Schuld - K.C. Wells - E-Book

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K.C. Wells

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Beschreibung

Das abrupte Ende einer zweijährigen Beziehung hat Mitch Jenkins den Boden unter den Füßen weggezogen. Selbst zwei Monate später leidet er immer noch. Der Versuch eines Kollegen, ihn aufzuheitern, führt Mitch in einen geheimen "Club". Mitch hat keinerlei Interesse an den Twinks, die herumstolzieren wie Pfauen. Doch dann entdeckt er ganz hinten im Raum einen jungen Mann mit einem Buch vor der Nase, der nichts von seiner Umgebung wahrzunehmen scheint. Jetzt ist Mitch interessiert.  Nikko Kurokawa will nur seine Schulden begleichen und dann nichts wie raus aus dem Black Lounge – wo er nicht nur zum Sex gezwungen wird, sondern manchmal auch Misshandlungen erdulden muss, um Kunden zufriedenzustellen. Sein Leben wird ein klein bisschen leichter, als er Mitch kennenlernt, der so ganz anders ist als die anderen Männer, die den Club besuchen. Und als Mitch ihm erst unter die Haut und dann in sein Herz kriecht, meint Nikko alles ertragen zu können. Schon bald wird er frei sein, und dann können er und Mitch zusammen herausfinden, ob es eine gemeinsame Zukunft für sie gibt.  Keiner von beiden rechnet mit denen, die Nikko nicht gehen lassen wollen …

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Seitenzahl: 463

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Schuld

 

Von K.C. Wells

 

Das abrupte Ende einer zweijährigen Beziehung hat Mitch Jenkins den Boden unter den Füßen weggezogen. Selbst zwei Monate später leidet er immer noch. Der Versuch eines Kollegen, ihn aufzuheitern, führt Mitch in einen geheimen „Club“. Mitch hat keinerlei Interesse an den Twinks, die herumstolzieren wie Pfauen. Doch dann entdeckt er ganz hinten im Raum einen jungen Mann mit einem Buch vor der Nase, der nichts von seiner Umgebung wahrzunehmen scheint. Jetzt ist Mitch interessiert.

Nikko Kurokawa will nur seine Schulden begleichen und dann nichts wie raus aus dem Black Lounge – wo er nicht nur zum Sex gezwungen wird, sondern manchmal auch Misshandlungen erdulden muss, um Kunden zufriedenzustellen. Sein Leben wird ein klein bisschen leichter, als er Mitch kennenlernt, der so ganz anders ist als die anderen Männer, die den Club besuchen. Und als Mitch ihm erst unter die Haut und dann in sein Herz kriecht, meint Nikko alles ertragen zu können. Schon bald wird er frei sein, und dann können er und Mitch zusammen herausfinden, ob es eine gemeinsame Zukunft für sie gibt.

Keiner von beiden rechnet mit denen, die Nikko nicht gehen lassen wollen …

Inhalt

Zusammenfassung

Danksagung

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Biographie

Von K.C. Wells

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Copyright

Danksagung

 

 

MEIN DANK gilt meinem wundervollen Betaleser-Team: Bev, Debra, Jason, Mardee, Michelle und Helena.

Und ein ganz besonderes Dankeschön an Andrew Q. Gordon für all seinen Rat und seine Hilfe.

1

 

 

MITCH JENKINS stöhnte auf und schmiss seinen Kugelschreiber hin. „Ist das zu fassen? Die müssen uns ja für Idioten halten.“ Er vergrub das Gesicht in den Händen und schloss die Augen, als könnte er damit Bronwen Dempseys erbärmliches Machwerk von einem Aufsatz spurlos verschwinden lassen. Pech gehabt – die Arbeit lag immer noch da, als er wieder auf seinen Schreibtisch schielte.

Angela Frampton lachte leise und blickte von den Arbeiten auf, die sie gerade benotete. „Was haben die lieben Kleinen denn jetzt schon wieder angestellt?“ Sie legte ihren Kuli weg und streckte sich. „Na, komm schon, erzähl. Ich könnte einen Lacher gebrauchen.“ Sie deutete auf die säuberlich gestapelten Blätter auf ihrem Schreibtisch. „Alles, damit ich nicht noch eine Hausarbeit lesen muss, die mir beweist, dass meine Schüler mir nie zuhören.“ Angela legte den Kopf schief. „Also los, raus damit.“ Sie begann ihre Stifte wegzupacken.

„Ich habe meinen Zehntklässlern als Hausarbeit einen Aufsatz über Herr der Fliegen aufgegeben“, begann Mitch, lehnte sich zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. „Bisher habe ich mindestens zehn, wenn nicht sogar zwölf Schüler gezählt, die alle die verdammten CliffsNotes zur ‚Literaturrecherche‘ benutzt haben.“ Er malte mit den Fingern Anführungszeichen in die Luft und schnaubte: „Ja, klar. Ihre gesamte Recherche beschränkt sich darauf, die Anmerkungen wortwörtlich abzuschreiben oder ganze Absätze aus dem Internet zu kopieren. Ich wette, die halten sich alle für so clever, so originell. Denken die etwa, ich merke das nicht? Oh, natürlich nicht, wie konnte ich das vergessen – ich bin ja bloß so ein bescheuerter Trottel von Englischlehrer mit einem Abschluss in englischer Literatur und hab‘ selbstverständlich nicht genug Hirn, um mitzukriegen, dass ich praktisch ein und denselben Aufsatz wieder und wieder lese.“ Er schüttelte den Kopf. „Und das sind dann dieselben Gören, die nach Hause rennen zu Mommy und Daddy und sich beschweren, dass ich ja so unfair und streng bin, wenn ich ihnen ein F gebe. Ist es denn falsch von mir, zu erwarten, dass in einem Aufsatz wenigstens ein eigener Gedanke drin steht?“ Mitch seufzte, stieß seine ganze Anspannung mit einem einzigen langen Atemzug aus. „Wie lange soll das denn noch so weitergehen?“ Es war eine lange, beschissene Woche gewesen.

Angela stand auf und trat hinter seinen Stuhl, legte ihm die Hände auf die Schultern und massierte die verspannten Muskeln. Sie beugte sich zu ihm herab und sagte leise neben seinem Ohr: „Nur noch drei Wochen, Mitch, dann sind Sommerferien und du kannst dem allem hier erst mal adios sagen. Komm schon, ich weiß, die letzten zwei Monate waren hart, aber du hast es bald geschafft.“ Sie drückte ihm die Daumen links und rechts neben der Wirbelsäule ins Fleisch und begann, kräftig zu kneten.

Mitch stöhnte auf und beugte sich vor, sodass sie mehr Platz hatte. „Verdammt, kannst du das gut. Du würdest eine fabelhafte Masseuse abgeben, weißt du das?“ Er ächzte, als sie noch fester zudrückte, als ihre geschickten Finger die Knoten in seinem Nacken und zwischen seinen Schulterblättern fanden. Er stieß ein tiefes, lustvolles Stöhnen aus, so gut fühlte sich das an. Keine Frage, dafür lohnte es sich sogar, abends länger zu bleiben und weiter zu arbeiten, nachdem alle anderen schon gegangen waren. Bis auf ihn und Angela war das Lehrerzimmer verlassen. Und er kam heute auch nicht zum ersten Mal in den Genuss ihrer magischen Finger. Das war freitags abends inzwischen fast schon Routine bei ihnen.

Angela kicherte. „Könntest du bitte nicht solche Töne von dir geben, Mitch? Falls irgendwer draußen im Flur vorbeiläuft, denkt er sonst womöglich, dass hier drin irgendwas furchtbar Schmutziges abgeht.“

„Na und?“, murrte er. „Die Schüler sind alle weg, denn wer würde schon an einem Freitagnachmittag nach vier noch in der Schule rumhängen?“ Er lachte laut auf. „Oh ja, das hätte ich ja fast vergessen – die armen Lehrer, die ihren abgekupferten Scheiß benoten müssen.“ Mitch gluckste in sich hinein. „Und falls da draußen irgendwelche Perversen rumschleichen und an Türen lauschen – die können mich mal. Sollen sie doch denken, was sie wollen.“

„Oh, du schlechter Mensch“, lachte Angela. „Du ruinierst mir noch meinen guten Ruf.“

„Herzchen, dein guter Ruf ist nicht in Gefahr, das darfst du mir glauben.“ Er machte zwar keinen großen Wirbel um seine Homosexualität, ging aber ganz offen damit um. Außerdem war Angela ein echter Schatz. Sie und Mitch bereiteten sich oft gemeinsam auf den Unterricht vor oder gingen in der Mittagspause zusammen Kaffee trinken. „Und eines Tages wirst du mit diesen Fingern einen Mann sehr, sehr glücklich machen.“ Angela prustete los und Mitch kicherte. „Okay, das hat sich selbst für meine Ohren schmutzig angehört. Ich glaube, wir machen besser Feierabend.“

„Aber, aber, Mr. Jenkins, Miss Frampton, was machen Sie denn da?“ Ein theatralisches Luftschnappen begleitete die Worte.

