Hexenjunge - Maj Bylock - E-Book

Hexenjunge E-Book

Maj Bylock

4,6

Beschreibung

Anneli liebt ihren "Hexenjungen", ihren Sohn Ulv, über alles. Umso mehr trifft es sie, als Ulv auf tragische Weise sein Pferd Silbergrau verliert. Das Schicksal nimmt daraufhin seinen Lauf. Der Schmerz über den Verlust seines Pferdes ist so groß, dass Ulv seine Mutter und deren Zauberkräfte für den Tod des Pferdes verantwortlich macht. Ulv sieht keinen anderen Ausweg, als von zu Hause davonzulaufen und sich woanders niederzulassen. Auf seiner Reise erlebt er viele Abenteuer und wird langsam erwachsen."Hexenjunge" ist nach "Hexenprobe" und "Hexentochter" der dritte und letzte Band in der Abenteuer-Triologie von Maj Bylock.-

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Maj Bylock

Hexenjunge

Roman

Aus dem Schwedischenvon Gisela Kosubek

Saga

1

Der Wasserfall ...

Der reißende Fall ...

Der Junge weiß nicht, wie gefährlich er ist! Nur an den Schmetterling denkt er, der über den Gräsern flattert, gelb, wie ein Klecks Butter ... ja, gelber als die Sonne.

Der Junge auf der Treppe vergisst das Holzpferd, mit dem er gespielt hat, und streckt begierig die Hände nach dem Goldgelben aus. Er glaubt, der Schmetterling wolle mit ihm spielen, und tapst eifrig hinterher.

Aber er hat gerade erst laufen gelernt und stolpert noch ganz leicht über Steine und Grasbüschel. Emsig müht er sich wieder hoch. Wo ist der Gelbe geblieben?

Ja, dort! Dort auf der weißen Blume sitzt er!

Gerade als er ihn erreicht hat, flattert der Schmetterling wieder davon, immer weiter von der Treppe fort. Näher und näher zum Abgrund am breiten Wasserfall, wo spitze Klippen auf Beute lauern, wie Teufelszähne in der Gischt.

Übermütig lockt der Schmetterling ihn weiter.

Oben am Haus steht Anneli, seine Mutter, und gräbt ein Stück Land um. Mit kräftigen Stößen treibt sie den Spaten in die Erde und wendet einen Grasbatzen nach dem anderen. Dann hackt sie die Brocken klein und lockert den Boden.

Zufrieden malt sie sich aus, dass hier bald Kräuter und Gemüse wachsen werden. Genau hier wird ein Paradies entstehen voller Apfelbäume und Kohl. Hier wird sie Rossmalve, Katzenwedel und Engelwurz säen, Kräuter, die sie vielleicht einmal braucht, um Herzkrämpfe und Husten zu heilen. Und Rainfarn. Der hilft gegen Würmer.

Der Boden ist karg, doch ihre Hände haben die Gabe, die Pflanzen gedeihen zu lassen. Anneli stützt das Kinn auf den Spatenstiel und verschnauft ein wenig, während sie zum Fenster hinüberblickt. Es überläuft sie kalt. Dort drinnen sitzt Gertrud, die Schwiegermutter. Wenn sie wüsste, was hier wachsen soll! Dann wäre sie erst recht überzeugt, dass Anneli eine Hexe sei.

Anneli hebt den Spaten und stößt ihn zornig in die Erde. Es geht wohl an, dass Gertrud sie selbst verabscheut. Doch auch dem Jungen will sie übel und das ist nur schwer zu ertragen.

Voller Zärtlichkeit blickt Anneli zur Treppe.

Aber ... Wo ist der Junge geblieben? Eben hat er doch noch dort gesessen und mit seinem Holzpferd gespielt! Ist er zu Gertrud hineingegangen? Anneli lässt den Spaten fallen und läuft ins Haus. Ruft.

Doch Gertrud sitzt allein auf der Bank in der großen Küche und schaut nur mürrisch auf.

»Hier ist er nicht. Auf das Hexengör kannst du allein aufpassen!«

Anneli läuft rot an, doch stürzt sie gleich wieder zur Tür hinaus.

Der Fluss ... Wenn er etwa ...

Der gelbe Schmetterling flattert unbekümmert über den steilen Hang hinaus, der zum Fluss abfällt. Der Junge aber stürzt und rollt wie ein Wollknäuel hinab. Prallt gegen Felsen und Steine.

