Heiter bis wolkig wetterwendische Geschichten für alle Tage - Peter Marquardt - E-Book

Heiter bis wolkig wetterwendische Geschichten für alle Tage E-Book

Peter Marquardt

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Beschreibung

Der Autor legt hier eine Sammlung teilweise skurriler Kurzgeschichten vor, deren Entstehung die Zeitspanne von 1983 bis 2018 umfasst. Wenn die Themen auch breitgefächert sind, ist doch ihr einziger Zweck die Unterhaltung. Was passiert, wenn Dornröschen erst im 20. Jahrhundert wach geküsst wird? Wenn der hl. St. Martin seinen Mantel gar nicht teilen wollte? Wenn die Prinzessin statt eines Prinzen, eine Prinzessin liebt? Märchen, erzählt mit einem Augenzwinkern und nie ohne Abenteuer. Es werden Ihnen Kobolde, Hexen und Sagengestalten aus vieler Herren Länder begegnen. Mystisches und Gruseliges, Wahres und Erfundenes. Einige autobiografische Geschichten führen uns in die Kindheit des Autors. Und zwischen alldem, immer wieder ein Gedicht. Eben heiter bis wolkig.

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Eine Sammlung skurriler Kurzgeschichten und Gedichte für zuhause und unterwegs.

Inhaltsverzeichnis

Über die Schwierigkeit, ein Autor zu werden.

Der schwarze Hund

Der Bürokrat

Der Tote im See

Ärger mit Orpheus

Der rote Po der Paviane

Der Ausfall

Das Gutachten

Kokolores

Urlaubsfreuden

Karsten

Das Verhör

Drei Kurze bitte

Warten auf Alwin

Laffitt, wie Du und ich

Und morgen Staubsaugen

Die Fliege (Scathophaga stercoraria)

Nun weihnachtet´s bald

Saturn im siebten Haus

Eine merkwürdige Weihnachtsgeschichte

Schlechtes Wetter mit guter Aussicht

Der Weihnachtsmann vom dritten Stock

Eine unverhoffte Begegnung

Nun wird es Märchenhaft

Das Mädchen mit dem Spiegel

Dornröschen

Der Steinmetz

Die Prinzessin und das Zepter der sieben Bewahrer

Der Hirsch

Hänsel und Gretel - das verkaufte Herz.

Es geht immer ein wenig schlimmer!

Grünkäppchen und die Räuber im Hexenhaus

Irrungen und Wirrungen der Prinzessin Rosa

Liebesgedicht

ENDE

Über die Schwierigkeit, ein Autor zu werden.

Lieber Leser,

betrachten Sie den Verfasser dieses Buchs bitte bestenfalls als jemanden der Schriften erstellt, ergo als einen Schriftsteller. Keinesfalls jedoch, wie hier im Verzeichnis angegeben, als Autor.

Das macht keinen Unterschied, sagen Sie?

Oh doch.

Haben Sie schonmal was von einem Schriftstellerhonorar gehört? Sie schütteln den Kopf? Sehen Sie!

Ein Autorenhonorar ist Ihnen aber sicher ein Begriff. Oder wie wäre es mit einer Schriftstellerlesung. Ich bin mir nicht sicher, ob es das Wort überhaupt gibt. Eine Autorenlesung jedoch kennt jeder.

Nun kann ich Ihnen versichern, dass ich bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich diese Zeilen hier niederschreibe, weder ein Autorenhonorar erhalten, noch an einer Autorenlesung teilgenommen habe. Ich bin kein Mitglied einer Autorenakademie, lese keine Autorenmagazine und war trotz meiner nunmehr achtundsechzig Lebensjahre nie auf Treffen junger Autoren gewesen.

Ein Autor hat sich durch Fleiß und Beherrschung seines Handwerks, alle die oben erwähnten Privilegien redlich verdient. Er hat etwas Ordentliches studiert, möglichst Literatur. Er kann Figuren entstehen lassen, wie er will, sie so steuern, dass sie immer das tun, was er von ihnen verlangt und er weiß im Voraus, wie alles enden wird.

Ist das nicht grandios? Das ist ein bisschen wie göttliche Schöpfung.

Lassen Sie uns doch so einen Schöpfungsvorgang, an einem Selbstversuch, gemeinsam erleben.

Für eine x-beliebige Geschichte ist es notwendig, dass der Autor gleich zum Anfang seines Romans, einen Herrn mittleren Alters, in einem schwarzen Anzug, welcher für diesen freundlichen Tag viel zu warm ist, über eine Fahrbahn gehen lässt. Auf der gegenüberliegenden Seite angekommen, greift der Mann sich an die Nase. Sie blutet.

Das kann durchaus der Beginn einer Geschichte sein und bietet eine Menge Raum für einen Spannungsbogen. Wer ist er? Warum geht er über die Straße? Was will er dort? Warum blutet er? Alles Fragen, die bis dato offen sind und auf ihre Beantwortung warten.

So vermag die Story, Verzeihung, die Geschichte ihren Lauf zu nehmen, da der Autor jetzt bereits, zu diesem frühen Zeitpunkt, alle seine Figuren und deren Handlungen fest im Griff hat.

Da ich, wenn auch nur Schriftsteller, oben genannten Anfang hervorragend finde, lassen Sie uns für den geplanten Selbstversuch genauso beginnen.

Vielleicht folgen Sie mir einfach, wenngleich nur gedanklich, zu diesem Versuch der Literaturschöpfung. Wir begeben uns also auf die gleiche Straße die das Geschöpf, unseres fiktiven Autors, zu überqueren hat.