Genau zur rechten Zeit. „Hey, Aaron, bist du soweit? Können wir gehen?“ Angela zog hastig ihre Hände weg. Mitch hielt eine davon fest und tätschelte sie, blickte auf in ihr süßes Gesicht. „Ich danke dir“, sagte er aufrichtig und küsste ihre Fingerspitzen. „Die hier sind wundervoll.“

Angela errötete vom Kragen ihrer Bluse bis zu den Wurzeln ihrer goldbraunen Haare und machte sich von ihm los. „Ach, sei doch still, du. Schönes Wochenende, Mitch.“ Sie warf einen Blick über seinen Kopf und nickte leicht. „Aaron.“ Dann raffte sie ihre Handtasche auf und flüchtete, immer noch mit hochrotem Kopf, aus dem Lehrerzimmer.

Aaron Weldon ließ sich auf den Stuhl gegenüber von Mitch plumpsen. „Ich kapier’s einfach nicht. Was hast du, was ich nicht habe?“

Mitch zog die Augenbrauen hoch. „Wie bitte?“ Er streckte sich und ließ seine Wirbelsäule knacken.

Aaron deutete mit weit ausholender Geste auf die geschlossene Tür. „Du kriegst eine Massage, Gekicher, ein ‚schönes Wochenende, Mitch‘“, äffte er nach. „Und was krieg‘ ich? Ein flüchtiges Nicken und meinen Namen.“ Er stieß einen übertriebenen Seufzer aus. „Und das Schlimmste daran? Sie weiß, dass wir beide schwul sind.“

„Gott, du redest einen Haufen Scheiße“, murrte Mitch und stand auf, um seine Jacke zu holen. Er wollte nur noch raus hier.

„Aber klar doch.“ Aaron lächelte wissend. „Du hast diese Sache mit dem Liebeskummer am Laufen. Frauen haben eine Schwäche für Typen mit gebrochenem Herzen.“ Kaum hatte er es ausgesprochen, erstarrte er. „Oh. Stimmt ja. Tut mir leid, Mitch, das war nicht so –“

„Geschenkt“, sagte Mitch steif. Er wollte nicht an Jerry denken. Zwei Monate waren vergangen, doch der Schmerz war immer noch frisch, immer noch nicht überwunden.

Aaron seufzte. „Ich wollte auf dem Nachhauseweg mit dir reden. Eigentlich wollte ich nur wissen, ob wir heute Abend mal zusammen weggehen wollen?“

Mitch warf einen Blick auf den Stapel Aufsätze. Er würde den Großteil des Samstags damit verbringen, die zu benoten.

Das machte ihm die Entscheidung um einiges leichter.

„Klar. Was schwebt dir denn so vor? Und sag‘ nicht, dass du dich mit irgendwelchen Typen treffen willst, die du auf Grindr kennengelernt hast. In dem Fall überlege ich es mir nämlich anders.“

Aaron zog ein Gesicht. „Was hast du bloß gegen Grindr?“

Draußen im Flur klappte geräuschvoll eine Tür zu.

„Nicht hier“, sagte Mitch eilig. „Man weiß nie, wer sich hier so alles rumtreibt. Wir können uns in der Bahn unterhalten.“ Wenn er auch nicht besonders scharf auf dieses Gespräch war.

Aaron nickte, stand auf und schnappte sich seinen Rucksack. „Also dann, machen wir, dass wir hier rauskommen.“

Als sie den stillen Flur entlang auf den Ausgang zugingen, winkte Bertha, eine der Hausmeisterinnen, ihnen einen fröhlichen Gruß zu. „Schönen Tag noch, Leute.“

Mitch grinste. „Gleichfalls, Bertha. Und danke für die Bücher, die Sie mir heute Morgen auf den Schreibtisch gelegt haben. Bücher sind immer willkommen.“ Sie waren direkt auf das Regal mit den Taschenbüchern zum Ausleihen für die Schüler in seinem Klassenzimmer gekommen.

Bertha winkte ab. „Pfft. Sie ha’m mir ’n Gefallen getan. Jetzt, wo der Große bald aufs College geht, räumt er sein Zimmer aus. Wegschmeißen wollte er die!“ Sie schüttelte den Kopf. „Diese Kids. Wissen nix mehr zu schätzen. Ich hab‘ mir gedacht, Sie könn‘ vielleicht was damit anfangen.“ Sie strahlte ihn an. „Er sagt immer noch, dass Sie einer von den besten Lehrern hier sind. Und er hat in Atlanta ’n paar echt gute Lehrer gehabt, also will das was heißen.“

Verdammt. Mitch war zu alt, um wegen eines Kompliments zu erröten, doch seine Wangen wurden trotzdem heiß. „Ihr Tony war ein netter Junge und hat sehr gern gelernt. Solche Kinder zu unterrichten, ist eine Freude.“ Er lächelte ihr ein letztes Mal zu, ehe Aaron und er sich zum Gehen wandten. „Und überlegen Sie sich schon mal, was Sie mit dem Zimmer machen wollen, wenn er weg ist. Viel Spaß dabei.“

Bertha stieß einen Freudenruf aus. „Sie sind vielleicht ’n Herzchen – das weiß ich doch schon längst. Das wird mein neues Nähzimmer. Wissen Sie eigentlich, wie lang ich mir schon eins wünsche?“ Sie lächelte breit. „Sobald Tony raus ist, kommt da meine Nähmaschine rein, Baby.“

Mitch konnte sie immer noch vor sich hin lachen hören, als er mit Aaron die Steintreppe vor dem Hauptgebäude hinunterging. Sie eilten die 77. Straße entlang, um die U-Bahn noch zu erwischen. Die Upper East Side machte sich für die Rush Hour bereit; schon jetzt wurde der Verkehr immer dichter und lauter. Mitch schlang sich seine Jacke über die Schulter und genoss die Wärme der Spätnachmittagssonne. Anfang Juni war das Wetter in New York einfach herrlich, und heute lagen die Temperaturen sicher deutlich über zwanzig Grad. Ideal, was Mitch anging.

„Ich kann mich an Tony Blasco erinnern“, bemerkte Aaron. „Netter Junge.“

Mitch schnaubte. „Und stockschwul.“ Er schob sich seinen Rucksack bequemer zurecht. „Die Sportlertypen haben ihn ganz schön zur Sau gemacht, als er in der Zehnten war und der Theatergruppe beigetreten ist.“

„Was – du hältst ihn für schwul, nur weil er künstlerisch interessiert war?“ Aaron verdrehte die Augen. „Das ist doch das pure Klischeedenken, Mensch.“

Mitch lachte in sich hinein. „Nein, ich halte ihn für schwul, weil ich ihn in seinem Abschlussjahr mal an einem Wochenende mit Sammy Williams im Central Park gesehen habe. Sie saßen auf einer Parkbank und haben sich die größte Mühe gegeben, so zu tun, als würden sie nicht Händchen halten.“ Bei der Erinnerung musste er lächeln. „Junge Liebe, hm?“

„Was meinst du, ob seine Mutter weiß, dass er schwul ist?“

„Da müsste ich raten. Ist nicht meine Sache“, entgegnete Mitch achselzuckend. „Ich kann nur hoffen, dass sie zu den Eltern gehört, die ihre Kinder ungeachtet ihrer sexuellen Orientierung unterstützen. Von der anderen Sorte haben wir in diesem Land weiß Gott genug.“ Ihm kam jedes Mal die Galle hoch bei dem Gedanken, dass manche Eltern ihre Kinder einfach im Stich lassen konnten, nur weil sie LGBT waren. Doch er schob seine aufkeimende Wut beiseite. Er hatte mit seiner Familie verdammt großes Glück gehabt. „Reden wir lieber über deine Pläne für heute Abend.“

„Da wäre diese Bar, in die ich dich gern mal mitnehmen würde“, sagte Aaron, während sie in die Unterwelt der Stadt hinabstiegen und durch das Drehkreuz auf den U-Bahnsteig traten. „Naja, so was wie ein Club ist der Laden auch.“

Mitch stöhnte auf. „Bitte, nicht schon wieder ein Striplokal. Das letzte war echt peinlich.“

„Was hat dir denn dort nicht gepasst?“ Aaron klang entrüstet.

Mitch neigte sich zu ihm und senkte die Stimme. „Das waren doch angeblich Stripper, oder? Tut mir leid, aber wenn einer im ärmellosen Hemd dasteht und ein bisschen am Saum rumspielt, stufe ich das nicht als Strippen ein.“ Er seufzte. „Also, in Atlanta, da gibt’s gute Strip-Clubs. Vor allem kriegst du da das ganze Gehänge zu sehen, nicht wie hier in dieser puritanischen Stadt.“

Aaron hustete. „New York – puritanisch? Verdammt, man kann dem Big Apple ja viel nachsagen, aber das nun nicht.“ Er grinste. „New York City ist das schwule Mekka.“

Mitch zog die Augenbrauen hoch. „Na, dein schwules Mekka hat aber schon ziemlich strenge Vorschriften, was Sex betrifft.“

Die Bahn kam, und sie stiegen schnell ein. Aaron ließ sich auf einen von zwei freien Sitzen in der Nähe der Tür plumpsen, und Mitch setzte sich neben ihn, seinen Rucksack auf dem Schoß.

