Hermeneutisch-diskursiver Literaturunterricht - Thorsten Zimmer - E-Book

Hermeneutisch-diskursiver Literaturunterricht E-Book

Thorsten Zimmer

0,0

Beschreibung

Schülerinnen und Schülern eine wirkungsvolle Begegnung mit Literatur zu ermöglichen, stellt hohe Anforderungen an die Unterrichtsvorbereitung: Material muss ausgewählt und gestaltet, Lernaufgaben müssen vorbereitet und eingesetzt und Unterrichtsgespräche müssen antizipiert und moderiert werden. Gerade von Referendarinnen und Referendaren können die damit verbundenen Anforderungen als sehr herausfordernd - auch als überfordernd - empfunden werden. Mit dem Ziel, den auszubildenden Lehrerinnen und Lehrern ein erstes handhabbares Instrumentarium zur Planung und Gestaltung des Literaturunterrichts an die Hand zu geben und ihnen dadurch zu frühen "Gelingenserfahrungen" zu verhelfen, wurde am Studienseminar für das Lehramt an Gymnasien in Koblenz ein Ausbildungsmodell entwickelt. Der Erörterung, wie die Implikationen dieses Modells auch auf den Literaturunterricht übertragen werden können, widmet sich die Dissertation. Auf die verschiedenen Faktoren zur Steuerung des Unterrichts - die Phasierung der Stunde, die Formulierung von Lernaufgaben, die Darbietung des Materials und die Moderation der Unterrichtsgespräche - blickend, werden unterschiedliche Handlungsoptionen vorgestellt und didaktisch ausdifferenziert. Stichprobenuntersuchungen aus zwei Unterrichtsstunden - zu Rilkes Gedicht "Natur ist glücklich" (Klasse 9) und zu Bettina Wegners Lied "Gebote" (Klasse 12) - veranschaulichen und konkretisieren die Positionen. Aus der Verbindung der didaktischen Überlegungen mit den empirischen Stichprobenuntersuchungen entsteht der Entwurf eines neu nuancierten Ausbildungsmodells für den hermeneutisch-diskursiven Literaturunterricht.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 987

Veröffentlichungsjahr: 2025

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung: Darstellung des Forschungsvorhabens

1.1. Forschungsanlass und Forschungsziele

1.2. Vorgehensweise und Methoden

1.3. Frühe Problematisierung: Modelle als ‚Korsett‘ und als ‚Geländer‘

I. Beschreibung des Modells und seiner Verwendung

2. Entstehung und Beschreibung des Arbeitsmodells ‚hermeneutisch-diskursiver Literaturunterricht`

2.1. Das ‚Lehr-Lern-Modell‘ als Medium der Seminarentwicklung

2.2. Exkurs: Konkretisierungen des Modells in anderen Fächern

2.3. Spezifizierungen für das Fach Deutsch

2.3.1. ‚Hermeneutisch-diskursiver Literaturunterricht‘

2.3.2. Die bisherige Arbeit mit dem Modell im Fachseminar Deutsch

2.3.3. Rekurse auf das Arbeitsmodell außerhalb der Fachseminare Deutsch

2.3.3.1. Die Adaption des Modells in Schulbüchern

2.3.3.2. ‚Hermeneutisch-diskursiver Unterricht‘ im rheinland-pfälzischen Lehrplan für die Sekundarstufe I

2.4. Allgemeine und literaturspezifische Modelle an anderen Studienseminaren und in anderen Ausbildungskontexten

2.4.1. Andere Seminarstandorte in Rheinland-Pfalz

2.4.2. Das Prozessmodell des Bundeslandes Hessen

2.4.3. Forschungen und Modelle zur ersten Phase der Lehrerinnen- und Lehrerbildung

2.4.3.1. Friedrich-Schiller-Universität Jena: „Professionalisierung von Anfang an im Jenaer Modell der Lehrerbildung (PROFJL)“

2.4.3.2. Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg: „Subjektivität und Emotionalität in Gesprächen über Literatur (SEGEL)“ und die Folgeprojekte

2.4.3.3. Johannes-Gutenberg-Universität Mainz: Das Lehr-Lern-Forschungslabor

2.4.3.4. Weitere Hochschulprojekte

2.5. Das Arbeitsmodell ‚hermeneutisch-diskursiver Literaturunterricht‘ in der Ausbildungsprogression

2.5.1. Die KMK-Standards für die Lehrerinnen- und Lehrerbildung

2.5.2. Die Ausbildungslinien für die Lehrerinnen- und Lehrerausbildung in Rheinland-Pfalz

II.

Theoretische Prüfung des Modells

3. Literarisches Lernen: Didaktische, lesepsychologische und literaturtheoretische Verortungen des Modells

3.1. Gegenstand und Zweck des Literaturunterrichts

3.1.1. Ziele des Literaturunterrichts

3.1.2. Literatur im Unterricht: ‚Gegenstandsbereich‘ und ‚Handlungsfeld‘

3.1.3. ‚Lerngegenstand‘ und ‚Lernmedium‘

3.1.4. Ziele, Inhalte, Kompetenzen?

3.2. Ausgewählte Kompetenzmodelle im Vergleich

3.2.1. Frühe Modelle nach PISA-2000 (Jakob Ossner, Heiner Willenberg)

3.2.2. Das ‚Bochumer Modell literarischen Verstehens‘ (Jan Boelmann u.a.)

3.2.3. Das Modell literarischen Lernens auf semiotischer Grundlage (Anita Schilcher/Markus Pissarek)

3.2.4. Ein Kompetenzmodell für die Lehrerinnen- und Lehrerausbildung?

3.3. Lesemodelle: Literarisches Lesen vs. pragmatisches Lesen?

3.3.1. Modelle der Lesepsychologie

3.3.2.

Reading Literacy

Literary Literacy

?

3.3.3. Das Potenzial eines universellen Modells (Ursula Christmann)

3.3.4. Kompatible Modelle – verschiedene Verstehensmodi (Thomas Zabka)

3.3.5. Umfassende empirische Erforschung: LUK und die Folgestudien

3.4. Analytisches Lernen – affektives Lernen

3.4.1. Das ‚Ästhetische‘ im Literaturunterricht

3.4.2. Das ‚Emotionale‘ im Literaturunterricht

3.5. Hermeneutisch oder nicht-hermeneutisch?

3.5.1. Das ‚hermeneutische Basistheorem‘

3.5.2. Der hermeneutische Zirkel als Grundlage des Verstehensprozesses bei Jürgen Kreft und Joachim Fritzsche

3.5.3. Gadamers Hermeneutik und die DESI-Studien

3.5.4. Schleiermacher und der literarische Salon: Hermeneutik im Heidelberger Modell literarischen Textverstehens

3.5.5. Semiotik und Hermeneutik: Umberto Eco und die ÄSKIL-Studien

3.5.6. Rezeptionsästhetik und Hermeneutik

3.5.7. Muss es denn hermeneutisch sein? - Didaktik des Poststrukturalismus

3.5.8. Die ‚Alterität eines Textes‘ akzeptieren: Responsiver Literaturunterricht

3.6. Zusammenfassung und Prüfung des Unterrichtsmodells

4. „Literarisches Lernen“ konkret: Phasen, Aufgaben, Material, Moderation

4.1. Was hier in den Blick genommen wird

4.2. Stundenphasenmodelle

4.2.1. Literaturunterricht fördert die Ich-Entwicklung und die Ausbildung der interaktiven Kompetenzen - Das ‚4-Phasen-Modell‘ von Jürgen Kreft

4.2.2. Produktive Methoden (Werner Ingendahl)

4.2.3. Entwicklung der psychischen Struktur und Gewinnen von Identität – Joachim Fritzsches Version des Vier-Phasen-Schemas

4.2.4. Der handlungs- und produktionsorientierte Ansatz (Günter Waldmann)

4.2.5. Dekonstruierende Unterrichtsgestaltung (Clemens Kammler und Nicola König)

4.2.6. Analyse – emotionale Beteiligung – Kompetenzaufbau: Das umfassende Modell von Martin Leubner, Anja Saupe und Matthias Richter

4.2.7. Vorgehensweise der responsiven Didaktik (Nicola Mitterer)

4.2.8. Aufgaben und Unterrichtsprozesse fördern den Strategieerwerb (Teresa Scheubeck/ Christina Knott/ Anita Schilcher)

4.2.9. Emotion und Reflexion – Die Entfaltungsstufen bei Frickel/Zepter

4.2.10. Fazit: Relevanz der Phasenmodelle für das Arbeitsmodell ‚hermeneutisch-diskursiver Literaturunterricht‘

4.3. Aufgaben im Deutschunterricht

4.3.1. Die Relevanz des Faktors „Aufgaben“

4.3.2. Lernaufgaben und Leistungsaufgaben

4.3.3. Definition von Lernaufgaben

4.3.4. Die Ziel-Orientiertheit von Lernaufgaben im Literaturunterricht

4.3.5. Struktur, Lenkungsgrad und Wirkungsgrad von Lernaufgaben

4.3.6. Wirkungsgrade von Aufgaben

4.3.7. Von der Planung zum moderierten Einsatz: Lernaufgaben an der Schnittstelle

4.3.8. Fazit: Relevanz der Aufgabendidaktik für das Arbeitsmodell

4.4. ‚Material‘ im Literaturunterricht

4.4.1. Literarische Texte als (inhaltsstiftendes) Material

4.4.1.1. Zur Textauswahl und zur Bestimmung der Textschwierigkeit

4.4.1.2. Durch die Textgestaltung lenken

4.4.2. Sekundäre Materialien als (Aufgaben-)

Support

4.4.3. Fazit: Relevanz der Materialdidaktik

4.5. Gespräche im Literaturunterricht und ihre Moderation

4.5.1. Grundsätzliches: Verschiedene Ebenen der Begründung

4.5.1.1. Diskurstheoretische Begründungen

4.5.1.2. Lerntheoretische Begründungen

4.5.1.3. Gesprächsanalytische Begründungen

4.5.1.4. Unterrichtsmethodische Begründungen

4.5.2. Deutsch- und literaturdidaktische Begründungen und Modellentwicklungen

4.5.2.1. 1990er- und 2000er-Jahre: Heiner Willenberg, Valentin Merkelbach, Petra Wieler, Johannes Werner

4.5.2.2. Das Heidelberger Modell des Literarischen Unterrichtsgesprächs (Gerhard Härle u.a., 2003 – 2009 – 2020)

4.5.2.3. Das demokratische Literaturgespräch – (Thomas Zabka, 2020)

4.5.2.4. Ein Modell literarästhetischer Kommunikation im Unterricht (Christian Albrecht, 2022)

4.5.2.5. Lernunterstützung als Bereicherung des Literaturgesprächs (Marco Magirius, Daniel Scherf, Michael Steinmetz, 2022)

4.5.3. Unterrichtsgespräche als Gegenstand der Lernwirksamkeitsforschung

4.5.4. Fazit: Gesprächsdidaktik und das Koblenzer Arbeitsmodell

5. Zwischenfazit: Die theoretische Fundierung des Modells

III.

