Herr Neumann will auf den Olymp - Andreas Heinzel - E-Book

Herr Neumann will auf den Olymp E-Book

Andreas Heinzel

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Beschreibung

Was wäre, wenn Frankfurt die Sommerspiele bekäme? Davon handelt dieser tolldreiste Roman und qualifiziert sich so locker für eine der amüsantesten Sportgeschichten aller Zeiten. Höher. Schneller. Köstlicher. Ein charismatischer Oberbürgermeister, der sich unsterblich machen will. Ein skrupelloser Organisator, der mit allen schmutzigen Tricks arbeitet. Eine tapfere Elfe, die zum Widerstand aufruft. Ein zu allem entschlossener Rentner, der mit Biss sein Haus verteidigt. Und ein mächtiger Gegner im Verborgenen, der nur eines will: Rache. In dieser schrägen Provinzposse treffen Sportsgeist auf Kampfgeist, lokale Interessen auf die Jugend der Welt und Frankfurt auf Offenbach. Auf den olympischen Geist wird gepfiffen, von Fairplay kann keine Rede sein, und ob das am Ende gut ausgeht, steht in den Sternen.

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Andreas Heinzel

Herr Neumann will auf den Olymp

Satire

Die folgende Geschichte ist von vorne bis hinten an den Haaren herbeigezogen, die darin vorkommenden Charaktere sind ausnahmslos fiktiv. Jede Ähnlichkeit mit lebenden Personen und andernorts verwirklichten oder nach wie vor nicht realisierten Großprojekten kann getrost ausgeschlossen werden.

eISBN 978-3-947612-28-4

Copyright © 2019 mainbook Verlag

Alle Rechte vorbehalten

Covergestaltung: Olaf Tischer

Covermotive: © Jorgenmac + Katerina Andronchik (getty images)

Auf der Verlagshomepage finden Sie weitere spannende Bücher: www.mainbook.de

Das Buch

Die Konkurrenten staunen nicht schlecht, als ausgerechnet Frankfurt, die kleine große Stadt am Main, den Zuschlag für die Olympischen Spiele erhält. Niemand hat damit gerechnet. Niemand außer Balthasar Neumann, dem Überraschungssieger der letzten Oberbürgermeisterwahl, dem Gastronomen, Bonvivant und Seiteneinsteiger, der mit dem berühmten Baumeister lediglich den Namen gemein hat.

Die Sommerspiele gehören zu OB Neumanns Masterplan, aus Frankfurt endlich eine Megametropole wie London, Tokio oder New York zu machen. Das Problem ist nur, dass partout nicht alle die Vision ihres Oberbürgermeisters teilen wollen.

Da wäre zum einen Britta Hohlfeld, Leiterin des Kindergartens Kleine Elfen, die zur Rebellin mutiert, als ihr Antrag auf Erneuerung der maroden Spielplatzgerüste wegen fehlender Gelder abgelehnt wird. Oder die Löwingers, deren Häuschen dem olympischen Dorf weichen soll, wogegen sich die Rentner jedoch zu wehren wissen. Oder Kurt Rosenbloom, der vielversprechende Marketingexperte einer amerikanischen Burgerkette, die die Spiele nutzen will, um mit einem Paukenschlag den deutschen Markt zu erobern. Und dann gibt es da noch jemanden, der mit dem Oberbürgermeister seit Langem eine Rechnung offen hat und nun endlich die ersehnte Gelegenheit zur Rache gekommen sieht.

Nur gut, dass dem charismatischen OB der Chef des Frankfurter Olympischen Komitees zur Seite steht. Stefan Drosdorf ist Neumanns Mann fürs Grobe, der vor nichts zurückschreckt und für den, gäbe es ihn nicht bereits, der Hashtag #metoo hätte erfunden werden müssen.

Ohnehin ist Fairplay für alle Beteiligten ein Fremdwort. Stattdessen wird nach Herzenslust bestochen und bedroht, getäuscht, getrickst, betrogen, erpresst und gestorben.

So ist bis zum Ende mehr als fraglich, ob Neumann die Eröffnung der Spiele als Stadtoberhaupt erleben wird – und ob die Wettkämpfe in Frankfurt überhaupt stattfinden.

Der Autor

Andreas Heinzel wurde 1962 in Frankfurt am Main geboren. Er studierte Germanistik, Politikwissenschaften und Geschichte und arbeitet seit Jahrzehnten als Texter, Sprecher und Kreativdirektor. Nach seinem 2016 ebenfalls im mainbook Verlag erschienenen Debüt Die Monarchos veröffentlicht er mit Herr Neumann will auf den Olymp seinen zweiten Roman. Andreas Heinzel hat zwei Kinder und lebt mit seiner Frau in Frankfurt.

Für Frankfurt, meine Stadt.

Balthasar [email protected] • 17. JuliFrankfurt ist ein Dorf. Das werde ich schleunigst ändern.#fiveforfrankfurt #makefrankfurtgreat

Inhalt

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Epilog

Ein kurzes und herzliches Dankeschön

Prolog

Trotz widriger Wetterverhältnisse über dem Schwarzwald landete der Lufthansa-Flug LH 1216 pünktlich um kurz nach halb eins auf dem internationalen Flughafen in Genf. Neben der Crew und vierundachtzig weiteren Passagieren befanden sich an Bord des Airbus 321 auch der Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt am Main, Balthasar Neumann, nicht im Entferntesten verwandt mit dem weltberühmten Baumeister, sowie Stefan Drosdorf, ein langjähriger Freund des Stadtoberhaupts und Leiter des vor etwas mehr als einem Jahr ins Leben gerufenen FOK, des Frankfurter Olympischen Komitees.

Auf dem Rollfeld parkte neben dem kleinen Shuttlebus des Airports eine anthrazitfarbene Limousine, davor wartete in klassisch dunkelblauer Chauffeursuniform, lässig an den linken Kotflügel gelehnt, deren Fahrer. Der Bedienstete hielt ein Schild in der Hand, auf dem bereits von der Gangway aus zu lesen war: Monsieur Neumann et Monsieur Drosdorf. Die beiden so willkommen geheißenen Gäste trennten sich daher, kaum auf Schweizer Boden angekommen, von den übrigen Passagieren und eilten mit schnellen Schritten auf das Ein-Mann-Empfangskomitee zu. Der Fahrer öffnete ihnen die Tür zum Fond des Wagens. Die Männer stiegen ein, die Limousine setzte sich in Bewegung und erreichte nach wenigen Minuten die Autobahn Richtung Lausanne.

„Nervös?“, fragte Stefan Drosdorf den Oberbürgermeister, der aus dem Fenster sah und die Landschaft an sich vorbeiziehen ließ.

„Quatsch“, antwortete der. „Wir gehen rein, holen das Ding und fliegen zurück. Ich verwette meinen Hintern, dass sie der Film von Coleman überzeugt hat.“

Mit dem Engagement von Steve Coleman als Regisseur des Frankfurter Bewerbungsvideos hatten Neumann und Drosdorf einen erstklassigen PR-Coup gelandet. Zweimal schon hatte Coleman den Oscar für die beste Regie geholt und nun in einem fünfzehnminütigen, wie Neumann fand, sensationell emotionalen Film die Metropole am Main in Szene gesetzt. Für das Geld, das er dafür bekam, hätte die Stadt zwar genauso gut ein Jahr lang eine Grundschule finanzieren können, doch Colemans Bildwelten waren jeden Cent wert gewesen, das würde sich sehr bald zeigen.

„Das wette ich auch. Obwohl man nie weiß, was die anderen aus dem Hut gezaubert haben“, antwortete Drosdorf.

„Ich bitte dich“, sagte Neumann. „Rotterdam ist stinklangweilig, Kairo geht politisch nicht, Mexiko City ist ein Moloch und Mumbay, hallo? Wer von denen will allen Ernstes nach Mumbay? Vergiss es, Stefan. Vergiss es einfach. Wir holen das Ding.“

Der Oberbürgermeister lächelte, sodass sich rings um die Augen unzählige kleine Lachfältchen zeigten, die die Frankfurter so an ihm mochten. Ja, man vergötterte ihn hibbdebach wie dribbdebach, und er wiederum liebte seine Frankfurter. Richtiggehend ans Herz gewachsen waren sie ihm seit seinem Amtsantritt, und er war stolz, deren Oberhaupt sein zu dürfen. Ganz besonders heute.

Eine knappe Stunde später bog die Limousine nach rechts ab, fuhr eine Auffahrt hoch und hielt vor einem gläsernen Gebäudekomplex mit einem eleganten, durch fünf Ringe gekrönten Eingangstor.

„So, auf geht’s“, sagte Neumann siegesgewiss, schnappte die Umhängetasche mit dem Notebook und stieg aus.

Normalerweise wurde die Vergabe der Olympischen Spiele während eines irgendwo auf der Welt stattfindenden IOC-Kongresses bekanntgegeben. Diesmal jedoch wollte man ein Zeichen der neuen Bescheidenheit setzen, einen Neuanfang wagen, und zog sich in die eigenen Gemächer des Internationalen Olympischen Komitees nach Lausanne zurück. Geladen waren lediglich kleine Abordnungen der fünf verbliebenen Kandidaten, die Presse hingegen konnte sich, wie Millionen von Zuschauern, live über das Fernsehen oder einen Stream im Internet dazuschalten. Geplant war eine zweieinhalbstündige Übertragung, direkt im Anschluss würde der Vorsitzende des IOC die Gewinnerstadt verkünden. Kurz und schmerzlos.

