hübsche Marie Schneider, bald das Prunkstück dieser Sammlung werden sollte.

Marie hatte zuerst nicht daran geglaubt, doch als sie ihm einmal bei einem eher unwichtigen, aber heftigen Streit eine Bemerkung darüber entgegengeschleudert hatte, war seine Antwort gewesen, sie solle sich nur nichts einbilden – er sei als erfolgreicher »Mann« viel zu wertvoll, um nur einer Einzigen zu gehören.

Die Enttäuschung war bitter gewesen.

Es hatte zwei Jahre gedauert, bis sie es wieder gewagt hatte, jemandem ihr Herz zu schenken. Sie hatte Peter Eder während ihrer kaufmännischen Ausbildung kennengelernt. Er war als Substitut im selben Betrieb beschäftigt und etwas älter als sie. Seine fürsorgliche Aufmerksamkeit tat ihr gut, und er bedrängte sie nicht. Im Gegenteil, er machte einen eher schüchternen Eindruck.

Und dann stellte sich heraus, dass er gleichzeitig eine Affäre mit einer der Sekretärinnen unterhielt, der er sogar schon die Hochzeit versprochen hatte. So ein Schuft! Es hatte Marie so hart getroffen, dass sie beinahe bei der Firma gekündigt hätte, wenn diese nicht ohnehin schon knapp vor dem Aus gewesen wäre.

Und jetzt? Sie wandte sich vom Spiegel ab und erwartete beinahe, »ihn«, den Jakob, plötzlich vor sich stehen zu sehen, doch sie war allein im Zimmer. Sein Gesicht tauchte vor ihrem inneren Auge auf, und sein spitzbübisches Lächeln berührte ihr Herz.

»Nein! Ich kann das nicht«, murmelte sie, während sie nervös einen Strauß Trockenblumen, der auf der kleinen Wäschekommode stand, zurechtzupfte. »Nie wieder. Das sagt mir ganz deutlich mein Verstand. Aber verflixt nochmal – mein Herz spielt einfach verrückt!«

***

Der alte Besitzer von Sägewerk und Schreinerei, Anton Hurlacher, wusste natürlich bereits, dass sein Patensohn Jakob Meitinger wieder in der Gegend war. Der Junge hatte sich telefonisch bei ihm gemeldet und ihm erklärt, dass er sofort einen Auftrag gefunden und angenommen hatte. Ein fleißiger Bursche!

Hurlacher erfuhr eigentlich alles, was an wichtigen Dingen im Dorf und in der Umgebung passierte. Er fühlte sich zwar zu alt, um regelmäßig zum Stammtisch der örtlichen Honoratioren zu gehen, aber er hatte sein Telefon, mit dem er Verbindung zu alten Freunden, früheren Mitarbeitern und jedem hielt, den er irgendwann einmal in seinen Freundeskreis eingeschlossen hatte.

Es dauerte lange, bis sich jemand »Freund« des alten Hurlacher nennen durfte, aber wenn, dann war er auf Herz und Nieren geprüft, und es war eine Freundschaft auf immer. Und damit gehörte er gleichzeitig zum »Spinnennetz«, wie Anton Hurlacher seinen Freundeskreis heimlich nannte.

Er musste schmunzeln, als ihm diese Bezeichnung in den Sinn kam. Jemand hatte nämlich einmal zu ihm gesagt: »Du sitzt da in deinem Ohrensessel wie eine Spinne in ihrem Netz.«

Anton Hurlacher gefiel dieser Vergleich. Er nutzte sein »Netz«, dessen Zentrum tatsächlich der gemütliche Ohrensessel und das uralte Telefon mit Wählscheibe war, für einen guten Zweck. Er war über praktisch alles informiert, was im Dorf wichtig war, und so wusste er, wo er helfen konnte, wenn Not am Mann war. Er war schließlich reich und hatte keine Erben – offiziell jedenfalls nicht. Er hatte seinen Patensohn Jakob Meitinger als seinen Erben vorgesehen, aber davon wusste der Junge nichts – auch nicht von der besonderen Bedingung, die Anton daran geknüpft hatte.

Bei diesem Gedanken kicherte er vor sich hin. »Du wirst schon sehen«, flüsterte er vor sich hin. »Für dich wird gleich auf doppelte Weise gesorgt sein!«

Ob sein Patensohn sich seine Erbschaft verdienen würde, war noch nicht ganz sicher, obwohl der Junge sich auf dem richtigen Weg dahin befand.

