Hekiganroku - Sabine Hübner - E-Book

Hekiganroku E-Book

Sabine Hübner

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Beschreibung

Mit diesem Band beschließt Sabine Hübner ihren Zyklus mit Teisho-Kommentaren zu den fünf wichtigsten Koan-Sammlungen des Zen: Mumonkan, Shinjinmei, Shodoka, Shoyoroku, Denkoroku und jetzt dem Hekiganroku, auch bekannt unter dem Namen Biyanlu oder Bi Yän Lu. 100 Koans und die Kommentare der Zenmeisterin – stets auch im Kontext unseres Lebens (und Sitzens in Zazen) heute, hier und jetzt – lassen den Schüler Einsicht gewinnen in sein eigenes Wesen, das auch Wesen des Ewigen ist.

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Seitenzahl: 988

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Sabine Hübner

Hekiganroku

«Die Niederschrift von der smaragdenen Felswand»

100 Kōans mit Teishō-Kommentaren Verlag Werner Kristkeitz

Danksagung

Die Gestaltung des Einbands erfolgte unter Verwendung einer Kalligrafie der Schriftzeichen «Hekiganroku» (chin. «Biyanlu») von Marco Genteki Röss, Schweiz.

Verlag und Autorin sind dem Künstler für die Abdruckgenehmigung zu großem Dank verpflichtet.

Weitere seiner Kunstwerke – Zen-Kalligrafien und Sumi-e (Pinselzeichnungen) – finden sich in seinem Buch Zen – weil es glücklich macht. Mit Wort und Bild auf dem Weg zur Heiterkeit, ebenfalls im Verlag Kristkeitz.

Ausführliche Informationen zu Shodō (Weg der Schriftkunst) und Sumi-e finden Sie auf der Website www.kaikatsuan.ch.

Impressum

Originalausgabe. Copyright © 2023 • Verlag Werner Kristkeitz, Heidelberg. Copyright © 2023 für die Kalligrafie (Umschlag und Seite 3): Marco Genteki Röss, Laupen, Schweiz.

Alle Rechte für sämtliche Medien und jede Art der Verbreitung, Vervielfältigung, Speicherung oder sonstigen, auch auszugsweisen, Verwertung bleiben vorbehalten.

www.kristkeitz.de

ISBN E-Book 978-3-948378-22-6

ISBN gedrucktes Buch 978-3-948378-21-9

Hinführung zur Lektüre dieses Buches

Liebe Zen-Schüler und liebe Leser dieses Buches,

die Kommentare zu der Kōan-Sammlung «Hekiganroku», der «Niederschrift zur smaragdenen Felswand», sind in erster Linie für die Kōan-Schüler der «Zen-Schule des Westlichen Himmels» bestimmt.

Aber auch andere Leser, die sich durch die geheimnisvollen und uralten Zen-Geschichten aus dem alten China, die teilweise in den zauberhaft schönen chinesischen Bergen ihren jeweiligen Ursprung hatten, angezogen fühlen, seien herzlich gegrüßt und dazu willkommen geheißen, sich in die Kōan-Begebenheiten der alten, großen Meister und Mönche zu vertiefen und vielleicht sogar mit ihnen – auf gewisse Weise beim Lesen – mitzuerleben, was diese Helden des Geistes erfuhren und taten. Immer aber ging und geht auch jetzt es darum, zutiefst die Wirklichkeit zu erfahren, so, wie sie ist.

Ich möchte ausnahmsweise gern ein wenig aus dem «Nähkästchen» plaudern, wie die Kōan-Texte, die ja zuerst nur auf Chinesisch existiert hatten und mit denen unsere Zen-Schule arbeitet [Anmerkung 1] , endlich in deutscher Sprache bei uns gelandet sind und wie notwendig dies war. Schließlich erwies es sich aber auch als dringend notwendig, wenigstens für unsere Schule, auch die bereits deutschen Texte gründlich in sprachlicher Hinsicht zu überarbeiten. Dies wird hier auch berichtet. Es gab viele sehr fleißige Helfer, um für uns alle die klassischen Kōan-Texte letztendlich in eine gute deutsche Sprache zu bringen. Denn damals, als wir Schüler, die wir auf dem St. Georgenberg in Österreich mit unserer Zen-Schulung anfangen durften, waren wir noch nicht mit guten Kōan-Übersetzungen gesegnet wie heute. Nur das Mumonkan war hier und da in mehreren nicht miteinander identischen Übersetzungen vorhanden.

Werfen wir einmal einen Blick auf die Texte in deutscher Sprache und wie sie in unsere Hand kamen. Nehmen wir ein Beispiel aus dem Kōan «Hekiganroku Nr. 86, ‹Unmons helles Licht›», den verschiedene Übersetzer in unterschiedlichem Sinn – sogar völlig gegensätzlich – übertragen haben, wohl je nach ihrem eigenen Verständnis. Zen-Schüler sollten dann die übersetzten Texte so für ihre Kōan-Übungen verwenden. In einer Übersetzung von diesem Kōan ‹Unmons helles Licht› hieß es: «Wenn man dieses klare Licht sieht, kann man es nicht sehen, es ist vollkommene Finsternis.» Wieder jemand anders meinte, so habe das doch nicht Hand und Fuß; das hieße ja, mit der Erleuchtung stürze man sich in Finsternis, und besser sei es demnach wohl, sie gar nicht erst zu erfahren. Da kann man nur hoffen, dass ein fähiger Zen-Lehrer einem solchermaßen verwirrten Schüler hilft, die Angelegenheit zu klären.

Wieder jemand anders, und zwar sehr Pietätvolles, meinte, genau das sei ja auch die Absicht der Kōan-Schreiber und der alten Meister! Licht bestünde eben nun mal aus Finsternis! O nein, o nein! Kōans sind mit rationaler Logik zwar nicht zu lösen, sondern durch die Erfahrung der wahren Selbstnatur. Einen haarsträubenden Blödsinn müssen wir aber trotzdem nicht daraus machen.

In einer anderen Übertragung heißt es: «Alle Menschen ohne Ausnahme haben ein helles Licht. Wenn du es anschaust, siehst du kein Dunkel. Was ist das helle Licht, das alle Menschen besitzen?» Ja, das ist sicher eine korrekte Übertragung aus dem Chinesischen ins Deutsche.

Solche Unterschiede sind in mehreren Übersetzungen zu finden. Wirre und sinnlose Sätze in alten Zen-Texten legen die Vermutung nahe, dass es sich bei solchen Texten wahrscheinlich um Übersetzungsfehler handelt.

Übersetzungsfehler sind bei Kōan-Texten eigentlich auch kein Wunder, denn im Chinesischen und Japanischen gibt es grammatikalisch nicht solche Sätze wie in unseren westlichen Sprachen (z. B. mit Subjekt, Prädikat und Objekt). Auch haben wir andere Begriffe und eine ganz andere Denkweise und Art, unsere Sprachen hier in Europa zu gebrauchen.

Wir entdecken also in den in Kanji (chinesischen Schriftzeichen) geschriebenen uralten Zen-Texten keine Sätze, wie wir sie in unserer Sprache bilden.

Vom Chinesischen ins Japanische: Ich weiß von Kōan-Texten, die zuerst von Japanern, die des Chinesischen mächtig waren, auch für den eigenen Bedarf aus dem Chinesischen übersetzt wurden, aber da fängt möglicherweise die Fehlerkette hier und da schon einmal an. Diese japanischen Texte wurden von den Japanern in der Zen- und Kōan-Schulung verwendet. Da nicht alle Japaner Chinesisch oder gar gut Chinesisch können, sind möglicherweise nicht immer die japanischen Kōan-Texte dem Original entsprechend. Ich habe einige Kōan-Übersetzungen eines deutsch-chinesischen Gelehrten mit denen aus Yamada-Rōshis Büchern verglichen. Da fand ich, dass der Sinn gar nicht immer in beiden Texten der gleiche war, obwohl es sich bei meinen Vergleichen jeweils um dasselbe Kōan gehandelt hatte.

Aber – in Japan waren und sind jedenfalls japanische Kōan-Texte da, mit denen die dortigen Schüler üben! Wahrscheinlich gab es sogar schon in Japan uralte Übersetzungen aus dem Chinesischen, ehe die westlichen Menschen nach Japan kamen, um dort Zen zu studieren. Jedoch findet man überall, wo man nachschauen und verschiedene Übersetzungen vergleichen kann, immer wieder andere Bedeutungen in jeweils beiden Sprachen. Immerhin – Japan hat japanische Kōan-Texte.

Interessehalber Folgendes: Viele japanische Rezitationen in Japan werden in Alt-Sinojapanisch durchgeführt. Willigis Jäger hat erzählt, dass seine japanischen Dharma-Brüder diese Rezitationen, die als japanisch galten, nicht verstehen konnten. Sie fragten Willigis, was dieses und jenes bedeutete, aber Willigis wusste es als Deutscher erst recht nicht, nur eben, dass es sich um ein sehr altes Sinojapanisch handelte. Da ist die Übersetzung aus uralten in moderne Sprachen wirklich schwer!

Aber dieser kleine Abschweifer ins alte Sinojapanisch ist für uns hier nicht von Bedeutung. In der Kalligrafie mag das ja wichtig sein, für uns nicht.

