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**Ein Fake-Boyfriend zum Verlieben** Als Rosies Freund sie kurz vor den Feiertagen sitzen lässt, hat sie endgültig die Nase voll von Männern und Beziehungen. Nach einer durchfeierten Nacht findet sie sich auf einmal in den tröstenden Armen von Nick Horan wieder. Und obwohl der tätowierte Womanizer eigentlich so gar nicht ihr Typ ist, bittet Rosie ihn, sie zur Weihnachtsfeier ihrer Familie zu begleiten. Prompt wird Nick für ihren Freund gehalten und die beiden kommen sich auf dem verschneiten Landsitz von Rosies Familie unweigerlich näher. Aber auch wenn das irische Wicklow seinen ganz eigenen Winterzauber versprüht, so ist doch Rosies Vergangenheit hier präsenter denn je und droht die aufkeimenden Gefühle für Nick unter ihrem Gewicht zu begraben … Eine zauberhafte Winter Romance, die alle Leserherzen zum Schmelzen bringt! //»Keep Me Warm (Irish Hearts)« ist ein in sich abgeschlossener Einzelband.//
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Veröffentlichungsjahr: 2022
Impress
Die Macht der Gefühle
Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.
Wer nach Geschichten zum Mitverlieben in den beliebten Genres Romantasy, Coming-of-Age oder New Adult Romance sucht, ist bei uns genau richtig. Mit viel Gefühl, bittersüßer Stimmung und starken Heldinnen entführen wir unsere Leser*innen in die grenzenlosen Weiten fesselnder Buchwelten.
Tauch ab und lass die Realität weit hinter dir.
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Nina Brenke
Keep Me Warm
**Ein Fake-Boyfriend zum Verlieben**Als Rosies Freund sie kurz vor den Feiertagen sitzen lässt, hat sie endgültig die Nase voll von Männern und Beziehungen. Nach einer durchfeierten Nacht findet sie sich auf einmal in den tröstenden Armen von Nick Horan wieder. Und obwohl der tätowierte Womanizer eigentlich so gar nicht ihr Typ ist, bittet Rosie ihn, sie zur Weihnachtsfeier ihrer Familie zu begleiten. Prompt wird Nick für ihren Freund gehalten und die beiden kommen sich auf dem verschneiten Landsitz von Rosies Familie unweigerlich näher. Aber auch wenn das irische Wicklow seinen ganz eigenen Winterzauber versprüht, so ist doch Rosies Vergangenheit hier präsenter denn je und droht die aufkeimenden Gefühle für Nick unter ihrem Gewicht zu begraben …
Buch lesen
Vita
Playlist
Danksagung
© Vero Daum Fotografie
Für Nina Brenke, Jahrgang 1983, wäre die Welt nichts ohne die Musik und das geschriebene Wort. Seit ihrer Jugend kombiniert sie diese Dinge in Geschichten, bei denen es – wie im echten Leben auch – um das Suchen und (Wieder-)Finden der Liebe geht. Fast all ihre Erzählungen spielen auf der grünen Insel, wo ihr Herz schon vor 20 Jahren ein zweites Zuhause gefunden hat. Nina lebt mit ihrer Familie in Südhessen.
Für B., M. und N.Hört nie auf zu träumen!
Liebe*r Leser*in,
dieser Roman enthält potenziell triggernde Inhalte. Aus diesem Grund befindet sich hier eine Triggerwarnung. Am Romanende findest du eine Themenübersicht, die Spoiler enthält.
Entscheide bitte für dich selbst, ob du diese Warnung liest. Gehe während des Lesens achtsam mit dir um. Falls du auf Probleme stößt und/oder betroffen bist, bleibe damit nicht allein. Wende dich an deine Familie und an Freunde oder suche dir professionelle Hilfe.
Wir wünschen dir alles Gute und das bestmögliche Erlebnis beim Lesen dieser besonderen Geschichte.
Nina und das Impress-Team
Moncrieff – Warm
Brandon Flowers – Crossfire
Keane – Bedshaped
Niall Horan – Nice to Meet Ya
Rea Garvey – Pretty
Picture This – This Christmas
Harry Styles – As It Was
Emily Roberts – Dinosaurs
Gavin James – Hearts on Fire
Run-D.M.C. – Christmas Is
The 1975 – The Sound of Your Heart
James Blunt – Same Mistake
Michael Patrick Kelly – Blurry Eyes
Sinéad O’Conner – I Believe in You
Jérémy Frerot – J’ai la mer
Kodaline – All I Want
Tom Odell – Another Love
Dermot Kennedy – Outnumbered
The Pogues and Kirsty MacColl – Fairytale of New York
Christopher – Ghost
The Night Game – Bad Girls Don’t Cry
Imagine Dragons – Shots
SIA – Cheap Thrills
Extreme – Christmas Time Again
23. Dezember
»Ich hätte wissen müssen, dass er ein Idiot ist.«
Mit einem Tritt gegen den zerbeulten Stahl fliegt die Tür auf. Ich entkomme in die Nacht und schüttle den Schleier aus Dunst und Lärm mit einem lautlosen Schrei ab.
Wir drängen uns an den im Weg stehenden Menschen vorbei und finden auf der anderen Seite des Innenhofs eine freie Ecke an einem Infrarotstrahler, der noch nicht von Rauchern oder rumknutschendem Partyvolk annektiert worden ist.
Schweigen und blassrote Wärme hüllen uns ein. Ich krame den schmalen Kunststoffstängel aus meiner Tasche und ziehe daran, als hinge mein Leben davon ab … als könnte mich der Geschmack beruhigen. Er tut es nicht, im Gegenteil.