Empirische Stichproben zur Wirksamkeit des Arbeitsmodells

6. Ziele und Vorgehensweisen im empirischen Teil der Arbeit

6.1. Anbindung an den Theorieteil

6.2. Begründung der Vorgehensweise als evaluative qualitative Inhaltsanalyse

6.3. Begründung der Auswahl der Referendarinnen, der Lerngruppen und der Unterrichtsinhalte

6.3.1. Die Referendarinnen

6.3.2. Die Lerngruppen

6.3.3. Die Unterrichtsinhalte

6.4. Rainer Maria Rilke, Natur ist glücklich

6.4.1. Der Text

6.4.2. Fachliche Aufbereitung des Unterrichtsinhalts

6.4.3. Didaktische Überlegungen

6.4.4. Kurzentwurf zur Stundenplanung und Arbeitsmaterial

6.5. Bettina Wegner, Gebote braucht der Mensch

6.5.1. Der Text

6.5.2. Fachliche Aufarbeitung des Unterrichtsinhalts

6.5.3. Didaktische Überlegungen

6.5.4. Kurzentwurf zur Stundenplanung und Arbeitsmaterial

6.6. Genauere Beschreibung der Kommunikationssituationen

6.6.1. Kurzentwürfe zur Stundenplanung

6.6.2. Videografien der Stunden

6.6.3. Teilnehmende Beobachtung

6.6.4. Das Interview

6.7. Entwicklung der Kategorien

6.7.1. Grundsätzliches zur Entwicklung der Kategorien

6.7.2. Untersuchung der Lehr-Lern-Prozesse

6.7.2.1. Zusammenfassende Prüfung: Passt die gehaltene Stunde zum Modell?

6.7.2.2. Untersuchung der Schülerinnen- und Schülerbeiträge

6.7.2.3. Welche ‚literarischen Lernschritte‘ vollziehen die Schülerinnen und Schüler?

6.7.2.4. Wie bringen sich die Schülerinnen und Schüler in den literarischen Diskurs ein?

6.7.2.5. Wie nehmen die Lehrerinnen und Lehrer am literarischen Diskurs teil?

6.7.2.6. Untersuchung der Meta-Ebene

6.8. Wie werden die Ergebnisse ausgewertet und dargestellt?

6.9. Stunde ‚Rilke, Natur ist glücklich‘: Auswertung der Untersuchungsergebnisse

6.9.1. Bildet die gehaltene Stunde das Arbeitsmodell ab?

6.9.2. Vollzieht sich in der Stunde ‚hermeneutisches Lernen‘

6.9.3. Verläuft die Stunde ‚diskursiv‘?

6.9.4. Ergänzender Blick auf die Meta-Ebene: Kurzes Interview mit der Lehrerin

6.9.5. Kritischer Blick und alternative Vorgehensweisen

6.10. Stunde ‚Wegner,

Gebote braucht der Mensch

‘: Auswertung der Untersuchungsergebnisse

6.10.1. Bildet die gehaltene Stunde das Arbeitsmodell ab?

6.10.2. Vollzieht sich in der Stunde ‚hermeneutisches Lernen‘

6.10.3. Verläuft die Stunde ‚diskursiv‘?

6.10.4. Ergänzender Blick auf die Meta-Ebene: Kurzes Interview mit der Lehrerin

6.10.5. Kritischer Blick und alternative Vorgehensweisen

6.10.6. Zusammenfassung der Ergebnisse der empirischen Stichproben

6.10.7. Grenzen/Mankos der Vorgehensweise

7. Gesamtreflexion

7.1. Beantwortung der Forschungsfragen

7.2. Ein weiterer Modellentwurf

7.3. Weitere Forschungsperspektiven

7.4. Zum Schluss: Ein ‚Aber‘ und ein ‚Trotzdem‘

8. Literaturverzeichnis

IV. Anhang

Anhang 1: Synopse der Phasenmodelle für den Unterricht im ‚literarischen Lesen‘

Anhang 2: Zusammenhänge zwischen der Gesprächsform und den Affordanzen literarästhetischer Verstehens- und Erfahrungsräume bei Christian Albrecht

Anhang 3: Wegner, Gebote braucht der Mensch: Ausgefülltes Tafelbild

Anhang 4: Rilke, Natur ist glücklich: Vergleich der geplanten mit der gehaltenen Stunde

Anhang 5: Wegner, Gebote braucht der Mensch: Vergleich der geplanten mit der gehaltenen Stunde

Anhang 6: Transkripte der evaluierten Stunden

Anhang 7: Transkripte der Interviews

1. Einleitung: Darstellung des Forschungsvorhabens

1.1. Forschungsanlass und Forschungsziele

Literaturunterricht1 zu planen und zu gestalten stellt für die reflektierte2 Deutschlehrerin und den reflektierten Deutschlehrer eine äußerst komplexe Herausforderung dar. Bereits in der Phase der Unterrichtsvorbereitung müssen grundsätzliche Ziele des Deutschunterrichts ebenso bedacht werden wie deren Umsetzung und Umsetzbarkeit in der jeweiligen Altersstufe und anhand der ausgewählten literarischen Texte. Die Vorbereitung konkreter Lernprozesse muss Fragen zur Verbindung analytischer und affektiver Zugänge, zum Verhältnis zwischen inhaltlicher Auseinandersetzung und dem Aufbau grundsätzlicher und definierter Kompetenzen berücksichtigen. Unterrichtsmethoden müssen derart ausgewählt werden, dass sie zu den vorgesehenen Zugangsweisen, den Unterrichtszielen und dem Text passen und dass sie den Ansprüchen und Fähigkeiten der Lerngruppe bzw. der einzelnen Schülerinnen und Schüler gerecht werden. Aufgaben und Materialien müssen gestaltet, Unterrichtsgespräche müssen antizipiert und vorbereitet werden. Dabei müssen Fragen nach der kohärenten Vernetzung der genannten Planungsebenen ebenso im Blick behalten werden wie die grundsätzlich zu bewältigende Balance zwischen einer lernerinnen- bzw. lernerorientierten Offenheit und der zielorientierten Lenkung des Unterrichts. Fortgesetzt wird diese Anspruchskomplexität in der Durchführung der konkreten Stunde: Über die Moderation der vorbereiteten Lernschritte hinaus bedarf es einer permanenten situativen Diagnose zu deren Tragfähigkeit und Angemessenheit. Gespräche müssen initiiert und moderiert, kollektive wie individuelle Unterstützungen müssen zur Verfügung gestellt, Rückmeldungen müssen gegeben und Lerngeschwindigkeiten situativ angepasst werden. Nicht zuletzt müssen Ergebnisse gesammelt, verhandelt, gesichert und in übergreifende Lernlinien einbezogen werden. – Erweist sich dieser Katalog an Anforderungen schon für erfahrene Lehrerinnen und Lehrer als äußerst herausfordernd, birgt er für Berufsanfängerinnen und -anfänger nachvollziehbarerweise ein hohes Potenzial, das Gefühl von Frustration und Überforderung auszulösen.3

Dies ernst nehmend wurde am Staatlichen Studienseminar für das Lehramt an Gymnasien in Koblenz ein Arbeitsmodell entwickelt, an dem sich sowohl die allgemeine wie auch die fachspezifische Ausbildung der Referendarinnen und Referendare orientieren kann. Indem wesentliche Gestaltungsfaktoren des Unterrichts definiert und einfache Handlungsoptionen zu seiner Planung und Durchführung in gestufter Anspruchsprogression vermittelt werden, soll die beschriebene Komplexität reduziert – besser: handhabbar und bewältigbar – gemacht werden, sodass Referendarinnen und Referendaren zu Könnens- und Erfolgserfahrungen verholfen wird.

Das Arbeitsmodell, das sowohl als Planungs- wie als Durchführungsmodell definiert ist, hat sich in den vergangenen Jahren in der Ausbildungspraxis des Studienseminars Koblenz4 auf vielen Ebenen und in vielen Situationen bewährt. Eine wissenschaftlich fundierte theoretische und praktische Überprüfung ist bisher allerdings nicht erfolgt. So brauchbar das Modell in der konkreten Ausbildungspraxis ist, so schnell stößt es daher an Legitimierungsgrenzen, wenn es zu anderen Modellen in Beziehung gesetzt werden oder als Grundlage von Gesprächen und Konzeptentwicklungen genutzt werden soll, die über den engen Wirkungskreis des Studienseminars in Koblenz hinausgehen. Die geplante Forschungsarbeit zielt in diesem Zusammenhang darauf, das Modell – namentlich in seiner Konkretisierung als Grundlagenmodell für die Ausbildung von Referendarinnen und Referendaren im Fach Deutsch – theoretisch und praktisch zu prüfen, weiterhin auszuschärfen und dadurch evident zu machen. In die Analyse und Prüfung einbezogen werden dabei die grundsätzlichen fachbezogenen Ausgestaltungen des allgemeinen Koblenzer ‚Lehr-Lern-Modells‘ in Form des Arbeitsmodells ‚hermeneutisch-diskursiver Literaturunterricht‘5 sowie die zugehörigen Konkretisierungsvorschläge zu den verschiedenen Steuerungsfaktoren des Unterrichts6. Die Untersuchung des Modells wird dabei von zwei verschiedenen Beobachtungskontexten und -perspektiven ausgehen, die seine Verwendbarkeit im Rahmen der zweiten Phase der Lehrerinnen- und Lehrerausbildung7 in den Blick nehmen:

Forschungsperspektive 1: Wird Unterricht, der aufgrund des Koblenzer Arbeitsmodells ‚hermeneutisch-diskursiver Literaturunterricht‘ geplant und durchgeführt wird, theoretisch und praktisch dem Anspruch gerecht, literarisches Lernen im Sinne der derzeit gängigen und wissenschaftlich begründeten lerntheoretischen, pädagogischen und vor allem fachdidaktischen Positionen zu ermöglichen, bzw.: Wie muss und kann das Modell ergänzt oder modifiziert werden, um diesem Anspruch noch besser gerecht zu werden?

Forschungsperspektive 2: Bietet das Modell Referendarinnen und Referendaren eine tragfähige und ausbaufähige Grundlage zur Planung, Gestaltung und Reflexion komplexer Prozesse literarischen Lernens auf globaler8 wie lokaler9 Ebene, bzw.: Wie muss und kann das Modell ergänzt oder modifiziert werden, um diesem Anspruch noch besser gerecht zu werden?

Ziele der Forschungsuntersuchung sind die theorie- und praxisbezogene Überprüfung, Fundierung und Ausschärfung des Arbeitsmodells samt der zugehörigen Arbeitsmethoden – sowohl in seiner Anwendung bei der Unterrichtsplanung und -gestaltung als auch in der Ausbildung von Lehrerinnen- und Lehrern. Die erste Kernfrage der Forschungsarbeit wird aufgrund der gründlichen Darstellung der Forschungsstände innerhalb der einzelnen Bereiche und der darauf aufbauenden Entwicklung von Qualitätsansprüchen an ein Unterrichtsmodell zur Umsetzung literarischer Lernsituationen im theoretischen Teil der Arbeit zu beantworten versucht. Ausgehend von Bestimmungen dessen, wie literarisches Lesen und Lernen definiert sind, und um welche Kompetenzen und Spannungsfelder es dabei geht, werden auch die einzelnen Steuerungsebenen des Modells – namentlich die Aufgaben, das Material und die Gesprächsführung als ‚personale Steuerung‘ – an die fachdidaktische Forschungslage angebunden. Dabei sollen die Bezeichnungen des Koblenzer Arbeitsmodells als ‚hermeneutisch‘ und als ‚diskursiv‘ fachtheoretisch wie fachdidaktisch geprüft werden. Die oben formulierte erste Forschungsperspektive wird zunächst auf der theoretischen Ebene in den Blick genommen. Die Forschungsfrage lautet dann:

Forschungsfrage 1a) Wird Unterricht, der aufgrund des Koblenzer Arbeitsmodells ‚hermeneutisch-diskursiver Literaturunterricht‘ geplant und durchgeführt wird, vor dem Hintergrund fachdidaktischer Konzeptionen dem Anspruch gerecht, literarisches Lernen im Sinne der derzeit gängigen und wissenschaftlich begründeten lerntheoretischen, pädagogischen und v. a. fachdidaktischen Positionen zu ermöglichen? – Teilfragen, die zu beantworten sind, lauten: Lässt sich die modellierte Phasierung theoretisch begründen? Passt die Vorstellung von Lernaufgaben zu den theoretischen Positionen? Sind die Vorstellungen zur Gesprächsgestaltung theoretisch begründbar? Lassen sich vertretbare Aussagen zur Materialauswahl und -präsentation formulieren?

