Herzensbrecher - Danielle Steel - E-Book

Herzensbrecher E-Book

Danielle Steel

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Beschreibung

Sie ist erfolgreiche Ärztin, hat drei tolle Kinder und mit Charles endlich den Mann kennengelernt, den sie sich immer gewünscht hat. Maxines einziges Problem ist Blake – ihr geradezu unanständig attraktiver, unwiderstehlich charmanter, aber leider extrem unzuverlässiger Ex-Mann, dem noch immer ein Platz in ihrem Herzen gehört …

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Seitenzahl: 419

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Danielle Steel

Herzensbrecher

Roman

Aus dem Amerikanischen von Silvia Kinkel

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

Für meine unendlich kostbaren [...]Filou: [...]1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. Kapitel11. Kapitel12. Kapitel13. Kapitel14. Kapitel15. Kapitel16. Kapitel17. Kapitel18. Kapitel19. Kapitel20. Kapitel21. Kapitel22. Kapitel23. Kapitel24. Kapitel

Für meine unendlich kostbaren Kinder,

Beatie, Trevor, Todd, Nick, Sam,

Victoria, Vanessa, Maxx und Zara,

die mein Leben mit Liebe und Freude erfüllen,

die auf mich achten, mir Hoffnung geben und mich dazu anregen, mein Bestes zu geben.

Ihr seid alle neun meine Helden!

Ich liebe euch so sehr!

Mom/D. S.

Filou:

Jemand, der andere mit Schläue, Raffinesse (auf harmlose Weise) zu übervorteilen versteht

ein Schlawiner

ein Schlingel

ein Halunke

– Duden

[home]

1. Kapitel

Die einmotorige Cessna Caravan neigte sich leicht nach vorn und zog einen weiten Bogen über die Sümpfe westlich von Miami. Die Maschine flog so hoch, dass sich die Landschaft wie ein Postkartenpanorama präsentierte. Der Wind fuhr in den offenen Laderaum, wo sich eine junge Frau an den Haltegriff klammerte und ängstlich in den unendlich weiten Himmel starrte. Der Mann hinter ihr forderte sie auf zu springen.

»Und wenn sich mein Fallschirm nicht öffnet?« Die Frau warf ihm über die Schulter hinweg einen bangen Blick zu. Sie war eine große, schlanke Blondine mit einer umwerfenden Figur und einem makellosen Gesicht.

»Vertrau mir, Belinda, er wird sich öffnen«, versprach Blake Williams. Das Fallschirmspringen gehörte seit Jahren zu seinen Leidenschaften, und es war ihm jedes Mal ein Genuss, dieses einzigartige Erlebnis mit jemandem zu teilen.

Eine Woche zuvor, bei ein paar gemeinsamen Drinks in einem privaten Nachtklub in South Beach, hatte Belinda zugestimmt, mit ihm zu springen. Am nächsten Tag hatte Blake ihr einen achtstündigen Einführungskurs sowie einen Testsprung mit dem Lehrer spendiert. Es war erst ihre dritte Verabredung gewesen, aber Blake hatte so geschwärmt, dass sich Belinda nach dem zweiten Cosmopolitan lachend dazu bereit erklärte. Sie hatte sich offenbar keine Gedanken über die Konsequenzen gemacht, denn jetzt sah sie ihn ängstlich an und schien sich zu fragen, wie es ihm nur gelungen war, sie zu so etwas zu überreden. Bei dem Sprung mit dem Lehrer hatte sie Todesängste ausgestanden. Aber es war auch aufregend gewesen. Mit Blake zu springen war vermutlich die ultimative Erfahrung. Obwohl sie ihn kaum kannte, war Belinda bereit, mit ihm aus einem Flugzeug zu springen. Trotzdem hatte sie jetzt Angst. Blake beugte sich vor und küsste sie. Sofort fühlte sie sich besser. Wie man es ihr bei dem Übungssprung beigebracht hatte, tat sie einen Schritt ins Leere.

Blake folgte ihr Sekunden später. Belinda schoss in freiem Fall auf die Erde zu. Sie schloss die Augen und schrie aus voller Kehle. Als sie die Augen wieder öffnete, sah sie, dass Blake ihr signalisierte, die Reißleine zu ziehen. Dann schwebten sie langsam der Erde entgegen. Blake lächelte sie an und hob den Daumen. Belinda konnte nicht glauben, dass sie es zweimal innerhalb einer Woche getan hatte. Aber Blake war eben so charismatisch, dass er sie sogar von einer solchen Verrücktheit hatte überzeugen können.

Belinda war zweiundzwanzig und arbeitete als Model in Paris, London und New York. Sie hatte Blake kennengelernt, als sie zu Besuch bei Freunden in Miami war. Er war in seiner Boing 737 von St. Bart’s herübergeflogen, um sich ebenfalls mit einem Freund zu treffen. Die kleinere Maschine und den Piloten für diesen Sprung hatte er gechartert.

Blake Williams war in allem, was er tat, ein Ass. Er fuhr seit dem College olympiareif Ski, hatte einen Pilotenschein und war passionierter Fallschirmspringer. Er kannte sich hervorragend mit Kunst aus und besaß eine der berühmtesten Sammlungen moderner und präkolumbischer Kunst. Er war ein Connaisseur, was Weine, Architektur, Segeln und Frauen betraf. Blake Williams liebte die schönen Dinge des Lebens. Er hatte in Harvard seinen MBA gemacht, in Princeton den BA, war sechsundvierzig Jahre alt und hatte sich mit fünfunddreißig zur Ruhe gesetzt. Seither genoss er das Leben in vollen Zügen und ließ andere daran teilhaben. Belinda hatte bereits von Blakes Großzügigkeit gehört. Er war der Typ Mann, von dem jede Frau träumt – reich, intelligent, gutaussehend und humorvoll. Doch trotz seines Erfolges in der Geschäftswelt war er kein rücksichtsloser Ellbogentyp. Blake war ein begehrter Junggeselle. Seine Beziehungen während der letzten fünf Jahre waren zwar kurz und eher oberflächlich gewesen, hatten jedoch nie ein hässliches Ende genommen. Auch wenn ihre flüchtigen Bekanntschaften mit ihm längst der Vergangenheit angehörten, liebten ihn die Frauen immer noch.

Während sie langsam dem menschenleeren Strandabschnitt entgegenschwebten, schaute Belinda bewundernd zu ihm hinüber. Sie konnte immer noch nicht glauben, dass sie mit ihm aus einem Flugzeug gesprungen war. Es war das Aufregendste, was sie je getan hatte. Vermutlich würde sie es nicht wiederholen, aber während sie einander an den Händen hielten und durch den blauen Himmel glitten, ahnte sie, dass sie diesen Augenblick niemals vergessen würde.

»Das macht Spaß, stimmt’s?«, rief er ihr zu, und sie nickte überwältigt. Belinda konnte es kaum erwarten, allen zu erzählen, was sie getan hatte, und vor allem, mit wem.

Trotz der anfänglichen Angst lächelte Belinda, als ihre Füße den Boden berührten. Zwei Lehrer der Sprungschule standen bereit und befreiten sie von dem Fallschirm. Blake landete nur wenige Schritte hinter ihr. Sobald sie die Fallschirme abgelegt hatten, nahm Blake Belinda in die Arme und küsste sie. Seine Küsse waren so berauschend wie alles an ihm.

»Du warst phantastisch!« Er hob Belinda hoch und wirbelte sie durch die Luft. Sie lachte in seinen Armen. Er war der aufregendste Mann, dem sie je begegnet war.

