Herr Boning geht baden - Wigald Boning - E-Book + Hörbuch

Herr Boning geht baden Hörbuch

Wigald Boning

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Beschreibung

Wie ertränkt man Tag für Tag den eigenen Schweinehund? Als bekennende Landratte fühlt sich Wigald Boning im nassen Element alles andere als zuhause. Ändert sich dies durch sein selbst verordnetes Schwimm-Programm: 365 Tage lang jeden Tag aufs Neue hinein in die Fluten – bei Wind und Wetter. Boning legt sich mit fauchenden Schwänen an, findet in schlammigen Gründen unerwartete Schätze und streitet mit Frachtschiffkapitänen. Eines Tages verschlägt es ihn ausgerechnet an den Flughafen von Hannover – kein Badesee weit und breit. Doch ein Mitarbeiter raunt ihm zu, es gäbe da dieses Regenwasserrückhaltebecken hinterm Tower, welches wohl noch nie von einem Menschen beschwommen wurde. Ob das die Lösung ist? Und ob! Ein herrlich amüsanter Erfahrungsbericht für alle Boning- und Schwimm-Fans.

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Zeit:7 Std. 48 min

Sprecher:Wigald Boning

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Impressum

© eBook: 2023 GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, Postfach 860366, 81630 München

© Printausgabe: 2023 GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, Postfach 860366, 81630 München

Gräfe und Unzer ist eine eingetragene Marke der GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, www.gu.de

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie Verbreitung durch Bild, Funk, Fernsehen und Internet, durch fotomechanische Wiedergabe, Tonträger und Datenverarbeitungssysteme jeder Art nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages.

Projektleitung: Susanne Kronester-Ritter

Lektorat: Christiane Schwabbaur

Schlusskorrektur: Ulla Thomsen

Covergestaltung: Favoritbuero, München

eBook-Herstellung: Evelynn Ruckdäschel

ISBN 978-3-8338-9165-6

1. Auflage 2023

Bildnachweis

Coverfoto: Paul Stosik

Illustrationen: iStock

Fotos: Wigald Boning, Paul Stosik, Hannes Zacherl, Bernhard Hoecker, Teresa Boning, Michael Toews, Steffi Riehl, Carsten Schneehage, Leander Völker, stock.adobe.com

Syndication: www.seasons.agency

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»Ich muss keinen Ultra-Marathon laufen, muss nicht in ferne Erdteile fliegen, mich mit ungezähmten Tieren messen, um die engen Fesseln meines Potenzials zu spüren – das Kältekrokodil beißt in jedem noch so unauffälligen Pfuhl zu, in den ich in diesen Tagen einsteige, und zwingt mich in einer Zeitspanne zurück zum Badelaken, in der ich beim Marathon gerade einmal den Weg zur ersten Verpflegungsstation liefe.«

»Und während ich mich wieder ankleide, ganz beglückt von der eigenen Unerschrockenheit, formuliere ich keck: Das Untertauchen in Eislöchern, das ist S-Bahnsurfen für Brustschwimmer. Lebe wild und gefährlich, hugh! (Aber pass dabei gut auf dich auf – eh klar.)«

WIGALD BONING

Für Teresa

Alle Schilderungen in diesem Buch basieren auf subjektiven Erinnerungen. Die Dialoge geben die Gespräche nicht wortwörtlich, sondern sinngemäß wieder.

Platsch, hinein ins kühle Nass

In diesem Buch berichte ich über meinen Versuch, ein Jahr lang täglich draußen schwimmen zu gehen.

Ums vorweg ganz trocken festzustellen: Das Wasser wurde mir nicht in die Wiege gelegt – ich betrachte mich als Prototyp einer Landratte, und im Gegensatz zu meiner Schwester Melani, die schon als Dreijährige das Schwimmen lernte und sich schon als Kind weit ins offene Meer hinauswagte, blieb ich lieber am Strand liegen und hütete das Badelaken.

Das könnte mit meiner – ursprünglich – spiddeligen Konstitution zu tun gehabt haben: Als Erstklässler wog ich mickrige 20 Kilo, entbehrte jeglicher Isolierschicht, und als ich auf die Freischwimmerprüfung vorbereitet wurde, durfte, ja musste ich alle paar Minuten das Lehrbecken verlassen, um mich am Heizkörper aufzuwärmen.

Hajo, mein Sandkastenfreund aus dem Nachbarhaus, hatte eine Großmutter namens Oma Martha. Von dieser beängstigend durchtrainierten, wettergegerbten Seniorin mit Lederhand erzählte man, dass sie so gut wie jeden Tag schwimmen gehe – das sei förderlich für die Gesundheit. Ich hörte interessiert und in kindlicher Ehrfurcht zu.

Eines Tages starb Oma Martha, und der kleine Wigald schloss daraus, dass das tägliche Schwimmen so wahnsinnsgesund dann ja kaum sein könne.

Auch als Jugendlicher blieb ich latent wasserscheu und feierte mein Landrattentum. Stammte der Spruch »Deutschlands Zukunft liegt auf dem Wasser!« nicht von Kaiser Wilhelm II.?

Natürlich hatte der mit diesem Motto etwas anderes im Sinn, nämlich den Aufbau einer schlagkräftigen Kriegsmarine. Auf jeden Fall war der Hohenzoller ein Loser, ein Irrtum der Geschichte – etwa so schlaumeierte ich als hydrophober Halbstarker.

In meinen frühen Zwanzigern hatte ich’s generell nicht so mit Sport, dafür hörte ich gerne Jazz, schaute Truffaut-Filme und las das Standardwerk »Englische Exzentriker« von Edith Sitwell – eines meiner Lieblingsbücher bis heute.

In einem Kapitel geht es um Matthew Robinson-Morris, den 2. Baron Rokeby, einen englischen Adeligen des 18. Jahrhunderts, der das Schwimmen so sehr liebte, dass er sein Landleben mehr und mehr gegen eine amphibische Lebensweise eintauschte.

Mehrfach musste er aus der Nordsee gerettet werden, weil er sich schwimmerisch übernommen hatte. Auf seinem Grundstück errichtete er ein gläsernes Hallenbad nach Art eines Gewächshauses, das er nur in Ausnahmefällen verließ – im Grunde nur, um seine wenigen Freunde mit dem Vortrag ebenso langer wie langweiliger, selbstverfasster Gedichte zu beglücken. Nicht weniger lang war sein Bart, der, wenn der nasse Baron doch einmal auf der Dorfstraße unterwegs war, zwischen seinen Beinen baumelte und eine markante Tropfspur hinterließ.

Lord Rokeby wurde zu einem meiner Lieblingssportler. Seit Jugendtagen begleitet mich ein Stahlstich mit seinem Konterfei, momentan steht es bei mir auf dem Schreibtisch, gleich neben einer im Internet erworbenen signierten Sammelkarte von Gertrude Ederle.

Die New Yorkerin gewann bei den Olympischen Spielen in Amsterdam 1924 drei Medaillen und schaffte es zwei Jahre später als erste Frau, den Ärmelkanal zu durchschwimmen, in vierzehneinhalb Stunden – zwei Stunden schneller als der bisherige (männliche) Rekordhalter. Ederle war auch die erste Sportlerin mit einem Werbevertrag: Sie schwamm exklusiv mit einer Rolex am Handgelenk.