Ich blinzle die Tränen weg, ignoriere den Knoten in meinem Bauch – und Cheryl, die neben mir steht und mich mit großen Augen ansieht. Weil sie mich lange und gut genug kennt und weiß, dass sie gegen meine unterirdische Laune nicht ankommt. Carla hingegen will noch nicht aufgeben und fährt mir – ähnlich ratlos, aber bemüht – über den Rücken, wiederholt dabei gebetsmühlenartig die Worte: »Die Gutaussehenden sind meistens Idioten.«
Ich möchte ihre Hand wegschlagen, tue es aber nicht.
»Die Gutaussehenden sind immer Idioten«, korrigiere ich sie stattdessen. »Immer. Immer. Immer.«
Meine Lippen umschließen den Kunststoff der E-Zigarette, als mich ein tiefes »So schlimm?« hinter mir innehalten lässt.
Die Art, wie Carlas Wangen zu glühen anfangen, als sie an mir vorbeispäht, kann nur bedeuten, dass Nick Horan uns gefunden hat.
Langsam drehe ich mich um, muss den Kopf heben, so dicht steht er bei mir. Sein Lächeln ist breit und einnehmend.
Als er sein halb volles Pint hebt und es uns prostend entgegenstreckt, weht mir ein Hauch von Zitrus – und Lavendel? – um die Nase.
»Hey, ihr Hübschen.«
Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft ich diesen Spruch in den letzten Jahren von ihm gehört habe. Nicht bloß in unsere Richtung.
Ich ziehe betont lässig an meiner E-Zigarette, mache mit verschränkten Armen einen Schritt zurück und mustere mein Gegenüber, während ich den nach Kaktusfeige und Ananas schmeckenden Dampf in den Nachthimmel blase.
Sein Bart ist ein Stück länger und ich glaube, auf seinem Unterarm prangt ein neues Tattoo, das sich bis hinunter zu seinem linken Handrücken zieht. Was ist das? Ein Stormtrooper-Helm? Ein Kühlergrill? Genau kann ich es in dem diffusen Licht nicht erkennen, beides scheint in meinen Augen jedoch keine glückliche Wahl für eine Stelle zu sein, die immer und für jeden sichtbar ist. Aber da sein Arm mittlerweile einem Wimmelbild gleicht, kommt es darauf wohl nicht mehr an.
Ich bemerke die weißen Wölkchen, die von seinem Mund aufsteigen, doch erst als Carla mich mit dem Ellenbogen in die Seite stößt, realisiere ich, dass er mit mir spricht.
»Ob ich auch ein Idiot bin, wollte ich wissen«, kommt es auf meinen fragenden Gesichtsausdruck hin prompt von ihm.
»Ausnahmen bestätigen die Regel.« Ich inhaliere ein weiteres Mal, puste den Dampf geräuschlos nach oben und sehe der Dunstwolke hinterher, bis sie sich im nachtschwarzen Nichts über uns so weit aufgelöst hat, dass man die Sterne wieder sieht.
»Und ich will wahrscheinlich nicht wissen, in welcher Hinsicht ich die Ausnahme bin, richtig?«
Ich kann nicht anders, als sein breites Lächeln zu erwidern – auch wenn ich ihn viel lieber treten möchte. Vorzugsweise irgendwohin, wo es wehtut. Dabei kann er nicht mal was für meinen desolaten Gemütszustand. Niemand hier kann das. Daran ist nur Damian schuld. Damian, der Idiot.
Mit dem nächsten Lungenzug sehe ich zu Boden, weil die Tränen, die hinter meinen brennenden Augen darauf warten, geweint zu werden, niemanden etwas angehen – schon gar nicht einen wie Nick Horan, der auch bloß ein Idiot ist.
Ich seufze lautlos. Genau genommen bin ich hier die Idiotin. Weil ich nach dem Mist der letzten Jahre offensichtlich kein Quäntchen klüger geworden bin, was Männer angeht.
Ich komme mir so … idiotisch vor.
Als ich aufblicke, sind es Nicks braune Augen, die mich neugierig und irgendwie besorgt ansehen. »Was?«, pampe ich ihn an.
»Bin ich die Ausnahme, weil ich kein Idiot bin, oder weil ich nicht gut aussehe und trotzdem einer bin?«
Spätestens jetzt möchte ich wirklich gern meine Faust in seinem Grinsen vergraben.
»Dass du gut aussiehst, weißt du selbst«, attestiere ich ihm unter dem zustimmenden Nicken meiner Freundinnen und schicke schulterzuckend eine weitere Ladung Dampf in den Nachthimmel.
Natürlich weiß er das. Das bekommt er oft genug gesagt, da wette ich drauf. Von Frauen wie Carla, die auf diesen messy Man Bun stehen, der nur kaschieren soll, dass er seine viel zu langen Haare seit Wochen nicht gewaschen, geschweige denn gekämmt hat. Oder auf seinen unappetitlichen Vollbart, in dem er morgens wahrscheinlich regelmäßig die Reste seines Abendessens vorfindet. Und auf seine dunklen Augen, die immer ein bisschen aussehen, als würde er sie schminken.
Okay. Ja. Er sieht gut aus. Irgendwie.
Und er ist angeblich gut im Bett. Das weiß ich allerdings nicht von ihm oder, Gott bewahre, aus eigener Erfahrung. Die brauche ich nicht. Nick hat einen Ruf, der ihm hier im Icon – und in ganz Limerick – meilenweit vorauseilt. Carla ist eine der Glücklichen, die er schon mit nach Hause genommen hat. Und sie hängt auch heute an seinen Lippen, als wären sie das Zentrum ihres Universums. Es ist erschreckend lächerlich, wie die Frauen in seiner Gegenwart zu willenlosen Püppchen werden. Noch furchtbarer ist, dass eine meiner engsten Freundinnen eine davon ist.
Aber seit ich im vergangenen Jahr mit einem von Nicks besten Kumpels geschlafen habe – unwissend, um wen es sich handelt –, bin ich wohl nicht mehr in der Position, über ihn zu urteilen …
»Also, bin ich nun ein Idiot oder nicht?«
Ich sehe ihn wieder an. Langsam glaube ich, das Grinsen ist aufgemalt. Oder hat er mit Mitte zwanzig Botox ausprobiert und die Kontrolle über seine Mimik verloren?