Auch wenn es im Dorf hieß, er habe jede Menge Patenkinder, stimmte das nicht. Die Leute nahmen nur an, dass es so war, weil er sich automatisch um Hilfe kümmerte, wenn die Familie eines seiner Angestellten welche brauchte. Wenn er Kosten für Schulbücher, Schulbus, Nachhilfestunden übernahm oder die Beiträge zum Sportverein für ein Kind bezahlte, dann hieß es automatisch immer: »Ist ja für sein Patenkind«, und die Leute betrachteten es ohne Neid.

Die einzige richtige Patenschaft, bei der Taufe besiegelt, war die für Jakob Meitinger. Er hatte dessen Vater, einen fleißigen und ehrlichen Arbeiter, immer geschätzt. Es gab allerdings noch etwas, was keiner wusste: Jakobs Vater hatte Anton Hurlacher einmal das Leben gerettet.

Das war vor vielen Jahren gewesen, noch vor der Geburt des Jungen. Anton Hurlacher hatte damals noch stundenweise selbst im Werk mitgearbeitet und die Büroarbeit überwiegend von einer Sekretärin machen lassen. Einmal war eine neue Bandsäge geliefert worden, die einen kompletten Baumstamm über ein Förderband automatisch einzog und in lange, gleich breite Bretter zerschnitt. Damals war das ein technisches Wunderwerk gewesen.

Anton Hurlacher hatte das neue Gerät voller Stolz nach Feierabend selbst ausprobieren wollen und einen Testlauf in Gang gesetzt, ohne sich aber vorher die veränderten Sicherheitshinweise durchzulesen. Er war mit dem Ärmel an einem nicht korrekt beseitigten Aststumpf hängen geblieben, auf das Band gezogen worden und hatte sich nicht mehr befreien können. Die Panik lähmte ihn. Ruckartig, aber unausweichlich bewegte sich sein Kopf auf die parallel laufenden Sägebänder zu.

Niemand war in der Nähe gewesen, doch auf seine Schreie hin war Georg Meitinger herbeigeeilt, hatte die Situation erfasst. Er konnte aber nicht schnell genug den Notknopf des neuen Gerätes finden, denn damals waren derlei Dinge noch nicht so deutlich sichtbar hervorgehoben gewesen wie heute. Was tun, um die gefährliche Maschine sofort anzuhalten?

Ohne groß nachzudenken, hatte Georg eine schwere Axt gegriffen und sie zwischen die laufenden Sägebänder geschleudert. Mit einem grauenvollen Kreischen war die Säge zum Stillstand gekommen – und natürlich Schrott gewesen. Doch Anton Hurlacher war gerettet.

Das Ganze war unbemerkt geblieben, denn die Arbeiter hatten schon Feierabend gehabt. Georg Meitinger, der seinen Haustürschlüssel im Spind vergessen hatte und nur deshalb noch einmal zurückgekommen war, hörte als Einziger die panischen Hilferufe seines Chefs und reagierte, ohne lange zu überlegen. Gern hätte Anton Hurlacher sich öffentlich bedankt, aber Georg Meitinger wollte kein Lob vor allen Leuten.

»Kann das net unter uns bleiben?«, hatte er gebeten. »Ich mag net im Mittelpunkt stehen.«

Die Erinnerungen Anton Hurlachers wurden unterbrochen, als jemand das Zimmer betrat. Er schaute auf und sah Frau Aumiller, seine Haushälterin, die schon seit vielen Jahren für ihn sorgte.

»Ich wollte eigentlich das Abendessen bringen«, sagte sie, »aber da ist Besuch gekommen.«

»Und wer?«, wollte er wissen.

»Der junge Jakob Meitinger«, gab sie zurück. »In seiner Wanderkluft. Ich hab mich gewundert, warum er net früher hier aufgetaucht ist. Immerhin ist er schon seit fast einer Woche in Wartenstein.«

»Ich weiß«, erwiderte Anton Hurlacher. »Aber er hat mich angerufen. Er hatte gleich am ersten Tag allerhand Arbeit auf dem Hof der Schneiders, und wie ich ihn kenne, macht er immer erst dann Feierabend, wenn er alles geschafft hat, was er sich für den Tag vorgenommen hat. Er kommt ganz nach seinem Vater.«

Die Haushälterin nickte. »Ich schicke ihn gleich herein. Er sieht prächtig aus in seiner schwarzen Zimmermannskluft, und es kommt mir so vor, als wär er noch gewachsen.«

»Nur herein mit ihm!«, sagte der Alte, plötzlich gut gelaunt. »Und richten Sie bitte ein zweites Abendessen her! Ich hoffe sehr, er hat ein Stündchen oder zwei Zeit für mich.«

***

Jakob betrat das »Allerheiligste«, wie das Arbeitszimmer, seit dem Tod von dessen Frau zugleich Wohn- und Schlafstube des alten Mannes, im Scherz genannt wurde, mit Befangenheit. Er war lange nicht mehr hier gewesen – vor beinahe vier Jahren hatte er sich von seinem alten Paten hier verabschiedet.