»Nein, du bist phantastisch! Ich hätte nie gedacht, dass ich jemals etwas so Verrücktes tun würde.«

Ihre Freunde hatten sie davor gewarnt, auf eine ernste Beziehung mit Blake Williams zu hoffen. Er ging mit den schönsten Frauen der Welt aus. Eine feste Bindung schien jedoch für ihn nicht in Frage zu kommen, obwohl es auch die schon gegeben hatte. Er hatte drei Kinder und eine Ex-Frau, die er immer noch liebte. Seit der Scheidung wollte er jedoch nichts weiter als sein Leben genießen. Nach einer festen Beziehung stand ihm nicht der Sinn. Sein Durchbruch in der Dotcom-Welt war ebenso legendär wie der Erfolg der Unternehmen, in die er seither investierte. Für Blake Williams hatten sich alle Träume erfüllt.

Während sie nun vom Strand zu dem wartenden Jeep gingen, legte Blake den Arm um Belinda, zog sie an sich und küsste sie leidenschaftlich. Belinda würde diesen Tag nie vergessen. Wie viele Frauen konnten sich schon rühmen, mit Blake Williams aus einem Flugzeug gesprungen zu sein? Vielleicht waren es mehr, als sie ahnte, aber sicher war nicht jede Frau, mit der er ausgegangen war, so mutig gewesen wie sie.

 

Der Regen prasselte gegen die Scheiben von Maxine Williams’ Praxis an der 79th Street. Laut Statistik hatte es in New York seit über fünfzig Jahren nicht mehr so viel geregnet. Es war ein kalter und windiger Novembertag, aber in dem Sprechzimmer war es behaglich warm. An den zartgelb gestrichenen Wänden hingen abstrakte Bilder in gedeckten Farben. Der Raum wirkte freundlich, und die beigefarbenen Polstersessel luden zum Sitzen ein. Hier empfing Maxine ihre Patienten. Der Schreibtisch war schlicht, modern und so ordentlich aufgeräumt, dass man einen chirurgischen Eingriff darauf hätte vornehmen können. Das Sprechzimmer war ebenso makellos wie Maxines äußere Erscheinung. Die tüchtige und zuverlässige Sekretärin Felicia arbeitete nun auch schon seit fast neun Jahren für sie. Maxine verabscheute Unordnung und Veränderungen jeglicher Art. Alles in ihrem Leben war geregelt und lief reibungslos.

Das Diplom an der Wand verriet, dass sie an der Harvard Medical School studiert und dort mit magna cum laude promoviert hatte. Sie war Psychiaterin, eine der führenden Expertinnen für Traumatherapie und manisch-depressive Erkrankungen bei Jugendlichen. In den letzten Jahren hatte sie sich auf die Behandlung suizidgefährdeter Teenager spezialisiert. Bei ihrer Arbeit mit Betroffenen und deren Familien erzielte sie zum Teil beeindruckende Resultate. Maxine hatte zwei Bücher für Laien über die Auswirkungen von Traumata bei Kleinkindern geschrieben und wurde nach Katastrophen oft als Beraterin hinzugezogen. Nach dem Amoklauf in der Schule von Columbine hatte sie dem Psychologenteam angehört, und sie hatte mehrere Artikel über die Folgen des 11. Septembers veröffentlicht. Mit zweiundvierzig Jahren war sie eine Koryphäe und genoss hohes Ansehen bei den Kollegen. Häufig wurde sie gebeten, Vorträge zu halten, musste aus Zeitgründen jedoch meistens ablehnen. Die Arbeit mit den Patienten, die Beratungstätigkeit für Behörden und ihre Familie ließen dafür keinen Raum.

Es war ihr wichtig, sich möglichst viel Zeit für ihre Kinder zu nehmen – Daphne war dreizehn, Jack zwölf und Sam gerade sechs Jahre alt geworden. Als alleinerziehende Mutter war sie mit dem Dilemma jeder berufstätigen Mutter konfrontiert, Beruf und Familienleben unter einen Hut zu bringen. Ihr Ex-Mann war ihr keine große Hilfe. Er tauchte auf wie ein Regenbogen, atemberaubend und unangekündigt, um dann ebenso unversehens wieder zu verschwinden.

Während Maxine auf den nächsten Patienten wartete, schaute sie aus dem Fenster und dachte an ihre Kinder. Die Sprechanlage auf ihrem Schreibtisch begann zu summen. Maxine rechnete mit dem nächsten Patienten, einem fünfzehnjährigen Jungen. Stattdessen erklärte Felicia, dass ihr Mann am Telefon sei. Maxine verzog das Gesicht.

»Mein Ex-Mann«, stellte sie klar. Seit fünf Jahren war sie nicht mehr verheiratet.

»Sorry, er meldet sich am Telefon immer als Ihr Mann. Ich habe nicht daran gedacht …«, entschuldigte sich Felicia.

»Ist schon gut, er vergisst es ja selbst«, antwortete Maxine trocken und griff lächelnd zum Hörer. Sie fragte sich, wo Blake wohl gerade steckte. Das wusste man bei ihm nie. Es war vier Monate her, dass er die Kinder zum letzten Mal gesehen hatte. Im Juli war das gewesen. Er war mit ihnen zu Freunden nach Griechenland geflogen. Die Kinder liebten ihren Vater, aber auf ihre Mom konnten sie sich verlassen. Ihr Dad dagegen kam und ging wie der Wind. Die Kinder verziehen ihm vieles. So war es auch bei ihr gewesen, zehn Jahre lang. Doch sein mangelndes Verantwortungsbewusstsein hatte schließlich jedes Maß erschöpft.

»Hi Blake«, sagte sie und lehnte sich entspannt zurück. Trotz der Scheidung waren sie gute Freunde geblieben. »Wo steckst du?«

»In Washington DC. Ich bin heute aus Miami gekommen und war ein paar Wochen in St. Bart’s.« Maxine dachte an das Haus. Sie war seit fünf Jahren nicht mehr dort gewesen. Das Haus gehörte zu den Dingen, die sie Blake bei der Scheidung bereitwillig überlassen hatte.

»Kommst du nach New York? Die Kinder würden sich freuen.« Sie wollte ihm nichts vorschreiben. Er wusste selbst, wie wichtig seine Besuche waren, doch obwohl er die Kinder sehr liebte, kamen sie zu kurz. Trotzdem hingen die drei sehr an ihm.

»Ich wünschte, ich könnte«, sagte er bedauernd. »Aber ich fliege noch heute Abend nach London. Morgen habe ich einen Termin mit dem Architekten. Ich lasse das Haus umbauen.« Nach einer winzigen Pause fügte er verschmitzt hinzu: »Ich habe übrigens gerade ein phantastisches Anwesen in Marrakesch gekauft. Nächste Woche fliege ich hin. Es ist ein heruntergekommener, aber umwerfend schöner Palast.«

»Genau das, was du brauchst«, sagte Maxine und schüttelte den Kopf. Er war unmöglich. Überall kaufte er Häuser. Er ließ sie von berühmten Architekten und Designern umgestalten, verwandelte sie in Sehenswürdigkeiten und verkaufte sie dann weiter. Blake liebte das Projekt mehr als das Ergebnis.

Er besaß Häuser in London und Aspen, eines auf St. Bart’s, die obere Hälfte eines Palazzos in Venedig und nun offenbar einen Palast in Marrakesch. Was auch immer er damit vorhatte, es würde genauso umwerfend werden, wie alles, was er in die Hand nahm. Er hatte Geschmack und kühne Ideen. Blake besaß auch eine der weltweit größten Segelyachten. Er selbst benutzte sie nur wenige Wochen im Jahr und verlieh sie in der übrigen Zeit großzügig an Freunde. Unterdessen flog er in der Welt umher, ging auf Safari in Afrika oder befand sich auf Kunstfischzügen in Asien. Zweimal war er in der Antarktis gewesen und mit beeindruckenden Fotos von Eisbergen und Pinguinen zurückgekehrt. Seine Welt war der von Maxine längst entwachsen. Sie war zufrieden mit ihrem geregelten Leben in New York, das sich zwischen der Praxis und ihrer Wohnung an der Ecke Park Avenue und East 84th Street abspielte. Sie ging immer zu Fuß nach Hause, sogar an einem Tag wie diesem. Der kurze Spaziergang ließ sie nach all den Problemen, mit denen sie den Tag über konfrontiert wurde, durchatmen. Häufig überwiesen andere Therapeuten Patienten an sie, wenn es Anzeichen von Suizidgefahr gab. Schwierige Fälle zu behandeln war Maxines Beitrag zu dieser Welt, und sie liebte ihre Arbeit.