Hat Sand in Mund und Augen. Kann nicht schreien.

Immer schneller nähert er sich dem Wasser, das ihn gierig zu sich zieht, ihn fortsaugt in den wilden Fall.

2

Anneli kann den kleinen Körper gerade noch erblicken, ehe er in der weißen Gischt verschwindet. Sie schreit ihre Angst heraus. Von allem auf Erden ist ihr der Junge das Liebste, lieber noch als Bengt. Dennoch steht sie völlig erstarrt. Die Beine wollen sie nicht tragen. Jetzt ist er fort!

Da sieht sie den Wolf. Er steht auf einem Felsen mitten im Fall. Mit seinen scharfen Zähnen packt er das Hemd des Jungen und hebt ihn aus dem Wasser. Trägt ihn durch den reißenden Strom und legt ihn behutsam auf das weiche Gras am Ufer.

Ganz still steht Anneli und schaut. Fühlt den Schrecken und die Erstarrung verschwinden und Dankbarkeit und Wärme ihren Platz einnehmen. Ruhig geht sie den Hang hinunter zu ihrem Kind.

Der Wolf ist ihr Freund. Der Wolf mit den gütigen Augen und dem zerrissenen Ohr.

Der Junge sieht seine Mutter groß an und verkriecht sich still in ihre Arme. Sein Herz pocht, doch nicht schneller als sonst. Sie singt und wiegt ihn, bis er einschläft.

Er ist zu klein, um sich an die Begegnung mit dem grauen Wolf zu erinnern – glaubt sie! Doch sie selbst wird nie das erste Mal vergessen, als ihr der Wolf geholfen hat. Damals war sie erst zehn Jahre alt. Sie schließt die Augen und träumt sich zurück.

Anneli hatte Vater versprochen, nach dem kleinen Bruder zu sehen, Vaters Lieblingskind. Doch sie war hungrig und rote Walderdbeeren lockten sie vom Häuschen fort. Dort oben stoben Funken aus dem Feuer und zündeten die Wolle in Mutters Spankorb an.

Als der Rauch bis zu Anneli am Erdbeerhang drang, sah sie Vaters strenges Gesicht über sich am Himmel. Wie wahnsinnig vor Angst rannte sie los, nicht zum Häuschen hinauf. Nein, fort! Geradewegs in den Wald hinein.

Alles, woran sie sich später erinnerte, war, dass ein Wolf mit gütigen Augen und zerrissenem Ohr sie forttrug. Sie ritt auf dem Rücken des Wolfes und erst im Häuschen der alten Ylva kam sie zu sich.

Ylva war ein Kräuterweiblein und gewohnt zu helfen. Sie nahm sich des kleinen Mädchens an, das nicht einmal mehr seinen Namen wusste. Und Ylva lehrte sie lesen aus einem großen, schwarzen Zauberbuch. Sie lehrte das Mädchen auch, Kranke zu heilen.

Später wurde Ylva als Hexe verurteilt. Doch ehe sie starb, ließ sie ihre Heilkraft auf das Mädchen übergehen.

Die Leute in der Gegend glaubten, Anneli sei die Tochter der Hexe, und sie musste fliehen. Eines Tages kam sie zurück zu dem Haus, in dem sie als Kind gelebt hatte. Zuerst wusste sie nicht, wo sie sich befand, doch dann erinnerte sie sich.

Sie erinnerte sich an den Brand, die Eltern, die Geschwister. Und an ihren Namen ... Sie hieß Anneli!

Anneli hätte dort bleiben wollen, doch die Furcht trieb sie weiter. Sie machte sich auf in die Stadt. Unterwegs dorthin traf sie Bengt und verliebte sich. Bengt gab ihr Sicherheit und er wollte sie heiraten.

Doch Gertrud, Bengts Mutter, wurde zornig. Sie hatte eine andere Braut für ihn auserwählt. Eines Nachts, kurz vor der Hochzeit, schlich sie sich auf den Dachboden hinauf. Dort fand sie das Zauberbuch in dem Bündel, das Anneli versteckt hatte.

Sie weckte Anneli und drohte, wenn sie nicht sofort verschwände, würde sie Bengt erzählen, dass Anneli eine Hexe sei.

Ich habe selbst geglaubt, ich sei eine Hexe, denkt Anneli. Und deshalb bin ich noch einmal geflohen, obgleich ich wusste, dass ich ein Kind erwartete.