Vom Japanischen ins Englische: Also kommen wir nun wieder zu dem Abenteuer, wie Willigis Jägers Zen-Schüler endlich zu ihren deutschsprachigen Kōan-Texten kamen: Yamada-Rōshi hatte viele englischsprachige Kōan-Schüler in Kamakura, Japan, die zwar teilweise etwas Japanisch gelernt hatten, aber eben nur wenig. Schließlich sprach Yamada-Rōshi fließend Englisch. Kōan-Arbeit auf Japanisch war für diese Schüler kaum möglich. Trotzdem versuchten sich die Amerikaner zusammen mit einigen ihrer japanischen Dharma-Geschwister großherzig in der Übertragung der vorhandenen japanischen Kōan-Texte ins Englische. Also wurden die Kōans von Engländern und vor allem Amerikanern vom Japanischen ins Englische übersetzt. Damit hatte nicht nur Yamada-Rōshi in Japan, sondern auch Willigis Jägers Zendō die Kōan-Bücher der Sanbō-Kyōdan-Schule auf Englisch zur Verfügung! Die Zen-Schüler erhielten allesamt die englischen Kōans auf losen Blättern, die bei Bedarf immer wieder kopiert wurden! In Japan und Deutschland wurden nun also die Kōans auf Englisch geübt. Das Englisch war sicher gut, aber hat auch der Inhalt, der Sinn, gestimmt? Schließlich kamen die Kōan-Geschichten aus China! Alle unsere Kōan-Sammlungen kommen aus China und nicht aus Japan.

Alle deutschen Zen-Schüler von Yamada-Rōshi, die in Kamakura im San-un-Zendō lebten, praktizierten ihre Kōan-Schulung problemlos ebenfalls auf Englisch, denn Yamada konnte natürlich sehr gut Englisch sprechen.

Vom Japanischen ins Deutsche: Nach abgeschlossener Zen-Schulung kamen Willigis Jäger und nach ihm andere bei Yamada in Japan ausgebildete westliche Zen-Lehrer nach Deutschland und in weitere europäische Länder. Für uns Deutsche war es dringend notwendig, Kōan-Bücher der Sanbō-Kyōdan-Schule auf Deutsch zu bekommen. Die englischen Übersetzungen waren nicht immer nur die reine Freude für uns. Wir fühlen nicht englisch. Zwar gab es hier Übersetzungen ins Deutsche von Wilhelm Gundert und Heinrich Dumoulin, die sich teilweise wirklich nett lesen, aber nicht immer jeden von uns zufriedenstellten, vor allem, was die Kommentare der Kōans betraf. Man fertigte also für meine Schüler-Generation bei Willigis Jäger durch unsere – teilweise englischsprachigen, aber auch deutsche – Dharma-Onkel und Dharma-Tanten, deutsche – zendōinterne – Übersetzungen an, die nicht als Bücher herausgegeben wurden, sondern die wir – wie zuvor die englischen – auf losen Blättern erhielten. Diese Blätter waren, wie gerade gesagt, teilweise von sehr freundlichen Amerikanern, Zen-Lehrern und -Lehrerinnen, für uns aus ihrem Englisch oder auch Japanisch übersetzt worden! Für unsere deutschen Texte waren wir nun unendlich dankbar, auch deshalb, weil nicht jeder deutsche Zen-Schüler brillant Englisch verstehen konnte.

Dummerweise waren aber auch die deutschen Texte nicht immer klar und sauber verständlich. Oft war das Deutsch nicht wirklich ein korrektes und angenehmes Deutsch. Wir konnten manchmal gerade so erkennen, was gemeint war. Ja, und so suche ich hier und da immer noch einmal danach, wie nun ein Kōan-Text wirklich, wirklich, wirklich lautet! Auch mein Verleger hat schon gestöhnt: «Muss ich jetzt wirklich auch noch Chinesisch lernen?» Zum Glück kann er Japanisch, das war schon auch oft eine Rettung, vor allem, weil die Kanji im Chinesischen und Japanischen ganz gleich sind.

Was war nun unsere Aufgabe als Zen-Schüler? Falls jemand darauf eine Antwort erhofft: Wir gehen darauf hier nicht ein. Bei diesem Buch geht es niemals um eine klassische Kōan-Lösung, denn solche Lösungen werden nie und nirgendwo verraten. Sie dürfen in keinem Buch auftauchen.

Vom Englischen ins Deutsche: Liebe Zen-Schüler unserer Schule, all die Mühen, anständige Übersetzungen herzustellen, haben sich gelohnt. Es wird auch weiter daran gearbeitet, dass ihr möglichst nah am Original ausgerichtete Übersetzungen bekommt, deren Inhalt und Sinn klar und deutlich das Gemeinte aussagen, damit ihr die alten Geschichten verstehen und genießen könnt. Auf diese Weise finden wir uns hier und da auch in China wieder, dort, wo die alten, weisen Meister vor langer Zeit gelebt haben. Dazu verhelfen auch die Text-Auslegungen der Kōans in Form von Teishōs, die täglich in den Sesshins unserer Schule zu den Kōan-Geschichten gegeben werden.

In den Büchern wie auch dieser Arbeit bilden die Teishō-Kommentare zu den klassischen Kōans die einzelnen Kapitel. Wir bemerken dabei, dass es sich bei den alten Meistern und ihren Mönchen um richtige Menschen wie uns handelte.

Zum Schluss noch dieses: Jedes Kōan wurde seit Jahrhunderten zu unserer Übung für uns überliefert, und viele Zen-Schüler auf der Welt kamen mithilfe der Kōan-Schulung bei einem tüchtigen Meister zu einer tiefen Erleuchtung. Die Schüler arbeiten auch heute noch und weiterhin damit und bringen ihre Lösung, Kōan für Kōan, ins Dokusan. Die Kōan-Geschichten aber, diese alten Begebenheiten, die uns da überliefert wurden und weiterhin werden, sind außer den Übungsaufgaben im Dokusan auch lauter kostbare Lehrstücke, die wir uns in den Teishō-Kommentaren nahe bringen. Sie helfen uns für unser alltägliches Leben, die Dinge zu durchschauen. In vielen davon entdecken wir uns selbst wieder. Das ist es auch, was unsere Aufgabe in diesem Leben ist, nämlich uns selbst zu finden.

Nun machen wir uns voller Freude an die Kōan-Abenteuer heran! Der eine oder andere Leser dieses Buches erfährt vielleicht die Inspiration, sich ebenfalls auf die Wanderung zu sich selbst zu begeben.

Liebe Schüler auf dem Weg! Geht weiter diesen Euren gesegneten Weg und lasst Euch dabei durch nichts beirren!

Eure Sabine

1 • Bodhidharmas ‹Weit und leer›

Kaiser Bu von Ryō fragte den Großmeister Bodhidharma:

«Welches ist der höchste Sinn der Heiligen Wirklichkeit?»

Bodhidharma sagte: «Weit und leer – nichts von heilig.»

Der Kaiser fragte weiter: «Wer ist das da Uns gegenüber?»

Bodhidharma erwiderte: «Ich weiß es nicht.»

Der Kaiser war ihm nicht gewachsen.

Schließlich überquerte Bodhidharma den Fluss Yangtse und kam in das Königreich We.

Später wandte sich der Kaiser an den edlen Baoji und fragte ihn nach seiner Meinung.

Der edle Baoji sagte: «Aber Eure Majestät wissen doch wohl, wer dieser Mann ist?»

Der Kaiser erwiderte: «Ich weiß es nicht.»

Baoji sagte: «Er ist der große Held Avalokiteśvara, der das Siegel des Buddha-Geistes übermittelt.»

Da reute es den Kaiser, und er wollte Bodhidharma durch einen Boten zurückholen.

Baoji sagte: «Es hat keinen Sinn, dass Eure Majestät ihn durch einen Boten zurückzuholen versucht. Selbst wenn ihm alle Menschen des Landes nachliefen, er würde nicht mehr umkehren.»

Dieses berühmte Kōan taucht auch in anderen Kōan-Büchern als diesem auf und wurde jeweils hier bei uns im Zendō auch kommentiert. Diese Begebenheit ist jedoch sehr vielschichtig, und alle Aspekte davon sind es wert, nach und nach betrachtet zu werden, nicht rational allerdings, oh nein, sondern im tiefsten Wesen.

Also beginnen wir damit. Bodhidharma war der 28. Vorfahr in Indien. Das heißt, er war ein Nachfolger des Mahākāśyapa, welcher einer der großen Schüler und der erste Nachfolger von Śākyamuni Buddha war. Bodhidharma war ein Prinz, der dritte Sohn eines Mahārājas, also eines indischen Großfürsten. Bodhidharma fuhr lange nach Beendigung seiner Zen-Schulung bei seinem Lehrer, dem 27. Vorfahren, mit dem Schiff von Indien hinüber gen Osten nach China und wurde dort der erste chinesische Zen-Vorfahr. Er brachte also die Linie der alten und ersten Zen-Vorfahren aus Indien nach China. Bodhidharmas Absicht war es, die praktische spirituelle Lehre, die nicht auf Buchstaben und Worten, sondern auf der kristallklaren Erfahrung der Wirklichkeit beruht, nach China zu bringen. Aber ganz so weit sind wir jetzt noch nicht.

Bodhidharma kam also in China an. Als Erstes machte er dem Kaiser Wudi [Anmerkung 2] aus der Liang-Dynastie seinen Höflichkeitsbesuch. Der Kaiser und die Hofleute staunten wohl nicht schlecht beim Anblick des fremden Mönches. Der Kaiser selbst soll auch ein buddhistischer Mönch gewesen sein, der für die Ausbreitung des Buddhismus in China viele gute Werke getan hatte. Dem und den üblichen Sitten entsprechend, wirkte er in seiner Erscheinung vielleicht sogar noch etwas mönchischer als Bodhidharma. Dieser hatte riesengroße runde, ausdrucksvolle Augen und – für Mönche unüblich – einen gewaltigen und wilden Bart und einen ebenso wilden Haarschopf auf dem Kopf. Auf alten chinesischen Zeichnungen und Gemälden ist dies eindrucksvoll dargestellt. Da ist auch der Kopf bis über die Ohren dicht bewachsen, nur die Schädelplatte in der Mitte ist kahl. In Indien bieten die Mönche nun einmal nicht immer eine äußere Einheitserscheinung. Von Bodhidharma sagt man, er habe nicht nur einen wilden, sondern auch einen roten Bart gehabt. Dieser rote Bart wird heute noch symbolisch für Bodhidharma verwendet, darüber hinaus aber auch für Bodhidharmas zweifellose Erleuchtung, darüber noch weiter hinaus auch für Erleuchtung an sich – und schließlich für die ersehnte Erleuchtung aller übenden und suchenden Mönche.