Praktisch bewähren muss sich das Arbeitsmodell sowohl als Modell zur Abbildung eines ‚angemessenen‘ literarischen Lernprozesses als auch in seiner Funktion als Ausbildungshilfe für Referendarinnen und Referendare. Ausgehend von den vorher entwickelten Anforderungs- und Qualitätskriterien wird im empirischen Teil der Arbeit die Tauglichkeit des Modells im Unterricht der Referendarinnen und Referendare geprüft. Aufgrund der Analyse zweier Literaturstunden soll analysiert werden, ob die Lernprozesse, die mithilfe des Arbeitsmodells gestaltet werden, tatsächlich das literarische Lernen – wie es vorher definiert bzw. beschrieben wurde – ermöglichen und fördern, und ob bzw. in welchem Maß das Modell Referendarinnen und Referendare bei der Planung und Durchführung literarischer Lernprozesse unterstützt. Weitere Forschungsfragen, die untersucht werden, sind also die folgenden:

Forschungsfrage 1b) Wird Unterricht, der aufgrund des Koblenzer Arbeitsmodells ‚hermeneutisch-diskursiver Literaturunterricht‘ geplant und durchgeführt wird, praktisch dem Anspruch gerecht, literarisches Lernen im Sinne der derzeit gängigen und wissenschaftlich begründeten lerntheoretischen, pädagogischen und vor allem fachdidaktischen Positionen zu ermöglichen, bzw.: Wie muss und kann das Modell ergänzt oder modifiziert werden, um diesem Anspruch noch besser gerecht zu werden?

Forschungsfrage 2) Bietet das Koblenzer Arbeitsmodells ‚hermeneutisch-diskursiver Literaturunterricht‘ Referendarinnen und Referendaren eine tragfähige und ausbaufähige Grundlage zur Planung, Gestaltung und Reflexion komplexer Prozesse literarischen Lernens auf globaler wie lokaler Ebene, bzw.: Wie muss und kann das Modell ergänzt oder modifiziert werden, um diesem Anspruch noch besser gerecht zu werden?

1.2. Vorgehensweise und Methoden

Die Forschungsarbeit möchte ihre konkrete Verortung innerhalb der Weiterentwicklung der Ausbildungskonzepte am Studienseminar Koblenz ernst nehmen. Um die bestehenden Konzeptionen umfassend zu prüfen und auszudifferenzieren, verbindet sie daher die theoretische – meint: die literaturtheoretische und die literaturdidaktische – Erörterung des Arbeitsmodells mit dessen praktischer Prüfung.

Zunächst wird das Modell in die Lese- und Literaturtheorie sowie die Lesepsychologie und die Literaturdidaktik eingeordnet. Auf der Grundlage einschlägiger Positionen aus der Sekundärliteratur wird zunächst geklärt, worin der Unterrichtsgegenstand des Literaturunterrichts besteht: Literaturunterricht wird dabei weniger ergebnis- als prozessorientiert definiert. Es wird mit der These gearbeitet, dass sich der ‚Gegenstand‘ des literarischen Lernprozesses im Wesentlichen erst dadurch konstituiere, dass sich die Schülerinnen und Schüler aufgrund ihrer individuellen Beschäftigung mit dem Text wie in Form eines darauf gründenden diskursiven Austauschs auf das ‚Handlungsfeld Literatur‘ einlassen.

Als Grundlagen und Bezugsgrößen zur Prüfung des Modells werden mögliche Intentionen des literarischen Lernens erörtert, wobei auch auf die Unterscheidung zwischen ‚Lernzielen‘ und ‚Kompetenzen‘ eingegangen wird. Dass die vielfach beklagte Dichotomie zwischen Kompetenz- und Inhaltsorientierung kaum mehr besteht, wird in diesem Zusammenhang erläutert. Genauer vorgestellt und als Grundlage der Überprüfung des Koblenzer Arbeitsmodells in den Blick genommen werden ausgewählte Kompetenzmodelle zum literarischen Lernen und ausgewählte Modelle der Lesepsychologie. Von der Synopse der verschiedenen Ansätze ausgehend wird ein eigenes Kompetenzmodell entwickelt, das als Grundlage der empirischen Untersuchung genutzt wird. Bei der Frage nach einer lesepsychologischen Modellierung literarischer Lernprozesse wird mit einem Kompromiss gearbeitet: Literarisches Lernen wird zwar angesichts der Beziehung zwischen Leserin bzw. Leser und Text und angesichts besonderer und konstituierender Ebenen des Literarischen – sie werden als das ‚Ästhetische‘ und das ‚Emotionale‘ beschrieben – vom Lernen im Kontext des Lesens pragmatischer Texte unterschieden, weist aber durchaus auch Gemeinsamkeiten dazu auf.

In jeweils eigenen Teilkapiteln werden die einzelnen Steuerungs- bzw. Lenkungsfaktoren des Unterrichtsmodells angesichts der relevanten didaktischen Sekundärliteratur untersucht. Im Einzelnen beschäftigt sich die Untersuchung mit den folgenden Faktoren:

Unterrichtsphasierung

: Neben Jürgen Krefts 4-Phasen-Modell werden sechs weitere Phasenstrukturmodelle im Rahmen ihrer fachdidaktischen Kontexte vorgestellt und angesichts ihrer Gemeinsamkeiten und Unterschiede untersucht. Das Koblenzer Arbeitsmodell wird diesen zugeordnet.

Aufgabenkonzepte

: Verschiedene Aufgabenkonzepte werden vorgestellt, wobei vor allem die Kriterien zur Beschreibung von Lernaufgaben in den Blick genommen werden. Das Aufgabenkonzept, das dem Koblenzer Arbeitsmodell zugrunde liegt, wird ausgeschärft. Vor allem die Faktoren des

Demand

und

Support

, mit denen die aktuelle Aufgabendidaktik arbeitet, werden auf das Arbeitsmodell übertragen, womit eine Einbettung der Aufgabenprogression in die Phasenstruktur erfolgen kann.

Materialdidaktik/Materiale Steuerung

: Aufgrund der Feststellung, dass sich die literaturdidaktische Sekundärliteratur des Faktors ‚Material‘ gar nicht explizit annimmt, erfolgt eine entsprechende Modifikation des Modells: Das Material kann – je nach seiner Funktion – als Aufgaben-

Support

verstanden werden. Verschiedene Ausdifferenzierungen des

Support

-Begriffs werden genutzt, um den Faktor der ‚materialen Steuerung‘ innerhalb des Arbeitsmodells weiterhin auszudifferenzieren. Grundsätzlich muss zwischen ‚inhaltskonstituierendem‘ Material – in der Regel ist das der literarische Text – und

Support

-Material unterschieden werden.

Gesprächskonzept/Moderation/Personale Steuerung

: Anders als im Bereich der Aufgabendidaktik werden in der Forschungsliteratur recht unterschiedliche Ansätze zur Konzeption literaturbezogener Unterrichtsgespräche präferiert und diskutiert. Die verschiedenen Positionen werden vorgestellt und auf das Koblenzer Arbeitsmodell bezogen. Dabei wird deutlich, dass das Arbeitsmodell ‚hermeneutisch-diskursiver Literaturunterricht‘ bewusste (und begründete) Entscheidungen zugunsten einer eher zielbewussten bzw. zielorientierten Gesprächsführung impliziert. In den entsprechenden Kapiteln der Forschungsarbeit werden aktuelle fachdidaktische Positionen vorgestellt und erörtert, um diesen Ansatz zu spezifizieren und zu legitimieren. Der Ansatz, einzelne Gesprächsimpulse im Sinne der Aufgabendidaktik ebenfalls als

Demand

und

Support

zu kategorisieren, wird aufgegriffen und seinerseits zur Ausschärfung des Arbeitsmodells genutzt.

Der zweite Hauptteil der Forschungsarbeit – die empirische Untersuchung – arbeitet auf der Basis von Daten, die sich aus der Unterrichtsbeobachtung und -videografie zweier Literaturstunden ergeben, welche aufgrund des Arbeitsmodells ‚hermeneutisch-diskursiver Literaturunterricht‘ geplant und durchgeführt wurden. Mit zwei Referendarinnen, die sich am Ende der Ausbildungszeit am Studienseminar Koblenz befinden, werden zwei Unterrichtsstunden zu literarischen Themen geplant, durchgeführt und ausgewertet. Grundlage aller Arbeitsschritte ist das Arbeitsmodell ‚hermeneutisch-diskursiver Literaturunterricht‘. Die Stunden und die Auswertungsinterviews wurden aufgezeichnet und transkribiert. Nach Kriterien, die sich aus den oben beschriebenen theoretischen Überlegungen ergeben, die aber auch weitere Erkenntnisse der spezifischen Unterrichtswirksamkeitsforschung aufnehmen, wird untersucht, ob die Stunden tatsächlich den Anforderungen des Arbeitsmodells entsprechen, ob sie literarisches Lernen ermöglicht haben, und ob das Modell den Referendarinnen bei der Planung, Durchführung und Reflexion des Unterrichts geholfen hat. Zur Erhebung, Auswertung und Wiedergabe dieser Daten werden die Methoden der qualitativen Inhaltsanalyse10 genutzt.

1.3. Frühe Problematisierung: Modelle als ‚Korsett‘ und als ‚Geländer‘

Wo versucht wird, die schulische Begegnung mit Literatur – etwa in den Kontexten der Formulierung von Bildungsstandards11 und der Gestaltung von Konzepten zur Lehrerinnen- und Lehrerbildung bzw. -ausbildung12 – in konkrete Modelle zu überführen, kann der Eindruck eines allzu technischen und reduzierten Blicks auf die Gegenstände, das Potenzial und die Aufgaben des Literaturunterrichts entstehen.13 Anspruchsvollen Vorstellungen und Forderungen, literarische Lernprozesse sollten zu einer ‚ästhetischen Erziehung‘14 beitragen, ohne die den Schülerinnen und Schülern ein „wesentliches Werkzeug zur Auseinandersetzung mit sich selbst […], mit den Mitmenschen […] und der Umwelt […]“15 fehle, steht in den praxisbezogenen Zugriffen auf Schule und Unterricht oft ein ernüchternder Aufweis – oft allzu pragmatischer – organisatorischer Rahmenbedingungen, situativer Widrigkeiten und vermeintlich notwendiger Reduktionen gegenüber. Ein Literaturunterricht, der innerhalb enger zeitlicher Taktungen durchgeführt und an vorgegebenen Zielen und mehr oder weniger standardisierten Leistungsüberprüfungen ausgerichtet wird – und diese Ausrichtung auch als legitim annimmt – gerät in den Verdacht, sein ‚ästhetisches‘, existenzielles und kritisches Potenzial preiszugeben. Er erscheint dann eher als ein „Lehrgang“16, der in das enge „Korsett“17 vorgegebener Ziel- und Modellvorstellungen eingepasst wurde bzw. werden musste.18 Gilt es dann auch noch, weiterhin reduzierte Modelle zu entwickeln, anhand derer angehenden Lehrerinnen und Lehrern die Fähigkeiten zur Planung und Durchführung dieses ohnehin schon pragmatisierten Unterrichts in kürzester Zeit vermittelt werden kann, potenzieren sich die vermeintlichen Unzulänglichkeiten der hierin impliziten Vorstellungen von literaturbezogenem Lehren und Lernen ins scheinbar Unermessliche.

Dass derartige Praxisbedingungen kritisch bewertet werden, liegt auf der Hand und führte nicht nur im Zusammenhang mit den Standardisierungsbemühungen nach der Pisa-Studie des Jahres 2000 zu heftigen kritischen Reflexen.19 Auch aktuelle fachdidaktische Übersichtswerke nehmen sich der Problematik an und bemühen sich um ihre konstruktive Integration in ebenso gegenstands- wie praxisangemessene Lehr-Lern-Vorstellungen.20

Zweifellos müssen sich auch die Konzepte und Positionen zur Ausbildung von Literaturlehrerinnen und -lehrern diesem Grundsatzdilemma stellen. Wie sehr sich die Modelle, die im Rahmen der vorliegenden Forschungsarbeit geprüft und entwickelt werden, der Kritik einer allzu intensiven Reduzierung und Pragmatisierung aussetzen müssen und wie berechtigt die damit verbundenen Anfragen und gar Ablehnungen sind, muss dem Verfasser – wie auch den Leserinnen und Lesern – der Untersuchungen bewusst bleiben. Wie legitim – oder: geboten – die Vorgehensweise dennoch ist, wie die Gestaltung eines ‚sortierten‘ modellgestützten Unterrichtslehrgangs zu einer schrittweisen Ausbildung selbstständiger(er) Leserinnen und Leser führen kann und wie hilfreich die Modelle – gerade aufgrund ihrer Beschränkungen – für angehende Lehrerinnen und Lehrer sein können, bestätigt sich in der Erfahrung des Verfassers der Forschungsarbeit als Lehrer und Ausbilder immer wieder. Auch wenn die Kritiken nachvollziehbar und ihre Relativierungen in diesem frühen Kapitel der Forschungsarbeit noch nicht evident sind, wird zunächst von einer grundsätzlichen Legitimität der Ansätze ausgegangen.