»Dich«, flüstert sie und schließt die Arme noch fester um den Jungen. Es fehlte nicht viel und ich hätte mich in den Fluss geworfen. Aber der Wolf stand da, damals wie heute. Er sagte mir, das, was ich bei Ylva gelernt habe, sei gut und nicht böse.

Ich ging in die Stadt und gebar den Jungen, denkt sie weiter. Doch die ganze Zeit sehnte ich mich nach Bengt. Schließlich ging ich zurück und erzählte ihm alles. Dennoch bat er uns, hier auf dem Hof zu bleiben.

Sie erhebt sich. Da wacht der Junge auf. Er zeigt eifrig auf das Wasser hinaus.

»Wauwau!«

Dann kann er sich doch an den Wolf erinnern, denkt Anneli.

In ihrem Innern weiß sie, dass der Wolf mit der alten Ylva zu tun hat. Jetzt weiß sie auch, dass Ylva den Jungen unter ihren Schutz genommen hat.

Bebend fragt sie sich, ob der Junge auch Ylvas Kraft und Wissen erben wird, so wie sie es getan hat.

3

Bengt tritt plötzlich aus dem Wald. Und um seine Stiefel springt Ville, das Hündchen, das sonst immer so gut auf den Jungen aufpasst. Wäre es daheim gewesen, hätte es den Kleinen niemals zum Fluss tapsen lassen!

Doch ausgerechnet heute hat Bengt Ville mit auf die Jagd genommen.

Der Junge windet sich aus ihren Armen und läuft geradewegs auf Bengt zu, der ihn hoch in die Luft hebt.

»Wauwau! Wauwau sehen!«, brabbelt der Junge.

Bengt lacht und glaubt, er meine Ville. Und er trägt ihn zum Haus hinauf. Anneli schweigt, und sie ist froh, dass der Junge noch nicht mehr sagen kann. Der Wolf ist ihr Geheimnis.

Sie wirft rasch einen Blick in die Jagdtasche, doch sie ist leer, obwohl er den ganzen Tag fort gewesen ist. Nein, nicht leer! Sie bemerkt seine Geige und den Bogen.

Dann hat er irgendwo gesessen und gespielt. Hat die Jagd vergessen ... Ein Träumer ist er!

Schon längst hätten die Äcker gepflügt sein müssen. Doch er hat noch nicht einmal begonnen. Kommt die Saat zu spät in den Boden, kann das Korn nicht reifen, ehe es Herbst wird und der Frost es packt.

Mein Gartenland muss warten, denkt sie. Wir müssen morgen den Jungen mit aufs Feld nehmen und das Pflügen gemeinsam erledigen.

Anneli gießt Wasser in den großen Kochtopf auf dem Herd. Das Feuer ist erloschen!

Gertrud hat den ganzen Tag im Haus gesessen. Sie hätte doch die Glut bewachen können, denkt Anneli enttäuscht.

Doch die Alte murmelt so leise, dass nur Anneli es hören kann: »Wenn du hier auf dem Hof Bäuerin werden willst, musst du schon sehen, dass du dich nützlich machst.«

Schon bald kocht das Wasser. Rasch quirlt Anneli Hafermehl hinein und rührt mit einer entrindeten Tannenspitze im Topf. Fingergrütze ist schnell zubereitet und man braucht nicht viel zu rühren. Dass der Brei hart und klumpig wird, ist nur gut, wenn man ihn mit den Fingern essen will.

Der Speck brutzelt in der Pfanne und Spritzer zischen nach allen Seiten.

Anneli gießt das Fett über den Brei und stellt den Topf mitten auf den Tisch.

»Jetzt können wir essen!«

Ville liegt erwartungsvoll neben dem Platz des Jungen. Dort landet rasch der eine oder andere Leckerbissen auf dem Boden.

Als Nachspeise hat Anneli eine Schale mit süßer Milch gefüllt. Preiselbeermus hat sie keins gefunden.

Hier hat wohl im Herbst niemand Preiselbeeren gepflückt, denkt sie.

Aber Bengt ist dennoch zufrieden. Er reckt sich und schaut Anneli an. Wie er sie vermisst hat! Gertrud soll sie nicht wieder verjagen können.

»Pfingsten«, sagt er bestimmt, »wird hier Hochzeit gefeiert. Und der Junge muss getauft werden. Bengt Bengtsson soll er heißen, genau wie ich.«

Bengt Bengtsson, schnaubt Gertrud im Stillen. Wie kann er so sicher sein, dass das Hexenbalg seins ist?

