Bordgeflüster - Steffi von Wolff - E-Book

Bordgeflüster E-Book

Steffi von Wolff

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Beschreibung

Mit den Liegeplatznachbarn zu klönen, ist fast schöner, als segeln zu gehen. Oder etwa nicht? Beim geselligen Klönschnack im Salon kommt so manches gut gehütetes Geheimnis an den Tag. Das ist oft unterhaltsam. Aber nicht immer. Fortsetzung eines Bestsellers Steffi von Wolff schreibt in ihrer YACHT-Glosse auf unterhaltsame Weise über Momente, in denen sich Abgründe in der Seglerseele auftun, über befremdliche Passionen und private Befindlichkeiten, über Pannen, skurrile Begegnungen und lustige Anekdoten aus dem Leben an Bord. Nach dem Erfolg von "Hafenkino – mein Mann, seien Alte und ich" können sich die Leser nun auf noch mehr "Bordgeflüster" freuen. Die meisten Segler haben ihre große Liebe schon früh gefunden: das Segeln und, wenn alles gut läuft, sogar das eigene Segelboot. Erfolgsautorin Steffi von Wolff ist in genauso eine Beziehung hineingerutscht. Nach glücklicher Hochzeit mit einem Segelbootbesitzer stellt sie fest: Mein Mann liebt eine andere. Und hat gar nicht vor, sie aufzugeben. Aber anstatt zu verzweifeln, lässt sie sich auf eine fröhliche Dreiecksbeziehung ein: Ich, mein Mann und sein Segelboot. Steffi von Wolf schreibt über Bekanntschaften, die man sich nicht aussuchen kann, über das was passiert, wenn Pedanten und Chaoten aufeinandertreffen – kurzum über alles, was man erlebt, wenn man in einem Hafen liegt und aufmerksam beobachtet und zuhört. • Fortsetzung des erfolgreichen "Hafenkino – mein Mann, seine Alte und ich" • Ideales Geschenk für alle Vollblut-Segler (und ihre Partner) • Perfekte Lektüre für Segelreisen und die Zeit dazwischen Die besten Artikel aus YACHT-Kolumne sind in diesem Buch vereint – mit viel (Selbst-)Ironie und großem Wiedererkennungswert aus dem Seglerleben, vom Hafenkino über Meinungsverschiedenheiten zwischen Skipper (er) und Crew (sie) bis hin zur ewigen Hassliebe zu den Liegeplatznachbarn.

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Seitenzahl: 176

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Steffi von Woltt

BORD GEFLÜSTER

Amüsantes aus dem Hatenkino

Inhalt

Prolog

Kapitel 1 Zu gepflegt für den Verkauf

Kapitel 2 Der Neue

Kapitel 3 Künstliche Intelligenz

Kapitel 4 Seebestattung

Kapitel 5 Gleichberechtigung

Kapitel 6 Wenn Wassermenschen um Hilfe bitten

Kapitel 7 „Ich mach das nur für dich!“

Kapitel 8 Stegverhaftung

Kapitel 9 Mein Boot lebt!

Kapitel 10 Plötzlich Hafenmeister

Kapitel 11 Fuchs, du hast den Keiler gestohlen

Kapitel 12 Um die Ecke bringen

Kapitel 13 Bootlose Kunst

Kapitel 14 „Der beißt nicht, der will nur segeln“

Kapitel 15 Wie früher

Kapitel 16 Schlechte Vorbereitung

Kapitel 17 Eingeweht

Kapitel 18 „Will ich auch!“

Kapitel 19 Eignergemeinschaft auf Probe

Kapitel 20 Stalking

Kapitel 21 Abschiedsschmerz

Kapitel 22 Bootswohnung

WARSCHAU! WAAAAAARSCHAUUU!!!“

Das war das erste Wort, das mich mit dem Thema Boote – im wahrsten Wortsinn – näher in Berührung gebracht hat. Also, ich hatte natürlich schonmal in einem gesessen. Aber das war ein kleines Tretboot. Doch ich greife vor.

