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Buch 1 in der Serie - Collars & Cuffs Seit dem Tod seines Lebensgefährten und Sub vor zwei Jahren hat Leo nicht mehr gelebt – nur noch existiert. Er konzentriert sich darauf, das *Collars&Cuffs*, einen BDSM-Club im Schwulenviertel von Manchester, erfolgreich zu machen. Das ändert sich eines Abends, als er und sein Geschäftspartner sich zu ihrer wöchentlichen Besprechung im Severino's treffen. Leo kann die Augen nicht von dem neuen Kellner lassen. Der schüchterne Mann scheint entschlossen, Leos Blick zu meiden, doch das ist wie ein rotes Tuch für einen Stier. Leo liebt Herausforderungen. Alex Daniels kellnert im Severino's, um das Geld für eine eigene Wohnung zusammenzukratzen. Er tut sich schwer damit, sich zu outen, doch er fühlt sich zu Leo hingezogen, dem umwerfend gutaussehenden Mann mit den eisig-blauen Augen, der fast jeden Abend in seinem Bereich isst. Leo lässt sich Alex' Zögern nicht in die Quere kommen. Er hält ihn sogar vom Club fern, um ihn nicht zu erschrecken. Und Alex zu sagen, dass er ein Dom ist? Keine gute Idee. Aus einem Date werden zwei, aber Date Nummer zwei führt sie in Leos Schlafzimmer… und dazu, dass Alex Dinge über sich herausfindet, die ihm nie bewusst waren – und die er nie jemanden sehen lassen wollte.
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Seitenzahl: 483
Veröffentlichungsjahr: 2018
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Inhalt
Zusammenfassung
Widmung
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Epilog
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Copyright
Von K. C. Wells
Collars and Cuffs: Band 1
Seit dem Tod seines Lebensgefährten und Sub vor zwei Jahren hat Leo nicht mehr gelebt – nur noch existiert. Er konzentriert sich darauf, das Collars&Cuffs, einen BDSM-Club im Schwulenviertel von Manchester, erfolgreich zu machen. Das ändert sich eines Abends, als er und sein Geschäftspartner sich zu ihrer wöchentlichen Besprechung im Severino’s treffen. Leo kann die Augen nicht von dem neuen Kellner lassen. Der schüchterne Mann scheint entschlossen, Leos Blick zu meiden, doch das ist wie ein rotes Tuch für einen Stier. Leo liebt Herausforderungen.
Alex Daniels kellnert im Severino’s, um das Geld für eine eigene Wohnung zusammenzukratzen. Er tut sich schwer damit, sich zu outen, doch er fühlt sich zu Leo hingezogen, dem umwerfend gut aussehenden Mann mit den eisig-blauen Augen, der fast jeden Abend in seinem Bereich isst.
Leo lässt sich Alex‘ Zögern nicht in die Quere kommen. Er hält ihn sogar vom Club fern, um ihn nicht zu erschrecken. Und Alex zu sagen, dass er ein Dom ist? Keine gute Idee. Aus einem Date werden zwei, aber Date Nummer zwei führt sie in Leos Schlafzimmer … und dazu, dass Alex Dinge über sich herausfindet, die ihm nie bewusst waren – und die er nie jemanden sehen lassen wollte.
Für Daniel
Durch und durch devot und hinreißend boshaftes Genie.
Danke, dass du mir geholfen hast, Alex lebendig werden zu lassen.
Das hier ist für dich.
Zwei sehr wichtige Menschen muss ich allerdings erwähnen:
Karen Candido, meine fantastische Betaleserin,
die immer meine Fehler gefunden hat …
… ich sage nur ein Wort: „Kondom.“
Und Will Parkinson,
der sich in Leo und Alex verliebt hat.
Danke für deine wunderbare Unterstützung, mein Freund.
Du weißt gar nicht, wie willkommen sie mir war.
„ICH MUSS zugeben, das war eindeutig eine deiner besseren Ideen, Leo“, sagte Thomas Williams mit einem Seufzer. Er lehnte sich in dem bequemen Ledersessel zurück und begutachtete seine Umgebung.
Der Bereich um die Bar war etwas vom Rest des Restaurants abgetrennt, und dort standen ähnliche Sitzgelegenheiten in Zweier– und Dreiergruppen um kleine Tische, auf denen winzige Kerzen in roten Blüten aus venezianischem Glas flackerten.
„Hmm?“ Leo Hart wandte seine Aufmerksamkeit wieder seinem Geschäftspartner zu, wohl wissend, dass ihm eben was entgangen war. „Hast du was gesagt?“
Thomas betrachtete ihn mit leicht belustigter Miene. „Auf welchen Planeten bist du heute Abend, Leo? Schon seit wir hier sind, bist du mit den Gedanken ganz woanders. Ich wollte nur anmerken, dass du ein sehr nettes Plätzchen für unsere wöchentliche Besprechung ausgesucht hast, nichts weiter.“
„Ach ja, stimmt.“ Leo trank einen Schluck von seinem Eistee. „Tatsächlich war ich früher regelmäßig hier. Das Severino’s ist eins der authentischsten italienischen Restaurants in Manchester. Das Essen ist immer großartig und der Service ist hervorragend.“ Er blickte sich im Restaurant um. Alle Tische waren besetzt. Die Luft war erfüllt vom Stimmengewirr vieler gedämpfter Unterhaltungen, untermalt von dezenter Jazzmusik, die unaufdringlich im Hintergrund spielte. Die Atmosphäre war intim, romantisch. „Allerdings ist es hier sonst nicht so voll. Normalerweise kann ich einfach reingehen und kriege sofort einen Tisch.“
Leo sah das Restaurant kaum. Seine Aufmerksamkeit galt hauptsächlich dem hochgewachsenen, schlanken jungen Mann ganz in Schwarz, der hin und wieder aus der Küche kam, schmutzige Teller einsammelte und mit ihnen wieder hinter den Schwingtüren verschwand. Nichts Ungewöhnliches an ihm, ganz bestimmt nichts, was Aufmerksamkeit erregen würde. Doch aus unerfindlichen Gründen folgte Leo dem jungen Kellner mit den Augen, konnte einfach nicht wegschauen. Er hatte irgendwas an sich, etwas, das von Verletzlichkeit sprach. Der junge Mann huschte von Tisch zu Tisch, bewegte sich rasch und kompetent, nahm jedoch kaum einmal Blickkontakt mit den Gästen auf.
„Leo!“
Ruckartig kehrte Leo wieder in die Gegenwart zurück. Thomas starrte ihn schon wieder an und grinste. Leo erwiderte seinen Blick mit einem entschuldigenden Grinsen. „Sorry, ich war für einen Moment ganz weit weg. Hast du was gesagt?“
Thomas lachte leise. „Es ist schon üblich, dass man bei einer Besprechung tatsächlich miteinander redet, nicht?“
Leo lachte, jetzt ganz auf seinen Partner konzentriert. „Tut mir leid, Thomas, du hast ganz recht.“ Er nippte an seinem Glas. „Aber ich wollte lieber warten, bis wir einen Tisch haben, wenn es dir nichts ausmacht.“
Thomas nickte zustimmend.
„Leo!“
Leo blickte auf und sah Sev eilig quer durchs Restaurant auf sich zu kommen, um ihn zu begrüßen. Er lächelte in sich hinein. Der Restaurantbesitzer war ein Bündel nervöser Energie, immer in Bewegung. Leo stand auf, als Sev näher kam, nur um sich in einer überschwänglichen Umarmung wiederzufinden, die ihm beinahe den Brustkorb zerquetschte. Sev war ein großer Mann, der nie einschätzen konnte, wie stark er wirklich war.
„Leo, mein Freund. Wir haben uns schon viel zu lange nicht mehr gesehen.“
Leo erwiderte die Umarmung mit einem warmherzigen Lächeln. Zu lange, in der Tat. Um die Wahrheit zu sagen, schmerzte es ihn immer noch, hierherzukommen. Er brauchte sich lediglich im Restaurant umzublicken und schon stürmten die Erinnerungen an Gabe auf ihn ein. Er war einfach da, an der Bar, an ihrem Tisch … Leo tat den Kummer, der nie ganz von ihm gewichen war, mit einem Schulterzucken ab und begrüßte seinen alten Freund.
„Es ist schön, dich zu sehen, Sev“, bekannte er. Sev sah ihn an, und das Mitgefühl in diesen ausdrucksvollen braunen Augen war nur zu leicht zu erkennen. Für einen kurzen Moment spannte Leo sich an, machte sich auf die peinlichen Worte gefasst, die sicher gleich kommen würden. Doch zu seiner Erleichterung sagte Sev nichts und umarmte ihn lediglich noch fester. Schließlich ließ Sev ihn los, und Leo deutete mit einem kurzen Kopfnicken auf Thomas. „Sev, das ist Thomas Williams, mein Geschäftspartner. Ich glaube, ihr kennt euch noch nicht.“
Sev nickte Thomas lächelnd zu, dann schaute er sich im Restaurant um. „Du hast dir einen schlechten Tag ausgesucht, mein Freund. Anscheinend wollen Gott und die Welt heute Abend hier essen!“
Leo lachte. „Genau das hat Vittorio auch gesagt, als er uns an die Bar gewiesen hat.“
Sev strahlte. „Gut zu wissen, dass mein Oberkellner und ich wie üblich auf derselben Wellenlänge sind.“ Rasch überblickte er die Tische. „Wie’s aussieht, werden aber bald ein paar Tische frei. Haben die Herren irgendwelche speziellen Wünsche, was den Sitzplatz betrifft?“
Leo legte Sev eine Hand auf den Arm. „Wir hätten ein paar geschäftliche Angelegenheiten zu besprechen“, sagte er mit verhaltener Stimme.
