Her mit dem schönen Leben - Steffi von Wolff - E-Book

Her mit dem schönen Leben E-Book

Steffi von Wolff

0,0
9,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Fünf Jugendliche, ein Hausboot und die große Freiheit!

Nelly und ihre beste Freundin Elisa haben das Abi in der Tasche und wollen nach Hamburg ziehen, ohne Eltern. Erste Hürde: Wohnungsssuche. Doch wie der Zufall es will, stoßen die Freundinnen auf ein altes Hausboot an der Elbe, die „Erste Liebe“. Im Handumdrehen ist die coolste WG aller Zeiten gegründet, denn als auch noch die stille Felicitas, der sportliche Julius und der selbstbewusste Philipp einziehen, ist die Wohngemeinschaft perfekt – wenn auch turbulent. Ob verzwicktes Liebeswirrwarr, unerwünschte Mitbewohner oder anderes Chaos: Auf der „Ersten Liebe“ ist es immer stürmisch!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Das Buch

Endlich! Abi in der Tasche und ab nach Hamburg, weit weg von den Eltern.

Elisa macht ein Volontariat in einem Verlagshaus.

Philipp absolviert ein freiwilliges soziales Jahr im Krankenhaus.

Nelly studiert Jura.

Julius lernt bei einem Spitzenkoch.

Und Felicitas will Bestatterin werden.

Trotz aller Unterschiede gründen sie die coolste WG aller Zeiten – auf einem Hausboot.

Dabei riechen sie zum ersten Mal die große Freiheit, die allerdings auch ganz schön stürmisch sein kann …

Die Autorin

© Pressebild.de/Bertold Fabricius

Steffi von Wolff, geboren 1966, arbeitet als Autorin, Redakteurin, Moderatorin, Sprecherin und Übersetzerin. Sie wuchs in Hessen auf und lebt heute mit ihrem Mann in Hamburg. Ihre Bücher nehmen kein Blatt vor den Mund – und sind Bestseller. Da ihr Mann passionierter Segler ist und jedes Wochenende auf dem Wasser verbringt, kennt auch sie sich mit den Gegebenheiten auf einem Schiff sehr gut aus.

Mehr über Steffi von Wolff: steffivonwolff.de

Der Verlag

Du liebst Geschichten? Wir bei Planet! in der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH auch!

Wir wählen unsere Geschichten sorgfältig aus, überarbeiten sie gründlich mit Autoren und Übersetzern, gestalten sie gemeinsam mit Illustratoren und produzieren sie als Bücher in bester Qualität für euch.

Deshalb sind alle Inhalte dieses E-Books urheberrechtlich geschützt. Du als Käufer erwirbst eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf deinen Lesegeräten. Unsere E-Books haben eine nicht direkt sichtbare technische Markierung, die die Bestellnummer enthält (digitales Wasserzeichen). Im Falle einer illegalen Verwendung kann diese zurückverfolgt werden.

Mehr über unsere Bücher, Autoren und Illustratoren: www.planet-verlag.de

Planet! auf Facebook: www.facebook.com/thienemann.esslinger

Viel Spaß beim Lesen!

»Heidi Klum ist am Telefon. Nelly! Es! Ist! Heidi! Klummmmm!«

Nelly schoss aus dem Bett hoch, ihre blonden Locken standen fast senkrecht nach oben. »WAS?« Sie keuchte.

Elisa hatte die Augen weit aufgerissen und Nellys Smartphone am Ohr. »Wie bitte? Ja … klar … ja, einen Moment.« Sie ging aus dem Raum, und Nelly raste ihr hinterher.

»Warum rennst du denn weg? Spinnst du? Gib mir das Handy. Los, los.«

Elisa reichte es ihr.

Nelly atmete tief ein und aus. »Hallo. Hallo? Hallooo …« Sie sah Elisa an. »Hast du etwa aus Versehen aufgelegt? Das darf doch nicht wahr sein. Hallo?«

»Nö«, sagte Elisa. »Aber ich versuche seit einer Viertelstunde, dich aus dem Bett zu kriegen. No chance. Aber bei Heidi springst selbst du hoch. Und jetzt komm.«

»Oh Mann.« Nelly war sauer. »Du kannst einen echt fertigmachen. Davon abgesehen: Wohin soll ich kommen?«

»Laufen. Das haben wir gestern Abend ausgemacht. Dass wir heute Morgen um acht Uhr loslegen. Es ist nebenbei gesagt halb neun. Ich möchte den Tag nicht verplempern.« Sie hüpfte in ihren Laufschuhen auf und ab und war fit.

»Das war, bevor wir beschlossen haben, durch die Clubs zu ziehen.« Nelly gähnte. »Ich bin müde. Ich muss unbedingt noch schlafen.«

»Nix da, du kommst mit.«

Nelly grummelte irgendwas von »Zustände wie in Guantanamo«, zog sich dann aber ihre Laufklamotten an.

»Ist das nicht herrlich?« Sie liefen durch den morgendlichen Taunuswald, es war noch kühl, aber es würde ein toller, sonniger Tag werden.

»Ich hätte es gleich wissen müssen«, sagte Nelly giftig. »Als ob Heidi Klum ausgerechnet mich an einem Sonntagmorgen anrufen würde.«

»Ach, könnte schon sein. Die ist doch immer überall, und Zeitverschiebung gibt’s ja auch noch.«

»Trotzdem. Du hast mich mal wieder reingelegt.«

»Eine meiner leichtesten Übungen und gern geschehen. Immerhin haben wir außer Laufen heute noch mehr vor.« Elisa schaute auf ihr Fitnessarmband. »Erst sechs Kilometer. Noch vier und wir können uns den wirklich wichtigen Dingen des Lebens widmen.« Fröhlich raste sie weiter.