Infolge einer Maserninfektion war sie schon als Kind schwerhörig, ertaubte später ganz. Durch eine Wirbelsäulenverletzung wurde sie 1933 zudem gelähmt, schaffte es durch unermüdliches Training jedoch sechs Jahre später, den Rollstuhl wieder zu verlassen. Fortan brachte sie taubstummen Kindern das Schwimmen bei, bis sie 2003 mit 98 Jahren starb.

Ich lege mich fest: Lord Rokeby, Gertrude Ederle und natürlich meine Frau – das sind meine persönlichen Helden.

Zunächst verehrte ich die beiden Ersteren ausschließlich vom Beckenrand aus, aber Anfang der 2000er – ich hatte seit einigen Jahren den Ausdauersport für mich entdeckt – ließ ich mich zur Teilnahme an einem Triathlon hinreißen. Auserwählt für dieses Unterfangen hatte ich den Auerberg-Triathlon in meinem damaligen Wohnort Bernbeuren, über die olympische Distanz, also mit 1,5 Kilometern Schwimmen.

So ’n richtiger Triathlet, so meinte ich damals, müsse kraulen, im Neoprenanzug – Ersteres konnte, Letzteres hatte ich nicht.

Nach einiger Zeit überwand ich mich, kaufte mir einen Drei-Millimeter-Neo mit dem betörenden Markennamen »Allgäu-Hai« und adressierte im »Plantsch«, dem Hallenbad der Stadt Schongau, einen kompetent wirkenden Bademeister und fragte, ob er mir nicht gegen Honorar eine wettkampftaugliche Kraultechnik beibringen wolle?! »Aber gern!«

Und so erschien ich zum Einzelunterricht und erhielt wertvolle Techniktipps – dass ich z. B. abwechselnd nach links und nach rechts atmen solle, um mich im Freiwasser besser orientieren zu können.

Andere hängen sich Pin-up-Girls in den Spind, ich bevorzuge schrullige Blaublüter aus dem 18. Jahrhundert.

Meine Haxen band der Fachmann kurzerhand mit einem Fahrradschlauch zusammen, um mir meinen großamplitudigen Beinschlag abzugewöhnen und die Wasserlage zu verbessern. Eine einzige Lehrstunde bewirkte, dass ich im Jahr 2002 am Auerberg-Triathlon teilnehmen konnte, ohne allzu unangenehm aufzufallen.

Falls du, liebe Leserin, lieber Leser (unter Sportlern wird geduzt), dich ebenso für eine Landratte hältst wie ich mich und dennoch deine Schwimmtechnik verbessern willst (oder überhaupt erst mal die Grundlagen lernen), ist es sicher nicht die allerschlechteste Idee, einen Fuffi in eine oder zwei Privatstunden zu investieren.

Ich habe einige Abos auf dem Handy, die deutlich mehr gekostet und mein Leben wesentlich weniger bereichert haben als der Kraul-Crashkurs.

In den folgenden Jahren verbrachte ich reichlich Zeit in Hallenbädern, was bis heute für mich eine intellektuelle und mentale Herausforderung ist: An schlechten Tagen schaue ich schon bald auf die Uhr, um entsetzt festzustellen, dass erst wenige Minuten verstrichen sind – ein Problem, das ich vom Laufen und Radeln eher nicht kenne.

Um die Zeit schneller verstreichen zu lassen, entwickelte ich verschiedene Methoden. Meine liebste: Ich trainierte mich »durchs 20. Jahrhundert«. Heißt: Ich schwamm 100 Bahnen und begann im Jahr 1900, stellte mir die Reifröcke und Schnurrbärte meiner Vorfahren vor. Dritte Bahn, also 1903: Die Gebrüder Wright erfinden das Flugzeug, und ich bin bei den ersten Testflügen mit an Bord und staune. Dann kommt auch schon wieder Kaiser Wilhelm ins Spiel, mit der ersten Marokkokrise, vierte bis sechste Bahn. 11. Bahn: »Panthersprung von Agadir«, der Erste Weltkrieg bahnt sich an, beginnt drei Bahnen später und endet auf Bahn 18. Stresemann, Hitler, Bill Haley, Kennedy und Mauerfall – das 20. Jahrhundert bietet alle Jahre Highlights und verkürzt die Zeit enorm.

Oder ich konzentrierte mich auf Techniktraining – da gibt es Dutzende, ach, was sage ich, Hunderte wunderbare Übungen, die einigermaßen Kurzweil und vor allem Fortschritt garantieren.

Über zehn Jahre lang blieb der Auerberg-Triathlon mein einziger Schwimmwettbewerb.

In den Nuller- und frühen Zehner-Jahren reihten sich stattdessen Rad-, Lauf- und Skirennen aneinander, am liebsten Ultramarathons, gerne auch 24-Stunden-Veranstaltungen, häufig in Begleitung meiner Sportfreunde Hannes Zacherl und Carsten Schneehage.

Letzterem, Landratte wie ich, fiel eines Tages auf, dass in unser beider 24-Stunden-Rennen-Sammlung eine bestimmte Sportart fehlte, nämlich: das Schwimmen.

Aus purer Sammellust heraus beschlossen wir, am 24-Stunden-Schwimmen im Hallenbad in Haar bei München teilzunehmen. Dort, so mutmaßten wir, würden wir die feuchte Hölle auf Erden kennenlernen. Um die Höllenfahrt nicht schon im Vorhinein unangenehm werden zu lassen, vereinbarten wir einvernehmlich, auf Training zu verzichten. Handschlag drauf!

Im Januar 2014 war es so weit: Wir hatten uns nigelnagelneue Schwimmbrillen zugelegt, und Carsten schleppte eine Babybadewanne voller Fitnessriegel an den Rand des 25-Meter-Beckens, zwecks Verpflegung. Allgemeine Heiterkeit ob der Tatsache, dass sich die Schwimmhalle in Haar ganz in der Nähe des psychiatrischen Krankenhauses befindet. Man kann also gegebenenfalls überwechseln.

Für ca. 120 Sportskanonen standen fünf Bahnen zur Verfügung, jene ganz rechts war per Schild als »Kinder- und Seniorenbahn« gekennzeichnet. Das ist unsere, hier gehören wir hin, witzelten wir und legten los. Ich schwamm halb Kraul, halb Brust, um möglichst viele meiner untrainierten Muskelgruppen zu bedienen, und alle zwei Stunden wurde ein Verpflegungsstopp eingelegt.

In der Nacht legten sich die meisten Mitbewerber ein Stündchen aufs Ohr, ich jedoch verließ das Wasser erst in der Geisterstunde, als ich zu frösteln begann, um mich unter der heißen Dusche aufzuwärmen. Das fühlte sich wundervoll an – weniger wundervoll war jedoch die Rückkehr ins kühlere Schwimmbecken. Brrr!