Sev verstand sofort und nickte lebhaft. „Wie wär’s mit dem da drüben?“, fragte er und deutete mit einer raschen Handbewegung auf einen Tisch in der Ecke.
Leo folgte der Geste und ihm wurde ganz eng um die Brust. Ausgerechnet …
Leider bekam Sev seine Reaktion mit und erbleichte. „Oh Gott, Leo, tut mir leid. Ich … ich suche euch einen anderen …“
Leo schüttelte den Kopf. Er ärgerte sich über sich selbst. Um Himmels willen, er war ein erwachsener Mann von siebenunddreißig Jahren, kein von Angst beherrschter Teenager. Sei kein Weichei, ermahnte er sich zornig. „Schon gut, Sev. Eigentlich ist der sogar perfekt. Dort können wir uns unterhalten, ohne dass jeder mithört.“ Er warf Sev ein halbherziges Grinsen zu. „Wollen ja die Heteros nicht verschrecken, nicht wahr?“
Sev erwiderte das Grinsen und in diesem Moment spürte Leo, wie die Welt allmählich wieder ins Lot kam. Er würde das schaffen.
Als Sev in Richtung Küche davonmarschierte, nahm Leo wieder auf seinem Sessel Platz und trank einen großen Schluck Eistee. Scheiß drauf – er würde zum Essen Wein bestellen, geschäftliche Besprechung hin oder her. Er stellte sein leeres Glas hin und merkte plötzlich, dass Thomas ganz still geworden war. Als er aufblickte, stellte er fest, dass sein Partner ihn eingehend musterte.
„Ich hatte mich schon gefragt, warum du mich bisher noch nie hierher mitgenommen hast“, fing Thomas an, und bei seinem wissenden Gesichtsausdruck schnürte es Leo die Brust zusammen, da er genau wusste, wohin das hier führte. „Und dann wurde mir klar, dass du früher immer mit …“ Thomas brach ab und Leo war nicht überrascht, den Schmerz in diesen grünen Augen zu sehen. Sein Partner war ein empfindsamer Mann unter dem schnodderigen, unwirschen Äußeren, das die Welt sah.
„Ist schon okay, Thomas, du darfst seinen Namen sagen, weißt du. Schließlich ist es jetzt zwei Jahre her.“ Thomas‘ Augen weiteten sich und Leo versuchte, ihn mit einem Lächeln zu beruhigen. „Du hast recht. Gabe und ich waren früher häufig hier essen. Tatsächlich werden wir nachher sogar an ‚unserem‘ Tisch sitzen.“
Thomas wirkte bestürzt. „Sollen wir nicht lieber …?“
„Schon in Ordnung“, beteuerte Leo hastig. „Ehrlich. Und vielleicht wird es sowieso Zeit, dass du aufhörst, dich um das Thema herumzudrücken. Gabe ist gestorben. Ende der Geschichte.“ Aber die Worte kamen ihm wie eine Lüge vor, als er sie aussprach. Okay, dann war es vielleicht doch noch nicht ganz vorbei. Obwohl es weiß Gott allmählich Zeit wurde. Das Leben war weitergegangen, aber Leo tat sich immer noch schwer mit dem Aufholen.
ALEX DANIELS drängte sich durch die Doppeltür in die Küche und stellte seine schmutzigen Teller bei Freddo am Spülbecken ab, dann ging er rüber zu Pietro, um den nächsten Gang zu holen. Verdammt, er war müde heute, aber das lag natürlich daran, dass er diese Woche jeden Tag gearbeitet hatte statt wie üblich nur an drei oder vier Abenden. Jetzt, wo das Sommersemester vorbei war, hatte Sev eingewilligt, ihm mehr Stunden zu geben. Was ein Glücksfall war, da er das Geld dringend brauchte. Jeder Penny, der nicht an seine Mutter ging, kam sofort auf sein Sparkonto. Alex hatte keine Ahnung, wie lange er brauchen würde, um genug für Kaution und erste Monatsmiete für eine eigene Wohnung zusammenzusparen, aber im Moment war ihm das egal. Er wusste nur, dass er nicht viel länger bei seinen Eltern wohnen konnte. Nicht ohne verrückt zu werden.
„Alex! Mach doch bitte schnell mal Tisch sechs bereit, ja?“, rief Sev durch die Küche.
Alex nickte, schnappte sich frische Tischwäsche und verließ die Küche. Der Tisch war gerade erst frei geworden und Alex sah zwei Männer an der Bar, die offensichtlich auf einen Platz warteten. Rasch und effizient machte er sich daran, den Tisch abzuräumen und neu einzudecken, bis alles wieder tadellos war. Dann hastete er zurück in die Küche.
„Alles bereit, Sev“, sagte er gerade laut genug, dass sein Boss es hören konnte. Sev nickte und lächelte strahlend.
„Gut gemacht, mein Junge.“ Sev spähte durch das Fenster in der Tür. „Okay, ich möchte, dass du die zwei Herren dort an der Bar zu ihrem Tisch führst.“
Alex wurde blass. „Ich?“ Das Wort kam fast als Quieken heraus. „Aber ich bin heute zum Abräumen eingeteilt!“ Okay, na schön, das war eine Ausrede … alles, um sich nicht mit der breiten Öffentlichkeit befassen zu müssen.
Sev warf ihm einen geduldigen Blick zu. „Aber ich bitte dich darum“, sagte er bedeutungsvoll. „Behandle sie wie Könige, bitte. Einer von ihnen ist ein persönlicher Freund von mir und ein sehr guter Kunde.“ Er sah Alex in die Augen und Alex senkte sofort den Blick. „Alex, ich weiß, dass du erst seit ein paar Monaten hier bist, aber du wirst dich früher oder später daran gewöhnen müssen, mit den Gästen zu verkehren.“
Alex seufzte unglücklich. Er hatte lange genug gebraucht, um den Umgang mit dem Personal zu verkraften; es gab immer noch nur eine Handvoll Menschen, mit denen er sich wohl genug fühlte, um ein Gespräch mit ihnen zu führen. Aber die Gäste? Alex wusste, dass er die Tendenz hatte, in Gegenwart von Fremden linkisch und ungeschickt zu werden – was verdammt lästig war, wenn er zufällig gerade volle Teller handhabte oder, Gott bewahre, die feinen Weingläser, die das Restaurant benutzte. Bisher hatte es noch keine Pannen gegeben und er wollte, dass das so blieb. Sein Gehalt war weiß Gott nicht üppig; er konnte es sich nicht leisten, für zerbrochenes Geschirr aufzukommen.
„Alex … bitte heute noch, ja?“
Alex fuhr zusammen, als Sevs Stimme seine Grübelei unterbrach. Sevs Miene war geduldig und amüsiert. Alex warf seinem Boss einen leicht belämmerten Blick zu, dann ging er eilig zur Küchentür. Dort blieb er kurz stehen, um sich zu vergewissern, dass seine Uniform präsentabel war.
„Du siehst toll aus. Ab jetzt, raus mit dir“, zischte Sev und gab ihm einen spielerischen Schubs.
Widerwillig schlüpfte Alex durch die Doppeltür und ging auf Sevs Freund und den anderen Gast zu, wobei er im Vorbeigehen die Weinkarte und zwei Speisekarten mitnahm. Die beiden Männer saßen auf den Lehnstühlen gleich neben der Bar und der jüngere der beiden blickte auf, als Alex sich näherte. Alex bekam flüchtig blaue Augen und eine kräftige Kieferpartie zu sehen, ehe er hastig den Blick senkte.
„Guten Abend, die Herren“, begann er mit verhaltener Stimme. „Wenn Sie mir bitte zu Ihrem Tisch folgen möchten?“ Er wartete, völlig reglos, während sie sich von ihren Plätzen erhoben. Jesus, der jüngere Mann war vielleicht groß! Alex war eins achtzig, und dieser Typ war mindestens zehn Zentimeter größer. Er warf verstohlen einen Blick auf die beiden, während er ihnen quer durchs Restaurant zur Ecknische voranging. Der ältere Mann sah aus wie Mitte Fünfzig, mit grauem Haar und grünen Augen, und er hatte eine souveräne, selbstsichere Art an sich, die Alex stark an den Rektor seiner Highschool erinnerte.
Der jüngere Mann war, wie Alex jetzt sehen konnte, nicht viel älter als er selbst – vielleicht Anfang dreißig. Unter der legeren braunen Lederjacke und dem Seidenhemd in warmen Brauntönen war zu erkennen, dass er gut gebaut war, mit muskulöser Brust und straffem Oberkörper. Sein dunkelbraunes Haar war kurz und gepflegt, an den Schläfen nach hinten gekämmt, wo ein leichter Anflug von Silber schimmerte.