Er stieß einen tiefen Seufzer aus. „Okay – dann erzähl mir mal von diesem Club.“

„Er liegt an der 38. Straße zwischen Achter und Neunter Avenue und nennt sich ‚Black Lounge‘. Ist mehr so eine Art Bar-Restaurant, hat aber drei Stockwerke. Der zweite Stock ist ruhiger, mit Ledersofas, leiser Musik – du weißt schon, mehr zum Reden und so. Und dann gibt’s noch den dritten Stock, und da wird getanzt.“

„Ein Schwulen-Restaurant?“ Mitch konnte kaum glauben, dass es im Garment District so was geben sollte, obwohl er nur selten weiter weg von seinem eigenen Terrain zwischen 4. und Perry Street essen ging. Er kannte die Gegend; die Szene dort war jung und schwul, der Standort ideal für einen Club.

Aaron zuckte die Achseln. „Das Restaurant interessiert mich eigentlich weniger, um ehrlich zu sein. Ich gehe meistens gleich die Treppe rauf in den zweiten oder dritten Stock. In jedem gibt’s eine eigene Bar, und die Musik ist nicht schlecht.“

„Wie ist der Dresscode? Leger oder eher schick?“

„Schick, auf jeden Fall. Das ist ein ziemlich nobler Laden.“ Aaron maß Mitch mit scharfem Blick. „Also … willst du immer noch heute Abend mit mir dort hingehen?“

So, wie Mitch momentan drauf war, hätte er allem zugestimmt. „Klar. Wir treffen uns vor dem Eingang. Um wie viel Uhr?“

„Ich dachte, so gegen neun, zehn.“

Das passte Mitch gut. Er lehnte den Kopf ans Fenster und schloss die Augen. Sein letzter Besuch in einem Club lag schon eine ganze Weile zurück; Jerrys Auszug war ein echter Tritt in die Eier gewesen. Er hatte sich erst wieder ans Ausgehen gewagt, als er es allmählich satthatte, sich immer nur selber einen runterzuholen. Allerdings hatte er nicht damit gerechnet, dass ihm seine eigenen Komplexe beim Amüsieren in die Quere kommen würden.

„Bist du okay, Mitch?“

Er machte ein Auge auf und schielte zu Aaron. „Ja. Warum fragst du?“

Aaron starrte ihn an. „Warum ich frage? Ist das dein Ernst? Du bist total zickig und nur noch mies drauf, seit … du weißt schon.“

Scheiße. „So schlimm?“

Aaron schnaubte. „Was meinst du, warum ich heute Abend mit dir ausgehen will? Ich hab‘ mir gedacht, du brauchst dringend mal wieder ein bisschen Spaß. Du weißt schon, Musik, scharfe Typen … Wer weiß, vielleicht hast du ja Glück und wirst flachgelegt.“

Mitch hätte ihm sagen können, dass es dazu bestimmt nicht kommen würde, aber er wollte kein Spielverderber sein. Aaron hatte das Herz auf dem rechten Fleck, das wusste Mitch, und er sah seinen Kollegen voll Zuneigung an. „Danke. Das ist wirklich nett von dir. Und es tut mir leid, dass ich die letzten paar Monate den Arsch nicht hochgekriegt habe. Sitzengelassen zu werden hat mir anscheinend echt den Wind aus den Segeln genommen.“

„Ich hab‘ dich nicht danach gefragt, weil ich nicht wusste, ob du drüber reden willst.“

„Naja, wenn du mir heute Abend ein paar Drinks einflößt, schütte ich dir wahrscheinlich mein Herz aus“, bekannte Mitch. Nicht, dass er wirklich drüber reden wollte, aber das war er Aaron schuldig.

An der nächsten Haltestelle trennten sich ihre Wege, und Mitch versprach Aaron, ihn anzurufen, falls er es sich anders überlegen sollte. Was er für unwahrscheinlich hielt. Ein Abend mit Alkohol und der Aussicht auf hübsche Jungs war eindeutig eine Verbesserung. Er stieg um und fuhr weiter zur 10. Straße West. Er hatte noch Zeit, einen Bissen zu essen und vielleicht sogar für ein Nickerchen, ehe er unter die Dusche ging und die Bahn zur 34. Straße nahm. An einem so schönen Abend machte es ihm nichts aus, die restlichen vier Blocks zu laufen.

Aaron hatte recht. Mitch musste dringend mal wieder ausgehen. Alles, um der quälenden inneren Stimme zu entkommen, die ihm ständig sagte, dass es seine Schuld war, dass Jerry ihn verlassen hatte.

 

 

DAS BLACK Lounge war eindeutig ein Club der gehobenen Kategorie und brechend voll. Mitch blickte sich unter den anderen Gästen um und fühlte sich schäbig. Er hatte noch nie so viele elegant gekleidete Männer auf einem Fleck gesehen. Die Bar war ein Meer von Hugo Boss, Gucci und Ferragamo. Die Hintergrundmusik war leise und unaufdringlich, und auf dem Tresen reihten sich Gläser mit Cocktails und Weißwein aneinander. Es gab kleine Tische mit zwei bis drei Stühlen, und soweit Mitch bisher sagen konnte, mindestens vier Sofas. Von oben kam das Pulsieren von Tanzmusik.

„Als du nobel gesagt hast, wolltest du mich nicht auf den Arm nehmen“, raunte er Aaron zu, während sie an der Bar warteten. „Ich guck‘ hier schon dauernd über die Schulter, ob nicht der Türsteher kommt und mich rauskomplimentiert, weil ich nicht angemessen gekleidet bin.“

Aarons gackerndes Lachen war eine Spur zu laut. Köpfe drehten sich in ihre Richtung, ehe Gespräche wieder aufgenommen wurden. „Mitch, du siehst gut aus. Hör auf, dir Sorgen zu machen.“

Mitch warf einen Blick auf sein schwarzes Hemd. Die beiden obersten Knöpfe waren offen und gaben den Blick auf sein schwarzes Brusthaar frei. Er trug schwarze Jeans, die monatelang unangetastet in seiner Schublade gelegen hatten – sogar die Preisschilder waren noch dran gewesen – und seine Stiefel waren auf Hochglanz poliert. Kein Schmuck, abgesehen von seiner wuchtigen Armbanduhr, einem silbernen Daumenring und dem einzelnen Diamanten in seinem Ohrläppchen.

Vielleicht hätte eine Krawatte was gebracht?

Der Barkeeper stellte ihm ein Bier hin, und er trank aus Nervosität das halbe Glas auf einen Zug aus. „Ich fühl‘ mich ein bisschen underdressed, um ehrlich zu sein.“

Aaron kicherte. „Hörst du wohl auf, dir Stress zu machen? Ich wiederhole: Du siehst gut aus. Und jetzt trink‘ das aus, damit ich dir noch was bestellen kann. Vielleicht was mit mehr Stil, einen Cocktail zum Beispiel.“ Er zwinkerte und nippte an seinem Manhattan.

Mitch unterdrückte ein Stöhnen. „Siehst du? Sogar mein Lieblingsgetränk ist hier fehl am Platz.“ Er heftete den Blick auf die Tische und Sofas, beeindruckt von den vielen Männern in allen Formen und Größen. Herrgott, einige davon sahen verdammt gut aus, und keiner war schlecht gekleidet. Manche von den Anzügen hatten schätzungsweise so viel gekostet, wie Mitch in einem Monat verdiente.

Aaron hingegen wirkte völlig entspannt, als wäre er jeden Abend hier in dieser Bar.

Wenn ich es mir recht überlege …

„Wie oft kommst du eigentlich hier her?“, fragte Mitch.

Aarons Gesicht rötete sich. „Oh, ich war erst ein paar Mal hier.“ Er trank einen großen Schluck von seinem Cocktail und richtete den Blick in die Ferne, wie um seine Umgebung zu studieren. Mitch sah ihn unverwandt an, doch Aaron wich erfolgreich jedem Blickkontakt mit ihm aus.

Okay, das ist merkwürdig.

Mitch schnaubte und wandte sich wieder seinem Bier zu. Dabei ließ er die Szenerie auf sich wirken. Sein erster Eindruck von vorhin erwies sich als völlig richtig – die Typen hier waren umwerfend. Besonders einer davon zog seinen Blick wie magisch an, ein hochgewachsener Adonis von einem Mann, der alleine an der Bar saß und einen Cocktail schlürfte. Hin und wieder warf er einen Blick in Mitchs Richtung und lächelte. Mitch gab sich alle Mühe, ihn nicht anzustarren, doch Mr. Groß, Dunkelhaarig und Sexy war einfach ein Blickfang. Als er seine Körperhaltung änderte und damit Mitchs Aufmerksamkeit auf seine Leistengegend lenkte – verdammt, wie zum Teufel konnte ich das übersehen? – zeichnete sich selbst aus der Ferne ab, dass der Typ ausgesprochen gut bestückt war.

