Hidden Tracks 2. All our secret Melodies - Nina Brenke - E-Book

Hidden Tracks 2. All our secret Melodies E-Book

Nina Brenke

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Beschreibung

Schon seit Jahren schlägt Leias Herz für Kian, den besten Freund ihres großen Bruders Danny. Und auch Kian sieht in Leia heimlich mehr als die nervige kleine Schwester seines Kumpels. Bisher scheute der charmante Musiker vor festen Beziehungen allerdings stets zurück, weshalb Danny ihm einst das Versprechen abnahm, nie etwas mit seiner Schwester anzufangen. Ein Pakt, an den sich Kian eisern hält. Bis jetzt. Denn als Danny für einen Sommer ins Ausland geht, bittet er ausgerechnet Kian, ein Auge auf Leia zu haben und ihr bei ihrem Traum zu helfen, Pianistin zu werden. Bei den gemeinsamen Nachhilfestunden am Klavier liegt mehr in der Luft als Musik. Wie lange kann Kian sein Versprechen halten, wenn jede von Leias Noten sein Herz berührt?

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Über dieses Buch

I HEAR THE HIDDEN TRACKS OF YOUR HEART

 

Schon seit Jahren schlägt Leias Herz für Kian, den besten Freund ihres großen Bruders Danny. Und auch Kian sieht in Leia heimlich mehr als bloß die nervige kleine Schwester seines Kumpels. Bisher scheute der charmante Musiker vor festen Beziehungen allerdings stets zurück, weshalb Danny ihm einst das Versprechen abnahm, nie etwas mit seiner Schwester anzufangen. Ein Pakt, an den Kian sich eisern hält. Bis jetzt.

Denn als Danny für einen Sommer ins Ausland geht, bittet er ausgerechnet Kian, ein Auge auf Leia zu haben und ihr bei ihrem Traum zu helfen, Pianistin zu werden. Bei den gemeinsamen Nachhilfestunden am Klavier liegt schnell mehr in der Luft als Musik. Wie lange kann Kian sein Versprechen halten, wenn jede von Leias Noten sein Herz berührt?

 

 

 

Für all diejenigen, die fürchten,

nicht (gut) genug zu sein.

Ihr seid es.

Glaubt an euch. Und an eure Träume.

The Greatest Hits of Prince Charming and the reluctant Princess

Part 1 »Human Touch«

The Joker And the Queen – Ed Sheeran (feat. Taylor Swift)

What If – Tadhg Daly

 

 

Part 2 »The Rising«

Night Changes – One Direction

This Town – Niall Horan

Natural Disaster – Picture This

Love the Hell Out of You – Lewis Capaldi

Róisín – Pa Sheehy

Eyes Are the Size of the Moon – Walking on Cars

 

 

Part 3 »Wrecking Ball«

Something in the Orange – Zach Bryan

Gone By Now – Only the Poets

Falling – Harry Styles

All – Snow Patrol

No Water – Marlon Roudette

Black Hole – Griff

Talk – Kodaline

 

Part 4 »Born to Run«

I Love You, I’m Sorry – Gracie Abrams

Just My Type – The Vamps

Shattered (Turn the Car Around) – O.A.R.

How It Ends – Moncrieff

What Are You Waiting For – Keywest

Not Falling Apart – Matt Simons

More to This – Marc Scibilia

 

Part 5 »High Hopes«

Don’t Give Up on Me – Andy Grammar

Oh Caroline – The 1975

Forget About Us – Albin Lee Meldau

Ocean – Darren Kiely

Power Over Me – Dermot Kennedy

You and the Pines – Max McNown

Break ’Em All – Berre

 

Part 6 »Working on a Dream«

Where’s My Love – SYML

Forever – Noah Kahan

In a Perfect World – Dean Lewis & Julia Michaels

Calling It Love – Elle Coves

Work Song – Hozier

I Guess I’m in Love – Clinton Kane

Dream, Girl – Little Hours

 

Part 7 »Darkness on the Edge of Town«

Carry You Home – Alex Warren

Alabama Haint – Penny & Sparrow

What Happens Now? – Dasha

One Thing I Got Right – The Script

Up All Night – James Bay

The Anchor & The Kite – Forest Blakk

Black Friday – Tom Odell

Prolog

When you are happy, you enjoy the music

but when you are sad, you understand the lyrics.

– Frank Ocean –

Es gibt traurige Songs – und ich meine: wirklich traurige Songs – wie Tears in Heaven von Eric Clapton oder Jeff Buckleys Halleluja. Sie handeln von Verlust, Angst, Trauer oder ganz allgemein dunklen Gedanken.

Und es gibt solche, die mir die Mundwinkel zu jeder Tages- und Nachtzeit nach oben ziehen. Walk the Moon mit Shut Up and Dance etwa oder Happy von Pharrell Williams.

Und dann gibt es noch die Blender. Die Songs, die im sorglosen Pop-Outfit daherkommen und dabei eine bittere oder gar melancholische Message transportieren (Hey Ya! von Outkast oder auch The A Team von Ed Sheeran sind treffende Beispiele hierfür).

Wenn man so will, war ich auch so. Ich habe die Menschen um mich herum geblendet. Habe meine schwarzen Texte jahrelang hinter bunter Musik versteckt.

Lange Zeit ist das niemandem aufgefallen. Vielleicht, weil sie es einfach nicht sehen wollten. Zumindest nicht sofort. Das ist manchmal so, auch bei der Musik, denn für manche Lieder brauchst du ein paar Anläufe. Die musst du zwei, drei Mal hören, ehe du kapierst, dass sie für dich bestimmt sind. Erst dann gehen sie ins Ohr, treffen mitten ins Herz. Aber dann bleiben sie dort – manche von ihnen für immer.

Und dann gibt es solche, die hörst du und bist wehmütig, weil du sie nie wieder zum ersten Mal hören kannst. Die haben dich von der ersten bis zur letzten Zeile in ihrem Bann. Die sprechen dir aus der Seele. Die sind so großartig, dass du direkt heulen möchtest. Oder jemanden umarmen. Oder auf etwas einschlagen. Manchmal auch alles gleichzeitig.

Die Sache mit uns beiden lag wohl irgendwo dazwischen. Das Wundervollste und Schmerzhafteste zugleich. Und trotzdem würde ich es wieder tun, auch wenn es mich zerreißt. Weil es einfach alles war. Das war es zu jeder Zeit, auch wenn ich das nicht immer wahrhaben wollte. Denn am Ende war ich nicht besser als diese Blender-Songs. Vielleicht war ich sogar noch viel schlimmer. Weil ich alle belogen habe. Immer und immer und immer wieder. So lange, bis ich mir selbst geglaubt habe.

I’ve been played before

Leia – Lahinch, June 3rd

»Was soll das heißen, um auf mich aufzupassen?« Ich warte, bis die letzten Takte von Springsteens Long Walk Home enden, ehe ich den Zündschlüssel aus dem Schloss ziehe und zurück in das durchgesessene Polster des Micras sinke. Als ich ihn ansehe, presst Danny neben mir bloß die Lippen aufeinander, statt etwas zu erwidern. Ich schiebe mir die Brille auf dem Nasensteg nach oben und ein halb genervtes »Ich werde nächsten Monat einundzwanzig« hinterher, obwohl er das natürlich weiß. »Ich brauche niemanden, der auf mich aufpasst.«

Dannys Antwort ist ein stummes Schulterzucken, dann öffnet er die Beifahrertür, schält seine knappen zwei Meter Körpergröße aus dem Sitz und geht zum Kofferraum, um die Einkäufe rauszuholen. Ich habe gerade erst einen Fuß auf den Kies gesetzt, als er bereits, mit drei Tüten beladen, auf mich zukommt.