Plötzlich waren diese blauen Augen auf ihn gerichtet und Alex stockte der Atem. Mit wild pochendem Herzen senkte er sofort den Blick. Er trat zurück, wobei er fast strauchelte, um die beiden Männer an den Ecktisch zu lassen und wartete dann, bis sie es sich auf ihren Plätzen bequem gemacht hatten. Er überreichte jedem eine Speisekarte und machte dann Anstalten, sich mit einem knappen höflichen Lächeln wieder in die Sicherheit der Küche zu flüchten. Dieser Typ verunsicherte ihn total und er hatte verdammt noch mal keinen Schimmer warum.
Der Mann streckte eine schmale Hand aus, wie um ihn zu berühren und Alex wich zurück, blieb aber trotzdem stehen. „Ich würde gerne eine Flasche Wein bestellen.“
Die Stimme war fest, selbstsicher und tief. Alex nickte und schaute auf die Weinkarte, sah zu, wie ein schlanker Finger sich langsam über die Seite nach unten bewegte.
„Eine Flasche Pinot Grigio, bitte.“ Diese blauen Augen mit ihrem geradezu frostigen Blick richteten sich erneut auf ihn und Alex spürte das Gewicht der sorgfältigen Musterung. Noch einmal ließ er dieses knappe Lächeln aufblitzen, dann flüchtete er in die Küche. Drinnen lehnte er sich für einen Moment mit dem Rücken an die Tür. Was zum Teufel …? Er konnte sich seine Reaktion auf diesen Mann nicht erklären, aber eins wusste er ganz sicher: diese beiden konnte jemand anders bedienen. Auf keinen Fall würde er noch mal da rausgehen, nicht solange diese blauen Augen auf ihn warteten. Alex hatte sich in Gegenwart eines anderen Menschen noch nie so nackt gefühlt und das gefiel ihm nicht. Ganz und gar nicht.
LEO NIPPTE an seinem Kaffee und genoss das Aroma. Er klappte den Ordner zu und legte ihn neben sich auf den Tisch. „Die sehen alle insgesamt recht gut aus“, sagte er und klopfte mit dem Zeigefinger auf den Ordner. „Hast du Referenzen von allen gesehen?“
Thomas nickte. „Obwohl das ein langsamer Prozess war. Anscheinend kriegen wir allmählich einen ziemlichen Ruf.“ Er grinste Leo an. „Hab ich’s dir nicht gesagt?“
Leo lachte. „Okay, okay, dann hattest du eben recht. Zufrieden?“ Auf ihn traf das jedenfalls zu. Nicht zu glauben, dass es schon zehn Jahre her war, seit sie beschlossen hatten, einen eigenen BDSM-Club zu eröffnen. Eine Entscheidung, die Leo nie bereut hatte. Inzwischen gab es einen steten Strom von Bewerbungen von Doms und Subs, die dem Club beitreten wollten. Und alle wurden von Thomas auf Herz und Nieren überprüft. Er hatte es sich zur Aufgabe gemacht, dafür zu sorgen, dass jeder Mann, der ihren Club betrat, vorher sein rigoroses Aufnahmeverfahren mit Bravour bestanden hatte.
Leo lehnte sich zurück, und dabei fiel ihm erneut der junge Mann ins Auge, der sie an den Tisch geführt hatte. Er ging im Restaurant herum, räumte hier einen Teller und dort ein paar Gläser ab, und alles, ohne auch nur einmal in ihre Richtung zu schauen. Im Gegenteil, der junge Mann schien sich sogar alle Mühe zu geben, nicht zu ihnen hinzusehen. Interessant. Leos Blick nahm die schlanke Gestalt in sich auf, das braune Haar mit den feinen blonden Strähnen, die stachelig am Oberkopf hochstanden. Diese klaren, blauen, von dichten Wimpern umrahmten Augen zu Gesicht zu kriegen, hatte sich als schwierig erwiesen, da ihr Besitzer fest entschlossen schien, sie nicht preiszugeben. Doch Leo war schon immer hartnäckig gewesen und er liebte Herausforderungen.
„Ja, meine Fresse!“
Der unerwartete Kraftausdruck, gefolgt von einem leisen, langgezogenen Schnaufen, ließ Leo überrascht aufblicken. Thomas starrte ihn an, den Mund leicht geöffnet. Er wirkte schockiert.
„Was?“, fragte Leo, verdutzt über das Verhalten seines Freundes.
Thomas‘ offensichtliche Betroffenheit wich einem Lächeln, das sich über sein ganzes Gesicht ausbreitete.
„Ich hatte schon alle Hoffnung aufgegeben, ganz im Ernst“, rief Thomas, und plötzlich fiel Leo auf, dass sein Partner geradezu … froh zu sein schien.
„Was zum Teufel soll das heißen?“ Leo hatte nicht so genervt klingen wollen, aber er hatte keinen Schimmer, was gerade in Thomas‘ Kopf vor sich ging.
Thomas lächelte, ein freundliches, liebevolles Lächeln, das sein ganzes Gesicht verwandelte. „Hast du eine Ahnung, wann du zum letzten Mal einen Mann so angeguckt hast, wie du jetzt diesen Kellner anschaust?“ Leos Stirn legte sich in Falten. „Ach, komm schon, Leo. Du hast ihn nicht aus den Augen gelassen!“
Leo machte den Mund auf, um die Tatsache zu leugnen, doch die Erwiderung erstarb ihm auf der Zunge. Thomas hatte recht. Er saß ganz still, während sein Verstand auf Hochtouren arbeitete. War er wirklich so lange ohne Begehren gewesen, dass er sich an dessen Fehlen gewöhnt hatte, nicht einmal bemerkt hatte, wie es sich heimlich, still und leise wieder in sein Leben schlich? Und natürlich war es wahr. Er war den ganzen Abend über kaum imstande gewesen, den jungen Kellner aus den Augen zu lassen, doch der Grund dafür war ihm ein Rätsel. Diese klaren blauen Augen, flüchtig erblickt, vielleicht? Leo staunte selbst über seine Reaktion auf den jungen Mann. Was ihn jedoch am meisten überraschte, war das Fehlen jeglicher Selbstvorwürfe. Er hatte nicht das Gefühl, Gabes Andenken zu beflecken. Sein Herz pochte ein bisschen schneller. War es endlich Zeit, Gabe loszulassen?
ALEX BETRAT das Haus so leise wie möglich, da es schon nach Mitternacht war. Es war ein arbeitsreicher Abend gewesen, und er hätte jetzt eine schöne, lange, heiße Dusche brauchen können. Aber es bestand kaum Aussicht, dass noch heißes Wasser übrig war. Er schlich sich an der Wohnzimmertür vorbei in Richtung Küche und erstarrte, als er hörte, wie die Tür aufging.
„Ich hab‘ doch gedacht, ich hör‘ dich reinkommen.“
Alex unterdrückte ein Stöhnen, als seine Mutter mit leeren Tassen in der Hand aus dem warm erleuchteten Raum auftauchte. Er rang sich ein Lächeln ab und wartete auf das bevorstehende Verhör. Warum nur konnte er nicht ausnahmsweise mal nach Hause kommen und feststellen, dass seine Mutter schon im Bett war?
„Wie war die Arbeit heute?“
Alex zog ein Gesicht. „Wir haben uns den ganzen Abend über die Hacken abgelaufen. Es hat einfach nicht aufgehört.“ Er gähnte in der Hoffnung, dass sie den Hinweis verstehen würde. Pech gehabt.
„Wolltest du in die Küche? Ich räum‘ nur eben das Wohnzimmer auf, dann gehe ich rauf. Dein Dad ist schon im Bett.“
Alex ging in die Küche, dicht gefolgt von seiner Mutter. Er füllte den Wasserkocher und schaltete ihn an, dann holt er den Grüntee mit Vanille aus dem Schrank und warf den Teebeutel in einen Becher.
„Ist mir ein Rätsel, wie du das Zeug trinken kannst.“ Seine Mutter schüttelte sich. „Wobei mir das bei den Sachen, die du isst, meistens genauso geht.“
Alex sagte nichts, da er sich nicht schon wieder in den üblichen Streit über seine Essgewohnheiten verwickeln lassen wollte. Bloß weil er nicht nur von Pizza, Pommes und Fertiggerichten leben wollte …
„Hat‘s dir die Sprache verschlagen?“, fragte seine Mutter. „Man kriegt ja kaum noch mehr als ein, zwei Sätze aus dir raus, seit du von der Uni wieder da bist.“
Alex seufzte. „Ich bin bloß müde, Mum, das ist alles.“ Er schaute auf die Uhr an der Wand. „Und es ist wirklich ziemlich spät.“ Sie nickte widerwillig und er stieß innerlich einen tiefen erleichterten Seufzer aus. Gott sei Dank.