Ein Ausblick am Ende der Arbeit wird die kritische Perspektive aber noch einmal aufgreifen. Vorher – während des Lesens der Ausführungen – wird es hilfreich sein, die Ziele und die Zielgruppe der Modellentwicklung nicht aus den Augen zu verlieren: Es geht um ein Modell, mit dem Lehramtsnovizinnen und -novizen jugendlichen Lernerinnen und Lernern einen Zugang zur Literatur als komplexem und komplex wirkungsvollem Gegenstand vermitteln können. Dabei sollen Wege eröffnet werden, auf denen die eingangs benannten Ziele der literarischen Bildung erreicht und die damit vermeintlich einhergehenden Überforderungen der Lehrenden und der Lernenden reduziert werden können. Keineswegs erheben die Konzeptvorschläge den Anspruch, diese Ziele zwangsläufig und sofort zu generieren. Modellorientiertes, gestuftes Vorgehen muss – sowohl in den Lehrgängen der Lehrerinnen- und Lehrerausbildung als auch in denen des schulischen Literaturunterrichts – nicht ausschließlich als Einschränkung individueller Freiheiten und Entfaltungsmöglichkeiten gesehen, sondern kann und sollte auch als Versuch zur Umsetzung einer notwendigen Komplexitätsreduzierung verstanden werden. Wo die folgenden Darstellungen als sehr reduziert bzw. reduzierend wahrgenommen werden, dürfen die Reduktionen dann nicht nur als ‚Korsett‘, sondern auch als hilfreiches ‚Geländer‘ gelesen und akzeptiert werden.

1 Der Blick auf Unterricht bezieht sich hier auf die weiterführenden Schulen, also die Klassenstufen 5-13. Die alltagssprachliche Formulierung Literaturunterricht wird innerhalb der Forschungsarbeit auszudifferenzieren und durch Begriffe aus dem Bereich des Literarischen Lernens zu ersetzen bzw. zu ergänzen sein.

2 Zur Attribuierung von Lehrerinnen und Lehrern als „reflektiert“ vgl. z. B.: Dannemann (u.a.): Reflektierte Handlungsfähigkeit in der Lehrer*innenbildung (2019).

3 Eine Ausdifferenzierung der Anforderungsebenen erfolgt z.B. durch die Forschungen zur Professions- und Professionalisierungsforschung von Lehrerinnen und Lehrern (vgl. Pflugmacher: Deutschdidaktische Professionsforschung als Unterrichtsprozessforschung (2015), S. 4-19. Auch Michael Baum blickt auf Dilemmata und Anforderungen, innerhalb derer Referendarinnen und Referendare agieren müssen und beschreibt die Akteure – mit Ralf Eigenwald – als „Zerrissene[.]“ (Baum: Der Widerstand gegen Literatur (2019), S. 23). – Dass die Anforderungen als hoch empfunden werden, erleben die Ausbilderinnen und Ausbilder in jedem Ausbildungsjahrgang. Forschungsergebnisse zu den Formen und Intensitäten der Belastung finden sich z.B. bei: Walter/Rothland: Belastung und Beanspruchung im Referendariat (2023), S. 97-123, dort v.a. S. 114 u. 119; ebenso im Bericht der SWK aus dem Jahr 2023 (vgl.: Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz (SWK): Lehrkräftegewinnung und Lehrkräftebildung für einen hochwertigen Unterricht (2023), S. 69-70).

4 Gemeint ist das Studienseminar für das Lehramt an Gymnasien in Koblenz. Aus Gründen der Lesbarkeit wird an mancher Stelle der Forschungsarbeit die kurze Formulierung ‚Studienseminar Koblenz‘ genutzt. Die Verkürzung soll absolut nicht verdecken, dass es in Koblenz weitere Studienseminare – nämlich zur Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern an anderen Schulformen – gibt. Es gibt derzeit keine Prüfung und Ausdifferenzierung des Arbeitsmodells, die über das Studienseminar Koblenz hinausgeht. Im Sommer 2024 wurde eine Arbeitsgruppe aus Vertreterinnen und Vertretern verschiedener gymnasialer Seminare gebildet, die einen Vorschlag zur Überarbeitung der sogenannten ‚Ausbildungslinien für das Fach Deutsch‘ – es handelt sich um ein Dokument des rheinland-pfälzischen Bildungsministeriums, in welchem die Bereiche und die Anforderungsniveaus verschiedener Phasen der Lehrerinnen- und Lehrerbildung bzw. -ausbildung konkretisiert sind – entwickeln soll. Die Ergebnisse der hier vorliegenden Forschungsarbeit können idealerweise in die Konzeptentwicklungen integriert werden. Der Verfasser der Forschungsarbeit ist eines von drei Mitgliedern der Arbeitsgruppe.

5 Das Arbeitsmodell wird im nächsten Kapitel der Forschungsarbeit ausführlich vorgestellt. Hier sei schon einmal verwiesen auf seine Darstellung in der Materialveröffentlichung zum Fachseminar Deutsch (vgl. Zimmer: Fachseminar Deutsch (2019), S. 22-25.) und im Online-Material des Deutsch-Fachleiters Volker Vogt (vgl. Vogt: Kompendium Deutschdidaktik (o. J.), S. 3-5).

6 Konkrete Hinweise zur Gestaltung der Aufgabenformate im Sinne des Arbeitsmodells finden sich in der Materialsammlung zum Fachseminar (vgl. Zimmer: Fachseminar Deutsch (2019), S. 69-76.) ebenso wie Hinweise zur Gestaltung der Moderation bzw. der ‚personalen Steuerung‘ (vgl. ebd. S. 77-93).

7 Es wird – auch in offiziellen Dokumenten – nicht immer klar zwischen den Bezeichnungen Lehrerinnen- und Lehrerbildung und Lehrerinnen- und Lehrerausbildung unterschieden. In der Regel nutzen Dokumente, die in universitären Kontexten entstanden sind, eher die erstgenannte Bezeichnung. Dokumente, die zur Kommunikation der Studienseminare gehören, sprechen von Lehrerinnen- und Lehrerausbildung. Die vorliegende Forschungsarbeit wird sich ebenfalls dieser Form bedienen und nur an Stellen, an denen ausdrücklich und ausschließlich auf die erste Phase der Ausbildung geblickt wird, von Lehrer-innen- und Lehrerbildung sprechen. Wo die beiden Phasen in ihrer institutionellen Verortung gemeint sind, wird auch die Formulierung Lehrerinnen- und Lehrerbildung bzw. -ausbildung verwandt.

8 Meint ‚auf den gesamten Text bezogen‘ anstatt ‚auf eine bestimmte Textstelle bezogen‘.

9 Meint ‚auf eine bestimmte Textstelle bezogen‘.

10 Die Arbeitsmethodik der Forschungsarbeit orientiert sich an den Arbeitsschritten und - kriterien, die Udo Kuckartz (vgl. v. a. Kuckartz/Rädiker: Qualitative Inhaltsanalyse (2022)) vorschlägt.

11 Vgl. z. B. Kammler: Literarische Kompetenzen (2006), S. 8-11; Kämper-van den Boogart: Der Deutschunterricht des Staates (2019), S. 42-43.

12 Vgl. exemplarisch: Pflugmacher: Deutschdidaktische Professionsforschung als Unterrichtsprozessforschung (2021), S. 4-20.

13 Vgl. z. B.: Fingerhut: Die didaktische Funktionalisierung literarischer Texte in kompetenzorientierten Unterrichtseinheiten integrierter Deutschbücher (2008), S. 5-7; Mitterer/Wintersteiner: Literarische Erfahrung – Ästhetischer Modus und literarisches Lernen (2015), S. 96-108.

14 Was mit ‚ästhetischer Erziehung‘ gemeint sein kann, wird im Rahmen der Forschungsarbeit zu erörtern sein. Siehe aber zu eine ersten Füllung des Begriffs die nächste Fußnote.

15 Kepser/Abraham: Literaturdidaktik Deutsch (2016), S. 71. – Kepser/Abraham beziehen sich bei der Darlegung des Potenzials einer wie auch immer zu fassenden ‚ästhetischen Kompetenz‘ u.a. auf die Thesen Jürgen Krefts. Kreft, der sich seinerseits an den Positionen zur ästhetischen Bildung von Jürgen Habermas orientiert, gesteht dem Literaturunterricht einen immensen Wert innerhalb der Persönlichkeitsbildung zu. Er vertritt die Position, dass die alltäglichen Diskurse und die Sozialisation des Menschen ohne Unterricht – speziell auch ohne den Literaturunterricht – zur Ausbildung individueller und sozialer Kompetenzen nicht hinreichend seien. Kreft schreibt: „Da in unserer hochindustrialisierten Gesellschaft nicht nur der Erwerb von speziellen Qualifikationen, sondern auch der Erwerb fundamentaler Kompetenzen und Ich-Entwicklung […] nicht beiläufig in der Lebenspraxis geschieht und sichergestellt ist […], sind institutionalisierte Lehr-Lern-Prozesse (Unterricht) notwendig“ (Kreft: Grundprobleme der Literaturdidaktik (1982), S. 217-218).

16 Baum: Der Widerstand gegen Literatur (2019), S. 55. – Michael Baum blickt insgesamt sehr kritisch auf die aktuellen institutionalisierten didaktischen Positionen und ihre Übertragungen in die Praxis. Die Suche nach Modellen und Konzepten für das literarische Lernen birgt für ihn die Gefahr, allzu sehr von der Lehrbarkeit des eigentlich widerständigen Gegenstands auszugehen und eine „Lehrbarkeitsdoktrin“ (ebd. S. 54) zu etablieren, die zu unkritisch und zu affirmativ davon ausgeht, „dass literarische Lektüre etwas ist, das sich systematisch lernen lässt, und dass die Kunst der Didaktik darin besteht, genau dies ins Werk zu setzen“ (ebd. S. 54). Literaturunterricht evoziere und fördere dann nicht die subjektiven Leseerfahrungen mit singulären, wertvollen Texten, sondern würde zu einem „literarische[n] Lehrgang“ (ebd. S. 55), der das Ergebnis und die Bereitschaft impliziere, gerade nicht zu einer Aufklärung und Verselbständigung der Schülerinnen und Schüler beizutragen.

17 Ebd. S. 66.

18 Der Umgang mit der Spannung zwischen den ‚betrieblichen Anforderungen‘ und den ‚professionellen Standards‘ ist nicht nur eine Herausforderung für den Literaturunterricht, sondern betrifft den Schulunterricht auf einer grundsätzlichen Ebene (vgl. z.B.: Terhard: Lehrerin/Lehrer: Der Beruf als Profession (2021), S. 6). Einen Überblick über die auf den Literaturunterricht bezogene Professions- und Professionalisierungsforschung stellt Torsten Pflugmacher (vgl. Pflugmacher: Deutschdidaktische Professionsforschung als Unterrichtsprozessforschung (2021), S. 11) zusammen. Mit Ulrich Oevermann spricht er von der Notwendigkeit einer „handlungsentlasteten Rekonstruktion von Unterricht zu Ausbildungszwecken in der Lehrerbildung“ (ebd. S. 7). Pflugmacher entwickelt Konzepte, konkrete Fallstudien in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung bzw. -ausbildung einzusetzen und beschreibt die Spannungsfelder, innerhalb derer didaktische und unterrichtspraktische Entscheidungen getroffen werden müssen (vgl. ebd. S. 14).