»Das zu beurteilen, überlasse ich gern anderen.« Mit einem Zwinkern ziehe ich erneut an meiner E-Zigarette und wende mich Cheryl und Carla zu, die mit einem stupiden Lächeln im Gesicht zu dem Eins-neunzig-Hünen hinter mir aufschauen.
»Mädels«, versuche ich ihre Aufmerksamkeit auf mich zu lenken und schnipse mit den Fingern, um sie aus ihrer Starre zu holen. »Gehen wir rein? Mir wird kalt.«
»Ich komme gleich nach«, säuselt Carla, ohne ihren Blick auch nur eine Sekunde lang von Nick zu nehmen, woraufhin ich mich genervt bei Cheryl einhake und sie zurück nach drinnen zerre. Zeit für mehr Alkohol.
Die Tanzfläche ist an diesem Freitagabend brechend voll mit Menschen aller Art. Alte und junge. Männer, die nach Business Chic aussehen, und solche, die angezogen sind, als hätten sie bis eben auf dem Sofa GTA V gezockt. Ein Stück weiter tanzen Frauen in Miniröcken – so kurz, dass sie kaum Raum für Fantasie lassen – neben solchen mit tiefen Ausschnitten und Gesichtsbemalung, bei denen selbst die Kardashians blass werden würden. Mittendrin in all dem Trubel steht ein älterer Herr im Smoking, der aussieht, als wäre er aus der Zeit gefallen, wie er so beseelt zu SIAs Cheap Thrills tanzt.
Jeder von diesen Menschen hat einen Grund, heute Abend hier zu sein. Ein Ausgleich zum stressigen Büroalltag, wo gerade Hochsaison herrscht, oder vielleicht die bitter nötige Erholung nach dem Einkaufsmarathon. Eine Art vorweihnachtliche Flucht vor der eigenen Familie, um Kraft zu tanken für die bevorstehenden Feiertage mit Kind und Kegel. Oder um sich den ganzen Frust der vergangenen Tage – der vergangenen Monate, Jahre – von der Seele zu tanzen, so wie bei mir. Und ihn in Gin Tonic zu ertränken, den Cheryl mir im nächsten Moment reicht.
»Auf uns. Und scheiß auf die Männer.«
»Du hast leicht reden«, brummele ich und nehme einen Schluck.
Sie und Dan sind eines dieser perfekten Paare, die sich in der Schule gefunden haben und nie trennen werden. Die auch nach einem halben Jahrzehnt zusammen aussehen wie frisch verliebt.
Und ich? Ich bin wieder allein. Nicht kompatibel. Zumindest nicht, wenn es um mehr geht als unverbindlichen Sex und lose Bekanntschaften. »Vielleicht bin ich nicht zu mehr imstande. Weil ich das eigentliche Problem bin.«
»Du bist nicht das Problem, Rosie.«
Ich schaue von dem weißlich schimmernden Longdrink in meiner Hand auf. Habe ich das eben laut gesagt? Oder sind die trüben Gedanken mittlerweile so offensichtlich, dass sie mir auf die Stirn geschrieben stehen?
»Damian ist einfach ein Idiot«, ruft Cheryl über die wummernden Bässe hinweg.
»Ich weiß …«, murmele ich wenig überzeugt und nehme einen weiteren Schluck. »Soll er in der Hölle schmoren, der … Idiot.«
»Richtig.« Cheryl grinst und tätschelt mir ein paar Mal aufmunternd die Schulter. »Genau so.«
»Idiot. Idiot. Idiot«, wiederhole ich, bis es erneut diese unverkennbar dunkle Stimme ist, die mich ermahnt.
Carla lässt keinen Zweifel daran, was sie will. Ihre Augen haben mir das schon gesagt, da stand Rosie noch zwischen uns.
Und tatsächlich, kaum hat sich die Tür hinter ihren Freundinnen geschlossen, gibt es für sie nur uns beide. Ihre Lippen glänzen, ihre blonden Haare ebenfalls. Ihre Augen ziehen mich aus. Ich genieße ihre eindeutigen Blicke auf meiner Haut, bevor sie mir in die Arme fällt und ihre Hände plötzlich überall sind. Sie fahren meine Brust auf und ab, durch die Haare, reißen einzelne Strähnen aus dem Zopf, krallen sich in meinem Nacken fest und ziehen mich zu ihr.
Sie schmeckt nach Tonic und Erdbeer-Lipgloss und danach, dass ich morgen früh nicht allein aufwachen werde. Ein kleines, verfrühtes Weihnachtsgeschenk an mich selbst. Wobei ich nicht sicher bin, ob ich nicht eher Carlas Geschenk bin.
Mit ihr ist das so eine Sache. Sie ist lieb und nett und sieht verdammt gut aus, keine Frage. Küssen kann sie auch. Aber sie hat vergessen, worum es bei uns geht. Sex. Und Punkt. Keine Gefühle, keine Eifersüchteleien, keine Überfälle wie den hier. Das lief die ersten Wochen nach unserer Bettbegegnung problemlos – bis zu dem Abend im Spätherbst, als sie anfing, mir Nachrichten zu schreiben. Ob ich heute im Icon unterwegs sei. Ob ich Zeit hätte, mit ihr was trinken zu gehen. Ob ich den neuesten Marvel-Film gesehen hätte. Wann wir uns treffen wollten.
Und wann immer wir uns seither sehen, gibt sie mir das Gefühl, alles für mich sein zu wollen. Mit dem Resultat, dass ich mich schlecht fühle, wenn ich ihr nicht die Aufmerksamkeit schenke, um die sie so vehement bettelt. Also stecke ich in der Zwickmühle, denn vor ihren Augen mit einer anderen Frau rumzumachen ist nicht mein Stil. Sie ein zweites Mal mit nach Hause zu nehmen allerdings auch nicht. Schon gar nicht, wenn ich befürchten muss, dass sie danach weitere Besitzansprüche geltend macht.