Nelly ahnte Fürchterliches. »Oh bitte. Nein, nein, nein«, jammerte sie. »Lieber noch zehn Kilometer und dann nicht an den Schreibtisch.«

»Ich habe dir versprochen, dass ich dich durchs Abi prügle, und ich wäre nicht deine beste, längste und treueste Freundin, wenn ich mein Versprechen nicht halte. Also nix da. Weiter geht’s.«

»Menschen wie du sollten gesetzlich verboten werden«, klagte Nelly.

»Das kannst du ja machen, wenn du Anwältin bist, ich stelle mich als Anschauungsobjekt jederzeit zur Verfügung.«

»Ich kann nicht mehr, ich brauche eine Pause.« Nelly blieb stehen und fing halbherzig mit Dehnübungen an. »Außerdem habe ich Hunger. Es ist grausam, jemanden bei Eis und Schnee ohne Frühstück aus dem Haus zu jagen.«

»Ich bitte dich, die Sonne scheint. Sei übrigens froh, dass Heidi Klum nicht wirklich am Telefon war.«

»Wieso?«

»Dann wäre Schluss mit drei Croissants und Nutella und Rührei mit Bacon. Weil ihre Meeeeeeeeeedchen müssen sich ja gesund ernähren.«

»Für GNTM würde ich sogar Sellerie und Kohlrabi essen. Mehrere Tage am Stück. Oder Kohlsuppe. Oder Spinat ohne Kartoffeln und Eier. Oder Lauch. Ehrlich. Ach, wenn es doch klappen würde.«

Elisa, die einen kleinen Rucksack dabeihatte, setzte ihn ab und zog ein kleines Päckchen heraus. »Mmhm. Leberwurstbrot. Mmmhhmmmm, Camembert …«

»Oh!« Nellys Augen leuchteten. »Du denkst an alles. Gib!«

»Gleich. Lass uns auf den Hochsitz da klettern.«

»Okay.«

Als sie oben waren, kickte Elisa die Leiter zur Seite.

»Bist du verrückt, wie sollen wir denn hier wieder runterkommen?«, regte Nelly sich auf.

»Das sehen wir dann. Jetzt …«, Elisa packte noch was aus ihrem Rucksack, »wird erst mal gelernt. Fürs Abi. Dass du mir da keine Schande machst.«

»Nein!«

»Dann geh doch«, sagte Elisa und blätterte in den Unterlagen herum. Nelly seufzte und schaute nach unten. Die Leiter lag am Boden, zum Springen war es zu tief, und außerdem würde sie Volltrottel sich dabei beide Beine brechen. Da gab es doch mal diesen schrecklichen Film, in dem ein Snowboarder aus einer Gondel gesprungen war, weil irgendein Gondelaufseher sie abgestellt hatte. Danach konnte er sich nicht mehr bewegen, und irgendwann waren dann Wölfe gekommen. Angeblich nach einer wahren Begebenheit. Nelly fand diese Filme nach wahren Begebenheiten immer ganz entsetzlich und konnte dann nie schlafen, aber sie schaute sie trotzdem.

So. Nun hockten sie also auf diesem Hochsitz.

Sie hätte es sich eigentlich denken können. Elisa kannte sie einfach zu gut. Und genauso gut kannte sie Elisa.

»Also schön«, seufzte sie. »Aber erst ein Stück Käse.«

Elisa nickte und lehnte sich zufrieden zurück. Jetzt konnte die Freundin keinen Rückzieher mehr machen.

Zwei Stunden später kamen ein paar Spaziergänger vorbei, die so nett waren, die Leiter wieder aufzustellen, und die beiden gingen nach Hause.

»Ich frag dich heute Abend noch mal ab«, sagte Elisa. »Und dann machen wir das morgen wieder und wieder und … was ist?«

Nelly war stehen geblieben und umarmte sie plötzlich. »Danke«, sagte sie. »Du bist die Beste.« Das meinte sie ehrlich. Elisa war die Bodenständigere und Stetigere der beiden. Sie war zwar auch lustig, stand aber mit beiden Beinen fest im Leben. Sie lernte, wenn es was zu lernen gab, wägte ab, ließ sich selten zu spontanen Äußerungen und Handlungen hinreißen, es dauerte lange, bis sie jemanden als Freund oder Freundin bezeichnete, und sie war ein konstanter Fels in Nellys Brandung, auch wenn sie oft Selbstzweifel plagten und sie dachte, alle anderen seien besser und hübscher als sie.

Nelly wiederum war wuschig, immer auf der Suche. Nach was, wusste sie selbst nicht so genau. Sie war hier und dort, machte dies und das, manches falsch und auch richtig, und es gab nur einen einzigen Menschen, der sie verstand, so wie sie war, und das war Elisa. Nelly dankte dem Schöpfer noch heute, dass sie und Elisa damals im Sandkasten ihre Haare so miteinander verknotet hatten, dass man sie wie siamesische Zwillinge zu einem Friseur hatte transportieren müssen, der aber auch nicht wirklich was retten konnte. Und so hatten Elisa und Nelly dann auf der einen Seite lange und auf der anderen kurze Haare, das schweißte zusammen. So war es bis heute geblieben. Nicht nur die Haare waren gewachsen, sondern auch die Freundschaft. Sie waren zusammen eingeschult worden, hatten nebeneinandergesessen, voneinander abgeschrieben und auf Klassenfahrten die Hand von Elke Braul in warmes Wasser gehalten, bis sie pinkeln musste. Nellys Vater sagte immer, die beiden könnten Werbung für Sekundenkleber machen – so fest wie diese Freundschaft war. Und er hatte recht.