Es muss so 1998 gewesen sein, ich arbeitete noch beim Hessischen Rundfunk in Frankfurt, und an den Wochenenden haben wir Kolleginnen und Kollegen uns oft getroffen, um herrliche Ausflüge an den Rhein oder die Mosel zu unternehmen. Auf letzterer konnte man wunderbar Tretboot fahren, Kaffeetrinken und Torteessen waren angesagt, man machte sich einfach einen schönen Tag.

Dann, auf der Mosel: Warschau.

Natürlich wusste ich damals nicht, was das bedeutet, ich kannte nur die Stadt. Ich weiß noch, dass ich mit Tim in einem Tretboot saß und um mein Leben strampelte, denn ein Ausflugsschiff raste mit voller Geschwindigkeit auf uns zu und machte keine Anstalten anzuhalten. Vorne stand ein Mann und brüllte seinen Text, und wir dachten nur: „Wieso Warschau? Warum ruft er das?“ Gleichzeitig dachten wir: „Ich will nicht sterben.“ Schaulustige standen hinter dem Mann und filmten uns mit Videokameras, andere machten Fotos („Und dann sind zwei Ausflügler in einem Tretboot nicht mehr rechtzeitig ausgewichen, mit einem Ausflugsschiff kollidiert, und schreiend mit ihrem kleinen Boot untergegangen. Die Kollision war schlimmer als die von der Titanic mit dem Eisberg damals. Ja, wirklich.“).

Der Mann schrie, sein 40 Meter langes Schiff habe Vorfahrt. Wir würden uns nicht im Fahrwasser befinden, er könne auf Grund laufen und so weiter, und wir konnten gerade noch, wirklich gerade noch, ausweichen, sonst … weiß ich jetzt auch nicht.

„Nie wieder werde ich Boot fahren“, teilte ich der Runde später bei Erdbeerkuchen mit. „Eher entleibe ich mich oder spende der Frau eines russischen Oligarchen ein Organ.“ Nur wer Todessehnsucht hat, sollte in ein Boot steigen, in welches auch immer. Das war meine Meinung.

Ungefähr zwei Jahre später lernte ich dann einen Mann kennen, der ein Segelboot besaß, und der nahm mich dorthin mit, ohne es mir vorher zu sagen, weil ich ihm von meinem Erlebnis auf der Mosel erzählt hatte („Und nie wieder steige ich auf ein Schiff“). Ich wusste zwar mittlerweile, was Wahrschau bedeutete (zusammengesetzt aus etwas wahrnehmen und konzentriert schauen, ein Warnungsausruf in der Schifffahrt), galt in der Redaktion als herzliche Kollegin, die aber auch Biss und Durchsetzungsvermögen hatte, moderierte eine eigene Sendung, hatte einen wohlgeratenen Sohn und behauptete von mir, in schwierigen Situationen mit Bedacht und weise zu reagieren, aber wenn es darauf ankäme, könne ich auch eine Bierflasche mit einem Lid öffnen. Und wenn ich etwas nicht wollte, dann tat ich das auch nicht.

So weit, so gut. Wir parkten also am Hafen, ich sah die Schiffe und sagte nur: „Nein. Falls ich da jetzt auf ein Boot steigen soll, nein.“

Da ich ja so irre durchsetzungsfähig und hart war, stand ich eine Minute später auf einem Steg, der anders war als andere Stege.

„Das ist ein Schwimmsteg“, bekam ich erklärt. „Wegen der Gezeiten.“ Das Boot schaukelte am Schwimmsteg, und ich schaukelte auf dem Schwimmsteg. Und schwöre hiermit, dass mir bereits in diesem Moment schlecht wurde.

Und dann, was soll ich sagen, legten wir ab mit dem Schiff, das („Der Wind, das ist der Wind“) noch mehr schaukelte als der Steg. Es sollte eigentlich ein gemütliches Wochenende werden, ich dachte an so was wie Kino, Popcorn oder „einfach rumhängen und nichts machen außer kochen und essen“, aber ich wollte kein Wochenende, an dem ich kotzend über einer Reling hing, und das in einer neuen Beziehung. Da will man nicht vor dem anderen kübeln und sich verschwitzte Haarsträhnen aus dem Gesicht streichen. Da will man nicht „Ich kann nicht mehr! Ich will hier weg!“ schreien, während einem klar wird, dass die 20-Stunden-Geburt des Sohnes nicht auch nur ansatzweise so furchtbar war wie seekrank zu sein.