Eine sich durch die Jahrhunderte hinweg wiederholende Frage lautet etwa so: ‹Warum kam der rotbärtige Barbar aus dem Westen?›

‹Der Barbar› heißt ‹der Fremde›. Auf die Chinesen damals musste Bodhidharma trotz seiner Mönchsrobe sehr fremd gewirkt haben.

Die eigentliche und oft verschlüsselte Frage nach dem Sinn von Bodhidharmas Kommen aus dem Westen, nämlich aus Indien, bedeutet in Wirklichkeit klar und unverschlüsselt ausgesprochen die Frage: ‹Wie kann denn ich Erleuchtung erfahren, möglichst eine solche wie die Erleuchtung des Bodhidharma?›

Aus der Begebenheit des Besuches von Bodhidharma beim Kaiser geht hervor, dass Bodhidharma sehr wohl tiefe Einsicht in das Wesen der Welt gewonnen hatte, der Kaiser aber nicht. Der Kaiser bewegte sich in seinen Vorstellungen ausschließlich auf der dualistischen Ebene. Das Wesen der Welt ist jedoch ein Einziges Sein. Da gibt es nichts Dualistisches. Diese Tatsache ist einem Erleuchteten durch Erfahrung wohlbekannt. Dem Kaiser Wudi ging die Erleuchtung also noch ab.

Wudi hatte schon seit Jahren vor dem Treffen mit Bodhidharma sehr viel Gutes aus seiner buddhistischen Überzeugung heraus getan. Er war ein gerechter Kaiser, der auch viele Mönchsklöster und Tempel gebaut und Mönchsgemeinschaften gegründet hatte. Ihm lag ja etwas an der Volkserziehung mithilfe des Buddhismus. Nun ja, er war auch ein bisschen stolz darauf, und er hatte einen kleinen Hintergedanken dabei. Das sehen wir gleich.

Bodhidharma erschien also vor dem Kaiser, der sich wohl über das wilde Aussehen seines Besuchers wunderte. Er wusste jedoch schon von vornherein, dass hier vor ihm höchstwahrscheinlich eine bedeutende Persönlichkeit stand, auch wenn ihm noch nichts Genaues über den indischen Mönch bekannt war.

Der Kaiser wollte diesem Mönch auf den Zahn fühlen. So fragte er ihn: «Was ist der höchste Sinn der Heiligen Wirklichkeit?»

Bodhidharma sagte schlicht und ohne zu zögern: «Weit und leer – nichts von heilig!»

Der Kaiser wunderte sich: Was meinte dieser Bursche? Da ist keine Heilige Wirklichkeit? Der Kaiser fühlte sich verprellt. Er schaute Bodhidharma streng an und fragte ihn grollend: «Wer ist das da Uns gegenüber?» Der Kaiser sprach von seiner eigenen kaiserlichen Person im Plural. Er wollte wissen, mit welchem unverschämten Kerl er es da zu tun hatte.

Bodhidharma antwortete wahrheitsgemäß auf die Frage, wer er sei: «Ich weiß es nicht.»

Damit hatte er den Kaiser allerdings nicht etwa verkohlt, sondern ihm nur ehrlich, freundlich und höflich seine Frage beantwortet. Bodhidharma kannte sein Wahres Wesen als seine einzige eigene Identität. Diese aber lässt sich nicht durch einen Begriff oder eine Beschreibung definieren. So sagte er schlicht: «Ich weiß es nicht.»

Wudi konnte sich jedoch ‹nicht in ihn finden›, wie es heißt, oder auch, ‹der Kaiser war ihm nicht gewachsen.›

Es ist bekannt, dass der Kaiser bei Bodhidharma doch noch versuchte, Eindruck zu machen und die Situation für sich zu retten. Es heißt, er habe seinem Besucher mitgeteilt, wie viele und welch gute Taten er für die Ausbreitung des Buddhismus getan hatte, ja, er habe Klöster und Tempel gebaut und viel für den Buddhismus bewirkt. Der Kaiser glaubte, mit diesen Handlungsweisen habe er für sich viele und gute Verdienste erworben, und tatsächlich fragte er den Mönch Bodhidharma: «Welche Verdienste habe ich mit diesen meinen guten Taten erworben?»

Bodhidharma aber antwortete: «Keinerlei Verdienste!»

Da soll der Kaiser sehr böse geworden sein. Bodhidharma aber ging fort. Er überquerte den Fluss Yangtse und kam in das Königreich We.

Hatte Bodhidharma denn recht damit, dass gute Werke mit Verdiensten nichts zu tun haben? Ja, natürlich: Wer Gutes tut, um dafür eine Gegenleistung für sich zu bekommen, versucht ja, den Himmel zu korrumpieren. Die Wirkungen davon dürften eher verheerend ausfallen. Darum hatte Bodhidharma ja auf des Kaisers Frage nach dessen Verdiensten gesagt: «Keine Verdienste!»

Der Himmel belohnt und bestraft nicht, sondern worauf es ankommt, ist der menschlich-spirituelle Entwicklungsstand der jeweiligen Person, und es kommt nicht auf die schlauen Tauschgeschäfte mit dem Himmel oder mit Gott, der doch kein Geschäftsmann ist, an.

Vor vielen Jahren habe ich einmal einen ganzen Tag lang Vorträge von einem tibetischen Rinpoche gehört, in denen die Zuhörer von morgens bis abends immer wieder aufgefordert wurden, gute Taten zu tun, um Verdienste zu erwerben, und das wiederum, um sich damit eine günstige Wiedergeburt zu verschaffen. Diese Geisteshaltung und deren Umsetzung beruht auf Bestechung.

Solche Geschäfte bewirken jedoch kein Heil, sondern Unheil. Es ruht kein Segen auf ihnen. Darum lasst uns umsonst und ohne Hintergedanken ein heilsames Leben führen! Darin liegt auch große Freude.

Ja, nun saß Kaiser Wudi da und wusste nicht, was er von seinem merkwürdigen Besucher halten sollte. Er fragte sich: Die Heilige Wirklichkeit hatte mit Heiligkeit überhaupt nichts zu tun? Was meinte der Mönch damit? Und weiter – seine, des Kaisers, edlen und großen Werke würden ihm keine Verdienste bringen? Alles umsonst?

Auch ein berühmter und vielleicht sogar guter Kaiser hat nicht unbedingt die große Weisheit mit goldenen Löffeln gegessen!

Schauen wir uns das an: Was ist heilig, und was ist nicht heilig? Die Wirklichkeit ist wohl heilig, wenn man sie unbedingt so nennen möchte. Zugleich damit ist sie aber auch profan, also nicht heilig, wenn man so sagen will. Kann mir jemand definieren, was ‹heilig› ist? Da die Wesensnatur der ganzen Welt, ja, des Universums, absolut ist, kennt sie von ihrem eigenen Wesen keine Ausnahme. So, wie sie ist, so ist sie. Die Wesensnatur ist – sagen wir einmal – ausnahmslos heilig. Dies ist keine Heiligkeit im Gegensatz zu einer Unheiligkeit. Also können wir die Sache nennen, wie immer wir wollen, heilig oder profan. Mein Zen-Meister sagte mir aus Anlass dieses Kōans: «Nichts ist heilig, und nichts ist profan.» In der tiefsten Wirklichkeit ist kein Unterschied zwischen heilig und profan. Die tiefste Wirklichkeit ist immer nur ‹so›. Uns darauf zu einigen, dass die Wesensnatur mitsamt allem, was in ihr lebt und webt, entweder für heilig oder für nicht-heilig zu halten sei, wäre eine unzulängliche Sicht der Welt. Kein Wort und kein Satz kann die Wesensnatur, welche die absolute Wirklichkeit ist, beschreiben. Jede Beschreibung wäre unzutreffend, wäre unzulänglich.

So sagte Bodhidharma dem Kaiser wahrheitsgemäß, die Wirklichkeit habe nichts mit Heiligkeit zu tun. Der Kaiser hätte lauschen sollen, nachspüren, ahnen, ja, vielleicht erfassen und klar hören und schauen, was der edle Mönch da ihm gegenüber sagte. Stattdessen grollte der Kaiser und geriet in finstere Stimmung. Die Sache mit dem ‹Verdienste-Erwerben› beziehungsweise dem genauen Gegenteil davon hat seine Stimmung nicht besser gemacht.

Bodhidharmas Rettungsaktion lief ins Leere. Wie schade!

Später, als Bodhidharma schon lange nicht mehr in der Gegend weilte, wagte es Kaiser Wudi, den edlen Baoji, der wie Bodhidharma ebenfalls ein Mönch war, zu fragen, was er von dem fremden Mönch aus Indien für einen Eindruck gehabt habe.

Der edle Baoji antwortete erstaunt: «Aber Eure Majestät wissen doch wohl, wer dieser Mann ist?!»

Der Kaiser schüttelte den Kopf und sagte: «Ich weiß es nicht.»

Merkt Ihr? Weder Bodhidharma wusste, wer er war, noch der Kaiser wusste, wer Bodhidharma war. Beide sagten: «Ich weiß es nicht.»

Ich nehme aber an, dass der Kaiser zu wissen glaubte, wer er war.

Keine Erklärung der Welt kann sagen, wer Bodhidharma war, wer überhaupt irgendein Mensch ist. Dafür müsste jemand erklären können, was die Wesensnatur ist, die wahre Identität eines jeden Menschen. Dies aber kann niemand sagen, erfahren sehr wohl, kennen wohl, aber nicht sagen.

Da informierte der edle Baoji den Kaiser über Bodhidharmas Rolle auf Erden und teilte ihm mit: «Er ist der große Held Avalokiteśvara, der das Siegel des Buddha-Geistes übermittelt.»