19 Vgl. noch einmal exemplarisch: Kammler: Literarische Kompetenzen (2006), S. 8-20.

20 Verschiedene fachdidaktische Übersichtswerke gehen auf die Problematik ein. So befassen sich z.B. Leubner u.a. in dem kleinen Einleitungskapitel ihrer Literaturdidaktik unter dem Titel „Aus dem Leben eines Deutschlehrers“ (Leubner u.a.: Literaturdidaktik (2916), S. 11-13) mit den Alltagsrealitäten des Literaturunterrichts. Kepser/Abraham beschreiben ein Grundmodell zum literarischen Lernen, das entsprechende Spannungen enthält: „Spannung zwischen lustbetontem (Freizeit-)lesen und Erwartung an Lektüre als kulturellem ‚Ritus‘“, „Spannung zwischen hochgewerteter und Sozialisationsliteratur“ und „Spannung zwischen eigenem Erleben und veröffentlichungsfähigem Verständnis“ (Kepser/Abraham: Literaturdidaktik Deutsch (2016), S. 27).

I. Beschreibung des Modells und seiner Verwendung

2. Entstehung und Beschreibung des Arbeitsmodells ‚hermeneutisch-diskursiver Literaturunterricht`

2.1. Das ‚Lehr-Lern-Modell‘ als Medium der Seminarentwicklung

Aktuelle Darstellung des allgemeinen Koblenzer ‚Lehr-Lern-Modells‘

Seit dem Jahr 2010 nutzt das Staatliche Studienseminar für das Lehramt an Gymnasien in Koblenz ein immer wieder weiterentwickeltes Modell als Grundlage der allgemeindidaktischen wie der fachspezifischen Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern sowie der damit verbundenen Kommunikation.21 Das von seinen Entwicklerinnen und Entwicklern so genannte Koblenzer „Lehr-Lern-Modell“22 gründet in zahlreichen intensiv reflektierten Praxiserfahrungen der Ausbilderinnen und Ausbilder und ist inzwischen in unterschiedlichen Kontexten veröffentlicht und ausdifferenziert.23 Eine fundierte und ausdrückliche theoretische oder empirischpraktische Absicherung des Modells ist bisher nicht erfolgt, gleichwohl einzelne Veröffentlichungen sich den entsprechenden Fragestellungen zugewandt und erste Fundierungen geleistet haben.24

Das Koblenzer ‚Lehr-Lern-Modell‘ blickt auf ausgewählte25 Faktoren zur Darstellung, Planung und Besprechung von Unterricht, die eine Grundlage der Ausbildung, Beratung und Bewertung der Referendarinnen und Referendare bilden können. Das Gesamtarrangement der einzelnen Faktoren wird im Modell als „Lernumgebung“26 bezeichnet. Grundsätzlich betrachtet und beschreibt das Modell mögliche Schrittfolgen eines kompetenzorientierten und Kompetenzen aufbauenden Lernprozesses, der eine ebenso planerisch reflektierte wie situativ flexible Korrelation von instruktiven – eher durch die Lehrperson vorbereiteten und gesteuerten – und lernerorientiert-konstruierenden Unterrichtsphasen vorsieht und ermöglicht. Als vorbereitbare Möglichkeiten, Unterrichtsprozesse aus Sicht der Lehrerin und des Lehrers intentional zu gestalten – das Modell nennt diese Form der Gestaltung „Steuerungen“27 – werden neben der antizipierenden Anlage der Lernschrittfolge die Gestaltung von Lernaufgaben, des Materials sowie der Unterrichtsgespräche beschrieben. Das Modell unterscheidet hierbei zwischen der „materialen Steuerung“28 und der „personalen Steuerung“29.

Alle vorbereitenden und begleitenden Steuerungen implizieren spezifische Möglichkeiten einer individualisierten und diagnostischen Wahrnehmung samt entsprechender Handlungsoptionen – zum Beispiel in Fördersituationen. Die Möglichkeiten und Notwendigkeiten zur Diagnose werden im Lehr-Lern-Modell aufgrund ihrer zentralen Bedeutung als eigene Möglichkeit der Unterrichtssteuerung dargestellt.30

Die Vorstellungen von „gelungenem Unterricht“31 und wirkungsvoll gestalteten Lernumgebungen, die dem Modell zugrunde liegen, werden folgendermaßen umschrieben:

„[...] Unterricht, der durch das Lehr-Lern-Modell dargestellt wird, …

verbindet Instruktion und Konstruktion: Unterricht ist dann lernerorientiert angelegt, wenn er jeden Schüler

32

in einem Höchstmaß dazu anleitet und ihm die Möglichkeit gibt, selbst Fragestellungen zu entwickeln, sich an deren Lösung zu versuchen und dabei strategisches und inhaltliches Wissen zu konstruieren. Anstatt Lösungen und Wissen belehrend vorzugeben, stellt der Lehrer

33

– in klar durchdachter Dosierung und Struktur – dasjenige Maß an Informationen zur Verfügung, welches der Schüler benötigt, um in angemessener Zeit und mit angemessenem Erfolg an der Lösung der aufgekommenen Frage- und Problemstellungen arbeiten zu können.

folgt ‚hermeneutisch-diskursiven‘ Unterrichtsprozessen: Viele Unterrichtsmodelle orientieren sich an einer einfachen hermeneutischen Arbeitsprogression: Ausgehend von individuellen Thesen zu einem Thema erfolgt ein schrittweiser Prozess der Auseinandersetzung, der das Wissen und die Fähigkeiten immer wieder präzisiert und auf ein höheres Niveau hebt. Eine vielfache Bereicherung erfährt die individuelle Lern-Hermeneutik durch regelmäßige Diskurse, in denen Thesen ausgeschärft, Lösungswege geprüft und differenziert und Ergebnisse verhandelt und dabei präzisiert und gefestigt werden können.

initiiert das Erstellen von Lernprodukten: Ein tiefer und nachhaltiger Erwerb von Kompetenzen und Wissen erfolgt vor allem durch deren Anwendung und handelnde Umsetzung. Unterrichtsphasen, die auf das Erstellen von Lernprodukten blicken, verfolgen zwangsläufig einen klaren Fokus. Sowohl während ihres Zustandekommens als auch als Endergebnisse ermöglichen Lernprodukte eine fundierte Selbst- und Fremddiagnose.“

34

Das Koblenzer ‚Lehr-Lern-Modell‘ stellt selbstredend und offensichtlich auch einen Bezugspunkt des im Rahmen dieser Arbeit vorzustellenden und zu prüfenden Arbeitsmodells für den Literaturunterricht dar. Es wird in den folgenden Kapiteln immer wieder in die Ausführungen einbezogen werden, soll aber an dieser Stelle nicht in seiner gesamten Differenziertheit dargestellt und beschrieben werden. Angemerkt werden muss jedoch der Hinweis auf den Wert des gesamten Auseinandersetzungsprozesses mit dem Modell. Über alle greifbaren grafischen und wörtlich ausdifferenzierten Darstellungen des Modells hinaus barg und birgt vor allem der intensive durch das Modell initiierte und an das Modell rückgebundene Austauschprozess der vergangenen Jahre ein enormes Potenzial zur Professionalisierung der Lehrerinnen- und Lehrerausbildung in Koblenz – mindestens als Grundlage einer konstruktiven Kommunikation zwischen allen an der Ausbildung beteiligten Personen. Dass das ‚Lehr-Lern-Modell‘ weiterhin zu einem lebendigen und der aktuellen Schul- und Unterrichtswelt angemessenen Diskurs beiträgt, zeigen jüngere Entwicklungsschritte, die etwa auf seine Adaption im Fernunterricht und in digitalen Unterrichtssituationen35 blicken.

2.2. Exkurs: Konkretisierungen des Modells in anderen Fächern

Das im Studienseminar entwickelte ‚Lehr-Lern-Modell‘ bildet inzwischen die Grundlage für die Ausbildung in allen Schulfächern, in denen Referendarinnen und Referendare für das Lehramt an Gymnasien in Koblenz ausgebildet werden können. Die basalen Implikationen des Modells und der mit ihm verbundenen Unterrichtsvorstellung sind dabei in allen fachspezifischen Konkretisierungen repräsentiert. Unterschiede ergeben sich aus fachdidaktischen und fachpraktischen Besonderheiten der jeweiligen Fächer.

So unterscheidet etwa der Unterricht im Fach Biologie zwischen verschiedenen Typen von Lerneinheiten, woraus sich jeweils spezifische Anforderungen an die Gestaltung und die Zielsetzung der einzelnen Unterrichtsphasen ergeben. Je nachdem, ob ein Unterrichtsschritt dem Ziel der ‚Erkenntnisgewinnung‘, der ‚Kommunikation‘, dem ‚Umgang mit Fachwissen‘ oder der ‚Bewertung‘ folgt36, werden Lernprodukte, Aufgabenstellungen, Materialgestaltung und Moderation unterschiedlich nuanciert.

Bommersheim/Heuper37 beschreiben darüber hinaus, wie naturwissenschaftlicher Unterricht im Sinne des ‚Lehr-Lern-Modells‘ sprachorientiert und sprachfördernd – sie sprechen von „sprachsensiblem“38 Unterricht – gestaltet werden kann.

Vielfach ausdifferenziert und an konkreten Unterrichtsbeispielen veranschaulicht ist auch die Modellübertragung auf das Fach Geschichte. Wolfgang Woelk und Tobias Dietrich binden das Modell und seine Ausprägungen in verschiedenen Veröffentlichungen an die Fachdidaktik des Faches Geschichte an und erörtern seine Brauchbarkeit für die Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern in der ersten und zweiten Ausbildungsphase.39 Das Schulbuch Horizonte40 des Westermann-Verlags setzt die theoretischen Ansätze in konkrete Aufgabenkonzepte für das Fach Geschichte um.

Dass die Progression im modernen Fremdsprachenunterricht zwei miteinander verbundenen Lernlinien folgen muss, beschreibt Ralf Schulte-Melchior am Beispiel des Faches Französisch.41 In allen Phasen des Unterrichts wird der Aufbau sprachlicher Kompetenzen – im Idealfall – mit einer intensiver und differenzierter werdenden inhaltlichen Auseinandersetzung vernetzt. Eine grundlegende Zusammenstellung für das Fach Deutsch, in welcher einzelne didaktische Bereiche vorgestellt und auf das Koblenzer ‚Lehr-Lern-Modell‘ bezogen werden, stellt Volker Vogt seinen Referendarinnen und Referendaren in einem Kompendium42 zur Verfügung. Seine Ausführungen sind zu den Spezifika der Ausbildung für das gymnasiale Lehramt im Fach Deutsch, die dieser Forschungsarbeit zugrunde gelegt werden, absolut kompatibel. Sie werden in allen Teilen der Arbeit im Blick behalten. Weitere fachspezifische Varianten des ‚Lehr-Lern-Modells‘ sind für die Fächer Mathematik, Physik, Chemie und Sozialkunde beschrieben.43

Die fachspezifischen Ausschärfungen folgen allesamt der gemeinsamen Referenz, die auch als Titel der grundlegenden Veröffentlichung des Studienseminars gewählt wurde: „Guter Unterricht schafft Lerngelegenheiten.“44 Sie blicken auf Möglichkeiten der Unterrichtsgestaltung, die den Schülerinnen und Schülern eine größtmögliche Eigenständigkeit zugesteht, ohne dass pragmatisch notwendige, didaktisch begründete und schulpolitisch definierte Zielorientierungen aufgegeben werden müssen. Alle beschriebenen Unterrichtskonzepte orientieren sich an den Grundsätzen der ‚Prozessorientierung‘ und der ‚Kompetenzorientierung‘. Prozessorientiert sind sie insofern, dass die Schülerinnen und Schüler schrittweise zu einer Auseinandersetzung mit den Unterrichtsgegenständen angeleitet werden, sodass individuelle Schwerpunktsetzungen und das Arbeiten aufgrund individueller Arbeitsgeschwindigkeiten möglich werden. Die Kompetenzorientierung ergibt sich aus dem Anspruch, dass nicht einzelne Inhalte erarbeitet, sondern grundsätzliche, auf weitere Unterrichts- und Arbeitssituationen übertragbare Fähigkeiten erlernt, angewandt und geübt werden. Alle Unterrichtskonzepte orientieren sich dazu an einem ähnlichen Phasenschema und definieren die Gestaltung von Lernaufgaben, Lernmaterialien und der Moderation in großer Kompatibilität.