Vor ein paar Monaten dann hatte Nelly sich in Frankfurt auf der Zeil von so einem Modelscout anlabern lasen. Sie sei ja so hübsch und wandelbar und sie solle eine Sedcard erstellen lassen und er würde sie alle, alle persönlich kennen, also den Karl Lagerfeld und Claudia Schiffer und Wolfgang Joop und Heidi Klum und Gianni Versace.

»Aha«, hatte Elisa gesagt, die dabei gewesen war. »Der ist doch vor Jahren erschossen worden. Und Karl Lagerfeld ist letztens erst gestorben.«

Der angebliche Scout meinte ja auch Yves St. Laurent. Dass der auch tot war, brachte ihn ein bisschen aus der Fassung, und er ging weiter. Aber Nelly hatte sich in den Kopf gesetzt, sich als Model zu bewerben, hatte an GNTM geschrieben und bislang keine Antwort erhalten. Also bis heute Morgen, als Heidi angeblich selbst am Telefon war. Elisa schüttelte über Nellys Engagement im Modelbusiness zwar den Kopf, machte sich aber trotzdem nicht lustig, sondern nahm es ernst und bestärkte die Freundin in ihrem Tun.

Sie selbst war eher für den geraden Weg zuständig: Direkt nach dem Abitur würde sie in einem Verlagshaus in Hamburg ein Volontariat machen, wenn das hoffentlich, hoffentlich klappen würde, und – so hatten sie es besprochen – Nellys Noten mussten so gut sein, dass sie ebenfalls in Hamburg Jura studieren konnte. Deswegen ergriff Elisa momentan jede Chance, um die Freundin zum Lernen zu bringen. Nicht auszudenken, wenn Nelly in eine andere Stadt müsste. Sie, Elisa, würde dafür sorgen, dass sie zusammenblieben, komme was wolle.

Inzwischen waren sie bei Elisa zu Hause angekommen. Ihre Eltern waren noch bei Bekannten und würden erst spät am Abend zurückkommen.

»Ich leg mich noch mal hin«, sagte Nelly und gähnte. »Das ist mir zu viel Power auf einmal an einem Sonntag.«

»Na gut, ich erlaube es.«

»Und du?«

»Ich lese.«

Später kochten die beiden sich Spaghetti mit Tomatensoße, füllten alles zusammen in eine große Schüssel und machten es sich auf dem Sofa mit Netflix bequem. Eine neue Staffel einer ihrer Lieblingsserien war genau das, was sie jetzt brauchten. Und sich. Herrlich.

Einige Monate später

»Ja! JAAAAA!« Nelly hüpfte herum wie eine Irre. Vor einer Viertelstunde hatten sie ihre Abizeugnisse bekommen, und Nelly hatte es geschafft, geschafft, geschafft! Sie würde in Hamburg studieren können, sie hatte die Voraussetzungen.

»Nach mir fragst du gar nicht«, beschwerte sich Elisa und tat so, als sei sie beleidigt.

»Du hast das beste Zeugnis des Jahrgangs, ich möchte nicht, dass du noch arroganter wirst«, erklärte Nelly. »Du bist eh schon so ätzend und lästerst über mich und die anderen. Eigentlich will ja niemand was mit dir zu tun haben. Du Strebertussi. Bin ich froh, dass die Schule vorbei ist und ich dich nicht mehr sehen muss.«

»Geht mir genauso. Du bist blond und dumm. Eine Hohlbirne. Aus dir wird nix.«

Sie grinsten sich an, umarmten sich wieder, und dann gingen sie zu den anderen. Heute war Feiern angesagt, aber so was von!

Einige Wochen später

»Leon, bitte.« Nelly verschränkte die Arme. »Wo ist das Problem? Ich will nicht nach Australien ziehen, sondern nach Hamburg.« Die endgültige Zusage der Uni war vorhin gekommen, und dann hatte Elisa angerufen und jubelnd mitgeteilt, dass sie die Volo-Stelle erhalten hatte. Beide befanden sich im emotionalen Ausnahmezustand. Sie wollten, dass alle in ihrem Umfeld sich für sie und mit ihnen freuten, aber zumindest Leon stand da mit hängenden Schultern und traurigem Blick und wirkte wie ein junger Beagle, den man an einer Autobahnraststätte in glühender Hitze zurückgelassen hatte.

»Das sind fünfhundert Kilometer«, winselte Leon.

»Eben. Und nicht fünfhunderttausend. Außerdem hast du doch gesagt, dass du mal länger mit dem Rad unterwegs sein willst nach dem Abi, das passt doch. Fahr doch einfach nach Hamburg und besuch uns.«

»Das sagst du so«, schniefte Leon leidend. Er hatte schon immer einen Hang zur Theatralik gehabt und war aktives Mitglied einer Laienschauspielgruppe. Leider hatte noch kein gestandener Regisseur sein überbordendes Talent entdeckt, und sämtliche Schauspielschulen, an denen er Aufnahmeprüfungen gemacht hatte, sagten ab. Wahrscheinlich weil sie sein wahres Talent einfach nicht erkannten. Deshalb hatte Leon beschlossen, eine Auszeit zu nehmen von dem ganzen Stress und ein halbes Jahr Rad zu fahren, um den Kopf mal freizukriegen. Er hatte gehofft, dass Nelly ihn begleitete, doch die hatte eine Aversion gegen Hügel, die mit einem Rad erklommen werden wollten. Nelly war eher bequem veranlagt. Ihr Credo war: Ich hasse Sport. Man kann auch in der Badewanne schwitzen.