Herrlicher konnte der edle Baoji es dem Kaiser kaum mitteilen. Der Kaiser fiel beinah in Ohnmacht, als er begriff, welchen Fehler er in seiner Unkenntnis dem Bodhidharma gegenüber begangen hatte. Er bereute zutiefst, Bodhidharma so schmählich und verächtlich behandelt zu haben. Um sein Verhalten wiedergutzumachen, wollte er Bodhidharma durch einen Boten zurückholen lassen, um ihn sodann zu ehren. Der edle Baoji, der Bodhidharmas Wesen wohl erkannt hatte, riet davon ab und sagte: «Es hat keinen Sinn, dass Eure Majestät ihn durch einen Boten zurückzuholen versucht. Selbst wenn alle Leute im Land ihm nachliefen, er würde nicht mehr umkehren.»

Nein, eine wahre Entscheidung wird getroffen, und sie wird ohne Reue und ohne Zweifel ausgeführt. Bodhidharma schaute nicht mehr zurück.

Der indische Mönch Bodhidharma wanderte in den Norden Chinas und ließ sich im Shaolin-Kloster, das sich auf dem Berg Sung befand, nieder. Es heißt, hier habe er neun Jahre lang mit offenen Augen vor der Wand gesessen. Die Legende erzählt, Bodhidharma habe sich, um bei der Meditation nicht einzuschlafen, die Augenlider abgeschnitten, und daher würde er auf allen Bildern mit riesengroßen Augen, die er ja auch gehabt haben soll, dargestellt.

Nun, Bodhidharma hat sich keine Augenlider abgeschnitten! Es sei darauf hingewiesen, dass die Inder die größten, schönsten und eindrucksvollsten Augen der Welt haben, und das galt auch für Bodhidharma.

Schließlich nahm Bodhidharma den Dazu Huike [Anmerkung 3], der zuvor tagelang draußen im Schnee hatte warten müssen, zum Schüler an.

Zuvor jedoch sagte Bodhidharma ernsthaft und eindringlich warnend zu diesem im Schnee sitzenden um Schülerschaft Ersuchenden:

«Ohne ein sehr langes Training und schier unerträglich harte Arbeit kann der höchste, geheimnisvolle Buddha-Weg nicht beschritten werden. Niemals kann man Es erreichen mit Eigendünkel, schwächlicher Tugend, oberflächlicher Weisheit und halbherzigem Einsatz.»

Dieses gilt für alle Schüler des Weges. Wer sich freudig und mit höchster Achtsamkeit der Übung hingibt, dem ist der von Bodhidharma beschriebene Buddha-Weg leicht und süß.

2 • Jōshūs ‹Höchster Weg›

Jōshū unterwies die Versammlung und sagte:

«Der höchste Weg ist nicht schwer, aber er liebt das Wählen nicht.»

Dann fügte er hinzu: «Spricht man auch nur ein Wort, wählt man schon, andernfalls haftet man an der wolkenlosen Klarheit. Der alte Mönch hier weilt nicht in der Klarheit. Wollt ihr Mönche nun an der Klarheit festhalten oder nicht?»

Da fragte ein Mönch aus der Versammlung: «Ihr sagt, dass Ihr nicht in der Klarheit weilt. Was gibt es denn dann, woran man festhalten kann?»

Jōshū sagte: «Ich weiß es auch nicht.»

Der Mönch fragte: «Wenn Ihr es nicht wisst, warum sagt Ihr dann, dass Ihr nicht in der Klarheit weilt?»

Jōshū sagte: «Du hast schon genug gefragt. Mach deine Verbeugung und tritt zurück!»

Liebe Zen-Schüler und -Lehrer, interessehalber möchte ich diesen Kōan-Text um des besseren Verständnisses willen einmal in einer uns vertrauteren Ausdrucksweise vorlesen. Also:

Jōshū [Anmerkung 4] unterweist die Versammlung und sagt: «‹Der Höchste Weg ist nicht schwer, aber er liebt das Wählen nicht.›» Dies ist der erste Vers aus dem Shinjinmei.

Dann fügt Jōshū persönlich noch an: «Spricht man aber auch nur ein einziges Wort, wählt man ja schon! Wenn man aber kein Wort spricht, haftet man an der wolkenlosen Klarheit, nämlich in der vollkommenen Leerheit. Der alte Mönch hier weilt nicht in der Leerheit.» Jōshū will bei seinen Mönchen auf Folgendes hinaus: «Wollt ihr Mönche euch nun an der Leerheit festklammern oder euch in der Welt der Form verstricken?» Taucht Jōshū seine Schüler damit in ein Dilemma? Woran könnten sie sich festhalten, an der Welt der Form oder der absoluten Leerheit?

Da fragt ein Mönch aus der Versammlung: «Ihr sagt, dass Ihr nicht in der Leerheit weilt. Was gibt es denn dann, woran man sich festhalten kann?»

Der Mönch meint mit seiner Frage: «Soll man sich denn gar nicht an den Dingen der Welt und auch nicht an der Leerheit festhalten? Nein, soll man das nicht? Was bleibt denn dann zum Festhalten noch übrig, wenn man sich nicht an Form und nicht an Leerheit festhalten soll?»

Ja, gute Frage! Was bleibt übrig, wenn alle Dinge der Welt leer sind und auch die Leerheit selber leer ist? Alles leer! Nichts da! Was bleibt dann noch zum Festhalten übrig? Kann ein Mensch sich denn an dem ‹Nichts› festhalten? Ach, dass wir Menschen uns doch immer an etwas festhalten müssen!

Jōshū sagt: «Ich weiß es auch nicht.» Was kann man denn überhaupt wissen, wenn alle Dinge leer sind? Jōshū weiß es auch nicht.

Der Mönch fragt: «Wenn Ihr es nicht wisst, warum sagt Ihr dann, dass Ihr nicht in der Leerheit weilt?»

Jōshū ist nicht in der Leerheit versunken, er sitzt nicht dort fest. Ihm ist es nicht die Hauptsache, sich etwa an der Leerheit festzuklammern. Das ist nichts das Seine! Genau davor wird er schon oft seine Mönche gewarnt haben. Es gibt nämlich tatsächlich Menschen, die nichts mehr ersehnen, als in der Leerheit zu ertrinken. Sie glauben, das sei die höchste Seligkeit. Warum fragt dieser Mönch also, was es zum Festhalten gibt, wenn es doch nichts gibt?

Jōshū sagt: «Du hast schon genug gefragt. Mach deine Verbeugung und tritt zurück!»

Das ist das Kōan. Statt ‹Klarheit› oder ‹Leerheit› könnten wir auch sagen, ‹Nichts›. Da ist kein Unterschied. Gemeint ist das im geistig-spirituellen Sinn gebrauchte Wort ‹Leere› oder ‹Leerheit›, und das hat nichts mit Nihilismus zu tun. Nun nehmen wir uns aber lieber das Kōan in seinem Originaltext vor.

Diesen Vers zitierte Meister Jōshū aus dem Shinjinmei: ‹Der höchste Weg ist nicht schwer, aber er liebt das Wählen nicht.›

Das ist der erste berühmte Satz aus dem Shinjinmei.

Würde man dauernd in diesem im Kōan-Text gemeinten Sinn ‹auswählen›, nämlich haben wollen, was auch immer es sei, es ergreifen, erkämpfen, für sich selbst behalten – und dann wieder im dazu entgegengesetzten Extrem zurückweisen, ablehnen und vielleicht voller Abneigung, gar Abscheu, bekämpfen, was man nicht akzeptieren will, ja, dann ist das Leben schwer, dann hört der Weg auf, der Höchste Weg zu sein. Warum wäre das so? Liebe Freunde, dann wären wir immer unglücklich, denn niemals wären die Umstände für uns angenehm, sondern immer nur unangenehm. Das was wir nicht wollten, wäre da und würde uns endlos quälen. Das aber, was wir unbedingt tun oder haben wollten, wäre nicht da, und wir würden uns qualvoll danach verzehren. Wir wären wütend, frustriert, würden uns ungerecht behandelt, ja, belogen und betrogen fühlen, uns gar angegriffen wähnen, und die Lebensfreude wäre dahin. Unser eigenes Ego, das uns doch eigentlich dienen soll, würde uns heillos zerschmettern.

Natürlich gäbe es auch angenehmere Umstände, aber die Zufriedenheit darüber würde mehr und mehr verblassen, weil die Unzufriedenheit über diejenigen Dinge, die wir lieber ändern würden, wenn wir es nur könnten, uns quälen würde, und so gefiele uns unser tägliches Leben schließlich gar nicht mehr.