Die zweite Nachthälfte teilte ich die »Kinder- und Seniorenbahn« mit einem Stuttgarter Pensionär, der wie ich auf Schlaf verzichtete, mit der schön-schwäbischen Begründung: »Ich hab’ bezahlt, ich zieh das durch!« Am Ende sammelte ich 1120 Bahnen, das entspricht 28 Kilometer Wasserweg. Zum Frühstück überredete mich Carsten, mit ihm ein Weißbier zu trinken, eine Entscheidung, die dazu führte, dass ich mich einigermaßen angetrunken auf dem ca. 50 Meter langen Geradeausweg vom Hallenbad Haar zur S-Bahn verlief, um nicht zu sagen: völlig die Orientierung verlor. Und als ich diese wiedergefunden hatte, setzte ich mich in die S-Bahn, schlief sofort ein und erwachte erst wieder an der Endhaltestelle.

Im Klassement des 24-Stunden-Schwimmens in Haar landete ich unter den ersten zehn, was mein schwimmerisches Selbstbewusstsein auf ein neues, unerhörtes Niveau emporhob. In meiner Euphorie (vielleicht auch in meinem Weißbierrausch) hielt ich mich für begabt, und ich nahm mir vor, meinen nächsten Karriereschritt im Freiwasser zu wagen.

Ein Ziel, das meinem Können entspräche, so rieten mir am Beckenrand die Connaisseure, sei eine Durchquerung des Bodensees, von Friedrichshafen nach Romanshorn, über 12,7 Kilometer.

Das tollkühne Vorhaben führte ich im Juli 2014 durch, so richtig mit Begleitboot und Vaseline am Traumbody, um der Kälte standzuhalten – wie ein Profi. Der Lokalpresse gab ich am Start Interviews und saugte die Tipps der Begleitcrew auf, etwa: nur niemals den Kirchturm in Romanshorn anschauen!

Bei besten Bedingungen verlief die erste Stunde planmäßig, dann fragte Oliver von der Crew erstmals: »Geht’s dir gut?« – »Ja, wieso?« – »Weil du so langsam schwimmst!« Hm. Für mein – angeblich – bescheidenes Tempo hatte ich keine Erklärung, ich schob’s kurzerhand auf eine selten auftretende, erbarmungslose Unterwasserströmung von vorne.

Jedenfalls war ich so lange unterwegs, dass meine Begleitcrew den eigentlich projektierten Kegelabend ausfallen lassen musste – und das, obwohl ich regelmäßig angefeuert wurde, nämlich von den Fahrgästen der Fähren, die, angestiftet vom Kapitän, »Hopp-hopp-hopp« skandierten. Die Beschallung half mir wenig – ich reagierte eher trotzig und wurde noch langsamer.

Spät erst begriff ich, was es mit dem Kirchturm in Romanshorn auf sich hat: Er wurde und wurde nicht größer, egal, wie oft man ihn anschaute, ein Phänomen, das schwächere Naturen durchaus entmutigen kann.

Nach 7:24 Stunden erreichte ich endlich das andere Ufer – die langsamste Zeit, die je in der offiziellen Rangliste der Bodenseedurchquerer registriert wurde. In der Fachwelt verpasste man mir daher das Prädikat »Weltmeister im Langsamschwimmen« – ein Ehrentitel, den ich bis heute mit Stolz trage. Offenbar ist mein Rekord ein Rekord für die Ewigkeit!

Von weiterem Langstreckenschwimmen sah ich ab, ein bisschen wie Lahm und Schweinsteiger, die nach dem Höhepunkt ihrer Laufbahn 2014 ebenfalls aufhörten.

Sieben Jahre lang schwamm ich nur sporadisch, ohne sportlichen Ehrgeiz, ließ mich scheiden, heiratete zum zweiten Mal, wurde zum dritten und vierten Mal Vater, dann kam Corona, und ich machte mich an das glorreiche Vorhaben, 52 Marathonläufe in einem Jahr zu absolvieren – jede Woche einen, zumeist freitags, ohne Ambitionen bezüglich Tempo, dafür bisweilen unter illustren Umständen, etwa auf einer Zehn-Meter-Wendepunktstrecke im verschneiten Hochgebirge oder meinen schwer kranken Papa im Rollstuhl vor mir her schiebend. Letzterer war denn auch in der Rückschau der schönste aller meiner Läufe, und Papas Fazit »Diesen Tag werde ich niemals vergessen« werde ich lebenslang im Herzen tragen.

Ich gehöre in gewisser Weise zu den Pandemiegewinnern: Ausgestattet mit einer Extraportion Zeit (meine Liveauftritte fielen aus), gelang es mir nicht nur, das Marathon-Vorhaben zu verwirklichen, sondern auch noch ein Buch darüber zu schreiben, »Lauf, Wigald, lauf!« (erschienen im selben Verlag wie der vorliegende Schmöker).

Während dieser Zeit zogen meine Frau Teresa, Theo, Mathilda und ich von München nach Herrsching, in die Nähe des Ammersees. Mir war klar, dass unsere neue Heimstatt gerade für schwimmerische Unternehmungen entscheidende Standortvorteile bietet.

Aber wie könnte eine solche Unternehmung aussehen? Hierüber grübelte ich 2021 viele Laufkilometer lang.

Wie sagt mein Sportfreund Hannes Zacherl gerne? »Schwimmen kann man immer, auch im hohen Alter, wenn die Haxen kaputt sind.« Er meint damit allerdings, dass wir alle orthopädisch anspruchsvolleren Sportvorhaben tunlichst vorher durchführen sollten – Schwimmen werde man dann später, wenn nichts anderes mehr geht.

War es etwa schon so weit? Wigald, das waidwunde Wrack? War ich bereit, in die Badeschuhe von Oma Martha zu schlüpfen?

Schuld hat nur die geschundene Schulter

Ein bisschen wurde mir die Entscheidung vom Schicksal abgenommen. Seit dem Beginn meines Marathon-Experimentes laborierte ich an einer Kalkschulter herum, und bei Badeausflügen im Ammersee hatte ich den Eindruck gewonnen, dass Schwimmen dem schmerzenden Großgelenk guttäte.

Solange die Schulter zwickte und mich kein hehreres Ziel packte, könnte ich mich im täglichen therapeutischen Training versuchen, testhalber, TTTT sozusagen – im Ammersee, gleich vor der Haustür. Von Anfang an spukte im Hinterkopf der Gedanke an einen sogenannten Streak, englisch für Strähne, was in diesem Zusammenhang bedeutet, dass man tatsächlich jeden Tag ans Werk geht, ganz ohne Ausnahme – die Lückenlosigkeit des Tuns ist für den Streaker das sportliche Ziel, nicht die zurückgelegte Entfernung oder gar die Geschwindigkeit.

Aber lässt sich derlei Konsequenz überhaupt verwirklichen, wenn man nur einen See vor der Tür hat, so schön dieser auch sein mag? Der nächste Winter kommt bestimmt, selbst in Zeiten des Klimawandels.

Das nächste Hallenbad befindet sich in Starnberg, über 20 Kilometer entfernt – für tägliche Besuche viel zu weit.

Ein unerhörter, radikaler Gedanke näherte sich gleichsam von hinten und sprang zielsicher ins Begeisterungszentrum meines Gehirns: Könnte ich – kann man – womöglich den ganzen Winter durchschwimmen, täglich, draußen, unter freiem Himmel?