Hervorragend, ich sehe, Sie sind bei mir geblieben. Das ist gut, denn so sind Sie direkt dran an der Geschichte. Sehen Sie dort die Straße? Drei Spuren in jede Fahrtrichtung. Rechts gleich eine Kreuzung mit einer Ampelanlage. Auf der Hauptstraße rauscht der Verkehr ohne Unterlass. Fahrzeuge wechseln scheinbar grundlos die Fahrspur. Immer wieder hupt eins empört.

Erinnern Sie sich bitte, das hier ist ein Beispiel, welches Ihnen die Vorzüge eines Autors, gegenüber jedem anderen Schreiberling bildlich darstellen soll.

Als Erstes muss ich mir den Kerl im schwarzen Anzug suchen, den ich über diese Straße schicken will. Solange er keinen Namen hat, nennt ihn der Autor, seinen Protagonisten.

Vielleicht entdecken Sie ihn ja als Erster. Ich jedenfalls sehe ihn nicht. Kein Mann im schwarzen Anzug in Sicht.

Merken Sie etwas? Ich finde meinen eigenen Protagonisten nicht. Jetzt ist also Momentschöpfung gefragt.

Welcher der Passanten eignet sich zu unserem Protagonisten?

Schauen Sie mal dort rechts, da an der Bushaltestelle, die Blondine mit den Riesenmöpsen. Wir könnten sie über die Straße schicken.

Nein? Sie haben recht. Möpse sollte man nicht sagen und eine blutende Blondine am Anfang einer Geschichte kann bestenfalls auf einen schlechten Krimi hindeuten.

Andrerseits kommt auch niemand in einem Anzug dahergelaufen. Schon gar nicht in einem Schwarzen.

Sehen Sie den Herren dort? Den mit dem breitkrempigen Hut?

Ich werde ihn fragen, ob er für uns über die Straße gehen will.

Haben Sie was dagegen?

Gut, ich versuche es.

»Verzeihen Sie, wenn ich Sie anspreche, aber würden Sie für mich über jene Straße dort gehen?«

»Izwinite paschalusta, ja ne gavarju po-nemetski«

»Danke, schönen Tag noch.«

Haben Sie es gehört? Ein Russe.

Sprechen sie russisch?

Nicht? Ich auch nicht.

Merken Sie was? So komme ich hier mit meiner Geschichte kein Stück weiter. Da wird ständig mit Gott und seiner Schöpfung gehadert und unsereins kriegt keinen Kerl in einem schwarzen Anzug hin. Ich werde meinen Kirchenaustritt überdenken müssen.

Schauen Sie, dort rechts. Wie wäre es mit diesem pickligen Typen mit dem roten Basecap? Wollen wir den über die Straße gehen lassen? Der ist blond, sportlich, schlank, groß; und wenn der drüben auf der anderen Seite ein wenig aus der Nase blutet, wird es ihn kaum umbringen. Außerdem steht auf seinem T-Shirt: ›Was uns nicht umbringt, macht uns stark!‹

Ich werde ihn fragen.

»Guten Tag verzeihen Sie, wenn ich Sie anspreche, aber würden Sie für mich über jene Straße dort gehen?«

Der Kerl starrt mich an, als wäre ich eine Erscheinung.

»Sach ma Alter, spinnst du? Ick will hierlang jehn, da drüben scheint ja nich mal Sonne.«

Er schiebt sich an mir vorbei und stopft mit einem Ruck die Hände in die Taschen. Das schafft er, obwohl ihm die Hose wenigstens fünf Nummern zu groß ist und in den Kniekehlen hängt. Ein Wunder der Schwerkraft, dass sie nicht runterrutscht.

Ich dreh mich um und starre ihm hinterher. ›Autor ist eben doch schwieriger, als man gemeinhin glaubt‹, denke ich. Dann durchzuckt eine neue Idee mein Hirn. »Ich gebe Ihnen einen Fünfer dafür«, rufe ich ihm nach.

Er stakst weiter, als hätte er es nicht gehört.

Ich drehe mich wieder um. Irgendwer muss über diese verdammte Straße gehen, damit meine Geschichte in Fahrt kommt.

Warum geht der Kerl mit dem schwarzen Anzug, für den Autor ohne zu murren rüber, während ich nicht einmal für Geld einen pickligen Basecapträger hinbekomme?

Bemerken Sie nun den Betrug in dieser Autorenliste?

»Hast du jesacht nen Fünfer?«

Ich schnelle herum.

Der Picklige mit dem Basecap steht dicht vor mir. Er hat den Schirm nach hinten gedreht, was im grellen Sonnenlicht seine Pickel überdeutlich hervortreten lässt.

Ich erschrecke. »Einen Fünfer?!«

Wo sollte ich, verdammt noch mal, so plötzlich einen Fünfer hernehmen?

Ich bin Schriftsteller und kein Autor. Unsereins hat nicht einfach einen Fünfer in der Tasche. Andererseits ist dies hier eine Geschichte. Ich muss den Fünfer nur erdichten und den könnte ich ihm ja geben.

Ich greife also in die Hosentasche und hole tatsächlich einen imaginären Geldschein heraus.

Er sieht ihn sich an. »Nur über die Straße und dit an der Ampel hier?« Misstrauisch mustert er mich.

Ich nickte. »Nur über die Straße, an dieser Ampel.«

Mit spitzen Fingern, die übrigens dreckige Nägel haben, zieht er mir den Fünfer aus der Hand und betrachtet ihn argwöhnisch. Dann knurrt er etwas Unverständliches, steckt den Schein ein und geht auf die Ampel zu.