»Und, Max, wie läuft’s bei dir? Wie geht es den Kindern?«, fragte Blake gut gelaunt wie immer.

»Alles bestens. Jack spielt dieses Jahr wieder in der Fußballmannschaft. Er hat sich ganz schön gemausert«, antwortete sie stolz. Es war, als würde sie Blake von den Kindern eines anderen Mannes erzählen. Er war für die drei eher wie ein Lieblingsonkel als der Vater. Leider war er als Ehemann ähnlich unbeteiligt gewesen und nie aufzufinden, wenn man ihn brauchte.

Anfangs nahm ihn der Aufbau seiner Firma in Anspruch, und nachdem sich der Erfolg einstellte, hatte er noch weniger Zeit. Ständig war er mit anderen Dingen beschäftigt. Er wollte, dass sie die Praxis schloss, aber das kam für Maxine nicht in Frage. Sie hatte hart daran gearbeitet, sich etwas aufzubauen. Das wollte sie nicht aufgeben, gleichgültig, wie reich ihr Ehemann plötzlich war. Die Summen, die er verdiente, überstiegen ihr Vorstellungsvermögen. Und obwohl sie Blake liebte, ging es schließlich nicht mehr. Sie waren einfach zu verschieden. Maxines Ordnungsliebe stand in krassem Gegensatz zu dem Chaos, das Blake verbreitete. Wo er saß, umgab ihn eine Lawine aus Zeitschriften, Büchern, Erdnuss- und Bananenschalen oder leeren Fastfood-Tüten. Stets trug er die Entwürfe für ein neues Bauprojekt mit sich herum, seine Hosentaschen waren voller Zettel mit Namen von Leuten, die er zurückrufen sollte. Er tat es nie. Früher oder später verlor er die Zettel. Ständig riefen Leute an, weil sie irgendwo auf ihn warteten. Er hatte dann mal wieder eine Verabredung vergessen. Im Job war er brillant, aber sonst war sein Leben das reinste Chaos. Er war charmant und liebenswert – und der unzuverlässigste Mensch, den man sich vorstellen konnte. Irgendwann war Maxine es müde geworden, die einzige Erwachsene in der Familie zu sein. Weil Blake spontan zu einer Filmpremiere nach L.A. geflogen war, verpasste er sogar Sams Geburt. Und als die Babysitterin den Kleinen acht Monate später vom Wickeltisch fallen ließ, war Blake nirgendwo zu erreichen. Sam hatte sich den Arm gebrochen und eine leichte Gehirnerschütterung erlitten. Ohne jemandem Bescheid zu sagen, war Blake nach Cabo San Lucas geflogen, um sich ein Haus anzusehen, das von einem seiner Lieblingsarchitekten gebaut worden war und zum Verkauf stand. Auf dem Weg dorthin hatte er sein Handy verloren, und Maxine brauchte zwei Tage, um ihn ausfindig zu machen. Sam erholte sich, doch als Blake nach New York zurückkehrte, bat Maxine ihn um die Scheidung.

Seit sich Geld und Erfolg in seinem Leben eingestellt hatten, funktionierte es einfach nicht mehr. Sie brauchte einen Mann, der Präsenz zeigte. Andernfalls konnte sie ebenso gut allein leben. So verbrachte sie ihre Zeit wenigstens nicht mehr damit, nach ihm zu suchen und sich zu beklagen. Als sie Blake mitteilte, dass sie die Scheidung wolle, reagierte er überrascht. Sie hatten beide geweint, aber Maxines Entschluss stand fest. Sie liebten einander, doch sie erklärte ihm, dass es so nicht weitergehen konnte. Sie strebten nach verschiedenen Dingen. Blake wollte Vergnügen, sie dagegen fand Erfüllung durch die Kinder und in ihrer Arbeit. Als sie noch jung waren, hatten sie das Leben gemeinsam genossen. Doch Maxine war erwachsen geworden, Blake nicht.

»Wenn ich zurück bin, sehe ich mir eins von Jacks Spielen an.«

Maxine betrachtete den an der Scheibe hinunterrinnenden Regen. Und wann wird das sein?, fragte sie sich, sprach es jedoch nicht aus. Blake ahnte offenbar, was sie dachte, und beantwortete die Frage. Er kannte sie besser als jeder andere. Das war das Schwierigste gewesen. Sie hatte sich bei ihm sehr wohl gefühlt. Im Grunde liebte sie ihn immer noch. Blake war der Vater ihrer Kinder, Teil ihrer Familie. Das würde sich nie ändern.

»Zu Thanksgiving werde ich da sein«, sagte er. »Das ist ja schon in ein paar Wochen.«

Maxine seufzte. »Soll ich es den Kindern schon sagen oder lieber noch warten?« Sie wollte die drei nicht schon wieder enttäuschen. Blake änderte oft spontan seine Pläne und vergaß darüber die Kinder, genauso wie er es mit ihr getan hatte. Er ließ sich zu leicht ablenken. Diesen Zug an ihm hatte sie verabscheut, vor allem, wenn die Kinder darunter zu leiden hatten. Er brauchte ja den traurigen Ausdruck in ihren Augen nicht zu ertragen, wenn Daddy am Ende doch nicht erschien.

Sam war noch zu klein gewesen, um sich an die gemeinsame Zeit zu erinnern. Trotzdem liebte er seinen Vater. Bei der Scheidung war er ein Jahr alt gewesen. Er kannte das Leben so, wie es jetzt war, und verließ sich immer auf seine Mom. Jack und Daffy kannten ihren Dad besser, obwohl auch ihre Erinnerungen an früher allmählich verblassten.

»Du kannst ihnen ruhig sagen, dass ich komme. Ich vergesse es nicht«, versprach Blake mit sanfter Stimme. »Und was ist mit dir? Geht es dir gut? Ist der Märchenprinz schon aufgetaucht?«

Sie lächelte über diese Frage, die er ihr jedes Mal stellte. In seinem Leben gab es viele Frauen, und die meisten von ihnen waren sehr jung. Doch in ihrem Leben gab es keinen Mann. Weder war sie daran interessiert, noch hatte sie Zeit dafür.

»Ich hatte schon seit einem Jahr keine Verabredung mehr«, antwortete sie ehrlich. Sie hatte keine Geheimnisse vor ihm. Blake war wie ein Bruder für sie. Über sein Leben wurde in der Presse hinlänglich berichtet. Ständig war er in den Klatschkolumnen Thema, mit wechselnden Models, Schauspielerinnen oder Rockstars an seiner Seite. Für kurze Zeit war er mit einer berühmten Prinzessin zusammen gewesen, und Maxine hatte sich in dem bestätigt gefühlt, was sie schon länger dachte: Er lebte in einer anderen Welt als sie. Sie war die Erde. Er war das Feuer.

»So wird das nie etwas!«, schimpfte er. »Du arbeitest zu viel. Das hast du schon immer getan.«

»Ich liebe meinen Job«, erwiderte sie gelassen.

Das war ihm nicht neu. Schon früher hatte er sie kaum dazu bewegen können, sich einen Tag freizunehmen. Daran hatte sich nichts geändert, nur dass sie die Wochenenden jetzt mit den Kindern verbrachte und ein Telefondienst Anrufe für sie entgegennahm. Sie fuhren oft zu dem Haus in Southampton, das sie bei der Scheidung bekommen hatte. Es war wunderschön, für Blake aber zu bieder. Für Maxine und die Kinder dagegen war es ideal. Es war ein altes, weitläufiges Familienanwesen und unmittelbar am Strand gelegen.

