Hinter der Maske - Michael Harscheidt - E-Book

Hinter der Maske E-Book

Michael Harscheidt

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  • Herausgeber: Verlag Kern
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2018
Beschreibung

Aus dem renommierten Völkerkunde-Museum hoch oben auf dem Heiligen Berg in Wuppertal wird eine uralte Geister-Maske asiatischer Herkunft entwendet. Bald darauf geschehen unheimliche Dinge im Tal, so dass ein beherztes Team dem Geheimnis hinter der roten Maske auf die Spur zu kommen versucht. Als das Gerangel zwischen widerspenstigen Sekten, exaltierten Wissenschaftlern und konkurrierenden Geheimdiensten bedrohlich wird, fassen Reporter Fabian Jaspers und Asta-Referentin Nadine Nehle einen wagemutigen Plan …

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Seitenzahl: 122

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Bibliografische Informationen der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte Dateien sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Impressum:

© Verlag Kern GmbH, Ilmenau

© Inhaltliche Rechte beim Autor

1. Auflage, Juni 2018

Autor: Dr. Michael Harscheidt

Zeichnungen: Vyvyan Harscheidt, GSH, nach Vorbildern aus verschiedenen Völkerkunde-Museen

Titel: Barong-Maske aus Indonesien. Wiederverwendung mit freundlicher Genehmigung der Oriental-Galerie, Essen

Layout/Satz: Brigitte Winkler, www.winkler-layout.de

Lektorat: Dorothea von der Höh, www.lektorat-vonderhoeh.de

Sprache: deutsch

ISBN: 978-3-95716-264-9

ISBN E-Book: 978-3-95716-282-3

www.verlag-kern.de

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Nachdruck, Übersetzung, Entnahme von Abbildungen, Wiedergabe auf fotomechanischem oder ähnlichem Wege, Speicherung in DV-Systemen oder auf elektronischen Datenträgern sowie die Bereitstellung der Inhalte im Internet oder anderen Kommunikationsträgern ist ohne vorherige schriftliche Genehmigung des Verlags auch bei nur auszugsweiser Verwendung strafbar.

Michael Harscheidt

Hinter der Maske

Der Mystik-Krimi aus dem Bergischen

Alte Weisheit

„Die Masken sind Lebewesen wie wir,

und wie wir leiden, lachen, weinen

und tanzen auch sie.

Aber es sind keine menschlichen Wesen,

sondern Geister.

Sie kommen aus einer anderen Welt …

Noch heute beschützt uns unsere Maske.

Schau dir all diese Kinder an!“1

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Im Banne der Dämonen

Präsident mit Pinocchionase

Teamwork – die Jagd beginnt

7:0 für den WSV

Kernschmelze am Barmer Rathaus

Der Pilger vom Engelnberg

Eine unanständige Offerte

Der MAD wird zappelig

Besuch vom Heidegger-Institut

Neue Spuren vom Täter

Zeitenkollaps am Rathausturm

Stippvisite zum Urknall

Bernsteinzimmer unter Wuppertal

Am Heiligen Berg in der Cloud

Beichte an der Nordbahntrasse

„Aktion Rotkäppchen“ läuft an

Offenbarungen am Elisenturm

Kapitel 1

Im Banne der Dämonen

Unheimlich war das schon: Flüsternde Menschen hier und fremdartige Masken dort überall in den Vitrinen …

Und dann – Punkt 16.00 Uhr – begann auch schon die Eröffnung der neuen Ausstellung auf dem Heiligen Berg2. Aus der Gruppe der Anwesenden erhob sich eine sonore Männerstimme:

„Hantu baik, Ayo!3 – Mit diesen Worten schützten sich einst die Bewohner von Borneo und Sumatra vor unliebsamen Dämonen, und dazu dienten zauberstarke Masken, die heute überall hier auf Sie schauen!“

Ein freundlicher Herr im hellen Anzug, eigentlich zu hell für die noch kühlen Tage im Februar, stand mitten unter uns Besuchern und setzte seine Begrüßung fort:

„Sehr geehrte Gäste, im Namen der Museumsleitung heiße ich Sie herzlich willkommen zu einem gemeinsamen Rundgang hier im geschichtsträchtigen Museum auf dem Heiligen Berg! Ebenso herzlich begrüße ich Herrn Fabian Jaspers von der hiesigen Presse.“

Professor Zimberli, Gastdozent für das Thema „Mensch–Maske–Mythos“, tupfte sich mit einem großen Taschentuch lästige Schweißperlen von der Stirn. Inmitten der Gäste wirkte er warmherzig und war sichtlich erfreut, dass trotz des bevorstehenden Wochenendes freitags so viele Besucher den Weg in die neue Ausstellung gefunden hatten.

Auch einige Studierende, vermutlich Erstsemestrige, waren erschienen, obwohl die hiesige Hochschule noch in den Semesterferien schlummerte.

Rasch machte ich mir ein paar Notizen, denn mein Bericht sollte schon am nächsten Morgen im Lokalteil der Westdeutschen Zeitung WZ erscheinen.

Erneut ergriff der Professor das Wort:

„Verehrte Anwesende, dieses um 1830 gegründete Museum enthält Exponate, die damals von den Missionaren aus Asien und Afrika mitgebracht wurden, um die fremden Kulturen hier sorgfältig zu studieren.“

Wieder betupfte er mit dem Taschentuch seine Stirn und fuhr fort:

„Zuallererst möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf diesen kleinen Knaben lenken: Hier erleben wir die tiefe Bedeutung des Ahnenkults!“

Er zeigte auf eine etwa einen Meter große Holzfigur, die in einer Vitrine stand und einen Arm zum Himmel erhoben hatte.

Den Umstehenden war ihre Ratlosigkeit anzusehen, deshalb fuhr der Professor rasch fort:

„Diese Geschichte ist wirklich rührend: Sie erzählt von kinderlosen Verstorbenen, die ohne trauernde Nachkommen nicht in die Ahnenwelt aufsteigen durften. Deshalb organisierte die einstige Dorfgemeinschaft mit dieser künstlichen Figur eine Trauerzeremonie.“

„Wo machte man denn so was?“, wollte entsetzt eine ältere Dame wissen.

„Das stammt aus den tropischen Regenwäldern von Sumatra. Das können Sie aber auch den Beschriftungen bei den jeweiligen Exponaten entnehmen.“

„Warum ist denn bei dieser Puppe das Haupt oben offen?“, fragte zögernd ein Student, „der Kopf ist ja ganz hohl!“

„Puppe? Keine Spielpuppe, junger Freund, das ist für die damaligen Menschen ein sehr ernst zu nehmender Ersatzsohn gewesen, wenn die Menschen kinderlos verstarben! Und nun zu Ihrer Frage: Die Dorfbewohner legten zu Beginn der Zeremonie in den Hohlraum des Kopfes einen feuchten Schwamm, sodass aus den Augenhöhlen dieser kleinen Figur wirkliche Tränen fließen konnten. Auf diese Weise wurden die unsichtbaren Ahnen Zeugen einer vermeintlichen Trauerzeremonie, die somit den bereits verstorbenen Eltern posthum den Weg zu den Urahnen im Jenseits ebnen konnte.“

Man war beeindruckt. Die Besucher wanderten nun durch die einzelnen Abteilungen, studierten die Aufschriften an den Vitrinen und erhielten sachkundige Erläuterungen von dem Professor.

Merkwürdig! Längst hatte mich ein fremdartiges Gefühl beschlichen, sodass ich mich vorsichtig umblickte: Schweigsam sahen mich die exotischen Masken an, mal aus bräunlich-gelblichem Holz, mal mit roten Wangen und stechendem Blick, dazwischen behaarte Modelle mit vergilbten Ohren. Welches Leid hatten sie in alten Zeiten erfahren? Und überhaupt – hätte man sie aus ihrer ureigenen Welt entführen dürfen?