»Never mind, Schwesterherz«, murmelt er im Vorbeigehen in seinen dunklen Bart hinein. Ich verkneife mir einen Kommentar, hole den verbliebenen Korb und folge ihm an den gelb leuchtenden Ginsterbüschen und duftenden Rhododendronhecken vorbei zu unserem Elternhaus.

Auf dem Weg bleibt mein Blick einen Moment lang unten in der Bucht hängen, in der sich jede Menge Surfer tummeln, die den Offshore-Wind und die milden Temperaturen für einen Ritt auf den Wellen nutzen. Gänsehaut breitet sich auf meinen Armen aus, als ich an den noch eisig kalten Atlantik denke. Ich schüttele mich und schlüpfe durch die offen stehende Tür.

Drinnen riecht es bereits nach gedünsteten Zwiebeln und frischem Koriander. Ich tausche meine geliebten Converse gegen die Pantoffeln, die neben dem Schirmständer auf mich warten, wann immer ich zu Besuch komme, und bringe die restlichen Sachen in die Küche.

Danny steht bereits am Herd und hat den Löffel in einem der Töpfe. Hier riecht es noch viel besser als im Flur.

Ich hieve den schweren Korb auf den Tresen und fange an, die Lebensmittel zu verräumen, als Mum fragt: »Was ist das?«

Sie hält mir ein foliertes Päckchen entgegen.

»Heilbutt?« Es ist eigentlich keine Frage, aber ihr Gesichtsausdruck verunsichert mich.

»Schwarzer Heilbutt«, liest sie vom Etikett ab. »Hatten sie keine Dorade? Oder Wolfsbarsch?«

»Aber … du hattest Heilbutt aufgeschrieben.« Mein Blick schießt zu Danny, der schräg hinter Mum steht und mich mit gerunzelter Stirn ansieht.

»Weißer Heilbutt. Keinen Schwarzen.«

»Ist das nicht das Gleiche?«, hakt Danny nach.

»Natürlich nicht«, zischt sie und dreht sich nicht mal zu ihm um, sieht mich stattdessen weiterhin mit strengem Blick an, als wäre ich diejenige gewesen, die ihr Wissen infrage gestellt hat. »Weißer Heilbutt hat festes Fleisch und zerfällt beim Zubereiten nicht, Schwarzer Heilbutt schon.« Ein Seufzer aus tiefstem Inneren diesmal, dazu ein Kopfschütteln, als sie den Fisch mit einem dumpfen Knall auf die Arbeitsplatte fallen lässt. »Und wie soll euer Dad den nachher grillen?«

Sie ist mittlerweile komplett im Modus »angepisst«. Und gestresst. Schwierige Kombi, aber eigentlich ziemlich normal für einen Bank-Holiday-Montag. Keine Ahnung, warum sie sich dem Druck, den das Barbecue mit sich bringt, jedes Mal aussetzt. Nicht nur, dass es für sie stressig ist, nein, sie schafft es, ihre Anspannung auf die gesamte Familie zu übertragen, obwohl keiner von uns – Dad eingeschlossen, glaube ich – Lust auf ihr Theater hat. Aber uns fragt ja niemand. Warum auch.

»Mach halt Fischsuppe draus«, schlägt Danny schulterzuckend vor, und ich sehe nur, wie Mums Augen größer werden.

»Fischsuppe zum Bank Holiday Barbecue?« Sie schäumt. »Wo gibt’s denn so was?«

Mein Bruder lässt die rhetorische Frage einen Moment mit dem Zwiebel-Koriander-Gemisch durch die Küche schweben, ehe er sie mit einem trockenen »Wohl bei den O’Rileys, was?« zu Boden schmettert, den Löffel in die Spüle fallen lässt und mich wortlos aus der Küche schiebt. »Ruf uns, wenn wir dir beim Anrichten helfen können.« Weiter durch den Flur, die Stufen nach oben bis in sein Zimmer, wo Heimdall uns mit wedelndem Schwanz erwartet.

Erst als sich die Tür hinter uns schließt, nimmt er die Hand von meiner Schulter. Ich lasse mich stöhnend auf einen der beiden Sitzsäcke fallen und sehe zur Decke, während Danny wie so oft am Schlagzeug Platz nimmt. Heimdall erhebt sich schwerfällig von seiner Decke, kommt auf mich zugetrottet und legt den Kopf auf meinem Oberschenkel ab.

»Danke fürs Einkaufen, Leia«, flöte ich vor mich hin, während ich ihm durch das schwarz-weiße Fell streiche. »Echt lieb von euch, dass ihr extra am Bank-Holiday-Montag für mich bei Aldi wart, so wie jeder im Umkreis von 30 Kilometern.«

»Und danke für die Idee mit der Fischsuppe«, stimmt Danny mit ein. »Wetten, demnächst gibt es überall im County Clare Fischsuppe zum Barbecue?«

»Bestimmt.«

Wir schweigen einen Moment, und ich schließe die Augen, lausche dem Wind, der vor dem geöffneten Fenster durch die Blätter der Trauerweide rauscht. Der Flut, die sich unten in der Bucht gegen die Felsen drückt. Und Danny, der mit den Füßen einen dezenten Beat an Hi-Hat und Bassdrum spielt.

Und wie immer an solchen Tagen sind es Michael und Patrick, die ich beneide. Darum, dass sie weit weg sind und heute weder Fischsuppe essen noch Mums Laune aushalten müssen.

»Was Michael wohl gerade macht?«

»Der sitzt bestimmt mit Chloé und den Kids in einem Café irgendwo am Mittelmeer und lässt sich die Sonne auf den Bauch scheinen.« Erst Dannys Antwort macht mir bewusst, dass ich meinen Gedanken laut ausgesprochen habe. Ich sehe ihn an, aber er ist längst wieder in sein Handy vertieft, also spähe ich aus dem Fenster, sehne Sturm und Regen herbei, der das Barbecue buchstäblich ins Wasser fallen lässt. Aber nach dem ausgiebigen Landregen vom Morgen finde ich bloß ein paar harmlose Schäfchenwolken am sonst blauen Himmel.

»Wahrscheinlich«, murmele ich und schließe die Augen wieder.

Es ist mehr als nur die Entfernung, um die ich unsere beiden Brüder beneide. Es ist die Tatsache, dass sie so viel älter sind (Patrick ist vorigen Monat dreiunddreißig geworden, und bei Michael steht im Herbst schon der fünfunddreißigste Geburtstag an) und ihr eigenes Leben haben. Eine eigene Familie. Und damit eine valide Ausrede, die sie davon abhält, das x-te Bank Holiday Barbecue in Lahinch zu verbringen – und stattdessen ermächtigt, in einem schicken Café in Marseille zu sitzen.

Selbst mit Patrick, der seit ein paar Jahren als Arzt in Namibia lebt und dort mit seinem Lebensgefährten ein Krankenhaus leitet, würde ich sofort tauschen, wenn ich könnte.