Notfalls würde ich mich in einen Neoprenanzug zwängen. Wir leben im 21. Jahrhundert, da sollte es doch Neos geben, in denen man nicht friert, kraft seiner materialtechnisch überlegenen Struktur, vielleicht mit chemischer oder E-Heizung, nicht wahr?

In meinen ollen »Allgäu-Hai« passte ich pommeshalber allerdings nicht mehr hinein, doch sollte ich mir nach zwanzig Jahren geduldiger Erwerbsarbeit einen neuen gönnen können.

»Draußen«, so dachte ich fürderhin, bedeute ja im Übrigen lediglich, dass man im Freien schwimmt – und da gäbe es doch allerlei Notlösungen: Das Dantebad in München kam mir in den Sinn, Austragungsort der olympischen Wasserballwettbewerbe 1972 und ein wohlig-warmes Winterfreibad. Oder das Agrippabad in Köln, das hat auch ein prima Außenbecken, in dem niemand frieren muss.

Nun gut; meine Reisetätigkeit muss mit dem Schwimmen in Einklang gebracht werden. Klapprad, Tretroller und Laufschuhe haben sich immer aufs sinnfälligste ins Arbeitsleben einbauen lassen. Allzu gerne absolviere ich die Wege vom Hotel zu den Fernsehstudios der Republik aus eigener Kraft.

Ein Schwimmstreak wäre logistisch anspruchsvoller. Mir fällt keine einzige Transferroute zwischen Unterkunft und Arbeitsplatz ein, die ich schwimmend zurücklegen könnte. Aber vielleicht habe ich einfach noch nicht gründlich genug nachgedacht?

Es gibt sicher noch einige weitere Faktoren, die für und gegen das tägliche Schwimmen sprechen, aber ist es nicht ergiebiger, diese Fragen ganz praktisch vom Wasser aus zu begutachten als daheim im Wohnzimmer, gleichsam als Trockenübung?

Grau ist alle Theorie, die Wahrheit schimmert bläulich hinterm Schilfgürtel. Also hinein in die Fluten! Wir werden sehen, wie weit ich komme!

Und mit diesen Worten flute ich das Buch, und wir begeben uns gemeinsam zum Startplatz, am Ammersee, zum TTTT, und zwar an Bord eines Klapprades, meines bewährten Atala Imperial Duemila, Baujahr 1966.

Vorne, an der Metallhülse, aus der der Lenker herausschaut, prangt das Logo dieser Klapprad-Preziose, ich glaube, es ist ein Kohlenstoff-Atom, Symbol des Atomzeitalters, der Fortschrittsgläubigkeit, des grenzenlosen Optimismus der Oma-Martha-Ära.

In diesem Geiste nehme ich den nassen Faden meiner Schwimmerkarriere wieder auf: Wenn ich nur lang genug im Nassen bleibe, so versuche ich mir einzureden, dann werden die Kalknester in meiner Schulter (auf-)weichen.

Wir schreiben den 5. Juni 2022. Ich pedaliere das Nuklearrad an einen mir günstig erscheinenden Seezugang, zum sogenannten Herrschinger Löwen, einer steinernen Raubkatzenskulptur.

Herrsching ist eine Gemeinde am Ammersee, Endhaltestelle der Münchener S-Bahnlinie 8 und von ihrem Wesen her auf der Schnittstelle zwischen Speckgürtel und Sommerfrische.

Der Ammersee ist eine Frucht der letzten Eiszeit, siebtgrößter See Deutschlands und ähnelt in seinen Umrissen einem ausgeleierten Hüttenschuh, an dessen wadenwärtigem Leierbündchen Herrsching angenäht ist – jedenfalls, wenn man von Westen aus draufschaut.

Ich parke mein Klapprad an jenem öffentlichen Parkweg, hinter dem der Löwe den See betrachtet. Er macht keine Anstalten, sich zu erheben und zum Wasser zu trotten – zum einen, weil so ein Steinlöwe nicht einmal hölzerne Bewegungen hinkriegt, zum anderen, weil Katzen in der Regel wasserscheu sind und in Seen nur selten gesehen werden.

Der steinerne Löwe ist eine Landratte wie ich – willkommen im Klub!

Nun denn, nach einigen flotten Fahrminuten bin ich leicht erwärmt.

Ich entkleide mich bis auf die Badehose und stülpe eine Badekappe aus Neopren über meinen Kopf, die ich vor einiger Zeit im Internet erworben habe.

Das gute Stück wird per Klettverschluss unterm Kinn geschlossen, was ihrem Träger einen schwer einzuordnenden Look verleiht. Wer eine solche Kappe trägt, könnte ein Überbleibsel aus der frühen sowjetischen Raumfahrt sein, ein Kosmonauten-Zombie beim Notwasserungstraining. Aber auch Oma Martha, Poseidon hab’ sie selig, könnte beim Brustschwimmen derlei Kappen getragen haben – die abundante Prilblumen-Ornamentik der 70er-Jahre harmonierte eher nicht mit ihrem strengen Sportler-Ethos.

Wieso kaufte ich die Haube überhaupt? Vielleicht dachte ich: Wenn man schon in Seenähe wohnt, kann ein Badekappen-Fundus mit Modellen für alle Lebenslagen nicht schaden, und heute ist ein grauer, eher ungemütlicher Tag, an dem sich jeder Gesichtsquadratzentimeter, der von wärmendem Neopren bedeckt ist, positiv auf die Lebensqualität auswirkt.

Ich tunke den großen Zeh ins Wasser und zucke zusammen. Für einen fünften Juni gar nicht mal so warm. Ein älteres Ehepaar flaniert herbei, bleibt stehen und inspiziert meinen Anbadeversuch. Jetzt heißt es: Rückgrat beweisen. Ich unterdrücke meine Schnappatmung und stolziere aufrecht in den See, im Blick die Entschlossenheit des steinernen Löwen. Im durchgedrückten Kreuz spüre ich die Blicke der Passanten, trete auf einen spitzen Stein, knicke links ein und fühle mich wie eine Kandidatin bei »Germany’s Next Topmodel«, die auf dem Catwalk mit ihren Stöckelschuhen nicht zurechtkommt. Alle Grandezza ist dahin! »Ich habe heute kein Foto für dich«, meine ich den älteren Herrn am Ufer sagen hören, und seine Gattin kichert boshaft.

Entschlossen lasse ich mich nach vorne kippen. Es macht Platsch, und ich schwimme davon. Erste Zwischenbilanz: Gewiss, die Steine stören, aber man kommt ins Wasser, an strategisch günstiger Stelle. Der Himmel ist bedeckt, die Wasseroberfläche glatt. Nichts spiegelt sich in der glanzlosen Plörre, kein Glamour, nix »Germany’s Next Topmodel«.

Ich biege links ab, passiere den Akademischen Segelverein und winke den Studierten zu, die auf der Terrasse sitzen und in der »ZEIT« blättern. Herzhaft knacken beide Schultergelenke bei jedem Brustarmzug, Kalkschulter rechts noch stärker als ihr Gegenstück. Einen Kraularmschlag muss ich gar nicht erst ausprobieren, den hebe ich mir für irgendwann auf. Ich beginne meinen TTTT mit »Omabrust«, jenem Schwimmstil, den ich mit Oma Martha verbinde: Kopf aufrecht über der Wasseroberfläche, die Halswirbelsäule mutwillig überdehnt. Erst als ich mich einigermaßen erwärmt fühle, tunke ich mit jedem Armschlag den Kopf ein. Eine Schwimmbrille vermisse ich beim Brustschwimmen generell nicht – unter Wasser behalte ich die Augen auf und kiebitze durch mein bewährtes Landrattengestell.