Ich hätte meinen Kumpel Keir überreden müssen mitzukommen. Er hätte mich davon abgehalten, meine Zunge in eine Frau zu stecken. Aber er ist nicht hier – und meine Zunge steckt sehr wohl in Carla. Verdammt.
Ich bringe mich dazu, vernünftig zu sein. Auch wenn andere Teile meines Körpers an dieser Stelle gern weitermachen möchten, lege ich meine Hände auf ihre Schultern und drücke sie sanft von mir weg. Nur nicht zu bestimmt, um sie nicht in Verlegenheit zu bringen.
Sie ist außer Atem, ihr Blick fragend, der Lipgloss überall, nur nicht mehr auf ihren Lippen.
»Carla, wir … Das wollten wir sein lassen, oder?«, sage ich und komme mir dabei vor wie ein Arsch. Zu Recht, wird Carla jetzt vermutlich sagen.
Aber sie sagt gar nichts. Sie senkt den Kopf und sieht zu Boden und ich könnte es dabei belassen. Mich umdrehen und gehen, aber das bringe ich nicht übers Herz, stattdessen seufze ich, hebe meine Hand und fahre unter ihr Kinn. Als sie zu mir aufsieht, glitzert es in ihren Augen.
»Hey …« Meine Zähne graben sich in die Innenseite meiner Wange, bis es schmerzt. Ich zwinge mich zu einem Lächeln, streiche ihr eine Strähne aus dem Gesicht. »Hast du über Weihnachten was Schönes vor?«
Sie nickt schwach gegen meine Hand. »Ich bin bei meinen Eltern in Ennis. Meine Geschwister kommen … mit ihren Kindern. Und meine Großeltern und Tante mit ihrer Familie.«
»O wow, volles Haus also?«
Wieder nickt sie und dann: »Bist du Silvester auch hier?« Ihre Augen fangen erneut zu leuchten an. »Rosie hat Karten für uns besorgt.«
Jetzt bin ich an der Reihe zu nicken. Wo soll ich auch sonst sein?
»Dann können wir ja vielleicht …«
»Anstoßen«, biete ich ihr an und sie stimmt mir wortlos zu, obwohl ich mir ziemlich sicher bin, dass das nicht das Wort ist, nach dem sie gesucht hat.
Wir schweigen. Aber es ist kein angenehmes Schweigen. Es ist krampfig. Für mich, weil ich die Situation gern hinter mir lassen möchte, aber nicht weiß, wie, und für sie, weil ich ihr ansehe, dass sie nicht fertig ist. Mit mir.
Ich nutze die Chance, als sie sich mit den Händen über die Oberarme fährt, und lege meinen Arm um ihre Schulter. »Wir sollten reingehen, bevor du dir noch eine Erkältung einfängst und die Feiertage im Bett verbringen musst.«
In ihren funkelnden Augen lese ich, dass sie sich Schlimmeres vorstellen kann, als die Feiertage im Bett verbringen zu müssen – solange ich auch anwesend bin. Ich gehe nicht weiter auf ihre stumme Bitte ein, schiebe sie aus der trügerischen Wärme des Heizpilzes in Richtung Tür und wische mir mit dem Handrücken den Erdbeergeschmack von den Lippen, als sie nicht hinsieht.
Wir finden Rosie und Cheryl und ich bin zugegebenermaßen erleichtert, die Kleine gleich los zu sein, da höre ich, wie Rosie wütend vor sich hin schnaubt.
»Idiot. Idiot. Idiot.«
»Fällt dir nichts Kreativeres ein?«, fragt mein Mund ziemlich laut, ehe mein Kopf das Denken angefangen hat.
Sie wirbelt herum, und ihr Gin Tonic schwappt aus dem Glas und bildet sternförmige Spritzer auf dem Boden. Ihr hellblonder Bob fällt zur Seite, als sie den Kopf schief legt, die Arme vor der Brust verschränkt – ohne dass weitere Tropfen auf dem Boden landen – und zwischen Carla und mir hin und her sieht. Ihr Gesichtsausdruck sagt mir, dass sie genau weiß, was wir draußen gemacht haben. Jeder weiß das, der Carla kennt – oder mich.
»Aber natürlich«, faucht sie und setzt mir den Finger wie ein Gewehr auf die Brust. »Wenn dir das zu eindimensional ist, dann hätte ich auch noch Lügner«, ihr Finger bohrt sich zwischen meine Rippen, »Penner«, wieder ein Stich, diesmal fester, »Scheißkerl«, ihre Augen werden zu Schlitzen, »Heuchler«, ich hebe die Arme und mache mit jedem Ton einen winzigen Schritt zurück, »Armleuchter«, ihre Worte werden wütender und eindrücklicher, als wollte sie sie in mich hineinschreien, »Drecksack«, der Gin schwappt gefährlich nah am Glasrand hin und her, »Hochstapler« – glitzert es etwa in ihren Augen? – »oder Arschgesicht im Angebot!«
Als sie fertig ist, stehe ich mit erhobenen Armen und hochgezogenen Augenbrauen da und weiß nicht, wie mir geschieht. Auch Cheryl und Carla starren, als hätte ihre Freundin den Verstand verloren – und wer weiß, vielleicht hat sie das auch.
Es ist nicht zu übersehen, dass sie mit den Tränen kämpft, und kurz bevor sie gegen ihren eigenen Körper verliert, macht sie auf dem Absatz kehrt und verschwindet in der tanzenden Menge.
24. Dezember
Es ist ruhiger geworden, seit Trevor die Turntables abgestellt hat. Im Hintergrund läuft gerade leise Fairytale of New York von den Pogues, während ich am Tresen sitze, das halb leere Glas gedankenverloren um seine eigene Achse drehe und an der Girlande aus künstlichem Tannengrün und noch künstlicherem Glitzer herumfummle. Nicht mal hier im Klub ist man sicher vor den drohenden Feiertagen.