»Aber drüben hau ick sofort ab. Ick komme nich wieder zurück«, ruft er über die Schulter.

»Geht klar!«, sage ich.

So, lieber Leser, das wäre geschafft. Er wird jetzt rübergehen und drüben Nasenbluten haben. Ob mit oder ohne schwarzen Anzug. Gott hat seine Schöpfung schließlich auch korrigiert, sonst gäbe es ja heute noch Dinosaurier.

Sie fragen, warum er Nasenbluten haben wird?

Was weiß denn ich? Das hat mir der Autor bis zu diesem Moment, wo sein Typ drüben ankommt, schließlich auch nicht erklärt. Spannungsbogen nennt man so etwas. Glaube ich jedenfalls.

Lassen Sie uns einfach beobachten, wie er rübergeht.

Schauen Sie mal, die Ampel wird Grün. Es geht los.

»Vorsicht, der Radfahrer!«

Ein dicklicher Mann auf einem Rad, der seinen Wanst in eine bunte Kunststoffhaut mit magentafarbenem »T« Aufdruck gepresst hat, und einen gerippten, blau lackierten Sturzhelm auf dem Kopf trägt, dessen Riemen ihm kaum um das Doppelkinn reichen, rammt den jungen Mann unversehens und stößt ihn zu Boden.

Im Weiterstrampeln schreit er nach hinten: »Hast du keene Ogen im Kopp, du dämlicher Depp?«

»Aber es ist doch grün«, empört sich mein Fünferträger, während er sich wieder auf die Beine müht.

Ein zweiter Radfahrer hält unmittelbar vor ihm. »Du hattest deine Füße mindestens sieben Zentimeter auf dem Radweg.«

»Aber ick hatte doch jrün.«

»Das ist absolut wurscht. Der Radweg ist auch bei Grün da, wo er nun mal immer ist und gefahren wird bei jeder Farbe.

Schließlich sind die Farben, für die Andren da.«

Er sagt dies in einem Tonfall, dass man davon ausgehen muss, dass er Lehrer von Beruf ist.

In der Zwischenzeit war es wieder rot geworden. Der freundliche Radfahrer überquert mit seinem Rennrad, das standesgemäß weder über Bremsen noch Licht verfügt, die Straße, wobei er einen Slalom um die grade anfahrenden Autos macht. Das wiederum löst ein Hupkonzert aus, welches er grimmig grinsend mit einem gestreckten Mittelfinger quittiert.

Der Fünferträger mit dem Basecap kommt auf mich zu. »Tut mir leid, hat nich jeklappt. Hier ist ihr Schotter zurück.«

Ich bin ein wenig ratlos und Sie als Leser erkennen nun sicherlich den Irrtum, dem Sie hier aufgesessen sind, dass in diesem Buch alles von einem Autor geschrieben wurde und dass es zwischen Autoren und Schriftstellern keinen Unterschied gibt.

Mir allerdings geht es endgültig gegen die Ehre. Selbst als Schriftsteller. Immerhin konnte ich ja nicht ahnen, dass ich ausgerechnet an so ein Weichei gerate. Ich muss sehen, dass ich ihn umstimme.

»Nein nein, ist schon ok. Versuchen Sie es doch noch einmal.

Vielleicht ein paar Meter weiter. Das machen schließlich viele hier und dann zack rüber auf die andere Seite, und das war´s.«

Er schaut auf die Straße, auf mich und erneut auf die Straße.

Einige Leute gehen wenige Meter von der Ampel entfernt herüber und erreichen ohne nennenswerte Zwischenfälle die andere Seite.

Er nickt, nimmt mir den Fünfer wieder aus der Hand und macht sich erneut auf den Weg.

So, nun wird es klappen.

Kann es sein, dass Sie jetzt ein wenig hinterhältig grinsen? Sie hoffen wohl, er wird bei dem Versuch überfahren? Ich aber sage Ihnen, das ist der typische Hunger nach Sensationen bei Lesern. ›Oho, ein Buch mit einhundertsieben Toten. Ist doch gar nichts, ich habe neulich eins mit hundertachtzig Leichen gelesen!‹

So ticken Sie doch alle als Leser, habe ich recht?

Mein Protagonist kommt dort rüber, auch wenn ich keiner von diesen Autoren bin.

Der rotkäppige Fünferträger steht inzwischen an der Straße, schaut nach links und rechts und geht los.

Als er die Mitte erreicht hat, schaltet die Ampel um und die Autos fahren an. Allen voran ein schwarzer BMW, der sich mit quietschenden Reifen von der Kreuzung katapultiert.

Der Fahrer des BMWs muss vor unserem Protagonisten auf die Eisen treten. Der Wagen schlittert und bricht seitlich aus.

»ABS kaputt«, sagen Sie.

»Oder ausgeschaltet«, sage ich.

Dicht neben dem pickligen Fünferträger kommt das Auto zum Stehen. Der Fahrer springt heraus.

Eindeutig ein Ausländer, schießt es mir durch den Kopf.

Anscheinend Muslime.

Was grinsen Sie so? Sie hoffen schon wieder auf eine Sensation, stimmt‘s? Ein Terrorist vielleicht. Wäre ja grade ein Thema.

Vergessen Sie es. Ich bin hier der Schöpfer. Na ja, zumindest versuche ich es.

»Was liegt an Mann, bist du meschugge? Bist du zugedröhnt?

Kannst doch hier nicht rüber, wenn ich komme, Mann!« Er schreit es, scheint aber selbst ziemlich erschrocken zu sein.