Sie hatte trotzdem eine ganz hervorragende Figur und sah so aus, als würde sie täglich mehrere Stunden Kraft- und Ausdauertraining absolvieren, aber nichts da. Nelly verdrückte drei Tafeln Schokolade und sagte dann so Sachen wie: »Ich glaube, die Jeans ist mir zu groß«. Eine Tatsache, die Elisa fast verrückt machte. Sie selbst hatte für ein Laufband gespart, das einen Höllenlärm veranstaltete, und darauf rannte sie herum, wenn es regnete, bei schönem Wetter sprintete sie durch den Wald. Nelly konnte den Satz »Mein Stoffwechsel ist eben nicht so gut wie deiner« nicht mehr hören. Elisa haderte mit vielem. Auch mit der Erderwärmung, mit der AfD, mit Veganern und mit Leuten, denen alles egal war. Das waren die schlimmsten. Und Nelly? Nelly ließ sich einfach erst mal auf alles ein und begann dann über dieses, jenes oder was auch immer nachzudenken, oder eben – wenn es sie nicht interessierte – auch nicht. Eigentlich beneidenswert, musste Elisa zugeben, so kam Nelly wirklich gut durchs Leben. Sie selbst machte sich einfach viel zu viele Gedanken. Nelly ließ alles auf sich zukommen und lebte einfach. So wie jetzt.

»Dann lässt du mich also zurück.« Leon schluckte schwer.

»Wir haben doch alles besprochen. Und du weißt, dass ich nach Hamburg will, und nun werde ich nach Hamburg gehen. Es ist ja nicht so, dass ich dich hier vor vollendete Tatsachen stelle.«

»Du willst nicht nach Hamburg, du willst dahin, wo Elisa ist«, stellte Leon ganz richtig fest.

»Sei bitte nicht wieder eifersüchtig. Elisa ist meine Freundin und du bist mein Freund.«

»Schon bald wirst du mich vergessen haben«, klagte Leon. »Deine Mutter findet es übrigens auch nicht gut, dass du ins Ausland gehst.«

»Ins Ausland?« Nelly glaubte, nicht richtig zu hören. »Du hast recht«, sagte sie dann. »Schlimm. So weit weg von der Zivilisation, von normalen Menschen. In Hamburg wohnen ja überwiegend Kannibalen und man verständigt sich mit gutturalen Lauten und sendet sich Feuerzeichen über die Elbe.«

»Sag ich doch.« Leon war weinerlich. »Willst du deine arme Mutter in Angst und Sorge zurücklassen und …« Nelly hörte gar nicht mehr hin. So war Leon eben.

Aber ihre Mutter war in der Tat ein Problem. Henrietta war keine Helikoptermutter, sondern ein ganzes Geschwader. Nelly wollte im Alter von fünf Jahren schon mal ausziehen und hatte sogar in Erwägung gezogen, sich einfach bei einer Pflegefamilie einzuschmuggeln, am besten bei einer mit neun Kindern, da würde sie nicht so auffallen. Alles war besser, als unter Henriettas Fittichen zu leben. Henrietta war lieb, keine Frage, und sie war vernarrt in ihre einzige Tochter, aber sie hatte eben ständig die Befürchtung, was ganz Schlimmes könnte passieren. Nelly beneidete ihren älteren Bruder Alexander. Der konnte machen, was er wollte, das war immer alles ganz toll, und niemand machte sich Sorgen, wenn er drei Stunden zu spät vom Fußballtraining nach Hause kam. Wenn das bei ihr, Nelly, passierte, war es nicht unwahrscheinlich, dass nach drei Minuten schon ein Polizeigroßeinsatz mit Suchhunden ausgelöst war, die den Taunus durchkämmten, während sie an einer Bushaltestelle im Funkloch saß.

Elisas Eltern waren anders. Sie waren locker und cool, und bestimmt lag die Coolness daran, dass Elisa auf die Welt kam, als beide achtzehn gewesen waren. Jetzt waren sie sechsunddreißig. Alte Leute, keine Frage, aber verglichen mit Nellys Mutter und ihrem Vater, die beide auf die fünfzig zugingen, waren Jens und Ines fast noch Kinder. Und längst nicht so entsetzlich überfürsorglich wie Henrietta und ihr Mann Bernhard. Wobei Bernhard ganz okay war, was daran lag, dass er eigentlich immer in einem Flugzeug saß. Als Unternehmensberater flog er durch die Weltgeschichte, während Henrietta zu Hause saß und vor lauter Angst um Nelly durchdrehte.

»… könnte ich es schaffen.« Leon sah sie begeistert an.

»Was?« Nelly hatte nichts mitbekommen.

»Wenn ich vierzig Kilometer am Tag radle, dann könnte ich in ungefähr zwölf Tagen da sein«, erklärte Leon, der langsam feststellte, dass Hamburg nicht Sydney war.