»Letzte Runde«, schalmeit Georges eindringliche Stimme durch den Raum, als im selben Moment die Lichter angehen und die Discokugel über der Tanzfläche zum Stehen kommt. Endstation. Gleich müssen alle – auch ich – den Klub verlassen und sich der Realität außerhalb dieser schützenden Mauern stellen.
Ich lasse den Kopf sinken und schließe die Augen. Fühle mich allein in einem Raum voller Menschen. Cheryl und Carla sind schon eine ganze Weile weg. Cheryl, weil sie mit Dan früh am Morgen nach Dublin aufbrechen will. Und die wundervolle, aber naive Carla hat den Abend erwartungsgemäß nur zwanzig Minuten später aus fadenscheinigen Gründen beendet und ist verschwunden. Wahrscheinlich mit Nick.
Meinen Segen hat sie.
Das Angebot, bei mir zu übernachten, haben beide mit der Begründung ausgeschlagen, dass ich heute Abend unbedingt jemanden finden sollte, mit dem ich mich über Damian hinwegtrösten kann. Dabei habe ich daran absolut kein Interesse. Männer sind … Idioten.
Womit wir beim Thema sind. Denn als hätte ich nicht schon genug Probleme, die ich in reichlich Gin zu ertränken versuche, gesellt sich ein weiteres in Form einer bärtigen Gestalt hinzu, die sich auf den freien Barhocker neben mir fallen lässt. Sein Lächeln ist weniger breit als noch vor ein paar Stunden, aber weiterhin freundlich. Er schiebt seinen Oberkörper und das Pint in seinen Händen weit nach vorn über den Tresen in mein Blickfeld.
»Ich dachte, du bist längst mit Carla abgezogen«, murmele ich in mein Glas hinein.
»Wer sagt das?«
Einen Moment lang sehe ich ihn an, dann schüttele ich den Kopf. »Ich dachte bloß.« Ich schlucke den letzten Rest Gin Tonic hinunter, drehe mich auf dem Barhocker zu ihm und überkreuze die Beine, die ich für den heutigen Abend in meinen Lieblingsrock gepackt habe – schwarz, knielang und aus Leder. »Findest du keine Willige, die du flachlegen kannst, oder warum kommst du ständig angekrochen?«
Erst ist sein Gesichtsausdruck arrogant. Nach dem Motto: Als ob ich das nötig hätte. Dann legt er seine Hand auf meine und sieht mich anders an. Herzlich. Fast hätte ich – schon wieder! – besorgt gesagt.
Sein Lächeln kommt näher. »Du bist ein bisschen schräg drauf im Moment, kann das sein?«
»Wie kommst du darauf?«
»Ich dachte nur … Scheißkerl, Heuchler und – was war es noch? – Arschloch sind ziemlich hart für diesen besinnlichen Vierundzwanzigsten …«
Ich sehe kurz auf die Uhr, dann wieder in seine dunklen Augen, die mich aufmerksam mustern. »Es war noch der Dreiundzwanzigste, als ich das gesagt habe.« Meine Stimme bricht. Scheiße, scheiße, scheiße, jetzt nicht wieder vor ihm anfangen zu heulen! Ich räuspere mich und schicke ein lapidares »Und es war Arschgesicht, nicht Arschloch!« hinterher.
»Ist das nicht das Gleiche?«
»Das eine ist vorn, das andere hinten.«
»Touché«, gesteht er mir lachend zu und leert sein Pint. »Wie viele von denen hattest du?« Sein Nicken deutet in Richtung des leeren Glases vor mir.
Ich folge seinem Blick und überlege kurz. »Zwei, drei vielleicht«, behaupte ich. »Warum?«
»Sicher?«
Der Ton in seiner Stimme lässt vermuten, dass er mir die Schätzung nicht abkauft, aber das könnte mir nicht gleichgültiger sein. »Ziemlich.«
»Komm, ich bring dich nach Hause.«
Ich rolle mit den Augen. Es nervt mich, dass Carla ihm erzählt hat, wo ich wohne, und dass er seither so tut, als wären wir Nachbarn. Dass er fragt, ob ich den neuen Inder an der Ecke ausprobiert habe oder was ich von den überbackenen Fritten in dem kleinen Café im Hinterhof der Buchhandlung halte.
»Dank dir, aber … ich komme klar«, raune ich ihm zu und schiebe mich vom Barhocker herunter. »Schöne Weihnachten, Horan.«
Die Musik ist längst aus, die Tanzfläche leer, bis auf den älteren Herrn im Smoking, der, ein glückseliges Lächeln im Gesicht, beharrlich über die transluzenten Bodenplatten springt, weil Avicii oder Robin Schulz oder wer auch immer in seinem Kopf für ihn spielt.
Während ich mich in die kurze Schlange an der Garderobe einreihe, hole ich das Handy aus meiner Tasche und scanne die eingegangenen Nachrichten.
»Warum habe ich deine Handynummer eigentlich nicht?«
Nicks Gesicht ist meinem Nacken so nah, dass ich seinen bierschwangeren Atem riechen kann. Ich mache mir nicht die Mühe, mich zu ihm herumzudrehen. »Weil ich dir nichts zu sagen habe.«
»Autsch.« Grinsend umrundet er mich und steht nun direkt vor mir. Quasi in Reichweite. Und Riechweite. Ich rümpfe die Nase. Längst übertönen Schweiß und Zigarettenqualm den Zitrus-Lavendel-Duft von vorhin – dabei raucht er meines Wissens nicht mal.
Ich beiße mir auf die Lippen und fokussiere sein schwarzes Shirt, denn trotz High Heels bin ich nicht annähernd groß genug, um ihm in die Augen sehen zu können, ohne den Blick heben zu müssen.