Mein Mann bleibt scheinbar ruhig, was er sagt, lässt mir allerdings das Blut einfrieren. »Wenn ihr Kanaken nicht wie die Jeisteskranken rasen würdet, könnte een ordentlicher, deutscher Staatsbürger och unjehindert über die Straße loofen.«

Der BMW Fahrer schnappt hörbar nach Luft. »Warum sagst du Kanake zu mir? Los, sag schon, warum laberst du solche Scheiße? Soll ich dir was zeigen, du Blasslaken?«

Er greift in seine Tasche und holt einen Pass mit dem Emblem der Bundesrepublik Deutschland heraus. Er nimmt ihn und schlägt ihn dem Rotbekappten zweimal ins Gesicht.

Die Kappe verrutscht und Blut tropft ihm aus der Nase. »Wir Deutschen haben Regeln, ist das klar? Für alle sind Regeln gültig. Selbst für dich Blasslaken.«

Inzwischen ist ein zweiter Fahrer ausgestiegen, der mit seinem Wagen nicht vorbei kommt und geht auf die beiden zu.

Und hier, lieber Leser unterscheide ich mich wiederum von einem richtigen Autor. Ich weiß nicht, wie ich den nennen soll.

Der Typ ist so schwarz, dass man ihn selbst in der finstersten aller Nächte, noch als schwarzen Flecken ausmachen könnte.

»Was ist hier los?«, fragt er in akzentfreiem Deutsch, »können wir nicht endlich weiterfahren?«

Die beiden anderen sehen ihn verblüfft an. »Wir brauchen hier keene Auslända, die sich einmischen«, sagt der Picklige. Der BMW Fahrer nickt zustimmend.

Der Angesprochene nähert sich, bis sich die drei unmittelbar gegenüberstehen, und sagt fast flüsternd: »Hören Sie mal zu, Sie Witzbolde«, dabei holte auch er einen deutschen Reisepass aus der Innentasche seines Sakkos, »wenn ich meinen Flieger nicht bekomme, wird ihnen unser geliebtes deutsches Rechtssystem so viel Ärger bereiten, dass Sie den Rest ihres Lebens davon zehren können.« Die Augen funkeln gefährlich in dem schwarzen Gesicht.

Der BMW Fahrer zuckt merklich zusammen. »Was bist du?

Scheißpolitiker oder was?« Zu dem Rotbekappten sagte er:

»Los mein Freund lass uns hier verschwinden, Politik geht uns nix an.«

Kurze Zeit später hat der junge Mann endlich die andere Straßenseite erreicht. Der Strom der Autos rauscht ungehindert in den Intervallen der Ampel an mir vorbei. Ein bisschen traurig schaut er unter dem Schirm seiner roten Kappe zu mir herüber und zieht die Schultern hoch. Aus der Nase sickert ihm noch etwas Blut.

Ein Herr in einem schwarzen Anzug, welcher für diesen freundlichen Tag viel zu warm ist, bleibt an der Ampel stehen.

Er dreht sich zu mir und nickt grüßend. Ein wenig mitleidig, wie ich finde.

So lieber Leser, ich hoffe, dass Ihnen diese kleine Einführung in die Welt des Geschichtenerfindens, genau so viel Freude bereitet hat wie mir. Und dass Sie trotz der mannigfaltigen Herausforderungen, denen ich mich als Schriftsteller zu stellen habe und die ich wahrscheinlich nicht immer bestehen werde, mir, zumindest in diesem Buch, bis zu dessen Ende die Treue halten werden.

Mit herzlichen Grüßen

Ihr Schriftsteller

Peter Marquardt

Der schwarze Hund

Mein neues Buch war erschienen und Sybille war der Meinung gewesen, dass dies ein willkommener Anlass sei, eine Buchneuerscheinungsparty zu feiern. Sie liebt Partys, vor allem solche, deren Mittelpunkt sie selber ist. Das gibt mir immerhin die Gelegenheit im Hintergrund zu bleiben. Ich weiß, dass das falsch ist. Ich sollte Reden halten, Lesungen veranstalten, Interviews geben und all die anderen Dinge tun, die mir keinen Spaß machen. Sie liebt all das so, wie ich es verabscheue. Eine perfekte Beziehungsgrundlage finde ich.

Na ja, sie ist immerhin einige Jahre jünger als ich. Das schmeichelt trivialerweise meiner Eitelkeit. Ich gestehe es, aber ich bereue nichts. Außer vielleicht, wenn Django Brutalo in der Nähe ist. Sybille hatte ihn, wie jedes Mal, auch zu dieser Party eingeladen. Django Brutalo, mit bürgerlichem Namen hieß er Johannes Kraft, ist Schriftsteller wie ich und schreibt üble Actionromane, gewürzt mit erotischen Fantasien oder was er dafür hält. Scheinbar lieben die Frauen sowas. Ja, ich muss zugeben, der Kerl sieht auch noch verdammt gut aus.

Ich mag ihn trotzdem nicht. Sobald er in ihre Nähe kommt, baggert er Sybille an, und sie gurrt wie eine verliebte Taube.

Natürlich gefällt mir das nicht. Und natürlich habe ich meinem Unmut darüber bereits Luft gemacht. Mit dem durchschlagenden Erfolg, dass er heute strahlend und wie selbstverständlich, mit einem riesigen Blumenstrauß auftauchte, meine Freundin Sybille umarmte und sie rechts und links auf die Wange küsste. Danach ließ er mir, die Ehre eines Kopfnickens, zur Begrüßung zuteilwerden.

»Weißt du, dass dein Freund Django ständig versucht, mich auszuhorchen, woran du grade schreibst?«, hatte Sybille mir erst kürzlich verklickert.