Es war fürchterlich, und in Cuxhaven angekommen, ließ ich mich in einer heruntergekommenen Kaschemme namens „Elbe 1“ bis zum Gehtnichtmehr volllaufen, weil ich so dankbar war, festen Boden unter den Füßen zu haben. Ich war so dankbar, dass ich zu vorgerückter Stunde noch mit anwesenden Fischern torkelnd zu Freddy Quinn und Shanty-Chören tanzte, während mein Freund sich vermutlich überlegte, wie er mich am besten wieder loswerden konnte.

Dann, der nächste Morgen: Ein Kater zum Gotterbarmen, aber „wir müssen weiter, wir müssen ja auch wieder zurückkommen“.

Nun gut. Und dann passierte das, was wohl jeder, der segelt, als recht schlimm empfinden könnte: Der Baum schlug um und knallte ihm gegen die Nase, er wurde Richtung Reling geschleudert, und ich konnte ihn gerade noch am Gürtel festhalten, sonst wäre er über Bord gegangen.

Er sah unbeschreiblich aus, überall Blut, überall. An ihm, an Deck, auf der Sprayhood (heute weiß ich, was das ist). Ich wählte panisch auf dem Handy die 110 und kann bis heute nicht sagen, was ich den netten Männern am Telefon erzählt habe, und wie ich es letztendlich geschafft habe, das Schiff zum nächsten Hafen zu manövrieren, geschweige denn, wie ich den Motor anbekommen habe – während er im Cockpit lag und vor sich hin blutete, als gäbe es kein Morgen mehr. Ich dachte wirklich, das war's jetzt. Zum Glück donnerte ich irgendwann mit dem Schiff gegen eine Kaimauer, wo schon der Rettungsdienst wartete und ein junger Mann zu mir sagte „Das sieht übel aus!“. Ob er meinen Freund oder das Schiff meinte, weiß ich nicht.

Im Krankenhaus diagnostizierte man einen doppelten Nasenbeinbruch, Kieferbruch, Wangenbruch, also eigentlich Gesichtsbruch.

Ich mach es kurz: Wir blieben nicht mehr allzu lange zusammen, weil mich das alles so schockiert hatte – und er sagte, dass er weiter segeln wolle. Mit mir. Mir war mein Leben wichtiger. Ihm das Boot.

Nun. Eine Zeitlang lief alles in geregelten Bahnen, und dann schrieb ich eine Geschichte zu meinen Segelerlebnissen (ich musste das psychisch aufarbeiten), und schickte sie an die yacht. Siehe da, ein Redakteur meldete sich und wir waren uns seeehr sympathisch. Dann nahmen die Dinge ihren Lauf, die yacht nahm die Geschichte, der Redakteur und ich, wir trafen uns, und ich war schockverliebt (er glaub ich auch).

Vorher hatte ich noch die grausame Vorstellung, dass er segeln würde, aber er sprach nie davon, also ging ich davon aus, dass er einfach nur dort arbeitete, bei der yacht.

Als er bei mir war, wir bei Weißwein zusammensaßen und uns klar wurde, dass nichts und niemand uns jemals trennen könnte, in meinem Körper Schmetterlinge herumflogen, auch in den Füßen, und ich alles in Rosa und weichgezeichnet sah vor lauter Glück, da sagte er: „Ich habe übrigens ein Boot. Die alte.“

„Warum hast du mir nichts davon gesagt?“, fragte ich entsetzt (ich hätte ja auch selbst mal fragen können).

„Nach deinen schlimmen Erlebnissen dachte ich, ich sage lieber nichts. Aber jetzt musst du es wissen. Ich kann mir ein Leben ohne meine alte nämlich einfach nicht vorstellen. Bitte versuch es nochmal mit dem Segeln – mir zuliebe!“

Nun. Das ist über 20 Jahre her. Der Rest ist Geschichte ☺

Es ist so weit: Ein neues Boot soll, kann, nein, muss her – und da wird natürlich gewienert und geschrubbt, aufgeräumt und so richtig klar Schiff gemacht. Es soll ja alles schön aussehen und funktionieren für den potenziellen Käufer und eine ganze Backskiste voll mit Zubehör soll er auch noch bekommen. Aber manchmal kommt alles anders, als man denkt.