Das letzte Mal, dass die beiden irgendwelche Feiertage zu Hause verbracht haben – oder sollte ich sagen, verbringen mussten? –, war Mums fünfundfünfzigster Geburtstag vor drei Jahren, seither sehen wir Jade und Gabriel lediglich via Skype beim Aufwachsen zu, weil mein Bruder ein gefragter Anwalt für Strafrecht und zu beschäftigt ist, um bei uns vorbeizuschauen. Aber Mum beschwert sich lieber regelmäßig darüber, dass ihre Söhne sich nur noch selten blicken lassen, statt selbst ein Flugzeug zu betreten.

Ob sie Danny in London besuchen wird?

»Was passiert eigentlich mit DeeOhThree, wenn du weg bist?«, frage ich, weil mich der Gedanke geradezu anspringt, und suche dabei Dannys Blick, doch er zuckt bloß mit den Achseln.

»Die existiert aktuell doch sowieso nur noch auf dem Papier.« Er klingt verbittert und trotzig, wie immer, wenn er über die Band spricht – über unsere Band –, die ihm vor ein paar Wochen noch alles bedeutet hat.

»Das stimmt nicht.«

»Unser Sänger ist weg.« Sein unerwartet kräftiger Tritt auf das Pedal lässt mich aufschrecken. »Wer weiß, für wie lange«, fährt er mit leiser Stimme fort. »So, wie er sich angehört hat, ist diese Boyband kein Phänomen, das morgen wieder verschwunden sein wird.« Er sieht mich an. »Die haben vor, das richtig groß aufzuziehen.«

Mein zustimmendes Nicken geht ziemlich schnell in ein Kopfschütteln über, weil: »Conor und ’ne Boyband.« Das ist so absurd wie … Mir fehlt jeglicher Vergleich.

»Verrückte Zeiten, was?!«

Wohl wahr. Letzten Monat standen wir noch gemeinsam in Ennis auf der Bühne und haben uns von Hunderten Musikfans feiern lassen. Haben Songs gesungen, die uns die Welt bedeutet haben. Hatten Pläne für diese Songs, die DeeOhThree eines Tages ins legendäre Croke Park Stadion bringen sollten.

Und nur ein paar Tage später steht Conor vor uns und erklärt, dass sich da für ihn was ergeben hat und er DeeOhThree erst mal den Rücken zukehren muss. Einfach so. Ohne Vorwarnung. Erst dachten wir, es sei wegen der Sache mit Trisha und dieser Esther. Am Ende war es das vielleicht auch, keine Ahnung. Aber egal, was der Auslöser für seine überstürzte Entscheidung war, sie ließ uns tagelang wie in einer Schockstarre zurück, unsicher, wie es weitergehen soll. Ob es überhaupt weitergehen kann.

Bis Danny vorige Woche mit der nächsten Bombe kam, die da lautete: »Kneif mich mal einer! Das mit dem Praktikum bei EMI in London hat echt geklappt.«

Boyband. London. Verrückte Zeiten allerdings.

Ich sehe auf, als Dannys sanfter Rhythmus abrupt endet.

»Was?«, entgegne ich auf seinen eindringlichen Blick hin.

»Das war übrigens ernst gemeint.« Er verdreht die Augen, fuchtelt mit dem Drumstick herum. »Das mit dem … Aufpassen.«

»Du spinnst.« So was von.

»Er soll bloß ein Auge auf dich haben. Dir mit Heimdall zur Hand gehen, mehr nicht.«

Ich setze mich auf. Sehe den alternden Border Collie an, der friedlich neben mir döst.

Vorhin war es ein Nebensatz. Ein: Wäre es nicht cool, wenn jemand da wäre, um auf dich aufzupassen, während ich weg bin? Und plötzlich steht hinter diesem Satz ein Er?

»Oder vielleicht setzt ihr euch ja mal zusammen ans Klavier und probiert ein bisschen rum. Kann ja nicht schaden, wenn du es wirklich doch noch an der RIAM versuchen willst.«

Ein flaues Gefühl breitet sich in meinem Bauch aus. Binnen Sekundenbruchteilen hat es mein Herz erreicht, lässt es verdächtig schnell schlagen, weil ich die Antwort längst kenne, als ich zögerlich frage: »Und wer genau ist er?«

»Kian, wer sonst?«

Wer sonst?

Wer sonst …

Wer sonst!

So ziemlich jeder andere! Conor zum Beispiel … Wobei der in nächster Zeit anderweitig beschäftigt sein wird.

Maisie! Wir können aufeinander aufpassen, sie und ich. Wenn es sein muss, rufe ich Eric an, auch wenn ich weiß, dass der nicht sehr gut auf mich zu sprechen ist. Oder Barry O’Driscoll. Am Ende wäre mir selbst Finbarr Dineen lieber.

Jeder … nur nicht Kian.

Mein »Aber warum?« klingt dennoch verzweifelter als gewollt.

»Weil …«

»Weil?«, hake ich nach, als er auch nach mehreren Sekunden nicht weiterspricht.

»Na, weil ihr keine zweihundert Meter voneinander entfernt wohnt. Und weil er ein Klavier hat.« Er sieht zu Boden, dann wieder zu mir. »Und weil Limerick bei Nacht was ganz anderes ist als Lahinch und –«

»Ich wohne bald zwei Jahre da«, gehe ich dazwischen und schiebe mir die Brille nach oben, richte mich auf, weil ich dadurch hoffe, entschlossener zu wirken. Selbstbewusster. Energischer. »Und bisher ist nie was passiert, stell dir vor.«

»Bisher war auch ich derjenige, der die letzte Runde mit Heimdall durch den Park gegangen ist. Du weißt doch, was sich abends für Gestalten dort rumtreiben, da hab ich keine ruhige Minute, wenn ich –«

»Nur weil du für ein paar Wochen nach London gehst, heißt das nicht, dass du mich an irgendeinen deiner Kumpel vermitteln musst.«

Er seufzt. »Kian ist nicht irgendein Kumpel, das weißt du. Und außerdem …«

Ich sehe ihn abwartend an.

»Außerdem reden wir hier nicht von ein paar Wochen, okay? Ich werde den ganzen Sommer weg sein, wenn nicht noch länger.«

»Noch mal.« Ich schlucke, versuche, ruhig zu bleiben. Nicht daran zu denken, dass ich an Mums Geburtstag auf mich allein gestellt sein werde. Oder an meinem eigenen. Am August-Bank-Holiday-Wochenende. Oder. An. Jedem. Anderen. Beschissenen. Tag. Dazwischen. »Ich brauche niemanden, der auf mich aufpasst.« Schon gar nicht ihn. Da bin ich lieber allein.

»Vielleicht war aufpassen scheiße formuliert, okay? Sieh es als … Gesellschaft leisten. Dir dabei helfen, deinen Traum zu verwirklichen.«

»Das kann doch alles nicht dein Ernst sein.« Die Styroporkügelchen unter mir knistern, als ich mich hineinsinken lasse.