»Wieso mein Freund Django? Er ist ja wohl eher dein Freund.

Was hast du ihm erzählt?« Mir fiel ein, dass es in der letzten Zeit recht ruhig um den Liebling der Frauen geworden war.

»Höre ich da Eifersucht aus dir sprechen, mein Liebster?«, fragte sie schnippisch.

Ich war sicher, dass sie ihm nie etwas Wichtiges erzählen würde, na ja, fast sicher. Was die Eifersucht anbelangt, sollte ich mir wegen dieses Möchtegernplayboys ernstliche Gedanken machen?

Um ehrlich zu sein, ich tat es.

Die Buchneuerscheinungsparty lief. Django hing wie immer mit seiner langen Nase unanständig tief in Sybilles Dekolleté. Ich versuchte, mich unbefangen mit einigen Kollegen und Freunden zu unterhalten. Die Kolleginnen und Freundinnen scharrten sich wie immer um Django und ich schielte mit zunehmendem Ärger zu den beiden herüber. Ob er sie wieder aushorcht, oder will er sie endgültig ins Bett kriegen? Wie es aussah, beides. Der Kerl hatte immerhin seit einiger Zeit nichts veröffentlicht. Waren ihm die Ideen ausgegangen? Vermutlich.

Mir wäre es lieber gewesen den heutigen Abend mit Sybille allein zu verbringen. Morgen erwartete mich immerhin eine lange hinausgeschobene Operation. Mein Augenlicht war in letzter Zeit schlechter geworden und der Arzt sagte, das wäre ein grauer Star und ich bräuchte neue Linsen. »So ein Eingriff ist heute kein großes Ding mehr«, hatte Doktor Müller gesagt und mir dabei jovial auf die Schulter geklopft. »Das macht doch heutzutage schon der Pförtner der Klinik, mein Lieber.

Aber keine Angst, bei Ihnen mache ich eine Ausnahme, da greife ich selber zum Skalpell.« Er hatte über seinen Witz gelacht. Jedenfalls hoffte ich, dass es einer war, und mich zur Tür hinausbugsiert.

Morgen war es nun soweit. Ich musste mir eingestehen, dass ich doch Angst hatte. Oder war es schon Panik?

Ich angelte mir einen weiteren Whisky und zog mich in mein Büro zurück. Hier war es wunderbar ruhig. Nichts von der Party drang bis hierher. Ich stellte mir vor, wie es wäre, nichts mehr sehen zu können. Ein Schauder lief mir bei dem Gedanken den Körper herunter. Als ich die Tür hinter mir schloss, umgab mich bleierne Finsternis. Den Whisky in der einen Hand haltend, tastete ich mit der anderen behutsam in die Richtung, in der ich den Schreibtisch vermutete. Als ich trotz aller Vorsicht mit dem Kopf an den Bücherschrank knallte, wurde mein inneres Auge von einem Feuerwerk geblendet. Unwillkürlich stieg in mir die Frage auf, welcher Art Qualifikation so ein Pförtner in einem Krankenhaus haben musste, bevor er eine getrübte Linse tauschen durfte. Jetzt stieß ich mir das Knie am Schreibtisch. Ich ließ mich auf den Stuhl fallen und schaltete die Schreibtischlampe ein.

Einen Moment lang blendete das plötzliche Licht. Dennoch atmete ich erleichtert auf, als ich das Zimmer wieder deutlich wahrnehmen konnte. Der Computer, die Ablage für die Unvollendeten, meinen geliebten Füllfederhalter. Ein Geschenk von Sybille. Die Kollegmappe für Notizen.

Ich blätterte durch ein Manuskript, das unfertig seiner Vollendung entgegenwartete. Gedankenverloren nippte ich an dem Whisky.

Horus, in der frühen Mythologie Ägyptens, galt nicht nur als Himmels- oder Weltengott, sondern auch als Beschützer der Kinder. Das hatte mich auf die Idee für ein Buch gebracht.

Nicht, dass ich eine besondere Vorliebe für alles Göttliche hätte. Nein, es war einzig der Gedanke, der mich faszinierte, dass vor viertausend Jahren die Menschen ihre Kinder für so bedeutsam gehalten hatten, dass sie sich einen Gott erschufen, der diese Kinder beschützen sollte. Ich glaube, seitdem hatte es nie wieder Götter für den Schutz von Kindern gegeben. Bis heute nicht.

Ich schaltete meinen Computer ein und wartete, bis sich Windows hochgequält hatte. Es gibt dabei immer ein kurzes akustisches Signal. Ein fremdes Geräusch mischte sich unter dieses Signal. Ein unangenehmer Geruch von Schweiß und kaltem Zigarettenqualm stieg mir in die Nase. Erschrocken drehte ich mich um. Wie aus dem Erdboden gewachsen, stand eine Gestalt hinter meinem Stuhl.

Ich hatte von dem Schlag eigentlich nichts gespürt. Er kam unvermittelt und ohne die üblicherweise beschriebene Erscheinung des Sternesehens, bevor es um einen dunkel wird.

Das Aufwachen war das Fiese. Ich hielt die Augen geschlossen, da ich durch die Lider hindurch gleißendes Licht wahrnahm. Sengende Hitze umgab mich. Etwas wischte mir feucht und warm über das Gesicht. Es roch nach faulem Fleisch. In meinem Schädel dröhnten Schmerzen.

Das Wischen endete abrupt. Ein Schatten legte sich mir über die Lider.

»Du kannst deine Augen jetzt öffnen.«

Die Stimme war nicht unfreundlich, aber fordernd.