Geruhsam schwimme ich zwischen den auf Reede liegenden Segelbooten entlang und horche in mich hinein.

Liegt hier Deutschlands, liegt hierin deine Zukunft, wenigstens für ein Jahr?

Ein Jährchen sollte es schon sein, um das Gefühl zu haben, mitreden zu können, etwas »geschafft« zu haben. Ein Vorteil des Streaks besteht ja darin, dass das einzelne Tagespensum nicht allzu üppig ausfallen muss, und diese latente Faulenzerei wird mit der Langzeitperspektive erkauft. Wer das sportliche Schicksal übervorteilen will, indem er sich seinen Müßiggang unter Wert erwirbt, schadet sich nur selbst.

Diesen von womöglich etwas altertümlicher Manneszucht geprägten Gedanken wäge ich im Wasser, kehre um und brüstele zurück zum Löwen, durch das trübe Kellerlicht eines gammeligen Junitages, bei Schafskälte. Ist er nicht wenigstens wunderbar ruhig, dieser Ammersee? Na ja, weiterhin knacken meine Schultern bei jedem Armzug, wie Toaster, wenn sie das fertig geröstete Weißbrot auswerfen. Stille klingt anders. Mit einer gewissen Skepsis erreiche ich meinen Ausgangspunkt. Wie lange mag ich geschwommen sein? Eine Stunde? Zwei Kilometer habe ich bestimmt hinter mich gebracht!

Ein Blick auf die GPS-taugliche Garmin-Sportuhr an meinem Handgelenk lässt meinen Gesichtsausdruck spontan versauern: Angeblich war ich lediglich 42 Minuten unterwegs und habe nur knappe 1200 Meter hinter mich gebracht.

Auf dem abschließenden Selfie sind meine Gefühle klar erkennbar. Genuss sieht anders aus. Einziges Highlight des Tages: meine neue Badekappe. Das Auge schwimmt bekanntlich mit, und ich gefalle mir durchaus als Kosmonauten-Zombie.

Ob ich mich jedoch tatsächlich mit der Idee anfreunden kann, fortan einen Gutteil meiner Lebenszeit im Wasser zu verbringen, ist unklar und bedarf weiterer Beratungen. Dass ich mir, um mittelfristig auch wieder kraulen zu können, eine neue Schwimmbrille bestelle, verrät allerdings einen gewissen Optimismus.

Ausgestattet ist das Modell Hersvin mit meinen aktuellen Brillenstärken: 4,0 Dioptrien beidseitig, im Internet erhältlich für schlappe 15,99 Euro. Überdies kaufe ich mir Ohrenstöpsel aus Silikon – ich habe schon früher die Erfahrung gemacht, dass hartnäckige Wasserreste im Ohr lästig sein können. Dass ich mich für eine Großpackung mit üppigen 36 Paaren entscheide, verdeutlicht, dass ich etwas Großes vorhabe, ganz unterbewusst.

Da bahnt sich etwas an, in der Grauzone zwischen Wahnsinn und Heldentat.

Und noch etwas anderes bahnt sich in diesen Tagen an. Meine Frau verrät mir, dass sie zum dritten Mal schwanger ist. Anfang März nächsten Jahres darf ich wieder Vater werden, zum insgesamt fünften Mal!

Wir strotzen vor Freude, unterschwellig bin ich jedoch auch etwas blümerantisiert. Als Mittfünfziger horcht man unwillkürlich in sich hinein, stellt sich die Frage, ob man einer Vaterschaft, deren Streakhaftigkeit ein ganz anderes Kaliber ist als so’ n bisschen tägliches Geplansche, wohl gewachsen ist.

Dann rücke ich räuspernd meinen Schlips in die Kragenmitte und sage mir und meiner Frau: Hurra, ich freue mich! Auf ein Neues, ein neues Menschenkind!

In Sachen Schwangerschaft ist Teresa mit ihrem dritten Bauchbewohner keine Anfängerin mehr, sie kennt ihren Körper bestens, weiß, wie Kinder und Koloratur, Windeln und vokale Virtuosität zusammenpassen, und so plant sie ihre Konzerte bis kurz vor dem errechneten Geburtstermin. Ob sie Lust hat, mich beim Schwimmen zu begleiten? Im Wasser fühlt sie sich pudelwohl – jedenfalls solange das Wasser wohltemperiert ist. Im Winter, so haucht sie mir mit wärmstmöglichem Timbre ins Ohr, müsse ich allein eintauchen. Ob das ein Problem sei? Um Himmels Willen, meine Allerallerliebste, wo denkst du hin!

Was ist eigentlich »schwimmen« – und wer legt’s fest?

Ein paar Tage später bin ich wieder im Wasser und versuche mich an Kraulbewegungen. Au weia, wie das knackt, knirscht und rumpelt! Als hätte man mir einen halben Zentner Vogelsand injiziert. Erschrocken wechsle ich zurück in den Bruststil.

Immerhin wirkt das Wasser wärmer als neulich. Meine neue Schwimmbrille passt prima, viel besser als die Schädelschraube damals beim 24-Stunden-Schwimmen in Haar.

Bass staune ich über das klare Wasser des Ammersees – wenn die Frühsommersonne kräftig drauf brezelt, leuchtet es türkis, und man kann sich mühelos vorstellen, in der Karibik zu weilen, allerdings ohne Barrakudas und Haie. Überhaupt sind keine Fische zu entdecken, nur vereinzelt Wasserpflanzen und Betonfundamente, an denen vielleicht früher Bojen befestigt waren. Unter mir harren vor allem Kieselsteinsteppen und ein lehmiges Sediment in Fregattengrau der Dinge, die da kommen.

Knick-knack. Gewiss, grundsätzlich ist Schwimmen gesund, aber tue ich meiner Schulter damit wirklich Gutes? Oder begebe ich mich schnurstracks in eine Stromschnelle Richtung Invalidität?

Klar, ich könnte meinen Orthopäden einweihen, der meine Schulter bereits Ende letzten Jahres mit Schalldruckwellen fitmachen wollte.

Manch Insider mag mich nun fragen: Kennst du Liebscher & Bracht, die berühmten »Schmerzspezialisten« im Internet? In meinem Bekanntenkreis jedenfalls haben diese Anbieter heilgymnastischer Lehrvideos einige Afficionados, die mir dringend dazu rieten, mein Heil in ihrem Youtube-Kanal zu suchen.