Neumann und Drosdorf wurden von einer Hostess in den Raum Frankfurt geführt, in dem bereits der Chef des Deutschen Olympischen Sportbundes, ein erfolgreicher Kugelstoßer sowie eine nicht minder erfolgreiche Hürdenläuferin warteten, die im letzten Jahr zu Deutschlands Sportlern des Jahres gewählt worden waren.

„Tag, die Damen und Herren“, begrüßte Neumann die Anwesenden. „Na, dann wollen wir das Ding mal an den Main bugsieren, was?“

„Wir sind zuletzt dran“, begrüßte der Chef des DOSB den Oberbürgermeister. „Ist das jetzt gut oder schlecht?“

„Das ist super“, erwiderte Neumann. „So hinterlassen wir den letzten Eindruck, und zwar einen bombigen. Außerdem kennt die Jury die Filme längst, die Entscheidung ist garantiert schon vor Tagen gefallen. Ich werde zu unserem Film ein paar passende Worte sagen, und dann werden wir sehen. Aber es hat geklappt, ich bin mir absolut sicher.“

„Am meisten Sorgen mache ich mir um Mumbay“, sagte der DOSB-Chef. „Die lieben’s exotisch, wetten? Knallige Farben, schöne Menschen, viele Kinder. Ihr wisst schon.“

„Ach was, seitdem da in den Hotels herumgeballert wurde, will doch keiner mehr dort hin. Mumbay könnt ihr vergessen. Höchstens Mexiko City, wegen der Drogen. Da könnte sich die Jugend der Welt problemlos mit verbotenen Substanzen eindecken“, lachte Drosdorf.

„Nicht besonders lustig“, empörte sich der Kugelstoßer neben ihm. „Wir Athleten wollen sauberen Sport, Herr Drosdorf.“

„Jaja, schon klar, wir ja auch“, antwortete der Chef des FOK. „Scherz“, lachte er und boxte dem Sportler freundschaftlich auf die gestählte Brust.

Eine gute Viertelstunde später wurde die deutsche Delegation in den großen, bereits gut gefüllten Konferenzraum gebeten. Die Vertreter der anderen Bewerberstädte standen in kleinen Gruppen zusammen, unterhielten sich oder plünderten das üppige Büffet, das sich außerhalb des Scheinwerferlichts der Kameras an der Seite des Raums befand.

Neumann, Drosdorf und die übrigen Vertreter Frankfurts suchten und fanden ihre Plätze zentral in der Mitte des Saals. Ein gutes Zeichen, befand der OB, das sei ganz klar ein Vorentscheid. Dann widmeten auch sie sich den Häppchen, denn der Snack im Flieger bei so kurzen Strecken war nur für den hohlen Zahn, hoffentlich hatten die Eidgenossen was Ordentliches aufgetischt.

Viel war nicht mehr da, stellten die Deutschen enttäuscht fest. „Wahrscheinlich waren die Holländer schon hier“, meinte Neumann. „Wie auf Malle.“ Und das, obgleich der Oberbürgermeister selbst noch nie auf Mallorca gewesen war, geschweige denn jemals einen Pauschalurlaub verbracht hatte, womöglich noch all-inclusive. Gott bewahre.

Die Delegationsteilnehmer griffen, was sie bekommen konnten, packten sich das eine oder andere Canapé auf die Serviette und begaben sich zu ihren Plätzen. Etwas rechts von ihnen saßen die Vertreter Mexiko Citys mit bunten Sombreros und Ponchos. Die Ägypter hinter ihnen beschwerten sich, durch die riesigen Hüte nichts sehen zu können und, weit schlimmer noch, von den Kameras nicht gesehen zu werden, sodass eine nette junge Dame im roten Kostüm herbeigerufen und damit beauftragt wurde, die amerikanischen Vertreter zum Abnehmen der störenden Kopfbedeckungen zu bewegen.

„Vielleicht hätten wir auch was mitbringen sollen. Ein paar Bembel oder so“, meinte Neumann leise zu Drosdorf. „Bisschen Folklore hätte sicher nicht geschadet.“ Der FOK-Chef aber lächelte nur müde.

Dann wurde es dunkel im Raum, und eine Tonbandstimme begrüßte die anwesenden Gäste sowie die Millionen Menschen vor den Bildschirmen in aller Welt auf Englisch und Französisch zur feierlichen Verkündung des Austragungsortes der übernächsten Olympischen Sommerspiele. Auf einem riesigen Screen am Kopfende des Saals erschien die wehende weiße Flagge mit den fünf Ringen, dazu ertönte aus den Lautsprechern die olympische Hymne, gefolgt von einigen Impressionen Olympischer Spiele der Neuzeit, von farbenfrohen Eröffnungsfeiern, strahlenden Siegern, stolzen Fackelträgern und glücklichen Kindern mit bemalten Gesichtern. Der Film endete mit eben diesen Jungen und Mädchen, die auf dem Rasen eines architektonisch gewagten Stadions ein gigantisches buntes Fragezeichen auf dem Rasen formierten. Kaum war der Film zu Ende, wurde die Bühne des Raums in ein angenehm gedämpftes Licht getaucht.

Der Vorsitzende des IOC betrat mit kurzen, sportlichen Schritten und unter dem freundlichen Applaus der Anwesenden das Podium, wo er sich einen Moment feiern ließ, ehe er ans Mikrofon trat, um den Zuschauern ein paar feierliche Worte mit auf den Weg zu geben. Er sprach von einem großen Moment, von einer schweren Entscheidung und von der Sicherheit des IOC, dass man sich wieder, ganz gleich, welche Stadt in wenigen Augenblicken den Zuschlag erhalte, auf einmalige, auf unvergessliche Sommerspiele freuen könne. Weiter führte der Redner aus, dass auch von den übernächsten Spielen wieder sportliche Höchstleistungen und Rekorde für die Ewigkeit zu erwarten seien. Und dass das IOC alles dafür tun werde, um diese Spiele zu sauberen Wettkämpfen zu machen, was im Auditorium durch verhaltenen, zustimmenden Applaus gewürdigt wurde.

Schließlich ging es zur Sache, und der Vorsitzende erklärte das Prozedere. Nacheinander würden als Nächstes die fünf Bewerbungsfilme der in Frage kommenden Städte vorgeführt, zuvor bekämen die Bürgermeister der Kandidaten die Gelegenheit, ein kurzes Grußwort an die Zuschauer zu richten. Und so verbrachte die Frankfurter Delegation die folgende gute Stunde damit, die Beiträge der Konkurrenz zu verfolgen, um sie allesamt als nur geringe Gefahr für den eigenen Bewerbungsfilm zu betrachten.

Endlich aber war es soweit, und Balthasar Neumann erklomm das Podium. Mit seinem charmanten Lausbubenlächeln, der sportlichen Figur und dem Auftreten eines sicheren Gewinners erinnerte der Oberbürgermeister an die junge Version eines bekannten Hollywood-Schauspielers. Wie immer fand er genau die richtigen Worte und stellte Frankfurt als den unschlagbar sympathischen Underdog da, an dem bei den Olympischen Spielen kein Weg vorbeiführte. Er sprach von der Begeisterung der Menschen, die seit Monaten diesem Ereignis entgegenfieberten und unterließ geschickt den Zusatz, dass dasselbe Fieber bereits zu hitzigen Debatten mit hartnäckigen Gegnern der Veranstaltung geführt hatte. Er versprach den Menschen die schönsten, freundlichsten, umweltschonendsten und gleichzeitig wirtschaftlichsten Spiele, die sie je gesehen hätten, bis er mit einem strahlenden „Guude, un mer sieht sisch!“ seine kurze Ansprache beendete, das Licht im Saal aufs Neue erlosch, und der Frankfurter Beitrag des Oscar-Regisseurs Steve Coleman begann.

Zunächst erschien ein stolzer Adler mit mächtigen Schwingen, der etwas in den Krallen hielt und über den Hochhaustürmen der Frankfurter Skyline majestätisch seine Kreise zog. Weit oben über den spiegelnden Gebäuden lockerte der Raubvogel den Griff und ließ die Beute los. Die Zuschauer im Saal erkannten, dass es fünf verschiedenfarbige Ringe waren, die sich über dem stahlblauen Frankfurter Himmel zum weltbekannten olympischen Emblem formierten. Darunter wurde das Motto des Frankfurter Beitrags eingeblendet: Five For Frankfurt. Den Slogan hatte FOK-Chef Stefan Drosdorf vor Monaten von einer Agentur entwickeln lassen. Er persönlich war damit höchst zufrieden, die übrigen Beteiligten fanden ihn wenig schmissig, konnten mit der Botschaft jedoch leben.

Coleman hatte Wert darauf gelegt, die verschiedenen Facetten der hessischen Metropole zu interpretieren: die spannungsgeladene Atmosphäre zwischen Banker-Hauptstadt und Bauernmarkt, die aufregende Dynamik zwischen gestern und morgen, den Trubel einer der lebendigsten Innenstädte der Republik und die Magie historischer Bauten der einst freien Reichsstadt und des Treffpunkts der wichtigsten Handelsrouten von Ost nach West und von Nord nach Süd. Das alles hielt die Zuschauer minutenlang in ihrem Bann. So sehr, dass das Auditorium begann, unruhig auf den Stühlen herumzurutschen. Die Mexikaner saßen mit offenem Mund da und starrten fasziniert auf den Beitrag der Konkurrenz, der Stadt, mit der sie am wenigsten gerechnet hatten. Die Inder lockerten die Knoten ihrer Seidenkrawatten, um sich etwas Luft zu verschaffen und auch die Ägypter und Holländer konnten den Blick nicht von dem riesigen Bildschirm an der Konferenzraumwand abwenden.