Langsam folgte ich der Aufforderung. Über mir stand ein Hund. Ein großer Hund. Er war schwarz, hatte eine langgestreckte, fast zierliche Schnauze. Die Zunge, mit der er mir wahrscheinlich grade über das Gesicht geleckt hatte, hing seitlich heraus. Lange schmale Ohren standen aufrecht am Schädel empor. ›Die Ohren sind zu lang‹, war mein erster Gedanke.

»Wenn du wieder dahin zurückwillst, wo du hergekommen bist«, sagte der Hund, »solltest du nur kurz hier verweilen.«

Beim Reden bewegte sich sein Unterkiefer, als würde er auf Kleister kauen.

Ein Intercity raste mir grade die Schädeldecke entlang, und zwar von innen. Ich stöhnte auf und griff mir mit beiden Händen an den Kopf.

»Du hast einen Brummschädel«, stellte der Hund fest. »Ich könnte dir helfen.«

Der Zug raste grade durch mein Sprachzentrum. Ich nickte deshalb nur.

Daraufhin legte er mir eine Pfote auf den Kopf und der Zug entfernte sich auf donnernden Rädern, bis er gänzlich in der Ferne verschwunden war.

»Wo bin ich hier?«

»Hr-dj«, sagte der Hund und es klang, als würde er niesen.

»Gesundheit.«

»Ich habe nicht geniest«, entgegnete er, »du bist in Hr-dj, oder vielleicht sagt dir Kynopolis etwas.«

Ich richtete mich vorsichtig auf und starrte auf den Hund. Er war groß und dünn. Die Rippen standen ein wenig hervor.

Trotz des schlanken edelen Kopfes wirkte sein Gebiss furchteinflößend.

Statt die Frage zu stellen, wie ich dort hingekommen war, spürte ich, wie Zorn in mir aufkeimte.

»Hast du eben Kynopolis gesagt? Willst du mich verarschen?

Wenn diese Stadt überhaupt jemals existiert hat, ist sie vor mehr als dreitausend Jahren zerstört worden, und zwar derart, dass sie bis heute als Legende gilt. Und wieso rede ich mit einem Hund?«

»Weil du es kannst«, entgegnete der Hund. Er machte eine Bewegung seitwärts und sein Kopf, der mir bis dahin Schatten gespendet hatte, gab die Sonne frei. Geblendet schloss ich die Augen. »Ich kann reden, weil ich ein Mensch bin. Hunde sprechen, soweit ich weis, niemals.« Ich schrie es fast.

»Es sei denn«, entgegnete der Hund ohne sich im geringsten von meiner Aufregung anstecken zu lassen, »sie sind Götter.

Götter können mit Menschen reden.«

Etwas drehte sich in meinem Kopf. »Hab ich so noch nicht gehört«, entgegnete ich, »hast du auch einen Namen, oder reicht Gott?«

Er setzte sich mir gegenüber. Erneut fiel ein Schatten auf mein Gesicht und ich sah in wieder an. Die braunen Augen, mit denen er mich musterte, strahlten Klugheit und Intelligenz aus. Die lange Schnauze war dicht vor meinem Gesicht.

»Schreibst du nicht an einer Geschichte, die in Ägypten spielt?

Eine Geschichte, in der mein Freund Horus eine Rolle spielt?«

Ich nickte. Sein Atem stank immer noch nach faulem Fleisch.

»Und du kennst meinen Namen nicht?«

Schwang da eine Drohung mit?

Ich überlegte fieberhaft. ›Kynopolis hat er gesagt? Die Hundestadt?‹ Ein irrwitziger Gedanke schoß mir durch den Kopf: »Du bist Anubis? Bin ich tot?«

»Nein, noch nicht.«

»Du bist der Gott der Totenriten. Also, der Ehemalige«, verbesserte ich mich.

Er nickte zufrieden, als wollte er sagen, na wenigstens das weis er. »Ich hoffe, du bist nicht enttäuscht.«

Doch war ich und er schien es zu wissen. Dieser Hund hatte überhaupt nichts göttliches. Außerdem stank er aus dem Maul.

»Alle Götter sind nur so stark, wie die Kraft der Verehrung, die man ihnen entgegenbringt. Das gilt übrigens auch für eure neuen Götter«, rechtfertigte er sich. Wahrscheinlich hatte er sich über das ›Ehemalige‹ geärgert.

»Und an euch, die alten Götter, glaubt niemand mehr? Sehe ich das richtig?«, hakte ich ein wenig schadenfroh nach.

Er wiegte bedenklich den Kopf. »Ein paar Archäologen, Historiker, und heimliche Verehrer, halten viele von uns grade so am Leben. Nicht zu vergessen, die Transferierten. Es sind ihrer nur wenige, jedoch sie werden mehr. Aber wir beschweren uns nicht. Wir haben über dreitausend Jahre unter den Menschen gelebt und ihre Entscheidungen mitgetragen; allerdings selten beeinflusst«, schob er hinterher.

»Da ist es ja gut, dass wir heute nur noch einen Gott haben, der uns beisteht und alles vergibt«, sagte ich.

Es ah aus, als würde Anubis die Zähne fletschen. Vielleicht grinste er auch nur. »Für einen Geschichtenschreiber bist du reichlich naiv. Euer Christengott ist ein Gott der Vergebung.

Heißt das nicht, du kannst Schuld auf dich laden, er wird dir vergeben? Das aber bedeutet doch, dass das Opfer immer der Dumme ist. Für mich übrigens nicht.«

Er machte einen Schritt zur Seite und gab mir so den Blick auf die Umgebung frei. Jemand war mit einer Art Schirm neben mich getreten und beschattete meinen Kopf damit.