Typisch oberbayerisches Ammersee-Prachtpanorama (Detail)

Mein Orthopäde winkte allerdings ab: »Man sieht dort die altbekannten Übungen, nur marketingtechnisch neu verpackt.« Reingeschaut habe ich trotzdem und meinte sogleich, eine gewisse Verwandtschaft zwischen den Übungen und handelsüblichen Schwimmarmzügen zu erkennen. Dass darüber hinaus H2O einen grundsätzlichen Heilwert hat, erkannten schon die alten Römer und packten die Erkenntnis in die griffige Formel »Non est vita sine aqua!«

Einen Selbstversuch, so schlussfolgerte ich, ist die Schwimmidee wert, und wenn ich die Schulter durchs Schwimmen endgültig schrotte, so kann ich wenigstens sagen, der Schaden sei mein eigenes Werk, Frucht sportlicher Anstrengung, so wie die Tacker-Narbe an der Stirn von Matthias Sammer oder Reinhold Messners erfrorene Zehen.

Zum Risiko gesellt sich eine gewisse Hoffnung: In Triathlon-Trainingsbüchern stolperte ich mehrfach über das Wort »Schultermobilisation«: Gerade der Kraularmzug zwingt das Schultergelenk zu jener Beweglichkeit, für die es gemacht ist. Der liebe Gott bzw. die Evolution hat uns eben kein Klappscharnier an den Rumpf geheftet, wie an die Tür eines IKEA-Hängeschranks, und er wird sich etwas dabei gedacht haben.

Speerwurf ist z. B. unser Ding und ohne die sogenannte Rotatorenmanschette kaum möglich, aber: Wer wirft in seinem Alltag heutzutage noch Speere durch die Gegend? Dart-Pfeile ja, Gläser an die Wand auch, aber das Motto des 21. Jahrhunderts lautet offenbar: Ein Speer ist zu schwer. Aber was soll ich mit unserer wurfarmen, ja, verworfenen Gesellschaft hadern; es gibt ja überall Tümpel, Teiche und Transportkanäle, in die ich eintauchen kann, um meine Schulter rotieren zu lassen.

Falls ich bereits langfristig kraulunfähig sein sollte: egal. Dann bleibe ich halt beim Brustschwimmen. Es gibt kein Bundesschwimmstilgesetz, das mich zu irgendwelchen Techniken verpflichtet.

Wenn ich mich zu einem Streak entschließe, dann sollte ich die Latte eh nicht zu hoch hängen: Es reicht, wenn ich jeden Tag schwimme.

Ich glaube, es war Ende 2014, als ich mich erstmals an einem Streak versuchte, nämlich auf dem Fahrrad. Ich startete, wie man so schön sagt, aus der Not heraus, weil ein Riss des linken Außenbandes eine Laufpause erzwang, die verordnete Orthese auf dem Rad jedoch nicht störte. Also strampelte ich mich wacker durch den Winter, zumeist in und um Berlin, schlappe 20 Kilometer pro Tag. Im Frühling 2015 wurde die Sache mühsam, weil ich erstmals in meinem Leben mit einer Pollenallergie zu kämpfen hatte. Da ich anfangs nicht erkannte, dass es sich um eine Allergie handelte, führte ich meine laufende Nase auf einen hartnäckigen Schnupfen zurück, was einen gewissen Rückkopplungseffekt hervorruft: Wer schnieft, muss krank sein, und ein Kranker radelt nicht – ein Grundsatz, der dem dennoch Radelnden ein schlechtes Gewissen bereiten kann.

Als ich die Allergie als solche erkannte, experimentierte ich in meiner Not mit allerlei Atemschutzmasken, nahm gewissermaßen die Corona-Pandemie vorweg. Letztendlich setzte ich, nach über 200 Tagen dauerhaft verrotzt und genervt, einen immerhin würdigen Schlusspunkt und kämpfte mich auf meinem Birdy-Faltrad von Garmisch-Partenkirchen nach Venedig, allein, in 25 Stunden am Stück. Danach war Schluss mit lustig, was die tägliche Radelei anging.

Meinen Versuch eines Laufstreaks habe ich im bereits erwähnten Marathonbuch geschildert, er bereitete das Fundament für meine 52 Marathons im Jahr 2021 und umfasste 309 Tage.

Beide Streaks endeten vor Ablauf eines Jahres – nach dem Reglement der United States Streak Running Association jene Zeitspanne, die es durchzuhalten gilt, um sich überhaupt bei diesem Sportverband anmelden zu dürfen.

Dennoch habe ich meine Bemühungen in guter Erinnerung, weil ohne sie weder die Fahrt nach Venedig noch das wöchentliche Marathonieren Realität geworden wäre.

Eine wichtige Lehre lautet: nur nicht zu viel erwarten! Ein paar Mal zu lange oder zu schnell unterwegs gewesen, irgendeine Unpässlichkeit, und schon bald kann ein gewisser Überdruss den Übereifrigen um Entlastung betteln lassen.

Was also wäre eine geeignete Dosis bei einem Schwimmstreak? Ein Kilometer pro Tag? Im Hochwinter wahrscheinlich illusorisch. 500 Meter? 100? Ich habe nicht den blassesten Schimmer.

Als ich diese Frage in einem Facebook-Forum diskutieren möchte, legt mir ein selbst ernannter Spezialist eine Mindeststrecke von 200 Metern nahe, was ich mangels Erfahrung mit Winterschwimmen nur per Achselzucken quittieren kann.

Darf man nicht erstmal anfangen und das Regelwerk später nachtragen? Oder ist dies in der Welt des Leistungssports unseriös? Tagelang bewege ich dieses Problem in meinem Herzen.

Was ist »schwimmen« überhaupt? Die Fortbewegung im Wasser aus eigener Kraft. Wie halte ich’s mit Flossen, Auftriebskörpern, von Schwimmflügel bis Luftmatratze? Gilt das auch? Eher nicht, antworte ich mir selbst, aber auch hierüber sollte ich eventuell später befinden, wenn die Frage akut wird.

Wenn ich wirklich, endlich, einen, diesen Streak ins Ziel bringen will, sprich: ein Jahr lang bei jedem Wetter draußen ins Wasser steigen zum, nun ja: Schwimmen (was immer das bedeutet), dann sollte ich nichts ausschließen, weder Trockentauchanzug noch Zinkbadewanne, weder Thermendauerkarte noch Luxusurlaub in Dubai, um sich dort in warmer Bouillon zu aalen.

Bei der erwähnten Facebook-Diskussion meldet sich auch ein Veteran des Schwimmsports, der mir brüsk nahelegt, die ganze Idee zu vergessen. »Dafür fehlt dir nicht nur die Erfahrung, sondern auch die Eignung. Kannst du überhaupt schwimmen?«, poltert der Negativling – ein Zeitgenosse, dem ich zu Dank verpflichtet bin, weil mich kaum etwas so wunderbar anspornt wie herablassende Pöbel-Kommentare.

Noch zwei weitere, eher weiche Faktoren begrüble ich in diesen Junitagen: Seit einem Jahr wohnt die Familie Boning nun in Herrsching, und bisweilen fremdeln wir ein wenig. Ab und an vermissen wir München, das großstädtische Treiben.

Meine Lebenserfahrung sagt, dass es schlau ist, die Vorzüge eines jeden Ortes zu erkennen und zu nutzen. Viele Herrschinger sind stolz auf den Adresszusatz »am Ammersee«, bedienen sich der Großpfütze jedoch nur drei Monate im Jahr. Welch leichtfertige Verschwendung, Ausweis fortgeschrittener Dekadenz! Wer hier wohnt, der sollte, nein, der MUSS (so rede ich mich jedenfalls in Rage) JEDEN Tag ins Wasser, ausnahmslos!

