Himmelsstürmer - Mac Conin - E-Book

Himmelsstürmer E-Book

Mac Conin

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Beschreibung

Freunde, Schule und ein mieser Lehrer … Willkommen in Bens Leben! Ben träumt davon, Pilot zu werden, doch sein Alltag ist weit entfernt von Höhenflügen. Zwischen den ständigen Bosheiten seines Chemielehrers, nervigen Schulprüfungen und dem Druck seiner Familie sucht er seinen eigenen Weg. Zum Glück gibt es Freunde, die ihn durch die harten Tage bringen. Aber wie will man in diesem Chaos herausfinden, wer man eigentlich sein will? Eine Geschichte über Träume, Freundschaft und den Mut, für sich selbst einzustehen – denn manchmal muss man erst landen, bevor man richtig durchstarten kann!

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Über dieses Buch

Freunde, Schule und ein mieser Lehrer … Willkommen in Bens Leben!

Ben träumt davon, Pilot zu werden, doch sein Alltag ist weit entfernt von Höhenflügen. Zwischen den ständigen Bosheiten seines Chemielehrers, nervigen Schulprüfungen und dem Druck seiner Familie sucht er seinen eigenen Weg.

Zum Glück gibt es Freunde, die ihn durch die harten Tage bringen. Aber wie will man in diesem Chaos herausfinden, wer man eigentlich sein will?

Eine Geschichte über Träume, Freundschaft und den Mut, für sich selbst einzustehen – denn manchmal muss man erst landen, bevor man richtig durchstarten kann!

Inhaltsverzeichnis
Über dieses Buch
Copyright
Epilog Eins
noch 9 Wochen
Deutsch bei Menken
Ben
Philip
Noch 7 Wochen
Hänsel
Ben
… noch 5 Wochen
Kriegsrat
…noch 3 Wochen
Freibad
Elif
Kazumi
Garagendach
Schulhof
Die Klausur
Hänsel
Ben
Hänsel
Sommerferien
Hänsel
Poller Wiesen
Prusse
Langeweile
Bei Phil im Garten
Bei Maike Prusse
Schulbeginn
Klara
Showdown
Epilog Zwei
Danksagung
Über den Autor
Hilf uns
Nirgendwann
Anne auf Green Gables
Der Job
Stadt der Spiegel
Das Wrack der Grosvenor
Zwei Jahre vorm Mast

Impressum:

Erschienen im kontrabande Verlag, Köln.

Landsbergstraße 24 . 50678 Köln

Ungekürzte Neuausgabe © 2025 Mac Conin

Umschlagbild & Umschlaggestaltung: kontrabande Verlag, Köln.

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlags zulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Für Inhalte von Webseiten Dritter, auf die in diesem Werk verwiesen wird, ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber verantwortlich, wir übernehmen dafür keine Gewähr. Rechtswidrige Inhalte waren zum Zeitpunkt der Verlinkungen nicht erkennbar. eBook-Herstellung im Verlag.

ISBN 979-8-305070-77-4 Print

ISBN 978-3-911831-14-7 epub

Ausführliche Informationen über unsere Autoren und Bücher finden Sie auf unserer Website www.kontrabande.de

Viel Spaß beim Lesen.

Alle Personen und Ereignisse in diesem Buch sind natürlich frei erfunden. Ähnlichkeiten mit freilaufenden, lebenden oder verstorbenen Personen oder Orten wären rein zufällig.

Wenn du glaubst, dass du dich erkannt hast oder Ähnlichkeiten zu anderen Personen vermutest, oder glaubst, jemanden erkannt zu haben: Glückwunsch zu deiner blühenden Fantasie.

Für Birgit

„Nur wer loslässt,

schafft Raum für etwas Neues.“

— unbekannt —

Epilog Eins

„Eine Sternschnuppe!“

„Quatsch, das ist ein Flugzeug – rote und grüne Lichter. Flipper, du bist so ein Idiot“, sagt Ben.

„Klar ist das eine, mit Positionslichtern.“ Philip lacht.

Sie liegen, wie schon oft in den Sommerferien auf dem Garagendach, besprechen das Leben, das Weltgeschehen, alles was einem so durch den Kopf zieht, und schauen in den Nachthimmel.

Von Philips Zimmer aus dem Fenster klettern, nur ein kleiner Schritt, und man ist in einer anderen Welt. Mit einer Tüte Chips und einem kalten Getränk, nicht der schlechteste Ort für Gespräche.

Heute ist der Himmel klarer als sonst. Es ist warm, still und man hört fast nichts vom Verkehr der Straße.

„Und da, der große Wagen – wie war das mit der Verlängerung der Deichsel?“

„Verlängern und du kommst in etwa zum Abendstern. Venus. Einer der hellsten Punkte am Himmel. Dazwischen noch Arktur und Spica.“ 

„Das steht aber nich im Chemiebuch. Wo haste das denn her?“

„Pilotentraining. Hab ich irgendwann mal über Navigation gelesen.“ Ben grinst. „Aber wenigstens etwas, das du erkennst. Hätt ich dir nicht zugetraut. Gibts noch Chips? Jetzt hab ich Hunger. Oder Mäcces oder sowas?“

„Du bist so strange – und so verfressen. Unglaublich. Eigentlich müsstest du fett vom Dach rollen.“

„Das sagt meine Mutter auch immer – ‚du frisst uns noch die Haare vom Kopf‘ … bla bla bla … aber wehe, ich futter nicht wie ein Scheunendrescher. Dann ist sie sauer oder will mit mir direkt zum Arzt oder vermutet, dass es mir nicht schmeckt“, erwidert Ben. „Und wenn es nicht schmecken würde, walla, Familienkrise.“ Seine Stimme klingt leicht melancholisch.

„Also ich würde das jetzt sofort unterschreiben. Die Portionen bei euch sind ein Attentat auf jede Figur. Aber nett ist die wirklich.“

„Mhm.“

„Fühlst du dich denn jetzt sicher in Chemie? Deine Nachprüfung ist ja schon in drei Tagen“, fragt Philip.

„Ach, Alter, da mach ich mir gerade echt keinen Kopp mehr drüber. Ich liege hier und habe Hunger.“

„Also mir würde die Düse gehen. Was, wenn das nicht klappt. Also ich glaube ja fest, dass du das packst, nachdem wir so gelernt haben. Auch wenn Meving so ein Arsch ist.“

Ben denkt gerade an andere Dinge. „Man müsste demnächst mal ne andere Stelle zum Sterne schauen suchen, hier ist einfach zu viel Stadtlicht. Mehr Raum, weniger drum rum und so. Mir wird das eh alles zu eng hier.“

„Ja können wir machen, aber bist du denn gar kein bisschen nervös?“

„Nein. Weißt du, ich hab mich entschieden. Ich werd die Nachprüfung nicht machen.“

„WAS? Bist du verrückt?“ reißt es Philip hoch. „Die ganze Lernerei, für’n Arsch?“

„Flipper, ich hab mich entschieden, echt. Ich habe alles durchdacht. Ich werd ne Ausbildung machen oder etwas anderes. Da kackt mich kein Lehrer mehr so mies an wie die Arschmade Meving.“

„Alter, wann hast du das denn entschieden? Du machst mich gerade voll fertig!“

„Eigentlich schon am Beginn der Ferien. Meving wird mich nicht durchkommen lassen – und die Blöße will ich mir nicht geben. Ich gehe da raus, mit erhobenem Kopf. Dem gönne ich das nich, mich fertig zu machen. Ich werde eine Ausbildung machen, dann hol ich das Abi nach und werde trotzdem Pilot. Wirste sehen, ich überhole euch alle.“

„Ben! Das is jetzt echt, das haut mich aus den Socken. Hättest du nicht mal was sagen können? Warum? Schließlich bist du mein bester Freund!“ Philip ist vollkommen erschüttert.