»Du musst nicht mal mit ihm reden.« Er neigt den Kopf und spiegelt mir meinen genervten Gesichtsausdruck mit einem halben Lächeln. »Versprich mir nur, dass du ihm die Tür aufmachst, wenn er klingelt, um Heimdall abzuholen oder nach dem Rechten zu sehen.«

Ich bin ganz froh, dass ich in Dannys Sitzsack lungere, sonst wäre ich spätestens jetzt vom Stuhl gefallen. »Ernsthaft?«

Ich denke an den Kuss. Daran, wie sehr ich ihn hasse. Ihn, Kian, nicht den Kuss, denn der war, muss ich zugeben, ganz gut. Sehr gut sogar, leider. Aber Kian ist eben ein Arsch, und deshalb möchte ich nicht an ihn denken. Nicht an ihn oder den Kuss. Und ich möchte auch nicht, dass er vorbeikommt, einfach so, unangekündigt, um nach dem Rechten zu sehen. Never ever.

»Keine Ahnung, was er vorhat. Aber er hat mir versprochen, dass er …«, Danny verdreht die Augen, »… auf dich aufpassen wird, okay?«

Die Information braucht eine Weile, bis sie an der richtigen Stelle angekommen ist. Dann macht es klick. Er hat seine dämliche Idee bereits in die Tat umgesetzt, hat Kian längst darum gebeten, auf mich aufzupassen – völlig egal, was ich davon halte. Widerstand zwecklos.

»Was hast du ihm angeboten, dass er dieser Schnapsidee zugestimmt hat?«

»Meine ewige Dankbarkeit?« Danny zuckt grinsend mit den Schultern. »Ich musste ihm nichts anbieten, er hat sich förmlich aufgedrängt.«

Ich ziehe wortlos die Augenbraue hoch.

»Okay, vielleicht habe ich ihn ein, zwei, siebzehn Mal angefleht, zufrieden?« Er stöhnt. »Es ist nicht ideal, ich weiß. Aber du bist meine kleine Schwester.« Wieder zuckt er mit den Schultern. »Wen hätte ich sonst fragen sollen, wenn nicht den Menschen, dem ich am meisten vertraue?«

Ich keuche, als ein unfreiwilliges Lachen aus mir herausbricht. Und noch eins. Mein Körper lässt die schier unermessliche Anspannung in Form von ein paar lauten Glucksern entweichen, obwohl ich eigentlich gar nicht lachen, sondern viel lieber weinen möchte. Nicht nur, dass es absurd ist, jemanden abzukommandieren, um auf eine zwanzigjährige Frau aufzupassen, nein. Mein Bruder muss auch ausgerechnet den letzten Menschen auf diesem Planeten darum bitten, den ich in meiner Nähe haben möchte.

Ich lehne mich wieder in den Sitzsack zurück und schließe die Augen, suche Heimdalls Kopf mit der Hand. Draußen rauscht der Wind durch die Blätter. Dazu das stete Klopfen der Basedrum. Und das meines Verräterherzens.

»Das wird bestimmt großartig, wart’s ab«, höre ich Danny wie ein sanftes Echo durch die in mir aufsteigende Panik hindurch sagen.

Genau. Das wird großartig.

Absolut großartig.

Feelings I’m keeping from you

Kian – Lahinch, June 3rd

Pünktlich zu Beginn des Bank Holiday Barbecues ist der Himmel strahlend blau und die Luft warm. Im Rhododendron links des Weges schreien die Papageientaucher mit ihrem unverkennbar tiefen Knurren um die Wette. Um sie herum üppiges dunkelgrünes Blattwerk mit Hunderten pinkfarbenen Blüten, die diesen unverkennbar süßlichen Duft verströmen, der mich seit Jahren – seit ich denken kann, eigentlich – selbst mit geschlossenen Augen den Kiesweg hinauf zum Haus lotst.

Ich habe nie hier gelebt, war immer nur Gast, wenn auch mitunter länger als für die meisten Gäste üblich. Und trotzdem ist das hier Zuhause für mich.

Ein paar Meter vor dem Haus halte ich inne und sehe an der dreckig weißen Fassade empor. Zu der Stelle über der Eingangstür, wo der Putz abblättert und den groben Sandstein freilegt, den sie einst aus Connemara angeschleppt haben, um das ursprünglich nur etwa zehn auf fünf Meter große Bauernhaus zu bauen. Es steht mitten im Nirgendwo zwischen saftig grünen Schafweiden, kilometerlangen Steinmauern und dem offenen Atlantik und blickt zurück auf eine jahrzehntelange Historie aus jeder Menge Trubel und Kindergeschrei. Seamus und Marie haben es im Laufe der Zeit mehrfach umgebaut und aufgestockt. Heute umfasst es fast hundertsechzig Quadratmeter auf zwei Ebenen, große Teile davon unbewohnt, nachdem die vier O’Riley-Kinder ausgezogen sind. Über den Globus verstreut, denn wenn Danny demnächst nach London geht, bleibt nur eine von ihnen an der Westküste zurück.

Die Wichtigste von allen.

Ich schüttele den Kopf, um die wirren Gedanken zu ordnen, aber es hilft nichts. Da oben ist seit Dannys Frage von vorgestern Abend eh nichts anderes außer ihren Augen – das smaragdgrüne und das mit dem bernsteinfarbenen Kranz um die Pupille – und ihren roten Locken. Und Sommersprossen. Jede Menge Sommersprossen.

Und das ist nicht gut. So was von gar nicht gut. Deshalb lautet die Mission für heute: Abbruch Auftrag »Leibwächter der Prinzessin«. Völlig egal, wie, ich muss Danny davon abbringen.

Mal ehrlich, wie kommt er überhaupt darauf? Und vor allen Dingen: Wie eklig muss ich ihr gegenüber in seiner Gegenwart noch werden, damit er kapiert, was für eine blöde Idee es ist, ausgerechnet mich zu fragen, ob ich seiner Schwester Nachhilfe am Klavier geben kann? Denn das ist es ohne Zweifel. Die beschissenste Idee ever.

Und gleichzeitig vielleicht die beste, die dieser Kerl – mein bester Freund – je hatte.

Ich kann nicht mal mehr auseinanderhalten, ob das Kribbeln in meinem Bauch – in meinem ganzen, verdammten Körper – und das merkwürdig flaue Gefühl die Aufregung darüber ist, ihr in den nächsten Wochen und Monaten hin und wieder allein gegenübertreten zu müssen. Oder aber die Anspannung angesichts der Aussicht, mich während dieser Begegnungen im Griff haben zu müssen. Keinen Blödsinn anzustellen. Ihr nicht in einem unbedachten Moment all das zu beichten, was ich mit mir rumschleppe seit … keine Ahnung wann. Seit ich denken kann, wenn ich ehrlich bin. Aber das war ich ja noch nie, was sie angeht.

Und da sind sie wieder. Schmetterlinge und Springsteen und Speck und sie. Immer nur sie.

»Hey, komm rein, ich bin gleich unten«, ruft jemand in meine Gedanken hinein. Ich hebe den Kopf, sehe Dannys Grinsen aus dem offen stehenden Badezimmerfenster verschwinden.

Also gehe ich rein. Bleibt mir ja nichts anderes übrig.