»Ich habe ja noch nicht mal eine Wohnung«, sagte Nelly vorsichtig. Leon war wirklich sehr anhänglich. Sie hatte auch ein wenig die Befürchtung, dass er bleiben könnte, wenn er erst mal da war. Was er beruflich machen wollte, stand bei ihm nämlich noch in den Sternen. Studieren? Mal sehen. Vielleicht Soziologie, vielleicht Betriebswirtschaft, vielleicht Anthoprologie, vielleicht auf Lehramt, vielleicht Meeresbiologie oder oder oder. Leon war anfangs ganz amüsant gewesen und hatte Nelly von vorn bis hinten hofiert, das hatte ihr ganz gut gefallen. Aber mittlerweile war er wie eine Klette, und Nelly war ehrlich gesagt gar nicht unfroh, bald weg aus Hessen zu sein, sosehr sie ihr Heimatstädtchen Oberursel auch mochte.

»Das besprechen wir alles, wenn wir erst da sind.« Nelly schaute auf die Uhr. Mama würde gleich zu Hause sein, und dann müssten sie und Elisa, die hoffentlich auch gleich aufkreuzte, ihr das Unabänderliche sagen, nämlich dass es bei ihnen beiden mit Hamburg geklappt hatte. Dass sie es jetzt von Uni und Verlag schwarz auf weiß hatten.

Henrietta hatte das Thema »Auszug von daheim« eine Zeit lang totgeschwiegen und gehofft, dass Nelly Hamburg vergessen könnte und sich in Frankfurt einschreiben würde. Als Nelly Hamburg nicht vergaß, hatte sie Migräne und eine angeblich nicht behandelbare Krankheit in der Nase bekommen. Als das auch nichts nützte, hatte sie behauptet, am Empty-Nest-Syndrom zu leiden, dieser Krankheit, die Eltern überfällt, wenn ihre Kinder ausziehen.

»Aber ich bin doch zu Hause, Mama«, hatte der zwanzigjährige Alexander, der in Frankfurt studierte, leicht pikiert angemerkt.

Aber das zählte nicht. Es zählte nur, dass Nelly weggehen wollte und Henrietta fortan tausend Tode sterben würde, immer dann, wenn die Tochter nicht gleich ans Handy ginge. Nelly beneidete Alex. Er konnte tun, was er wollte, niemand machte sich Sorgen.

Heute Abend nun sollten die Details besprochen werden. Es klingelte an der Tür.

»Das wird Elisa sein«, sagte Nelly zu Leon. »Du musst jetzt gehen, wir haben unheimlich viel zu planen.«

»Du kannst mich doch mit einbeziehen«, schlug Leon vor. »Ich bin logistisch gut bewandert und kann euch zeigen, wie man optimal im Auto die Gepäckstücke staut.«

»Ein andermal vielleicht.« Nelly schob ihn zur Zimmertür hinaus und öffnete dann die Haustür. Es war tatsächlich Elisa. Und neben ihr stand ihre Oma, die sie gefahren hatte. Oma Angie war eine coole Socke und sehr interessiert, was ihre Enkelin betraf. Angie war fünfundsechzig und behauptete, eine Affäre mit einem der Beatles gehabt zu haben. Und mit einem der Rolling Stones. Und mit Elvis Presley. »Ich war ein Groupie«, pflegte sie zu sagen. »Im Tourbus bin ich mitgefahren. Und als Mick Jagger krank war, habe ich ihm Hühnersuppe gekocht.« Sie hatte auch Fotos von dieser Zeit und wurde nicht müde zu erzählen, wie hammergut das Leben damals war. Und Angie, diesen Hit der Stones, den hatte Mick Jagger nur für sie komponiert und gesungen, da war sie so zwanzig. Oma Angie war eine Dramaqueen und fand es da toll, wo was los war. Sie las gern blutige Krimis und war neugierig, eine Eigenschaft, die sie gern mal anecken ließ. Angie sagte auch ungefragt ihre Meinung.

»Oma Angie, wie schön, kommt rein. Tschüs, Leon.« Der schlich beleidigt davon. »Wie gut, dass du Angie mitgebracht hast«, fügte Nelly hinzu. »Angie ist wohl hoffentlich auf unserer Seite.«

»Ich will nicht stören«, sagte die Oma. »Aber als ich hörte, dass Hamburg nun spruchreif ist, musste ich einfach mitkommen. Früher hat da ja ein Serienkiller gemordet, in einer Kneipe, die …«

»Oma, bitte, jetzt nicht, und bitte, behalte das mal für dich«, bat Elisa. »Wenn Nellys Mutter das hört, können wir alles vergessen.«

»Das stimmt«, sagte Nelly.

»Na gut«, war Omas Meinung. »Ich will aber alles wissen und bin entsetzlich neugierig, aber das ist ja bekannt.« Sie zog ihre Jacke aus. Und da fuhr der Wagen mit Nellys Mutter am Steuer vor. »Vielleicht hat der Mörder Nachkommen, ich muss das mal recherchieren«, freute sich Angie. Nelly starrte sie böse an, und Angie schwieg. Man sah ihr aber an, dass ihre Fantasie Purzelbäume schlug.