„Dann lass ich dich mal ins Bett gehen. Aber häng nicht wieder die ganze Nacht vor deinem Laptop rum. Sonst hältst du bloß deinen Bruder wach und der muss morgen früh raus.“ Sie hielt inne. „Rob wollte heute deinen Laptop benutzen“, fügte sie hinzu, „aber er sagte, er hätte ihn nicht zum Laufen gekriegt. Irgendwas mit einem Passwort.“
Alex kochte vor Wut. Dieser blöde kleine … „Was hat er überhaupt in meinem Zimmer gemacht, Mum?“, fragte er mit zusammengebissenen Zähnen.
„Weiß ich doch nicht“, rief sie. „Er hat bloß gesagt, dass er ihn nicht zum Laufen gekriegt hat, das ist alles.“ Sie starrte ihn an. „Und was hast du eigentlich so furchtbar Wichtiges in deinem Zimmer? Ich wollte deine saubere Wäsche in den Schrank räumen, aber das konnte ich dann ja nicht. Du hast ein Vorhängeschloss an die Griffe gemacht.“ Seine Mutter sah ihn zornig an. „Das ist ein Kleiderschrank, kein Safe.“
„Muuum!“ Alex konnte seine Wut kaum noch im Zaum halten. „Das hatten wir doch besprochen. Ich hab‘ dir doch gesagt, ich halte mein Zimmer sauber und ordentlich und ich kümmere mich selbst um meine Wäsche. Schließlich habe ich das an der Uni vier Jahre lang gemacht. Also brauchst du nicht hinter mir herzurennen und mein Zeug aufzuräumen. Und es ist nichts Schlimmes dran, wenn man ein bisschen Privatsphäre haben will.“
Ein so langes Gespräch hatte er seit Monaten nicht mehr mit seiner Mutter geführt. In den Wochen, seit er seinen Abschluss gemacht hatte und wieder zuhause wohnte, war es, als würde er seine Familie nicht mehr kennen. Sie kannten ihn ganz bestimmt nicht. Er hasste die ständige Notwendigkeit, Dinge vor ihnen geheim zu halten, nicht er selbst sein zu können. Kein Wunder, dass er unbedingt ausziehen wollte. Er fühlte sich erdrückt von dem überwältigenden Gefühl zu ersticken, das jedesmal auf ihn einstürmte, wenn er die Schwelle überschritt. Dem Himmel sei Dank für Sev und sein Angebot, Alex praktisch Vollzeit arbeiten zu lassen. Je mehr Zeit er fern von zuhause verbrachte, desto besser.
„Ich geh‘ jetzt ins Bett“, brummte er und gab seiner Mutter der Form halber ein Küsschen auf die Wange. Er trat aus der Küche und ging leise die Treppe rauf, seinen Becher mit grünem Tee in der Hand. Er seufzte, als er die Tür zu seinem Schlafzimmer sachte hinter sich zumachte. Sein Zufluchtsort. Alex zog die verwaschene Jeansjacke aus und hängte sie über den Haken an der Tür, dann schlüpfte er aus seinen Schuhen und stöhnte, als er mit den Zehen wackelte, die zwölf Stunden lang in engen Arbeitsschuhen gesteckt hatten. Rasch streifte er sein schwarzes Hemd, Hose und Socken ab und warf alles in den Wäschekorb, der am Fußende des Bettes stand.
Die Tür ging unvermittelt auf, als Alex gerade seine Unterhose auszog. Er richtete sich auf und griff hastig nach seinem Bademantel, als sein Bruder ohne anzuklopfen hereinkam. Wieder mal. „Rob, was soll der Scheiß?“ Alex zog den Bademantel eng um sich und starrte seinen Bruder zornig an. Leider war Rob keine sonderlich aufmerksame Seele, und der finstere Blick prallte völlig wirkungslos an ihm ab.
„Du hast nichts, was ich nicht schon gesehen hätte, Bro“, sagte Rob grinsend, dann blickte er sich im Zimmer um. Offensichtlich suchte er was.
„Was willst du?“, fragte Alex zähneknirschend, wobei er tapfer versuchte, seine Wut unter Kontrolle zu halten.
Sein achtzehnjähriger Bruder grinste ihn an. „Was versteckst du hier drin überhaupt? Du liest heimlich Pornohefte, die Mum nicht finden soll, ist es das?“, fragte er anzüglich. „Ich hab‘ recht, oder?“
Alex stöhnte in purer Verzweiflung auf. „Rob, es ist spät und ich will vor dem Schlafengehen noch duschen. Wenn du nichts von mir willst, dann mach bitte, dass du rauskommst.“
Rob zuckte gleichgültig die Schultern. „Sieh mal, mir ist es schnurzegal, ob du dir zu deinen Heftchen oder Pornofilmen oder was auch immer einen runterholen willst. Ich wollte mir bloß deinen Laptop ausleihen.“
Alex lächelte angespannt. „Tut mir leid, aber ich muss E-Mails beantworten.“
Rob machte ein finsteres Gesicht. „Du und deine blöden E-Mails, Facebook … und warum find‘ ich dich auf Facebook eigentlich nicht?“
Jetzt war es Alex, der die Schultern zuckte, die Augen unschuldig geweitet.
Rob stieß einen leisen Pfiff aus. „Oh, jetzt hab‘ ich’s kapiert. Du hast eine geheime Identität oder so was, stimmt’s?“
Alex sagte nichts, sondern ging zur Tür und hielt sie auf. „Gute Nacht, Rob.“
Widerwillig schlurfte Rob aus dem Zimmer, wobei er irgendwas über eingebildete große Brüder vor sich hin grummelte. Als ob Alex das nicht scheißegal wäre. Er machte resolut die Tür hinter ihm zu. Für einen Moment überlegte er, ob er gleich duschen gehen sollte. Aber jetzt würde er das Schlafzimmer auf keinen Fall verlassen, sonst lief ihm Rob womöglich noch mal über den Weg. Er zog den Bademantel enger um sich, ließ sich aufs Bett fallen und griff nach dem Laptop auf seinem Schreibtisch. Gleich darauf war er im Internet und scrollte durch die Liste von Freunden, die online waren. Gott sei Dank, Emily war da. Er griff nach seinem Tee und schnupperte genüsslich, während er mit Emily Kontakt aufnahm.
MaybeGay: Bist du da?
EmmyBabe: Alex! Wie war’s bei der Arbeit?
MaybeGay: Verdammt langer Tag. Aber da war dieser eine Typ …
EmmyBabe: Oooh! Sag bloß!
MaybeGay: So war’s nicht!
EmmyBabe: Soll das heißen, du warst nicht scharf auf ihn?
Das brachte Alex zum Nachdenken. Er konnte gar nicht alle Emotionen auflisten, die der Gast mit den eisblauen Augen in ihm geweckt hatte. Er war verwirrt gewesen, erregt, hatte sich bedroht gefühlt, alles auf einmal …
EmmyBabe: Bist du noch da, Alex?
MaybeGay: Ja, klar. Ich denk bloß grade an ihn …
EmmyBabe: Bist du okay, Schatz?
Alex lächelte über das Kosewort. Emily war seine engste Freundin aus der High School und er war überglücklich gewesen, als er sie nach so langer Zeit auf Facebook entdeckt hatte. Wobei sein FB-Name zunächst ein paar Fragen aufgeworfen hatte. Denn Alex hatte zwar schon vor seinem zwanzigsten Geburtstag endlich akzeptiert, dass er schwul war, diese Tatsache aber für sich behalten. Erst in letzter Zeit ging er etwas offener damit um. Emily war die erste, vor der er sich geoutet hatte und das war ihm leichter gefallen, weil es kein Gespräch von Angesicht zu Angesicht gewesen war. Aber vor dieser ersten Offenbarung gegenüber einem anderen Menschen hatte Alex eine belastende Phase der Verleugnung durchgemacht. Er hatte unbedingt „normal“ sein wollen. Es war weiß Gott schon schlimm genug, dass er sich die meiste Zeit seines Lebens in seiner eigenen Familie wie ein Fremder vorkam.
Emily hatte seine Eröffnung mit überraschender Gelassenheit hingenommen. Und das wiederum hatte es ihm leichter gemacht, es David zu sagen, einem anderen Studenten aus seinem Semester. Der hatte einfach nur dagesessen und kein bisschen überrascht gewirkt, und dann hatte er Alex zu dessen großem Erstaunen umarmt. Aber das hieß noch lange nicht, dass er vorhatte, es demnächst auch seiner Familie zu sagen. Das kam nicht in Frage. Sie brauchten nicht noch mehr Munition.
EmmyBabe: Wo warst du denn, Schatz?
MaybeGay: Sorry. War kurz geistig weggetreten.
EmmyBabe: Aaaalso - dieser Typ?
MaybeGay: Gast im Restaurant. Hat mir irgendwie Angst gemacht, um ehrlich zu sein.
EmmyBabe: Was ist passiert?
MaybeGay: Frag mich was Leichteres! Er hat kaum ein Wort zu mir gesagt, aber er hatte diese blauen Augen, so blau, und er hat mich den ganzen Abend über ständig beobachtet. Jedes Mal, wenn ich rüber geschaut habe, hat er mich angeguckt.