Als ich durch die Tür schlüpfe, empfängt mich eine Mischung aus Gemurmel und dem charakteristischen Geruch von Seamus’ Holzkohlegrill, der das halbe Dorf wie an jedem Bank-Holiday-Montag hier hoch lockt. Man sagt, manche Menschen in Lahinch rechnen längst nicht mehr nach dem gregorianischen Kalender, sondern nach dem O’Riley’schen, inklusive entsprechender Zeitrechnung: BB und AB. Before Barbecue und After Barbecue. Demnach befinden wir uns aktuell im Jahr 29AB. Ich kenne also keine Welt ohne die legendären Grillpartys.

Als ich in Glasgow war, hab ich die wohl am meisten vermisst. Gar nicht mal wegen des Essens – wobei Maries Scones die besten im Land sind, ungelogen. Für ihren Shepherd’s Pie lasse ich alles stehen und liegen, genau wie für ihre Limonade oder das Stew. Und für ihre Boxtys, die es an St. Stephen’s Day traditionell zur Vorspeise gibt. Ich könnte ewig so weitermachen, ich schwöre.

Trotzdem ist es nicht das Essen, was mich jedes Mal flasht. Es ist diese fast schon bizarre Glückseligkeit, die den O’Rileys – zumindest den meisten von ihnen – wie auf Knopfdruck aus jeder Pore fließt. Wenn Seamus am Rost steht und die Grillzange schwingt, glaube ich ihm, dass er der glücklichste Mensch auf der ganzen Welt ist, auch wenn ihm das Lächeln hin und wieder verrutscht, wenn niemand hinsieht. Oder wenn Marie ihre hausgemachte Limonade auf die Terrasse trägt und der riesige Krug fast leer ist, bevor sie das Tablett überhaupt richtig abgesetzt hat, weil alle danach lechzen, so wie sie nach Anerkennung. Sätze wie Marie, du hast dich mal wieder selbst übertroffen, Du musst mir unbedingt das Rezept verraten oder Ich habe noch nie ein besseres Trifle gegessen, die den Tag so sicher begleiten wie Leias gleichgültiger Gesichtsausdruck. Genau jener, der mich empfängt, als ich die Küche betrete.

Ja, zugegeben, sie habe ich in Glasgow auch vermisst. Sehr sogar.

»Bring das nach draußen auf die Terrasse.« Marie ist gerade dabei, ihrer Tochter die Vorspeise – mit, ich glaube, Krabbenfleisch gefüllten Champignonköpfen und gebackenen Kartoffelschalen – in die Hand zu drücken. »Und pass auf, dass du das Tablett gerade hältst.«

Leia murmelt eine Antwort, die ich nicht verstehe. Als sie auf mich zukommt, wechselt ihr Gesichtsausdruck kurz von frostig zu überrascht, ehe sie sich wieder fängt und ihren immer gleichen Barbecue-Blick auflegt. Ein Blick, der schreit: Ihr könnt mir alle gar nichts, denn innerlich bin ich längst tot.

»Und bind dir endlich die Haare zusammen, ich will sie später nicht in der Fischsuppe finden.«

Als sie an mir vorbeirauscht – ganz knapp, so als wollte sie mich eigentlich anrempeln und hätte es sich kurz vorher doch anders überlegt –, rieche ich Krabben und Cheddar und ganz viel von ihr. Kokosnuss und Hibiskus und Gleichgültigkeit.

Ich sehe ihr nach. Den langen, roten Locken, die sanft auf und ab wippen, weil sie gar nicht schnell genug wegkommen kann – ob von ihrer Mutter oder von mir, weiß ich nicht. Wahrscheinlich eine Mischung aus uns beiden.

Ihre Leinenhose ist so lang, dass sie mit ihren nackten Füßen jedes Mal auf den Saum tritt, wenn sie einen Schritt macht. Ihr weites weißes Shirt versperrt dabei die Sicht auf all das Wunderschöne, das darunterliegt. Unsichtbar für jeden, auch für mich, hätten sich die Bilder nicht schon vor Jahren unlöschbar in mein Hirn gebrannt: schwarzer Slip, Trägertop. Kein BH.

Ich schlucke gegen den Kloß an, der sich in meinem Hals bildet, sehe aber erst weg, als sie durch die offen stehende Terrassentür verschwunden ist. Masochismus – kann ich.

Als ich mich ihr wieder zuwende, mustert Marie mich mit ausdrucksloser Miene. Mein Gesicht – der Bart frisch gestutzt –, mein Shirt – frisch aus dem Schrank –, meine Hose – nicht zu kurz, nicht zu lang, in dunklem Grau, farblich passend zum moosgrünen Shirt.

Sie haucht mir drei Küsse auf die Wangen, zwei rechts, einen links. Das macht sie, seit Michael mit Chloé verheiratet ist und sie diesen Französisch-Crashkurs belegt hat, der ihr bisher rein gar nichts gebracht hat, weil sie seit der Hochzeit nie wieder in Frankreich war. Ich lasse sie machen, obwohl ich es schon mindestens genauso lange affig finde. »Schön, dass du da bist, Junge.«

Junge.

Ich schenke ihr ein Lächeln und lasse mir bereitwillig das nächste Tablett in die Hand drücken. Diesmal Datteln im Speckmantel und winzig kleine Boxtys am Spieß. »Sei so gut und bring das nach draußen, ja?«

Ich nicke gehorsam und folge meinem Kryptonit und ihrem Kokos-Hibiskus-Gemisch auf die Terrasse.

Ich weiß, es klingt absurd, aber das sind diese kleinen Momente, in denen es mir vorkommt, als gehöre ich dazu. Als wäre ich Teil von etwas, von dem ich immer Teil sein wollte.

Seamus steht bereits am Grill. Um ihn herum Declan, Tom und die anderen, die sich angeregt über Dinge unterhalten, über die man sich am Grill eben so unterhält. Gaelic, Frauen, die Parlamentswahlen, was weiß ich denn. Neben ihm auf dem Beistelltisch stehen große Teller mit Spießen – Fisch, glaube ich, und wahrscheinlich Lamm. Seamus’ Lamm ist das zarteste, das du in County Clare finden wirst. Zusammen mit Maries Joghurt-Minze-Dip ein Gedicht. Ich kann beides schon auf meiner Zunge schmecken. »Hey, Kian!«

Es ist Nancy Phenton, die Besitzerin des einzigen Supermarktes in Lahinch. Außerdem ist sie die Ehefrau von Tom, dem hiesigen Rettungsschwimmer. Aber vor allen Dingen ist sie die neugierigste Person, die ich kenne. Demnach wundert es mich nicht, als sie mich von links überfällt und ihre Krallen in meinen Unterarm gräbt. »Wie geht es deiner Mum?«

»Gut«, murmele ich und will mich und das Tablett zum nächsten Tisch retten, aber Nancy wäre nicht Nancy, wenn sie das einfach so zulassen würde.

»Sag, wie verträgt sie die Chemo diesmal? Ich habe gehört …«

»Es geht ihr so weit gut.« Ich nicke eifrig und schiebe Nancy die Speckdatteln unter die Nase, damit sie den Mund hält. Sie nimmt zwar eine, beißt aber nicht hinein, plappert stattdessen munter weiter: »Zu schade, dass sie heute nicht hier sein kann. Vielleicht ja im August.«

»Bestimmt«, versichere ich ihr – und nicht zuletzt mir selbst.