»Ich würde einfach den Grund gern verstehen. Es ist doch viel einfacher, in Frankfurt zu studieren, und ein Volontariat kannst du hier auch in einem Verlag machen, Elisa. Warum muss es denn immer eine andere Stadt sein? Von Oberursel seid ihr mit der S-Bahn ruck, zuck in Frankfurt.« Nellys Mutter Henrietta atmete hörbar ein und aus. »Schon schlimm genug, dass es überhaupt diese unterirdischen U- und S-Bahn-Stationen gibt. Was da alles passieren kann.«

»Ich habe mal etwas über einen Killer gelesen, der hat immer in U-Bahn-Stationen auf seine Opfer gewartet«, mischte sich nun Oma Angie ein. »In Frankfurt, da, wo ihr immer auf die Bahn wartet. An einer sehr dunklen Stelle.«

»Oma!« Elisa wusste, dass Henrietta alles ernst nahm, und tatsächlich machte sie: »Oh, oh! Das wusste ich ja gar nicht, wie furchtbar! Niemals mehr fährt hier irgendjemand mit der Bahn.«

»Angie, bitte hör auf, und Mama, Angie hat nur Spaß gemacht. Und wir meinen es ernst: Wir wollen eben in eine andere Stadt«, sagte Nelly. »Außerdem kann überall was passieren.«

»Genau, überall.« Henrietta schnappatmete wie ein Fisch ohne Wasser. »Das heißt, du weißt, dass was passieren wird.«

»Mama.« Nelly rieb sich die Schläfen. »Wo soll ich denn deiner Meinung nach studieren? In meinem Zimmer?«

»Ja. Es gibt Fernstudienplätze. Du könntest bequem online lernen, an deinem Laptop, und nichts kann dir auf den Kopf fallen und niemand dich überfallen. Das ist doch ein akzeptabler Vorschlag.« Von der Tür kam ein Geräusch. »Oh, hallo Bernhard«, sagte Henrietta überrascht. »Ich dachte, du bist in Malaysia.«

»Ich war in Malaysia.« Nellys Vater kam näher und ließ sich in einen Sessel fallen. »Das erwähnte ich auch mehrfach. Vielen Dank, dass ihr mich alle vom Flughafen abgeholt habt. Ich konnte mich ja kaum entscheiden, bei wem ich mitfahren soll.«

»Entschuldige, Bernhard«, sagte Henrietta. »Ich habe es vergessen. Und auch vergessen, es Alex zu sagen.«

»Hast du nicht.« Alex kam nun auch rein. »Ich wollte gerade losfahren, du hast mir eine falsche Uhrzeit genannt.«

»Nun bin ich ja da. Möchte jemand etwas zu trinken? Einen Wein?«

»Bernhard, hier sind Kinder«, echauffierte sich Henrietta. »Außerdem sind wir nicht hier, um Wein zu trinken, sondern um diese für mich völlig unnötige und unbegreifliche Situation und diesen hirnrissigen Plan zu erörtern. Es könnte alles so einfach sein.«

Es klingelte, und kurze Zeit später kamen Elisas Eltern herein. Das Verhältnis zwischen Henrietta und Elisas Mutter Ines könnte man als grenzwertig beschreiben. Henrietta war groß, dünn und immer wie aus dem Ei gepellt, trug nur Designerklamotten und wahrscheinlich auch beim Schlafen Louboutins, sie hatte nie gearbeitet und konnte sich stundenlang in der Stadt aufhalten, um einzukaufen und sich die Nägel machen zu lassen. Ines wiederum trug grundsätzlich Jeans und lockere Blusen oder Pullis, hatte die dunklen Locken zu einem Pferdeschwanz gebunden und war nie geschminkt. Sie war Gärtnerin und nur draußen, deswegen hatte sie immer leicht gebräunte Haut und sah auch sonst sehr gesund aus. In jeder freien Minute war sie bei ihrem Pferd. Auch Elisa war geritten. Aber nachdem sie mal abgeworfen wurde und in einem elektrisch geladenen Zaun landete, in dem sie eine halbe Stunde verheddert liegen musste und einen Stromschlag nach dem anderen erhielt, während das Pferd graste, hatte sie beschlossen, dass der Reitsport doch nichts für sie war.

Die Eltern von Nelly und Elisa kannten sich noch vom Kindergarten her, und dann war es mit der Schule weitergegangen, denn natürlich wollten die beiden Töchter in eine Klasse. Während Ines begeistert Geburtstagsfeste im Freien organisiert und Kuchen gebacken hatte, wurde von Henrietta alles bei einem sündhaft teuren Catering-Unternehmen bestellt, inklusive Entertainment. Als die kleinen Gäste mal über die Witze eines engagierten Clowns nicht lachten, hatte sie die Firma verklagt. Ines wiederum hatte mit den Kindern an den Geburtstagen Nachtwanderungen und Bootsfahrten unternommen, oder sie hatten gemeinsam einen Schatz von irgendeiner Elfe gesucht und natürlich auch gefunden. Da konnte kein Clown mithalten.

Nun saßen sie hier alle zusammen, um Studium und Volontariat zu besprechen, und eigentlich hatten Nelly und Elisa gehofft, dass es um organisatorische Dinge gehen würde, um die Wohnungssuche und den Umzug beispielsweise. Aber Henrietta wurde immer hysterischer und holte nun doch Wein, weil sie es nicht ertragen konnte, ihr Kind ins Unglück rennen zu sehen.

»Bernhard«, sagte Ines mit Nachdruck, als Henrietta in der Küche hantierte. »Ich bitte dich. Sag jetzt endlich mal was.«

Nellys Vater seufzte resigniert. »Ihr wisst doch, wie sie ist.«

»Irgendwann kommt der Anruf, ich weiß es, und dann sagt jemand, dass mein Kind entführt wurde«, jammerte Henrietta in der Küche herum.

»Deswegen musst du ein Machtwort sprechen«, erklärte Ines. »Die beiden wollen schließlich nicht ins Weiße Haus ziehen und für Trump arbeiten.«

»Glaub mir, das wäre ihr lieber«, sagte Bernhard. »Dann wäre wenigstens ständig Security vor Ort.«

»Dann lernen die Kinder in Hamburg zwielichtige Gestalten kennen«, zeterte Henrietta in der Küche weiter. »Auf dieser Reeperbahn wird doch ständig geschossen. Es wird nicht lange dauern, und unsere Tochter ist mittendrin in diesem Sündenpfuhl. Man weiß ja, wie das enden kann.«

»Echt? Wie kann das denn enden?«, rief Oma Angie lautstark. »Sie meinen, dass die Kinder in einem Freudenhaus landen?« Sie keckerte und wurde von allen Anwesenden böse angeschaut.