„Ja, hätte ich. Vielleicht wäre das besser gewesen. Kann sein. Aber hey, dann wären die Ferien im Arsch gewesen.“

„Wie? Ich verstehen das nicht. Ben, warum? Wieso im Arsch?“

„Weil wir dann gesehen hätten, dass nicht alles so weitergeht. Dass alles auch mal zu Ende geht. Weil wir uns seltener sehen werden. Ich werd in irgendeinem Betrieb hocken, während ihr euch von Chemie zu Deutsch und Sport weiter hangelt.“

„Mann, ich fass es nicht. Das macht mich gerade echt fertig.“

„Sieh´s mal so. Bis jetzt war´s ein toller Sommer. Das sollten wir nicht vergessen. Und seien wir ehrlich, du kommst aus ner tollen Familie, hast mehr Grütze im Kopp als viele andere und wirst studieren, Professor werden und Asche ohne Ende verdienen. Nette Frau, dickes Auto, mindestens fünf Kinder und so. Ich dagegen werde an der Schule immer der Sohn vom Gemüsehändler Bulut bleiben. Mir is klar geworden, ich muss hier raus.“

„Und dein Vater? Was sagt der? Findet der das gut?“

„Was denkst du denn? Meine Eltern waren echt fertig. Sie haben sich einen Sohn gewünscht, der dann den Laden schmeißt, einfach was Besseres wird als sie. Aber wir haben lange geredet, echt lang. Sie haben das letztendlich verstanden, dass ich meinen eigenen Weg gehen muss. Toll finden die das aber trotzdem nich.“

„Wie wird das denn jetzt, sieht man sich dann noch? In der Schule ja nicht mehr. Das ist echt traurig. Wissen die anderen das schon?“

„Nope – du bist der erste. Ja, das wird schon was anders werden.“ Er macht eine Pause, überlegt. „Ich werd nich mehr so viel Zeit haben, vermutlich gar keine. Wir werden sehen. Aber irgendwann komm ich mit nem dicken Ferrari und zwei Blondinen vorbei und zeig dir, wie das fette Leben geht. Und mit dem Knutschen und Puppen. Und dann flieg ich wieder los, nach Amerika. Oder zu den Sternen.“

„Life's too short to be an asshole“— unbekannt —

… noch 9 Wochen

 Die Schulglocke scheppert durch die Flure des Gymnasiums. Ben drückt sich durch die Menge von Schülern. Jeder ist auf dem Weg in die Klasse, alle in anderen Richtungen unterwegs. Sein Rucksack zieht ihn wie ein Stein herunter. Null Bock auf diese Stunde.

„Warte, Ben! Bleib doch mal stehen“ ruft Philip, der sich wie Ben durch die anderen Schüler schlängeln muss.

„Hast du die Chemieaufgaben gemacht? Ich hab das nicht komplett verstanden. Aber das wundert einen bei dem Typen überhaupt nicht.“

„Alter, für Dinge, die man nich gemacht hat, kann man nich bestraft werden. Dat is Gesetz.“

„Also haste nix gemacht?“

Ben verzieht das Gesicht und schüttelt den Kopf. „Nope. Echt kein Bock dafür. Der Mehlwurm wird mich sowieso ankacken. Mit oder ohne Aufgaben. Da mach ich besser gar nichts. Zeit gespart. Sind eh bald Ferien. Noch ein paar Klausuren und feddisch. Dann kann der mich mal.“

Philip grinst und klopft ihm leicht auf die Schulter. „Der kann doch nicht bei jedem Auftritt immer dich rauspicken. Vielleicht hat er gerade keinen schlechten Tag und freut sich über schönes Wetter, oder was weiß ich, worüber sich so ein Arschloch freuen könnte.“

„Der hat immer einen schlechten Tag“, murmelt Ben.

Sie kommen zum Chemieraum, in dem der Mehlwurm haust. Die Tür steht offen und Meving thront bereits hinter seinem Versuchstisch. Seine dicke Brille balanciert auf der Nase, eine Halbglatze mit ein paar mickrigen Haaren im Rentnerkranz, die im Licht wie eingeölt glänzt, ein magerer Körper, der sich in einem zu großen, schlecht geschnittenen Jackett versteckt. Er hat einen Stapel Papier vor sich. Tapp tapp, klopft er ungeduldig mit einem mageren Finger darauf herum, als wolle er sie am Tisch festnageln. Philip und Ben seufzen simultan – das verheißt nichts Gutes. Meving ist eine echt gefürchtete Gestalt.

„Setz dich, Ben!“ ruft Meving, ohne den Kopf zu heben. „Schon wieder zu spät. Habe ich nicht anders von dir erwartet. Kommt und geht, wie er will, der Taugenichts.“

Die Schulglocke klingelt zur Stunde.

„Es hat doch gerade erst geklingelt“, sagt Ben. Philip nickt bestätigend.

„Du sollst nicht frech werden. Setz dich und halt die Klappe. Und du brauchst nicht so dämlich zu schauen, Berger. Ich hab dich auch gesehen.“

Ben schluckt und schiebt sich widerwillig zu seinem Platz. Er wirft einen fragenden Blick zu Philip, der ihm ein aufmunterndes Nicken zuwirft. 

„Immer stets zu Diensten, leş herif1“, murmelt Ben leise vor sich hin, während er auf seinen Platz rutscht. Na, das kann ja wieder eine tolle Stunde werden.

„Dann wollen wir doch mal sehen, wie es um die allgemeinen Kenntnisse der Klasse steht. Ich hoffe, besser als bei dir, Bariss. Da ist ja eh nicht viel zu erwarten.“

„Bariş – das wird Barisch ausgesprochen.“ sagt Ben.

„Ach tatsächlich? Bariss … da will der Krümel klüger sein als die Torte. Lustiges Kerlchen.“ sagt Meving genüsslich. „Hefte raus, wir schreiben einen Test. Wir wollen doch mal sehen, ob ihr in den letzten Wochen überhaupt etwas in eure hohlen Köpfe hineinbekommen habt. Na? Wird’s bald? Ich habe keine Lust auf euch zu warten.“

Die ganze Klasse stöhnt. Diese Tests sind von allen gefürchtet. Immer sind die Fragen in den Tests eine Überraschung. Aber mit dem Lehrstoff haben sie bei Meving nie etwas zu tun. Das würde wieder ein Gemetzel. Meving ist bekannt dafür, dass seine Tests aus heiterem Himmel kommen. Sie sind schwer, sehr schwer. Wer hier auch nur einen Hauch weiß, kann auch direkt an der Uni Chemie studieren.

„Und hier haben wir eine recht einfache Aufgabe für alle, die zumindest etwas in Chemie drauf haben, also eigentlich keiner von euch. Ich frage mich, wie ich in so einen Haufen hohler Nüsse wie euch überhaupt etwas außer Luft hineinbekommen soll. Meine vertane Lebenszeit, wieder einmal.“

Meving lässt ein Arbeitsblatt austeilen. Alle schauen drauf und verdrehen die Augen. Fragende Blicke aller untereinander. Was ist das? Keiner weiß, was das soll. Davon hat noch nie einer gehört. 

„Wie befürchtet. Ich sehe nur ratlose Gesichter. Ist doch eigentlich ganz einfach, das kann jeder Grundschüler lösen: Berechnet die Gleichgewichtskonstante einer Reaktion in Abhängigkeit von Druck und Temperatur. Erklärt anhand des freien Energiebegriffs, warum eine bestimmte Reaktion freiwillig abläuft“, liest er vom Blatt ab. „Was gibt es da zu murren? Ruhe da hinten. Und damit ihr nicht denkt, ich wäre unfair, gibt es hier kostenlos eine kleine Hilfestellung: das Stichwort lautet: Gibbs' freie Energie.“

Meving sieht in etwa zwanzig Paar ungläubige Augen, allein Kazumi Shindo scheint eine gewisse Ahnung zu haben, worum es überhaupt geht.