Eine Viertelstunde später war das Spektakel vorbei, und nach kurzer Pause erwachten die Zuschauer allmählich aus der andächtigen Stille. Ein einzelner mexikanischer Delegierter begann zu klatschen. Dem schlossen sich schnell andere an, einige standen sogar auf, bis sich endlich der gesamte Saal erhob, um den Frankfurter Beitrag euphorisch zu feiern.

Zufrieden und positiv überrascht ob der gewaltigen Reaktion bedankten sich die Frankfurter für den frenetischen Applaus. Balthasar Neumann und der Chef des DOSB verbeugten sich, Drosdorf hob in Siegerpose die verschränkten Hände, während die Hürdenläuferin nicht anders konnte, als den ergriffen neben ihr stehenden Kugelstoßer zu umarmen und ihn weit mehr als nur sportkameradschaftlich zu küssen.

Erst als der Chef des Internationalen Olympischen Komitees mit beschwichtigenden Gesten den Saal beruhigte und den verschlossenen Umschlag mit der Siegerstadt in der Luft schwenkte, konnte er die Aufmerksamkeit des Publikums wieder auf sich und den Anlass der heutigen Veranstaltung lenken. Er wartete, bis auch der letzte Delegierte wieder Platz genommen und sich gefasst hatte, sodann öffnete der Gastgeber der Veranstaltung in aller Seelenruhe das Kuvert, blickte hinein, als wüsste er nicht längst das Ergebnis, den Namen der Stadt, der auf dem darin verborgenen Karton in silbernen Lettern zu lesen war. Es dauerte nur wenige Sekunden, die sich schier endlos in die Länge zogen, bis der Funktionär die Karte nahm, aufreizend langsam die Lesehilfe aufsetzte, las, lächelte und zu guter Letzt der Welt die Gastgeberstadt der übernächsten Olympischen Sommerspiele verkündete: Frankfurt am Main.

Drei Stunden, unzählige Interviews und Kamera-Statements, Fototermine, freundliche Umarmungen und Hunderte geschüttelte Hände später, saßen Oberbürgermeister Balthasar Neumann und der Chef des Frankfurter Olympischen Komitees wieder im Fond der dunklen Limousine, die die glorreichen Sieger zurück zum Genfer Flughafen brachte, wo sie ihren Rückflug nach Frankfurt bequem erreichen würden. Drosdorf grinste zufrieden vor sich hin, OB Neumann neben ihm wirkte glücklich, doch auch etwas irritiert. War ihr Beitrag wirklich so überwältigend gewesen, oder war es womöglich er selbst gewesen, der durch seine Bühnenpräsenz den Ausschlag gegeben hatte? Nicht, dass ihn das verwundert hätte.

„Sag mal“, fragte er seinen Freund und Berater. „Mal unter uns: Kannst du dir erklären, warum die bei Colemans Film so euphorisch reagiert haben? Haben wir deshalb den Zuschlag gekriegt, oder lag es an meiner Rede?“

„Nein, Balthasar, diesmal lag es ausnahmsweise nicht an dir“, antwortete Drosdorf.

„Du meinst also, es war der Film? Der hat sie so begeistert?“ Fragend blickte Neumann den Organisator an. Merkwürdig, selbst er hatte bei den Aufnahmen von Frankfurt schwitzige Hände bekommen. „Ich verstehe das nicht ganz, Stefan. Die anderen Filme waren doch nicht so viel schlechter, oder?“

„Naja“, sagte Drosdorf. „Vielleicht nicht schlechter, aber … anders.“

„Wie anders?“, fragte Neumann.

„Na, anders eben. Nicht so aufregend. Ganz ehrlich, Balthasar?“ Drosdorf senkte die Stimme, damit der Fahrer ihn nicht hören konnte. „Als ich die fertige Version des Films zu sehen bekam, war ich entsetzt. Mag sein, dass Coleman schöne Bilder gedreht hat. Emotional, ja, vielleicht. Aber nicht eine Einstellung, bei der ich gesagt hätte: wow! Ich fand seinen Film eher durchschnittlich, nichts Besonderes, und ich hab mich gefragt, wofür der Typ zwei Oscars bekommen hat … und warum wir so viel Geld für den ausgegeben haben. Mit Colemans Film hätten wir heute nichts gerissen, glaub mir.“

Neumann starrte ihn konsterniert an. „Aber … Moment mal, das war doch Colemans Film?“

Drosdorf atmete tief durch. „Noch am selben Abend bin ich zurück ins Studio gefahren und hab mich mit dem Cutter hingesetzt.“

„Aber ihr habt doch nichts verändert. Das war genau die Version, die ich abgesegnet hatte.“

„Nicht ganz, Balthasar, du hast nicht wirklich alle Bilder gesehen. Die Brüste, Muschis und Schwänze, die wir als Einzelbilder dazwischen geschnitten haben, hat nur dein Unterbewusstsein wahrgenommen.“

„WAAAAAAS?“

Neumanns empörter Aufschrei wollte so gar nicht zur wohltuenden Ruhe im Fahrzeuginneren, geschweige denn zur Idylle der Schweizer Landschaft hinter den getönten Scheiben des BMWs, passen. Daher wiederholte er in gedämpfter Lautstärke: „Du hast was?“

„Pornos“, grinste Drosdorf. „Ich hab Schweinkram zwischen die Skyline und die öden Äpplerwirtschaften geschnitten. Immer nur ein einziges Bild. Nicht wahrnehmbar, aber ausgesprochen wirksam. Du hast ja gesehen, wie die Typen darauf angesprungen sind“, fügte er lachend hinzu. „Und die Mädels genauso. Hast du gesehen, wie sich die Läuferin den Modellhünen geschnappt hat? Und was meinst du, was heute erst in den Puffs von Lausanne und Genf los ist.“

„Bist du wahnsinnig?“, presste Neumann hervor. „Wenn das jemand mitgekriegt hätte.“

„Haben sie doch“, antwortete Drosdorf grinsend. „Sie wissen’s nur nicht. Das ist ja das Geniale.“

Neumann verbarg das Gesicht in den Händen. „Um Gottes willen“, hauchte er in die Handflächen. „Du hättest mich in Teufels Küche bringen können.“

„Beruhige dich“, sagte Drosdorf und ließ sich entspannt ins lederne Fauteuil fallen. „Wir haben das Ding, das ist die Hauptsache. Sie lieben unsere Stadt, nur wussten sie es bis heute noch nicht. Und jetzt bieten wir ihnen die besten Spiele ever. Oder?“

Neumann hob den Kopf, blickte seinen Sitznachbarn von der Seite an und sagte: „Mann, Mann, Mann … aber … geile Idee, Stefan.“ Dann zeigten sich wieder die berühmten Lachfältchen um seine Augen, als er kopfschüttelnd aus dem Fenster sah. „Saugeile Idee.“

Meine Güte, dachte der Oberbürgermeister und schüttelte ungläubig den Kopf. Wenn er das vor der Veranstaltung gewusst hätte, wäre er wohl wegen einer Panikattacke in die nächste Klinik eingeliefert worden, vermutlich wäre er gar nicht erst in die Schweiz geflogen.

Im Grunde müsste er deswegen stocksauer sein und jegliche weitere Zusammenarbeit mit Drosdorf aufkündigen. Der FOK-Chef hatte ihn nicht nur hintergangen, sondern ihn ohne mit der Wimper zu zucken ins offene Messer laufen lassen. Was, wenn sie aufgeflogen wären? Hätte Drosdorf die Schuld auf sich genommen oder sämtliche Vorwürfe von sich gewiesen? Neumann überlegte. Drosdorf und er kannten sich zwar schon seit vielen Jahren, doch wie sich gerade gezeigt hatte, konnte er seinen Organisator nach wie vor schlecht einschätzen.

Andererseits hatten sie, jedenfalls sah es im Augenblick danach aus, nur wegen Drosdorfs Dreistigkeit die Spiele an den Main geholt. Und heiligte der Zweck nicht wie immer die Mittel?

Der OB zog sein Handy aus der Innentasche des Sakkos, wischte und tippte auf dem Display herum, hielt das Gerät ans Ohr und wartete, bis sich der Angerufene meldete.

„Adrian?“, fragte Neumann und redete ohne die Antwort abzuwarten weiter: „Wir haben’s. Ja. Ja, genau, wir haben das Ding geholt. Ist das nicht irre? Frankfurt wird Olympiastadt. Das feiern wir zwei nachher. Auf jeden Fall. Ich fahre direkt vom Flughafen aus ins Schweijk, okay? Super, Bärchen. Ich dich auch. Bis dann.“

Neumann tippte auf das rote Feld des Displays, steckte das Gerät wieder ein und fragte Drosdorf: „Willst du mitkommen?“

Doch Drosdorf winkte dankend ab. „Da sind eindeutig zu wenig Frauen. Ich geh noch mal ins Büro. Jetzt geht die Arbeit nämlich erst richtig los.“

Während Neumann und Drosdorf eincheckten und selbstzufrieden ins Flugzeug stiegen, gab es im Frankfurter Stadtteil Sachsenhausen ein Haus, in dem niemandem nach Feiern zumute war. Sekt wäre hier, direkt an der Grenze zum nahegelegenen Stadtwald, nur dann und zwar reichlich geflossen, wenn sich das IOC gegen die Mainmetropole entschieden hätte. Aber so? Ganz sicher nicht.