Aber Anneli ist glücklich.

»Ja, das ist gut. Zwei Namen bekommt er von dir. Und einen von mir. Ulv werden wir ihn rufen.«

Ulv nennen die Menschen den männlichen Wolf, denkt sie. Wäre es ein Mädchen gewesen, hätte sie Ylva geheißen.

Am Abend, als Anneli vom Melken hereinkommt, steht Gertrud über den Jungen gebeugt. Sie erbleicht, als sie die Alte die blonden Locken zur Seite streichen sieht.

»Lass das!«

Sie weiß, die Alte sucht nach dem roten Mal, das Hexen auf der Stirn tragen. Doch die Haut des Jungen ist weiß und glatt. Ja, glatter als die Haut der Engel, die in der Kirche über dem Altar schweben.

Gertrud richtet sich auf und geht in den Stall hinaus. Dort nimmt sie einen Bottich mit Teer und malt mit entschiedenen Strichen ein Kreuz mitten über die Tür. Sie hofft, das christliche Zeichen werde den Hof gegen Hexerei und Teufelskünste schützen.

Im Abenddunkel sieht Anneli, wie Gertrud von Tür zu Tür geht, bis alle Türen des Hofes von einem Kreuz gekrönt werden.

Wenn Gertrud einen Waldkauz besessen hätte, den sie hätte an die Wand nageln können, wäre ihr erst richtig wohl gewesen. Denn gegen Waldkäuze kommt nichts an, nein, nicht einmal der Böse selbst.

4

Nein, gegen Waldkäuze kommt niemand an. Doch niemand kommt auch gegen Anneli an. Sie ist sehr bestimmt. Als Bengt mit seiner Geige zum Wasserfall hinunter verschwinden will, zeigt sie auf den Acker hinaus. Sicher kann er spielen, doch nicht bevor die Frühjahrsbestellung beendet ist.

Gemeinsam pflügen sie, und die Saat wird rechtzeitig ausgebracht, auf den Feldern und auf dem Gartenland. Doch da hat Anneli viele Nachtstunden opfern müssen.

Dieses Jahr ist hier weit mehr zu tun als sonst. Pfingsten soll schließlich Hochzeit sein!

Als das Pfingstfest naht, ist das Haus geputzt und die Treppe mit frischen Birken geschmückt. Auf der Brotstange in der Küche hängen runde Fladenbrote und das Kupfergeschirr steht sauber glänzend auf dem Bord.

Ulv klettert auf die Bank und will mit den Töpfen spielen, als die Sonne hereinscheint und sich in ihrem Glanz spiegelt. Doch am liebsten ist er bei Bengt im Stall.

Dort steht das große Pferd, auf dem Ulv sitzen darf. Wenn das Pferd schnaubt und seinen großen Kopf schüttelt, klammert er sich an der Mähne fest und schreit vor Spannung und Glück.

Tiere sind das Beste, was der Junge kennt. Oft liegt er reglos im Gras und beobachtet Ameisen, Käfer und Würmer.

Am Morgen des Pfingsttages, als sie in die Kirche wollen, läuft Anneli im Brautkleid durch den Hof und sucht nach Ulv. Der Wagen ist bereits vorgefahren, und die Zeit drängt, denn Pfarrer und Hochzeitsgäste warten.

Sie findet ihn im Gebüsch. Dort spielt er mit einer großen Spinne. Der saubere Kittel hat schon wieder einen Erdfleck, dabei soll Ulv doch nach der Trauung getauft werden!

Anneli läuft rasch zum Brunnen, und es gelingt ihr, das Schlimmste auszuwaschen. Dann klettert sie zu Bengt auf den Wagen. Mit der einen Hand hält sie den Jungen. Mit der anderen umklammert sie das Gesangbuch, ihr Brautgeschenk von Bengt.

Mit festem Griff hält Bengt die Zügel gepackt. Gertrud hat ihn gewarnt. Eine Hochzeitsfahrt ist gefährlicher als jede andere Reise, und was kann nicht alles geschehen, wenn die Braut eine Hexe ist?

Bengt kümmert sich nicht um ihr Gerede. Er weiß schließlich, dass sie die Hochzeit am liebsten wieder verhindern würde. Diesmal soll es ihr nicht gelingen! Er lässt sie nicht alles zerstören.

Bengt liebt Anneli und er liebt Ulv. Endlich, endlich soll Anneli seine Frau werden!