„Ah, ich sehe, euch gefällt die Aufgabe. Ihr habt dreißig Minuten Zeit. Ergebnis geht natürlich wie immer in die Gesamtnote ein.“ Meving grinst gehässig. Er freut sich sichtlich. Er weiß, das kann keiner lösen. Er stolziert vor der Klasse eitel auf und ab.

Kazumi meldet sich. „Herr Dr. Meving, das ist aber deutlich über dem Niveau einer zehnten Klasse. Das ist eher etwas für ein zweites Semester Chemie an der Uni. Möchten sie auf Ihren Test eine allgemeine Aussage oder genaue Formeln und Berechnungen anhand eines Beispiels? Das könnte aber etwas länger dauern als die dreißig Minuten. Ich glaube, dass nicht alle Schüler das hier lösen können.“

„Sie mal einer an, die Weisheit Asiens. Wenn du das kannst, dann mach das mal, Fräulein Oberschlau, du scheinst ja die Weisheit mit Stäbchen gefressen zu haben.“

„Danke. Ja. Ich werde mir Mühe geben, Herr Dr. Meving. Und meine Eltern kommen aus London.“

„Ach was. Wäre mir ganz entgangen. Und Mühe würde ich dir auch raten. Fünf Minuten sind rum. Und der Rest kann sich auch mal langsam an die Arbeit machen. Hopp hopp, ihr hohlen Nüsse, sonst droht euch wieder mal ein Ungenügend.“ Er hat sichtlich Spaß an der Vorstellung. Die Klasse murrt auf.

Lukas meldet sich: „Mensch, Herr Meving, das ist aber voll übel langweilig. Können wir nich mal was mit Experimenten machen? Wo’s knallt und kracht? Nicht diese langweiligen Aufgaben, wo eh keiner drauf Lust hat.“

„Hartwich, halt die Klappe, sonst knallt und kracht es gleich bei dir.“

„Ooch, das is aber voll unlustig. Sie haben heute aber wieder so ne Laune. Das macht mich echt traurig.“ Alle lachen. „Ham Sie denn nicht mal so Experimente? Ich will mich ja nicht beklagen, aber diese Textaufgabe, geben Sie es doch auch zu, die is voll uncool und macht überhaupt nicht glücklich.“ Er grinst in die Klasse. Lukas ist der Klassenclown.

„Herr Hartwich“, zischt Meving, jedes Wort betonend. „Ich habe langsam deine impertinente Art satt. Noch ein Wort, und es kracht richtig.“

Lukas kann es sich nicht verkneifen. „Also doch Experimente. Das finde ich toll. Danke Herr Meving. Auf Sie is echt Verlass.“ Die Klasse kichert mit eingezogenem Kopf. Keiner will jetzt auffallen. Lukas ist das aber alles egal. Sein Vater wird das schon richten. Oder auch nicht. Lukas ist eine Frohnatur. Eine gut betuchte Frohnatur. Der wird auch so Karriere machen, mit oder ohne Chemie. Und er weiß das ganz genau.

Ben steht auf. „Herr Meving, ich bin mir sicher, dass das nicht zum Unterrichtsstoff gehört und dass wir diesen Test nicht schreiben können. Was Sie da wissen wollen, ich habe keine Ahnung, was das sein soll und ich bin mir ziemlich sicher, dass außer Kazumi keiner auch nur einen blassen Schimmer hat, worum es hier eigentlich geht. Ich werde diesen Test nicht schreiben.“ Er setzt sich wieder hin. 

„Natürlich, wieder unser junger türkischer Freund mit der großen Klappe. Ich habe auch nicht erwartet, dass du überhaupt etwas weißt. Du bist wirklich mit Abstand die schlimmste Heimsuchung, die ich je als Lehrer oder Dozent erlebt habe. Im Lernstoff hinten dran, keine Ahnung von irgendwas, aber immer zu spät und große Reden schwingen. Das wird nichts mehr mit dir. Du bist für jeden Lehrbetrieb eine vermeidbare Belastung.“

Ben hat diese Tirade schon öfter gehört. Er ist wütend, lässt es sich aber nicht anmerken. „Es spielt eh keine Rolle, ob ich diesen Test schreibe. Wüsste ich, was ich da in etwa schreiben sollte, würde ich von Ihnen eine Fünf oder Sechs bekommen, weil ich es bin. Gebe ich nichts ab, wäre das Ergebnis das gleiche. Also kann ich mir den Test sparen. Ich vermute, dass der Rest der Klasse das auch so sieht, oder Freunde?“ Ben schaut sich um. Zustimmendes Gemurmel aus der ganzen Klasse bis auf die Streberecke um Nico und Thomas. Die schauen, als hätte man ihren Lieblingslehrer beleidigt. Die können das alles auch nicht wissen, aber aufmucken? Niemals! Wie erwartet, ducken sie die Köpfe und warten, wie es jetzt weitergehen wird.

„Tja Bariss, das hatte ich eigentlich bei dir auch schon erwartet. Nichts im Kopf und dann auch noch frech und faul sein. Das wird deiner Endnote nicht zum Guten gereichen. Da kannst du dich schon mal auf eine Ehrenrunde einstellen. So wird das mit dir nichts. Warum bist du eigentlich hier am Gymnasium? Ich sehe dich eigentlich eher auf einer Hauptschule oder Förderschule. Da könntest du vielleicht mit deinem Viertelwissen glänzen.“

Meving freute sich diebisch, dass er wieder mal jemanden fertig machen kann.

Ben wird heiß und kalt – aber jetzt wird er nicht den Schwanz einkneifen. Es würde am Ergebnis doch nichts mehr ändern.

„Ich habe das doch richtig im Kopf, dass dein Vater so einen kleinen türkischen Ramschladen hat, oder?“, redet Meving weiter. „Da findest du vielleicht auch noch Druck und Temperatur, vielleicht bei den Tomaten. Da findest du auch bestimmt etwas, was besser deinem Talent entspricht. Da bin ich mir fast sicher. Hier ist das eigentlich reine Zeitverschwendung, etwas in deinen hohlen Kopf zu bekommen. Hoffentlich reicht dein Talent, zumindest Gemüse zu verkaufen. Sonst sehe ich schwarz für deine Zukunft.“

Niemand kichert, nicht einmal mehr die Streberecke. Alle halten die Luft an. Meving ist heute echt übel drauf. 

„Talent?“ presst Ben heraus. „Mit Ihnen als Lehrer? Da braucht man kein Talent. Chemie mit Ihnen ist nur ein weiteres Wort für Zeitverschwendung.“

„Da sind wir beide ja ausnahmsweise einmal einer Meinung. Du kannst gern den Rest der Stunde außerhalb dieses Raums warten, oder hol dir doch etwas aus deinem Kulturkreis zum Essen, einen Döner zum Beispiel. Schönen Tag noch.“

Meving lächelte süffisant. „So, und der Rest, möchte jemand auch schon abgeben und draußen warten? Oder wird mich jemand mit einer halbwegs richtigen Arbeit überraschen? Wer nichts weiß oder glaubt fertig zu sein, darf aufstehen und mir aus den Augen gehen.“

Einige stehen auf und geben Meving ihr leeres Blatt. 