Die Aufdringlichkeit und das Berechnende seines Benehmens reichten, um Mitch Eiswasser in den Schoß zu kippen.

Ah-ah, das zieht nicht bei mir.

Aaron gab ihm einen Stups gegen den Arm. „Du hast Geschmack“, murmelte er. „Warum gehst du nicht rüber und sagst hi?“

„Weil so was nichts für mich ist“, gab Mitch im Flüsterton zurück.

Aaron sah ihn erstaunt an. „Könntest du mir das mal erklären?“, fragte er süffisant. „Denn soweit ich mich erinnern kann, bist du seit zwei Monaten Single und der Typ da ist verdammt noch mal hinreißend.“ Er zog die Augenbrauen hoch. „Willst du mir etwa weismachen, dass du seit zwei Monaten nicht mehr gepoppt hast?“

Mitch tat sein Bestes, um gleichmäßig zu atmen. „Sieh mal, du gehst vielleicht gern auf Grindr oder Scruff oder was auch immer und suchst dir dort irgendwelche Typen nach ihrem Aussehen oder nach der Beschreibung in ihrem Profil aus, wenn du Sex haben willst, aber ich nicht, okay?“ Er wusste alles über Aarons Sexleben. Sein Kollege war weder schüchtern noch zurückhaltend, und Mitch bekam immer alle schmutzigen Details seiner sämtlichen sexuellen Eskapaden zu hören – ob er wollte oder nicht.

Aaron verdrehte die Augen. „Herrje, schon wieder Grindr? Mündige Erwachsene, richtig?“

Mitch trank sein halbes Glas leer, ehe er sich Aaron wieder zuwandte. „Ich hab‘ die App auch schon ausprobiert, okay? Vor ungefähr einem Monat hatte ich ein paar One-Night-Stands, aber offen gesagt bin ich von der ganzen Sache nicht sonderlich begeistert. Mir ist unwohl dabei, zu irgendwelchen Typen nach Hause zu gehen, und wenn die stattdessen zu mir kommen wollen? Vergiss es.“

„Klingt, als hättest du Probleme“, bemerkte Aaron.

„Da hast du verdammt recht!“

Mitchs Antwort kam lauter als beabsichtigt. Ihm stieg die Hitze in die Wangen, als er befremdete Blicke auf sich gerichtet fühlte. Doch Aaron sagte nichts.

Mitch atmete zur Beruhigung einmal tief durch. „Ich fühle mich einfach wohler in Situationen, die ich unter Kontrolle habe. Affären, One-Night-Stands, nenn‘ es, wie du willst – da gibt es zu viele Unbekannte für meinen Geschmack, vor allem heutzutage.“

„Als da wären?“

„Nun ja, Krankheiten, zum einen. Du weißt rein gar nichts über den Typen, den du fickst, oder von dem du dich ficken lässt. Außerdem laufen da draußen ein paar echte Verrückte rum. Am meisten graut mir vor diesem Mangel an Kontrolle, nehme ich an.“ Er trank sein Bier vollends aus und sah Aaron in die Augen. „Nicht zu fassen, dass ich dir das sage, aber … Ich hab‘ schon mal daran gedacht, eine Website wie RentMen.com zu nutzen.“ Er hatte mehr getan, als nur daran zu denken, aber das brauchte Aaron nicht zu wissen.

Aaron runzelte die Stirn. „Warum die und nicht Grindr?“

„Wirkt ganz koscher, und die Typen sind anscheinend alle überprüft.“

Aaron sah ihn schweigend an. Nach einer Weile stellte er sein Cocktailglas ab und rückte auf seinem Barhocker näher heran. „Okay, ich weiß, RentMen hat einen guten Ruf, aber sonst hast du da anscheinend was missverstanden. Jeder kann dort inserieren. Du weißt trotzdem nie, was du kriegst. Die Betreiberfirma stellt nur die Website zur Verfügung.“ Er legte den Kopf schief. „Was wäre, wenn …?“ Aaron griff nach seinem Manhattan, nahm einen tiefen Zug und verzog beim Schlucken das Gesicht.

Aus irgendeinem unerfindlichen Grund bekam Mitch eine Gänsehaut. Er sah Aaron wortlos an. Aaron musterte ihn eingehend, und Mitch fragte sich, was zum Teufel hier vor sich ging.

Als er das Schweigen nicht mehr ertragen konnte, riss er ungeduldig die Hände hoch. „Du treibst mich hier noch zum Wahnsinn. Spuck’s schon aus, Aaron, was auch immer es ist.“

„Korrigiere mich, falls ich falsch liege“, begann Aaron betont langsam und deutlich. „Du willst Sex, willst aber dafür keinen Fremden, über den du nichts weißt, mit zu dir nach Hause nehmen müssen. Noch mehr widerstrebt es dir, zu jemandem mit nach Hause zu gehen.“

„Dabei fühle ich mich einfach nicht … sicher“, bekannte Mitch. Er wusste, dass das ein Komplex war, doch der erwies sich als schwer zu überwinden. Unter den Umständen komme ich nie wieder zum Bumsen. Alternativ konnte er sich auf die langwierige Suche nach einem festen Partner machen, aber Herrgott, manchmal brauchte er eben einfach nichts weiter als einen schönen, geilen Fick.

„Also, was wäre, wenn ich dir von einem Club erzählen würde, dem ich kürzlich beigetreten bin?“ Aarons Blick wich nicht von Mitchs Gesicht.

Die Gänsehaut war wieder da, und wie.

„Was denn für ein Club?“ Mitch wusste, dass er zurückhaltend klang, aber er konnte nicht anders.

Aaron kam ihm noch näher und raunte mit kaum hörbarer Stimme: „Ein geheimer Club, der jede nur denkbare Art von Mann bereithält. Typen, die gründlich überprüft sind. Mit denen du in einer sicheren, kontrollierten Umgebung zusammen sein kannst. Wäre das von Interesse für dich?“

Mitch grinste. „Jesus, Aaron, was du da beschreibst, hört sich ja an wie ein Bordell.“

Aarons Augen weiteten sich. „Psst, nicht so laut.“ Er sah sich um und biss sich auf die Lippen.

Scheiße. „Oh mein Gott, es ist eins.“ Mitch riss den Mund auf vor Staunen. „Du redest von einem gottverdammten Puff.“

Aaron richtete sich auf. „Ich rede von einem Club, in den du nur als Mitglied oder als Gast eines Mitglieds reinkommst. Und die führen dort eine Hintergrundüberprüfung durch, ehe sie dich als Mitglied akzeptieren. Die machen keine Werbung, es läuft alles nur über Mundpropaganda. Alles, was der Kunde will, kriegt er auch – und ich meine wirklich alles. Du zahlst stundenweise, und du kriegst die Ware vor dem Kauf zu sehen, wenn du verstehst, was ich meine. Die Typen sind gepflegt, getestet, überprüft, was auch immer du willst. Wenn du Mitglied wirst, musst du einen Vertrag unterschreiben, mit dem du dich verpflichtest, niemandem irgendwelche Einzelheiten über den Club zu verraten.“

„Was, solche wie du mir gerade verrätst?“ Mitch zog die Augenbrauen hoch.

„Dir vertraue ich. Und wenn ich dich dorthin mitnehme, musst du denselben Vertrag unterschreiben, okay?“

Mitch holte tief Luft. „Das ist dein Ernst, oder?“

Aaron nickte. „Warum kommst du nicht mit und schaust, was du davon hältst? Und falls dir einer ins Auge sticht, gehört er für zwei Stunden dir. Geht auf mich.“ Er hob die Hände. „Kein Zwang, Mitch. Wenn’s dir nicht gefällt, gehen wir wieder. Und ich rede nie wieder davon.“ Ein schwaches Lächeln spielte um seine Lippen. „Aber wenn du einen entdeckst, der dich so richtig anmacht …“

„Das hört sich nach einem sehr teuren Geschenk an, Aaron.“ Mitch wusste, was die Typen auf RentMen.com pro Stunde verlangten, und was Aaron da beschrieb, klang nicht billig. „Warum willst du das für mich tun?“

Aaron schnaubte. „Sieh mal, wir kommen ja gut miteinander aus, aber ich mach‘ ganz bestimmt nicht solche Summen locker, nur damit du mal wieder zum Poppen kommst. Du kannst das eher als eine Art Bonuspunkte sehen, die ich sammle. Ich hab‘ zwar keinen Schimmer, was da mit Jerry genau gelaufen ist, aber du hast offensichtlich ganz schön was durchgemacht. Du brauchst das.“ Er lehnte sich zurück und trank sein Glas leer. „Also?“

Mitch überlegte hastig. Ein Blick konnte nicht schaden. Er würde sich einen Eindruck von diesem Club verschaffen und dann nach seinem Bauchgefühl entscheiden. Und natürlich lockte die Aussicht auf eine heiße Nummer. Er hatte weiß Gott genug davon, seine Faust zu ficken.