Nicht übergangen werden sollte in der Darstellung dieses Teilkapitels die Arbeit von Tanja Fendt45. Fendt folgt in ihrer Bamberger Dissertation der Frage nach einem passenden Ausgleich zwischen instruktiven und auf Konstruktion ausgelegten Momenten der Unterrichtsgestaltung im Fach Chemie im Blick auf die Vorstellungsentwicklung46 der Schülerinnen und Schüler. Unter anderem nutzt sie die Ausführungen des Studienseminars Koblenz als Grundlage ihrer eigenen Modellentwicklung47. Der empirische Teil ihrer Untersuchungen greift dann auch auf Unterrichtsbeispiele zurück, denen das Koblenzer Modell ausdrücklich zugrunde liegt.48 Fendt liest das ‚Lehr-Lern-Modell‘ als Abbildung einer Unterrichtskonzeption, die dem Ansatz eines „moderaten Konstruktivismus“49 folgt. Lehrerinnen und Lehrer bzw. deren planerische und gestaltende – vor allem sprachliche – Handlungen im Zusammenhang mit dem Fachunterricht werden als Möglichkeiten einer „Ko-Konstruktion“50 bezeichnet, die ein ausgewogenes Maß an didaktisch notwendiger Offenheit und pragmatisch notwendigem Eingreifen finden muss. Fendts Praxisuntersuchungen zeigen, dass eine behutsame und professionelle51 moderative Begleitung der Lernprozesse durch eine Lehrerin oder einen Lehrer zu inhaltlichen, sprachlichen und fachmethodischen Kompetenzerweiterungen bei den Schülerinnen und Schülern führt. Darüber hinaus wird deutlich, welche unterrichtlichen Gesprächsmuster die ko-konstruktiven Lehr-Lern-Prozesse unterstützen können.52

Interessant und für die vorliegende Forschungsarbeit relevant ist dabei aber vor allem die grundsätzliche Zuordnung des ‚Lehr-Lern-Modells‘ zur Lerntheorie und Didaktik des Konstruktivismus. Die Semantiken der Begriffe Bildung, Lernen und Wissen unterscheidet sich deutlich von den jeweiligen Bedeutungen, mit denen die Begriffe im Kontext des literarischen Lernens zu füllen sind. Die von Fendt – passend zu den Positionen der Fachleiterinnen und Fachleiter der naturwissenschaftlichen Fächer53 – wahrgenommene konstruktivistische Anlage des ‚Lehr-Lern-Modells‘ ist nicht zwangsläufig kompatibel zur hermeneutischen Lesart des Modells, wie sie durch die textbasierten Fächer vorgenommen wird. Eine Ausdifferenzierung des Modells für die hermeneutische Arbeit soll – wie die Forschungsfragen ja beschreiben – im Rahmen der vorliegenden Forschungsarbeit erfolgen.

2.3. Spezifizierungen für das Fach Deutsch

2.3.1. ‚Hermeneutisch-diskursiver Literaturunterricht‘

Im Rahmen der allgemeinen Seminarentwicklung am Studienseminar für das Lehramt an Gymnasien in Koblenz adaptierten die betreffenden Fachleiterinnen und Fachleiter das Koblenzer ‚Lehr-Lern-Modell‘ auch für das Fach Deutsch. Das dabei entstandene Modell wird hier zunächst in derjenigen Erscheinungsform und Version vorgestellt, die zum Zeitpunkt des Beginns der Forschungsarbeit kommuniziert und in den Ausbildungsveranstaltungen genutzt wird.54 Grundlage der hier zu beschreibenden fachspezifischen Ausprägung des Unterrichtsmodells waren im Wesentlichen das oben beschriebene allgemeine Lehr-Lern-Modell als Bezugspunkt sowie die aus der Praxisexpertise der Ausbilderinnen und Ausbilder abgeleiteten, in der Ausbildung und in gemeinsamen Gesprächen ausdifferenzierten Konkretisierungen. Auch das Modell für das Fach Deutsch wurde darüber hinaus weder theoretisch noch empirisch geprüft und fundiert.

Das Modell für das Fach Deutsch weist bereits in den ersten Darstellungen auf das zugrundeliegende ‚hermeneutische‘ Unterrichtsverständnis und die Relevanz des regelmäßigen diskursiven Austauschs hin. Die exponierte Titulierung des dargestellten Unterrichtsprozesses als ‚hermeneutisch‘ gründete in den frühen Phasen der Modellentwicklung unter anderem auch in der Notwendigkeit, die Konzepte des Deutschunterrichts von denjenigen der naturwissenschaftlichen Fächer abzugrenzen. Lernaufgaben und Unterrichtsgespräche im Fach Deutsch sollten und konnten nicht durch Schrittfolgen abgebildet werden, die denen eines naturwissenschaftlichen Experiments entsprachen55. Dass der Unterricht im Fach Deutsch eine grundsätzliche Offenheit für unterschiedliche Zugänge zum Lerngegenstand zulassen, die Möglichkeit zur Erfahrung und Artikulation persönlicher Involviertheit und ästhetischer Erfahrung56 anbieten und schaffen musste, galt allen Beteiligten von Beginn an als basales Charakteristikum des zu entwickelnden Modells.

Aktuelle Darstellung des Modells zum ‚hermeneutisch-diskursiven Unterricht‘57

Dass das Modell des ‚hermeneutisch-diskursiven Unterrichts‘ nicht ausschließlich auf den Literaturunterricht und das literarische Lernen bezogen wurde, sei hier nur ergänzend angemerkt. Die Fachseminare bemühten sich, für alle Kompetenzbereiche des Faches Deutsch Phasenmodelle zur Unterrichtsgestaltung auf der Mikro- und der Makroebene zu entwickeln, die sich durch das Deutsch-Modell abbilden ließen.58 Vor allem die Implikationen des Modells, die zu einer intensiven Lerner- und Lernprozessorientierung des Unterrichts beitragen sollen, lassen sich durchaus auch auf bestimmte Unterrichtssituationen in den Kompetenzbereichen Schreiben, Sprache betrachten59 und Rechtschreiben lernen60 übertragen. Ob die Bezeichnung der dabei entstehenden Lernprozesse als ‚hermeneutisch‘ sinnvoll und geboten ist, kann sicherlich in Frage gestellt werden. Da diese Problematik die Fragestellungen der vorliegenden Forschungsarbeit aber nur am Rande berührt, sei sie hier nicht weiter vertieft.

Das abgebildete und bisher genutzte Modell zum ‚hermeneutisch diskursiven Literaturunterricht‘ bildet die Unterrichtsprogression und den dabei intendierten Kompetenzaufbau in acht Lernschritten bzw. Prozessphasen ab, womit es von der sechsstufigen Darstellung des allgemeinen Koblenzer ‚Lehr-Lern-Modells‘ abweicht. Diese Abweichung kann allerdings insofern als marginal angesehen werden, dass sie sich weniger aus einer grundsätzlich anderen Vorstellung eines Lernprozesses als aus der Ausdifferenzierung einzelner Phasen ergibt: Um die zentrale Bedeutung des jeweiligen literarischen Textes als Lerngegenstand ausdrücklich im Modell abzubilden, wurden die zweite Phase ‚Einen literarischen Text rezipieren‘ sowie die vierte Phase ‚Den literarischen Text erschließen‘ eingefügt, womit die quantitativen Unterschiede im Bereich der Lernschrittfolgen zu erklären sind.61 Die Lernschrittfolge, die Bedeutung und die Funktionen der einzelnen Phasen lassen sich folgendermaßen beschreiben62:

I. Im Lernkontext ankommen

Die Schülerinnen und Schüler lassen sich

atmosphärisch

auf den Unterricht als spezifischen Kommunikationsprozess ein, dessen Rahmen definiert ist. Ritualisierte wie spontan notwendige Verhaltensmuster – etwa zur Gestaltung des Arbeitsplatzes – werden genutzt, um eine stabile Aufmerksamkeit für das Kommende herzustellen.

Neben dem atmosphärischen Ankommen dient diese erste Stundenphase auch dem

inhaltlichen

Ankommen in der Stunde. Je nachdem, in welcher Phase der Gesamtsequenz die einzelne Stunde angesiedelt ist, kann eine kurze Anbindung an die vorausgehende Stunde, vielleicht auch ein Ausblick auf die kommende Stunde formuliert werden. Ein kurzer Lehrer/innenvortrag kann dies ebenso leisten, wie ein Schüler/innenvortrag oder eine andere Form der Anbindung.

II. Den literarischen Text (erst-)rezipieren

In dieser Phase begegnet jede Schülerin und jeder Schüler dem Text individuell. In der Regel wird sie/er den Text als Vortrag hören oder ihn selbst lesen. Ob Vor-informationen zum Text oder zur erwarteten Arbeitsweise gegeben werden, hängt von der Situation ab. Es kann hilfreich sein, den Blick der Schülerinnen und Schüler vor der eigentlichen Textbegegnung durch einen fokussierenden Einstieg zu lenken. Hier kann eine Konzentration auf einen bestimmten Beobachtungsaspekt oder eine Vorentlastung zu einem bestimmten Aspekt erfolgen.

III. Einen Deutungsansatz oder mehrere konkurrierende Deutungsansätze gewinnen

Nach der individuellen Erstbegegnung mit dem Text machen sich die Schülerinnen und Schüler ihre jeweiligen

ersten Eindrücke

bewusst. Sie formulieren diese schriftlich oder mündlich und hören sich die Eindrücke ihrer Mitschülerinnen und Mitschüler an. Hierbei entwickeln sie ihre eigenen Ersteindrücke eventuell schon weiter.

Aufgrund des Austauschs und des Vergleichs der Ersteindrücke formulieren die Schülerinnen und Schüler

erste Deutungshypothesen

zum Text, die je nach Lernalter auch als solche bezeichnet oder aus einer reduzierten Form eines entsprechenden Sicherungsschrittes – z. B. wird man bei der Besprechung eines Fabeltextes in der Orientierungsstufe von der möglichen

Lehre

anstatt von

Deutungshypothesen

sprechen – bestehen können.

Wiederum altersgemäß beschreiben und verhandeln die Schülerinnen und Schüler mögliche Deutungsperspektiven, auf die sich die weitere Arbeit bezieht, und beschreiben dabei, auf welche Fragen bei der Textarbeit im nächsten Arbeitsschritt Antworten zu finden wären. In höheren Klassenstufen kann sich die Arbeitsperspektive daraus ergeben, die vorher formulierten Deutungshypothesen zu überprüfen.

IV. Den literarischen Text erschließen

Die Schülerinnen und Schüler konkretisieren die Deutungsperspektive und entwickeln sinnvolle mögliche Arbeitsschritte für die Arbeit am Text. Abhängig vom Lernalter und der Leistungsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler werden sie dies in großer Selbstständigkeit – sicherlich im Rückgriff auf geübte Vorgehensweisen – tun können. Ein Abgleich der eigenen Ideen mit vorgegebenen Arbeitsaufträgen oder Teilaufträgen ist in diesem Arbeitsschritt ebenfalls möglich.

V. Lernprodukte erstellen

Die Schülerinnen und Schüler arbeiten nun aufgrund der besprochenen Arbeitsschritte am Text. Diese Textarbeit wird in vielen Fällen

63

einem analytischen Blick folgen und sich allein – also immanent – auf den Text beziehen. Individuelles Arbeiten ist in dieser Phase ebenso möglich wie die Umsetzung kooperativer Arbeitsformen. Potenzielle Arbeitsgruppen können arbeitsgleich oder mit unterschiedlichen Arbeitsaufträgen arbeiten, deren Ergebnisse sich später ergänzen oder zueinander in fruchtbaren Kontrast gebracht werden können.