EmmyBabe: Sexy?
Alex schloss für einen Moment die Augen und beschwor im Geiste das Abbild des Mannes herauf. So groß, schlank, durchtrainiert, muskulös … seine Arme hatten stark und kräftig ausgesehen und für einen kurzen Moment hatte Alex sich zu fantasieren erlaubt, wie es sich wohl anfühlen würde, von ihnen umschlungen und an diesen megageilen Körper gedrückt zu werden. Genauso schnell jedoch hatte er die verlockende Vorstellung wieder verworfen. Ein solcher Mann würde sich doch nie im Leben für einen mageren, verängstigten, sexuell völlig unerfahrenen Niemand wie ihn interessieren, der ihm nicht einmal in die Augen sehen konnte. Einem Mann wie ihm war die Erfahrung schon von weitem anzusehen.
MaybeGay: Em, können wir das hier auf später verschieben?
EmmyBabe: Klar, Schatz, kein Problem. Du weißt, wie du mich erreichen kannst.
Alex lächelte, als er sich von Facebook abmeldete. Emily war eine gute Freundin. Er schaute auf die Uhr. Es war fast ein Uhr morgens. Gott sei Dank hatte er morgen seinen halben Tag. Er musste erst um fünf zur Arbeit. Und das hieß … Er rief sicherheitshalber seinen E-Mail-Account auf, falls Rob noch mal bei ihm hereinplatzte und er eine Tarnung brauchte – das war schon oft genug passiert – und minimierte das Fenster, und dann tippte er die Adresse für die Website, die er letzte Woche entdeckt hatte. Er warf nervös einen Blick zur Tür. Das letzte, was er jetzt wollte, war seine Mutter oder seinen Bruder dort auftauchen zu sehen. Noch so eine Sache, die Alex vor seine Familie geheim halten musste. Der Gedanke, dass Rob seinen Laptop benutzte und seine Browser-Chronik sah, erfüllte ihn mit Schrecken. Gott sei Dank hatte er den Passwort-Schutz eingerichtet.
Alex lauschte auf irgendeinen Hinweis, ob noch jemand auf war, aber im Haus war alles still. Offenbar konnte er sich einigermaßen sicher fühlen. Er klickte ein Verzeichnis mit Hardcore-Videos an und betrachtete die Bilder. Obwohl er erst in den letzten paar Monaten an Schwulen-Pornos geraten war, hatte er bald herausgefunden, dass ihn glatthäutige achtzehnjährige Twinks nicht interessierten. Hingegen hatten Videos, die reifere Männer beim Bumsen zeigten, sofort seine Aufmerksamkeit gefesselt. Er suchte sich ein Video aus, klickte es an und stellte den Laptop hastig neben sich aufs Bett, um seine Kopfhörer einzustecken, bevor es losging. Er machte seinen Bademantel auf und ließ die Hände über seinen Körper gleiten, zwickte sich in die Nippel und erschauerte, als die Empfindungen ihm direkt in den Schwanz fuhren, der bereits steif wurde.
Er konnte den Blick nicht von den gigantischen Erektionen lösen, die diese Kerle zur Schau trugen. Die Vorstellung, so was in seinen Körper aufzunehmen, erfüllte ihn mit Furcht. Jesus, so was Großes konnte doch unmöglich in ihn reinpassen, oder? Alex umfasste seinen halbsteifen Schwanz und atmete schneller, während auf dem Bildschirm ein muskulöser Adonis seinen zierlicheren Partner fickte. Als die Kamera ganz nahe an den Schwanz heranzoomte, der ihn penetrierte, konnte Alex sein Erschauern nicht unterdrücken. Irgendwelchen Typen beim Sex zuzuschauen war eine Sache. Die Vorstellung, selbst von jemandem gefickt zu werden, war mehr, als er ertragen konnte. Sein logischer Verstand sagte ihm, dass es wehtun würde, aber zugleich konnte er den Blick nicht von der Verzückung auf dem Gesicht des passiven Partners losreißen. Herrgott, wie faszinierend das war.
Er fasste seinen jetzt voll erigierten Penis fester und rieb, passte sein Tempo den Stößen des aktiven Partners an. Oh Gott, die Laute, die der Passive von sich gab! Leises Stöhnen, das zu einem Crescendo ekstatischer Schreie anschwoll, während der kleinere Mann dalag und alles wegsteckte, niedergehalten von seinem kraftstrotzenden Partner, der ihn mit tiefen, fast brutalen Stößen fickte. Was ihn jedoch am meisten anturnte waren die Obszönitäten, die dem Aktiven fast ununterbrochen von den Lippen flossen, zusammen mit Lobesworten für seinen Partner – wie eng sein Arsch war, wie gut es sich anfühlte, wie sehr der Aktive es genoss, ihn zu ficken. Als das Video sich dem unvermeidlichen Ende näherte, schloss Alex die Augen und konzentrierte sich auf die Empfindungen, die ihn durchströmten, auf die Anspannung in seinen Eiern und das Kribbeln hinter seinem Steißbein. Kurz vor seinem Orgasmus sah er dann auf einmal wieder diese blauen Augen vor sich, diese kräftige Kieferpartie, und das war es dann. Alex ergoss sich in seine Hand, den Rücken vom Bett hochgewölbt, die andere Hand in den Mund gezwängt, um den Schrei zurückzuhalten, der ihm jeden Moment zu entfahren und ihn zu verraten drohte.
Alex lag keuchend da, die Hand voller Sperma, und kämpfte darum, seinen Körper wieder unter Kontrolle zu kriegen. Wo war das jetzt hergekommen? Sein logischer Verstand mochte zwar bereits erfasst haben, dass es völlig sinnlos war, von seinem geheimnisvollen Gast zu fantasieren – aber das hatte sein Abbild nicht davon abgehalten, in seine Gedanken einzudringen. Alex griff nach den Papiertaschentüchern neben dem Bett und wischte sich sauber, dann steckte er sie in eine kleine Plastiktüte, die anschließend verknotet wurde. Jesus, was er alles auf sich nahm. Aber er würde ihnen nie und nimmer den Gefallen tun und sie Beweise finden lassen, dass er gewichst hatte. Das Leben hier war schon schlimm genug, ohne noch mehr Öl ins Feuer zu gießen.
Schließlich fand er genug Energie, um vom Bett aufzustehen, sich ins Bad zu schleppen und seine heiß ersehnte Dusche zu nehmen, ganz gleich, wie spät es war. Als er sich an die Fliesen lehnte, sich von dem kaum lauwarmen Wasser überströmen ließ und den Tag wegwusch, kehrten seine Gedanken zu seinem geheimnisvollen Gast zurück, und er ertappte sich trotz seiner anfänglichen Reaktion auf den Mann bei der Hoffnung, ihn irgendwann wiederzusehen.
„BIST DU immer noch da?“
Leo legte seinen Stift weg und blickte zu Thomas auf, der in der offenen Tür zum Büro stand und ihn anlächelte.
„Ich wollte nur ein paar Sachen notieren, falls ich dich verpasse“, sagte er, lehnte sich zurück und streckte sich. Er hatte den Großteil des Tages damit zugebracht, die Schweinerei von gestern Abend zu beseitigen und dafür zu sorgen, dass der Club für den Ansturm heute Abend bereit war. Obwohl einige Mitglieder die Räumlichkeiten auch tagsüber nutzten, suchte die große Mehrheit den Club erst in den Abendstunden auf. Ab achtzehn Uhr gab es einen stetigen Zustrom von Mitgliedern und die meisten blieben gewöhnlich bis zwei Uhr früh, wenn der Club schloss.
Thomas setzte sich auf den gemütlichen, abgeschabten Ledersessel ihm gegenüber. „Ja, gestern Abend war es im Gruppenraum ziemlich schlimm“, bestätigte er und schnitt eine Grimasse. „Aber ich war viel zu müde, um mich noch groß mit dem Saubermachen zu befassen.“
Leo grinste. „So was ähnliches habe ich mir schon gedacht, als ich heute Morgen da reingegangen bin.“ Er schüttelte den Kopf. „Wer auch immer romantisch verklärte Darstellungen von BDSM-Clubs schreibt, hat eindeutig noch nie einen von innen gesehen. In den Büchern ist es da immer pieksauber. Die würden Zustände kriegen, wenn sie sehen würden, wie es hier drin manchmal zugeht. Ich musste heute Carl und Elliot zum Putzen abkommandieren.“
Thomas hob die Augenbrauen. „Moment mal, hab’ ich eben richtig gehört – du liest Romane über BDSM?“ Er grinste breit. „Mensch, Leo, das hätte ich nie gedacht!“
Leo lächelte verlegen. „Kann schon sein, dass ich mal den einen oder anderen erotischen Roman gelesen habe“, gab er zu und blickte durch die Wimpern hindurch zu Thomas auf.