„Okay, ich bin dabei“, sagte er rasch. „Wo ist dieser Club?“ Er griff nach seiner Jacke, die auf dem Barhocker neben ihm lag, und stand auf.

Aaron hob einfach nur kurz den Blick zur Decke, dann sah er Mitch wieder in die Augen.

Da oben?

2

 

 

„DU MACHST Witze.“ Wer auch immer den Club entworfen hatte, musste Nerven haben, über die Mitch nur staunen konnte. Er wäre nie auf die Idee gekommen, ausgerechnet hier nach einem Bordell zu suchen. Kein Wunder, dass die Betreiber es geheim halten wollten.

Aaron schüttelte den Kopf „Bisher hat niemand unten auf Straßenhöhe eine Ahnung von der Existenz des Clubs, und so soll es auch bleiben.“ Er führte Mitch aus der Bar und wieder zu der Treppe, über die sie heraufgekommen waren. Die Tanzfläche im dritten Stock war gerammelt voll mit mehr oder weniger bekleideten Männern; manche trugen gerade mal knappe Shorts. Aaron bahnte sich einen Weg durch die Menge in den hinteren Teil des Clubs, wo ein stiernackiger, ganz in schwarz gekleideter Gorilla von einem Kerl auf einem Hocker saß und scheinbar das Gehüpfe auf der Tanzfläche überwachte. Hinter ihm öffnete sich ein enger Flur mit schwarzen Wänden.

Sein Blick huschte über Aaron und Mitch, als sie sich ihm näherten. Er nickte Aaron zu. „Mr. Weldon.“ Dunkle Augen musterten Mitch ohne eine Spur von Emotion und richteten sich dann wieder auf Aaron. „Haben Sie Ihren Ausweis?“

Aaron nickte. „Er ist mein Gast“, sagte Aaron, eine Hand auf Mitchs Rücken. „Ich kann für ihn bürgen.“

Der starre Blick des Mannes konnte einen nervös machen. „Das freut mich, aber ich muss trotzdem irgendeine Art von Ausweis sehen, ehe er irgendwo hingeht“, bemerkte er trocken.

Mitch befolgte den Hinweis und reichte dem Türsteher seinen Führerschein. Nach eingehender Prüfung bekam er ihn wieder zurück. „Des füllt dann hinten den Papierkram aus.“ Der Türsteher nickte mit dem Kopf in Richtung Flur. „Sie können durchgehen.“

Während er hinter Aaron den dunklen Gang entlangging, zitierte Mitch spöttisch: „‚Oh, ich war erst ein paar Mal hier‘, was? Ja, klar. Wenn der Türsteher in einem Sexclub dich mit Namen kennt? Ich sag’s dir ja nur ungern, Aaron, aber du bist so was von aufgeflogen.“

Aaron murmelte etwas vor sich hin, von wegen, das sei das letzte Mal gewesen, dass er Mitch einen Gefallen getan habe. Er verstummte, als sie an eine Tür kamen, neben der ein weiterer Türsteher an der Wand lehnte. Bei ihrem Anblick richtete der schwergewichtige Wächter sich auf und untersuchte die Karte, die Aaron hochhielt. Dann musterte er Mitch.

„Ausweis“, verlangte er schroff. Mitch wartete, während der Wächter seinen Führerschein inspizierte. Der Mann nahm ein Klemmbrett von einem Haken an der Wand. „Das hier müssen Sie unterschreiben, ehe ich Sie reinlassen kann. Ihren Ausweis können Sie sich dann beim Rausgehen abholen.“

Mitch nickte. Auf dem Klemmbrett fand er eine Geheimhaltungsvereinbarung, die in groben Zügen Mitchs Anerkennung der Regeln umriss. Er las das Formular durch und unterschrieb. Ganz offensichtlich war Sicherheit von erheblicher Bedeutung. Mitch gab das Klemmbrett zurück und wartete, während er gründlich gemustert wurde.

„Okay, Mr. Jenkins. Sie kennen die Regeln?“

„Ich darf niemandem die Existenz dieses Clubs preisgeben“, bestätigte Mitch.

Der Wächter nickte. „Das gilt auch für den Standort des Clubs sowie für alles, was Sie hier sehen – oder wen Sie hier sehen. Unsere Mitglieder legen großen Wert auf ihre Privatsphäre, wie Sie sich wohl denken können. Keine Fotos, keine Tonaufnahmen. Wir behalten uns das Recht vor, Ihr Handy zu kontrollieren, ehe Sie gehen.“

„Verstanden.“

Der Türsteher schrieb Mitchs Namen auf eine Karte und gab sie ihm. „Die ist für heute Abend. Damit bestätigen Sie, dass Sie auf die Regeln hingewiesen wurden und die Einverständniserklärung unterschrieben haben. Sobald Sie oben sind, wird jemand Sie rumführen und Ihnen die Räumlichkeiten zeigen. Sollten Sie den Club erneut zu besuchen wünschen, müssen Sie eine Mitgliedschaft erwerben. Die Optionen werden Ihnen dann entsprechend unterbreitet.“ Der Wächter starrte Mitch an, ohne zu blinzeln. „Seien Sie sich darüber im Klaren, dass der Club im Falle eines Vertragsbruchs rechtliche Schritte gegen Sie einleiten wird.“

Darüber hatte er bereits nachgedacht. „Was genau kann der Club tun, falls ich – “

„Lass mal“, mischte Aaron sich ein. „Im Ernst. Spiel lieber nicht den Klugscheißer.“ Die Augen des Wächters traten hervor, und seine Kiefermuskeln verkrampften sich.

Nachdem Mitch sich höflich bei ihm bedankt hatte, klopfte der Wächter an die Tür. Sie öffnete sich, und Mitch folgte Aaron an einem weiteren Wachmann vorbei in einen langen Korridor, an dessen Ende sich ein Treppenhaus befand.

„Jetzt ist mir klar, wie du das mit der sicheren Umgebung gemeint hast“, murmelte er, während sie den Flur entlang gingen. „In Fort Knox ist wahrscheinlich leichter reinzukommen.“

„Aber das ist doch gut, oder?“ Aaron warf ihm einen Seitenblick zu. „Die wollen eben verhindern, dass einfach irgendwer von der Straße hier reinspaziert. Falls jemand im Tanzclub neugierig wird und mal nachgucken will, was hier oben ist, kommt er wohl kaum unbemerkt an drei Wachleuten vorbei.“

Da hatte er nicht ganz unrecht.

„Aaron, überleg doch mal“, flüsterte Mitch. „Was die hier machen, ist illegal, um Himmels willen. Die könnten mich nicht verklagen, ohne Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, was sie keinesfalls wollen. Falls ich gegen irgendwelche Regeln verstoßen sollte, könnten die mir rein gar nichts anhaben.“

Aaron blieb wie angewurzelt stehen, bevor sie die Treppe erreicht hatten. „Sieh mal, ich habe dasselbe Formular unterschrieben wie du, okay? Ist doch nur die übliche, grundlegende Einschüchterungstaktik, oder? Vertrau mir einfach. Und leg‘ dich bloß nicht mit diesen Typen an, ja?“ Er fixierte Mitch mit strengem Blick.

Mitch gab nach – vorerst. „Okay, okay“, sagte er beschwichtigend. „Ich werde brav sein, in Ordnung?“

„Wehe, wenn nicht“, murmelte Aaron.

Sie gingen die Treppe hinauf, die oben an einer schlichten schwarzen Tür endete. Aaron klopfte an und wartete.

Der Mann, der ihnen aufmachte, trug einen eleganten Anzug. Er lächelte Aaron zu und trat dann beiseite, um sie vorbeizulassen. „Guten Abend, die Herren.“

Mitch schaute sich erst einmal um und ließ die Umgebung auf sich wirken. Sie waren in einem Empfangsbereich, dessen Mobiliar aus einem niedrigen Schreibtisch mit Monitor und Tastatur sowie drei ledernen Polstersesseln bestand. Leise Klaviermusik erfüllte den Raum. Die Wände waren in einem schlichten, tiefen Dunkelrot gehalten, das zu den üppigen Teppichen und der rot lackierten Tür links vom Schreibtisch passte. Der Gesamteindruck war sehr geschmackvoll.

Der Anzugträger nahm ihre Karten und trat zum Schreibtisch, tippte auf der Tastatur herum und starrte auf den Monitor. Er hob den Kopf und sah Mitch an. „Sind Sie heute als Besucher bei uns?“, fragte er, immer noch mit diesem Lächeln auf den Lippen.