Balthasar Neumann hatte es also tatsächlich geschafft, es war einfach nicht zu fassen. Dieser Blender, dieser aufgeblasene Popanz hatte sein Ziel erreicht, und die halbe Welt feierte ihn dafür, allen voran die Frankfurter. Allein, wie sich dieser Wichtigtuer eben wieder vor den Mikrofonen präsentiert hatte, war ein Grund zum Fremdschämen. Neumann war und blieb ein blasierter Pfau, der drauf und dran war, mit seinen selbstverliebten Plänen die Stadt zu ruinieren.

Aber soweit würde er es nicht kommen lassen. Bis das olympische Feuer die Stadt erreichte, würde noch viel Wasser den Main hinunterfließen. Das IOC mochte die Spiele nach Frankfurt vergeben haben, doch ob sie hier auch tatsächlich stattfinden würden, stand auf einem ganz anderen Blatt. Ganz zu schweigen davon, ob Balthasar Neumann das Ganze noch als Oberbürgermeister erleben würde.

Nun, vielleicht sollte er ja darauf ein Fläschchen öffnen und das Glas erheben: auf den Aufstieg und Fall des Oberbürgermeisters von Frankfurt am Main.

1

Balthasar Neumann war vor zwei Jahren zum Frankfurter Oberbürgermeister gewählt worden. Auf einen wie ihn hatten die Bürgerinnen und Bürger der Stadt lange gewartet. Wenn sie ganz ehrlich zu sich selbst waren, hatten die Frankfurter nämlich immer ein bisschen neidisch nach Berlin geschaut, wo sich eine Zeit lang sehr viel schillerndere Persönlichkeiten hin verirrten, um die Geschicke der Stadt zu leiten. In Frankfurt hingegen musste man bei jeder Wahl nach geeigneten Bürgermeisterkandidaten suchen, um am Ende doch nur die üblichen grauen Verwaltungsangestellten zu finden, die nichts falsch machten, die Stadt aber auch nicht wirklich voranbrachten.

Das zumindest war Neumanns Überzeugung, und die vertrat er bei seinen öffentlichen Auftritten im Wahlkampf wie auch hinter den verschlossenen Türen des Römers derart vehement, dass er mit seinen Worten und seinem Charisma selbst erbitterte Gegner für sich einnahm. Dass er darüber hinaus auch noch ein erfolgreicher Geschäftsmann und überdies schwul war, fanden die Frankfurter einfach wunderbar. Sie sonnten sich im Glanz ihres OBs, ganz gleich, ob er galant und im feinen Designeranzug Staatsgäste empfing oder beim Christopher Street Day im körperbetonten Papageienkostüm auf einem der vordersten Wagen mittanzte. Balthasar Neumann, da waren sich die Leute einig, war für Frankfurt ein seltener Glücksfall.

So nahmen sie es ihm auch nicht wirklich krumm, als er ein Jahr nach seinem triumphalen Wahlsieg sein Vorhaben verkündete, die Olympischen Spiele an den Main zu holen. Davon war vor dem Amtsantritt nie die Rede gewesen, tatsächlich erzählte er von seinen kühnen Plänen eher en passant während einer Benefizveranstaltung zugunsten einer lokalen Kinderhilfsorganisation im Gesellschaftshaus des Palmengartens. Dort sprach er von seiner Begeisterung für die Jugend der Welt, auf die es seiner Meinung nach ankomme, auf deren Optimismus, Kraft und Enthusiasmus und dass er sie, die Jugend, sehr gerne und sehr bald in Frankfurt begrüßen wolle, in ein paar Jahren bereits. Und dann kündigte er zur Überraschung der anwesenden Gäste an, dafür einzutreten, dass diese Stadt – seine Stadt – sich für die übernächsten Olympischen Sommerspiele bewerben werde.

Noch an Ort und Stelle gab es zunächst erstauntes Geraune, kurz darauf jedoch viel Beifall für die grandiose Idee des Oberbürgermeisters, was umso ungewöhnlicher war, da die Kassen der Gemeinde geradezu chronisch leer waren. Doch wenn einer eine Großveranstaltung wie diese würde meistern können, davon waren die Menschen im Saal überzeugt, dann nur der smarte, eloquente und überaus erfolgreiche Bonvivant.

Der Vorsitzende einer der kleineren Fraktionen im Römer fand die Pläne des Oberbürgermeisters hingegen – wie er in einem Interview konstatierte – völlig ballaballa. Das wiederum brachte Balthasar Neumann postwendend den Kosenamen Balla ein, mit dem ihn die Frankfurter fortan liebevoll bedachten, wenn sie an den Apfelweintischen über ihren obersten Stadthirten und dessen waghalsige Olympiapläne schwadronierten.

Balla werde es schon schaukeln, da waren sie sich sicher, wenn einer, dann Balla.

Balla Neumann selbst brauchte eine gewisse Zeit, um sich mit seinem Spitznamen anzufreunden. Wenn ihm seine Bürgerinnen und Bürger partout einen neuen Namen verpassen wollten, warum dann nicht Newman? Schließlich besaß er dieselben eisblauen Augen wie die Hollywood-Legende, der Schwarm seiner Kindheit.

Andererseits: Waren Visionäre nicht schon immer als verrückt verschrien worden? Und war er nicht genau das, ein Visionär? Einer, der Frankfurt endlich voranbringen wollte? War balla zu sein nicht eine ungemeine Wertschätzung, die ihm zuteilwurde, weil die Menschen in dieser Stadt frühzeitig erkannten, welch bahnbrechende und neuartige Pläne er für die Mainmetropole hatte?

Endgültig überzeugt war Neumann von der Liebesbezeugung seiner Bürger, als er auf Veranstaltungen mit Sprechchören begrüßt wurde, die ihm begeistert Balla, Balla entgegenriefen. Da spürte er, dass er es geschafft hatte. Die Frankfurter hatten ihn in ihr Herz geschlossen, und er war festen Willens, alles dafür tun, ihr Vertrauen zu rechtfertigen.

Die Bewerbung für die Olympischen Spiele war natürlich nur der erste Schritt in Neumanns Vision, wenngleich ein reichlich ambitionierter. Sportliche Großereignisse zu zelebrieren, das verstanden die Frankfurter, das hatten sie nicht zuletzt beim Sommermärchen 2006 bewiesen, als man die ganze Stadt zu einer gutgelaunten Partymeile umfunktionierte und Fans aus aller Welt erstaunt miterlebten, wie sich Frankfurt am Main als formidabler Gastgeber präsentierte.

Dennoch gab es bei aller Euphorie auch vereinzelte Stimmen, die forderten, eine Entscheidung dieser Tragweite müsse von den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt abgesegnet werden. Ein Wunsch, den Neumann kurzerhand unberücksichtigt ließ.

„Den Teufel werde ich tun“, erwiderte er in privatem Kreise zum angesprochenen Begehren. „Wir haben in Garmisch und Hamburg gesehen, was passiert, wenn der Plebs entscheidet. Nichts da, wir ziehen das durch und fertig. Manchmal muss man die Leute zu ihrem Glück zwingen, ist so.“ Und damit widmete er sich schnell wieder den wirklich wichtigen Dingen im Leben eines Oberbürgermeisters, etwa dem Public Viewing am Rossmarkt während der Liveübertragung des Eurovision Song Contests.

Nichtsdestotrotz wollte er gerade was sein Baby, die Spiele, anging, zu gerne jedweden Frankfurter hinter sich wissen. Denn bei allem Ehrgeiz galt Neumann als krankhaft harmoniesüchtig, als einer, dem es gar nicht behagte, wenn man ihn nicht leiden konnte oder gar seine Olympiapläne kritisierte. Erkannten diese Ignoranten nicht, welches Glück sie mit ihm hatten? Sahen sie nicht, dass er alles nur für sie tat und sie am Ende reihum von seinem Vorhaben profitieren würden?

Auch wenn Neumann dazu Anlass gehabt hätte, reagierte er auf seine kleingeistigen Widersacher weder arrogant noch pikiert, stattdessen suchte er den konstruktiven Dialog und setzte ganz auf seinen Charme und seine Überzeugungskraft. Damit war er noch immer gut gefahren.

Er lud ausgesuchte Vertreter der Stadt zu einem öffentlichen Hearing in die Schirn, wo er den anwesenden Zweiflern versicherte, dass die Spiele selbstverständlich wirtschaftlich zu meistern seien, man mit dem Bund, dem Land und dem IOC sicher eine einvernehmliche Lösung finden werde und dass er dieses Vorhaben schon deshalb für eine fantastische Möglichkeit hielt, da er sich davon einen massiven Schub beim Wohnungsbau und eine glorreiche Zukunft für Frankfurts Infrastruktur versprach. Nicht zu vergessen die Vielzahl an Arbeitsplätzen, die ein Projekt dieser Größenordnung mit sich bringen würde, und zwar über viele Jahre hinweg.

Jegliche möglicherweise verbliebenen Bedenken, jede weitere Skepsis zerstreute er mit seinem weit über Frankfurts Stadtgrenzen hinaus berühmten Lächeln, dem weder die anwesenden Rentnerinnen noch die handverlesenen Geschäftsleute im Saal, geschweige denn die sonst so kritischen Journalisten widerstehen konnten. Schon gar nicht diejenigen von ihnen, die Balla von seinen Streifzügen durch die dunklen Räume des Nachtlebens kannte.