»Du musst dringend in die Dusche, Horan.«
»Ich weiß.« Er beugt sich nach unten, um mich dazu zu bringen, ihm in die Augen zu sehen, aber den Gefallen tue ich ihm nicht. Aber als er »Du auch!« haucht, platzt mir endgültig der Kragen.
»Nick«, presse ich hervor und funkele ihn an, »geh bitte jemand anderem auf die Nerven, okay? Ich habe kein Interesse daran, mit dir zu duschen, dir zu schreiben, mit dir zu schlafen, was auch immer. Lass mich einfach in Frieden.«
»Sorry!« Er macht einen Schritt zurück, sieht bedröppelt zu Boden. »Ich wollte dir nicht auf die Nerven gehen oder so. Ich dachte nur du … du bräuchtest vielleicht jemanden zum Reden.«
»Ja, genau. Weil man mit dir auch so gut reden kann«, antworte ich und verziehe das Gesicht, weil es boshaft klingt und ich das eigentlich gar nicht beabsichtigt habe.
»Nichts für ungut.« Seinem Lächeln fehlt die Ehrlichkeit. Mit einem leisen »Frohe Weihnachten, Rosie!« zieht er von dannen und augenblicklich fühle ich mich noch beschissener als ohnehin schon.
Genervt von diesem Tag – und denen, die vor mir liegen – nehme ich von Dervla den Mantel entgegen und verabschiede mich knapp, aber höflich von ihr, ohne auf ihren fragenden Blick einzugehen. Toms übliche Aufforderung, bei ihm stehen zu bleiben und ein paar Takte zu reden, überhöre ich genauso absichtlich und rette mich durch die schwere Stahltür hinaus ins Freie. Der eiskalte Wind, der den Dunst meiner E-Zigarette die Straße hinaufträgt, lässt mich zusammenzucken. Eilig stiefele ich der Wolke hinterher, bis ich oben an der O’Connell Street ankomme, wo ich zu meiner Erleichterung ein Taxi in der Haltebucht auf der anderen Straßenseite stehen sehe.
Der Fahrer nickt mir zu und ich steige hinter ihm ein. »Castletroy, bitte.«
Mit einem gelangweilten »Alles klar« startet er den Wagen und fährt an, um das Arthurs Quay Shopping Centre in Richtung Heimat zu umrunden, als eine Gestalt aus dem schummrigen Licht der Denmark Street auftaucht – den Kopf eingezogen, die Hände tief in die Taschen seiner Jacke vergraben. Ein schneller Rundumblick bestätigt meine Befürchtung. Kein Taxi weit und breit. Sicherlich wird gleich eines um die Ecke gebogen kommen und ihn einsammeln. Vielleicht aber auch nicht.
»Warten Sie«, höre ich mich sagen.
»Wie bitte?« Bevor ich die Aussage wiederholt habe, tritt er auf die Bremse und schaut mich durch seinen Rückspiegel hindurch an.
»Warten Sie, wir nehmen noch jemanden mit.«
Erst als von Rosie keine Spur mehr ist, traue ich mich zurück an die Garderobe. Dervla hinter der Theke lächelt mich an und händigt mir die Jacke aus, ohne dass ich einen Ton sagen muss.
»Schöne Feiertage, Nick«, schickt sie mir hinterher und ich hebe die Hand zum Abschied.
»Na, doch ohne Begleitung?«, will Tom wissen, und schlägt in meine Hand ein, ehe er mir die Tür öffnet.
Ich stelle den Kragen meiner Jacke auf, als mir der Wind entgegenbläst. »Tom.« Du bist Türsteher, kein Aufpasser, will ich sagen, tue es aber nicht.
»Was ist mit der Kleinen?«
»Carla?«
»Nein, die Austauschstudentin. Wo war die doch gleich her? Schweden? Dänemark?«
»Die Isländerin«, erinnere ich mich an die Blondine von vorhin, lange bevor ich Rosie und ihren Freundinnen über den Weg gelaufen bin. »Die ist schon vor Stunden mit ihren Mädels gegangen.«
»Schade.«
Ich zucke mit den Schultern, ziehe ein Stück bekritzeltes Papier aus meiner Hosentasche und halte es ihm entgegen, sodass er die letzten Ziffern und das Herzchen auf dem i lesen kann. »Passt schon«, sage ich und zwinkere ihm zu.
Tom lacht und fordert mich auf, erneut einzuschlagen.
»Also, schöne Feiertage.«
Er nickt. »Sehen wir uns an Silvester?«
»Sicher.« Ich winke ihm im Weggehen zu. »Dann bis nächstes Wochenende.«
Es ist ungewöhnlich kalt für den irischen Dezember. Ich hole die Stöpsel aus meinen Ohren und lasse sie in die Jackentasche fallen, ehe ich die Hände hinterherschiebe und nach oben zur O’Connell Street stapfe. Ich versuche das Rauschen in meinem Gehörgang zu ignorieren und an den zurückliegenden Abend und die bevorstehenden Weihnachtstage zu denken. An Sina? Rina? Lina? Die Isländerin eben. Vielleicht rufe ich sie im neuen Jahr an. Und mit Carla werde ich auch mal reden müssen, ob ich will oder nicht. Dabei habe ich ihr von Anfang an gesagt, dass das zwischen uns eine einmalige Sache ist, und sie hat mir mehrfach versichert, dass sie das genauso sieht. Warum jetzt das Theater? Wieso packen Frauen immer gleich die Handschellen aus?
Ich lege den Kopf in den Nacken und sehe für einen Moment die Häuserschlucht hinauf. Folge den Wölkchen, die über mir aufsteigen und sich weit außerhalb meiner Reichweite auflösen. Und ständig sind es Rosies grüne Augen, die mir dabei im Kopf herumspuken. Ihre Tränen und die fehlende Prise Überheblichkeit passen so gar nicht zu dem Bild, das ich von ihr habe. Von der toughen Rosie, bei der die Männer vor dem ersten Kaffee verschwunden sein müssen.