Möchtet ihr ein Beispiel haben für das Akzeptieren von dem, was eben jetzt gerade ist? Gern: Eine Frau macht einen Großeinkauf von Lebensmitteln für eine ganze Woche mit dem Fahrrad. Dann verlässt sie den Laden mit dem Einkaufswagen und stellt fest, dass es inzwischen begonnen hat, in Strömen zu regnen. Sie packt all das Eingekaufte in ihre Fahrradtaschen. Die Taschen sind mächtig voll und schwer. Vor dem Laden kann man sich für eine Weile unter einer Überdachung unterstellen und warten, dass der Regenguss doch bald aufhören möge. Bis dahin ist alles in Ordnung. Hört nun der Regen auf? Aber nein, im Gegenteil, er wächst sich aus zu einem ungeheuer tosenden Gewitter. Würde es helfen, wenn die Frau schimpfen würde: «Ich lehne dieses Wetter ab! Ich weise das Wasser, das vom Himmel fällt, und das Donnergetöse zurück! Schluss damit!»? Sollte sie so handeln? Nein, nein, denn auch Wut, Ärger, Jammern würden gar nichts helfen, nein, gar nichts! Also steht die Frau da und wartet. Sie entspannt sich. Auch andere Kunden, die aus dem Laden gekommen waren, stehen dort und warten. Einige von ihnen rufen ihre Verwandten an, die sie nun mit dem Auto abholen kommen. Jemand hat ein Taxi bestellt und wird auch abgeholt. Die Frau mit dem Fahrrad wartet und wartet und wartet. Da nützt kein Auto zum Abholen. Sie wartet über eine halbe Stunde lang. Sie wird nicht ungeduldig. Sie beobachtet nur, was rundherum geschieht, während sie neben ihrem bepackten Fahrrad steht. Das Gewitter ist inzwischen vorübergegangen, aber ein kräftiger Regen strömt weiterhin heftig von oben herab. Es schüttet wie aus Kübeln vom Himmel. Die Frau hat immer noch die Ruhe weg. Schließlich beschließt sie, einfach auf ihr Fahrrad zu steigen und mitsamt der ganzen Last mitten im heftigen Regen nach Hause zu fahren. Sie steigt auf den Sattel. Sie ist sofort nass bis auf die Haut, und kalt ist es auch, aber sie tut, als wäre nichts, und fährt weiter. Sie freut sich, dass sie sich auf den Heimweg gemacht hat. Jetzt hat sie schon fast die Hälfte des Weges geschafft. Das Wasser fließt ihr aus den Haaren und Kleidern, es läuft kalt ihren Rücken entlang, und in den Schuhen quietscht es. Sie tut, als wäre nichts. Es ist eben so, wie es gerade ist. Weiter ist ja nichts. Und sie kommt wie eine nasse Katze zu Hause an. Sie lacht. Alle Dinge sind so, wie sie gerade sind. Sie sind nicht anders, als sie sind, denn sonst wären sie ja anders, aber sie sind einfach nur so. Das ist die Wirklichkeit.

Noch ein kleines Geheimnis zu der Geschichte: Diese Frau hatte über vierzig Jahre lang Zazen-Erfahrung.

Noch einmal: Nichts kann jemals anders sein, als es gerade ist. Das nennt man das ‹So-Sein›.

Wenn in einer solchen Situation ein Mensch schimpft, jammert, flucht, klagt, winselt, lamentiert und zetert, sich auch gleich vom Leben ungerecht behandelt fühlt und sich entsprechend beschwert – bei wem auch immer, dann ist dieser Mensch kein glücklicher Mensch. Dann ist er ein nörgelnder Mensch, und nörgelnde Menschen sind nicht glücklich.

Ja, ist denn der Mensch dadurch, dass ihm kaltes Wasser den Rücken entlangläuft, ein glücklicher Mensch? Nein, natürlich nicht deshalb, sondern unabhängig davon. Er ist es sowieso. Er kann ja nicht wählen, ob oder ob nicht Regengüsse von oben herabkommen. Dieses Menschen Glück hängt nicht davon ab, ob und was er wählt, ja, nicht einmal davon, was er bekommt, sondern es hängt davon ab, ob er akzeptiert, ohne zu bewerten, was er akzeptiert, was ihm gerade widerfährt, was er bekommt, ohne dass er es ändern kann. Er nimmt, was ihm gegeben wird – und er lacht.

Leute, wenigstens üben können wir diese Sache, und das hat Erfolg.

Ich sage einmal, dass wir vielleicht sogar eine Wahl haben, nämlich die, mit dem einverstanden zu sein, was wir nicht vermeiden können. Wir wählen das Unvermeidliche.

Das Beste ist es, jeweils das anzunehmen, was gerade so ist, wie es ist – und basta! Wir nehmen es ohne Bewertung an, einfach nur die Tatsache als Tatsache, die gerade abläuft. Denn was in diesem Augenblick geschieht, kannst du nicht ändern, denn es läuft ja in diesem Augenblick bereits ab, so wie es abläuft. So läuft jede aktuelle Tatsache ab. Niemand und nichts kann das ändern. Ja, heißt ‹annehmen› denn, es schön zu finden? Ach was, Unsinn, aber vielleicht ist es trotzdem annehmbar. Du musst es ja nicht bewerten. Erspare dir das Bewerten! Nimm es einfach so hin! Steig nicht auf jede dumme kleine Sache emotional ein! Nimm sie als aktuelle Tatsache einfach so hin!

Nun, die Frau mit dem Fahrrad ist zu Hause angekommen. Sie packt ihre Fahrradtaschen aus, stellt das Fahrrad an seinen Platz, zieht sich trockene Kleider an und hängt die nassen auf die Leine. Sie schaut die nassen Kleider an und lacht. Ist das vielleicht Lebensqualität? Na klar! Es ist ein Hauptvergnügen mit einer gewissen Komik. Wenn ihr schon wählt, was gerade jetzt stattfinden soll, dann wählt das aktuelle Faktum, das Unvermeidliche, das jetzt ohnehin gerade stattfindet! Wenn ihr wählt, was gerade ist, dann habt ihr immer alles, was ihr wollt! Ein Leiden ist da nicht!

‹Der höchste Weg ist nicht schwer, aber er liebt das Wählen nicht.›

Der höchste Weg bedeutet: Du kannst nichts anderes wählen als das aktuelle Faktum! Das ist gemeint.

Wählen – das ist auch, sich für eine unter mehreren Möglichkeiten zu entscheiden. Falls diese eine Möglichkeit sich dann als Unmöglichkeit erweist, bist du am allerbesten mit der Gegebenheit einverstanden, ohne sie zu bewerten, denn eine andere Wahl gibt es dann vielleicht nicht mehr, jedenfalls nicht in dem Augenblick. Fürs Nächste triff eine neue Entscheidung, und dann schau, ob sie sich verwirklichen lässt! Wenn ja, dann ja, wenn nein, dann nein. Aber immer ist es hier und jetzt, das Hier-Jetzt.

Aber auch dann gilt: Im jetzigen Augenblick verwirklicht sich das aktuelle Faktum, und ob du es dir ausgesucht hast oder nicht, ob du es wählst oder nicht,du kannst es nicht ändern, denn es läuft bereits ab. Also akzeptiere es als Tatsache, rebelliere nicht dagegen und versuche auch nicht, etwas anderes zu wählen! Während etwa stattfindet, ist jede Wahl überflüssig. Schimpfe, fluche und schreie nicht dagegen an, denn etwas anderes als das, was gerade jetzt geschieht, gibt es nicht!

Mein Meister, Willigis Jäger, sagte uns: «Es ist immer das aktuelle Faktum, das uns in die Erfahrung führt.»

Meister Jōshū unterweist seine Mönche und führt aus: «Spricht man auch nur ein Wort, wählt man schon, andernfalls haftet man an der wolkenlosen Klarheit…»

Spricht etwas gegen die wolkenlose Klarheit? Nein, natürlich nicht, im Gegenteil, aber es spricht eine ganze Menge gegen das Anhaften, selbst gegen das Anhaften an die wolkenlose Wesensnatur. Sie ist mit der Klarheit gemeint. Ohne sich an ihr festzukrallen, also an sie anzuhaften, kannst du sie erfahren.

Meister Eckhart hat dringend empfohlen, sich nicht an Gott zu klammern.

Nun weiter: Sprichst du ein Wort, hast du dich für das Wort, das du sprichst, entschieden. Du hast genau dieses Wort gewählt. Wählst du aber überhaupt nicht, weil doch alle Dinge sowieso leer sind, kannst du die wolkenlose Klarheit erfahren. Das ist die Leerheit, das göttliche Nichts. Ja, was willst du nun tun? Wählen oder anhaften?

Wenn du jetzt endlos sinnierst und überlegst, was womöglich ‹sinnvoller› ist, was dir ‹mehr bringt›, das Wählen oder das Anhaften, nämlich das Wählen eines Wortes, einer Handlung oder aber das Festhaften an der grenzenlosen Leerheit, dann verkrampf dich bloß nicht! Du kannst das Gewählte vielleicht gar nicht bekommen.

Die Lösung ist einfach. Hafte an gar nichts fest! Hafte nicht an den Dingen, die du haben oder nicht haben willst, und hafte auch nicht an Ideen darüber! Hänge dich nicht an der himmlisch-grenzenlosen Leerheit, der wolkenlosen Klarheit, fest! Beiße dich an gar nichts fest, sondern gehe nur angemessen mit dem Jeweiligen, das dir begegnet, um!

Unser mittelalterlicher deutscher Mystiker, Meister Eckhart, hat, wie gesagt, empfohlen, nicht einmal an Gott zu haften.

Jōshū nennt also das Nicht-Wählen die ‹wolkenlose Klarheit›. Er führt in seiner Unterweisung weiter aus: «Der alte Mönch hier weilt nicht in der Klarheit. Ich hänge darin nicht fest. Ich verliere mich nicht in der leeren Grenzenlosigkeit. Wie ist das nun mit euch, ihr Mönche? Wollt ihr nun an der wolkenlosen Klarheit festhalten und in ihr ertrinken – oder besser nicht?»

Die Mönche sind etwas verwirrt. Einer von ihnen fragt: «Meister, Ihr sagt, dass Ihr nicht in der Klarheit weilt. Was gibt es denn dann, woran man sich festhalten kann?»

Dieser Mönch meint, der Mensch – nämlich er, der Mönch – müsse sich unbedingt, unbedingt an etwas festhalten, und wenn nicht an einem Ding, einer Sache, an irgendetwas Tröstlichem, Beruhigendem, dann doch wenigstens an der großen, klaren und weiten Leerheit – und dort weilen! Aber wenn Meister Jōshū sagt, er weile nicht in der Klarheit, ja, was sollen wir dann tun? Sind wir dann nicht verloren?

So fragt der Mönch bedrückt: «Woran kann man sich denn sonst noch festhalten?» Jōshū lacht: «Ich weiß es auch nicht.» Nein, da gibt es nichts mehr zum Festhalten. Da bleibt nichts mehr übrig. Ja, ist das dann nicht der totale Untergang? Im Gegenteil, im Gegenteil! Jōshū aber lacht, denn ohne das Anhaften und Sichfestklammern ist das Leben leicht und frei geworden.