Elif, die immer alle in Schutz nimmt, fragt laut „Was soll das, Herr Meving? Ist das jetzt der verschärfte Unterrichtsstil, uns zu schikanieren und einige zu beleidigen?“

„Ja, das vorlaute Frollein Yilmaz. Noch so eine Grazie der Entwicklung. Du kannst dich dem da“, und er zeigt auf Ben, „direkt anschließen. Wenn du fertig bist, raus mit dir. Du hast mir gerade noch gefehlt.“

Elif zischt wie ein Teekessel einen saftigen kurdischen Fluch. ‚Un kurdu2’ ist zu verstehen, der Rest geht im Zischen unter. Niemand will gerade wissen, was sie genau gesagt hat. Das kann, so wie sie gerade drauf ist, auch ziemlich böse enden. Mit Elif ist, wenn sie sauer ist, nicht zu spaßen. Und sauer ist sie, ihre Locken, die sonst schon wild in der Gegend herumstehen, knistern vor Wut.

Selbst Kazumi, die eigentlich immer alles weiß, und für die dieser Test eher eine Fingerübung ist, hat nichts geschrieben und gibt ihr Blatt wieder leer ab. 

Meving genießt das Spektakel sichtlich. Klasse vergrault, Unterricht zu Ende. Dann muss er sich auch nicht mehr mit diesem Niveau abgeben. Er hatte immer auf eine akademische Karriere hingearbeitet. Aber das hatte man ihm verdorben. Das ist jedenfalls seine Meinung. Und jetzt muss er sich hier mit dummen Schülern abgeben. Das ist eines Mevings nicht würdig.

Der größte Teil des Kurses versammelt sich am Ende des Flurs, die meisten mit verschränkten Armen oder missmutigen Blicken. Unzufriedenes Murmeln geht durch die Gruppe, doch keiner traut sich wirklich, den ersten Schritt zu machen. 

Elif spricht mit einigen, drückt Ben mitfühlend die Hand. Sie steht schließlich vorne und blickt die anderen entschlossen an. „Ich gehe jetzt zum Schulleiter“, sagt sie mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldet. „Wir brauchen uns nicht alles gefallen zu lassen. Wenn der Typ uns nur provoziert und nichts Sinnvolles beibringt, dann ist das sein Problem, und das von Schulleiter Schneider, nicht unseres.“ Sie schaut in die Runde. „Seht ihr das auch so?“

Es folgt ein kollektives Nicken, einige murmeln zustimmend, während andere es vorziehen, still zu bleiben. Sie sind erleichtert, dass sie an diesem Tag nicht selbst in die Schusslinie geraten sind – trotzdem scheint ihnen der Mut zu fehlen, sich gegen Meving zu wehren.

„Das, was der da abzieht, ist reine Schikane,“ fährt Elif fort, ihre Stimme wird schneidend, „und wir lernen dabei überhaupt nichts. Wie der ständig auf Ben herumhackt, das ist echt gemein und geht zu weit. Das ist kein Unterricht, sondern er benutzt uns, um sich über uns lustig zu machen, uns zu beleidigen und sein egoistisches, madenhaftes Ego zu pflegen.“

Philip stellt sich neben Elif und nickt ihr zu. „Du hast recht. Wir müssen Stellung beziehen. Das ist unmöglich, was der da macht. Wir müssen uns nicht alles gefallen lassen.“

Elif nickt, sichtbar aufgebracht. „Kann jemand Frau Menken Bescheid geben, dass ich etwas später zu Deutsch komme? Ich gehe jetzt zum Chef.“

„Übernehmen wir“, sagt Philip, und Lukas nickt bekräftigend.

Ohne ein weiteres Wort rauscht Elif davon, die Wut noch immer wie eine Woge um sie, die wie eine Energiewolke spürbar ist. Elif ist auf dem Kriegspfad.

Philip und Ben sind gemeinsam auf dem Weg Richtung Klassenraum: Deutsch bei Frau Menken. Ein klein wenig leichteren Herzens gehen sie in diese Stunde, denn Frau Menken ist die Art Lehrerin, bei der sich die meisten Schüler wohl fühlen. Sie nimmt sich stets Zeit für ihre Klasse und hört zu, wann immer es passt – ob es nun um Deutsch, die Hausaufgaben oder ganz andere, oft banale Alltagsprobleme geht. Wenn ein Schüler ein Anliegen hat, zeigt sie Verständnis und versucht zu helfen, wo sie kann.

Heute steht Frau Menken bereits vor dem Klassenraum und mustert die beiden, als sie sie kommen sieht. Mit einem leicht besorgten, aber aufmunternden Blick begrüßt sie Ben und Philip. „Na, ihr beiden, ihr seht ja hochmotiviert aus. Alles ok bei euch?“

Ben schaut sie mit erschöpftem Gesicht an. „Wir haben gerade ne Chemiestunde hinter uns gebracht. Das war mal wieder eine echte Hinrichtung. Der Mann hat’s wirklich auf mich abgesehen. Der will mich unbedingt loswerden oder, ich weiß nicht, findet es einfach lustig, uns alle zu beleidigen und fertig zu machen.“ Sein Gesicht versucht sich zu einem schiefen Grinsen zu verziehen. Das gelingt aber nicht, man sieht ihm die Wut und den Ärger deutlich an.

Frau Menken blickt kurz zur Seite und seufzt tief. Es ist nicht das erste Mal, dass sie Beschwerden über Dr. Meving hört. Die Geschichten von seinen Unterrichtsstunden mit diesen gehässigen Äußerungen machen sie jedes Mal wütend. Doch als Kollegin sind ihr weitgehend die Hände gebunden. Sie hat bereits einige Male mit Schulleiter Schneider darüber gesprochen. Er hat zugehört, nickend Verständnis gezeigt und sogar versprochen, sich ein eigenes Bild von der Situation zu machen und mit Dr. Meving zu reden. Das war allerdings schon vor Wochen gewesen, und bisher ist, soweit sie weiß, nichts passiert.

„Kopf hoch, meine Herren,“ sagt sie schließlich aufmunternd. „Wir kriegen das schon irgendwie hin. Und wenn es etwas gibt, das ich tun kann, sagt es mir einfach, und ich werde sehen, was sich machen lässt.“

„Sie könnten den Chemiesaal sprengen, mit der Made drin,“ meint Ben mit einem Funkeln in den Augen. „Aber Sie sollten sicherstellen, dass die Ladung stark genug ist. Der ist widerstandsfähiger, als man denkt. Eine richtig fette Ladung wäre nötig.“

Frau Menken verzieht den Mund zu einem halben Lächeln, wird dann aber wieder ernst und hebt eine Augenbraue. „So schlimm?“

Ben seufzt und verschränkt die Arme. „Ich brauch diese verdammte Chemienote, verstehen Sie? In den anderen Fächern läufts, da bin ich auf einem sicheren Niveau. Sogar in Deutsch“, fügt er mit einem kleinen Grinsen hinzu. „Aber der Typ, der hasst mich regelrecht. Ich kann machen, was ich will, aber ich werd von ihm behandelt, als wäre ich der letzte Kameltreiber aus Hinter-Kurdistan.“

Frau Menken legt ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter. „Noch ist das Jahr nicht zu Ende, Ben. Außerdem hast du völlig recht: Hier in meinem Kurs bist du sicher. Hier wird ordentlich unterrichtet. Ich erwarte zwar etwas mehr Einsatz als körperliche Präsenz. Und sei ehrlich, manchmal bist du schon etwas faul …“ Sie zwinkert ihm zu. „Aber du zeigst Engagement, beteiligst dich und stellst ab und zu sehr gute Fragen. Du hast was in der Birne, auch wenn andere das abstreiten. Und da bin ich mit meiner Meinung im Kollegium übrigens auch nicht allein.“

Philip, der sich das Gespräch aufmerksam angehört hat, mischt sich nun ein.