Der Bräutigam, der sich nicht traut

Die Wochen vergehen, und ich kann mich nicht zum großen »Ja, ich will!« durchringen – wie ein Junggeselle, der nervös vorm Traualtar herumstromert, während mich meine Buhle, das Wasser, im prachtvollen Brautkleid, nämlich in Gestalt des Ammersees, umschmeichelt. Immer mehr Zeit verbringen wir miteinander. Schon schwimme ich bis zum Herrschinger Kreuz, einem eisernen Marterl im Flachwasser am Ausgang der Herrschinger Bucht, hin und zurück 3300 Meter, den Großteil im Kraulstil. Die Rumpelschulter lärmt immer weniger, immer lockender lacht die Sommersonne.

Ein paar Tage später drehe ich an der Müritz, für die NDR-Sendung »Tiedjen campt«. Ich übernachte in einem Hotel am Berliner Flughafen, werde erst am späten Vormittag abgeholt und beschließe, meine Freizeit in einem Badegewässer zu verbringen. Aber in welchem?

Im Frühstücksraum studiere ich meine Wanderkarten-Apps. Bis zur Dahme in Grünau und zum daran anschließenden Langen See ist es mir zu Fuß zu weit. Gibt es nicht etwas Näheres? In vier Kilometern Entfernung, kurz bevor die Schönefelder Allee auf die A 113 trifft, liegt der 52 Meter hohe Galgenberg, und in der Karte sind mehrere blaue Flecken eingezeichnet. »Die Pfühle« lese ich in der Komoot-App und frohlocke. Die Pfühle hinterm Galgenberg – das klingt abenteuerlich!

Im Flughafengebäude erwerbe ich ein kleines pinkes Badelaken, dann beginne ich meinen Fußmarsch in sengender Hitze auf der Hugo-Eckener-Allee, parallel zum Flughafen-Zubringer, den ich nach einer halben Stunde überquere.

Es ist heiß in der Streusandbüchse Brandenburg, sehr heiß. In der »Tagesschau« rückt die derzeitige Dürre immer weiter auf die vorderen Meldungsplätze, und so bin ich nur mittelmäßig überrascht, dass ich nach kurzem Sandalengang durchs Unterholz zwar reichlich Ameisen an den Haxen habe, aber keine Feuchtigkeit. Was in der Karte so einladend bläute, ist in Wirklichkeit beige. Oder hat der Bau des Flughafens den Grundwasserspiegel tiefergelegt? Man hat sich daran gewöhnt, dem Pannen-Airport alles zuzutrauen – warum nicht auch außergewöhnlichen Durst, der die umliegenden Tümpel ausgetrocknet hat.

Ob ich mit einer Wünschelrute nach Wasseradern suchen soll? Bruchholz wäre ausreichend vorhanden, darunter womöglich der verrottete Galgen außer Dienst vom gleichnamigen Berg.

Ich stolpere unschlüssig durch die Macchia, begebe mich testhalber noch zum zweiten »Pfuhl«, auch er verlandet, aber wenigstens mit leuchtend-grünem Daumenpfiffgras bewachsen. Also zurück zum Airport-Hotel, etwas frustriert, dafür mit der Erkenntnis, dass man sich allein auf Landkarten bei meinem Projekt nicht verlassen kann, ferner, dass nicht jeder Flughafen mit Service-Badegewässern für den schnellen Umsteige-Schwumm herhalten kann.

Immerhin lerne ich beim »Tiedjen campt«-Dreh, nach durchzelteter Nacht und noch vor dem Frühstück, die Müritz kennen, Deutschlands zweitgrößtes Binnengewässer nach dem Bodensee.

Ich brüstele eine Dreiviertelstunde im warmen Schmeichelwasser und bestaune das gegenüberliegende Ufer, das – wohl aufgrund der Erdkrümmung – selbst nicht zu sehen ist. Was man jedoch als Schwimmer erkennt, sind die Kronen der am Ufer stehenden Bäume – grüne Kugeln, die fatamorganisch über der Wasseroberfläche zu schweben scheinen, wie eine Murmelbahn in der Sahara.

An der herzensbrecherischen Müritz wird mir der touristische Aspekt eines Schwimmstreaks so richtig bewusst: Wer auf jeder Reise zum Schwimmen gleichsam gezwungen ist, kommt ganz automatisch in den Genuss außergewöhnlicher Bilder von schwebenden Kugeln und trockenen Pfühlen hinterm Galgenberg.

Noch immer tigere ich schüchtern vorm Brautaltar auf und ab, und das Wasser wirft mir Kussmünder zu. Immer seltener meldet sich jedoch die Landratte in mir und reklamiert ihr Hausrecht, immer selbstverständlicher ziehe ich bereits morgens die Badehose unter die Oberbuxe. Ich spendiere sogar einen ganzen Sack voller Unterhosen der Altkleidersammlung und ersetze sie durch: Badehosen. Ja, ich schaffe Fakten, mache mich auf die Spuren Lord Rokebys.

Noch ohne das ersehnte Ja-Wort gesprochen zu haben, reifen in meinem Kopf vielerlei Pläne für die Flitterwochen. Einer von ihnen sieht vor, die Gewässer des Fünf-Seen-Landes zu durchqueren, also Ammersee, Starnberger See, Pilsensee, Wörthsee und Weßlinger See.

Ein anderer beabsichtigt die Durchquerung möglichst aller Seen, die sich in und um die Stadt Füssen befinden, nämlich Schwanensee, Alpsee, Forggensee, Hopfensee, Weißensee, Alatsee, vielleicht auch Ober-, Mitter- und Untersee, eventuell sogar den Bannwaldsee. Klingeling, Telefon. Am anderen Ende der Leitung ist Hannes Zacherl, mein hochverehrter Sportfreund seit über zwanzig Jahren und seines Zeichens Fahrradhändler in Füssen. »Demnächst laufe ich 100 Meilen, machst du mit?«

»Bedaure, ich bin zwischenzeitlich auf einen ganz anderen Trip geraten, schwimme jeden Tag. Hast du Lust, mal mitzukommen?«

»Vielleicht können wir etwas unternehmen, wo wir beide auf unsere Kosten kommen: du schwimmend, ich laufend?«

Ganz in weiß-blau, mit einem Blumenstrauß, so siehst du in meinen schönsten Träumen aus …

Und so erzähle ich ihm von meiner Füssener-Seen-Durchquerungs-Idee und füge hinzu, dass man die Wege zwischen den Seen gerne laufend zurücklegen könnte, und zwar an einem einzigen Tag. Mein Freund stimmt sofort zu, und verzugsfrei tüftele ich eine sinnvolle Gewässerreihenfolge aus, während sich Hannes um die Wegfindung an Land kümmert.

Ein unerhörter Tatendrang erfüllt mich.