„Ich bin fertig.“ So sieht Michi auch aus. Nass geschwitzt, aber auch glücklich. „Die gurke sieht noch neuer aus wie neu.“ Das stimmt. Sie sieht übrigens immer wie neu aus, weil Michi ein absoluter Vorzeigeeigner ist, sein Boot demzufolge ein Vorzeigeboot. Seine gurke geht ihm über alles, nach jeder Fahrt wird der Ankerkasten aufgeklappt, damit alles trocknet. Man sieht dann für mehrere Stunden nur seinen Hintern, weil er auf der gurke rumkriecht und poliert, als gäbe es kein Morgen mehr. Michi hat Lappen und Bürsten in jeder Größe und aus jedem Material, und während er am Wuseln ist, spricht er mit seinem Schiff.

„Hast du dir wehgetan?“, fragt er es gern, um dann mit irgendeiner im Weltraum erprobten Keramikpolitur einen hauchzarten Fleck wegzurubbeln. Ja, Michi ist eigen.

Zum Abschied habe ich ihm noch ein Geschenk gemacht. Es soll aber eine Überraschung werden, deswegen sage ich noch nichts.

Erste Besichtigungstermine sind für morgen bereits geplant. Das neue Boot soll dann 45 Fuß haben. „Wir wollen ja auch mal die Enkel mitnehmen“, war die Begründung. „Außerdem möchte Claudi gern an Bord duschen.“

„Ihr habt doch eine Dusche“, sagte ich zu dieser Information.

„Ja, schon, aber der ganze Kalk“, lautete die Antwort. „Außerdem wird das spakig, und davon mal ganz abgesehen lagere ich da ja die Putzmittel.“ Das hatte ich ganz vergessen. Michi hatte sich seinerzeit im Baumarkt Regale gekauft und in der Dusche aufgebaut. „Da kann man mal kurz was abbrausen, wenn es staubig wird“, erklärte er fröhlich. „Aber nur kurz. Der Kalk, der Kalk. Das neue Boot wird zwei Duschen haben. Mal sehen, wie wir das dann machen.“ Ja, mal sehen.

„Puh, gebt mir doch bitte mal ein Bier.“ Brav zottele ich zur alten zurück und hole das Gewünschte.

Mein Mann und Michi sitzen derweil schon im Cockpit.

„Für morgen habe ich Schuhüberzieher besorgt, man weiß ja nie, ob jemand vorher in Möwenkacke getreten ist. Das ist schädlich für die Schiffe, das Zeug hat ganz viel Säure. Ich polier mir hier doch nicht die Bandscheibe kaputt, damit die Viecher mir mit ihrem Dreck den Lack kaputt machen, und der neue Eigner schon mal gar nicht. Das sind Eiweißzerfallsprodukte, die können den Lack angreifen und ihn im Härtefall durchfressen. Schlimm genug, dass ich immer am Polieren bin, wenn ich am Wochenende aufs Schiff komme, so nicht, so nicht.“

So ist er, unser Michi.

Am nächsten Morgen um Punkt 9 Uhr steht er wie ein Feldwebel auf dem Steg. Da kommt auch schon der erste Kandidat. Ein Herr Schneider-Zilinski mit seiner Frau. „Irgendein General bei der Bundeswehr oder so“, wurden wir informiert, und tatsächlich kommt Schneider-Zilinski im Stechschritt über den Steg gestapft. Da fehlt nur noch der Radetzky-Marsch aus blechernen Lautsprechern.

„Jeder ist bekloppt, wenn er die gurke nicht kauft“, sagt mein Mann zu mir und gießt sich Kaffee nach. Wir bleiben gespannt im Cockpit sitzen und lauschen.

„Wenn Sie Kratzer suchen, werden Sie keine finden“, hören wir Michi stolz sagen, während Claudi herumwuselt und den Schneider-Zilinskis Kaffee und belegte Brötchen anbietet.