Ja, liebe Leute auf dem weg, haltet euch an gar nichts fest, nicht an euren Ideen, Einstellungen, Meinungen, Glaubenssätzen, Dingen wie euren Häusern, eurem Geld, eurer Sicherheit, der Anerkennung, die euch angeblich oder tatsächlich gebührt, aber haltet euch auch nicht an eurem Verstand, euren Werten, eurer Wesensnatur oder was ihr dafür haltet, eurem Gott, der absoluten Leerheit und allen euren Vorstellungen darüber fest! Lasst los, lasst los! Wehrt euch aber auch nicht dagegen! Das wäre bloß eine andere Form des Festhaltens, nämlich ein krampfhaftes Dagegensein. Dann hältst du dich an deiner Rebellion fest!

Die Mönche verstehen nicht, wohin Jōshū sie führen möchte. Sie erfassen nicht, dass dies die grenzenlose Unendlichkeit ist, die ganz große Weite und Freiheit, in der Jōshū selbst lebt.

Der Mönch von vorher fragt – vollkommen verwirrt: «Wenn Ihr es nicht wisst, Meister, woran man sich überhaupt noch festhalten kann, warum sagt Ihr dann, dass Ihr nicht in der Klarheit weilt?»

Nun, wenn es absolut nichts zum Festhalten gibt, gibt es auch keine Leerheit und keine wolkenlose Klarheit zum Festhalten, und es gibt auch nichts weiter zu sagen. Trotzdem hat Jōshū es überdeutlich dargelegt – mit und ohne Worte. Aber – wie immer wieder festgestellt, können Worte es so oft ja doch nicht sagen. Die Welt der Erscheinungen der Dinge ist leer, und die leere Weite ist leer. Was wäre denn nicht leer? Diese Leerheit aber ist die ganz große Freiheit! Ja, sie ist die eigene Identität! Wie sollte man sich an ihr festhalten?

So gibt Jōshū, der doch längst versucht hatte, alles Unsagbare zu sagen, dem Mönch nur noch einen letzten Rettungsschlag, und der heißt: «Du hast schon genug gefragt. Mach deine Verbeugung und tritt zurück!»

Der Mönch hat nur noch die einzige Wahl, nämlich zu wählen, was gerade ist, ohne daran zu haften, oder auch nichts zu wählen, aber ohne am Nichts zu haften – und die unendliche Freiheit zu gewinnen. Er tritt zurück. Ob er wohl schließlich Jōshūs Rat erfasst hat?

Da ruft ihm jemand hinterher: «Hey, du! Hafte an gar nichts, und wenn da überhaupt nichts mehr ist, hafte auch daran nicht! Und dann genieße dein wunderbares weites, freies Leben! Alles ist gut!»

3 • Großmeister Mazu ist schwer krank

Großmeister Mazu ist schwer krank. Der Hauptmönch des Klosters fragt ihn: «Wie ist es Euch, ehrwürdiger Meister, in der letzten Zeit ergangen? Der Großmeister antwortet: «Buddha Sonnengesicht, Buddha Mondgesicht.»

Der große und berühmte chinesische Meister Mazu Daoyi [Anmerkung 5] , in Japan bekannt als Baso, war einer der stärksten und bedeutendsten Zen-Meister im alten China. Er bildete viele Schüler zu hervorragenden Zen-Meistern aus, die ebenfalls sehr berühmt wurden. Der durch seine Fuchs-Geschichte wohlbekannte Baizhang [Anmerkung 6] , dessen japanischer Name Hyakujō vielen deutschen Zen-Schülern vertrauter ist, setzte die Hauptlinie des Mazu unmittelbar fort. Ihm folgten eine Reihe weiterer großer Meister in dieser Linie, zum Beispiel Huangbo [Anmerkung 7] , jap. Ōbaku, und Linji [Anmerkung 8] , jap. Rinzai.

Der ehrwürdige Mazu hatte rabiate Methoden, seine Schüler aus schläfrigen und traumseligen Zuständen herauszubrüllen oder zu -schlagen. Dafür wurde er berühmt, und nach ihm machten Meister vieler Generationen bis zum heutigen Tag diese Gepflogenheiten nach. Übrigens, damit es kein Missverständnis gibt: Das Schlagen und das Schreien sind nicht Zen, sondern die Zen-Übung der großen Achtsamkeit kann manchmal mithilfe solcher und anderer Methoden verstärkt werden, wenn sie denn schon angewendet werden. Die Zen-Schüler sollen aufwachen. Zen erfordert allerhöchste Wachheit, ja, Wachsamkeit, und das in tiefer Versenkung. Das ist kein Widerspruch. Da zeigt sich die Wirklichkeit. Wir versenken uns nicht beim Zazen in süße Träume, sondern in die Wirklichkeit, in das Sein.

Noch eine Bemerkung zum Thema ‹nachmachen›: Wer sorgfältig arbeitet, macht nicht nach, sondern macht selbst, was er macht. Oft sagt ein Schüler zu seinem Meister: «Der Meister Soundso sagt es aber anders als du!» Dann antwortet der Meister dem Schüler: «Ja, er sagt es anders als ich.» Fertig. Es ist nicht nötig, aus Gründen der Pietät einen allgemein verehrten Meister nachzumachen, damit ein bisschen vom Ruhm des verehrten Meisters auf den Nachahmer tropft.

Zen kommt ursprünglich aus Indien, es hieß und heißt dort immer noch ‹Dhyāna›, nämlich ‹Meditation›. Dann brachte Bodhidharma, wie ihr wisst, diese Schulungsmethode nach China, und aus dem Namen ‹Dhyāna› wurde ‹Chan›. Gemeint war und ist aber dasselbe Wort und dieselbe meditative Übung. Als wiederum später ‹Chan› nach Japan kam, wurde aus dem chinesischen Wort ‹Chan› das japanische ‹Zen›. Beide Wörter werden mit dem gleichen Kanji (Schriftzeichen) geschrieben, aber etwas unterschiedlich ausgesprochen. Unter der Bezeichnung ‹Zen› kennt die Welt diesen uralten und berühmten spirituellen Entwicklungsweg zur Erleuchtung.

Aber jetzt wieder zu Meister Mazu zurück, dem alten und etwas wilden Chinesen! In dieser heutigen Geschichte ist Mazu krank! Ja, auch ein gesunder, starker, großer, selbstbewusster Zen-Meister kann krank werden! Nicht einmal sein Erleuchtungsstand bewahrt ihn davor. Wundert Ihr Euch darüber? Ich nicht. Auch ein Zen-Meister ist ein Mensch. Vielleicht hatte ihn die Grippe gepackt, er hatte Fieber, und alle Glieder taten ihm weh. Das kann sich eine Zeitlang hinziehen. Mazu war sehr krank, wie es heißt, ja, bedenklich krank. Es ging ihm ganz einfach schlecht.

Es gibt eine sehr merkwürdige Auffassung in einigen sogenannten esoterischen Richtungen, nämlich dass erleuchtete Menschen nicht krank werden könnten, denn kranke Menschen wären selber schuld daran, dass sie krank geworden seien: Sie hätten ganz einfach ein schlechtes Karma auf sich geladen, und die Krankheit sei die Folge davon. Solche Menschen rätseln manchmal, welche Fehler oder unguten Taten ein Kranker wohl begangen hat, vor allem, wenn es sich dabei um einen Meister handelt. Der arme Kerl liegt mit Fieber und Schmerzen im Bett, und seine angeblich ‹wohlmeinenden› Freunde kommen an und reden ihm ins Gewissen. Dabei mag es viele Gründe geben, warum ein Mensch krank wird, ohne dass die Erkrankung unbedingt karmische und schuldhafte Ursachen haben muss. Er hat sich vielleicht bei der Krankenpflege angesteckt, oder eine Mutter hat ihr krankes Baby gehegt und gepflegt, vielleicht auch ihren kranken Ehemann. Ein sehr feinfühliger Mensch fängt manchmal Schmerzen von leidenden und gequälten Mitwesen auf. Er nimmt ihnen gern ein bisschen davon ab in der Hoffnung, dass es den Kranken dann etwas leichter wird. Der feinfühlige Helfer ist vielleicht ein Bodhisattva, der selbst nicht leidet, auch wenn er einem Kranken die gesundheitliche Störung tragen hilft – auf diese oder jene Weise. Wisst ihr, ‹Schmerz› und ‹Leiden› sind nicht unbedingt dasselbe. Ein Bodhisattva hat vielleicht Halsschmerzen oder Kopfschmerzen, aber er leidet nicht. Tatsächlich helfen einige Menschen durch das Auffangen von Krankheitssymptomen anderen Menschen, deren karmische Folgen mitzutragen, weil diese anderen Menschen es allein einfach nicht schaffen würden. Dazu könnte ich erlebte Beispiele erzählen, was hier aber zu weit ginge.

Wie auch immer es sich damit verhält, ist es doch auf jeden Fall sehr grausam, einem Kranken, der mit Schmerzen im Bett liegt, Vorhaltungen wegen seiner möglicherweise nicht einmal vorhandenen Fehler zu machen, durch die der Kranke seinen Zustand angeblich selbst verursacht hätte. Diese Geisteshaltung ist gefühllos und arrogant.

Da sind viel eher Trost und Mitempfinden angebracht, auch Beruhigung und Linderung für den Kranken. Wenn allerdings jemand ‹Wohlmeinendes› zum Geistesriesen Mazu gesagt hätte: «Ehrwürdiger Meister, wahrscheinlich hast du dir selber zuzuschreiben, dass du jetzt so krank darniederliegst! Wodurch hast du das verschuldet? Hast du deine jetzige Krankheit nicht selber als abhängiges Entstehen in die Welt gesetzt? Hast du dir da nicht selber nichtheilsame karmische Folgen geschaffen, die du jetzt auslöffeln musst? Was war denn dein Fehlverhalten, dass du jetzt so leiden musst?», da hätte Meister Mazu wohl schallend gelacht – und gar nichts gesagt. Er wäre nicht verletzt oder beleidigt gewesen. Er wäre amüsiert gewesen und hätte vielleicht nur den Kopf geschüttelt. Mazu war nicht empfindlich und nicht so schnell kränkbar.