Es blieb also dabei: Die Stadt bereitete sich auf die Bewerbung vor, auf das Votum des Volkes verzichtete man hingegen vorsichtshalber. Und wenige Monate darauf landete die Frankfurter Einreichung tatsächlich auf dem Schreibtisch des IOC, wo das Engagement der Hessen mit der Entscheidungsverkündung am gestrigen Abend gekrönt wurde.

Als Oberbürgermeister Neumann am Morgen nach dem Rückflug aus der Schweiz seinen Dienstwagen im Hof des Römers parkte und das Rathaus betrat, empfingen ihn bereits Luftballons und Transparente, die die Angestellten heimlich vorbereitet und direkt nach dem Votum für ihren Heroen aufgehängt hatten. Neumann durchschritt das Erdgeschoss und wollte gerade die Treppe zu seinem Büro hinaufgehen, doch erwartete ihn dort bereits ein Großteil der Stadtverordneten und begrüßte ihn mit großem Applaus sowie den inzwischen fast schon rituellen Balla Balla Sprechchören. Neumann blieb nichts anderes übrig, als am Treppenabsatz halt zu machen und sichtlich gerührt nach oben zu blicken. Das alles waren seine Leute. Sein Magistrat. Seine Stadtregierung. Ein großartiges Team. Das beste Team der Welt. Ja, mit denen würde er es schaffen, mit diesen Frauen und Männern würde er die Stadt ganz nach vorne bringen. In diesem Moment wurde ihm das klar, und dankbar und glücklich verdrückte er eine Träne.

Es dauerte Minuten, in denen sich der OB von Stufe zu Stufe voran arbeitete. Immer wieder musste er Hände schütteln, sich umarmen lassen und Glückwünsche entgegennehmen. Endlich oben angekommen, bat er die Umstehenden mit einer besänftigenden Geste um Ruhe und bedachte seine Mannschaft mit einer kurzen spontanen Rede. Er bedankte sich für die aufopfernde Unterstützung der Kolleginnen und Kollegen über alle Fraktionen hinweg sowie den wunderbaren Empfang, und versprach ihnen, alles dafür zu tun, damit Frankfurt durch die Olympischen Spiele noch schöner, noch stolzer und noch erfolgreicher werde als bisher. Aber, so fügte er hinzu, dazu benötige er natürlich die Unterstützung nicht nur hier im Römer, sondern auch draußen auf der Straße. Und er endete mit der Bitte, ihn weiterhin mit aller Kraft bei der Planung und Durchführung dieses Großereignisses zu unterstützen, sodass Frankfurt in wenigen Jahren nicht nur als Großstadt gelte, sondern als eine wirklich große, eine großartige Stadt.

We make Frankfurt great! Mit diesen Worten, nach denen aufs Neue Applaus aufbrandete, winkte Neumann dem Rathauspersonal zu und bahnte sich den Weg ins Büro des Oberbürgermeisters, wo ihn eine kunstvoll mit fünf farbigen Ringen aus Zuckerguss verzierte Torte erwartete.

„Nein, Daniela, ist das reizend“, sagte Neumann, als er das Werk erblickte. „Das haben Sie doch nicht etwa selbst gemacht?“

„Nein“, antwortete Daniela Wegner, „die kommt von der Stadtverordnetenversammlung. Glückwunsch, Herr Oberbürgermeister.“ Die Sekretärin reichte Neumann die Hand und gratulierte ihm.

„Vielen Dank, aber das war ja beileibe nicht nur mein Werk. Das war echtes Teamwork. Jeder hat seinen Teil dazu beigetragen. Auch Sie.“

„Ich weiß. Mein Glückwunsch gilt dem ganzen Team.“

Daniela Wegner war eine ebenso tatkräftige wie humorlose Endvierzigerin, die bereits für Neumanns Vorgänger gearbeitet hatte. Sie erledigte ihren Job korrekt, wenn auch ohne große Hingabe. Sie erschien pünktlich, ging pünktlich und fuhr regelmäßig dreimal im Jahr in Urlaub. Anders als bei den meisten Frankfurterinnen zog Neumanns Charme bei Frau Wegner nicht, sie stand dem OB eher neutral gegenüber. Er war ihr Chef, und fertig.

„Wir haben Großes vor“, sagte Neumann. „Und wir werden in der nächsten Zeit viel arbeiten müssen, aber das schaffen wir schon, was meinen Sie, hm? Sie und ich? Wir zwei?“

„Sicher, Herr Oberbürgermeister. Überstunden werden ja vergütet“, erwiderte die Sekretärin, als es an der angelehnten Tür klopfte.

„Noch ein Gratulant“, sagte der kleine, drahtige Mann, der vorsichtig ins Büro lugte und sich vergewisserte, dass er auch nicht störte.

„Meine herzlichsten Glückwünsche, Herr Oberbürgermeister, und das meine ich genau so, wie ich es sage. Ich wünsche Ihnen viel Glück bei der Durchführung der Olympischen Spiele in unserer schönen Stadt.“

„Herr Beierle, ich danke Ihnen“, antwortete Neumann lächelnd, während sich Frau Wegner empfahl. „Kommen Sie doch herein“, fuhr er fort und bot dem Finanzchef der Stadt Platz an. „Ihre guten Wünsche freuen mich ganz besonders. Ich wollte Ihnen sowieso schon die ganze Zeit sagen, wie großartig ich Ihr Engagement im Zuge unserer Olympiapläne finde.“

„Ach, wissen Sie, Herr Oberbürgermeister, mir eilt zwar vielleicht der Ruf voraus, jeden Euro zweimal umzudrehen. Aber bei einer Jahrhundertchance wie dieser werde ich, wenn es sein muss, natürlich Fünfe gerade sein lassen. Ich bewundere Ihren Mut, Herr Neumann. Sie haben den Schweizern ein sportliches, doch, wie ich finde, machbares Konzept vorgelegt, das sich, falls nichts Unvorhergesehenes dazwischen kommt, erfolgreich umsetzen lassen wird – soweit ich in der Lage bin, das zu beurteilen.“

„Sie können das beurteilen, Herr Beierle. Sie werden in den nächsten Jahren meine große Stütze, damit uns unser schöner Plan nicht um die Ohren fliegt.“

„Warum sollte er?“, antwortete der Stadtkämmerer lächelnd. „Sie und Herr Drosdorf planen und organisieren, und ich sehe zu, dass sich Ihr Vorhaben auch finanzieren lässt.“

„Wenn ich Sie nicht hätte“, antwortete der Oberbürgermeister und freute sich, den Hüter der stadteigenen Gelder nach der Wahl im Amt belassen zu haben, obwohl er dereinst gegen ihn kandidiert hatte. Joachim Beierle galt weit über die Stadtgrenzen hinaus als erstklassiger Finanzexperte. Der Stadtrat hielt die knappen Mittel der Kommune zusammen und hatte es geschafft, den Schuldenberg der Stadt von Jahr zu Jahr zu verringern. Neumann musste daher nicht lange überlegen, um Beierle nach seinem Wahlsieg in Amt und Würden zu belassen, was dieser ihm mit Loyalität und großem Einsatz dankte.

Beierle verließ das Büro mit den Worten, Zeit sei schließlich Geld, und er müsse ab sofort damit beginnen, die notwendigen Mittel für die Spiele aufzutreiben. Neumann wiederum setzte sich an den Schreibtisch und überflog die Unterlagen, die Frau Wegner ihm bereitgelegt hatte. Zumindest hatte er das vor, doch konnte er sich nicht wirklich auf die Anträge und Besprechungsprotokolle konzentrieren, zu sehr gingen ihm die Ereignisse der letzten Stunden durch den Kopf.

Er hatte es tatsächlich geschafft. Er, Balthasar Neumann, der erfolgreiche Gastronom, der Seiteneinsteiger. Wahrscheinlich hatte erst einer wie er kommen müssen, einer, der sich von Zauderern und politischen Seilschaften nicht beeindrucken ließ, ein Mann, der über den Dingen stand. Nur einem wie ihm war es gegeben, die olympischen Profis in Lausanne zu überzeugen, das größte sportliche Event der Welt in die Heimat von Apfelwein und Handkäs zu vergeben.

Ihm und vielleicht der ein oder anderen nackten Tatsache, wer wusste das schon, letztendlich war das auch egal.

Die Entscheidung des IOC war jedenfalls gefallen, und diese führte bei Britta Hohlfeld zu einer vorübergehenden Schnappatmung. Die engagierte Erzieherin, die in Bornheim den Kindergarten Kleine Elfen leitete, wartete bereits seit einem Jahr auf eine finanzielle Unterstützung der Stadt, um die dringend notwendige Sanierung der Turngeräte des kindergarteneigenen Spielplatzes in die Wege zu leiten.

„Horst!“, rief sie in die Küche, wo ihr Lebensgefährte im Begriff war, zwei bio-zertifizierte Rinderfilets in Knoblauch-Thymian-Öl anzubraten, was zur Folge hatte, dass das brutzelnde Geräusch aus der Pfanne den Ruf seiner Freundin aus dem Wohnzimmer übertönte.

„Horst!“, wiederholte Britta. „Jetzt komm doch mal.“

Horst, der diesmal die Stimme seiner Freundin vernommen hatte, bedeckte das Kochgeschirr mit einem Deckel, regelte die Temperatur der Ceranglasplatte nach unten und wischte sich im Gehen die Hände an der Schürze ab, welche er vor Jahren von lustigen Freunden geschenkt bekommen hatte und die mit Michelangelos David in Lebensgröße bedruckt war. Ein Anblick, der Britta regelmäßig irritierte, wenn Horst mutmaßlich unbekleidet in der Wohnung umherlief.