Das Modell ist darauf ausgerichtet, dass die Arbeitsergebnisse in einer ‚materialisierten‘ – in der Regel verschriftlichten – Form (als ‚Lernprodukte‘

64

) gesichert werden und dass sich die Schülerinnen und Schüler auf die Präsentation des Erarbeiteten vorbereiten. Die Ergebnisse können als vielschichtige und anspruchsvolle Produkte – etwa in Form der Gestaltung von Ergänzungs-, Reflexions- oder Gegentexten zum vorliegenden literarischen Text – oder auch grundsätzlich als diskutierbare Arbeitsprodukte – etwa in Form von Textmarkierungen, Notizen von Thesen und ausgefüllten Tabellen – gesichert werden.

VI. Die Lernprodukte vorstellen und verhandeln

Die Präsentation und Besprechung der Arbeitsergebnisse ist in verschiedenen Konstellationen und Abläufen möglich: Auf jeden Fall wird mindestens ein Arbeitsprodukt vorgestellt, zu dem die Schülerinnen und Schüler Stellung beziehen können. Inwiefern weitere Produkte vorgestellt und in die Verhandlung einbezogen werden, hängt von der jeweiligen Situation ab. Für das Fachseminar Deutsch sind sieben verschiedene Möglichkeiten der Präsentation modelliert und beschrieben.

65

VII. Den Lernzugewinn formulieren

Zwischenergebnisse der einzelnen Präsentationen und ihrer Besprechungen können immer wieder auf die Arbeitsperspektive bezogen werden, bevor alle Teilschritte zusammengefasst und ebenfalls auf die Gesamtperspektive bezogen werden. Eine Sicherung erfolgt durch mündliche Wiederholung oder in schriftlicher Form.

VIII. Das Deutungskonzept integrieren/erweitern

Auf der Grundlage der gesicherten Arbeitsergebnisse kann die Perspektive in diesem Schritt erweitert werden. Zum Beispiel ist es möglich, dass die Schülerinnen und Schüler Informationen – etwa zum Autor, zur Epoche oder zur Wirkung und Rezeption des Textes – erhalten, die sich aus der immanenten Arbeit nicht ergeben haben, die aber nun zur weiteren und vertieften Auseinandersetzung mit dem Text genutzt werden können. Auch eine ganzheitliche Weiterführung der Textarbeit ist möglich.

Unterricht, der an den beschriebenen Prozessphasen orientiert ist, wird in dieser Modellierung insofern als ‚hermeneutisch‘ und als ‚diskursiv“ verstanden, dass er die Schülerinnen und Schüler durch einen progressive Lern- und Gesprächsprozess leitet, bei dem sie ...

… ihr Textverständnis ausgehend von einem individuellen ersten Eindruck zu einem literarischen Text schrittweise präzisieren und fundieren,

… sowie eigene Positionen regelmäßig und sortiert mit den Positionen ihrer Mitschülerinnen und Mitschüler abgleichen und weiterentwickeln können.

Als hermeneutisch wird das Arbeitsmodell also deshalb bezeichnet, weil die Begegnung der Leserinnen und Leser mit einem literarischen Text im Sinne einer hermeneutischen Spirale66 gestaltet wird: Die Rezipienten begegnen dem Text individuell und formulieren eine Deutungshypothese, in die ihre eigene Lebensund Leseerfahrung eingebracht werden kann. Der darauf aufbauende Lernprozess führt zu einer schrittweise intensiver werdenden Textbegegnung, die sich im Austausch mit anderen Leserinnen und Lesern, dem Text und weiteren, über die immanente Analyse und Interpretation hinausgehenden Informationen vollzieht. Hermeneutische Literaturbegegnung wird gleichsam im Sinne der Lernerorientierung definiert, wenn mit der Hypothese gearbeitet wird, dass eine konsequente Anbindung der Unterrichtsprogression an die Lernprozesse der Schülerinnen und Schüler eine Form des Literaturunterrichts erfordert, die intensiv und grundsätzlich an der Begegnung zwischen der Literatur als Lerngegenstand und ihren Leserinnen und Lesern als Lernerinnen und Lernen ausgerichtet ist.67 Neben der individuellen Beschäftigung mit dem Text, die in erster Linie und regulär aufgrund textanalytischer Arbeitsweisen erfolgt, werden Deutungsschritte immer wieder in diskursiven Phasen ausgeschärft und weitergebracht, woraus das zweite kennzeichnende Attribut des Arbeitsmodells abgeleitet wird. Die Verknüpfung von individuellem und kooperativem Deutungsfortschritt wird dabei als wertvolles und spezifisches Charakteristikum der Begegnung mit Literatur aufgefasst, wie sie vor allem im Deutschunterricht gewährleistet und gepflegt werden kann. Die Grafik zeigt – in einer Zusammenfassung für Referendarinnen und Referendare – den entsprechenden Anspruch des Modells:

Übersichtsdarstellung zum hermeneutisch-diskursiven Unterricht68

Das Modell und die mit ihm verbundenen Unterrichts- und Ausbildungssituationen gehen hypothetisch davon aus, dass die Schülerinnen und Schüler folgende Kompetenzen entwickeln und üben: Sie ...

… vollziehen69 eine schrittweise intensiver und perspektivenreicher werdende Begegnung mit einem literarischen Text,

… erleben und artikulieren, welche Wirkungen ein literarischer Text auf sie hat,

… erleben auch, welche Wirkungen der Text auf andere hat,

… erfahren den Austausch über einen literarischen Text als bereichernd: Bereichernd sowohl für die Ausschärfung der eigenen Wahrnehmung des Textes als auch für die fachliche Beschäftigung – die ‚Interpretation‘) – des Textes,

… lernen Gesprächsmuster und -Möglichkeiten für einen konstruktiven literarischen Diskurs kennen, die sie nutzen und üben,

… lernen Arbeitsmethoden für die immanente und weiterführende Textarbeit kennen, die sie nutzen und üben,

… erweitern ihr Wissen über Literatur (im Einzelnen, über Autoren, über literaturgeschichtliche Entwicklungen, über Genres ...).

Dass mit dem Modell des ‚hermeneutisch-diskursiven Unterrichts‘ nicht allein eine weitere Darstellung möglicher Unterrichtsphasen vorliegt, wie sie auf der Grundlage allgemeindidaktischer und fachdidaktischer Perspektiven vielfach entwickelt und veröffentlicht sind, ergibt sich aus den ergänzenden Hinweisen zur personalen und materialen Gestaltung des Lernprozesses, die sich ihrerseits wieder an den Ausführungen zum allgemeinen Koblenzer Lehr-Lern-Modell orientieren. Aufgrund der Ausdifferenzierung der verschiedenen Planungs- und Gestaltungsfaktoren des Unterrichts und deren synthetischer Verbindung – etwa durch die kohärente Gestaltung der Ausbildungscurricula – entsteht ein Modell, das den Anspruch erhebt, komplexe Prozesse des Unterrichtsgeschehens derart abzubilden, dass lehrplan- und didaktikgemäßer Unterricht geplant, gehalten und reflektiert werden kann. In diesem Sinne erhebt das Modell einen – im Blick auf die Gestaltung des Unterrichtsprozesses – ganzheitlichen Anspruch: Alle70 relevanten Aspekte der Planung und Gestaltung von Literaturunterricht werden berücksichtigt, ausgeschärft und zueinander in Beziehung gesetzt.

Faktoren – das Koblenzer Modell spricht von „Steuerungen“71 –, in denen sich die Lehr- und Lernprozesse konkretisieren, sind die folgenden:

Zum Material, an und mit dem die Schülerinnen und Schüler arbeiten, gehört natürlich an erster Stelle der literarische Text, der im Ganzen oder in Auszügen, mit oder ohne Einleitungen und Kommentare vorliegt. Eine Besonderheit, auf die die Materialsituation des Literaturunterrichts blicken kann, besteht darin, dass das Textmaterial hier tatsächlich den originären Lerngegenstand darstellt und diesen nicht – wie etwa bei der Arbeit mit informierenden Texten – bloß stellvertretend repräsentiert.72 Weitere Materialien, die die Lernumgebung ergänzen und das Lernen unterstützen können, sind zusätzliche Texte mit inhaltlichen oder methodischen Informationen.73

Die gesamte Lernlinie, die während der schulischen Beschäftigung mit einem Text durchlaufen wird, lässt sich als Lernaufgabe bezeichnen. Diese umfassend verstandene Lernaufgabe bildet die Schrittfolge der hermeneutischen Auseinandersetzung – beginnend bei der ersten individuellen Textbegegnung – so weit ab, wie sie im Unterricht und darüber hinaus – etwa in individueller Nachbereitung – durchgeführt wird. Im Gegensatz zu dieser umfassend definierten Lernaufgabe – sie sei hier erst einmal Makro-Lernaufgabe genannt – lassen sich auch die Aufgabenstellungen der einzelnen Lernschritte als Lernaufgaben – sie seien Mikro-Lernaufgaben74 genannt – beschreiben. Vor allem die Aufgabenstellung zur Bearbeitung des Textes in den Phasen ‚IV. Literarischen Text erschließen‘ und ‚V. Lernprodukte erstellen‘ können damit gemeint sein. Auch die Aufgabenstellungen in den anderen Phasen können im Sinne einer Mikro-Lernaufgabe verstanden werden.75 Als Kennzeichen einer Lernaufgabe – sowohl der Makro- wie der Mikroaufgaben – lassen sich benennen:

Lernaufgaben initiieren und steuern den Erwerb und die Übung von Kompetenzen.

Lernaufgaben leiten das Lernen individuell und gestuft an.

Lernaufgaben leiten das Erstellen von Lernprodukten an.

Hilfsmaterial flankiert und stützt die Steuerung durch Aufgaben.

Kontexte konkretisieren Lernaufgaben

76

Das Arbeitsmodell ‚hermeneutisch-diskursiver Literaturunterricht‘ geht – zunächst hypothetisch – davon aus, dass ziel- und kompetenzorientierter Literaturunterricht auf strukturierende und moderierende Interventionen durch eine gesprächsführende Expertin bzw. einen Experten angewiesen ist. Sie und er haben die Aufgabe, den gesamten Lernprozess und alle Lernphasen so zu gestalten, dass sie sich in maximaler Lernerorientierung entfalten. Behutsam müssen alle plausiblen Deutungsideen und Deutungswege bei der Begegnung mit literarischen Texten wahrgenommen und zugelassen werden. Die Balance zwischen Offenheit und Lenkung zu finden, bedarf dabei ebenso einer intensiven didaktischen Reflexion – sicherlich auch didaktischer Entscheidungen – wie komplexer und ausdifferenzierter Möglichkeiten der Gesprächsführung. Vor allem die Schrittphasen ‚III. Deutungsansätze gewinnen‘ und ‚VI. Die Lernprodukte vorstellen und verhandeln‘ stellen die Moderatorin und den Moderator dabei vor enorme Herausforderungen, gilt es doch eine Vielzahl von Deutungshypothesen bzw. Deutungsergebnissen konstruktiv aufeinander zu beziehen und – wenn möglich – zu weiterführenden Deutungsideen zu verbinden. Gerade für diese beiden Phasen wurden eigene Modelle entwickelt, anhand derer die Referendarinnen und Referendare auf die Komplexität der Steuerungen vorbereitet werden können. Zu welchen Gesprächssituationen es in Unterrichtssituationen zum literarischen Lernen kommen kann, wie sich Lehrende durch gründliche Antizipationen auf die Gesprächsführung vorbereiten können und an welchen Mustern sie sich orientieren können, ist in einigen Ausbildungsdokumenten ausführlich dargestellt. Eine Orientierung an der Schrittfolge „Öffnen – Sammeln – Sortieren – Zusammenfassen lassen – Überleiten“77 stellt eine erste Möglichkeit dar, einen entsprechenden Kompetenzaufbau bei Referendarinnen und Referendaren anzuleiten. Übungen zur Antizipation und zur Simulation entsprechender Moderationen aufgrund verschriftlichter und videografierter Unterrichtssituationen sind wichtige Bestandteile der darauf bezogenen Ausbildungsveranstaltungen. Gerade im Blick auf diesen Kompetenzbereich der Lehrerinnen- und Lehrerausbildung wird in der vorliegenden Forschungsarbeit zu prüfen sein, ob und inwiefern die entwickelten Muster zu den Positionen der Fachdidaktik kompatibel sind und sich ihre Tragfähigkeit tatsächlich empirisch bestätigen lässt.78

2.3.2. Die bisherige Arbeit mit dem Modell im Fachseminar Deutsch

Das beschriebene Modell zur Planung, Gestaltung, Reflexion und Bewertung von Lehr-Lern-Prozessen im Bereich des literarischen Lernens stellt seit einigen Jahren die Grundlage der Ausbildung von Deutschlehrerinnen und Deutschlehrern an Gymnasien dar, die an den Seminarstandorten Koblenz und der Teildienststelle in Altenkirchen ausgebildet werden. Die Planung der Deutsch-Fachseminare orientiert sich – sowohl hinsichtlich der gesamten Kursplanung als auch innerhalb einzelner Pflicht- und Zusatzveranstaltungen – ebenso am Modell des ‚hermeneutisch-diskursiven Deutschunterrichts‘ wie die Beratung der Referendarinnen und Referendare im Zusammenhang mit der Vorbereitung und Nachbereitung konkreter Unterrichtssituationen. Leistungsbewertungen und die zugehörenden Gutachten greifen ebenfalls auf die Ansprüche, die Perspektiven und die Terminologie des Modells zurück.79 Auch wenn die Referendarinnen und Referendare regelmäßig die Möglichkeit haben, Feedbacks zur Ausbildungsgestaltung zu geben, ist bisher keine systematische Evaluation zur Effizienz des Modelleinsatzes erfolgt.