„Frau Menken, Sie sollten mal hören, was Dr. Meving alles für abfällige Bemerkungen loslässt – und das auch nicht nur gegen Ben, aber vor allem bei ihm. Heute hat er zum Beispiel gesagt, Ben könne vor der Tür warten, wenn er den Test nicht mitschreiben will, und sich etwas aus seinem Kulturkreis zu Essen besorgen.“ Philip schüttelte den Kopf, sichtlich wütend. „Das war echt unter der Gürtellinie, einfach nur beleidigend. Und dieser Test – das war einfach eine Frechheit. Das Thema hatten wir noch nie. Keiner hatte den blassesten Schimmer, was da gefragt wird. Kazumi meinte, dass sowas eher zweites oder drittes Semester Uni ist. Jedenfalls nicht Lehrplan zehnte Klasse.“

„Naja, Kazumi kann sowas,“ fügt Ben schulterzuckend hinzu. „Aber die spielt ja in einer ganz anderen Liga, was das angeht.“

Frau Menken seufzt erneut und nickt verständnisvoll. „Ich verstehe, was ihr meint. Und es ist nicht in Ordnung, was da passiert. Ich verspreche euch, ich werde nicht locker lassen und schauen, ob wir das nicht irgendwie lösen können. Ich kümmere mich darum, das verspreche ich euch. Aber jetzt lasst uns erst mal in den Unterricht gehen. Ich werde noch einmal mit Schulleiter Schneider über Dr. Made“, sie hustet, „sorry, Herrn Doktor Meving sprechen.“ Sie lächelt ihnen aufmunternd zu und deutet zur Tür.

„Ach ja, Elli ist zum Schneider und will sich beschweren, die kommt was später“, sagt Philip. 

Frau Menken nickt und nimmt das zur Kenntnis. „Dann drücken wir ihr mal die Daumen, dass sie Herrn Schneider erreicht und er ihr zuhört.“

Die beiden sehen sich an und folgen ihr ins Klassenzimmer, wo zumindest für die nächsten 45 Minuten eine etwas ruhigere Atmosphäre auf sie wartet.

Ben

Ben und Philip schleppen sich nach Unterrichtsschluss nach Hause. Sie müssen etwa in die gleiche Richtung. Der Tag sitzt beiden in den Knochen. Vor allem diese Chemiestunde!

„Wie lange soll das mit dem Arsch noch gut gehen? Irgendwann bekommt der echt mal ne Abreibung. Aber ich bin nicht blöde, zumindest nicht so blöde. Ich lass mich nicht von dem provozieren. Das ist doch genau das, was der will. Dass ich ausraste und ihm eine reinhaue“, sagt Ben.

„Dann ist der Ofen aber sofort aus, dann brauchste nicht mehr auf bessere Noten hoffen.“

„Bekomme ich ja eh nich. Aber sich das vorzustellen …“ Ben knackt mit den Fingerknöcheln. „Fünf Finger sind eine Faust3, und die landet in dem Froschgesicht, man hört es knacken und Blut spritzt durch die ganze Klasse. Und dann das Wimmern und Heulen. Das stell ich mir gerade immer wieder vor.“

„Dann lass es bei den Vorstellungen. Bitte.“

„Flipper, ich bin doch nicht verrückt. Ich weiß, dass das nich geht. Aber die Vorstellung …“ seufzt Ben genießerisch.

Elli:Schneider war voll blöd

Kaz:??

Elli:hat mich voll auflaufen lassen . blabla und so

„Das war Elli. Das war wohl nich das tolle Gespräch“, sagt Ben.

Ben:und hilft Schneider?

Elli:nein, kurz gesagt wir sollen uns nicht so anstellen

„Puh, Ich glaub, Elli ist stinkig, also Vorsicht, was du sagst“, bemerkt Philip.

„Ich weiß, mit einer wütenden oder stinkigen Elli ist nicht zu spaßen. Ein falsches Wort, und du bist tot, mausetot.“

Phil:biste sauer?

Elli:WAS DENKST DU DENN !!

Ben:danke, dass du das gemacht hast. Eigentlich hätte ich mit gehen sollen

Elli:nein, du bist nicht diplomatisch genug !!

Ben und Philip schauen sich an. Sie müssen lachen. Wenn jemand wütend ist, dann ist Elif bestimmt nicht diejenige, die am diplomatischsten sein kann. Ein Vorschlaghammer ist dagegen ein sanftmütiges Wesen. 

Ben:lebt der noch?

Kaz:hihi

Elli:als ich ging hat er noch geatmet

„Und, was hast du heute noch vor?“, fragt Philip, während er in seiner Jackentasche nach etwas Essbarem kramt und einen Schokoriegel findet. „Lust, ne Runde zu zocken?“ Er teilt den etwas geschmolzenen Riegel und gibt die Hälfte an Ben weiter.

Ben schüttelt den Kopf. „Nee, ich bin nach diesem Tag echt platt. Und mein Vater hat mich gefragt, ob ich kurz im Laden aushelfen kann. Ein paar Bestellungen ausliefern. Das ist nur in der Nachbarschaft, mach ich alles zu Fuß. Aber es zieht sich trotzdem, bis alles verteilt ist. Manchmal gibts Trinkgeld, das is ganz okay. Und es hilft, auf andre Gedanken zu kommen.“ Er verzieht das Gesicht, als er an den Chemieunterricht denkt. „Meinst du, wir können nachher noch mal schaun, was die Arschmade da in dem Test gefragt hat? Das muss man doch irgendwo finden können, oder? Google oder ChatGPT? Ich will jedenfalls das nächste Mal nicht wieder wie’n Looser dastehen. Auch wenns echt voll für´n Arsch ist. Dann kommt der wieder mit was Neuem, von dem noch nie jemand was gehört hat, Kaz vielleicht – aber die zählt nicht.“

„Ich weiß eh nicht, wie der Mann überhaupt Lehrer werden konnte. Also fachlich mag das ja alles richtig sein, was der da so verzapft, aber was macht so ein Arsch an ner Schule? Lehrplan und so interessiert den doch Null.“

„Keine Ahnung.“ Ben zuckt mit den Schultern. „Vielleicht wegen der Kohle?“

„Glaub ich nicht. Der müsste es schon ziemlich nötig haben, wenn der sich nur für’s Geld durch unseren Mist quält. Wenn er wirklich so ein Genie wäre, wie er bestimmt von sich denkt, würde der doch in der Wirtschaft sicher mehr verdienen.“ Philip grinst leicht und fügt hinzu: „Kazumi hat mal was Ähnliches erwähnt. Die meinte, der hätte lieber ein Forschungslabor als Leiter und hunderte Untergebene, die er foltern kann als ein Klassenzimmer.“

Ben schnaubt verächtlich. „Ehrlich gesagt, is mir egal, was der treibt – solange er mich in Ruhe lässt und mir keine Sechs reindrückt.“

„Was liegt denn noch für morgen bei dir an? Mehr Hausaufgaben? Irgendwas, wo du nicht zurechtkommst? Wir können das ja zusammen machen.“

„Alles pillepalle, das bekomme ich problemlos hin. Aber erst die Auslieferungen. Mein Pa hat mich eben wieder  angesimst, der liebt SMS, ob das klar geht, dass ich Zeit haben soll und gebraucht werde. Mehmet is ausgefallen, und ein paar Bestellungen müssen in der Nachbarschaft ausgetragen werden.“

„Wer bestellt denn bei euch, wusste ich gar nicht, dass ihr sowas macht.“

„Machen wir eigentlich auch nicht. Es sind meist ältere Leute, die bei Pa anrufen und der stellt ihnen dann was zusammen. Einige kennt der noch von früher, da macht der das eher aus Freundschaft, glaub ich.“

„Soll ich dir denn dabei helfen? Ist das viel zu schleppen? Oder ist das nur alles Gemüse und Kleinkram?“

„Keine Kisten mit Wasser. Doch, manchmal, aber eher selten. Wenn du magst, das wär nich schlecht. Ich bekomm das schon alles hin, aber zu zweit gehts etwas schneller und macht dann auch mehr Spaß.“

„Dann sag ich mal meiner Mutter Bescheid, dass ich jetzt nen Job hab und erst später komme.“

„Hey, von Kohle hat aber keiner was gesagt.“

Philip lacht. „Vielleicht springt ein Happen zu Essen für einen armen verhungerten Sechzehnjährigen dabei raus. Du weißt doch, ohne Mampf kein Kampf.“

Phil:Mama, ich geh zu Ben, etwas helfen und lernen. ok?