»Ich hoffe nur, dass sie den Krebs endl–«

»Nancy.«

Wir zucken beide zusammen und sehen zu Marie, die schräg hinter uns steht. Aus ihrem Blick schießen eisige Blitze in Nancys Richtung. »Bringst du das bitte zu Seamus, ja?« Sie wartet die Antwort nicht ab, drückt ihr eine Platte mit Fleischbällchen in die Hände und schiebt sie weiter zum Grill.

Ich sehe sie an, sage aber nichts, und sie nickt bloß, legt für den Bruchteil einer Sekunde die Hand auf meinen Unterarm, dann nimmt sie mir das Tablett ab und lässt mich stehen.

Ich sehe ihr einen Moment lang nach, ehe ich vor weiteren Blicken und den immer gleichen Fragen zurück in die Küche flüchte, wo Dannys breites Lächeln mich empfängt. »Schön, dass du da bist, Mann.«

Auch wir reden kurz über Mum, ehe ich das Thema auf das Konzert vom vergangenen Samstag lenke – Picture This im St Anne’s Park in Dublin. Nebenbei beschäftigen wir uns mit dem Anrichten der Platten (die Kartoffelschalenschiffchen mittig im Kreis, drum herum die Champignons, aber nicht zu viele, damit die Platte nicht überladen aussieht. Und den Koriander nicht vergessen!) und schwelgen, wie immer nach so einem Ausflug, gemeinsam in Tagträumen darüber, auch eines Tages auf einer so großen Bühne zu stehen, bis Danny aufhört und demonstrativ aus dem Fenster sieht.

»Was?«, frage ich, obwohl ich’s mir längst denken kann.

»Gott, der Arsch hockt jetzt in irgendeinem Studio und nimmt das nächste große Ding auf, das sie uns bald in heavy Rotation um die Ohren hauen«, schäumt er erwartungsgemäß los. »Ich könnte kotzen.«

»Oder du könntest dich für ihn freuen.«

Er knallt den Löffel hin, mit dem er eben noch das Krabbenfleisch in die Champignonköpfe gefüllt hat. »Schaffe ich nicht, sorry.«

»Ich freue mich doch auch für dich und deine Chance bei EMI.«

»Das ist auch was anderes.«

»Wieso?«, frage ich und lecke den Löffel ab, den Danny eben noch so stiefmütterlich weggefeuert hat. Das Krabbenfleisch schmeckt himmlisch.

»Ich habe euch nicht verraten.«

»Das hat er auch nicht, Danny. Er hat lediglich die Chance ergriffen, als sie sich ihm geboten hat.« Ich seufze leise. »Am Ende hätte das jeder von uns getan.«

»Ich nicht«, faucht er und senkt den Kopf, schüttelt ihn schließlich leicht. »Das macht man einfach nicht.«

Ich sage nichts, und für einen kurzen Moment ist es still in der Küche, sieht man von dem steten Grundrauschen aus Gemurmel und Gelächter mal ab, das von draußen ins Haus dringt.

»Hast du sie gesehen?«

Ich sehe ihn über den Tresen hinweg an. »Wen?«

»Leia.«

Wen sonst. »Kurz, wieso?«

»Hat sie was gesagt?«

»Wegen was?«

»Wegen meiner Bitte.«

»Nein. Wieso? Wie hat sie reagiert?«

»Sie war natürlich angepisst, wie ich es befürchtet hatte. Aber sie kriegt sich schon wieder ein.«

»Bestimmt …«, murmele ich, dabei wissen wir beide, dass die Aussichten dafür schlecht bis miserabel stehen. Sie hasst mich. Und das völlig zu Recht.

»Sie wird dir schon nicht die Tür vor der Nase zuschlagen.«

Auch da wäre ich mir nicht so sicher …

»Du musst es ja nicht übertreiben.« Er kneift mir in den Oberarm. »Nicht, dass wir direkt das nächste Bandmitglied verlieren, weil du sie mit deinem Charme in die Flucht schlägst.«

»Ha, ha.« Ich schlage seine Hand weg und widme mich wieder dem Koriander.

Die Stille, die sich zwischen uns schiebt, während wir weiter so tun, als wären wir in Vorbereitungen versunken, fühlt sich merkwürdig an. Weil es zwischen uns selten still ist. Nie eigentlich. Wenn wir nicht reden, spielen wir. Oder wir singen. Mehr schlecht als recht, denn dafür haben wir ja eigentlich Conor.

Conor, der gerade seine erste Platte aufnimmt. Nicht für DeeOhThree, sondern für die Lovesuckerz. Was für ein idiotischer Name, wenn ihr mich fragt. Aber mich fragt ja niemand.

»Was machen wir, wenn er nicht zurückkommt?« Es ist nicht so, dass ich mir, dass wir uns, diese Frage nicht schon häufiger gestellt haben, seit Conor weg ist. Aber genau in diesem Moment wird mir zum ersten Mal wirklich bewusst, dass es das an dieser Stelle gewesen sein könnte. Unsere Band, mein Ein und Alles, mein Lebensinhalt, zerfällt vor meinen Augen in seine Bestandteile, und ich bin völlig machtlos dagegen.

Es dauert lange, bis ich eine Antwort erhalte.

Sein »Er wird zurückkommen« kommt so beiläufig, als wäre es eine Selbstverständlichkeit, aber als er den Kopf hebt und mich ansieht, bin ich mir ziemlich sicher, dass es in seinen Augenwinkeln glitzert. »Und bis dahin machen wir einfach weiter. Schreiben Texte. Knüpfen Kontakte. Proben, allein oder gemeinsam.« Wieder streckt er die Hand nach mir aus, doch diesmal ist sein Kniff sanfter. »Vielleicht wär’s ja echt ganz cool, wenn ihr beiden euch ab und an mal zusammen ans Klavier setzt. Bevor ihr komplett einrostet.« Er seufzt. »Oder sie am Ende doch noch aus lauter Frust das Studium schmeißt, weil sie keinen Bock mehr auf den Kram hat, und dann ganz ohne Perspektive –«

»Wer schmeißt das Studium?« Es ist Marie, die plötzlich wie aus dem Nichts neben uns steht.

»Jemand von der Uni«, wirft Danny geistesgegenwärtig ein.

Ich richte mich auf, mache mich größer, obwohl ich Marie sowieso um mehr als einen Kopf überrage, als ich hinterherschiebe: »Kennst du nicht.«

»Ah.« Mehr sagt sie nicht, während sie sich die Schürze vom Sommerkleid streift – ein sicheres Zeichen dafür, dass das Barbecue auch für sie offiziell starten kann, nachdem nun alle Vorbereitungen abgeschlossen sind.

Danny legt einen Arm um meine Schulter, so wie er das seit Jahren tut. »Hast was gut bei mir.«

Und als er mich mit den letzten gefüllten Platten in Richtung Terrasse zieht, erspähe ich aus dem Augenwinkel ihre roten Locken im Durchbruch zum Flur. Ich sehe sie an, für den Bruchteil einer Sekunde nur, ehe die Dunkelheit sie verschluckt, aber es reicht aus, um mir einen Schauer über den Rücken zu jagen.

Zehn Minuten lang halte ich es im Garten aus, dann werde ich nervös, weil sie immer noch nicht wieder aufgetaucht ist. Nicht am Grill bei ihrem Dad, nicht bei Danny, der in ein Gespräch mit Maisie und ihrer Mum vertieft ist. Und auch nicht bei Marie und ihren Freundinnen.