Thomas lachte. „Wie lange kennen wir uns jetzt schon? Und doch schaffst du’s immer wieder, mich zu überraschen.“ Er warf einen Blick auf die Kaffeemaschine in der Ecke. „Oh, guter Mann. Du hast frischen Kaffee gemacht.“ Er stand auf, um sich einen Becher einzuschenken, dann ließ er sich wieder auf dem Sessel nieder und atmete das gehaltvolle Aroma ein. „Also, dann erzähl mir mal von diesen Büchern, die du gelesen hast. Jetzt hast du mich neugierig gemacht.“
Leo lachte. „So viele waren das gar nicht.“
„Hast du dieses Fifty Shades …?“
Leo stöhnte auf. „Fang mir bloß nicht damit an!“, knurrte er.
Thomas grinste. „Okay, das ist kein schwuler BDSM-Roman, ich weiß, aber ich wüsste schon gern mehr darüber. Schließlich reden alle davon.“ Er sah Leo in die Augen. „Was stimmt denn mit dem Buch nicht?“, fragte er unschuldig.
„Die Frage ist eher, was daran stimmt! Das Buch ist eine verdammte Beleidigung für jeden Dom, der auch nur ein bisschen Selbstachtung hat!“
Thomas lachte jetzt. „Dann vermittelt die Autorin also nicht unbedingt ein korrektes Bild des D/s-Lebensstils?“, sagte er.
Leo machte ein finsteres Gesicht und schüttelte den Kopf. „Tu mir einen Gefallen und rede nie wieder von ihr. Soweit es mich betrifft, ist diese Autorin Voldemort.“ Thomas runzelte verwirrt die Stirn. Leo grinste. „Sie, deren Name nicht genannt werden darf.“ Thomas brach in Gelächter aus. „Vor allem, weil es da draußen viel bessere BDSM-Autoren gibt. Viele Autoren kriegen so ziemlich alles an BDSM ganz gut hin, aber manche von denen! Wir reden hier von völlig unrealistischen Situationen, wie zum Beispiel, dass ein Dom in eine Bar kommt, jemanden zum ersten Mal sieht und sofort weiß, dass derjenige ein geborener Sub ist.“
Thomas kicherte. „Ich sehe schon, was du meinst.“ Er nippte an seinem Kaffee. „Apropos Sub …“
Das Geräusch, das Leo von sich gab, klang nach purer Verzweiflung. „Warum habe ich plötzlich das Gefühl, dass ich ganz genau weiß, was du als nächstes sagen wirst?“
Thomas‘ Gesicht wurde ernster. „Er hat schon wieder gefragt –“
„Nein, Thomas.“ Leo schüttelte den Kopf. „Ich will keinen Sub. Bitte sag Dorian, er soll aufhören zu fragen.“ Er schloss die Augen und atmete einmal tief durch. Es nützte nichts. Er konnte immer noch Thomas‘ Blick auf sich gerichtet fühlen. Er sah seinen Partner an. Thomas betrachtete ihn mit einer Miene, die seine Besorgnis verriet. „Tut mir leid“, sagte Leo leise. „Aber ich werde nicht noch mal einen Sub annehmen. Ich halte weiterhin die Demos, ich stelle mich als Dungeon Master zur Verfügung, aber bitte …“
Thomas seufzte. „Leo, du bist ein guter Dom. Der beste, den ich je ausgebildet habe, wenn ich ehrlich bin.“ Leos Wangen wurden bei dem untypischen Lob ganz warm. „Du kannst es den Subs hier nicht verdenken, wenn sie dir gehören wollen. Zum Teufel, du brauchst ja nur durch den Club zu laufen und schon stehen sie Schlange und geben sich alle Mühe, deine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.“ Leo stieß ein leises Lachen aus. Was Thomas da beschrieb, traf es ziemlich genau. „Deshalb sage ich nur … willst du‘s dir nicht noch mal überlegen?“ Als Leo den Kopf schüttelte, gab Thomas ein völlig verärgertes Schnauben von sich, das Leo überrascht aufblicken ließ.
„Verdammt, Mann, du musst endlich wieder anfangen zu leben!“
Leo starrte ihn an, bestürzt über den plötzlichen Ausbruch.
Thomas‘ Miene wurde sofort nachgiebiger. „Tut mir leid, Leo, aber … seit zwei Jahren tust du so, als wäre alles wie immer, und wir stehen alle nur daneben und schauen tatenlos zu. Aber du lebst nicht mehr, du … existierst nur noch. Es ist, als hätte ein Teil von dir innerlich einfach … abgeschaltet.“ Leo wurde sehr still, den Blick auf die breite Schreibtischplatte zwischen sich und Thomas gerichtet. Thomas‘ Stimme war sanft. „Lass ihn los, Leo. Lass ihn los und komm wieder zu uns zurück.“
Leo hob den Kopf. „Ich habe ihn geliebt, Thomas.“ Thomas‘ Augen begannen verdächtig zu schimmern und Leo wurde es ganz eng ums Herz. Er wusste, dass Thomas Gabe auch sehr gemocht hatte. Zum Teufel, mehr als drei Viertel aller Mitglieder des Clubs waren zu seinem Begräbnis gekommen. „Er war mein Sub. Ich habe ihn ausgebildet, ich habe ihm mein Halsband umgelegt … und dann habe ich mich in ihn verliebt.“ Zornig wischte Leo die Tränen weg, die ihm in den Augen brannten. „Und dann stirbt er mir weg, verdammte Scheiße!“
Und dann geschah es.
Zum ersten Mal, seit Gabe gestorben war, empfand Leo ein plötzliches Aufwallen von Ärger, als er an den plötzlichen Tod seines Subs dachte. Die Wut kochte in ihm hoch; sie kam so tief aus seinem Innern, dass er vorher gar nichts von ihr gemerkt hatte. Und sie richtete sich auch teilweise gegen seinen toten Geliebten, der sich nicht wehren konnte. Doch das spielte keine Rolle. Leo konnte die geschmolzene Lava seines Zorns nicht mehr am Ausbrechen hindern.
„Warum zum Teufel musste er sterben? Sechs Jahre lang waren wir zusammen. Sechs Jahre, verdammt noch mal, und dann kommt so ein betrunkener Autofahrer daher und macht innerhalb von Minuten alles kaputt. Er war erst neunundzwanzig“, rief Leo verbittert und hieb mit der flachen Hand auf den Schreibtisch, dass Thomas erschrocken zusammenfuhr. Thomas‘ Reaktion brachte ihn wieder zur Vernunft und er zitterte, rang mit tiefen, beruhigenden Atemzügen um Beherrschung.
Thomas starrte ihn verwundert an, den Mund leicht geöffnet. „Nach all der Zeit“, sagte er leise, „sehe ich dich jetzt zum ersten Mal wütend über seinen Tod. Du hast das alles nie rausgelassen, oder, mein Junge?“
Leo lehnte sich zurück; seine Wangen waren feucht, doch er atmete ruhiger. Ein halbes Lächeln huschte über seine Lippen. „Mein Junge?“
Thomas lächelte. „Irgendwo bleibst du für mich immer dieser verängstigte Zweiundzwanzigjährige, der in den Club kam, weil er verzweifelt etwas suchte – und es auch fand. Und wir wollen auch nicht vergessen, dass du einmal mein Sub warst.“
Leo lächelte; er konnte sich so deutlich daran erinnern, als wäre es gestern gewesen. „Nicht für lange, alter Mann.“
Thomas bedachte ihn mit einem strengen Blick, doch Leo hatte sich bereits wieder von seinem Gefühlsausbruch erholt und reagierte lediglich mit einem Grinsen. Thomas griff über den Schreibtisch nach Leos Hand – womit er ihn überraschte, denn normalerweise tendierte Thomas nicht dazu, seine Zuneigung offen zu zeigen. „Leo, was du im Moment gerade durchmachst, ist ganz normal. Vor allem ist es gesund.“ Leo legte den Kopf schief. „Ernsthaft! Ich kann dir gar nicht sagen, wie froh ich bin, dich so reden zu hören.“ Er fasste Leos Hand fester und sah ihn aufmerksam an. „Ich verstehe, dass du keinen Sub mehr willst. Aber einige von den Subs hier hingen früher geradezu an deinen Lippen. Ein Lob von dir war ein echtes Lob und das fehlt ihnen.“ Sein Blick wurde etwas weniger eindringlich; er ließ Leos Hand los und lehnte sich wieder zurück. „Sie wollen Master Leo zurückhaben. Zum Teufel, ich will Master Leo zurückhaben.“
Leo dachte über Thomas‘ Worte nach. Nichts davon konnte er abstreiten. Er staunte über die erlösende Macht dieses einen kurzen Moments. Dieses Aufflammen heißer Wut hatte ihn irgendwie gereinigt, alles Unsaubere weggebrannt, ihn geläutert und jetzt fühlte er sich wie ausgelaugt und aufgewühlt zugleich … und außerdem …
Frei. Endlich frei.
Thomas musterte ihn, ein wissendes Lächeln auf dem Gesicht. „Geht’s dir jetzt besser?“, fragte er.
Leo nickte. Er fühlte sich wirklich besser.