»Dürfen die Kinder zum Thanksgiving Dinner zu mir kommen?«, fragte Blake vorsichtig. Er nahm stets Rücksicht auf Maxines Pläne. Ihm war klar, wie sehr sie sich bemühte, den dreien ein geordnetes Leben zu bieten. Und sie plante gern im Voraus.

»Ja, das geht. Mittags bin ich mit ihnen bei meinen Eltern.« Maxines Vater war ebenfalls Arzt, Orthopäde und Unfallchirurg, und genauso gewissenhaft und penibel wie sie selbst. Sie kam nach ihm, und er war für sie immer das große Vorbild gewesen. Maxine war ein Einzelkind, und ihre Mutter hatte nie gearbeitet. Ihre Kindheit war ganz anders verlaufen als die von Blake. Sein Leben war eine Serie glücklicher Zufälle.

Er war direkt nach der Geburt von einem älteren Ehepaar adoptiert worden. Später stellte er Nachforschungen an und fand heraus, dass seine leibliche Mutter ein fünfzehnjähriges Mädchen aus Iowa gewesen war. Als er sie aufsuchte, war sie mit einem Polizisten verheiratet und hatte vier weitere Kinder bekommen. Sie war überrascht, als Blake plötzlich vor ihr stand. Sie hatten nichts gemein. Blake verspürte Mitgefühl, denn sie hatte kein leichtes Leben, ständig Geldsorgen und einen Ehemann, der trank. Sie erzählte Blake, dass sein leiblicher Vater ein attraktiver, charmanter Draufgänger gewesen sei, erst siebzehn, als Blake zur Welt kam. Zwei Monate nach seinem Schulabschluss starb er bei einem Verkehrsunfall. Eine Heirat hatte er ohnehin abgelehnt. Da hatten die streng katholischen Eltern seiner Mutter darauf bestanden, dass sie das Kind zur Adoption freigab, nachdem sie bis zur Geburt in einer anderen Stadt untergetaucht war. Seine Adoptiveltern waren liebevoll und gut situiert. Der Vater arbeitete als Anwalt für Steuerrecht an der Wall Street und hatte Blake in die Grundlagen des klugen Investierens eingewiesen. Er sorgte dafür, dass Blake erst in Princeton studierte und später einen Abschluss in Harvard machte. Seine Mutter hatte gemeinnützige Arbeit verrichtet und ihm beigebracht, dass man der Welt auch etwas zurückgeben muss. Blake hatte beide Lektionen gut gelernt, und die von ihm gegründete Stiftung unterstützte zahlreiche Wohltätigkeitsorganisationen. Von den meisten kannte er nicht einmal den Namen, die Schecks stellte er trotzdem aus.

Seine Eltern starben kurz nach seiner Heirat mit Maxine. Die beiden waren wunderbare Menschen und hingebungsvolle Eltern gewesen. Blake hatte immer bedauert, dass sie seine Kinder nicht kennengelernt hatten. Sie hatten auch seinen beruflichen Erfolg nicht mehr erlebt. Manchmal fragte er sich, was sie zu seinem gegenwärtigen Lebensstil sagen würden. Wenn er spät in der Nacht wach lag, kam er zu dem Schluss, dass sie nicht begeistert gewesen wären. Ihm war durchaus bewusst, wie viel Glück er gehabt hatte. Aber er genoss sein Leben und hatte sich an vieles gewöhnt, so dass es ihm schwerfallen würde, einen Gang zurückzuschalten. Außerdem schadete er niemandem. Er hätte gern mehr von seinen Kindern gehabt, aber es fehlte ständig die Zeit. Wenn er die drei dann endlich sah, versuchte er, sie für alles zu entschädigen. Auf seine Weise war er zu ihrem Traumvater geworden. Blake schlug ihnen keinen Wunsch ab. Maxine stand für Stabilität und Ordnung. Er bot ihnen Aufregung und Spaß. In gewisser Weise hatte er diese Rolle früher auch für seine Frau gespielt.

Blake fragte, wie es ihren Eltern gehe. Besonders Maxines Vater hatte er immer gemocht. Er war ein hart arbeitender, ernsthafter Mann mit festen Wertvorstellungen und hoher Moral, wenn auch ein bisschen phantasielos. Im Grunde war er eine ernstere Ausgabe von Maxine. Aber trotz ihrer unterschiedlichen Vorstellungen waren er und Blake immer gut miteinander ausgekommen. Sein Schwiegervater hatte ihn stets neckend als »Filou« bezeichnet. Blake gefiel das. Er fand, es klang sexy und aufregend. In den letzten Jahren war Maxines Vater jedoch enttäuscht, dass Blake für die Kinder so wenig Zeit hatte. Und er bedauerte, dass Maxine die Verantwortung für sie allein trug.

»Dann sehen wir uns an Thanksgiving«, sagte Blake. »Ich werde dich morgens anrufen. Dann weiß ich genau, wann ich ankomme. Wahrscheinlich bestelle ich für das Abendessen einen Caterer. Du bist übrigens herzlich eingeladen«, fügte er großzügig hinzu und hoffte, sie würde zusagen. Er genoss es, mit ihr zusammen zu sein. Daran hatte sich nichts geändert. Sie war und blieb eine wunderbare Frau. Er wünschte nur, sie würde alles ein wenig entspannter angehen und das Leben mehr genießen. Seiner Meinung nach übertrieb sie es mit der protestantischen Arbeitsmoral.

Als sich Maxine gerade von Blake verabschiedete, summte die Sprechanlage erneut. Ihr Patient war eingetroffen. Maxine legte auf und öffnete die Tür zum Sprechzimmer. Ein Junge kam herein und setzte sich in einen der Sessel. Erst dann sah er Maxine an und begrüßte sie.

»Hallo Ted«, antwortete Maxine mit ruhiger Stimme. »Wie läuft’s?« Der Junge zuckte mit den Schultern. Er hatte zweimal versucht, sich zu erhängen. Maxine hatte ihn für drei Monate in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Seit zwei Wochen war er wieder zu Hause. Dreimal wöchentlich kam er zu ihr in die Praxis und einmal pro Woche besuchte er eine Gruppentherapie für suizidgefährdete Jugendliche. Bereits im Alter von dreizehn Jahren hatten sich bei ihm die ersten Anzeichen einer manisch-depressiven Erkrankung gezeigt. Momentan lief es gut, und Maxine hatte eine stabile Beziehung zu dem Jungen aufbauen können. Ihre Patienten waren ihr wichtig. Diese Haltung trug dazu bei, dass sie eine ausgezeichnete Ärztin war.

Die Therapiesitzung dauerte fünfzig Minuten. Danach hatte Maxine zehn Minuten Pause, die sie für zwei Telefonate nutzte. Anschließend begann die letzte Sitzung des Tages. Die Patientin war eine Sechzehnjährige, die an Magersucht litt. Es war ein langer, anstrengender Tag gewesen, der Maxine viel Konzentration abverlangte. Sie erledigte noch ein paar Anrufe, und um halb sieben machte sie sich auf den Weg nach Hause. Sie ging durch den Regen und dachte an Blake. Sie freute sich, dass er Thanksgiving in New York feiern wollte. Die Kinder würden begeistert sein. Vielleicht bedeutete sein Besuch aber auch, dass er Weihnachten nicht mit ihnen verbringen würde und nicht über Silvester mit ihnen nach Aspen fuhr. Dort verbrachte er in der Regel das Jahresende. Bei all seinen interessanten Kontakten und Wohnsitzen war es schwer zu sagen, wo er sich gerade befand. Da er jetzt auch noch Marokko auf die Liste gesetzt hatte, würde es in Zukunft noch schwieriger sein. Maxine warf ihm nichts vor, aber manchmal war es frustrierend. Blake war kein schlechter Kerl, doch ihm fehlte jegliches Verantwortungsgefühl. Er hatte sich schlichtweg geweigert, erwachsen zu werden. Mit ihm zusammen zu sein war deshalb nur so lange ein Vergnügen, wie man nicht zu viel von ihm erwartete. Hin und wieder überraschte er Maxine und die Kinder, indem er etwas wirklich Umsichtiges tat, aber im nächsten Augenblick war er auch schon wieder auf und davon. Maxine fragte sich manchmal, ob nicht alles anders gelaufen wäre, wenn Blake nicht schon mit zweiunddreißig Jahren so viel Geld verdient hätte. Manchmal verfluchte sie diesen Erfolg und wünschte, es wäre nie dazu gekommen.