Ich verziehe mich nach drinnen – was relativ einfach ist, wenn du all die bohrenden Fragen nach dem Wohlbefinden deiner Mutter erst einmal beantwortet hast und jetzt nur noch hin und wieder einen mitleidigen Blick zugeworfen, aber darüber hinaus keinerlei Gesprächsangebote bekommst. Weil es schlicht unangenehm ist, sich mit jemandem unterhalten zu müssen, der sowieso nur von Tod und Krankheit erzählen kann.

Es ist ein zaghaftes »Ja?«, das mich hereinbittet, als ich an ihre Zimmertür klopfe. Beinah hätte ich es über den Lärm aus dem Erdgeschoss nicht gehört. Sie sitzt am Kopf des Bettes, die Knie angezogen und fest mit den Armen umschlungen. Neben ihr liegen ihr aufgeschlagenes Journal und ein Stift. »Was willst du?«

Ich beuge mich vor, als Heimdall sich von seinem Platz unter dem Fenster erhebt und mit wedelndem Schwanz auf mich zugetrottet kommt. »Na, alter Knabe, zu viel Trubel da unten?«

Leia seufzt, und als ich sie wieder ansehe, erwartet mich ihr skeptischer Blick. Ich glaube, sie wartet darauf, dass ich etwas sage, aber ich weiß nicht, was – außer ehrlich zu ihr zu sein, und das, wie wir wissen, bin ich nie. Also sage ich stattdessen: »Sie suchen unten schon nach dir.«

Sie lächelt ein schmales, unehrliches Lächeln, aber es ist trotzdem so verdammt schön, ich möchte sie am liebsten –

»Ja, klar.«

Ich richte mich wieder auf, sehe aus dem Fenster an der wuchtigen Trauerweide vorbei bis hinunter zur Bucht. »Vielleicht …«, setze ich an und vermeide es, sie anzusehen, weil’s mir leichterfällt, mit ihr zu sprechen, wenn ich sie dabei nicht ansehen muss, »konzentrieren wir uns … Also wenn Danny weg ist … Vielleicht können wir uns echt ab und an mal treffen. Du und Maisie und ich. Und Mark, wenn er da ist. Zum Jammen halt. Damit wir nicht total einrosten, solange Conor und Danny weg sind.«

»Klar.« Alles an ihr – die hochgezogene Augenbraue, die verschränkten Arme, der skeptische Blick – schreit Auf keinen Fall, als ich mich ihr wieder zuwende.

»Oder wir … wir setzen uns zusammen ans Klavier und sehen mal, was passiert.« Ich schlucke. »Für Nachhilfe.« Himmelherrgott. »Danny sagte, ich könnte dir ein bisschen Nachhilfe geben, also natürlich nur wenn du magst.«

»Klar.«

Kann sie auch noch was anderes sagen?

»Okay.« Ich will mich umdrehen und endgültig die Flucht ergreifen, weil es an diesem Punkt nicht besser werden kann – eher endet das hier in einer Katastrophe, wenn ich sie noch länger ansehen muss –, aber ihr Räuspern lässt mich innehalten.

»Du weißt, dass du …«, fängt sie an und atmet einmal tief ein, »… das nicht machen musst.«

»Was?«

»Du musst mir … keine Nachhilfe geben. Oder auf mich aufpassen oder so.«

Ich sage nichts, bis sie irgendwann »Wenn Danny weg ist« hinzufügt.

»Ich weiß.«

Sie nickt und sieht wieder nach draußen.

»Aber das heißt nicht, dass ich es nicht trotzdem tun kann, oder?«

Langsam, Zentimeter für Zentimeter wandert ihr Blick wieder in meine Richtung. »Was?«

»Wenn ich hin und wieder vorbeikommen wollen würde, dann … wäre das okay für dich, oder?«

Sie sieht mich ziemlich lang ausdruckslos an, dann blinzelt sie und nickt vorsichtig. »Klar.«

»Cool.« Ich stehe mit einem Bein schon wieder auf dem Flur, als ich sie leise und mit betont sarkastischem Unterton sagen höre: »Das wird großartig.«

Clare FM News

(April 12th, 11:00 pm, fifteen years ago)

Die Leiche eines Mannes, bei der es sich vermutlich um den vermissten 16-jährigen Shane H. aus Lahinch handelt, wurde an den Cliffs of Moher aus dem Atlantik geborgen.

 

Am späten Abend entdeckte die Küstenwache die Leiche im Rahmen einer umfangreichen Suche etwa anderthalb Kilometer nördlich der Stelle, an der der Jugendliche in der vergangenen Nacht ins Wasser gefallen war.

 

Nach Angaben eines Garda-Sprechers hielt sich H. gemeinsam mit zwei Freunden nach Mitternacht am O’Briens Tower auf und kletterte aus noch ungeklärten Gründen auf die Steinwand. Laut Aussage der ihn begleitenden Jugendlichen wurde er dort von einer Böe erfasst, die ihn knapp zweihundert Meter in die Tiefe riss. Die umgehend verständigte Küstenwache, die von Doolin und Kilkee aus sowohl zu Wasser als auch zu Luft startete, blieb in ihrer Suche zunächst erfolglos. Nach einer Ausweitung des Suchgebiets konnte der Helikopter gegen 9:30 pm den Fund eines leblos im Wasser treibenden Körpers nördlich des Pollboy Lookouts vermelden.

 

Ein an der Suche beteiligter Freund der Familie gab an, dass Alkohol im Spiel gewesen sein könnte, der Sprecher wollte dies aber auf Nachfrage zunächst nicht bestätigen, um laufende Ermittlungen nicht zu gefährden.

 

UPDATE:(1:30am)

Die Mutter des Toten, Sarah H., hat die Leiche ihres Sohnes mittlerweile identifiziert.

Facebook

(April 14th, fifteen years ago)

Moher Celtic Football Club Wir trauern um unseren Freund und Mannschaftskameraden, Shane Hennessy, der auf tragische Weise und viel zu früh aus dem Leben gerissen wurde. Unsere Gedanken sind in diesen dunklen Stunden bei seiner Familie, ganz besonders bei seinem jüngeren Bruder Kian sowie seinen Eltern Sarah und Peter.

Du wirst uns fehlen, Shane.

Kommentare:

Nancy Phenton: Shane war ein guter Junge. Es tut mir so unendlich leid, Sarah!

Hariette O’Driscoll: So furchtbar. Wir sind in Gedanken bei euch.

Trevor Dineen: Die ganze Familie Dineen wünscht euch viel Kraft!

Gillian Holloway: R.I.P., kleiner Engel!

Jodie O’Donoghue: Eine ganz furchtbare Geschichte, was da mit Shane passiert ist.

Diana O’Hea: Ich habe gehört, dass Shane angeblich gesprungen sein soll? Stimmt das?

Antwort von Moher Celtic Football Club: Wir bitten von Spekulationen jeglicher Art abzusehen, sonst müssen wir die Kommentarfunktion deaktivieren.

Gina Trenton: Die Beerdigung war wundervoll, Sarah. Wir werden Shane immer im Herzen tragen. Er lebt durch euch weiter!

Lola O’Mara: Ist Peter wirklich ausgezogen?