Aber wieder zurück zu der Sache, die tatsächlich stattgefunden hat:

Der große Meister Mazu ist also krank, und das schon länger! Da kommt der Hauptmönch des Klosters zu ihm und fragt ihn freundlich und mitfühlend: «Wie ist es Euch, ehrwürdiger Meister, denn in der letzten Zeit ergangen?»

Der Meister sagt: «Buddha Sonnengesicht, Buddha Mondgesicht.»

Bei anderer Gelegenheit haben wir schon festgestellt, dass ein «Buddha mit dem Sonnengesicht» ein fröhlicher, gesunder Mensch mit einem hervorragenden Karma und dessen guter Wirkung sei, der deshalb ein langes Leben von eintausendachthundert glücklichen Jahren haben soll. Da hat man die glückverheißende und heilige Zahl 108 einfach noch etwas vergrößert. Ein ‹Buddha mit dem Mondgesicht› dagegen sei ein weniger glücklicher Mensch mit einem ganz kurzen und freudlosen Leben von nur vierundzwanzig Stunden.

Was möchte der kranke Meister Mazu nun damit ausdrücken, wenn er sagt: ‹Buddha Sonnengesicht, Buddha Mondgesicht›? Na, ganz einfach. Er sagt damit auf die Frage, wie es ihm in der letzten Zeit erging: ‹Mal so, mal so.› Indirekt spöttelt er mit Sonnengesicht und Mondgesicht auch etwas über die volkstümliche Vorstellung in China von einem Buddha Sonnengesicht und einem Buddha Mondgesicht. Immerhin wird da der mit dem Mondgesicht, der nur vierundzwanzig Stunden lebt, auch als Buddha bezeichnet. Das gefällt mir! Na, wer weiß, wer weiß, ob es so etwas nicht wirklich gibt! Da wollte ein Buddha einmal nur kurz in die Welt schnuppern und dann wieder gehen. Insofern hat es auch der mit dem Mondgesicht gar nicht so schlecht.

Mazu wirkt, wenigstens seine Stimmung betreffend, ganz stabil und gut beieinander. So geht es ihm: Sonne, Mond, Sonne, Mond, abwechselnd. Ja, beides kommt und geht. Er schaut, es ist schön. Sonne und Mond bescheinen sein Gesicht im Wechsel. Im gleichen Wechsel fühlt Mazu sich manchmal etwas gesünder, dann wieder etwas kränker. Aber – wie wir wissen, wurde er ja doch wieder gesund.

Wie erfahrt ihr als Zen-Schüler die Wesensnatur? Wie zeigt sie sich? Sonnenhaft? Mondhaft? Woran erkennt ihr sie? Wie macht ihr das? Oder ist es ein Geheimnis? Dann – nachher im Dokusan! Wenn ihr jetzt noch Zweifel habt, werde ich euch zwiebeln, ihr werdet schon sehen!

4 • Tokusan kommt zu Isan

Tokusan kam zu Isan. Mit seinem Pilgerbündel unter dem Arm betrat er die Dharma-Halle. Er durchschritt sie von Ost nach West und von West nach Ost. Sich umschauend sagte er: «Nichts! Nichts!», und ging hinaus.

(Setchō bemerkte dazu: «Durchschaut!»)

Als er (Tokusan) zum Eingangstor kam, sagte er zu sich: «Ich sollte doch nicht so voreilig sein.» So legte er sein zeremonielles Gewand an und ging wieder hinein, um Isan zu begegnen. Dieser saß auf seinem Platz. Tokusan raffte seine Robe und sagte höflich: «Meister!»

Als Isan nach seinem Fliegenwedel griff, schrie Tokusan plötzlich: «Katsu!», verließ die Halle mit wehenden Ärmeln und ging wieder hinaus.

(Setchō bemerkte noch einmal dazu: «Durchschaut!»)

Tokusan kehrte der Dharma-Halle den Rücken, zog seine Strohsandalen an und ging davon. Am Abend fragte Isan den obersten Mönch: «Wo ist der Neuankömmling von vorhin geblieben?»

Der oberste Mönch sagte: «Er hat der Dharma-Halle den Rücken gekehrt, die Strohsandalen angezogen und ist fortgegangen.»

Da sagte Isan: «Dieser Mann wird eines Tages eine Strohhütte auf der Höhe eines einsamen Gipfels bauen. Dort wird er die Buddhas schelten und die Vorfahren schmähen.»

(Setchō bemerkte dazu: «Reif auf Schnee häufen.»)

Wir alle kennen den großen und kühnen Meister Tokusan [Anmerkung 9] , der als junger Gelehrter tiefste Erleuchtung erfuhr, daraufhin alle seine eigenen klugen Kommentare zum Diamant-Sūtra mit einer Fackel verbrannte und rief: «Auch wenn wir schwer verständliche Lehren bis zur Neige ausgeschöpft haben, gleicht das nur einem Härchen im unermesslichen Weltraum. Selbst wenn wir die Kernpunkte aller Wahrheiten in der Welt verstanden hätten, wäre es wie ein Wassertröpfchen, das in eine große Schlucht fällt.»

Tokusan war ursprünglich ein Gelehrter des Diamant-Sūtras gewesen, ja, er nannte sich zu der Zeit sogar den ‹König des Diamant-Sūtras›, hatte aber damals die entsprechende eigene Erfahrung noch gar nicht gemacht. Er diskutierte herum und unterwies die Leute über die Inhalte dieses Sūtra, hauptsächlich, um sie von der Lehre des Huineng abzubringen, die außerhalb aller Worte und Schriften von Herz zu Herz übermittelt wurde und den Schülern die authentische Erleuchtungserfahrung auslöste. Tokusan hielt dieses erst für Unsinn, bis er eben mithilfe von Meister Ryūtan [Anmerkung 10] eine durchschlagende Erleuchtungserfahrung machte. Da begriff er die Sache mit der von Herz zu Herz übermittelten Lehre im Gegensatz zu der nur gelernten und studierten Lehre der Schriften, die höchstens über die Erfahrung der eigenen Buddha-Natur geschrieben, gelesen und gelernt wurde.

Das Diamant-Sūtra ist Teil einer Sammlung von Schriften, die sich auf den Buddha zurückführen und alle miteinander die Prajñāpāramitā-Schriften bilden und die auch, da vom Buddha stammend, Sūtra heißen, nämlich alle zusammen das Prajñāpāramitā-Sūtra. Dieser Gesamttext des Prajñāpāramitā-Sūtras hat eigene selbstständige Teile, die ebenfalls Sūtra heißen, zum Beispiel das Herz-Sūtra, wie wir es im Zendō rezitieren, und auch das Diamant-Sūtra, über das Tokusan als junger Gelehrter viele kluge Kommentare geschrieben hatte, die er, wie beschrieben, nach seiner großen Erleuchtungserfahrung mit einer Fackel verbrannte.

Das Diamant-Sūtra beschreibt, dass alle Phänomene der Welt, also alle Erscheinungen, die uns so real vorkommen, doch nur leer und ohne eigenes Sein sind. Sie erscheinen uns zwar oft als einzelne und für sich bestehende Dinge, sind es aber nicht. Sie haben also kein eigenes Sein. Die plötzliche Erkenntnis, dass auch stabil und massiv wirkende Formen in Wirklichkeit gar nicht einzeln und von allem anderen abgetrennt sind, sondern einfach nur leer und aus Geist gebildet, ja, aus – im spirituellen Sinn – Nichts gebildet sind, wird mit dem Schwert der Erkenntnis, nämlich dem Diamant-Schwert, verglichen, das in der Erfahrung alle Irrtümer und Täuschungen im Menschen durchschneidet und vernichtet. Dem Diamanten als härtestem Stein kann nichts widerstehen, was von ihm durchschnitten wird. Dieses Schwert der Weisheit durchdringt – im Vergleich – mühelos alle Illusionen! Nach ihm heißt der entsprechende Abschnitt aus der Prajñāpāramitā-Schrift ‹Diamant-Sūtra›.

Als Tokusan erkannte, dass er noch mit mangelnder Einsicht in das Wesen der Welt, das doch leer ist, bisher das gesamte Diamant-Sūtra fehlerhaft verstanden und kommentiert hatte, vernichtete er alle seine eigenen Kommentare, so wie beschrieben.

Tokusan vernichtete nicht nur das Papier, sondern seine irrtümlichen Meinungen und Auffassungen, seine Lehrsätze und überhaupt alles Überflüssige, auf das er zuvor so stolz gewesen war. Er befreite sich von jeglichen Ansichten, die er nicht mehr gebrauchen konnte, vor allem solche, die er als falsch erkannte. Tokusan war in dieser Hinsicht radikal, entsprechend seinem starken und heftigen Temperament, das sich erst im Lauf der Jahre beruhigte.

So glaubten und glauben viele Zen-Leute bis zum heutigen Tag, dass Tokusan angeblich die ganze Welt der Form weggeworfen hätte und in der Leerheit hängengeblieben sei. Es gibt sogar die Auffassung, Tokusan sei aus diesem Grund zu seiner Zeit ‹verrufen› gewesen. Zuerst war er angeblich verrufen, weil er das Zen verfolgt hatte und zu diesem Zweck im ganzen Land herumgereist war und ständig seine eigenen Kommentare in einem Wägelchen mitgeführt hatte. Dann war er verrufen, weil er später die Lehre von der reinen Erleuchtung zwar erfasst, ja, selbst erfahren hatte, dabei aber angeblich in der Leerheit auf immer hängengeblieben sei, was ja nun wirklich nicht stimmt. Einige Leute sind doch selten zufrieden, und sie kritisieren gern, wo sie nur können. So meinen wiederum andere, sogar in Zen-Kreisen, als alter Mann sei Tokusan etwas dusslig geworden. An all dem ist aber rein gar nichts dran, und dies lässt sich leicht begründen.