„Warte ab, wenn meine Mutter das hört. Die mästet dich, und wehe du isst nicht auf. Dann haste echte Probleme.“

Bens Eltern haben einen klassischen kleinen, türkischen Supermarkt, mit Gemüse, einer Frischetheke und all dem, was man in so einem Laden erwartet. Philip war schon öfter nach der Schule in dem Laden gewesen, aber Ben bei der Auslieferung zu helfen, das gab es noch nicht. Das ist heute sozusagen Premiere.

Ping.

Mama:ja, alles klar. Iss was und mach deine Hausaufgaben. Hab dich lieb mein Liebling. Kussi

Philip verdreht die Augen.

Bens Vater kommt direkt auf sie zu, als sie in den Laden kommen. Ein kleiner untersetzter Mann mit einer Igelfrisur und einem herzlichen Lachen im Gesicht.

„Ah, gut dass du kommst, Junge. Die Bestellungen stapeln sich und Mehmet ist nicht gekommen. Dessen Mama ist krank und er muss mit ihr zum Arzt. Sagt er jedenfalls. Hallo Philip, wie kann ich dir helfen?“

„Hallo Herr Bulut, nein ich brauch nichts. Ich wollte eigentlich Ben, ich meine Bariş, helfen.“

„Das finde ich ja sehr nett von dir. Habt ihr schon was gegessen? Bestimmt nicht. Ein bisschen Zeit ist bestimmt noch. Junge, nimm mal Philip mit zu Mama, die hat bestimmt noch eine Winzigkeit übrig. Nicht, dass ihr mir auf dem Weg entkräftet zusammenbrecht.“ Er lacht.

Damit scheucht er die beiden in den Hintergrund des Ladens, wo es über das Treppenhaus in die Wohnung der Buluts geht.

Bens Mama hat sie schon gehört und steht im Türrahmen. „Kind, du siehst hungrig aus. Ihr müsst ja nach so viel Schule halb verhungert sein, oder? Hallo Philip, kommt rein, ich hab noch eine Kleinigkeit übrig, nicht viel, eine Winzigkeit, vielleicht reicht es für euch beide. Hoffe ich.“ Sie reibt sich die Hände und eilt in die Küche. Die beiden ziehen die Schuhe aus und folgen ihr in die Küche.

Sie ist, ähnlich wie ihr Mann, rundlich und strahlt eine große Herzlichkeit aus. Hier in der Küche riecht es einfach nur lecker. Ein Duft von Gewürzen und etwas Knoblauch lässt beiden das Wasser im Munde zusammenlaufen. Sie setzen sich an den Küchentisch und Bens Mama stellt ihnen, als hätte sie die ganze Zeit auf sie gelauert, zwei Teller mit Nudeln, Käse und Gemüse sowie einer Hackfleischsoße hin. Es sind ordentliche Portionen, große Portionen, riesige Portionen. Das wird für die beiden eine Herausforderung.

„Frau Bulut, das riecht fantastisch“, sagt Philip und schnuppert genießerisch. Jetzt erst merkt er, dass er halb am Verhungern ist.

„Dann haut rein Jungs und macht mich glücklich.“ Sie stemmt die Arme in die Seiten und bleibt am Tisch stehen. Sie will sehen, dass es ihnen schmeckt.

Das lassen die beiden sich nicht zweimal sagen, und längere Zeit hörte man nur Besteck klappern, während Frau Bulut glücklich lächelnd danebensteht und ihnen zusieht, wie die Teller langsam aber sicher leerer werden.

„Und Bariş, mein Liebling, wie war es in der Schule? Kommst du mit?“

„Boah, Mama, nich beim Essen.“ Ben schiebt seinen fast leeren Teller zurück. „Dr. Made hat wieder zugeschlagen und uns wieder so nen komischen Test schreiben lassen.“

„Und hat er dich wieder angeblafft?“

„Ja, nich zu knapp.“

„Das geht so nicht weiter. Ich werde mit Papa zum Schulleiter gehen. Das musst du dir, und wir uns ganz besonders, nicht von diesem fürchterlichen Menschen, diesem ‚seytan4‘ bieten lassen.“ 

„Nein Mama, lass das. Ich bekomm das allein hin. Ich kann mich nich immer hinter dir und Papa verstecken. Ich bin erwachsen. Also fast. Ich regele das selber.“

Frau Bulut schnauft. „Und wie will mein Sohn das machen? Willst du ihm einen Strauß Petersilie überbraten? Oder irgendwas anderes? Ich habe damals schon gedacht, dieser Mann bringt Unglück, tanrı yardımcımız olsun5.“

„Mama, ich krieg das hin. Ich bin alt genug, das zu machen.“

Die Stimmung droht zu kippen. Philip sieht von einem zum anderen. Diese Diskussion scheint schon öfter gelaufen zu sein. Und es scheint immer auf das gleich hinauszulaufen. Dass sie beide anschließend schlechte Laune haben.

„Mama, ich lerne, ich bin in allen Fächern gutes Mittelfeld. Ich schaff das.“

Seine Mutter mustert ihn einen Moment lang und nickt dann langsam. „Du weißt, dass du das nicht musst. Du musst dich nicht beleidigen lassen. Du kannst hier jederzeit im Laden anfangen. Wir kommen gut zurecht. Man achtet uns, die Kunden sind freundlich zu uns. Wir sind nicht reich, aber wir können relativ sicher leben. Wäre das denn nichts für dich? Du würdest Papa sehr glücklich machen. Und mich natürlich auch.“ Sie schaut ihn hoffnungsvoll an, als wenn Ben sich heute anders entscheiden würde. Er schüttelt den Kopf. Sie versteht, was er meint.

Ben zwängt sich hinter dem Küchentisch hervor. „Komm, Flipper, die Auslieferungen warten. Wir können das später noch mal besprechen, Mama.“ Ohne ein weiteres Wort zieht er Philip mit sich, zurück in den Laden.

Bens Vater sieht sie die Treppe herunterkommen und kommt direkt auf sie zu. „Jungs, habt ihr genug zu essen bekommen? Seid ihr satt?“

Philip nickt „Ja, das war verdammt lecker. Und viel. Ich könnte das nicht jeden Tag schaffen.“

Bens Vater lacht. „Ich werde das Kompliment an meine Rose weitergeben, dass ihr sie ausdrücklich und überschwänglich gelobt habt. Habt ihr doch, oder?“ Beide schauen sich an, dann nicken sie. Er grinst und zwinkert Philip zu. „Philip, du musst Frauen loben. Sonst fressen sie dich auf. Oder schlimmeres.“

Er holt aus seinem Kittel einen handschriftlichen Zettel und drückt Ben die Lieferliste in die Hand. „Du kennst das ja, Name und Adresse, in der Kühlung stehen die Tüten mit den Namen. Und bitte nix vergessen oder vertauschen. Mehmet macht sowas hervorragend. Und ich muss mir dann immer wieder anhören, warum Frau Treis wieder Tomaten bekommen hat, wo sie doch so allergisch darauf reagiert. Ihr versteht? Ich drück euch die Daumen, und vor allem mir erst.“ Er schaut sie ernst an. Ben nickt, er hat das ja nicht zum ersten Mal gemacht.