„Dann solltest du jetzt Feierabend machen, meine ich, und das alles hier mir überlassen. Du könntest ja einen Happen essen gehen.“ Thomas‘ Augen funkelten. „Vielleicht in diesem netten italienischen Restaurant, in dem wir letzte Woche waren.“
Für einen Moment war Leo verblüfft und dann begann er zu lachen. „Oh, sehr subtil!“
Thomas zuckte lässig die Schultern. „Warum nicht? Dort bist du besser aufgehoben als in deiner leeren Wohnung zuhause.“ Er schaute aus dem Fenster. „Es ist ein schöner Sommerabend. Du könntest einen gemütlichen Spaziergang zum Severino’s machen, was Gutes zu Abend essen und dir gleichzeitig die Show ansehen.“
Ungefähr so subtil wie ein Hammer, dachte Leo. „Vorausgesetzt natürlich, dass er heute Abend arbeitet“, sagte er.
Thomas‘ Grinsen war viel zu selbstgefällig. „Ach, dann erinnerst du dich also tatsächlich an ihn.“
Leo schüttelte den Kopf, doch er konnte ein Lächeln nicht zurückhalten. „Du bist unmöglich, weißt du das?“
Zu seiner Überraschung stand Thomas auf, kam um den Schreibtisch herum und breitete die Arme aus. Leo starrte ihn für einen Moment an, da er nicht wusste, wie er reagieren sollte. Sein Partner zeigte sich ihm heute Abend von einer ganz anderen Seite. Thomas wartete geduldig und schließlich setzte Leo sich in Bewegung. Thomas umarmte ihn und für einen Moment standen die beiden Männer eng umschlungen da. Ein Gefühl des Friedens durchdrang den Raum.
Schließlich trat Thomas zurück, den Blick auf Leos Gesicht geheftet. „Ich liebe dich wie einen Sohn, Leo. Und ich will, dass du glücklich bist.“ Er lächelte. „Weil es dafür langsam Zeit wird.“ Dann schob er Leo mit einem Grinsen von sich. „Jetzt geh‘ was essen.“ Er musterte Leos Aufzug mit einem ironischen Lächeln. „Obwohl, wenn ich einen Vorschlag machen dürfte … vielleicht ziehst du dich vorher noch um?“
„ALEX! DA sitzt ein Gast in deiner Zone, der auf Bedienung wartet!“
„Danke, Vittorio“, rief Alex aus dem kleinen Hauswirtschaftsraum, wo er gerade saubere Tischwäsche zusammenlegte und ging hinaus in die Küche. Donnerstags abends war es meistens ruhig und heute war keine Ausnahme. Das Restaurant hatte kaum Gäste, nur ein paar Tische hier und da waren besetzt. Heute Abend fand ein Fußballspiel statt und die Spiele von Manchester United zogen immer ein großes Publikum an. Er spähte durch das Fenster in der Küchentür und erstarrte. An Tisch vier saß Mr. Megageil von letzter Woche. Oh nein, keine Chance!
Sev kam auf dem Weg zum Kühlraum an ihm vorbei und Alex berührte ihn leicht an der Schulter. „Sev, ich bin noch nicht mit der Tischwäsche fertig“, sagte er, obwohl er es hasste, wie schwach die Ausrede ihn wirken ließ. Doch lieber das, als da raus zu gehen und diese eisblauen Augen ein weiteres Mal auf sich gerichtet zu wissen. Es war zwar schon eine Woche her, seit er den Mann gesehen hatte, aber aus irgendeinem Grund hatte das die Auswirkungen nicht gemindert, die ihr erstes Zusammentreffen auf Alex gehabt hatte.
Sev nahm ihn beiseite. „Was ist los, Alex?“
Verdammt, sein Boss war manchmal viel zu scharfsichtig. Alex gefiel es, dass Sev alle seine Angestellten gleich behandelte: höflich und geduldig. Er hatte etwas an sich, was unbedingten Respekt verlangte. Alex bewunderte ihn zutiefst, obwohl er ihm immer noch nicht in die Augen schauen konnte. Aber andererseits war Blickkontakt generell eine gewaltige Hürde für Alex. Er arbeitete sehr daran, das zu überwinden, aber es war nicht einfach. Etwas in ihn schreckte schon vor dem bloßen Gedanken zurück.
Alex wandte sich an Sev, den Blick zu Boden gerichtet. „Bitte frag mich nicht, warum, aber kann heute nicht mal jemand anders da raus gehen?“
Sev stieß einen geduldigen Seufzer aus. „Alex, du kümmerst dich schon die ganze Woche über um die Gäste und du machst das wirklich gut.“ Alex‘ Wangen wurden heiß bei dem Lob. „Also, wo liegt das Problem?“ Sev warf einen Blick durch das Fenster und Alex hörte das langsame Ausatmen. „Aaah, verstehe.“ Ein leises Lachen folgte. „Mr. Hart wird dich schon nicht beißen – es sei denn, du bittest ihn drum, natürlich.“ Was? Alex runzelte die Stirn, da er die Bemerkung nicht verstand und Sev lachte erneut in sich hinein. „Tu so, als hätte ich nichts gesagt. Geh einfach da raus und nimm seine Bestellung auf. Falls das ein Ansporn für dich ist, er gibt gute Trinkgelder.“ Immer noch kichernd setzte Sev seinen Weg fort. Alex blieb nichts anders übrig, als da raus zu gehen.
Er holte tief Luft, bevor er die Küchentür aufstieß und sich durch die Tische zu Mr. Hart durchschlängelte, der in Gedanken versunken die Speisekarte studierte. Alex blieb neben ihm stehen, Notizblock in der Hand. „Möchten Sie bestellen, Sir?“ Die Speisekarte wurde gesenkt, und Mr. Hart sah ihn an. Blaue Augen begegneten seinen für den Bruchteil einer Sekunde, ehe Alex eilig auf den Block in seiner Hand niederschaute.
„Guten Abend.“ Diese feste, tiefe Stimme überfloss Alex wie ein Streicheln. „Darf ich fragen, wie mein Kellner heute Abend heißt?“
Alex hörte die Belustigung in seiner Stimme. „Mein Name ist Alex“, sagte er und versuchte dann, die Dinge wieder in die rechte Bahn zu bringen. „Was möchten Sie trinken?“
„Nun, Alex, da ich das Filet Rossini nehmen werde, hätte ich gerne ein Glas roten Hauswein. Der ist hier immer ausgesprochen gut.“ Alex notierte den Wein und das Hauptgericht. „Als Vorspeise hätte ich gern einen grünen Salat, bitte.“
Alex nickte ruckartig und kritzelte auf seinem Block herum. „Wäre das dann alles, Sir?“, fragte er und warf einen flüchtigen, aber sehnsüchtigen Blick Richtung Küche.
„Für den Moment, Alex.“
Wieder war da dieser amüsierte Unterton. Alex erschauerte unwillkürlich. Von dieser warmen, tiefen Stimme beim Namen genannt zu werden, hatte einen höchst merkwürdigen Effekt auf ihn. Ein elektrisierender Schauer der Erregung rann an seinem Rückgrat entlang und sein Schwanz wurde steif. Bloß schnell weg hier. Er rannte gegen den Tisch und Mr. Hart griff mit blitzschnellen Reflexen nach dem Weinglas, das gefährlich wackelte.
„Sachte, sachte!“
Alex hätte vor Scham im Boden versinken können. „Ich bitte vielmals um Entschuldigung –“
„Nichts passiert“, verkündete Mr. Hart unbeschwert und reichte ihm die Speisekarte. Alex nahm sie mit zitternden Händen entgegen. Warum übte dieser Mann eine so starke Wirkung auf ihn aus? Bei seiner Größe und Schlaksigkeit war Alex daran gewöhnt, sich in Gegenwart anderer unwohl zu fühlen. Aber seine heutige Vorstellung stellte seine bisherigen Missgeschicke gründlich in den Schatten. Wenn das so weiterging, würde Sev ihn womöglich bald ganz aus dem Restaurant verbannen.
Mit großer Vorsicht entfernte er sich vom Tisch und hastete davon, um einmal mehr in der Küche Zuflucht vor Mr. Harts prüfendem Blick zu suchen. Noch im Weglaufen spürte er, wie ihn diese Augen fixierten, ihn beurteilten, ihn für mangelhaft befanden. Okay, den letzten Teil bildete er sich nur ein. Aber nach seiner Sicht der Dinge würde Mr. Hart so empfinden. Was hatte Alex schon an sich, das die Aufmerksamkeit von jemandem wie Mr. Hart erregen sollte?
ALS ALEX sich behutsam einen Weg zwischen den Tischen hindurchbahnte, lächelte Leo.
„Wie schön, dich wieder lächeln zu sehen, mein Freund.“
Leo drehte sich um und stellte fest, dass Sev hinter ihm stand.
Er warf einen Blick in die Richtung, in die Alex gerade verschwand. „Was ist los mit ihm, Sev?“, fragte er, wohl wissend, dass da mehr dahinterstecken musste.