Es mag schon zugetroffen haben, dass Tokusan – vor allem als junger Mann – eine Neigung hatte, Dinge als nichtig abzutun und sich von so manchem abzuwenden, was ihm als ohnehin nicht existent erschien, wie es auch unser Kōan erzählt.

Schauen wir uns die Sache jetzt einmal an!

So radikal wie oft behauptet, konnte Tokusan nun gar nicht in der Leerheit gehangen haben, denn er war munter und fröhlich unterwegs, seinen Pilgerbeutel mit dem bisschen Notwendigen für die Reise über der Schulter. Ja, er war sogar zielgerichtet unterwegs, er wollte nämlich Isan besuchen. Als er dort auf dem Berg des Isan angekommen war, ging er als erstes – noch in Reisekleidung – in die Dharma-Halle und schaute sich um. Er durchschritt die Halle, wie es heißt, von Ost nach West und von West nach Ost, und er schaute sich gründlich um. Ihm entging nichts. Vielleicht befand sich dort seiner Meinung nach viel Überflüssiges, vielleicht aber auch überhaupt nichts Besonderes. Das aber war für Tokusan kein Unterschied. Alles, was er sah, war leer, war nichts weiter. Es war wie überall: Alles leer und – jawohl – ausgeformt! Hätten nur alle diese gewissen Zen-Leute, die so stolz ihre Nasen hoch tragen, die gleiche Schau wie Tokusan!

Tokusan schüttelte den Kopf und sagte: «Nichts! Nichts!» und ging wieder hinaus. Im Original rief er: «Mu! Mu!», ja noch genauer: auf chinesisch rief er: «Wu! Wu!» Nichts! Nichts! Alles war leer, nichts und niemand da! War niemand da? Gleich wird es heißen, Meister Isan saß ja da, er saß auf seinem erhöhten Platz! Aber Tokusan rief: «Nichts! Nichts!» Es ist richtig, auch Meister Isan war nichts, das große spirituelle Nichts! Herumstehende oder -sitzende Mönche waren nichts. Er selbst, Tokusan, war auch nichts. Tokusan hatte heute keine Lust, all den Dingen, die ja nichts waren, selbst wenn sie ausgeformt waren, nämlich das göttliche Nichts waren, aus dem die Welt besteht, seine Aufmerksamkeit zu schenken. Ihm genügte, dass alles Nichts war. Missfiel ihm das? Aber nein, wozu sich extra mit Missfallen abtun? Aber auch, wozu sich hier aufhalten? Alles ist in seiner unendlichen Tiefe Eins und dasselbe.

Zu dieser Stelle, an der Tokusan «Nichts! Nichts!» sagte, meint später Setchō, der die Kōans des Hekiganroku zusammengestellt hat: «Durchschaut!» Er sagt damit: «Ich habe diesen Burschen, den Tokusan, durchschaut! Steckt er denn nicht fest in der Leerheit? Gibt er denn den vielen Dingen in der Welt keine Aufmerksamkeit und Achtung? Nein, das tut er nicht! Er hängt also fest im Nichts.» So meint Setchō.

Setchō und alle, die Setchōs Meinung teilen, müssten auch uns kritisieren, denn wir üben unser Leben lang, das Mu zu wiederholen, und Mu – das heißt ja schließlich, wenn man es schon übersetzen will, ebenfalls ‹nichts› oder auch ‹ist nicht›, ‹hat nicht›, ‹gibt nicht›. Sind wir denn ihrer Meinung nach Nihilisten? Na, also! ‹Mu› ist kein nihilistisches Nichts. Vielleicht hat Setchō sich ja auch einmal geirrt.

Wieder zu Tokusan! Sehen wir, ob Setchō denn wirklich so recht hat oder eher nicht! Tokusan geht also hinaus. Wozu noch länger bleiben? Aber dann, als er bereits am Eingangstor ist, hält er inne und sagt zu sich: «Ich sollte doch nicht so voreilig sein», und er kehrt um. Er meint, er solle doch nicht gleich die Existenz all der Dinge und Menschen, nur weil sie nichts und leer waren, leugnen, denn obwohl absolut leer, gibt es sie trotzdem, sie sind ja da, und ihnen gebührt Achtung. Warum? Nun, all die vielen Dinge des Lebens und der Welt können uns ein Dharma-Tor öffnen! Also hängt er wohl doch nicht so fest, der Tokusan! Er legt sogar seine rituelle Robe an, nachdem er zuvor nur in Reisekleidung und Sandalen in der heiligen Halle herumgelaufen war, und nun geht er wieder hinein, um Isan höflich und offiziell zu begrüßen. Isan sitzt auf seinem Platz.

Tokusan rafft dem Brauch nach seine Robe und begrüßt den Meister, indem er höflich sagt: «Meister!» Isan aber greift nach dem Fliegenwedel. Was hat er vor? Er will Tokusan mit dem Fliegenwedel eins überziehen. Er will erforschen, was dieser stolze Bursche hier vorzuweisen hat. Jede der gemessenen Bewegungen des Besuchers zeugt von starker Selbstbewusstheit. Ja, Tokusan ist sich seines Selbst wohl bewusst. Als er sieht, wie Isan nach seinem Fliegenwedel greift, hat er keine Lust auf dessen Spielchen. Er stößt mit Kraft den Schrei «Katsu!» aus, wartet auf keine weitere Reaktion des Meisters, sondern geht mit wehenden Ärmeln aus dem Saal – und weg ist er.

Der Schrei ‹Katsu›, richtig ausgeführt, durchschneidet alle Gehirnkonzepte, alle Spielereien und überflüssigen Darbietungen von angeblicher oder wirklicher Intelligenz. Das ist, als ob man laut ruft: «Jetzt aber Schluss mit überflüssigem Unsinn!»

Über diese Begebenheit der Geschichte sagt Setchō: «Ich habe ihn schon wieder durchschaut!», und er gibt ihm die gleiche Diagnose wie zuvor und wie die meisten der heutigen Zen-Spezialisten: «Tokusan hängt in der Leerheit.» Dieses ist jedenfalls die landläufige Meinung vieler, die mit Kōans arbeiten und anderen Menschen die Kōan-Lösungen abverlangen. Mindestens eine ganze Zen-Schule behauptet es. Ich meine, da fehlt doch manchmal etwas mehr Menschenkenntnis. Tokusan bleibt unberechtigterweise verrufen.

Tokusan hatte jedenfalls keine Lust mehr auf weitere Spielchen. Es hat ihm genügt. Er hatte ja festgestellt: «Isan ist leer, sein Fliegenwedel ist leer, Isan versucht gerade, einen leeren Schlag zu führen, es reicht mir, und das ist auch leer, und nun gehe ich, basta!»

Tokusan geht also hinaus, er geht mit Schwung, seine weiten Ärmel wehen! Er zieht seine Strohsandalen an und verlässt das Haus.

Hängt er in einer Leerheit? Ich bezweifele das nicht wenig. Er ist doch vollkommen aktiv, und ohne zu zögern weiß er, was er tut!

Und Isan? Ist er beleidigt? I wo, gar nicht! Er ist erfreut, er ist beeindruckt von diesem Jungen! Er hat dessen unbändige Kraft gesehen und eine Demonstration von seinem starken Geist bekommen. Isan selbst ist von ähnlicher Beschaffenheit.

Am Abend fragt Isan den Ersten Mönch: «Wo ist denn der Neuankömmling von vorhin geblieben?»

Der Mönch gibt Auskunft: «Er hat der Dharma-Halle den Rücken gekehrt, die Strohsandalen angezogen und ist fortgegangen.»

Da sagt Isan: «Aha! Dieser Mann wird eines Tages eine Strohhütte auf der Höhe eines einsamen Berggipfels bauen. Dort wird er die Buddhas schelten und die Vorfahren schmähen.» Das ist höchste Anerkennung von Isan für den Tokusan. Es heißt so viel wie: Dieser Mann ist den Buddhas und den Vorfahren überlegen.

Isan hat das Wesen, die Persönlichkeit des Tokusan sehr schnell und klar durchschaut! Ich würde sagen, er ist von Tokusan begeistert, und Isans Worte spenden ihm auf ebenso wilde, starke Art, die der Art des Tokusan selbst entspricht, hohe Anerkennung!

Setchō jedoch kann es nicht lassen! Oh, Setchō, Setchō! Er negiert hinter Tokusan her: «Was Tokusan tut, heißt, Reif auf Schnee häufen!» Schnee, Reif und Eis stehen wegen ihrer weißen Farbe sinnbildlich für die Reinheit der Wesensnatur. Mit seiner Kritik meint Setchō, das sei doch doppelt gemoppelt. Er meint auch, Tokusan müsste ja vielleicht nicht Leere auf Leere häufen. Er müsste nicht die Reinheit reinigen. Einmal aus einer Dharma-Halle abhauen und seine tiefe Schau der göttlichen Leerheit demonstrieren, genügt doch! Wozu immer noch mal und noch mal dasselbe oben drüberschütten!? Tokusan aber ist anderer Meinung. Er macht es eben so, nämlich einfach so, wie er es macht! Und basta!

Seid ihr eigentlich enttäuscht, wenn ich euch erzähle, dass Tokusan später ein sehr stabiler, ruhiger und seriöser Zen-Meister wurde, der hervorragende Schüler ausgebildet hat? Nein, ich glaube, ihr freut euch wie ich darüber! Die Kraft aber, die Kraft ging dem Tokusan niemals verloren, wie auch immer er sie angewendet hat!

Und, hat Tokusan denn auch die Buddhas gescholten und die Vorfahren geschmäht? Und ob er das getan hat! Und dies hat er mit allerhöchster Bewunderung und Hochachtung getan, mit allem, was er getan hat!