Antwort von Hariette O’Driscoll: Wieso kommentiert ihr uralte Beiträge? Lasst die beiden endlich in Ruhe, sie haben genug durchgemacht.

Antwort von Gillian Holloway: Ich habe ihn letzte Woche zufällig in Ennis getroffen. So fertig, wie er aussah, wird er es nicht mehr lange zu Hause aushalten.

Antwort von Trevor Dineen: Das ist nicht die richtige Plattform für Spekulationen, meint ihr nicht? Lasst der Familie doch endlich ihren Frieden.

Antwort von Moher Celtic Football Club: Wir bitten von Spekulationen jeglicher Art abzusehen, sonst müssen wir die Kommentarfunktion deaktivieren.

Diana O’Hea: Der arme Kian. Cara hat erzählt, dass er sich schon mehrfach nach der Schule mit den älteren Jungs geprügelt hat.

Gillian Holloway: Patricia erzählt auch, dass er immer häufiger im Unterricht fehlt. Sarah sollte sich dringend Hilfe holen.

(Kommentarfunktion deaktiviert.)

She’s fallin’, doesn’t even know it yet

Kian – Lahinch, October 31st – eight years ago

Taytos Salt+Vin 4er Heineken 0.0 % 3x Cherry Coke B&J Cookie Dough

Ich gehe Dannys Nachricht noch einmal durch und gleiche sie mit dem Inhalt meines Korbs ab, dann schiebe ich das Handy zurück in meine Hosentasche. Chips, alkoholfreies Bier, Softdrinks, Eis. Sollte für den Abend ausreichen. Mit etwas Glück dürfen wir uns noch eine Dose von Seamus’ Budweiser teilen. Oder sogar drei. Kommt wohl darauf an, wie viel er selbst schon getrunken hat, denn am letzten Bank Holiday Barbecue hat er uns die Dosen nur zugestanden, weil er selbst schon mindestens die dritte intus hatte. Aber heute ist Halloween und Seamus bestimmt nicht mal angetrunken, weil Marie ihn wie immer zwischen halb sechs und neun zum Keksdienst verdonnert hat. Ihre selbst gebackenen Schokoladenkekse sind bei den Kids in Lahinch (und weit darüber hinaus) nämlich so begehrt, dass jedes Jahr Dutzende von ihnen den Weg in die opulent geschmückte Einfahrt der O’Rileys finden.

Danny und Conor haben beschlossen, dass wir für den Trick-or-Treat-Kram zu alt sind. Sie wollen die Dorfjugend, die sich auf Barry O’Driscolls Kostümparty trifft, lieber ein bisschen mit Dannys neuer Freddy-Krueger-Maske aufmischen. Ich finde den Gedanken an Barry und die ganzen Kinder, die dort rumspringen werden, nicht unbedingt prickelnd, aber bevor ich wieder allein zu Hause hocke, gehe ich halt mit.

Auf dem Weg zur Kasse werfe ich noch eine Dose Red Bull und eine Rolle Rowntree Fruit Pastilles in den Korb. »Der Arme stand nach dem Training letzte Woche angeblich über eine halbe Stunde in Ennistymon im strömenden Regen, bis Seamus ihn eingesammelt hat.«

Meine Füße kommen hinter dem Aufsteller mit den Nussvariationen zum Stehen, obwohl mein Kopf viel lieber davonlaufen möchte, weil er längst kapiert hat, von wem Nancy spricht. Mal wieder. Weil’s in diesem Scheißkaff ja seit Jahren kaum ein anderes Thema gibt als den armen Hennessy-Jungen. Was er für eine schwere Bürde zu tragen hat mit dem toten Bruder und dem Vater, der davongelaufen ist, und der Mutter, die in ihrer Trauer ertrinkt. Blablabla.

»Weiß man denn, wo sie war?«, fragt Gillian auf der anderen Seite der Nussvariationen betroffen.

»Wahrscheinlich auf dem Friedhof. Wie immer.« Ich höre Nancy seufzen. »Statt die ganze Zeit mit ihrem toten Sohn zu verbringen, sollte sie sich lieber auf den konzentrieren, der ihr geblieben ist.«

Gillians Stimme wird leiser, aber ich höre sie trotzdem noch deutlich. Leider. Und mit jedem ihrer Worte schließt sich meine Hand fester um den Griff des Korbs. »Ich habe gehört, er war monatelang auf sich allein gestellt, weil Sarah einfach verschwunden ist?«

»Quatsch. Sie war letztes Jahr für vier oder fünf Monate zur stationären Therapie in Dublin. Aber soviel ich weiß, war der Junge die meiste Zeit bei den O’Rileys«, stellt Nancy klar, obwohl’s auch nicht ganz richtig ist, was sie sagt. Mum war fast sechs Monate weg und ich währenddessen jeden einzelnen Tag bei Danny. Ich hatte sogar mein eigenes Zimmer, weil Michael längst zum Studium in die Staaten gezogen war. Und es waren – sieht man von den ersten neun Jahren mal ab – die schönsten sechs Monate meines Lebens. Ich hatte wieder eine Familie. War Teil von etwas, nach dem ich mich so lange gesehnt habe, wenn ich nachts allein in meinem Bett gelegen und an die Decke gestarrt habe.

»War ja klar, dass Marie wieder die heilige Samariterin spielt und sich des Jungen annimmt, um sich hinterher erzählen lassen zu können, wie selbstlos sie doch ist.«

Ich fixiere den Boden auf der Suche nach meiner schwindenden Fassung. »Das war sicherlich das Beste, was dem Jungen passieren konnte.« Nancy wird ebenfalls leiser. »Er soll sogar geweint haben, als Sarah zurückgekommen ist. Aber nicht etwa, weil er sie vermisst hat.«

»Hat die Therapie denn wenigstens was gebracht? Ich weiß nicht, wann ich sie zuletzt hier im Spar oder sonst wo in Lahinch gesehen habe. Geht sie überhaupt noch aus dem Haus?«

»Ich hab sie letzten Monat auf dem Bank Holiday Barbecue getroffen. Sie sah gut aus, hat erzählt, dass Seamus sie jede Woche nach Ennis zu einer Trauergruppe fährt. Sie selbst kann ja wegen der Psychopharmaka kein Auto mehr fahren.« Nancy räuspert sich. »Sie hat sich so weit gut im Griff, behauptet sie zumindest. Und ich wünsche es ihr natürlich. Schon allein um des Jungens willen.«

»Ich habe gehört, dass er sich letzte Woche wieder mit dem Dineen-Jungen geprügelt hat.« Gillian wird noch ein bisschen leiser. »Es ging wohl um ein Mädchen.«

Nancy sagt nichts, während ich gegen die aufsteigenden Bröckchen kämpfe.

»Trisha sagt, dass er sich häufig prügelt«, weiß Gillian zu ergänzen. »Nasen und Herzen brechen, das kann er wohl, der Junge.«

»Ach …« Jetzt seufzt Nancy, und ich möchte am liebsten kotzen, als sie hinterherschiebt: »Der arme Kerl.«

Fick dich doch, Gillian. Und fick dich, Nancy.

Fickt euch alle, die ihr meint, ihr müsstet euch über andere Leute – über meine Mum und mich – das Maul zerreißen und euch an deren Geschichte aufgeilen.