Wenige Meter von mir entfernt ragte ein Gebäude empor. Ich musste dessen Anblick erst einen Moment in mich aufnehmen, bis ich erfasste, dass es sich um eine Art Tempel oder Palast handelte. Er stand auf einer Anhöhe. Breite, sich nach oben verjüngende Stufen führten hinauf und endeten vor einem riesigen Eingangstor. Dieses Tor wurde von zwei etwa fünf Meter hohen Statuen des Anubis flankiert. Jedenfalls trugen sie die gleichen Köpfe, wie der Hund, der neben mir saß.

Mindestens fünfzig Menschen schleppten, schoben oder rollten zu Füßen des Bauwerks, große Steine heran. Das Merkwürdige an ihnen war ihre Kleidung. Im Gegensatz zu denen, die mit langen ledernen Peitschen, diese Menschen zum schnelleren Arbeiten ermunterten, und Wickelröcke um die Hüften geschlungen hatten, trugen die Steineschlepper, richtige Hosen. Ich meinte, sogar zu erkennen, dass einige von ihnen Jeans anhatten. Ihre Hemden waren allesamt von den Schlägen der Peitschen zerrissen und vom Blut ihrer Träger fleckig schwarz gefärbt.

»Tja«, sagte der göttliche Hund neben mir, »ich habe mich entschlossen mir einen neuen Tempel bauen zulassen.« Es klang fast entschuldigend.

»Die Transferierten müssen diese Arbeit übernehmen. Sie sind klug und haben bereits verschiedene Neuerungen eingeführt. Ich denke zur Zeit über den Bau von neuartigen Rädern nach, mit denen man diese Blöcke transportieren kann. Wie ich schon sagte, es werden immer mehr von ihnen.«

Ich versuchte aufzustehen. Leichter gesagt als getan. Kaum hatte ich meinen Oberkörper in eine aufrechte Position gebracht, begann sich alles um mich zu drehen. Gott sei Dank setzten die Kopfschmerzen nicht wieder ein. Die Platte eines Tischs neben mir, als Stütze nutzend, stand ich langsam auf.

Noch ein wenig schwankend hielt ich mich fest, bis ich sicher war, allein stehen zu können. Schon wartete der nächste Schrecken. War das möglich? Das Möbelstück, dass ich als Stütze benutzte, war mein eigener Schreibtisch. Was machte der hier? Der Tisch, mit meinem Computer.

Hatte ich ihn nicht grade angeschaltet gehabt? Der Bildschirm war jetzt schwarz. Mit dem Halter für diverse Bleistifte, Kugelschreiber und dem Füllfederhalter. Mit der Ablage für meine Ideenbank. Dort legte ich unvollständige oder Fragmente von Geschichten und Romanen ab, die, wie angefangene Puzzel darauf warteten, dass die fehlenden Teile erschienen, damit sie dann als Ganzes in dem Schrank meines belletristischen Schaffens, einsortiert werden konnten.

So ein Puzzel, war zum Beispiel die Fortsetzung der Geschichte um die kleine Elli Poldini, die ich im vorigen Jahr veröffentlicht hatte. Oder die von dem Jungen im Rollstuhl. Vor Jahren hatte ich ihn beobachtet. Er wohnte gleich bei uns in der Nachbarschaft. Soweit mir bekannt war, erlitten er und seine Eltern einen Unfall an einem Bahnübergang. Die Schranken schlossen wohl nicht, obwohl ein Zug kam.

Seitdem war der Junge ein Waise und außerdem an den Rollstuhl gefesselt. Es gab noch keine konkrete Idee, aber die Ausgangssituation, so traurig sie sein mochte, war geschaffen.

Klar war für mich auch, das wird ein Fantasyroman. Einer mit viel Optimismus. Da ich seinen richtigen Namen nie erfahren hatte, taufte ich ihn Johannes Klein.

Dann waren da einige Kurzgeschichten, manche mit einem Ende, andere ohne. Eins hatten sie jedoch alle gemeinsam, sie waren nicht fertig und gehörten noch nicht in den Schrank.

Diese Ablage, stellte ich mit einigem Schrecken fest, war weg.

Genaugenommen, war die Ablage da, nur war ihr Inhalt weg.

»Was macht mein Schreibtisch hier?«

»Das hat nichts zu bedeuten, das ist nur so eine Art Duplizität«, sagte Anubis. »Sei froh, sonst hättest du nichts zum Festhalten gehabt.«

Der Hund drehte wieder den Kopf zu mir herüber. Er hatte die ganze Zeit die Arbeiten an seinem Tempel beobachtet. Die Folge war, dass die mit den Peitschen besonderen Fleiß an den Tag legten. Bei den Anderen, die die Steine schleppten, erschien das weniger ausgeprägt. Ihr Ehrgeiz hielt sich in Grenzen.

»Versteh mich nicht falsch, es steht mir kein Urteil über deine Zeit zu«, nahm Anubis das Gespräch wieder auf. »Wir hatten unsere Zeit gehabt und haben sie genutzt. Eine Neue ist nun angebrochen und deren Ende ist sehr weit offen.«

Mir schwirrte der Kopf von alldem und ich beschränkte mich auf die am nächsten liegende Frage: »Und was wird jetzt aus mir?« Ich sah mich geistigen Auges bereits Steine rollen.

Anubis gähnte ausgiebig und kratzte mit der linken Pfote seine Hüfte, als ob ihn dort ein Floh gebissen hätte.