„Wie alt, sagten Sie nochmal, ist das Boot?“, fragt der Feldwebel. „Nicht, dass ich mich hier auf dem falschen Dampfer befinde, harhar.“

„13 Jahre.“ Michis Stimme droht vor Euphorie zu kippen.

„Das kann doch gar nicht sein. Sie haben doch geschrieben ‚Guter, gepflegter Zustand‘. Das ist doch kein guter Zustand! Dieses Schiff ist doch neu! Wollen Sie mich vergackeiern? Kann ich mal in die Backskisten schauen? … Da ist ja alles aufgeräumt. Ha! Und in der anderen Backkiste ist alles voller sauberer Ersatzteile, originalverpackt! Und wie die Leinen aufgeschossen sind, und sie sind auch so sauber.“

Michi platzt fast vor Überschwang. „Ich wasche sie regelmäßig mit einem speziellen Waschmittel und tausche sie auch aus. Sobald da was porös wird, schwupps, muss eine neue her. Was die Backskisten an sich angeht, da ist es so, dass ich sie monatlich warte.“

„Sie warten die Backskisten?“, fragt Frau General schüchtern. „Wartet man nicht den Motor? Oder die Rettungswesten?“

„Bei anderen ist das vielleicht so“, sagt Michi. „Ich habe eine spezielle Creme und dann trage ich noch eine Lotion auf.“

„Wie bei der Kosmetikerin“, haucht Frau General und Michi lächelt geschmeichelt.

„Aber die Winschen sind neu.“ Schneider-Zilinski runzelt die Stirn. „Sagen Sie mir bitte, dass die neu sind.“

„Nein, die sind genauso alt. Ich habe eine spezielle Politur nur dafür entwickelt. Und die werden auch mindestens einmal im Jahr gewartet.“

„Und was ist mit der Kuchenbude?“ Schneider-Zilinski hält sich an seiner Frau fest.

„Na, was glauben Sie? Für die Scheiben habe ich eine spezielle Sprühreinigung.“

„Kann ich mal das Großsegel sehen?“

„Natürlich, dazu muss ich sagen, dass es fast keine Knicke hat, denn ich habe ein spezielles System entwickelt, damit es sich beim Einrollen nicht zu sehr wehtut.“

Er zieht das Segel hoch.

„Wenn Sie jetzt wieder sagen, dass das alles 13 Jahre alt ist, dann …“

„Nein, die Segel sind älter. Die habe ich gebraucht gekauft. Carbon.“

Nun begeben sie sich nach unten.

Wir wiederum begeben uns auf den Steg und schlendern gemütlich darauf herum, um dann zufällig vor der gurke stehenzubleiben.

„Hier ist ja alles sauber, so sauber.“ Die Frau von Schneider-Zilinski bekommt fast keine Luft mehr. „Und die Spüle …“

„… wird regelmäßig, also eigentlich nach jedem Spülvorgang, mit einer von mir entwickelten Paste gereinigt, damit sie schön glänzt.“

Claudi öffnet einen Schrank. „Unsere Tassen und Töpfe werden von außen mit einer Art Salbe eingerieben, damit sie ebenfalls glänzen. Und jedes Teil hat seinen eigenen Filzbeutel, damit nichts kratzt und reibt. Sieht das nicht schön aus?“

Keine Antwort. Wahrscheinlich sucht der General sein Bargeld. Dieses Schnäppchen kann man sich ja nicht entgehen lassen.

„Also …“, kommt es dann. „Also, es tut mir wirklich leid, aber dieses Schiff kommt für uns nicht in Frage. Es ist einfach … zu gepflegt.“

Wie bitte? Wir bleiben entsetzt stehen.

„Wie bitte?“, fragt Michi ungläubig.

„Das könnten wir nie so erhalten. Das wäre dem Schiff gegenüber einfach unfair. Schiffe haben ja eine Seele.“

„Aber …“ Michi ist ratlos.

„Nix für ungut.“ Der General und seine Frau stapfen davon, nicht ohne sich noch jeweils eine Brötchenhälfte für die Fahrt mitzunehmen.

„Könnt ihr das glauben? Zu gepflegt?“ Michi ist außer sich. „Das ist ja so, als wenn man sagen würde, nein, die Frau da nehm ich nicht, die sieht zu gut aus und ist zu gut in Form.“ Bedröppelt steht er da und sieht uns waidwund an.