Mitch setzte zum Sprechen an, doch Aaron kam ihm zuvor. „Ich habe ihn mitgebracht, damit er sich den Club mal ansehen kann, Seb“, sagte er und leckte sich die Lippen. „Und falls er ein bisschen Zeit hier verbringen möchte, kann das doch über mein Konto laufen, oder?“ Sein Blick ruhte weiter auf Seb, der nickte. „Ich selbst bleibe heute Abend nicht“, fuhr Aaron fort und rieb sich das Genick. „Aber ich warte noch ab, bis mein Freund sich entschieden hat.“

Mitch hatte Aaron noch nie so nervös herumzappeln sehen, und das gefiel ihm nicht. Was zum Teufel hat er bloß für einen Grund, so nervös zu sein?

Seb schaute wieder auf den Monitor. „Bevor wir Sie als Mitglied aufnehmen können, werden Sie sich natürlich unserer Gesundheitsüberprüfung unterziehen müssen. Vorab sollten wir lediglich wissen, ob Sie gesundheitliche Probleme haben, die uns unmittelbar betreffen könnten.“

Das war ja ganz was Neues. Immerhin konnte Mitch den Grund dafür nachvollziehen; die waren hier um die Gesundheit ihrer Aktivposten besorgt.

„Ich war erst kürzlich beim Arzt; ich lasse mich alle halbe Jahre durchchecken“, sagte er zu Seb. „Außerdem lasse ich mich alle sechs Monate auf HIV und Geschlechtskrankheiten testen, und mein letzter Test war vor zwei Monaten. Ich bin negativ.“ Er zog die Augenbrauen hoch. „Wenn ich gewusst hätte, dass ich hierherkomme, hätte ich die Laborbefunde ja gleich mitbringen können“, fügte er ironisch hinzu.

„Ich verstehe“, antwortete Seb aalglatt. „Trotzdem brauchen wir das alles noch schriftlich von Ihnen. Eine Formalität natürlich, aber wir müssen uns eben absichern, Sie verstehen. Was können Sie uns als Garantie dafür hinterlegen, dass Sie uns die notwendigen Unterlagen spätestens innerhalb von zwei Tagen nachreichen? Eine Bankkarte, Ihren Führerschein?“ Er bedachte Mitch mit einem verkniffenen Lächeln.

Scheiße. Der Typ meinte das ernst. „Einer Ihrer Mitarbeiter hat meinen Führerschein bereits“, sagte Mitch langsam. „Genügt das?“ Ich schätze, die wollen sich wirklich nur absichern, aber du liebe Zeit …

Seb strahlte. „Ausgezeichnet. Also dann, falls Sie heute Abend beschließen sollten, die Dienste eines unserer Angestellten in Anspruch zu nehmen – ohne Beleg für Ihren Gesundheitszustand – finden Sie hier die zulässigen Akte aufgelistet.“ Er überreichte Mitch ein Blatt Papier, und Mitch starrte den Inhalt an.

Die Liste war sehr kurz: Küssen; Oralverkehr mit Kondom; Rimming mit Dental-Dam; Analsex mit …

„Der Club achtet strikt auf die Einhaltung der Richtlinien für Safer Sex, doch Sie werden sich überdies auf die hier aufgeführten Praktiken beschränken müssen, bis uns Ihre Befunde vorliegen.“

„Und wenn Sie die haben, gibt es dann eine andere Liste?“

Seb nickte.

„Und was steht dann da drauf?“, wollte Mitch wissen.

Seb sah ihm in die Augen. „Alles“, sagte er schlicht.

Verdammt.

Seb kam hinter seinem Schreibtisch hervor und trat neben die rote Tür. Er öffnete sie und wandte sich ihnen zu. Sein strahlendes Lächeln blieb ungetrübt. „Willkommen im Privatbereich des Black Lounge-Clubs, Mr. Jenkins.“

Mitch hatte keine Ahnung, was ihn erwartete, also holte er tief Luft und folgte Aaron ins Unbekannte.

Die Tür schloss sich hinter ihnen, und Mitch fand sich in einer geräumigen Lounge wieder. Hier bestand das Mobiliar aus niedrigen roten Ledersofas mit tiefen Sitzkissen. Einige davon waren besetzt von Kunden, die sich leise mit ihren „Abendbegleitern“ unterhielten, sie streichelten und küssten. Mitch versuchte, nicht zu gaffen, doch er war wie hypnotisiert von dem Anblick. Auf einem der Sofas saß entspannt zurückgelehnt ein gigantischer Bär von einem Mann mit einem nackten Twink auf dem Schoß. Der junge Mann streichelte den Bart und die entblößte, haarige Brust des Bären; beide Männer lächelten und wirkten sehr zufrieden.

Mitch neigte sich zu Aaron und senkte die Stimme. „Aaron, woher wollen die wissen, ob ich was mache, was nicht auf der Liste steht? Ich meine, woher können die wissen, ob ich ihre bereitgestellten Fingerlinge überhaupt benutze? Nicht, dass ich vorhätte, das nicht zu tun, versteh‘ mich richtig“, fügte er hastig hinzu.

Aaron warf ihm einen finsteren Blick zu. „Oh, das kriegen die mit. Hier gibt’s überall Kameras – einige davon kann man sogar sehen.“

Mitch brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass sein Freund nicht scherzte.

Er riss seinen Blick von den Sofas los und schaute sich um. Es gab keine Fenster, nur lange Vorhänge aus schwerem, schwarzem Stoff. Einige Lampen auf niedrigen Tischen verbreiteten ein warmes Licht im Raum. Mitch fand es beunruhigend, dass er keine einzige Kamera entdecken konnte; sie waren entweder nicht vorhanden oder extrem gut versteckt. An dem einen Ende der Lounge gab es eine weitere rote Tür, die nur angelehnt war; die unverkennbaren Geräusche, die – wenn auch gedämpft – durch den Türspalt drangen, verrieten Mitch, dass dort gefickt wurde. Das andere Ende des Raums wurde von einem gewaltigen Fenster dominiert, das fast die gesamte Wandfläche einnahm, und daneben war noch eine Tür.

Aaron führte Mitch zu diesem Fenster und machte eine ausholende Geste mit dem Arm. „Such dir einen aus.“

Mitch starrte durch die Scheibe in einen weiteren Raum, schätzungsweise sechs mal sechs Meter groß. Er war voller Männer. Groß, klein, schlank, muskulös, einige nackt, andere spärlich bekleidet. Kaukasier, Schwarze, Asiaten – der Club bot für jeden Geschmack etwas. Das Zimmer ähnelte einer luxuriösen Einzimmerwohnung. An einer Wand stand ein Kingsize-Bett, und auf den weißen Laken rekelten sich ein paar Typen, die gelegentlich in Richtung Fenster schauten. Junge Männer posierten direkt vor der Scheibe und warfen herausfordernde Blicke nach draußen. Einer saß mit dem Gesicht zum Fenster auf einem großen Sessel; seine weit gespreizten Beine hingen über den Armlehnen, und er streichelte seinen steifen Schwanz.

Auf Mitch wirkten sie alle wie Pfauen, die sich putzten, ihre Federn spreizten und um Aufmerksamkeit warben. Pfauen in einem hübschen, komfortablen Käfig.

„Sie können uns nicht sehen“, flüsterte Aaron neben Mitch.

Mitch schnaubte. „Das scheint sie nicht davon abzuhalten, sich zur Schau zu stellen.“

Aaron lachte leise. „Ich würde doch meinen, das gehört zum Job; du weißt schon, sich an jeden zu verkaufen, der zufällig grade hier draußen steht und zuschaut.“ Er gab Mitch einen Stups. „Aber gut sehen sie alle aus, oder etwa nicht?“

Dem konnte Mitch nicht widersprechen. Es mussten mindestens fünfzehn Männer in dem Zimmer sein, vielleicht sogar mehr, und alle, die er sehen konnte, wirkten gesund und glücklich. Ein Lächeln war natürlich nicht zwangsläufig immer echt, doch keiner schien gegen seinen Willen dort zu sein.

Also warum reizt mich dann kein einziger von ihnen?

„Und?“ Aaron stupste ihn erneut. „Welcher von denen macht dich heiß?“ Er grinste. „Du musst zugeben, da sind ein paar richtig hübsche Jungs dabei.“ Er deutete mit einem Kopfnicken auf einen jungen Mann, der direkt vor dem Fenster stand und ihnen seinen Ständer entgegen streckte, während er sich mit einer Hand die Brust und die wohldefinierten Bauchmuskeln streichelte. In diesem Moment drehte der junge Mann sich um, bückte sich, zog mit den Händen die Arschbacken auseinander und gab den Blick auf seinen rosigen, feucht glitzernden, offensichtlich bereits mit Gleitgel beschmierten Anus frei. Er wackelte mit dem Hintern und ließ seinen steifen Penis hüpfen.