Das letzte Taxi fährt aus der Haltebucht, just als ich die O’Connell Street erreiche. Verdammt.
Ich bin schon dabei, das Handy aus meiner Tasche zu fischen, um mir ein Uber zu bestellen, da höre ich, wie der Wagen abbremst.
Das hintere Fenster fährt herunter und Rosies hellblonder Longbob erscheint im Licht der Straßenlaterne. Sie nickt mir mit einem Augenrollen zu, das mir wohl bedeuten soll zu ihr in den Wagen zu steigen.
»Ich sage dir gleich, dass …«
Ich verkneife mir das Grinsen und halte meine Hände ausgestreckt in die eiskalte Luft. »Ich bleibe brav. Ehrenwort.«
Sie versucht es zu unterdrücken, schmunzelt dann aber auch. »Steig einfach ein, Horan!«
Die Fahrt nach Castletroy dauert um diese Uhrzeit nicht länger als zehn Minuten, die sich mit einem wie Nick neben mir aber bestimmt schnell wie eine Ewigkeit anfühlen können. Doch zu meinem Erstaunen ist er handzahm.
»Darf ich reden?«
Sein Blick gleicht dem eines treuen Hundes und sein Gesicht ziert dieses schelmische Grinsen, das die Frauenherzen reihenweise lahmlegt. Andere Frauenherzen, nicht meins.
»Natürlich darfst du reden«, entgegne ich sanft und hasse mich im gleichen Moment dafür, dass ich mich von seinen braunen Augen einlullen lasse.
Jahrelang haben wir uns über die Frauen lustig gemacht, die ihm vor die Füße fallen. Dabei sieht er so gut gar nicht aus. Seine Nase ist ein bisschen krumm – vermutlich weil er sich in seiner Jugend einmal zu oft geprügelt hat. Und wenn er lacht, sieht man seinen schiefen Schneidezahn unten links. Ganz zu schweigen von diesen furchtbaren Tattoos überall. Und den langen Haaren. Und dem Bart.
Aber er hat Charme, und das scheint das Totschlagargument zu sein – zumindest bei den Damen im Icon. Und seit Carla diesem Charme ebenfalls erlegen ist, haben wir ohnehin aufgehört, uns lustig zu machen. Sie behauptet zwar, nicht eifersüchtig zu sein, aber so wirklich kaufe ich ihr das nicht ab. Sie würde gern ein zweites und drittes und viertes Mal mit ihm nach Hause gehen. Umso irritierter bin ich, dass ich diejenige bin, die sich mit ihm heute das Taxi teilt.
Ich schiele zu Nick hinüber und verdrehe die Augen, weil es in seiner Hosentasche raschelt, als seine Hand darüberstreift. Sie ist bestimmt voll mit XXL-Kondomen, die er an einem solchen Abend bei einem gemeinsamen Drink aus Versehen aus der Tasche herausschauen lässt. Um den Appetit anzuregen. Ich kenne seine Masche.
»Rosie?«
Ich sehe auf. »Hm?«
»Ob bei dir alles in Ordnung ist, habe ich gefragt.«
»Ja. Ja, sicher.« Meine Antwort klingt matt und ich kann ein Seufzen nicht verhindern. »Mir graut es nur ein bisschen vor den Feiertagen«, füge ich hinzu und schaue gedankenverloren nach draußen, wo die vorweihnachtlich-bunten Lichter der Stadt an uns vorbeiziehen.
»Wieso?«
»Ach.« Ich winke ab und sehe ihn erneut an. »Familie und so. Nicht immer einfach.«
Er schweigt einen Moment, dann sieht er zum Fenster hinaus und fängt an zu nicken. »Na, wenigstens hast du eine Familie, zu der du an den Feiertagen gehen kannst.«
Ich zucke zusammen. Meine Augen weiten sich und mein Herz schlägt ein paar Takte schneller. Fuck! »Das tut mir leid, Nick. Ich wusste nicht, dass … also … dass …«
»Hey!« Er hebt die Hände und ein Lächeln erscheint auf seinem Gesicht. Ein ehrliches diesmal. »Sie sind nicht tot oder so.«
Der Kloß in meinem Hals löst sich auf und ich atme erleichtert aus, schlage ihm aber gleich darauf mit dem Handrücken gegen den Oberschenkel. »Erschreck mich nicht so!«
Lachend reibt er über die Stelle, an der ich ihn getroffen habe. »Mein Dad ist letztes Jahr sechzig geworden und meine Mum hat ihm eine Südseekreuzfahrt geschenkt.«
Ich hebe die Augenbraue. »Und dich haben sie einfach zu Hause gelassen?«
»Ich bin vierundzwanzig, Rosie. Was soll ich mit meinen Eltern auf einer totsterbenslangweiligen Kreuzfahrt?«
»Stimmt, was gibt es Langweiligeres, als auf einem Luxusdampfer in der Südsee festzusitzen?« Es ist mehr ein Vorwurf als eine Frage. »Exotisches Essen, leckere Drinks, traumhafte Strände und …«, ich zwinkere ihm zu, »… du könntest jeden Abend eine andere gelangweilte Tochter flachlegen.«
Sein Lachen füllt das Taxi. »Stimmt, jetzt, wo du es sagst. Vielleicht hätte ich mir das überlegen sollen. Blöd nur, dass sie mich nie gefragt haben, ob ich mitkommen möchte.«
»Die wissen schon, warum sie dich zu Hause gelassen haben«, versichere ich ihm.