„Ich habe noch eine Überraschung für dich“, sage ich, um ihm eine Freude zu machen, aber er und Claudi drehen sich einfach um und gehen.

Lutz zu Philippsburg ist eine Stunde später am Start, ein Typ, der sich für unglaublich smart und unwiderstehlich hält. Lutz' Zähne sind so gebleacht, dass man sie nachts gut als Taschenlampe benutzen könnte.

„Ist nicht wahr“ ist sein Lieblingssatz und er informiert uns alle darüber, dass er über 58 Ecken mit den Windsors verwandt ist. „In mir steckt viel von Heinrich dem VIII.“, erklärt er, und ich frage mich, ob das Gene sind, die man sich wünschen sollte.

„Ist nicht wahr, hier liegt ja kein Stäubchen“, sagt Lutz ehrfürchtig. „Wurde der Herd überhaupt schon mal benutzt?“

„In der Saison täglich.“ Michis Euphorie ist durch den General gedämpft. Er informiert nur noch sachlich.

„Da, die Polster – kein Fleck, wie geht das bitte? Ist doch nicht wahr …“

„Die kann man abziehen und waschen“, sagt Michi mit einer „Ist mir alles egal“-Stimme, und nun mische ich mich ein, weil ich will, dass die gurke verkauft wird.

„Er hat für alles selbst entwickelte Pasten und Polituren“, lasse ich Lutz wissen.

„Ist-nicht-wahr! Da will man sich gar nicht setzen. Ich hab drei Hunde. Da traut man sich ja kaum, die hier runterzulassen. Die kriegen ja einen Föhn, wenn das alles so sauber ist. Nee, nee, das ist nix für mich.“

Fort ist er und nun bin selbst ich beunruhigt. Wenn das so weitergeht, sehe ich schwarz für die geplanten 45 Fuß. Wir gehen hoch und setzen uns.

Dann steht Michi auf. „Später kommen noch zwei Kandidaten. Die können was erleben.“ Er geht nach unten ins Bad und kommt mit Motoröl zurück, das er auf die Winschen kippt. Mein Mann schnappatmet. „Hier, bitte, und hier, und hier und hier.“ Nagellackentferner von Claudi wird auf der Sprayhood verteilt, dann geht er nach unten und wir hören ihn am Kühlschrank hantieren. „So, bitte, bitte schön.“

Ich gehe nach unten. Er hat Kartoffelsalat auf die Induktionsplatte geklatscht und stellt die nun auf 1600 Watt. „Damit es auch gut riecht.“ Über die Polster wird Ketchup geschüttet, in die Navi auch, und überall sonst irgendwas anderes. Zum Schluss öffnet er eine Packung Haferflocken, vermischt sie mit Kriechöl und schmiert sie sich ins Gesicht. Er ist wie im Wahn. Würde man ihm noch ein Blätternetz auf den Kopf setzen, könnte er in Apocalypse now oder Platoon mitspielen.

„Hellouuuuu“, kommt es da von oben. Eine Frau steckt ihren Kopf durch den Niedergang. „Ist das hier die gurke?“ Sie sieht ein wenig ängstlich aus.

„Ja, sicher. Ach, …“, jetzt weiß ich, wer das ist. Oh nein, oh nein. Das ist die Fotografin für den Zeitschriftenwettbewerb zur gepflegtesten Yacht des Jahres. Meine Überraschung für Michi! „Ich meine … nein.“

Auf meinen Mann ist Verlass. „Was redest du denn da? Natürlich ist das die gurke.“

„Das ist ja merkwürdig. Es wurde sich bei unserem Segelmagazin mit dem Hinweis beworben, dass dies die gepflegteste Hanse unter der Sonne und der erste Platz so gut wie sicher sei. Den Fotos nach zu urteilen, die uns geschickt wurden, sah das auch so aus. Hm. Jetzt vor Ort finde ich das Schiff eher verwahrlost. Tut mir leid, ich kann Sie nicht mit reinnehmen.“

„Das ‚Gebrauchtboot des Jahres‘?“, flüstert Michi und ich beiße mir verzweifelt auf die Unterlippe. „Das ist mein Traum, da zu gewinnen.“

Ich weiß. Ich weiß.