„Hast du gerufen?“, erschien die Florentiner Statue im Wohnzimmer.

„Ja“, antwortete die Angesprochene entnervt und deutete auf den Fernseher, in dem die Hessenschau lief. „Der Neumann holt tatsächlich die Spiele nach Frankfurt und verzichtet auf eine Bürgerbefragung.“

„Auf was?“, fragte Horst zurück. Irgendetwas schien ihm entgangen zu sein. Oder er hatte es mal wieder vergessen, eine Eigenart, die des Öfteren zu Streitigkeiten zwischen Britta und ihm führte.

„Mein Gott, zu Olympia natürlich“, sagte Britta. „Neumann zieht Olympia durch, ohne die Leute zu fragen. Spinnt der?“

„Wieso? Muss er das denn, die Leute befragen?“

„Hallo? Natürlich muss er! Und wenn er es schon nicht muss, dann ist er zumindest moralisch dazu verpflichtet, schließlich sind es unsere Gelder, die er da verbrennt.“

Horst, der Olympischen Spielen in Frankfurt durchaus aufgeschlossen gegenüber stand, hatte bereits überlegt, sich Eintrittskarten für die Wettbewerbe zu Weihnachten zu wünschen, so sie denn in wenigen Jahren auf den Markt kommen würden und versuchte, seine Freundin zu besänftigen: „Warten wir’s doch erst mal ab, der Neumann wird das schon hinkriegen, der ist Geschäftsmann, der kann rechnen.“

„Ihm gehören ein Club und zwei Restaurants, das ist was völlig anderes, als eine Veranstaltung mit Hunderttausenden Besuchern zu organisieren, Stadien mit den entsprechenden Verkehrsanbindungen zu bauen und ein olympisches Dorf für die Sportler aus dem Boden zu stampfen. Neumann will Milliarden für eine durch und durch korrupte Veranstaltung ausgeben, und uns rostet im Kindergarten die Rutschbahn unterm Hintern weg. Was riecht denn hier so verbrannt?“

„Verflucht“, stieß Horst hervor und eilte im Davidskostüm Richtung Küche, wo in diesem Augenblick der gellende Pfeifton des Brandmelders ertönte. Schwarzer Qualm drang aus dem Backofen, in dem der leidenschaftliche Hobbykoch das mediterrane Gemüse mit Büffelmozzarella überbacken wollte, dazu den Grill eingeschaltet, ihn aber wegen Neumanns Olympiatriumph einen Moment zu lange unbeaufsichtigt gelassen hatte, was dazu führte, dass das Backpapier, das auf die hohen Temperaturen einer munter vor sich hin glühenden Grillschlange weiß Gott nicht ausgelegt war, Feuer gefangen hatte.

Britta, die ihrem Freund in der Küche zur Hilfe eilte, räumte mit einer resoluten Handbewegung sämtliche Figürchen und Streuerchen vom Fensterbrett und riss das Fenster weit auf, in der Hoffnung, die Nachbarn würden nicht gleich die Feuerwehr rufen. Derweil war es Horst gelungen, das Backblech aus dem Ofen zu ziehen und die Flammen mit einem Baumwollhandtuch zu ersticken, auch wenn sich das Textil nun mit dem wunderbar verlaufenen und mit dunkler Kruste überzogenen Mozzarella in untrennbaren Käsefäden verband, woraufhin er die Situation mit den Worten Das Essen wäre dann soweit zu retten versuchte.

Und tatsächlich, nach dem ersten Schreck beruhigten sich die erhitzten Gemüter, und die Kindergartenleiterin saß mit ihrem Brandstifter und Feuerwehrmann am Esszimmertisch, vor sich das Filet mit dem von angekohltem Backpapier leidlich befreiten Gemüse sowie ein samtiger Roter aus dem Piemont.

„Und ihr habt noch immer keine Gelder von der Stadt?“, fragte Horst wider Erwarten interessiert.

„Nein“, antwortete Britta. „Wir hatten bereits letztes Frühjahr sämtliche Anträge ausgefüllt und eingereicht, aber sie haben uns zweimal mit der Behauptung vertröstet, die Mittel seien begrenzt und andere Einrichtungen hätten dringlicheren Bedarf. Wahrscheinlich neue Klos, Heizungsreparaturen oder so was. Ich sag’s dir: Erst wenn uns der erste Zwerg mit dem Klettergerüst zusammenbricht, wird etwas passieren, vorher nicht.“

„Und die Eltern? Können die nichts machen?“

„Die unterstützen uns schon die ganze Zeit. Bei jedem Elternabend bitten wir um Spenden, aber so langsam fehlt denen dafür natürlich das Verständnis.“

„Nein, ich meine, kann man die Eltern nicht mobilisieren? Vielleicht gerade jetzt, wo Neumann so viel Geld für Olympia ausgeben will?“

Britta überlegte. „Ich weiß nicht, keine Ahnung, vielleicht. Aber was willst du machen? Streiken? Demos? Am Römer anketten?“

„Warum nicht?“ Horst zuckte mit den Schultern. „Ja, vielleicht so was in der Art. Ihr bräuchtet Öffentlichkeit. Wenn Neumann Milliarden für dieses Event aufbringt, wird er wohl ein paar Tausender für euren Spielplatz übrig haben, oder?“

„Ja. Natürlich. Ich sehe das genauso.“ Britta nahm einen Schluck Rotwein und überlegte. „Vielleicht hast du wirklich recht, vielleicht sollten wir der Stadt Druck machen. Ich muss mir das mal in Ruhe durch den Kopf gehen lassen.“

2

Am nächsten Morgen im unscheinbaren Dienstreihenhäuschen des Oberbürgermeisters in einer ruhigen, im Frankfurter Westend gelegenen Seitenstraße. Balthasar Neumann steckte die schwarze Aluminiumkapsel in die Espressomaschine, drückte auf den leuchtenden Knopf und ließ den Kaffee dampfend und geräuschvoll in ein Tässchen laufen. Sodann setzte er sich auf den Barhocker am Tresen in der Küche und überflog die Tageszeitung. Er entdeckte darin allerdings nichts, was ihn fesselte oder wenigstens interessierte, folglich klappte er sie wieder zu und kippte den Ristretto ganz gegen seine Gewohnheit eilig herunter. In wenigen Minuten würde ihn ein Fahrer abholen, um ihn in die Mörfelder Landstraße zu bringen, wo ein Meeting mit einer Tochtergesellschaft der Stadt angesetzt worden war. Nun, da Frankfurt den Zuschlag für die Spiele bekommen hatte, musste schließlich geklärt werden, wo die Veranstaltung stattfinden sollte. Gut, dass die Stadt eine schicke Arena mitten im Wald besaß. Neumann erwartete für den notwendigen Umbau des Stadions keine größeren Schwierigkeiten, für ihn war das reine Formsache, wenn er bislang auch nicht das Vergnügen gehabt hatte, die Herren der Stadiongesellschaft persönlich kennenzulernen. Doch redete man hier ja quasi von Sportler zu Sportler, und Athleten gleich welcher Disziplin waren, wie selbst der OB wusste, eine einzige große Familie.

Es klingelte. Neumann schnappte die haselnussbraune Aktentasche im Vintagelook, ließ die Haustür hinter sich ins Schloss fallen und nahm galant die wenigen Stufen hinunter zum Fahrzeug, dessen Fahrer bereits die Tür auf der Beifahrerseite aufhielt. Wenn er alleine gefahren wurde, saß er lieber vorne als hinten, auf die Art kam er sich weniger als passiver Fahrgast vor, sondern als aktiver Entscheider, der sich auch schon mal in die Routenplanung einmischen konnte. So auch jetzt, als der Fahrer bereits drauf und dran war, Richtung Autobahn abzubiegen.

„Nicht über die A66“, beschied er dem Fahrer knapp. „Wir fahren durch die City.“ Der Mann am Lenkrad tat anstandslos, was sein Chef ihm sagte und steuerte den Wagen nach rechts, Richtung Opernplatz.

Neumann liebte es, durch seine Stadt zu fahren und wie ein Patron darauf zu achten, dass alles zum Rechten bestellt war oder um zu bemängeln, falls es da oder dort etwas gab, was es zu verbessern galt. Und er fand eigentlich immer etwas. Seinen Mitarbeitern waren diese Kontrollfahrten ein Gräuel, bedeuteten sie für sie im Zweifelsfall nur zusätzliche Arbeit und Kosten. Denn was ihm auffiel, waren, so die einhellige Meinung, in der Regel ästhetische Makel, die Neumanns Sinn fürs Schöne beleidigten und ihm allein aus diesem Grund ein Dorn im Auge waren. Neumann sah das selbstredend völlig anders. Wenn er eine zerbrochene Holzstrebe an einer Parkbank oder ein talentloses Graffiti an einem öffentlichen Gebäude entdeckte, warf das einen Schatten auf seine schöne Stadt. Er verstand schlichtweg nicht, wie man über so etwas hinwegsehen konnte. Das waren für jeden erkennbare Mängel, deren leichtmögliche Beseitigung ohne viel Aufwand einen positiven Effekt auf das Gesamtbild der City hatte.