Doch Gertrud hat nicht ganz Unrecht. Bengt weiß, dass Hochzeitsfahrten übel enden können. Vor nicht allzu langer Zeit scheute ein Paar Hochzeitspferde. Und er hat von einem Brautgefolge gehört, das zu Stein wurde. Doch da war sicher Zauberei im Spiel.

Zauberei oder nicht ... Heute geht alles gut!

Als die Sonne auf halbem Weg zu den Bergen westlich des Flusses ist, rumpelt der Hochzeitswagen wieder unbeschädigt auf den Hof.

Bengt hilft Anneli beim Aussteigen. Dann nimmt er Gertruds schweren Schlüsselbund und befestigt ihn feierlich an Annelis Gürtel. Jetzt ist sie es und nicht Gertrud, die über die Vorratskammer und den Keller herrscht.

Anneli steht lächelnd in der Sonne und bittet die Gäste zu Tisch. Dass sie so unaussprechlich glücklich sein kann!

5

Der Sommer vergeht und der Herbst bricht an. Die Linden werden gelb. Die Ebereschen lodern rot wie Feuer.

Dann kommt die Stille des Winters, in dem der Fluss fast zufriert und nur der Fall noch offen ist. In der Kälte schweben weiße Nebel über dem Wasser wie Elfen oder Geisterspuk.

Doch nach dem Winter kommen Frühling und Sommer, Jahr für Jahr.

Ulv wächst.

An einem Frühlingstag sitzt er vor dem Stall auf dem Hof und knetet kleine Vögel aus Lehm, den Bengt vom Flussufer geholt hat. Er formt sie so, dass sie den Schwalben gleichen, die unter dem Stalldach ihre Lehmnester bauen.

»Hier habt ihr!«, ruft er und streckt ihnen eine Hand voll Lehm entgegen.

Im Sturzflug schießen die Schwalben herab und schnappen zu.

Die Vögel sind seine Freunde.

An einem Sommerabend sieht er, wie die Katze hinaufklettert und die Äste der Eberesche entlangschleicht. Sie will ihre Krallen in die Jungen des Buchfinks schlagen. Ulv schreit auf und jagt sie herunter. Dann bittet er Anneli um Hilfe. Gemeinsam flechten sie einen Korb aus Reisig um den Stamm, so dass die Katze nicht mehr hinaufgelangen kann.

Ein Tag folgt auf den anderen. Noch ist Ulvs Zeit meist mit Spielen ausgefüllt. Doch Anneli hält ihn zur Arbeit an. Der Junge muss lernen, sich nützlich zu machen. Sie will keinen Faulenzer.

Bald ist er ganz allein verantwortlich, dass der Korb mit dem Brennholz in der Küche niemals leer wird. Bengt hackt das Holz, doch Ulv trägt es hinein.

Dann muss der Wassereimer gefüllt werden. Jetzt ist Ulv groß genug, um ihn in den Brunnen hinabzulassen und dann wieder heraufzuwinden. Anfangs ist es schwer und oft verschüttet er einen Teil des Wassers. Doch schon bald gelingt es ihm, den vollen Eimer ins Haus zu tragen.

Dann kommt der Sommer, in dem Ulv schließlich die Kühe hüten darf. Ville ist ihm behilflich, kläfft wütend und schnappt nach Beinen und Schwänzen. Gnade der Kuh oder dem Kalb, die sich zu weit von den anderen entfernt haben.

Es ist ein Glück für Ulv, dass Ville da ist. Er selbst vergisst alles andere, wenn er die Drossel singen hört oder ein Rehkitz auf dem Moos entdeckt.

Ulv begreift nicht, warum seine Mutter schimpft. So viel lockt ihn im Wald und bei den Tieren.

Manchmal kann er stundenlang dasitzen und Männchen aus einem Zweig oder einer knorrigen Wurzel schnitzen. Die Figuren spannt er an biegsamen Weidenruten fest, so dass sie zu Hampelmännern werden.

Doch am allermeisten liebt Ulv das Singen. Sogar die Kühe lauschen. Sie heben ihre Mäuler aus dem Gras und hören auf zu kauen.

Meist singt er die Melodien, die Bengt auf seiner Geige spielt. Doch die Worte erfindet er selbst. Er singt von den hohen, blauen Bergen, vom wilden Wasserfall und von den Sternen, die am schwarzen Himmel funkeln und locken.