„Ja, davon träumt jeder, aber so … tut mir wirklich leid.“ Die junge Frau nickt uns zu und geht.

„War das deine Überraschung?“, fragt er mich heiser.

Ich nicke. „Quasi zum Abschluss. Nun sei nicht traurig … du entwickelst einfach eine spezielle Reinigungsmilch für das alles und wir helfen dir, wo wir können. Dann versuchen wir es nächstes Jahr nochmal.“

Das hebt die Stimmung und das Öl-Haferflockengemisch strahlt mich an. „Vielleicht was mit einer speziellen französischen Seife. Aber dann verkauf ich die gurke nicht. Sie hat mir sowieso gesagt, dass sie das überhaupt nicht will.“

Und dann tätschelt er die Stufen des Niedergangs.

So eine Steggemeinschaft ist schon was Schönes. Man kennt sich mit der Zeit immer besser, übersteht den Winter dank der WhatsApp-Gruppe „Bro A“, freut sich gemeinsam auf die Saison, und dann teilt der Hafenmeister lapidar mit, dass da bald neue Nachbarn kommen. Hui. Passen die auch zu uns? Und was sind das für welche? Man macht sich so seine Gedanken und erwartet gespannt die Ankunft.

Mit hochrotem Kopf kommt Hanno den Steg entlang gestampft. „Ich war gerade bei Klaus. Ihr glaubt es nicht. Wir kriegen einen neuen Nachbarn. Hier, auf 67.“

„Das ist ja neben uns“, sagt mein Mann so, als würde demnächst ein T-Rex zu unserer Nachbarschaft gehören.

„Ja, ein Glück nicht neben uns. Weißt du noch, dieser Oskar, der ganz schlecht Gitarre gespielt hat?“

Mein Mann nickt. „Oder Sigrid und Steffen. Die haben nicht gelacht, die haben geschrien. Bin ich froh, dass die alle die Häfen gewechselt haben. Ich sag es euch, wenn der Neue mir querkommt, red ich Tacheles.“

„Jetzt lasst ihn doch erst mal ankommen, außerdem gehört der Steg nicht euch.“ Also so was wieder. „Das ist sicher ein ganz normaler Segler oder Motorbootfahrer.“

„Letzteres wäre schon schlimm genug, dann raubt er uns die Sicht“, entgegnet mein Mann.

„Wer ist es denn?“, will ich wissen.

„Kommt wohl aus Kiel. Mehr weiß ich auch nicht.“

„Wie, mehr weißt du nicht? Da fragt man doch mal nach. Die können uns doch nicht Krethi und Plethi auf den Steg setzen.“ Mein Mann wieder.

„Die müssen uns nicht fragen“, sage ich. „Jetzt hört mal auf und wartet einfach ab.“

„Das sagt Birte auch“, beschwert sich Hanno. „Dabei ist eine gute Gemeinschaft so wichtig. Vielleicht würfelt der Kieler abends stundenlang und schlägt krachend einen verwarzten Lederbecher auf den Cockpittisch.“

„Oder hört schaurige Shantys auf den Außenboxen“, fügt mein Mann hinzu. „Ah, da ist Norbi. Komm mal an Bord, Norbi. Wir müssen was besprechen.“

Auch Norbi ist entsetzt darüber, dass da einfach so ein Neuer kommen und Shantys hören will.

„Dann liegt der da einfach an unserem Steg“, ist die einhellige, nicht positive Meinung.

Mein Mann holt Bier. „Wir müssen einen Plan machen, damit der Neue gleich weiß, wo der Hase lang läuft.“

Alle außer mir nicken.

„Wenn das ein Veganer ist“, sagt Hanno, „muss der mir gar nicht an Bord kommen. Nicht, dass ich was gegen Veganer habe, aber nicht auf meinem Schiff.“

„Veganer essen Bärchenwurst aus Tofu“, nickt Norbi und schaut so, als würde das alles erklären.

„Aber sie trinken Bier, das ist vegan“, werfe ich in die Runde und werde feindselig angeschaut. Der Mann tut mir jetzt schon leid.