»Du musst zurück, denn ich denke, du solltest noch einige Zeit am diesseitigen Ufer des Eridanus verweilen«, sagte er. Dabei spuckte er mir etwas in die Hand, die ich instinktiv schloss und ich merkte, wie ich erneut in einer Ohnmacht versank.

Als ich erwachte, lag ich am Boden meines Büros und starrte die Beine meines Schreibtischs empor. Ich tastete mir den Kopf ab, der jetzt schmerzfrei war, bis ich die Beule am Hinterkopf berührte. Was mir der Götterhund in die Hand gespuckt hatte, rollte bei dieser Gelegenheit unter den Schrank. Was es wohl war?

»Bloß nicht dranfassen«, hörte ich eine Stimme. Neben den Beinen meines Schreibtischs ragten ein Paar weitere Beine empor. Schlank barfuß und braun gebrannt. Sie endeten in einer Art Wickelrock aus braunen und grünen Leinenstoff.

Dann ein freier Oberkörper, ebenfalls schlank, fast dünn und darüber ein Hundekopf. Diesmal war der Gott in seiner menschlichen Gestalt erschienen.

»Ich dachte, du wärst so eine Art Traum gewesen«, brummte ich und richtete mich erneut an meinem Schreibtisch auf.

»Ich war eine Art Traum«, kaute der Hundekopf träge, »und ich beabsichtige auch wieder, zu einem zu werden. Du hast nichts dagegen, das ich mir deinen Freund hier mitnehme.«

Erst jetzt bemerkte ich, dass er Django Brutalo mit einem Arm festhielt. Djangos Kopf hing schlaff herunter. Die Beine waren leicht eingeknickt und er machte alles in allem den Eindruck mausetot zu sein.

»Ist er tot?«, fragte ich.

»Nein nein, keine Sorge, er ist nicht grade munter, wie ein Fisch im Wasser, aber er wird schon wieder. Dennoch würde ich ihn gerne mitnehmen. Du weißt doch, wir brauchen Menschen die an uns glauben. Noch mehr aber brauchen wir Diener, die auch etwas für uns tun.« Wieder zog er die Lefzen hoch, als wollte er knurren, es war wohl aber ein Grinsen.

Ich nickte verstehend. »Von mir aus nimm ihn mit und wenn du die Zeit findest, tritt ihm dreimal am Tag in den Hintern. Er hat meine Freundin angebaggert.«

»Was nützen euch die zehn Gebote, wenn sich niemand dran hält.« Anubis warf mir einen Packen Papiere auf den Schreibtisch. Ich erkannte sie sofort. Es waren die unfertigen Puzzel aus der Ablage. »Wo hast du die her?«

»Oh, mit diesem Papyrus wollte dein Freund hier, grade einen Eigentumswechsel vollziehen. Deshalb hat er dir auch die Beule verpasst. Hat wohl nicht damit gerechnet, dass du, während einer Feier zu deinen Ehren, in deiner Schreibstube hockst.«

»Tritt ihm stündlich in den Hintern«, sagte ich.

Django Brutalo, der Frauenversteher, wie er sich selbst gerne nannte, kam bereits zu sich. Zuerst blinzelte er ein paarmal, dann versuchte er, sein Gleichgewicht herzustellen. Als er bei dem Versuch einknickte, riss ihn Anubis wieder auf die Füße.

Beim dritten Versuch klappte es.

»Was soll das?«, beschwerte er sich und bemühte sich, Anubis Hand abzuschütteln. Als ihm das nicht gelang, wollte er sie wegschlagen. Dann aber sah er den Gott zu ersten Mal an und stieß einen Schrei aus. »Sind wir hier beim Karneval?«, kreischte er und versuchte, Anubis die vermeidliche Maske vom Kopf zu schlagen.

Keine Behandlung, die man Göttern zuteilwerden lassen sollte, auch keinen Alten.

Die Hundeschnauze schnappte zu und kräftige Fangzähne bohrten sich in Djangos Unterarm. Der schrie erneut auf.

Diesmal vor Schmerz.

»Hör zu Django«, sagte ich zu ihm, »der da ist echt. Wenn ich vorstellen darf, Anubis altgriechischer Gott, Hüter des Totenreichs und ein alter Kumpel von mir.«

Anubis starrte in meine Richtung, fletschte die Zähne und zog die Stirn kraus. Diesmal sah es nicht nach Grinsen aus.

»Vorsicht ›alter Kumpel‹,das kann leicht in Blasphemie ausarten. Ich bin sicher, wir sehen uns wieder.« Er stieß Django durch den Raum und beide Gestalten wurden von einer unsichtbaren Wand verschluckt.

Ein leichtes Schwindelgefühl erfasste mich. Ich nahm an, es war sein Werk. Langsam sank ich auf meinen Drehstuhl nieder. »Tschuldigung«, rief ich ihm nach.

»Wofür entschuldigen sie sich? Sie waren sehr tapfer.« Eine Frau in dem grünen Kittel einer Medizinerin beugt sich über mich. »Erinnern sie sich an mich? Ich bin ihre Anästhesistin.

Sie waren bei der Lokalanästhesie leider zu… äh, lebhaft, will ich es mal nennen, also musste ich sie ein wenig ruhiger stellen. Aber es ist alles gut verlaufen. Morgen kann der Verband ab und dann können sie wieder sehen wie ein Adler.«

Sie wendet sich zur Tür, um den Raum zu verlassen, dreht sich jedoch noch einmal um. »Haben sie eigentlich einen Hund?«

Als ich nicht antworte, weil mir grade tausend wirre Gedanken durch den Kopf schießen, sagt sie: »Da war vorhin ein Hund.

So ein großer Schwarzer mit spitzen Ohren. Ich weiß nicht