Maxine hatte Blake während ihrer Facharztausbildung am Stanford Hospital kennengelernt. Er arbeitete damals im Silicon Valley und feilte an seinem noch in den Kinderschuhen steckenden Unternehmen. Maxine hatte nie so recht verstanden, wobei es darum eigentlich ging, aber sie bewunderte die Energie und Leidenschaft, die er in seine Projekte steckte. Sie waren sich auf einer Party begegnet, zu der sie gar nicht hatte gehen wollen. Eine Freundin hatte sie überredet. Maxine hatte eine Doppelschicht auf der Traumatologie-Station hinter sich und konnte kaum noch die Augen offen halten, bis Blake plötzlich vor ihr stand. Mit einem Schlag war sie hellwach gewesen. Am nächsten Tag lud er sie zu einem Rundflug mit dem Hubschrauber ein. Sie flogen über die Bucht von San Francisco und unter der Golden Gate Bridge hindurch. Mit Blake zusammen zu sein war aufregend, und ihre Beziehung entwickelte sich wie ein Buschfeuer bei Wind. In weniger als einem Jahr waren sie verheiratet. Maxine war bei der Trauung siebenundzwanzig Jahre alt. Das folgende sollte ein verrücktes Jahr werden, in dem sich die Ereignisse überschlugen. Zehn Monate nach ihrer Hochzeit verkaufte Blake seine Firma für ein Vermögen. Der Rest war Geschichte. Anscheinend mühelos vermehrte er seinen Besitz. Er war bereit, alles zu riskieren, und seine Investitionen erwiesen sich jedes Mal als genialer Schachzug. Maxine war wie geblendet von seinem Geschick und seiner Cleverness.

Zwei Jahre nach der Hochzeit wurde Daphne geboren. Zu diesem Zeitpunkt besaß Blake bereits ein riesiges Vermögen und drängte Maxine, mit dem Arbeiten aufzuhören. Stattdessen übernahm sie die Leitung der Abteilung für Jugendpsychiatrie. Das war eine große Herausforderung für die junge Mutter, die mit einem der reichsten Männer der Welt verheiratet war. Und weil sie sich zu sehr auf die Behauptung verlassen hatte, dass Stillen als Empfängnisverhütung wirkt, war sie sechs Wochen nach Daphnes Geburt erneut schwanger. Als Jack geboren wurde, hatte Blake bereits die Häuser in London und Aspen gekauft, und sie zogen wieder nach New York. Kurz darauf setzte er sich zur Ruhe. Maxine gab auch mit zwei Kindern ihren Beruf nicht auf. Ihr Mutterschaftsurlaub war kürzer als manche von Blakes Reisen. Er war in der ganzen Welt unterwegs. Eine Kinderfrau wurde engagiert, die in der gemeinsamen Wohnung lebte, und Maxine ging wieder arbeiten.

Es war eine Belastung zu arbeiten, während Blake sich amüsierte, aber sein Lebensstil schreckte Maxine ab. Für ihren Geschmack war das Jetset-Leben zu oberflächlich und snobistisch. Während sie ihre eigene Praxis eröffnete und an einem Forschungsprojekt über Kindheitstraumata teilnahm, beauftragte Blake den teuersten Innenarchitekten von London damit, das Haus einzurichten, und einen weiteren, der sich um das Haus in Aspen kümmerte. Nebenbei kaufte er ein Haus auf St. Bart’s – als Weihnachtsgeschenk für Maxine – und für sich ein Flugzeug. Maxine ging das alles viel zu schnell, aber von da an nahm Blake das Tempo nicht mehr zurück. Er war immer öfter auf den Titelblättern von Newsweek und Time zu sehen. Er tätigte Investitionen, und sein Vermögen verdoppelte und verdreifachte sich. Ein geregeltes Arbeitsleben war für ihn passé. Schließlich spielte sich ihre Ehe größtenteils am Telefon ab. Wenn Blake nach Hause kam, war er liebevoll wie eh und je – aber er war eben so gut wie nie da. Es gab durchaus einen Punkt, an dem Maxine tatsächlich darüber nachdachte, ihre Arbeit aufzugeben. Sie hatte sogar mit ihrem Vater darüber gesprochen. Am Ende entschied sie sich jedoch dagegen. Was würde sie ohne Arbeit anfangen? Mit Blake von einem Haus zum anderen fliegen, auf Safari gehen oder den Himalaja erklimmen? Ausgrabungen finanzieren oder an Bootsrennen teilnehmen? Blake brachte so ziemlich alles zuwege, und es gab nichts, vor dem er sich fürchtete. Alles musste er ausprobieren. Bei vielen Orten, die er bereiste, konnte sie sich nicht vorstellen, zwei Kleinkinder mitzunehmen. Aber bei jedem traumatisierten Kind, das in ihre Praxis kam, jedem selbstmordgefährdeten Jugendlichen, den sie behandelte, verspürte sie die Gewissheit, dass sie gebraucht wurde. Sie erhielt zwei bedeutende Auszeichnungen für ihre Forschungen, doch ihr Leben nahm schizophrene Züge an. Sie telefonierte mit ihrem Ehemann, der sich in Venedig, auf Sardinien oder in St. Moritz aufhielt, holte in New York die Kinder vom Kindergarten ab, arbeitete an psychiatrischen Forschungsprojekten und hielt Vorträge. Sie führte drei Leben zur selben Zeit. Irgendwann gab Blake es auf, sie zu bitten, ihn auf seinen Reisen zu begleiten. Die Welt lag ihm zu Füßen und war ihm nie groß genug. Er wurde zum stets abwesenden Ehemann und Vater, während Maxine um das Leben suizidgefährdeter Jugendlicher kämpfte. Sosehr sie einander auch liebten, irgendwann waren die Kinder die einzige Brücke zwischen ihnen.

Während der folgenden fünf Jahre führte jeder sein eigenes Leben. Hin und wieder trafen sie sich irgendwo auf der Welt. Und dann war Maxine schwanger mit Sam. Es war ein Unfall gewesen. Sie und Blake hatten sich übers Wochenende in Hongkong getroffen. Er war gerade mit Freunden von einer Trekkingtour durch Nepal zurückgekehrt. Maxine hatte eine Auszeichnung für ihre Forschungen zu Magersucht bei jungen Mädchen erhalten. Als sie bemerkte, dass sie schwanger war, hatte sie sich, anders als bei ihren vorherigen Schwangerschaften, nicht gefreut. Dieses Kind war ein Teil mehr in dem Puzzle, das jetzt schon zu kompliziert für sie allein war. Doch Blake war außer sich vor Freude. Er behauptete beharrlich, er wolle ein halbes Dutzend Kinder, was in Maxines Augen keinen Sinn ergab. Um die beiden, die er schon hatte, kümmerte er sich schließlich kaum. Als Sam auf die Welt kam, war Daphne sieben und Jack sechs. Blake verpasste die Geburt und stand einen Tag später mit einer Schatulle von Harry Winston in der Hand an Maxines Bett. Er schenkte ihr einen 30-karätigen Smaragdring. Der Ring war wunderschön, aber nicht das, was sie von Blake wollte. Viel lieber hätte sie mehr Zeit mit ihm verbracht. Wehmütig dachte sie an die ersten gemeinsamen Monate in Kalifornien, als sie beide gearbeitet hatten und glücklich waren, bevor er den Hauptgewinn zog, der ihr Leben radikal veränderte.