Aaron unterdrückte ein Kichern. „Wow. Ist der eifrig.“

Das war nicht das Wort, das Mitch in den Sinn kam. Er hätte eher aufdringlich gesagt, und das turnte ihn nicht an. Genau genommen galt das für alle diese Männer.

„Es war ein Fehler“, sagte er leise. „Danke, dass du mich hergebracht hast. Aber um ehrlich zu sein, das hier ist nichts für mich. Und da ist keiner drunter, der mich anmacht.“ Sein Blick schweifte durch das Zimmer, erfasste all die lächelnden, schmollmündigen Gesichter …

Mitch hielt inne, und sein Pulsschlag beschleunigte sich. „Der da.“ Wie konnte ich den bloß übersehen?

Aaron folgte Mitchs starrem Blick. „Welcher?“

Im Hintergrund des Zimmers standen zwei Sessel einander gegenüber, dazwischen ein kleiner Tisch. Auf einem der Sessel saß ein junger Mann; er trug sein langes, schwarzes Haar zu einem Zopf geflochten, der ihm über den Rücken fiel. Dem Aussehen nach war er Japaner, und er hatte eine Brille mit kleinen, runden Gläsern auf der Nase. Er war eher schmächtig gebaut und nicht besonders groß, soweit Mitch sagen konnte. Im Unterschied zu den anderen trug er Jeans und ein weißes Hemd.

Doch was Mitchs Aufmerksamkeit am meisten fesselte war die Tatsache, dass er in einem Buch las, die Beine untergeschlagen, verloren in seiner eigenen Welt.

„Mitch?“ Aaron zwickte ihn in den Arm.

„Hey!“, grummelte Mitch und rieb sich die Stelle, wo Aaron ihn gezwickt hatte, gleich über dem Ellbogen. „Wofür war das denn?“

„Du warst eben ganz weit weg.“ Aaron zog die Augenbrauen hoch. „Also? Ich wiederhole, welcher soll’s sein?“

„Der mit dem Buch.“ Er wirkte irgendwie so entzückend fehl am Platz, dass Mitch völlig fasziniert war.

„Ach, wirklich?“

Mitch riss sich los und fixierte stattdessen Aaron mit festem Blick. „Du hast gesagt, ich soll mir einen aussuchen, also tu‘ ich das auch. Den da.“ Der junge Mann rief eine völlig unerklärliche körperliche Reaktion in ihm hervor. Sein Herz raste, und sein Mund war trocken.

„Das ist Nikko. Er ist neu hier.“

Mitch wandte sich dem Sprecher zu. Ein dunkelhaariger Mann im schwarzen Anzug und dazu passendem Hemd lächelte ihn an. „Mein Name ist Randy. Falls Sie weitere Informationen wünschen, stehe ich zu Ihrer Verfügung.“ Er deutete mit einem diskreten Kopfnicken auf das Fenster. „Nikko ist erst kürzlich zu uns gestoßen. Möchten Sie sich mit ihm treffen? Und falls ja, für wie lange?“

Immer noch mit pochendem Herzen betrachtete Mitch den jungen Mann, der nichts von seiner Umgebung wahrzunehmen schien. „Eine Stunde?“

Neben sich hörte er Aaron leise lachen. „Und das ist mein Stichwort. Ich geh‘ dann mal.“ Er tätschelte Mitch den Arm. „Genieß‘ es, mit meinem Segen. Du kannst mir ja dann am Montag erzählen, wie’s war.“

„Danke, Aaron“, sagte Mitch mit einem warmen Lächeln. „Und was Montag angeht? Ah-ah.“ Aus dem Lächeln wurde ein Grinsen. „Ich geh‘ nicht mit meinen Bettgeschichten hausieren.“

Aaron schnaubte. „Spielverderber. Und ob du mir zu danken hast oder nicht, muss sich erst noch zeigen.“ Aaron grinste. „Bis dann.“ Er wandte sich zum Gehen und winkte Mitch ein letztes Mal zu, ehe er durch die Tür verschwand.

Mitch drehte sich wieder zu Randy um, der ihn mit einem Anflug von Belustigung betrachtete. Er räusperte sich. „Tut mir leid. Ich mache so was heute zum ersten Mal.“

Randys Lächeln wurde breiter. „Dann haben Sie und Nikko ja etwas gemeinsam. Haben Sie Ihre Karte?“ Mitch hielt sie hoch und Randy studierte sie. „Okay, geht in Ordnung. Wenn Sie dann bitte mitkommen würden?“

Er führte Mitch durch die Tür am Ende der Lounge. Sie kamen in einen langen Flur mit Türen zu beiden Seiten, und Randy eskortierte Mitch zu der Tür mit der Nummer sieben und öffnete sie. Das Zimmer war klein, doch was ihm an Größe fehlte, machte die Einrichtung wieder wett. In der Ecke stand ein lackierter chinesischer Paravent vor einem Waschtisch mit einer Handtuchstange, an der ein dickes Handtuch hing. Den Großteil des Raums nahm ein mit weißen Laken bezogenes und üppig mit Kissen und Polstern ausgestattetes Bett mit einer weichen grauen Tagesdecke ein. Ein breiter, tiefer Polstersessel stand dem Bett gegenüber. Es gab keine Fenster. Über dem Kopfende des Bettes hing ein großer Spiegel an der Wand, und daneben befand sich ein kleiner Schrank mit zwei Schubladen.

„Kondome und Gleitgel finden Sie in dem Schränkchen dort“, sagte Randy. „Die strengen Richtlinien des Clubs im Hinblick auf Safe Sex sind Ihnen ja bekannt.“

Mitch nickte. Damit hatte er kein Problem. Er hatte noch nie im Leben ungeschützten Sex gehabt.

„Es gäbe auch Sexspielzeug, sollten Sie welches benötigen. Falls Sie etwas Besonderes wünschen, brauchen Sie das nur zu sagen. Wir sind selbstverständlich auch auf Kunden eingerichtet, die auf S&M stehen, doch solche Wünsche werden im Allgemeinen vorab dargelegt. Wäre etwas in der Art heute Abend für Sie von Interesse?“

Mitch war sich sicher, dass sein Gesicht feuerrot war. „Äh, nein. Nein, danke.“

Randy nickte höflich. „Dann werde ich Nikko jetzt zu Ihnen bringen.“ Er verließ das Zimmer.

Mitch blickte sich um, während er seine Jacke auszog. Er legte sie auf den Sessel und begutachtete die Kunstdrucke an den Wänden. Das Zimmer war auf jeden Fall ganz anders, als er es sich vorgestellt hatte; er war auf etwas sehr viel Kargeres und Schlichteres eingestellt gewesen. Hinter dem Paravent entdeckte er dann noch eine Toilette, auf geschmackvolle Weise unsichtbar gemacht.

Die denken wirklich an alles.

Mitch suchte sämtliche Wände und Ecken nach Kameras ab. Nichts. Und doch wusste er, dass hier irgendwo eine sein musste, schon vom Sicherheitsaspekt her.

Verdammt, die sind gut.

Er kehrte zum Bett zurück und setzte sich, hüpfte ein paarmal auf und ab, um die Elastizität der Matratze zu testen.

„Sollen wir es als Trampolin benutzen?“, fragte eine leise Stimme.

Mitch fuhr herum und schaute zur Tür, die gerade behutsam geschlossen wurde. Dort stand Nikko, die Hände vor dem Körper verschränkt, die dunkelbraunen Augen fest auf Mitch geheftet. Sein Zopf war nicht zu sehen, sein Gesichtsausdruck emotionslos.

Mitch hustete und stand auf. „Lieber nicht.“ Er ging ein paar Schritte auf Nikko zu und streckte die Hand aus. Seine Bauchmuskeln verkrampften sich, und er verfluchte innerlich seine Unsicherheit. Es war zwar nicht so, als hätte er sich noch nie mit Männern getroffen, aber nach zwei Jahren in einer festen Beziehung fühlte er sich völlig aus der Übung. Außerdem war das hier unbestreitbar eine ganz neue Erfahrung.

Nikko ergriff fast schüchtern seine Hand; seine Finger fühlten sich kühl an. „Ich bin Nikko.“ Kaum war die Begrüßung erledigt, faltete er die Hände wieder vor dem Bauch und trat zurück, hielt weiter Abstand von Mitch. Sein Benehmen brachte Mitch dazu, sich ebenfalls zurückzuziehen.

„Ist das dein richtiger Name oder nur einer, den du hier benutzt?“, wollte Mitch wissen. Als Nikko die Augenbrauen hochzog, fühlte Mitch, wie ihm die Hitze über die Brust in die Wangen stieg. „Tut mir leid. Ich bin heute zum ersten Mal in einem … an einem solchen Ort.“

Nikko erstarrte für einen Moment; seine Körperhaltung verriet seine Anspannung. Als er lächelte, reichte es nicht bis zu seinen Augen. „Dann haben wir ja etwas gemeinsam. Und um deine Frage zu beantworten, Nikko ist mein richtiger Name. Darf ich deinen wissen?“ Seine Augen waren bezaubernd, von einem tiefen, dunklen Braun, umrahmt von langen, rabenschwarzen Wimpern in einem blassen, makellosen Gesicht.