Natürlich war es nicht ausgeschlossen, dass Neumann auch einmal ein paar Obdachlose, die in einem Hauseingang nächtigten, gänzlich unbürokratisch in eine Unterkunft verfrachten ließ, ob sie nun wollten oder nicht. Aber ging es ihnen dort nicht weitaus besser? Man gab ihnen ein Bett, sie lagen im Warmen und bekamen etwas zu essen. Und ja, natürlich musste er auf diese Weise auch deren Leid nicht mehr sehen, und seine weltweiten Gäste erst recht nicht, wenn sie in einigen wenigen Jahren zu Besuch bei ihm weilen würden. Wie immer gab es von irgendwoher Stimmen, die ihm diese spontane Hilfsbereitschaft als Säuberungsaktion vorhielten, aber derartige Vorwürfe wies er als lächerlich und haltlos zurück. Neumann wollte Gutes tun. Er half den Menschen und sorgte gleichzeitig dafür, dass seine Stadt einen ordentlichen Eindruck hinterließ. Wer konnte ernsthaft etwas dagegen haben?

Heute allerdings gab es abgesehen vom üblichen Stau rund um den Hauptbahnhof nichts zu beanstanden. Nicht einmal der stechende Uringeruch, der aus der B-Ebene nach oben waberte, schaffte es, die Klimaanlage der Limousine zu durchdringen. Dennoch musste sich Neumann gerade hier, am Vorplatz der Station, etwas einfallen lassen. Schließlich war er die Visitenkarte der Stadt, und was sahen die in Frankfurt Eintreffenden als Erstes? Herumlungernde Migranten, Wohnsitzlose, Dealer und natürlich diese furchtbaren Drogenabhängigen. Vielleicht könnte ein dem Barock nachempfundener Springbrunnen dem Eindruck förderlich sein, zumindest würde die Gischt des sprudelnden Wassers den Geruch etwas abmildern. Neumann nahm sich fest vor, das bei Gelegenheit anzuregen, jetzt jedoch hatte er anderes zu tun.

Eine gute Viertelstunde später bog der Wagen vom Autobahnzubringer in die kleine Seitenstraße ein, in der sich die Gesellschaft befand, der das Stadion gehörte und die wiederum Eigentum der Stadt war, also praktisch Neumanns Eigentum. Vor dem Portal stieg er aus und traf auf Stefan Drosdorf, der nervös an einer Zigarette zog und ihn bereits erwartete.

„Und?“, begrüßte ihn sein Freund und Auftraggeber, was so viel hieß wie „Guten Morgen Stefan, schön dich zu sehen. Gibt es irgendetwas Neues, das ich wissen sollte?“

„Könnte schwierig werden“, meinte Drosdorf und drückte die Zigarette im Metallkübel neben der Säule des Vordachs aus. „Anscheinend wollen sie keinen Umbau.“

„Wie, die wollen nicht? Na, das werden wir gleich sehen.“

Der Oberbürgermeister klopfte dem Chef des FOK freundschaftlich auf die Schulter und betrat so zielstrebig wie selbstsicher das Gebäude.

„Guten Morgen, meine Herren“, begrüßte er noch im Hineingehen die bereits vollständig im Konferenzraum versammelte Runde, der in der Tat keine einzige Frau angehörte. Den Blicken nach zu urteilen, schienen ihm die Anwesenden nicht unbedingt freundschaftlich gesonnen zu sein. Gab es da etwas, das er nicht wusste?

„Ich würde sagen, wir fangen gleich an, damit wir keine Zeit verlieren. Wir haben nur sieben Jahre, da müssen wir jeden Tag nutzen.“

Neumann und Drosdorf setzten sich auf die für sie reservierten Plätze in der Mitte der Längsseite des Tisches, ihnen gegenüber saßen die Vertreter der Eigentümergesellschaft. Neumann lächelte freundlich und erteilte zunächst dem Chef des Frankfurter Olympischen Komitees das Wort.

„Gut, ich gehe davon aus, dass Sie die Unterlagen, die ich Ihnen vorgestern per Mail hatte zukommen lassen, durchgelesen haben, ich würde dann gerne gleich in die Diskussion starten. Im Wesentlichen geht es darum, die Arena wieder in ein Multifunktionsstadion umzubauen, das sich neben dem Einsatz für Fußballspiele und Rockkonzerte auch wieder für andere sportliche Großveranstaltungen nutzen lassen würde, also auch für die in sieben Jahren in Frankfurt stattfindenden Olympischen Spiele. Sie wissen, dass wir das dem IOC bereits als probate, machbare und finanzierbare Lösung präsentiert haben.“

„Es wäre schön gewesen, Herr Drosdorf“, fiel ihm einer der Eigner ins Wort, „wenn Sie uns vorab in Ihre diesbezüglichen Pläne eingeweiht hätten. Dann hätten Sie in Lausanne gleich eine andere Lösung aus dem Hut zaubern können. Denn ein Rückbau der Arena in eine Art modifiziertes Waldstadion kommt gar nicht in Frage.“

„Ich verstehe Ihre Bedenken“, griff Neumann ein, der merkte, dass hier etwas ganz und gar nicht in seine Richtung lief. „Sicher scheuen Sie die Unannehmlichkeiten, die mit so einem Umbau verbunden sind, die Kosten, den Ärger der Zuschauer …“

„Nein, ehrlich gesagt, Herr Neumann, halten wir den Plan schlicht und einfach für Quatsch. Es kann ja sein, dass Sie damit die Herren vom IOC beeindruckt haben, aber wir als Betreiber der Arena sind ausgesprochen glücklich damit, ein reines Fußballstadion zu besitzen, das extra so konzipiert wurde, dass die Fans der Eintracht aus jedem Heimspiel großes Drama machen können. Wir würden nicht im Traum daran denken, die Zuschauerränge zugunsten einer vielleicht einmal im Jahr genutzten Tartanbahn wieder um fünfzig Meter vom Spielfeld zurückzuversetzen. Ein klares Nein, Herr Neumann, tut mir leid. Auch wenn es mit den Mitteln für einen kompletten Neubau vielleicht ein wenig eng werden dürfte.“

„Ich finde das nicht gerade sport …“, wollte der OB ansetzen, doch Drosdorf hielt ihn zurück.

„Sie wissen schon, dass Ihre Gesellschaft der Stadt gehört und der Herr Oberbürgermeister Sie und den gesamten Vorstand jederzeit vor die Tür setzen könnte?“

Der Chef der Eigentümergesellschaft beugte sich demonstrativ nach vorne und blickte Drosdorf wütend an. Wie ein Revierkampf im Zoo, dachte Neumann, der sich von Sekunde zu Sekunde unwohler fühlte.

„Sie wollen mir nicht etwa drohen, Herr … äh … Drosdorf? Vielleicht sollten Sie mal einen Moment über den Imageschaden nachdenken, den die Stadt und vor allem Ihr werter Herr Oberbürgermeister erleiden würden, wenn die erste Amtshandlung nach dem Olympiaentscheid die Entlassung des gesamten Vorstands dieser Gesellschaft wäre. Das würde weder der Öffentlichkeit, der Presse noch dem IOC den Eindruck vermitteln, dass Sie die Sache im Griff haben. Und das gleich zu Beginn. Oder stellen Sie sich einmal vor, wie das Echo erst wäre, wenn sich unsere Fußballmannschaft, ob mit diesem oder einem neuen Vorstand, aus Protest gegen Ihre Pläne weigern würde, ihre Heimspiele in der Arena auszutragen. Die Liga würde der Eintracht Strafen androhen, die bis zum Entzug der Lizenz und dem Ausschluss aus der Bundesliga führen könnten. Wissen Sie, was dann in Frankfurt los wäre?“

Balthasar Neumann spürte den Puls in seinen Ohren pochen. Er musste die Kampfhähne trennen, bevor das Ganze eskalierte. Er stand auf, und Drosdorf tat es ihm gleich.

„Gut, ich denke, wir haben unsere Standpunkte fürs Erste ausgetauscht“, versuchte der OB einzugreifen. „Vielleicht sollten wir das Ganze vertagen und die Zeit nutzen, um noch einmal in Ruhe über alles nachzudenken. Meine Herren …“

Neumann und Drosdorf verließen grußlos den Raum. Zurück blieben die Eigner der Arena, die sich zufrieden angrinsten.

„Bin gespannt, ob unser Balla einen Plan B hat“, feixte der Vorsitzende der Gesellschaft. „Klarer Heimsieg, meine Herren.“

Das hinter den verschlossenen Türen einsetzende Gelächter konnten der Stadtobere und der Frankfurter Planungschef der Spiele nicht mehr hören, sie standen bereits etwas vom Gebäude entfernt am Parkplatz und beratschlagten die weitere Vorgehensweise. Mit vielem hatten sie gerechnet, damit freilich nicht. Die Tatsache, dass sie ausgerechnet von einer stadteigenen Gesellschaft massiven Gegenwind bekamen, wurmte Neumann ungemein. Anstatt sich über eine Modernisierung nach neuestem technischen Standard zu freuen, traf ihn eine volle Breitseite der Ablehnung. Das nahm er persönlich.

„Sag mal, spinnen die? Die können nicht einfach nein sagen. Hatten die vorher nichts von unseren Plänen gewusst?“, echauffierte sich Neumann.

„Naja, nicht explizit. Aber es war doch klar, dass wir als allererstes an die Arena denken würden, wenn es um ein Olympiastadion geht. Den Bornheimer Hang können wir schlecht nehmen.“

Da hatte Drosdorf völlig recht. Die Heimat des FSV Frankfurt war um einiges zu klein für olympische Pläne, und die Verkehrsanbindung dorthin schon ohne Sportereignisse eine absolute Katastrophe. Kein Tag, an dem sich der Verkehr in und aus der Stadt heraus nicht massiv am Stadion staute.