Als Sam acht Monate später vom Wickeltisch fiel, war sein Vater nirgendwo aufzutreiben. Zwei Tage später machte Maxine ihn endlich ausfindig. Er war auf dem Weg nach Venedig, wo er als Überraschung für sie einen Palazzo kaufen wollte. Doch sie hatte genug von all den Häusern, Überraschungen und Abenteuern. Blake kam zwar sofort nach Hause, nachdem sie von Sams Unfall erzählt hatte, aber das änderte nichts mehr. Als er vor ihr stand, brach sie in Tränen aus und erklärte, dass sie die Scheidung wolle. Es war ihr alles zu viel. Sie hatte in seinen Armen geschluchzt und beteuert, dass sie so nicht weiterleben könne.

»Warum schließt du nicht die Praxis?«, schlug er mit sanfter Stimme vor. »Du arbeitest zu viel. Konzentriere dich einfach auf die Kinder und auf mich. Wir können eine Haushälterin einstellen, und du begleitest mich auf meinen Reisen.« Offenbar hatte er ihren Wunsch nach einer Scheidung nicht ernst genommen. Schließlich liebten sie sich. Warum sollten sie sich scheiden lassen?

»Wenn ich das tun würde«, entgegnete sie niedergeschlagen, »dann würde ich meine Kinder kaum noch sehen. So wie du. Wann warst du das letzte Mal länger als zwei Wochen zu Hause?«

Blake überlegte und sah sie überrascht an. Sie hatte recht, aber das wollte er nicht zugeben. »Du meine Güte, Max, ich weiß es nicht. So denke ich nicht.«

»Ja, eben.« Sie weinte noch heftiger und schneuzte sich. »Ich weiß ja nicht einmal mehr, wo du gerade steckst. Als Sam sich verletzt hat, konnte ich dich tagelang nicht finden. Wenn er nun gestorben wäre? Oder ich? Du wüsstest es nicht einmal!«

»Es tut mir leid, Schatz, ich werde in Zukunft besser Kontakt halten. Aber ich weiß nun mal, wie gut du alles unter Kontrolle hast.« Es gefiel ihm, ihr die Verantwortung zu überlassen, während er spielte wie ein Kind im Sandkasten.

»Da hast du recht. Trotzdem bin ich es leid, für alles allein verantwortlich zu sein. Statt mir vorzuschlagen, meine Arbeit aufzugeben, könntest du aufhören zu reisen und zu Hause bleiben.« Maxine hatte wenig Hoffnung, aber sie wollte ihm noch eine Chance geben.

»Wir haben tolle Häuser, und es gibt so vieles, das ich tun möchte.« Blake war gerade dabei, die Aufführung eines Theaterstücks in London zu finanzieren. Der Autor war ein junger Schriftsteller, den Blake seit zwei Jahren protegierte. Er liebte es, die Künste zu fördern. Seine Frau und die Kinder liebte er auch, doch auf Dauer war New York zu langweilig. Viele Jahre lang hatte Maxine das geduldig hingenommen, aber jetzt konnte sie es nicht mehr. Sie wollte Stabilität und genau jenes geregelte Leben, das Blake verabscheute. Er reizte gern die Grenzen aus – bis keine mehr existierten. Den Begriff »Freigeist« definierte er auf eine Weise, die Maxine nie für möglich gehalten hatte. Und da er sowieso nie bei ihr war, war die Scheidung ein folgerichtiger Schritt. Es war ihr zunehmend schwergefallen, sich einzureden, sie hätte einen Ehemann, auf den sie sich verlassen konnte. Schließlich hatte sie akzeptieren müssen, dass das nicht der Fall war. Blake führte sein eigenes Leben, und sie spielte darin kaum noch eine Rolle.

Unter vielen Tränen hatten sie sich vor fünf Jahren scheiden lassen. Er überließ ihr das Apartment in New York und das Haus in Southampton. Sie hätte auch die anderen Häuser haben können, aber die wollte sie nicht. Blake bot ihr eine großzügige Abfindung an. Er hatte ein schlechtes Gewissen, weil er während all der Jahre so wenig Zeit für sie und die Kinder gehabt hatte. Doch obwohl er es sich nur ungern eingestand – in New York fühlte er sich wie in einer Zwangsjacke.

Maxine lehnte die Abfindung ab und beanspruchte lediglich Unterhalt für die Kinder. Sie verdiente mit der Praxis genug für sich. Außerdem war der Reichtum in ihren Augen immer Blakes Verdienst gewesen und nicht ihres. Keiner ihrer Freunde konnte nachvollziehen, dass sie in ihrer Situation so fair geblieben war. Aber sie liebte Blake und wollte ihm nicht schaden, sondern wünschte ihm alles Gute. Sie waren enge Freunde geblieben, und Maxine sagte immer, er sei ihr wilder, eigenwilliger Bruder. Als er nach der Scheidung begann, mit ständig wechselnden Mädchen auszugehen, von denen die meisten nur halb so alt waren wie er, war sie anfangs schockiert. Doch bald schon übte sie sich in Gelassenheit. Ihre einzige Sorge bestand darin, ob Blakes Freundinnen nett zu ihren Kindern waren.

Seit der Scheidung hatte Maxine keine ernsthafte Beziehung mehr geführt. Die meisten Psychiater und Ärzte, mit denen sie zu tun hatte, waren verheiratet, und so beschränkte sich ihr gesellschaftliches Leben auf die Kinder. Mit den dreien und ihrer Arbeit hatte sie ohnehin alle Hände voll zu tun. Es hatte zwar einzelne Verabredungen gegeben, aber nie gefunkt. Trotz Blakes Unzuverlässigkeit war er für sie der liebevollste, anständigste und großzügigste Mensch, den sie kannte. Doch nun brauchte sie vor allem Struktur, ein geordnetes Leben, und sie hatte nicht denselben Drang – oder auch Mut – wie Blake, ihre wildesten Träume zu verwirklichen. Manchmal beneidete sie ihn darum.

Für Blake war nichts im Leben zu riskant. Deshalb waren seine Projekte stets von Erfolg gekrönt. Im Vergleich zu ihm kam sich Maxine wie ein ängstliches Mäuschen vor. Obwohl sie selbst ebenfalls eine erfolgreiche Frau war, spielte sie doch in einer anderen Liga. Sie bedauerte zwar, dass ihre Ehe gescheitert war, aber sie war unendlich glücklich darüber, dass sie die Kinder hatte. Die drei waren die Freude und der Mittelpunkt ihres Lebens. Mehr brauchte sie nicht. Mit zweiundvierzig war sie nicht verzweifelt auf der Suche nach einem Mann. Sie hatte einen befriedigenden Job, Patienten, die ihr am Herzen lagen, und wunderbare Kinder. Das war vorerst genug. Manchmal war es sogar mehr als genug.