Sev folgte Alex mit einem Blick, in dem große Zuneigung lag. Er lächelte ebenfalls, dann sah er Leo an und zwinkerte ihm zu. „Und wie kommst du darauf, dass ich dir das sagen werde?“, fragte er, ein amüsiertes Funkeln in den Augen. „Oh nein, Mr. großer, böser Dom. Das wirst du schon selber rausfinden müssen.“
Leo schüttelte lachend den Kopf, als Sev ihn triumphierend anlächelte und dann in Richtung Küche davonmarschierte. „Dann mach‘ dich darauf gefasst, mich von jetzt an sehr viel öfter hier zu sehen, mein Freund“, murmelte Leo vor sich hin. Er grinste. Gott, wie er Herausforderungen liebte. Und die hier versprach höchst interessant zu werden.
„ALEX! DEIN Stalker sitzt an Tisch drei.“
Alex runzelte die Stirn und sah Vittorio ratlos an, doch dann fiel der Groschen. „Oh, du meinst Mr. Hart.“ Er kicherte. Stalker, in der Tat.
„Na ja, wie willst du ihn sonst nennen?“, fragte Vittorio mit einem breiten Lächeln. „Er muss letzten Monat mindestens viermal die Woche hier gewesen sein!“ Er zwinkerte den anderen Angestellten in der Küche zu. „Und er sitzt immer an einem von deinen Tischen.“
Alex blinzelte nervös. Bisher wusste hier im Restaurant noch niemand, dass er schwul war – obwohl er den Verdacht nicht loswurde, dass Sev mehr wusste, als er zugab. Nur einmal war er nahe dran gewesen, sich jemandem zu offenbaren – als er eines nachmittags zusammen mit Pietro Pause gemacht hatte. Alex mochte den geradlinigen Koch-Azubi, der immer gut drauf war und sich die Zeit nahm, mit ihm zu plaudern. Doch er hatte den Moment verstreichen lassen, ohne was zu sagen. Alex schluckte. Er wusste nicht, wie die andern sein Coming-out aufnehmen würden. Sie schienen ja alle ganz nett zu sein, und er hatte schon ein paarmal vorgefühlt und versucht, ihre Reaktion einzuschätzen. Bisher hatte sein inneres Homophobometer noch bei keinem von ihnen ausgeschlagen, also machte er sich wahrscheinlich grundlos Sorgen.
Alex fing einen Blick von Pietro auf. Pietro nickte kaum merklich und seine Augen funkelten boshaft. Dabei fiel Alex wieder ein, worüber sie sich vor ein paar Wochen mal unterhalten hatten, und plötzlich wusste er ganz genau, was Pietro so unbedingt von ihm hören wollte. Ach, was soll’s …
„Wenigstens habe ich einen Stalker“, sagte er grinsend zu Vittorio. „Du bist ja bloß neidisch.“
Vittorio zog die Augenbrauen hoch. „Hey“, rief er entrüstet aus. „Ich habe dafür meine weiblichen Fans.“ Er warf einen Blick in die Runde, ein selbstgefälliges Lächeln auf den Lippen. „Was war mit dieser echt heißen Frau vor zwei Wochen? Sie hat extra darum gebeten, von mir bedient zu werden! Und ihr habt alle gesehen, dass sie mich geküsst hat, bevor sie gegangen ist“, sagte Vittorio stolz.
Oh, das nenne ich mal ein Geschenk … Alex holte zum Vernichtungsschlag aus. Er zwinkerte Pietro zu, dann fuhr er fort: „Ja, aber du hast vergessen zu erwähnen, dass sie deine Tante ist.“
Für einen Moment herrschte Schweigen und dann brach die gesamte Küche in schallendes Gelächter aus. Vittorio fiel der Unterkiefer runter; er bekam einen roten Kopf und starrte Alex an, während seine Kollegen lachten, bis ihnen die Tränen über die Wangen liefen. Vittorio verdrückte sich hastig. Einer oder zwei von den anderen klopften Alex auf die Schulter und gratulierten ihm. „Gut gemacht, Alex!“
Alex hatte das Gefühl, als würde ihm eine Welle von Zuneigung entgegenschlagen, und er atmete auf. Gott sei Dank war das gut gelaufen.
Pietro trat zu ihm und klatschte mit ihm ab. Er grinste über beide Ohren. „Oooh, der war gut!“
„Ja, aber das habe ich nur dir zu verdanken“, bekannte Alex. „Wenn du mich nicht in dieses pikante Geheimnis eingeweiht hättest …“ Ganz plötzlich fiel ihm wieder ein, dass sein Gast auf ihn wartete. „Mist! Mr. Hart!“ Er griff nach seinem Notizblock und eilte zur Küchentür.
Mr. Hart saß mit dem Rücken zu ihm und Alex nahm sich einen Moment Zeit, um ihn nachdenklich zu betrachten. Es ließ sich nicht leugnen, dass er ein ausgesprochen gut aussehender Mann war: breite Schultern, ein muskulös wirkender Rücken, kräftige Arme … Alex freute sich über die Gelegenheit, ihn unbemerkt zu beobachten. Vittorio hatte ziemlich richtig gelegen mit seiner Schätzung, wie oft Mr. Hart in letzter Zeit hier im Restaurant gegessen hatte. Und immer an einem von Alex‘ Tischen.
„Wenn Sie dann mal meine Bestellung aufnehmen könnten, Alex.“ Die tiefe Stimme klang amüsiert.
Alex fuhr zusammen. Erwischt. Hatte der Mann etwa Augen im Hinterkopf? Errötend trat er an den Tisch und schlug seinen Notizblock auf, den Stift zum Schreiben bereit. Er war sich bewusst, dass Mr. Hart ihn ansah, ihn wie üblich von Kopf bis Fuß musterte, aber nichts hätte ihn dazu bewegen können, diesem kühlen Blick zu begegnen.
„Was darf ich Ihnen heute Abend bringen, Mr. Hart?“ Alex war stolz darauf, dass seine Stimme nichts von der Nervosität verriet, die ihn immer plagte, wenn er dem Mann so nahe kam. Obwohl er ihn jedes Mal bediente, hatten sie bisher kaum miteinander gesprochen, abgesehen von gelegentlichen Bemerkungen über das Wetter oder Komplimenten über das Essen oder den Wein. Alex stand vor einem Rätsel – warum bestand Mr. Hart nur so beharrlich darauf, immer wieder zu ihm zu kommen? Ganz bestimmt nicht wegen seiner glänzenden Konversationskünste.
„Wie wär’s heute Abend mal mit ein bisschen was anderem? Was würden Sie empfehlen?“
Alex überlegte für einen Moment. Schließlich kannte er den Geschmack des Mannes inzwischen ziemlich genau. „Wenn Sie vielleicht unser neues Nudelgericht probieren möchten, Sir? Tortellini mit Salbei-Ricotta-Füllung?“
Mr. Hart schürzte nachdenklich seine fein gezeichneten Lippen, dann breitete sich ein Lächeln über sein Gesicht aus. „Das klingt köstlich, Alex“, sagte er anerkennend. „Und ein Glas Pinot Grigio Rosé dürfte sehr gut dazu passen.“
Alex nickte höflich und wandte sich zum Gehen, doch Mr. Hart streckte eine lange, schlanke Hand aus, um ihn zurückzuhalten. Alex verspannte sich, da ihn der Körperkontakt überraschte.
„Alex, Sie bedienen mich seit einem Monat. So langsam könnten wir den ‚Mr. Hart‘ doch mal hinter uns lassen, oder? Ich möchte, dass Sie mich Leo nennen, wenn Sie nichts dagegen haben.“
Alex erstarrte. Er wusste nicht genau, was er davon halten sollte. Dann überlegte er noch mal. Inzwischen fühlte er sich ganz wohl im Umgang mit Mr. Ha – Leo, korrigierte er sich – und obwohl er immer noch Blickkontakt vermied, war es in den letzten vier Monaten zunehmend leichter geworden, mit ihm zusammen zu sein. Ja, das würde er schaffen.
„Wie Sie wünschen … Leo“, sagte er. Die Tatsache, dass Leos Lächeln noch strahlender wurde, machte ihn absurd froh, eingewilligt zu haben.
„Danke, Alex. Das ist mein Ernst“, sagte Leo und Alex konnte ihm anhören, dass er es wirklich aufrichtig meinte.
Alex nickte, errötete und verschwand in Richtung Küche.
LEO GENOSS das letzte Stück der köstlichen Pasta. Ausgezeichnete Wahl; der Salbei und der Ricotta harmonierten perfekt miteinander. Er schloss die Augen und summte anerkennend.
„Freut mich zu sehen, dass dir gutes Essen immer noch schmeckt, Leo.“
Er öffnete die Augen und stellte fest, dass Sev ihn warmherzig musterte. Perfektes Timing. „Guten Abend, Sev.“ Er legte die Gabel hin und schob seinen Teller weg. „Du kommst mir gerade recht.“ Er blickte sich um und vergewisserte sich, dass Alex nirgendwo in Sicht war. „Hast du mal einen Moment Zeit? Ich muss nachher noch mal kurz in den Club, aber ich wollte erst mit dir reden.“
Sev nickte, zog sich einen Stuhl heran und setzte sich neben Leo. „Was kann ich für dich tun?“
„Ich brauche ein paar Informationen.“ Leo erklärte ihm rasch, worauf er aus war und noch wichtiger, warum.