Es schien ihm, als hätte sich nichts verändert. Das alte Mobiliar war ein Sammelsurium von Familienerbstücken und hinzugekauften Antiquitäten. Schwere alte Schränke, ein englischer Kapitäns-Schreibtisch aus echtem Mahagoni mit chinesischen Perlmutt-Intarsien und Messingbeschlägen, ein breites Jugendstilbett – all das ließ ahnen, dass der alte Mann seine Tage wie seine Nächte in diesem Raum verbrachte.

Ein schweres Küchenbüffet voller Aktenordner verriet, dass er hier auch arbeitete. Der zentrale Punkt war aber ein riesiger Ohrensessel, mit rotbraunem Leder bezogen, im gleichen Farbton wie der Schreibtisch gehalten.

Der Raum war überheizt, als Jakob hereinkam, doch der alte Mann kauerte in seinem Sessel, in eine große Decke mit Schottenkaro gehüllt, und sah aus, als würde er frieren. Es roch nach Trinkschokolade und Zimtplätzchen.

Anton Hurlacher hatte sich kaum verändert. Vielleicht war er ein wenig magerer geworden, dem Gesicht nach zu urteilen, und hatte einige Falten mehr bekommen, aber es waren noch immer die vertrauten milchig blauen Augen, die stets ein wenig verschleiert und unaufmerksam wirkten, doch der Mann war jederzeit, wenn Besuch kam, richtig wach und bei klarem Verstand.

Er streckte Jakob eine knochige Hand entgegen. Das waren einmal starke Arbeiterhände gewesen, und sie konnten auch jetzt noch so fest zudrücken, dass Jakob zusammenzuckte.

Anton Hurlacher lachte. »Willkommen in der Heimat«, sagte er. »Nimm Platz! Ich glaube, zur Feier des Tages trinken wir zusammen eine Flasche von meinem besten Tiroler Wein, was meinst du?«

Jakob überlegte. »Ja, gern«, sagte er. »Meine drei Jahre sind ja längst vorbei. Ich hatte mir damals ein strenges Enthaltsamkeits-Gelübde auferlegt, was das Trinken betrifft, aber in meinem vierten, zusätzlichen Jahr gelten die Regeln ja nicht mehr in vollem Umfang. Sonst hätte ich ja auch die Arbeit hier vor Ort nicht annehmen dürfen. Also, ein Glaserl dürfte ich schon.«

»Setz dich! Du hast dich prächtig herausgemacht, wie man sieht. Gesund und robust siehst du aus, und du bist auch noch ein Stück größer geworden, wie mir scheint. Die Madeln lecken sich wahrscheinlich alle zehn Finger ab, wenn sie an dich denken.«

Jakob nahm Platz. »Ich hoffe, es geht dir gut«, sagte er, ohne auf diese Bemerkung einzugehen. »Du hast dich kaum verändert.«

»Schmeichler! Komm, erzähl! Deine langen Briefe haben mich neugierig gemacht.«

Jakob hatte seinem Paten jeden Monat einen ausführlichen Brief geschrieben, in erster Linie über das Erlernte, aber es gab darüber hinaus gewiss noch eine Menge zu berichten.

Zuerst wollte der alte Hurlacher natürlich prüfen, was für Erfahrungen Jakob auf der Walz gemacht hatte, und stellte diverse Fachfragen. Zum Beispiel wollte er hören, woher das beste Reet, also das Riedgras zum Eindecken der bekannten Friesenhäuser, geliefert wurde, und Jakob konnte prompt antworten: »Aus dem Murnauer Moos in Oberbayern.« Ebenso prompt kamen die Antworten über Fachwerkhäuser oder Kenntnisse aus dem Bootsbau.

»Wunderbar, mein Junge«, lobte der Alte schließlich. »Du bist also viel herumgekommen und hast viel von der Welt gesehen. Wo hat es dir denn am besten gefallen?«

Jakob zuckte mit den Schultern.