„Ich heiße Mitch.“ Es lag ihm auf der Zunge, ein „Freut mich, dich kennenzulernen“ nachzuschieben, doch unter den gegebenen Umständen war das wohl fehl am Platz. Andererseits – es gibt ja wohl kaum irgendwelche Benimmregeln für Bordellbesuche, jedenfalls nicht, dass ich wüsste.

Wobei Nikko keineswegs so aussah, wie Mitch sich einen Stricher immer vorgestellt hatte. Der junge Mann war schön, vielleicht einen Meter siebenundsechzig groß, maximal eins-siebzig. Neben Mitchs einem Meter achtzig wirkte er winzig. Seine verschränkten Finger waren schlank, seine Hände zierlich. Mitch musste an die ätherischen Porzellanfiguren im Geschirrschrank seiner Mutter zuhause denken, denen diese Zerbrechlichkeit ebenfalls eigen war.

„Bist du … ist dir das hier auch so peinlich?“, fragte Nikko und biss sich auf die Unterlippe. „Du bist mein erster … Kunde.“ Seine Wangen röteten sich, und seine Ohren wurden rot.

Seine Worte weckten etwas in Mitchs Brust, ein absurdes Verlangen, Nikko in die Arme zu schließen und ihn zu beschützen. Der Impuls überraschte ihn. Möglicherweise war es Nikkos zierliche Figur, seine Zerbrechlichkeit, was diese Sehnsucht hervorrief. Was auch immer es war, es ließ ein plötzliches Gefühl der Wärme in Mitch aufwallen.

Er winkte Nikko zu sich. „Komm her.“

Nikko ging langsam auf ihn zu, den Blick fest auf Mitchs Gesicht geheftet. Ungefähr einen Meter von ihm entfernt blieb er stehen und nahm den Kopf hoch, jedoch ohne ihm in die Augen zu sehen. Er atmete in flachen, unregelmäßigen Zügen; das schnelle Heben und Senken seiner Brust verriet seine Nervosität, die er sich ansonsten nicht anmerken ließ. Mitch streckte die Hand aus und umfasste Nikkos Gesicht. Seine große Hand betonte die Zierlichkeit des jungen Mannes nur noch mehr.

„Wie alt bist du?“, fragte Mitch mit leiser Stimme. Nikko konnte höchstens knapp über achtzehn sein.

„Ich … ich bin zweiundzwanzig“, sagte Nikko mit leiser, brüchiger Stimme. „Ich weiß, wie ich aussehe, Mitch. Ich bin alt genug, um hier zu arbeiten. Das hier ist zwar mein erstes Mal mit einem Kunden, aber keineswegs mein erstes Mal überhaupt.“

„Ich wäre nie darauf gekommen, dass hier überhaupt jemand arbeiten könnte, der noch Jungfrau ist“, bekannte Mitch. Er legte den Kopf schräg. „Du kannst ruhig näher kommen, weißt du. Ich tu‘ dir nichts.“

Nikko schluckte und blinzelte. „Ich … tut mir leid. Du bist einfach nicht so, wie ich mir einen Kunden vorgestellt hatte.“

Mitch trat einen Schritt näher. „Wieso, was hattest du denn erwartet?“, fragte er mit gleichbleibend leiser, beruhigender Stimme. Nikko erinnerte ihn an ein Fohlen auf der Farm seines Onkels, mit dem er als Junge viel Zeit verbracht hatte. Der junge Mann wirkte ebenso scheu und jeden Moment zur Flucht bereit.

Nikko holte tief Luft. „Ich hatte nicht damit gerechnet, so … respektvoll behandelt zu werden.“

Jetzt verstand Mitch. „Komm näher“, sagte er schmeichelnd. Als Nikko zögerte, lächelte Mitch ihn freundlich an. „Nikko, das vorhin war ernst gemeint. Ich werde dir nicht wehtun. So was ist nicht meine Art.“

Nikko betrachtete ihn schweigend. „Ich glaube dir.“ Er atmete tief durch und tat den letzten Schritt, der ihn vollends zu Mitch brachte.

Mitch konnte nicht anders. Er beugte den Kopf und nahm Nikkos Mund mit einem sanften Kuss in Besitz. Im ersten Moment hielt Nikko nur still, dann legte er Mitch seine schlanken Arme um den Hals. Seine Lippen teilten sich, und er erwiderte den Kuss.

Als Mitch den Kuss beendete, blickte Nikko mit leuchtenden Augen zu ihm auf. „Danke.“

„Wofür?“

Diesmal war Nikkos Lächeln echt. „Für deine Freundlichkeit.“ Sein Atem stockte. „Du machst mir das leichter, als ich es mir vorgestellt hatte, Mitch.“

Mitchs erste Reaktion war ein Aufwallen von Freude, doch dann kam ihm ein beunruhigender Gedanke. Er hielt inne, beide Hände auf Nikkos Schultern. „Bist du hier, weil du hier sein willst?“ Irgendwas an Nikkos Wortwahl nagte an ihm.

Nikko musterte ihn mit ruhiger Miene. „Ich bin freiwillig hier. Da kannst du ganz sicher sein.“ Keine Spur von Unehrlichkeit lag in seinem Blick. Er umfasste Mitchs Gesicht mit beiden Händen. „Küsst du mich noch mal?“ Sein Adamsapfel hüpfte auf und ab.

„Sagst du das, weil du geküsst werden willst, oder nur, weil du dich dazu verpflichtet fühlst?“

Nikko starrte ihn mit großen Augen an und ließ die Hände sinken. „Du bist … scharfsinnig.“

Mitch zuckte die Achseln. „Ich hab‘ Augen im Kopf, das ist alles. Meinetwegen können wir uns auch gern für eine Weile aufs Bett setzen und uns unterhalten, falls dir das lieber ist. Kein Problem.“ Den nächsten Zug würde er Nikko überlassen. Der junge Mann war schon verschüchtert genug; Mitch wollte nicht alles nur noch schlimmer machen.

Nikkos Atmung wurde ruhiger. „Dann hätte ich lieber noch einen Kuss, weil“ – er berührte Mitchs Wange, ein flüchtiges Streicheln, und sah ihm dabei zum ersten Mal in die Augen – „weil ich will, dass du mich küsst.“

Mitch lächelte. „Das ist besser.“ Er streichelte Nikko zärtlich die Wange, strich ihm mit den Fingerspitzen über die Wangenknochen. „Ich möchte dich nämlich küssen.“

Nikko schloss die Augen, die Lippen leicht geöffnet, und wartete.

Verdammt. Nikko war wunderschön.

3

 

 

MITCH STELLTE überrascht fest, dass seine Hände zitterten, als er Nikkos Gesicht umfasste. Um Himmels willen, reiß‘ dich zusammen. Er kam sich vor wie ein Teenager. Was zum Teufel hatte er für einen Grund, nervös zu sein?

Er hätte fast gelacht bei dem Gedanken. Als ob Sex mit einem Stricher etwas ganz Alltägliches wäre …

Nikko öffnete die Augen. „Ist es okay, wenn ich dir sage, dass ich auch nervös bin?“, wisperte er.

Mitchs Hände hörten auf zu zittern, als Nikko zu ihm aufblickte. Er lächelte. „Das merke ich schon an der Art, wie du atmest.“ Sein Blick blieb an Nikkos rosigen Lippen hängen; sie glänzten feucht, weil er sie sich ängstlich geleckt hatte.

Das hier lief völlig anders, als Mitch erwartet hatte. Nein, falsch – Nikko war alles andere als das, was er erwartet hatte. Mitch war durcheinander, und das gefiel ihm nicht. All das war Neuland für ihn, und er wusste nicht genau, was er als nächstes tun sollte.

„Ich fand es schön, als du mich geküsst hast“, sagte Nikko und nagte an seiner üppigen Unterlippe.

Das reichte Mitch, um es noch mal zu tun – nicht, dass er eine Ausrede gebraucht hätte. Er küsste nun einmal gern. Er senkte den Kopf und nahm Nikkos Mund in Besitz, genoss es, wie Nikko sich ihm öffnete. Das Stöhnen, mit dem Nikko sich an ihn presste, fuhr ihm direkt in den Schwanz, und er legte mehr Leidenschaft in den Kuss. Nikko erschauerte, und Mitch nahm den jungen Mann in die Arme und zog ihn enger an sich.

Nikko schlang ihm die Arme um den Hals. „Mitch“, flüsterte er. „Ich … Ich fühle dich.“ Er wiegte sich sanft in den Hüften, und Mitch stöhnte unwillkürlich auf, als seine Erektion auf die geschmeidige Wärme von Nikkos Körper traf. „Da.“ Sein Atem wurde schneller.