Wir schweigen einen Moment, bis die unausgesprochene Frage den Weg zurück auf seine Lippen findet. »Und was hast du an den Feiertagen geplant, vor denen es dir so graut?«
»Traditionelle Familienzusammenkunft auf dem Anwesen meiner Großtante.« Ich rolle mit den Augen. »Dieses Jahr komme ich nicht drum herum.«
»Hört, hört.« Er nickt anerkennend. »Klingt, als wärst du diejenige, die sich auf exotisches Essen und leckere Drinks freuen darf.«
»Und auf die bohrenden Fragen meiner Tanten oder die peinlichen Begegnungen mit alten Schulfreundinnen, die mir erzählen, dass sie geheiratet haben oder das mittlerweile vierte Kind erwarten.« Ich seufze.
»Das klingt eher so, als würdest du eine Zeitreise in die Achtziger machen.«
»Nein, nur nach Wicklow.« Ich muss schmunzeln, denn Nick hat recht. Auf dem Land herrschen andere Sitten als hier in der Stadt. Da ist es auch heute noch normal, mit Anfang zwanzig verheiratet zu sein und die ersten Kinder in die Welt zu setzen. Und wer weiß, vielleicht hätte ich die heute auch, wenn John damals nicht …
»Wicklow.« Er mustert mich. »Kommst du da her?«
Ich nicke wortlos.
»Und warum verschlägt es einen ausgerechnet nach Limerick, wenn man mit den Wicklow Mountains vor der Tür aufgewachsen ist?«
Meine Schultern zucken. Auch diese Frage wird mir in den kommenden Tagen wohl mehr als einmal gestellt werden. Kind, wieso kommst du nicht endlich zurück?
»Wir sind damals hergezogen als ich zwölf war, weil Mum ihren kranken Vater pflegen musste. Nachdem er gestorben war, sind wir geblieben. Gab irgendwie nichts, was uns zurück an die Ostküste gezogen hat. Und mittlerweile hält mich der Job hier.«
»Der da wäre?«
»Was mit Social Media.«
»Influencerin?«
»Nein, schon etwas, was die Bezeichnung Job verdient.«
Er lacht. »Du machst es aber spannend.«
»Ich bin bei Dee-Sign in der Social-Media-Abteilung.«
Da ist wieder sein Grinsen. »Dann bist du so eine Twitter-Tante?«
Ich sehe ihn herausfordernd an und verschränke abermals die Arme vor der Brust. »Was genau ist denn eine Twitter-Tante?«
»Na eine, die den ganzen Tag im Internet surft und darauf lauert, dass irgendwas passiert, das sie dann kommentieren kann?«
»Social-Media-Management gehört für Mittelständler mittlerweile zum Standardrepertoire«, fange ich an mich zu verteidigen. »Die Zielgruppen tummeln sich immer mehr in der virtuellen Welt, da muss man hinterher sein. Präsent sein. Sowohl als Dienstleister als auch als Arbeitgeber.« Ich deute mit beiden Händen auf mich, als wollte ich sagen: Das alles mache ich. Dann nicke ich ihm auffordernd zu. »Was treibst du, wenn du nicht gerade im Icon rumhängst?«
»Du meinst bei Tag?« Er verzieht das Gesicht. »Da schlafe ich meistens. Das Sonnenlicht bekommt mir nicht so. Da fange ich immer gleich an zu glitzern.«
»Idiot.« Das Lachen kann ich mir trotzdem nicht verkneifen.
»Immerhin besser als Arschgesicht.«
»Wohin bitte?«, fragt der Fahrer, als wir an den Rand des vorgelagerten Stadtteils kommen, in dem wir beide nur zwei Straßen voneinander entfernt wohnen. Meine Horrorvorstellung, seit ich das weiß, ist, dass er mir Sonntagsmittags kurz vor Ladenschluss im Centra an der Ecke dabei über den Weg läuft, wie ich mir im Jogginganzug eine Packung Käsemakkaroni kaufe.
»Zu mir oder zu dir?«
Ich hätte meinen Hintern darauf verwettet, dass er sich den Spruch nicht verkneift. Ich bin ihm nicht mal böse, versuche aber, seinen koketten Blick so gleichgültig wie möglich zu erwidern.
»Sie können mich an der Tankstelle rauswerfen«, sage ich an den Fahrer gewandt und hole, davon ausgehend, dass Nick die paar Hundert Meter bis zu sich weiterfährt, einen zerknitterten Schein aus meiner Manteltasche, den ich ihm hinhalte. »Hast du denn jemanden, zu dem du an den Feiertagen gehen kannst?« Natürlich, denke ich. Er wird Weihnachten ohne Mum und Dad verkraften. Und spätestens an St. Stephen’s Day wird er sich eine der willigen Frauen aus dem Icon mit nach Hause nehmen.
Er nickt, greift aber nicht nach dem Schein. »Ein Kumpel erbarmt sich meiner und lässt mich bei sich und seiner Familie mitfeiern.« Ein süffisantes Grinsen erscheint auf seinem Gesicht. »Du kennst ihn, glaube ich, sogar.«
Ich verdrehe die Augen. War klar. Den Ausrutscher mit Keir wird Nick mich in hundert Jahren nicht vergessen lassen.
»Soll ich ihm liebe Grüße ausrichten?«
»Lass mal«, sage ich, als das Taxi hält, schnalle mich mit der einen Hand ab, während die andere ihm noch immer den Schein unter die Nase hält. Jetzt nimm schon, will ich sagen, und hole Luft, um mich im gleichen Atemzug von ihm zu verabschieden, da sehe ich, wie er dem Taxifahrer zwanzig Euro in die Hand drückt und aussteigt.
Das kann nicht sein Ernst sein.
»Vielen Dank«, nuschele ich dem Fahrer zu, steige ebenfalls aus und laufe um die Rückseite des Wagens herum. »Was soll das?«, blaffe ich ihn an, während das Taxi davonfährt. »Ich dachte, wir hatten gesagt, wir lassen den Mist.«
Nick ist unbeeindruckt von meiner Schimpftirade und schiebt die Hände in die Taschen seiner Jeans, zieht die Schultern hoch und sieht hinauf zum Nachthimmel. »Ich dachte, ich laufe die paar Meter und genieße die sternenklare Nacht.«