Was ist das? Panik, dass ich, wenn ich in acht Monaten erneut Papa geworden bin, schwerlich die Zeit für sportliche Heldentaten aufbringen werde? Das Bewusstsein der Endlichkeit an sich? Mit welchem der Durchquerungs-Projekte soll ich mich zuerst beschäftigen? Ach was, so feuere ich mich tremolierend an, ich realisiere alle Vorhaben parallel. Wie viele Gewässer gibt es überhaupt in Deutschland? 100.000? Eine Million? Egal, ich schaffe sie alle!

Meine beiden kleinen Kinder Theo und Mathilda sind seit diesem Sommer im Kindergarten. Das verschafft den notwendigen Spielraum.

Nach Abgabe des Nachwuchses fahre ich nach Possenhofen am Starnberger See und lege die Schwimmboje an, die mich schon bei der Vorbereitung meiner Bodenseedurchquerung 2014 begleitete. Das etwas betagte Utensil hat zwei Kammern: Innen lassen sich Wechselkleidung, Handtuch und Wertsachen verstauen, während Kammer Nummero zwo mit Luft befüllt wird und für den Auftrieb sorgt.

Eine solche Schwimmboje erhöht die Sicherheit des Schwimmers beträchtlich: Man wird von Freizeit- und Berufskapitänen besser gesehen, und außerdem hat man im Falle eines Schwächeanfalls wenigstens etwas, woran man sich klammern kann. Ich hege zwar gewisse Zweifel, ob das Ding mir bei einem Herzinfarkt das Leben rettet, aber wenigstens ist mein Leichnam nach Exodus leuchtend-orange markiert und wird schneller gefunden.

Auf der anderen Seeseite meine ich – passend zu meinem sicherheitstechnischen Exkurs – jene Stelle ausmachen zu können, an der Ludwig II. im Jahr 1886 unter mysteriösen Umständen ertrank. Ich wische leise keimende Zweifel an der Vertretbarkeit von unbegleiteten Solo-Durchquerungen auf Großgewässern beiseite, nehme den Dampfersteg in Leonie ins Visier, ein gutes Stück rechts von der Votivkapelle zu Ludwigs Ehren, und mache mich auf die Reise.

Meine Schulter hat inzwischen zu vollendeter Brauchbarkeit zurückgefunden, einen Monat nach Beginn konzentrierter Bewässerung, und so kraule ich grinsend ostwärts – so breit man eben beim Kraulen grinsen kann. Ich genieße das Gefühl der Großtat. Eine Durchquerung – das ähnelt dem Besteigen eines hohen Berges, und wie im Hochgebirge kann man sich auf einer großen Wasserfläche verloren und ausgesetzt fühlen.

Eine gewisse Demut schwimmt immer mit – letztendlich entscheiden höhere Mächte, ob man das andere Ufer erreicht, wie Ludwig II. bestätigen würde, wenn er denn noch könnte. Besser schwimmen als der bayerische König konnte ein anderer Adeliger des 19. Jahrhunderts, nämlich der englische Dichter Lord Byron. Goethe meinte, Byron sei der talentierteste Mensch seiner Zeit gewesen, und er war gewiss der erste moderne Rockstar: Er war, sagen wir mal, vielseitig sexuell interessiert, hatte skandalöse Verhältnisse zu Männern, verheirateten Frauen wie auch zu seiner Halbschwester, wurde angehimmelt und verdammt.

Der blendend aussehende Dandy war grundsätzlich eine selbstbewusste Natur, fühlte sich aber durch einen Makel gehandicapt: Er hatte einen missgebildeten Fuß, was ihm z. B. die Teilnahme an Tanzveranstaltungen vergällte. Umso größer sein Stolz, als er 1810 die Dardanellen durchschwamm, von Europa nach Asien, in einer Stunde und zehn Minuten.

Ähnlich lange bin auch ich heute unterwegs, wenngleich nur von Oberbayern nach Oberbayern.

Meine Uhr zeigt schließlich 2,7 zurückgelegte Kilometer an, was ich allerdings für übertrieben halte. Merke: Unter Wasser ist der GPS-Empfang moderner Sportuhren gestört, und je mehr Bruststil geschwommen wird, desto fantastischer können die erzielten Strecken und Zeiten sein, weil ja der Uhrentragearm permanent unter Wasser ist. Wer also darauf aus ist, sich an absurden Streckenlängen und Tempi zu berauschen, der hebe tunlichst niemals den Arm aus dem Wasser.

Für den Rückweg nach Possenhofen bequeme ich mich an Bord der Fähre und schwelge im Gefühl, ein ähnlich toller Hecht zu sein wie Lord Byron. Daheim streiche ich dann mit schwungvoller Geste den Eintrag »Durchquerung des Starnberger Sees« aus meiner Bucket-List.

Sieben auf einen Teich

Eine Woche später werde ich in Füssen vorstellig. Sportfreund Hannes und ich stürzen einen Kaffee in seinem Fahrradladen, dann traben wir zum Schwanensee unweit des Schlosses Neuschwanstein. Beide tragen wir leichte Rucksäcke, in denen wir unsere Schwimmbojen verstaut haben. Hannes trägt einen kurzarmigen Neo, ich vertraue auf meine bewährte Sommerluft-Kluft: Badehose und -kappe, sonst nichts. Der Gedanke, im Neoprenanzug Schutz vor der Kälte zu suchen, war mir in diesem Sommer bisher noch gar nicht gekommen. Wir lassen eine ältere Dame, die gerade dem Bade entstiegen ist, ein Erinnerungsfoto knipsen, dann starten wir zur ersten von sieben Seeetappen (eines der ganz wenigen Wörter mit drei aufeinanderfolgenden e, die mir einfallen).

Erster Eindruck: Berauschender als hier ist Deutschlands Natur nirgends, und die Freude wird noch größer dadurch, dass ich sie mit meinem besten Sportfreund teile.

Hannes eilt sogleich voraus, klar, er trägt ja auch Neoprenanzug und genießt damit den Trumpf einer optimierten Wasserlage. Ich versuche den Abstand nicht allzu groß werden zu lassen, wobei diese erste Distanz lediglich einige Hundert Meter misst und der Abstand mangels Gewässergröße nur schwerlich in die Vierstelligkeit wachsen kann.

Am waldigen Ankunftsufer trocknen wir uns ab und ziehen uns für den Lauftransfer zum Alpsee um, auf welchem ich Hannes verrate, dass ich mit einem neuen Monumentalvorhaben liebäugele: jeden Tag draußen schwimmen – ein Jahr lang.

Was er denn von dieser Idee halte?

Hannes stöhnt. »Herrje. Das ist allerdings ein anderes Kaliber als dein wöchentliches Marathon-Laufen. Wie willst du’s im Winter machen?«

»Weiß ich noch nicht. Vielleicht Neoprenanzug tragen, vielleicht in den sonnigen Süden ausweichen. Mal schauen. Bin bereits seit dem 1. Juli ununterbrochen unterwegs.«

Hannes seufzt bedeutungsschwanger, man könnte Ehrfurcht hineininterpretieren, oder aber Mitleid.

Dann wünscht er mir viel Glück, so wie man jemandem viel Glück zur Hochzeit wünscht, von dessen Partnerwahl man nicht vollends überzeugt ist. Dabei ist auch Hannes ein veritabler Schwimmer, erwiesenermaßen Ironman-tauglich, und spurtet mir auf unserem Weg durch den Alpsee erneut davon.