Darstellung einer früheren Version des Modells für das Fachseminar Deutsch80

In einem früheren Versuch, das Modell systematisch auf den Literaturunterricht zu übertragen und sein Potenzial als Grundlage der Ausbildung darzustellen, ist eine Erweiterung entstanden, die gegenüber der oben beschriebenen Darstellung vor allem drei Aspekte hervorhebt81:

Der Bereich der Unterrichtsmethodik nimmt auf vielen Diskursebenen, die sich mit der Beschreibung und Planung von Unterricht beschäftigen, eine zentrale Rolle ein.

82

Auszubildende Lehrerinnen und Lehrer müssen ein Methodenrepertoire entwickeln, das sie kontinuierlich erweitern, Schulbücher und veröffentlichte Unterrichtsreihen werben mit spezifischen methodischen Ansätzen

83

, der öffentliche Blick auf die Qualität von Schule und Unterricht mahnt immer wieder den Einsatz ‚innovativer‘ oder ‚motivierender‘ Methoden an.

84

– Warum ein Unterrichtsmodell, das als Grundlage der Lehrerinnen- und Lehrerausbildung genutzt wird, gerade auf die Integration des methodischen Aspektes verzichtet, ist daher schwer zu begründen. Entsprechend wurde der Aspekt der Unterrichtssteuerung aufgrund der Methoden in Form eines eigenen ‚Steuerungspfeils‘ in das Modell aufgenommen.

Hinsichtlich der sogenannten ‚personalen Steuerung‘ wurde dem Modell der spezifische Faktor der ‚Persönlichen Stellungnahme‘ durch die Lehrperson zugefügt. Auch wenn sich die Lehrerin und der Lehrer aufgrund ihrer eigenen Lesebiografie, ihrer Ausbildung, ihrer Aufgabe und ihres Altersunterschieds zu den Schülerinnen und Schüler zwangsläufig in einer eigenen, von der der Schülerinnen und Schüler grundsätzlich unterschiedenen Rolle an Gesprächen über Literatur beteiligen, gestand die damalige Darstellung des Modells auch der persönlichen Involviertheit der Lehrperson ein Potenzial zur Bereicherung eines literarischen Diskurses zu. Sowohl intentional vorbereitete persönliche Stellungnahmen – etwa zur aktuellen oder einer in der Vergangenheit so empfundenen Wirkung eines literarischen Textes – als auch spontan entstehende persönliche Urteile und Eindrücke wurden dabei als bereichernde Steuerungsmomente angesehen. Die Berücksichtigung dieser Moderationsebene passt zu den ‚Wünschen‘ des Lehrplans Deutsch, Sekundarstufe I ‚wo es heißt:

„Grundsätzlich sollte es selbstverständlich sein, dass Lehrerinnen und Lehrer des Faches Deutsch darüber hinaus als Sprach- und Lesevorbilder agieren. Sie nutzen die Sprache selbst situations- und adressatenkreisgerecht und bezeugen ihre eigenen Zugänge und ihre Freude an Literatur gegenüber ihren Schülerinnen und Schülern in einem passenden Maß.“85

Dass die Forderung, entsprechende Perspektiven in das literarische Gespräch einzubringen, bei genauerer Erörterung recht unterschiedlich beurteilt werden kann, zeigen die diesbezüglichen Auseinandersetzungen, die im Rahmen der Entwicklung des ‚Heidelberger Modells zum Literarischen Unterrichtsgespräch‘ geführt wurden.86 Gerade die Authentizität und Intensität, mit denen sich die moderierende Lehrperson in einen Diskurs einbringen darf, der eigentlich den Schülerinnen und Schülern vorbehalten ist, kann recht unterschiedlich beurteilt werden. Die Kontroverse berührt die grundsätzliche Frage nach der Rolle der Lehrerin und des Lehrers innerhalb des Literaturunterrichts deutlich und direkt. Sie ist vor allem in der kritischen Beschäftigung mit dem Heidelberger Gesprächsmodell sehr ausführlich dargestellt und erörtert worden und wird zwangsläufig auch in den folgenden Kapiteln der Modellerforschung eine zentrale Bedeutung haben und ausführlich berücksichtigt werden.

Die dritte Schwerpunktsetzung oder Ergänzung, die im Vergleich des ausführlicheren Modells mit der allgemeinen Version des ‚Lehr-Lern-Modells‘ zu nennen ist, bezieht sich auf die differenziertere Darstellung der Ziele des Literaturunterrichts. Um auszudrücken, dass sich der Kompetenzaufbau im Bereich des literarischen Lernens keinesfalls in Zielbereichen erschöpfen darf, die sich durch ‚Messbarkeit‘ und ‚ökonomischen Nutzen‘ definieren lassen, nimmt das damalige Modell einen ausdrücklich ganzheitlicheren Blick ein, indem ‚personale und soziale Kompetenzen, Werthaltungen‘ genannt und von den ‚(Schul-)kompetenzen‘ unterschieden werden. Gerade hier spiegelt das Modell seine Entstehung im Kontext der frühen Phase der Kompetenzdebatte: Ausgehend von einem zu pragmatisch gefassten Kompetenzbegriff wurde eine Engführung des Deutschunterrichts befürchtet, die ihn seiner wesentlichen Ziele hätte berauben können.

87

Dass diese Debatte erforderlich war, wird auch im Rückblick angenommen. Sie führte zu einer Erweiterung des Kompetenzbegriffs und sicherlich zu einer ausdrücklichen Anerkennung und Differenzierung der ‚nicht messbaren‘ Kompetenzen, wie sie sich zum Beispiel im Lehrplan niederschlägt:

„Eine missverstandene Engführung des Kompetenzbegriffs klammert die affektiven Ebenen des Deutschunterrichts aufgrund der fehlenden Messbarkeit und diagnostischen Überprüfbarkeit oftmals aus. Ausdrücklich geht der Lehrplan aber davon aus, dass die existentiellen, sozialen, ästhetischen und motivatorischen Lernziele und Kompetenzen einen nicht zu vernachlässigenden Kern fachdidaktischer Begründungen ausmachen.“88

Dass die einzelnen Komponenten des Modells und die von ihnen beschriebenen Faktoren zur Planung und Gestaltung des Unterrichts im Laufe der Ausbildung ausdifferenziert und erweitert werden, versteht sich von selbst. Alle Aspekte werden mehrfach aufgegriffen und theoretisch wie praktisch weiterentwickelt. Die Progression, in der diese Weiterentwicklung erfolgen kann, wird unter anderem in der sogenannten „Matrix der gestuften Ausbildung“89 des Studienseminars Koblenz definiert. Zunehmende Flexibilität im Umgang mit den einzelnen Aspekten des Modells, die zunehmende Loslösung von einem schematischen Modellverständnis zugunsten einer konsequenten Orientierung an konkreten Unterrichtssituationen und den Lernschritten der Schülerinnen und Schüler sowie die zunehmende Bereitschaft und Fähigkeit, Unterrichtsprozesse im Sinne diskursiver Prozesse anzulegen und zu moderieren, lassen sich dabei als wesentliche Faktoren der Ausbildungsprogression benennen.

Wie das Beschriebene in konkrete Unterrichtsszenarien übertragen werden kann, zeigen zum Beispiel die veröffentlichten Sequenzen zu ‚Irmgard Keun, Das kunstseidene Mädchen‘90 oder zu ‚Erich Kästner, Fabian‘91.

2.3.3. Rekurse auf das Arbeitsmodell außerhalb der Fachseminare Deutsch

2.3.3.1. Die Adaption des Modells in Schulbüchern

Über seine Etablierung und Ausdifferenzierung innerhalb der Ausbildungskontexte der Koblenzer Deutsch-Fachseminare hinaus wurde das Arbeitsmodell ‚hermeneutisch-diskursiver Literaturunterricht‘ auch als Grundlage der didaktischmethodischen Ausrichtung verschiedener Schulbücher verwandt. Um den Forderungen der Lehrpläne einzelner Bundesländer zur Gestaltung von Lernaufgaben gerecht zu werden, griff vor allem der C. C. Buchners Verlag in Bamberg auf die Koblenzer Modellentwicklung zurück. Das damals aktuelle Kerncurriculum für den Unterricht in der Sekundarstufe II des Landes Niedersachsen92 aufgreifend arbeitete das Lehrwerk KombiKOMPAKT. Ausgabe N. Deutsch in der Oberstufe mit der Idee, das Erstellen konkreter ‚Lernprodukte‘ anzuleiten: Um Arbeitsaufträge zu konkretisieren und die Leistungsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler diagnostizierbar zu machen, leiten die gestalteten Lernaufgaben diese Lernwerks die Lernenden schrittweise und recht konkret bei der Gestaltung von Arbeitsergebnissen und Teilergebnissen an.93

Unterrichtsmodell, das dem Schulbuch D.U. – DeutschUnterricht zugrunde liegt.94

Noch umfassender und ausdrücklicher bildet das Koblenzer Arbeitsmodell auch die konzeptionelle Grundlage der Schulbuchreihe D.U. DeutschUnterricht des C.C. Buchners Verlags. Neben der Konzeption der Lernaufgaben werden auch die Stundenphasierungen und die Grundsätze zur Materialgestaltung an den Koblenzer Überlegungen ausgerichtet95, wobei die in den Lehrerhandbüchern vorgestellte grafische Darstellung des Modells die ersten vier Unterrichtsphasen in jeweils zwei Gruppen zusammenfasst.96 Zur Unterstützung entsprechender Planungsüberlegungen bieten die Handbücher recht konkrete Vorschläge zur Gestaltung von Unterrichtsstunden und -sequenzen an, die zu den Material- und Aufgabenangeboten der Schulbücher passen.97

2.3.3.2. ‚Hermeneutisch-diskursiver Unterricht‘ im rheinland-pfälzischen Lehrplan für die Sekundarstufe I

Parallel zur Überarbeitung der Bildungsstandards für die Sekundarstufe I wurde in Rheinland-Pfalz zwischen 2018 und 2022 auch ein neuer Deutsch-Lehrplan für die Sekundarstufe I entwickelt. Der bis dahin gültige Lehrplan stammte aus dem Jahr 1990 und musste durch ein Curriculum abgelöst werden, das die schulorganisatorischen und didaktischen Positionen der Kompetenz- und Individualisierungsdiskussion aufnahm und in umsetzbare Kompetenzraster übertrug. Bei dem Lehrplan Deutsch, Sekundarstufe I, Klassen 5-10