Der Portier tippte sich an den Hut, als Maxine das Apartmenthaus an der Park Avenue betrat. Es lag fünf Blocks von ihrer Praxis entfernt und war ein vor dem Zweiten Weltkrieg erbautes Haus mit großzügigen Räumen und einer gediegenen Atmosphäre. Der Wind hatte Maxines Regenschirm umgeschlagen und die Stangen zerbrochen, nachdem sie kaum zehn Schritte aus der Praxis heraus gewesen war. Sie hatte ihn weggeworfen. Ihr Trenchcoat und das blonde Haar, das sie bei der Arbeit zu einem Pferdeschwanz gebunden trug, waren nun pitschnass und klebten ihr an Kopf und Körper. Das ungeschminkte Gesicht wirkte jedoch frisch und klar. Maxine war groß und schlank und wirkte wesentlich jünger, als sie war. Blake hatte immer wieder betont, welch tolle Beine sie hatte. Allerdings zeigte Maxine sie selten in kurzen Röcken. Bei der Arbeit trug sie schicke, bequeme Hosen und an den Wochenenden Jeans. Sie gehörte nicht zu den Frauen, die sich sexy anzogen, um auf ihr Aussehen aufmerksam zu machen. Maxine bevorzugte geschmackvolle, dezente Kleidung. Blake hatte sie oft damit aufgezogen, dass sie ihn an Lois Lane erinnere. Doch Maxine hatte es nicht nötig, ihre körperlichen Vorzüge zu betonen. Sie war eine wunderschöne, erotische Frau. Blake hatte dunkles Haar, aber seine Augen waren von demselben Blau wie ihre. Obwohl sie selbst groß war, überragte er sie mit seinen 1,95 Meter um einen ganzen Kopf. Sie waren ein eindrucksvolles Paar gewesen. Daphne und Jack hatten das beinahe schwarze Haar ihres Vaters und die blauen Augen der Eltern geerbt. Sam war blond wie seine Mutter und hatte die grünen Augen seines Großvaters. Er war ein niedliches Kind und kuschelte immer noch gern mit seiner Mom.

Maxine fuhr mit dem Aufzug nach oben. Um ihre Füße bildeten sich kleine Pfützen. Sie schloss die Wohnungstür auf. Außer ihrer gab es auf der Etage nur noch eine weitere Wohnung. Die Besitzer waren im Ruhestand und hielten sich die meiste Zeit in Florida auf. Maxine war froh, dass sie sich keine Gedanken darüber zu machen brauchte, ob die Kinder zu laut waren.

In dem großzügigen Eingangsbereich zog sie den Trenchcoat aus und legte ihn zum Trocknen über den Schirmständer. Aus einem der Zimmer drang laute Musik. Maxine streifte auch die nassen Schuhe ab, und als sie sich im Spiegel erblickte, musste sie lachen.

»Was haben Sie denn angestellt?«, fragte Zelda. »Sind Sie nach Hause geschwommen?« Sie trug einen Stapel saubere Wäsche auf den Armen. Seit Jacks Geburt war sie im Haus und für alle ein Geschenk des Himmels. »Warum haben Sie denn kein Taxi genommen?«

»Ich brauchte frische Luft«, antwortete Maxine lächelnd. Zelda war füllig und hatte ein rundes Gesicht. Das Haar trug sie zu einem dicken Zopf geflochten. Sie war genauso alt wie Maxine, hatte nie geheiratet und arbeitete seit ihrem achtzehnten Lebensjahr als Kinderfrau. Maxine folgte ihr in die Küche. Sam saß am Küchentisch und malte. Er hatte gebadet und trug bereits seinen Schlafanzug. Zelda reichte Maxine eine Tasse Tee. Es tat gut, nach Hause zu kommen und zu wissen, dass Zelda alles unter Kontrolle hatte. Sie war genauso ordnungsliebend wie Maxine und verbrachte ihre Tage damit, hinter den Kindern herzuräumen, zu kochen und die drei herumzukutschieren, während ihre Mutter in der Praxis war. Samstags und sonntags übernahm dann Maxine. Offiziell hatte Zelda an den Wochenenden frei. Sie ging gern ins Theater, aber meistens blieb sie doch in ihrem Zimmer hinter der Küche, entspannte sich und las. Ihre Loyalität gehörte den Kindern und deren Mutter. Sie war inzwischen zu einem Teil der Familie geworden. An Blake verschwendete sie kaum einen Gedanken. Er war in ihren Augen ein attraktiver, verwöhnter Tunichtgut und lausiger Vater. Sie war der Meinung, dass die Kinder etwas Besseres verdient hatten. Maxine konnte dem schlecht widersprechen. Sie liebte Blake, doch Zelda brachte ihm kaum Zuneigung entgegen.

Die Küche war in hellem Holz gehalten, mit Parkettboden und Arbeitsplatten aus beigefarbenem Granit ausgestattet. Es war ein gemütlicher Raum, in dem sich alle gern aufhielten. Es gab auch ein Sofa und einen Fernseher, so dass Zelda dort Seifenopern und Talkshows verfolgen konnte. Sobald sich eine Gelegenheit bot, wusste sie aus beidem umfangreich zu zitieren.

»Hi Mom«, begrüßte Sam seine Mutter und sah kurz von dem Bild auf, an dem er konzentriert mit einem lilafarbenen Stift arbeitete.

»Hallo, mein Schatz. Wie war dein Tag?« Maxine küsste ihn auf den Scheitel und zerzauste ihm das Haar.

»Gut. Stevie hat sich in der Schule übergeben«, erklärte Sam mit gelassener Stimme und tauschte den Stift gegen einen grünen aus. Er malte ein Haus, einen Cowboy und einen Regenbogen, ein schönes Bild. Sam war ein normales, glückliches Kind. Er hatte nie mit seinem Vater zusammengelebt und vermisste ihn deshalb weniger als seine Geschwister.

»Der Ärmste«, bedauerte Maxine den kleinen Stevie. Hoffentlich war kein Virus in Umlauf. »Aber du fühlst dich gut?«

»Ja.« Sam nickte.

Zelda warf gerade einen prüfenden Blick in den Backofen, in dem das Abendessen brutzelte, als Daphne in die Küche schlenderte. Sie besuchte zwar erst die achte Klasse, aber mit ihren dreizehn Jahren entwickelte sie bereits weibliche Kurven. Alle drei Kinder gingen auf die Dalton, eine Schule, die Maxine sehr schätzte.

»Leihst du mir deinen schwarzen Pulli?«, fragte Daphne und bediente sich von den Apfelspalten, die Sam auf einem Teller vor sich stehen hatte.

»Welchen?« Maxine beäugte ihre Tochter misstrauisch.

»Den mit dem weißen Pelzbesatz. Emma gibt heute eine Party«, antwortete Daphne und tat gleichgültig. Maxine sah ihrer Tochter jedoch an, dass die Lässigkeit gespielt war. Es war Freitag, und neuerdings fanden fast jedes Wochenende Partys statt.

»Das ist aber ein verdammt schicker Pulli für eine Party bei Emma. Was für eine Fete ist es denn? Eine mit Jungs?«

»Mmm … ähm … kann sein …«, stotterte Daphne, und Maxine lächelte.

Kann sein, dachte Maxine amüsiert. Offenbar wollte Daphne in Maxines neuem Pulli von Valentino jemanden beeindrucken, vermutlich einen Jungen aus der achten Klasse.

»Findest du nicht, dass du etwas zu jung für so einen Pulli bist? Wie wäre es mit etwas anderem?« Maxine hatte das gute Stück bisher nicht einmal selbst getragen. Sie machte gerade verschiedene Vorschläge, als auch Jack die Küche betrat – in Stollenschuhen.

Zelda schrie auf und deutete auf seine Füße. »Weg mit diesen Dingern! Du ruinierst den Boden. Sofort ausziehen!«, befahl sie.

Jack setzte sich grinsend auf den Boden und zog die Schuhe aus. Zelda hatte alle fest im Griff. Daran bestand kein Zweifel.

»Ihr habt doch heute nicht etwa gespielt, oder?«, fragte Maxine und beugte sich hinunter, um ihren Sohn zu küssen. Jack war entweder beim Sport oder saß vor seinem Computer. In der Familie war er der Computerexperte und half Maxine und seiner Schwester oft. Kein Problem war ihm zu schwierig. Er fand immer eine Lösung.

»Das Spiel wurde wegen Regen abgesagt.«

»Das dachte ich mir.« Da sie jetzt alle zusammen waren, erzählte Maxine von Blakes Plänen. »Er hat vorgeschlagen, dass ihr an Thanksgiving bei ihm zu Abend esst. Wenn ihr möchtet, könnt ihr auch bei ihm übernachten.« Blake hatte in seinem Penthouse auf der 15. Etage hübsche Zimmer für die Kinder eingerichtet, mit Stereoanlage und Videoplayer. Außerdem gab es ein Heimkino sowie ein Spielzimmer mit Poolbillard und jedem elektronischen Spielzeug, das man sich nur wünschen konnte.