»Oh, oh … die Kinder …«, und so ging es weiter.

»Man sollte meinen, wir wären zwölf. Ich kriege schon Kopfschmerzen. Mama, hör auf zu jammern!«, rief Nelly Richtung Küche. »Ich kann es nicht mehr hören.«

Ines grinste. »Wartet ab, sie zieht euch noch hinterher.«

Henrietta kam zurück und verteilte Gläser. »Ihr nehmt mich nicht ernst, niemand nimmt mich ernst. Nun ja, man wird sehen. In jedem Fall komme ich …«

»Du kommst nicht mit!«, schrien Elisa und Nelly, und Bernhard sagte: »Jetzt setz dich doch einfach mal hin und lass uns planen. Die Mädels müssen sich doch auch mal freuen können.«

»An mich denkt niemand«, klagte Henrietta.

»Dafür denkst du zu viel an mich«, sagte Nelly, stand auf und gab ihrer Mutter einen Kuss. »Und nun hör auf, Mama. Wir passen auf uns auf, ich verspreche es.«

»Wir telefonieren jeden Tag dreimal.«

»Einmal.«

»Zweimal.« Henrietta begann zu handeln.

»Ein- bis zweimal.«

»Na gut. Wir skypen«, forderte Henrietta weiter.

»Ja.« Nelly verdrehte die Augen.

»Wie oft?«

»Das sehen wir dann.« Nelly hatte keine Lust mehr.

»Mindestens zweimal pro Woche.«

Das war ja wie in einer Gerichtsverhandlung.

»Ja, Mama. Und ich lege mir auch eine elektronische Fußfessel an.«

»Das würdest du wirklich tun?« Henrietta war außer sich vor Freude. Nelly und Elisa schüttelten die Köpfe.

»Also Henny, bitte«, wandte sich nun Bernhard an seine Frau. »Jetzt hör auf und lass uns über wichtige Dinge sprechen. Wo und wie wollt ihr denn nun wohnen? Habt ihr euch darüber schon Gedanken gemacht?«

»Wahrscheinlich mieten sie eine Kaschemme über einer Mafiakneipe«, fing Henrietta wieder an.

»Genau«, keckerte Angie. »Über der Kneipe, die Goldener Handschuh heißt. Da hat sich der Serienkiller Fritz Honka seine Opfer gesucht. Huuuuh. Da klebt bestimmt noch überall Bluuuuut.«

»So hilfst du uns nicht«, flüsterte Elisa ihrer Oma zu, die leise vor sich hin lachte, weil Henny so tat, als sei es beschlossene Sache, dass Honka wiederauferstehen und ihre Tochter massakrieren würde.

»Bestimmt gibt es in Hamburg auch die Organmafia. Die schneiden unbescholtenen Mitbürgern Ohren ab und entfernen Nieren.« Eins musste man Henrietta lassen: Sie hatte eine lebhafte Fantasie.

»Na klar«, sagte Angie, die sich darüber freute, Henny ärgern zu können. Irgendwann wurde Henny müde und setzte sich, um leise vor sich hin zu schluchzen, was ganz angenehm war.

»Wir haben bei sämtlichen Anbietern geschaut«, sagte Nelly. »Und auch bei WG-Anzeigen, es ist einiges dabei, aber irgendwie scheinen alle nach Hamburg zu wollen. Am Samstag könnten wir immerhin auf vier Besichtigungen gehen.«

»Dann müsst ihr ja nach Hamburg fahren«, stellte Henrietta entsetzt fest.

»Das würde sich anbieten«, meinte Ines.

»Was für ein Stress«, sagte Henrietta.

»Kein Problem, ich fahre die beiden hin, damit du dich von dem heutigen Abend erholen kannst«, lächelte Ines und nahm damit Henrietta den Wind aus den Segeln.

»Ich könnte natürlich auch fahren, aber wir haben am Samstag diesen Charity-Ball, meine Damen köpfen mich, wenn ich da nicht erscheine.«

»Das wollen wir ja nicht, Henny, dass du von deinen Damen geköpft wirst«, meinte Bernhard. »Dann wäre das also geklärt. Danke, Ines.«

Hamburg, am Samstag

»Habe ich das jetzt richtig verstanden?«, vergewisserte sich Ines. »Die Eingangstür führt direkt ins Badezimmer, das auch gleichzeitig eine Küche ist, falls man bei einem defekten Spirituskocher von einer Küche reden kann. Die beiden als lichtdurchflutet und weitläufig beschriebenen Zimmer sind acht und sechs Quadratmeter groß, haben keine Fenster, und dafür wollen Sie tausendzweihundert Euro Miete im Monat?«

Der Makler zuckte arrogant mit den Schultern. »Das ist Altbau. Und Eppendorf. Außerdem hat die Wohnung einen Garten.«

»In den man aber nur kommt, wenn man aufs Dach klettert und von dort aus eine Feuerleiter runtersteigt, von der ganz nebenbei erwähnt drei Viertel der Stufen verrostet sind oder ganz fehlen.«

»Wohnungen mit Garten gehen weg wie nichts«, leierte der Makler herunter. »Außerdem ist das hier Eppendorf.«

»Was ist denn an Eppendorf so besonders?«, wollte Nelly wissen.