Und damit saust er wieder wie ein Kugelblitz in den Laden um eine Kundin zu bedienen.

Philip schaut Ben über die Schulter und auf die Liste. „Das sieht aber übersichtlich aus. Ein paar Adressen, alles in der Nachbarschaft.“

Ben seufzt. „Hätte mehr sein können, stimmt. Aber die Überraschung is immer die Anzahl der Tüten. Wieviel muss geschleppt werden. Immer wieder ne Wundertüte, das Ganze. Lass uns mal nachsehen.“

In der Kühlung stehen etwa ein Dutzend Tüten, alles sehr übersichtlich sortiert, und keine Getränkekisten.

„Volltreffer, das geht schnell“ sagt Ben. „Die meisten kenn ich schon, die sind alle nett. Einer ist dabei, auf der Zülpicher, der scheint neu zu sein. Wir können die Tüten alle auf einmal mitnehmen. Dann sind wir in ner guten Stunde durch. Und dann Feierabend.“

„Ja, aber vergiss die Hausaufgaben nicht.“

Ben stöhnt. „Alter, du bist penetrant. Du nervst. Du gehst mir auf den Sack. Ich überlege mir das noch mal, ob ich dich beschäftigen soll. Angestellte, die immer rummeckern, das macht den Unternehmer nich froh.“

Philip lacht. „Höre ich da deinen Vater?“

„Wenn er von Cousin Mehmet spricht, ja. Da werden die Haare von Papa noch grauer. Mehmet hat die Arbeit echt nicht erfunden. Aber Familie, weißt du? Schlimmer als ein Pickel am Arsch. Aber Papa sagt immer: ‚Sohn, die Familie ist wichtig’.“

Beide müssen lachen. Sie teilen sich die Tüten auf und machen sich auf den Weg. Die beiden ersten Adressen sind praktisch um die Ecke. Ben kennt die beiden älteren Damen, die bei seinem Vater schon länger bestellen. Es gibt jeweils einen Euro Trinkgeld. Ben bedankt sich dafür äußerst höflich und überschwänglich. Draußen auf der Straße sagt er: „Die beiden Omis sind echt arm, also richtig arm. Kaum Kohle, da reicht es hinten und vorn nicht. Mein Vater packt immer etwas mehr Lebensmittel in die Tüte. Er sagt dann immer ne Zeile aus dem Koran, sowas in der Art wie ‚Was immer du an Gutem tust, Gott weiß das‘. Aber wie das genau heißt, keine Ahnung, is mir eigentlich auch zu langweilig. Aber darum bedank ich mich immer artig und sag Danke für das Trinkgeld, weil, die haben echt nix und das, was die als Trinkgeld geben, das fehlt denen und tut denen weh.“

„Oh, das verstehe ich. Also eher gutes Werk als Geschäft?“

„Ich glaub schon.“

„Wie ist die nächste Adresse?“, fragt Philip.

„Der Neue auf der Liste.“ Sie traben los.

„Hänsel. Zülpicher. Da war ich noch nicht. Mal sehen. Is ja quasi um die Ecke. Hoffentlich nicht wieder fünfter Stock Altbau. Weißt du, in unserem Alter muss man schon auf die Gesundheit achten. Wie schnell kanns einen aus den Socken heben.“ Ben versucht ernst zu bleiben, prustet dann aber doch los.

„Du siehst auch schon ziemlich blass und entkräftet aus. Soll ich dir unter die Arme greifen? Nicht dass du mir hier mit deinen zwei Tüten zusammenbrichst“ frotzelt Philip. „Das wäre echt schlimm, also für die Tüten.“

„Es wird so gerade gehen. Kannst du mich was stützen?“, röchelt Ben.

Beide wanken lachend weiter. Die Adresse auf der Zülpicher Straße ist eines der älteren Gebäude. Es sieht nicht schön aus, eher zweckmäßig, und auch etwas heruntergekommen, wie alle Häuser auf der Zülpicher.

„Hey, wir sind Glückskinder! Erster Stock“, sieht Ben mit einem Blick auf die Namensschilder. Er drückte auf die Klingel und erst mal tut sich nichts.

„Voll normal – bis die auf ihren alten Knochen in die Gänge kommen und es zur Tür schaffen, das kann manchmal dauern.“

Es dauert dann tatsächlich geraume Zeit, bis der Türdrücker summt. Sie gehen in das Treppenhaus und in die erste Etage.

In der Tür steht ein alter Mann, zusammengeschrumpft und mit einer zu weiten Hose, die er über den Bauch hochgezogen hat. In seinem Gesicht unter einem kleinen Schnurrbart lächelt ein breiter Mund. Die Augen blitzen hellwach.

„Ah, Sie sind der Lieferservice von Herrn Bulut. Fein fein, das ging ja wirklich fix. Ich war mir nicht sicher, ob das alles so einfach gehen würde. Ich bin positiv überrascht.“

„Guten Tag, Herr, äh“, Ben schaut schnell noch mal auf den Zettel, „Hänsel. Ich bin Ben, und das dünne Hemd hier neben mir ist Philip, der mir heute hilft, quasimäßig mein Lehrling.“ Ben grinst.

„Dann lassen Sie mal, Herr Ben, ihren Lehrling die Taschen in die Küche bringen. Für mich ist das sicherlich zu schwer.“ Er hustet kräftig, fällt fast um und muss sich am Türrahmen festhalten.

„Ist alles in Ordnung?“, fragt Ben besorgt. Er gibt Philip die Taschen. 

„Ja, wird schon, der Husten ist wirklich lästig, aber nicht tödlich. Aber letztendlich ist ja alles tödlich.“ Er wendet sich an Philip. „Junger Mann, erste Tür rechts. Alles bitte auf den Küchentisch stellen. Und das, was verderben kann, in den Kühlschrank. DAs wäre sehr nett. Schaffen Sie das?“

„Geht klar, schaff ich“ sagt Philip, und trabt los, tiefer in die dunkle Wohnung.

„Und Sie sind der Sohn von Herr Bulut, wenn ich mich nicht irre? Ihren Vater kenne ich schon eine ganze Zeit lang. Früher war er doch Filialleiter in dem Supermarkt am Ring, oder?“

„Kann sein, ich glaub schon. Aber da war ich noch nich geboren.“

„Ja, das ist schon ne ganze Zeit lang her. Hat sich viel verändert seit damals.“

Philip kommt aus der Küche zurück. „Ich habe alles auf den Küchentisch gestellt, die Milch, Käse und den Joghurt in den Kühlschrank, ist das so ok? Brot und Äpfel stehen jetzt noch auf dem Küchentisch.“

„Ich denke ja, ich werde das nachher wegräumen. Du bist aber kein Bulut, oder?“

„Nee, ich bin ein Berger. Ben ist mein Kumpel und heute braucht er was Unterstützung. Nicht wegen der Taschen, das war easy. Schule war heute ätzend“, rutscht es Philip so heraus.

„Gymnasium? Bestimmt so ein Lehrer, der sich aufspielt und meint, er wäre was Besseres?“

„Klingt, als wüssten Sie, wer uns heute so gepestet hat“, sagt Ben.