»Kommst du auch mit?«, fragte Sam und blickte von seinem Bild auf. Ihm war es lieber, wenn seine Mutter dabei war. Sein Vater war für ihn eher ein Fremder, und er hatte Maxine gern in greifbarer Nähe. Im Gegensatz zu Daphne und Jack blieb er selten über Nacht bei Blake.

»Wenn du möchtest, begleite ich euch zum Abendessen. Mittags sind wir bei Grandma und Grandpa. Danach werde ich keinen Truthahn mehr sehen können.«

»Bringt Dad eine Freundin mit?«, fragte Sam, und Maxine bemerkte erst jetzt, dass sie es versäumt hatte, danach zu fragen. Blake war oft in Begleitung einer Frau, wenn er sich mit den Kindern traf. Sie waren immer sehr jung, und manchmal verbrachten die Kinder eine gute Zeit mit ihnen. Maxine wusste jedoch, dass sie dieses Karussell mit den wechselnden Partnerinnen ihres Vaters verwirrte. Daphne betrachtete sie zunehmend als Eindringlinge und wollte die einzige Frau im Leben ihres Vaters sein. Sie fand ihn unglaublich cool. Ihre Mutter dagegen war in ihren Augen uncool, was aber normal war für ein Mädchen ihres Alters. Maxine kannte junge Mädchen, die ihre Mütter regelrecht hassten. Selbst das ging vorüber, und noch machte sie sich keine großen Sorgen.

»Ich weiß nicht, ob er jemanden mitbringt«, antwortete Maxine.

Zelda schnaubte verächtlich vom Herd herüber.

»Die letzte war ein absoluter Blindgänger«, stellte Daphne fest und marschierte aus der Küche, um den Kleiderschrank ihrer Mutter zu durchforsten. Die Schlafzimmer lagen alle nebeneinander. Maxine gefiel es so. Sie hatte die Kinder gern in ihrer Nähe. Sam krabbelte nachts oft zu ihr ins Bett und behauptete, er hätte schlecht geträumt. Meistens war das nur eine Ausrede, weil er mit ihr kuscheln wollte.

Außerdem gab es in der Wohnung noch ein Wohnzimmer, ein Esszimmer, das gerade groß genug für alle war, und Maxine hatte ein kleines Arbeitszimmer, in dem sie Artikel schrieb und Vorträge vorbereitete. Die Wohnung war nicht mit Blakes luxuriösem Penthouse zu vergleichen, das wie ein Raumschiff auf dem Gipfel der Welt zu thronen schien. Aber sie war gemütlich und warm und fühlte sich an wie ein richtiges Zuhause.

Als Maxine in ihr Schlafzimmer ging, um sich die Haare zu trocknen, ertappte sie Daphne dabei, wie sie ihren Kleiderschrank durchwühlte. Daphne hatte einen weißen Kaschmirpullover angezogen und schwindelerregend hohe Highheels von Manolo Blahnik – schwarzes Leder, vorn spitz, mit Stilettoabsätzen. Maxine trug die Schuhe nur selten.

»Die sind viel zu hoch für dich«, warnte sie ihre Tochter. »Als ich sie das letzte Mal anhatte, habe ich mir fast den Hals gebrochen. Wie wäre es mit einem anderen Paar?«

»Mommmmm!«, stöhnte Daphne. »Ich kann schon darauf laufen.« Auf Maxine wirkten die Schuhe zu mondän für eine Dreizehnjährige. Allerdings sah Daphne eher aus wie fünfzehn oder sechzehn. Sie war ein hübsches Mädchen, mit den feinen Gesichtszügen und der zarten Haut ihrer Mutter und dem pechschwarzen Haar ihres Vaters.

»Das muss ja eine scharfe Party sein.« Maxine grinste. »Heiße Jungs, wie?«

Daphne verdrehte die Augen und stolzierte aus dem Zimmer, womit sie die Vermutung ihrer Mutter nur bestätigte. Maxine wurde ein bisschen unruhig bei der Vorstellung, wie das Leben wohl aussehen würde, sobald Jungs die Bühne betreten hatten. Bisher war der Umgang mit den Kindern sehr unkompliziert gewesen, aber sie wusste besser als jeder andere, dass es so nicht weitergehen würde. Und wenn es schwieriger wurde, würde sie damit allein zurechtkommen müssen, so wie mit allem anderen auch.

Maxine nahm eine heiße Dusche und zog sich einen Frotteebademantel über. Eine halbe Stunde später saßen alle am Küchentisch, und Zelda servierte das Abendessen. Es gab Brathähnchen, gebackene Kartoffeln und Salat. Zelda kochte bodenständige, gesunde Mahlzeiten, und alle waren sich einig, dass sie die besten Schokoladenkuchen und Pfannkuchen auf der Welt zubereitete. Maxine dachte oft mit Bedauern daran, dass Zelda eine wunderbare Mutter geworden wäre, aber es gab keinen Mann in ihrem Leben, schon seit Jahren nicht. Jetzt war Zelda zweiundvierzig und der Zug vermutlich abgefahren. Dafür umsorgte sie Maxines Kinder, als wären es ihre eigenen.

Beim Essen verkündete Jack, dass er mit einem Freund ins Kino wolle. Maxine war als Chauffeurin gefragt. Es lief ein neuer Horrorfilm, der besonders gruselig sein sollte. Sam wollte am nächsten Tag bei einem Freund übernachten. Heute würde er es sich mit Popcorn in Moms Bett gemütlich machen und eine DVD anschauen, Maxine würde Jack zum Kino fahren und Daphne unterwegs bei Emma absetzen. Am nächsten Tag musste sie Besorgungen erledigen. Das Wochenende würde sich wie immer locker um die Pläne der Kinder herum arrangieren.

Als sie später am Abend durch das People-Magazin blätterte und darauf wartete, dass Daphne anrief, um sich abholen zu lassen, stieß sie auf ein Foto von Blake. Es war in London auf einer Party der Rolling Stones aufgenommen und zeigte ihn mit einer bekannten Rocksängerin im Arm, einem wunderschönen Mädchen, das quasi unbekleidet war. Maxine betrachtete das Bild und überlegte, ob es ihr etwas ausmachte. Sie kam zu dem Schluss, dass es sie kaltließ. Sam schnarchte leise neben ihr, die leere Popcornschale vor sich und seinen geliebten, abgenutzten Teddy im Arm.

Während sie das Foto betrachtete, versuchte Maxine sich daran zu erinnern, wie es gewesen war, mit Blake verheiratet zu sein. Es hatte die wunderschönen Tage zu Anfang gegeben und die Einsamkeit und Enttäuschung am Ende. All das war vorbei. Es berührte sie nicht mehr, Blake mit irgendwelchen Starlets oder Models im Arm zu sehen. Er war ein Gesicht aus ihrer Vergangenheit. Blake konnte noch so attraktiv sein, letztlich hatte ihr Vater recht behalten. Er war kein Ehemann, sondern ein Filou. Sie küsste Sam auf das seidige Haar und dachte, dass ihr Leben gut war, so wie es war.

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2. Kapitel

Während der Nacht verwandelte sich der heftige Regen in Schnee. Die Temperatur fiel, und am nächsten Morgen war alles von einer weißen Schneeschicht bedeckt. Es war der erste richtige Schnee in diesem Winter. Als Sam die weiße Pracht entdeckte, klatschte er begeistert in die Hände.

»Gehen wir in den Park, Mom? Wir können die Poporutscher mitnehmen.« Es schneite immer noch, und draußen sah es aus wie auf einer Weihnachtskarte. Das musste man nutzen, denn am nächsten Tag würde nur noch Matsch übrig sein.