Neumann rieb sich die Nasenwurzel und dachte nach. „Wir brauchen eine zweite Option“, war das Einzige, was ihm spontan in den Kopf kam. „Lass dir was einfallen, Stefan, sei so gut.“

Dann stieg er in den Wagen, diesmal nach hinten, da er keine Lust hatte, den Weg vorzugeben und im Moment bloß seine Ruhe haben wollte. Der Oberbürgermeister kochte. Was erlaubten die sich eigentlich? Am liebsten würde er das impertinente Pack einfach vor die Tür setzen. Aber sie hatten natürlich recht: Wenn er das täte, hätte er sofort miserable Presse, und wenn Neumann eins vermeiden wollte, dann das. Woher wollten die überhaupt wissen, dass die Mittel für ein neues Stadion nicht ausreichen würden? Wenn sie ein Stadion bauen mussten, dann würden sie es tun. Das wäre ja noch schöner.

Neumann hatte darauf gesetzt, dass in Sachen Olympia alle an einem Strang ziehen würden, um dieses einmalige Event erfolgreich über die Bühne zu bringen. Nicht auszudenken, wenn dabei etwas schief lief. Wie stünde er dann da? Das wäre sein Supergau, wenn die Stadt … wenn er die Spiele, aus welchen Gründen auch immer, nicht mit Glanz und Gloria realisieren würde. Von der Schmach würde er sich nie wieder erholen, das wäre sein politisches Ende, dann müsste er in seine Restaurants zurückkehren – und ob er die dann noch würde halten können, stand in den Sternen. Brrrrr … Neumann schüttelte die düsteren Gedanken von sich. Nichts da. Wozu war er unerschütterlicher Optimist, verflucht noch mal?

Während das Stadtoberhaupt schlechtgelaunt ins Rathaus fuhr und sich Stefan Drosdorf in seinem SUV durch den dichten Verkehr am Universitätsklinikum über die Friedensbrücke in den Westhafen kämpfte, klingelte in einem Büro des Römers das Telefon und wurde prompt abgehoben, denn der Anruf war bereits erwartet worden.

Was der Anrufer von der Besprechung in der Otto-Fleck-Schneise berichtete, klang ausgesprochen vielversprechend. Neumann und Drosdorf waren mit ihrem Wunsch abgeblitzt und hatten das Gelände wie geprügelte Hunde verlassen.

Die Reaktion der Stadiongesellschaft bereitete dem Stadtkämmerer große Freude. Wer weiß, womöglich hätte der Vorstand Neumanns Pläne sogar mitgetragen, wenn er den Fanclubs der Eintracht nicht frühzeitig entsprechende Informationen und deren Auswirkungen auf die Stadionarchitektur gesteckt hätte. Wie zu vermuten war, hatten die Ultras daraufhin nicht nur die Geschäftsstelle der Eintracht sondern auch die Stadiongesellschaft mit Protestmails bombardiert und massive Aktionen angekündigt, sollte es tatsächlich zu einem Umbau der Arena kommen. Joachim Beierle musste lächeln.

Dermaßen instruiert konnte der Vorstand gar nicht anders, als Neumann und Drosdorf eine klare Absage zu erteilen. Er öffnete das Fenster, ignorierte das strikte Rauchverbot und gönnte sich zur Feier des Tages eine Zigarette, was ausgesprochen selten vorkam, nur dann, wenn er einen Moment ganz besonders genießen wollte. Ein solcher Moment war gerade gekommen.

Etwa zur selben Zeit erreichte Stefan Drosdorf das Büro des FOK, das im fünften Stock eines Bürogebäudes am Westhafen lag und von dem aus sich ein fantastischer Blick auf den Main und die Skyline bot. Ein repräsentatives Haus mit anthrazitfarbenem Atrium und gläsernen Aufzügen, von denen Drosdorf einen in der Tiefgarage bestieg und ohne Zwischenstopp nach oben fuhr. Da hatte ihm Balthasar schön einen mitgegeben. Lass dir was einfallen. So einfach war das nicht, mein lieber Freund und Bürgermeister. Die Zahl der Stadien in Frankfurt war endlich, es blieben nur die beiden Heimstätten der Eintracht und des FSV. Es sei denn …

„Balthasar?“

„Ja, was gibt’s denn?“ Der Oberbürgermeister spürte, wie der FOK-Chef am anderen Ende der Leitung schmunzelte.

„Ich weiß, was wir machen, wenn die Arena-Bosse zicken.“ Drosdorf legte eine kleine Pause ein, er wollte seinen Auftraggeber ein wenig zappeln lassen.

„Na, red schon, mein Gott! Lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen“, fuhr ihn Neumann an. Geduld war nicht gerade des Oberbürgermeisters Stärke.

„Was denkst du: Wie viel kleiner ist Frankfurt als zum Beispiel Rio de Janeiro? Du weißt, die Olympiastadt von 2016. Rein von der Fläche her.“

„Keine Ahnung“, antwortete der mürrische OB.

„Ich sag’s dir: Frankfurt hat knapp 250 Quadratkilometer Fläche, Rio fast 1000 Quadratkilometer mehr. Rio de Janeiro ist also rund fünfmal so groß wie Frankfurt.“

„Komm zum Punkt, Stefan, ich hab nicht ewig Zeit.“

„Ist doch ganz einfach, Balthasar. Wenn Rio so viel größer als Frankfurt ist – und London ist übrigens noch größer – warum suchen wir unser Olympiastadion dann nicht einfach in der weiteren Umgebung? Die Segelwettbewerbe finden sowieso an der Nordsee statt, warum muss das Stadion mitten in dieser piefigen Kleinstadt liegen?“

Jetzt war es Balthasar Neumann, der einen Moment schwieg. Die Vision seines Frankfurt ging sowieso über die aktuellen Stadtgrenzen hinaus. Für ihn umfasste Frankfurt das komplette Rhein-Main-Gebiet.

„Gar nicht doof, Stefan, das ist gar nicht mal so doof. Und jetzt konkret?“, fragte der Bürgermeister. „Was wäre deine Alternative?“

„Der Bieberer Berg kommt nicht in Frage. Die Frankfurter Spiele im Stadion der Kickers … niemals. Das würden wir nicht überleben. Aber was hältst du von Darmstadt? Das Böllenfalltor?“

Fußball war so gar nicht die Sache des Balthasar Neumann. Neumann war vielmehr ein Freund des Turmspringens und konnte auch dem Fechten schöne Seiten abgewinnen. So gesehen wunderte Drosdorf auch dessen Rückfrage nicht: „Böllenfalltor? Ist das nicht …?“

„Genau, das Stadion von Darmstadt 98. Das wurde zwar gerade ein bisschen aufgehübscht, aber nach wie vor ist es eher eine Bruchbude, wo nicht mal zwanzigtausend Leute reinpassen. Was meinst du, was die sagen, wenn wir denen einen Achtzigtausend-Mann-Palast hinstellen? Mit schließbarem Dach, Rasenheizung, VIP-Lounge.“

„Okay“, antwortete Neumann, in dessen Planung der Großraum Darmstadt nur als südlichster Teil von Frankfurt eine Rolle spielte. Warum also nicht dort das Stadion hinsetzen? Neumanns Laune hellte sich auf. Das war wieder einer dieser Eingebungen, für die der OB seinen Frankfurter Organisator liebte und wegen derer er dafür gesorgt hatte, dass Drosdorf den Posten als Chef des Frankfurter Olympischen Komitees bekommen hatte. Drosdorf, der Teufelskerl. Größer denken. Das war ganz Neumanns Sache. Vielleicht sorgten die Arena-Bosse mit ihrer Niedertracht dafür, dass seine Planungen schneller als gedacht Gestalt annahmen.

„Warum nicht? Und was werden die Frankfurter Fans dazu sagen?“

„Die kotzen im Strahl, wenn ausgerechnet der andere ungeliebte Derbynachbar ein kleines Schmuckstück hingesetzt bekommt. Offenbach wäre allerdings schlimmer“, lachte Drosdorf. „Und wenn die erst erfahren, dass die Inhaber der eigenen Arena daran schuld waren, dann können sich die Verantwortlichen warm anziehen, das kannst du mir glauben.“

„Perfekt, Stefan, dann mach das klar. Und sag mir gleich Bescheid, was die zu unserem Vorschlag sagen.“

„Wird gemacht, Chef“, freute sich Drosdorf und beendete das Gespräch.

Balthasar Neumann hatte Stefan Drosdorf vor Jahren kennengelernt, als er ihn mit seinem Team für Events in Neumanns Clubs und Restaurants gebucht hatte. Dabei hatte sich Drosdorf trotz extremen Zeitdrucks als außerordentlich entspannt, absolut organisiert und überaus schlitzohrig erwiesen; Eigenschaften, die sich in den nächsten Jahren mit Sicherheit auch bei größeren Aufgaben wie der Organisation der Olympischen Spiele als sehr hilfreich erweisen würden.

Jedes Mal wenn Balthasar Neumann den Auftrag für eine Veranstaltung an Drosdorf vergeben hatte, ließ er ihm alle Freiheiten und begann auch nicht zu verhandeln, falls die Durchführung des Events mal etwas über den kalkulierten Kosten lag. Damals wie heute hatte der OB immer nur das Ziel vor Augen, der Weg dahin war ihm weitgehend egal. Hatte er Großes im Sinn, musste er es machen, musste es passieren, und Drosdorf wusste, wie. War die Veranstaltung dann ein Erfolg – und das war sie eigentlich immer – erwies sich Neumann als ausgesprochen großzügig, und da Drosdorf ihn noch nie im Stich gelassen hatte, entwickelten sich die beiden im Laufe der Jahre zu einem perfekten Team.