»Überall«, sagte er. »Jede Landschaft hat ihren eigenen Reiz, und jeder Menschenschlag ist auf seine Art liebenswürdig. Daheim fühl ich mich allerdings am wohlsten, und ich konnt’s gar nicht abwarten, wieder hier zu sein.«

»Es hat wohl ein Madel auf dich gewartet, oder?«

Jakob schüttelte den Kopf. »Ich hätt niemandem zumuten wollen, drei Jahre auf mich zu warten. Man weiß nie, was in der Zwischenzeit passiert. Deshalb bin ich jedem Madel aus dem Weg gegangen, denn ein Abschied wäre mir selbst ja auch schwergefallen. Ich hätt mich vielleicht irgendwo fest verdingen können, wenn ich gemerkt hätte, ich find eine besondere Arbeit, mit der ich meine Meisterprüfung machen möchte. Dann wäre ich vielleicht noch deutlich länger fortgeblieben. Manche Gesellen kehren ja gar nicht mehr zurück, wenn sie anderswo ihr Glück oder ein gutes Auskommen finden.«

»Dann ist also keine in Aussicht?«, wollte Anton Hurlacher wissen. »Eine Freundin wirst du doch gewiss haben? Oder ein Madel, von dem du träumst?«

Jakob schüttelte den Kopf. »Ich will zuerst meinen Meisterbrief machen«, sagte er. »Das heißt Arbeit, Arbeit, Arbeit. Ich muss in meinem Beruf gut sein und abends noch Theoretisches büffeln. Wenn ich eine Freundin hätte, dann hätte ich wahrscheinlich nie Zeit für sie. Welche Frau macht das schon mit?«

»Eine Frau, die liebt«, sagte Anton Hurlacher. »Meine liebe Gustl, zum Beispiel. Ich hab sie kennengelernt, als ich noch in der Lehre war. Ihretwegen bin ich nicht auf Wanderschaft gewesen, denn ich wollt sie nicht daheim zurücklassen. Das war auch gut so, denn es waren wirre Zeiten. Ich hab meine Ausbildung zudem von meinem Vater bekommen – alles, was ich darüber hinaus wissen wollte, musste ich mir mühselig aneignen. Ich hab’s deshalb später anders herum gemacht – nachdem ich den Betrieb übernommen hatte, hab ich meist Gesellen angestellt, die besondere Kenntnisse mitbrachten oder selbst gewandert waren.«

»Ach so«, sagte Jakob. »Das ist eine gute Idee. Aber dann war’s damals mit der Meisterprüfung sicher recht schwierig.«

Anton Hurlacher nickte. »Doch meine Gustl hat mich immer unterstützt. Sie wusste, dass ich wenig Zeit für sie haben würde, und deshalb hat sie neben ihrer Arbeit in der kleinen Konditorei, die es damals hier im Dorf gab, auch noch meinen Lehrstoff mitgelernt. Sie hat mir vor allem bei der Vorbereitung zur Prüfung geholfen, indem sie mich immer wieder abgefragt hat. Ganze Sonntagnachmittage lang. Wir konnten einander sehen, und so hatte sie einen großen Anteil daran, dass ich mit gutem Ergebnis bestanden habe.«

»Das wusste ich nicht«, gab Jakob zu. »Aber so eine Frau findet man heute selten.«

»Wer weiß, wer weiß«, meinte Anton Hurlacher und schmunzelte. »Vielleicht gibt es ja ganz in deiner Nähe ein Madel, das dich liebt, und du ahnst nichts davon. Das kann man nie wissen. Du schaust ja gezielt weg, wenn ich dich richtig verstanden habe.«

Jakob wurde nachdenklich. Ja, dachte er, ich glaube, es gibt jemanden. Er sprach diesen Gedanken flüsternd aus und setzte hinzu: »Aber sie ist unerreichbar für mich.«

»Wenn man wirklich liebt, ist kein Mensch unerreichbar«, sagte der Alte. »Und du solltest nicht aus falscher Bescheidenheit auf das Glück im Leben verzichten. Wozu lebt man denn? Sicher nicht nur zum Arbeiten. Komm, nimm noch einen Schluck Wein! Wer ist sie?«

Die Frage traf Jakob viel zu überraschend, als dass er nach Ausflüchten hätte suchen können.

»Die Marie«, sagte er. »Die Tochter meiner Gastgeber. Ich glaube, sie ist ein wenig in mich verliebt. Ich kann mich natürlich auch irren. Sie schaut mich nur immer so seltsam an und beobachtet mich bei der Arbeit. Es ist wohl mehr als ein Zufall, dass sie so oft in meiner Nähe auftaucht. Ich weiß aber kaum etwas über sie – vielleicht ist sie schon längst vergeben.«

»Wie ist sie denn so?«