„Nein, den Mist hab ich lange hinter mir gelassen. Schule? Da hab ich fürchterliche Erinnerungen dran. Ist aber schon ewig her. Sieht man mir doch an, oder? Die Falten hab ich alle ehrlich erworben. Mich ärgert keiner mehr, höchstens ich mich selber, aber das nennt man dann Dummheit. Aber ich weiß, wie das ist, wenn so eine Pestbeule einem das Leben schwer macht.“

„Pestbeule trifft es gut“, sagt Philip. „Darf ich mir das aufschreiben?“

„Darfst du, zur Verwendung freigegeben. Welches Fach?“

„Chemie“, sagte Ben niedergedrückt.

„Lasst euch nicht von der Schule verrückt machen. Später will keiner mehr diesen Wisch sehen. Junger Berger, richtig? Kannst du mir grad noch ein Glas Wasser holen? Der Husten is grässlich, der zehrt einen auf. Küche, du weißt schon wo“, fragt er Philip. Der nickt und saust in die Küche.

„Chemie, Schule. Nicht mehr mein Thema, keine Ahnung. Wirtschaft. Rechnen, Aktien. Da kenn ich mich aus. Und welche Klasse?“

„Zehnte.“

„Ach, dann mittlere Reife und so, oder? Prüfungen und der ganze Stress? Und dann Ferien?“

„So in etwa, ja.“

Philip taucht mit dem Glas Wasser wieder auf und reicht es Hänsel. Der trinkt einen großen Schluck.

„Danke, Junge. Ja da drück ich euch dann die Daumen, dass das alles stressfrei für euch vorbeigeht. Sind dann ja bald Sommerferien, oder? Mit den Zeiten, da war ich noch nie im Thema. Stellt man dann immer fest, wenn plötzlich die Straßen so leer sind. Dann müssen Ferien sein.“ Er lacht und muss noch mal husten.

„Ja, ein paar Wochen noch. Dann haben wir endlich mal Ruhe.“

„Gut, dass ich sowas wie Schule nicht mehr machen muss. So, ich hab euch lange genug aufgehalten. Und mir tut jetzt der Rücken weh. Macht, dass ihr fortkommt.“ Und er drückte ihnen einen Zehner in die Hand. „Hier, danke für das Glas und für das Gespräch und für den schnellen Service. Hat mich gefreut.“

„Danke, das wär aber nich nötig gewesen“, bedankt sich Ben artig. Philip macht einen Diener.

„Quatscht nicht. Macht euch nen schönen Tag. Ihr seht so aus, als könntet ihr den gebrauchen. Bis demnächst.“ Und damit scheucht er sie aus der Wohnung. Dann verschwindet er in seiner Wohnung und die Tür geht zu.

„Hier sollten wir öfter vorbeikommen, das lohnt sich“, sagt Ben. Philip nickt.

Die restlichen zwei Adressen waren jetzt langweiliger Standard. Klingel klingel, Treppe rauf, Guten Tag, Auf Wiedersehen.

Auf der Straße schaut Ben aufs Handy. „Fuffzich Minuten, das war gut. Ein schneller Job. Für jeden ein paar Euro.“

„Ich fand das ok“, sagt Philip.

„Ja, heute war entspannt. Können wir gern öfter zusammen machen. Macht mehr Spaß, als allein da rumzueiern.“

„Stümmt. Und jetzt Hausaufgaben? Du wolltest ja noch mal nachsehen, was unsere geliebte Pestbeule da ausgebrütet hatte.“

„Können wir machen. Bei dir oder mir?“, fragt Ben.

„Lass uns zu dir gehen, ist näher und es gibt vielleicht noch was zu essen.“

„Echt jetzt? Da ist auf Mama schon Verlass. Flipper, du entwickelst dich zu nem echten Vielfraß. Mama wird das gefallen. Sie wird dich lieben.“ Er grinst.

„Ich bin noch im Aufbau und wachse noch“, antwortet Philip todernst. „Wenn wir das öfter machen, sollten wir uns aber aufteilen, zumindest die kleineren Bestellungen. Das ist sonst verschwendete Zeit.“

„Gute Idee. Ich mach die leichten Tüten und du den Rest. Wenn du so futterst, brauchste auch Training.“

„Blödmann. Aber was sagt dann dein Paps dazu? Und was sagt der kranke Kollege?“

„Mehmet? Keine Ahnung. Der hat sowieso immer Ausreden und ist nich gerade zuverlässig. An einem Tag tun dem die Füße weh, am anderen hat er nen schweren Anfall von Faulfieber. Lass uns mal mit Papa quatschen. Vielleicht wär ihm das sogar Recht, wenn wir da was einsteigen. Zumindest für die Ferien. Oder fährst du weg?“

„Vermutlich nicht. Meine Eltern haben zu viel um die Ohren, das wird dieses Jahr wohl nix. Wenn ich allein was machen will, klar, aber zu dritt? Wohl kaum.“

„Dann haste ja genug Zeit für die Omis“, lacht Ben.

„Ich steh auf Omis.“ Philip lacht auch.

Sie sind wieder am Laden angekommen. Gerade ist der Laden mal leer. Sie finden Bens Vater hinter der Theke mit den Meze und dem Fleisch.

„Wie, alles schon zugestellt? Das ging aber fix. Und auch nix vertauscht?“, schaut er sie lauernd an.

„Ja, ging alles prima Herr Bulut. Nix vertauscht und alle Kunden waren sehr zufrieden“, sagt Philip.

„Papa, hat sich Mehmet gemeldet?“

„Ja, hat er. Ich sage dir, Philip, Familie, das ist das Schlimmste, was dir passieren kann. Niemals, auf keinen Fall, arbeite niemals mit der Familie. Wenn du es nicht machst, liegen dir alle in den Ohren und jammern. Oh, Bruder, hast du nicht einen kleinen Job für deinen Neffen dritten Grades, er kann nicht viel, aber Allah kerim6, er ist doch Familie. So geht das den ganzen Tag. Lässt du dich drauf ein, bist du verraten und verkauft.“ Er stöhnt theatralisch.

„Und was ist mit Mama?“ fragt Ben hinterhältig. „Die ist auch Familie.“

„Autsch, erwischt. Ok, die Familie geht vor. Immer. Die Familie hält immer zusammen. Wir helfen uns. Immer. Aber es gibt Grenzen. Und Mehmet, das ist so eine Grenze. Hätte ich mehr Haare, ich würde sie mir jetzt büschelweise ausreißen. Der hat etwas an sich, dass mich zum Mörder werden lassen könnte.“

„Was ist denn jetzt schon wieder mit Onkel Mehmet?“ fragt Ben. „Welche Ausrede hat er denn diesmal?“

„Der musste dringend nach Hause in die Türkei. Rief mich eben vom Flughafen an und sagte, dass es etwas dauern könnte, bis er wieder hier in Köln ist. Nix von wegen kranker Mutter und Arzt. Wenn der was erzählt, da kannst du drauf wetten, ist es gelogen. Aber du weißt ja, Familie.“ Er seufzt. „Mehmet meint, er müsse etwas klären und sich um jemanden kümmern. Allah weiß, was der wieder angestellt hat. Ich will es auch gar nicht wissen. Von mir aus kann der auch verschwinden. Möge Allah uns helfen.“

„Kannst du das nicht auch meinem Chemielehrer wünschen?“

„Nein. Vorgestern hatte Mehmet schon angekündigt, dass er kürzer treten will, weil ihn alles so anstrengt und die ganze Lauferei. Er fühlt sich nicht mehr so kräftig. Herr im Himmel, der ist keine dreißig. Der ist so faul, den müssen sie wahrscheinlich zu Hause auch noch bis zur Couch tragen.“ Herr Bulut seufzt schwer. „Ich weiß gerade nicht, ob ich lachen oder weinen soll.

---ENDE DER LESEPROBE---