»Die Wohnungen«, bekam sie erklärt. »Die wundervollen, mit Liebe zum Detail restaurierten Altbauwohnungen mit Charme, Stuck und Parkett. Sprossenfenstern und purem Luxus.«

»Ah ja«, machte Elisa.

»Die Wohnung ist ein Schnäppchen. Und hat keine Heizkosten.«

»Warum? Weil keine Fenster aufgemacht werden können?«

»Nein, weil keine Heizung eingebaut ist. Also, was ist nun? Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.«

»Wir auch nicht«, sagte Ines giftig, und sie stapften durchs Bad nach draußen. »Das kommt für uns nicht infrage«, sagte sie dann zu dem Makler, der gleichgültig nickte.

»Die Wohnung bekomme ich heute noch vermietet. Selbst schuld, wenn Sie nicht zuschlagen.«

»Blinde werden die Wohnung vielleicht mieten«, sagte Ines sauer. »Wir ganz sicher nicht.«

Der Makler ging grußlos, und sie starrten ihm nach.

»Hoffentlich war das eine Ausnahme.« Elisa hatte schon Panik. »Was für ein Depp.«

Ines schaute auf ihren Zettel. »Das war doch erst der Anfang. Drei Besichtigungen haben wir ja noch. Jetzt müssen wir nach Winterhude. Zwei WG-Zimmer anschauen.«

»Altbau?«, fragte Elisa.

»Ja.«

»Das könnte problematisch werden. Vielleicht sind die Zimmer gleichzeitig die Waschbecken.«

»Und in die Küche kommen auch die Betten.«

Ines startete den Motor, und sie fuhren los.

»Also, was ich bis jetzt von Hamburg gesehen habe, gefällt mir.« Nelly war guter Dinge. »Von der Wohnung abgesehen natürlich. Das war keine Wohnung, sondern eine Zumutung.«

»Wie gut, dass wir bis morgen bleiben«, freute sich Elisa.

Sie hatten in einem kleinen Hotel zwei Zimmer gemietet und wollten heute Abend noch gemütlich irgendwo an der Alster essen gehen, und da klingelte zum siebten Mal an diesem Tag Nellys Handy. Es war natürlich Henrietta, die wissen wollte, ob sie noch am Leben waren, das Navi auch richtig funktionierte, nicht dass sie in die Elbe stürzten, und sie sollten nicht vergessen, ausreichend zu trinken und das geschnittene Obst zu essen, das Frau Kirch, die langjährige Haushälterin, in Tupperdosen verpackt hatte.

»Ich sehe Gott sei Dank, wo ihr seid, ich habe ja Find my Friends.« Henrietta war glücklich, und Nelly beschloss, diese Funktion so bald als möglich zu deaktivieren. »Winterhude ist ein guter Stadtteil, ich habe ihn gegoogelt. Es besteht die Möglichkeit, dort zu überleben. Esst bitte die Äpfel, bevor sie braun werden.« Drei Minuten später rief sie wieder an. »Ihr könnt euch mit den Äpfeln doch Zeit lassen, Frau Kirch hat gesagt, sie habe ja Zitrone draufgeträufelt.«

Und da waren sie auch schon. Die WG befand sich im Mühlenkamp, einer quirligen Geschäftsstraße mit vielen kleinen Kellerläden.

»Hier ist es.« Sie blieben stehen. Im Hauseingang drängten sich Leute. »Können wir bitte mal durch?«, fragte Ines. »Wir sind hier wegen einer Wohnungsbesichtigung.«

»Ach nee«, sagte ein ungefähr Zwanzigjähriger giftig. »Wir warten auch.«

»Auf was?«

»Auf die Besichtigung. Die lassen immer nur sechs Leute rein. Und die Wohnung ist im sechsten Stock. So lange ist auch die Schlange. Immer schön der Reihe nach.«

Da kam jemand raus und klatschte in die Hände. »Die Zimmer sind vermietet. Ihr könnt alle gehen.«

Super.

Als Nächstes fuhren sie nach St. Pauli zu einer Frau Schmeichler, die sich am Telefon unglaublich nett angehört hatte. Sie klang nach einer gütigen Frau in blütenweißer Schürze, die gerne Kuchen buk und glücklich war, wenn er allen schmeckte.

Sie wartete schon und sah in der Tat aus wie eine Oma, die man lieb haben musste.

»Ach«, sagte sie. »Das ja junges Gemüse. Na ja. Jeder hat mal jung angefangen. Denn man to.« Sie ging vor in den zweiten Stock und schloss auf. »Drei Zimmer. Küche. Bad. Möbliert, wie man sieht.«

»Äh«, machte Elisa und sah sich um.

»Äh«, machte nun auch Nelly.

Nachdem Ines auch »Äh« gemacht hatte, sagte sie: »Das ist aber sehr … also ich sage mal … extravagant eingerichtet. Warum steht da ein Käfig? Und was ist das da?«

»Ein Andreaskreuz natürlich«, sagte Frau Schmeichler erstaunt. »Da haben wir auch noch einen Pranger und im anderen Zimmer die Streckbank.«

»Eine Streckbank?« Elisa war fassunglos.

»Sicher. Für die Kunden. Das hat alles mein Mann gebaut, der ist Schreinermeister. Das ist alles sehr hochwertiges Material. Für die Kunden.«

»Für welche Kunden denn?«, fragte Nelly.

»Na, für Ihre.« Frau Schmeichler war irritiert. »Das ist doch ein Dominastudio.«