Und? … Und? … Und jetzt spürte ich es ganz deutlich: Ich stand hier im magischen Bann von zauberstarken Masken, die – leidvoll ihrer angestammten Heimat beraubt – selbst zu Dämonen geworden waren und vielleicht schweigend auf Erlösung warteten …

Einige Gäste zückten ihre Minikamera, doch der Professor sprang dazwischen und untersagte den Gebrauch von Blitzlicht:

„Bitte nicht blitzen! Im Fotoblitz werden Energien frei, die das Potenzial der alten Objekte aktivieren könnten!“

„Wieso das denn?“, entrüsteten sich betagte Gäste, einige schüttelten den Kopf, andere lächelten ungläubig. Gewiss wollten manche gern eine Erinnerung mitnehmen.

Doch offensichtlich wusste der Professor genau, wovon er sprach:

„Die meisten Masken hier dienten ihren Trägern einst für eine erfolgreiche Kriegsführung – das wollen wir heute nicht mehr. Oder sie halfen den Stammeshäuptlingen bei ihrer Jagd – aber auch diese Jagden sind nun vorbei. Oder sie fungierten als Regenmacher – das aber können wir jetzt am Wochenende schon gar nicht gebrauchen!“

Er lächelte, und die Umstehenden begannen erleichtert zu lachen. Ja, witzig war er auch, dieser mit einem Schweißtüchlein hantierende Professor Zimberli.

„Was heißt bitte Topeng dawi Gunung?“, wollten zwei Studentinnen wissen und wischten mit ihrem Ärmel über das Glas einer Vitrine.

„‚Gunung‘ heißt ‚Berg‘“, sinnierte Zimberli, dann blätterte er beflissen in einem ziemlich abgegriffenen Katalog, und bald hatte er eine Antwort gefunden, die er langsam vorlas:

„Topeng dawi Gunung – Maske vom Berg, Fundort am Kinabalu, dem höchsten Berg von Malaysia auf Borneo.“

Beeindruckt blickte auch er auf die rote Maske mit ihren gelben Zähnen und übergroßen Segelohren und fügte beschwichtigend hinzu:

„Vermutlich eine Imitation. Originale wurden öfters kopiert.“

Kinabalu? Hatte ich noch nie gehört. Ich gab das Wort in mein Handy ein und wurde überrascht von der prompten Meldung: Kinabalu • Friday • Sunny & Clear • 3 °C • 81 % . Das letzte Zeichen stand wohl für Luftfeuchtigkeit.

Der Professor gab indessen weitere Erklärungen ab und ging dann wieder auf die Unart der Nachahmungen ein: „Gelegentlich werden auch heute Masken oder Devotionalien nachgebaut. Besonders in Malaysia gibt es einen großen Markt dafür: viel Plastik für gute Dollars, aber ohne Geist, ohne die alte religiöse Kultur.“

„Was heißt schon ‚ohne Geist‘!“, erregte sich lautstark ein älterer Herr, „ob mit oder ohne Geist – solche Masken lenken uns vom wahren Glauben ab! Als Hirte erlebe ich das jeden Tag!“

„Hirte?“, warf ich fragend ein, „was bedeutet das?“ Dankbar sah er mich an und erwiderte erregt:

„Hirte und Diakon der Wahren Pilger vom Tal. Wir entsagen allen Versuchungen dieser irdischen Welt. Und solche Masken hier und dort und da – alles Fratzen des Falschen Messias. Sagte schon der Evangelist Matthäus in Kapitel 24!“

Während der Professor noch nach Worten suchte, hatte sich der Diakon unwirsch abgewandt. Gerne hätte ich ein paar Worte mit ihm gewechselt, doch er machte eine wegwerfende Handbewegung, warf auch mir einen verächtlichen Blick zu und war mir dann im Gedränge der Besucher aus den Augen gekommen.

Irgendwie tat mir der Professor leid. Natürlich konnte er nicht allen Gästen gerecht werden. Und wer rechnet schon mit engagierten Vertretern aus der bunten Welt der örtlichen Sekten?

Da sich die einzelnen Grüppchen im Saal verliefen, trat ein Herr mittleren Alters auf ihn zu und stellte sich ganz artig vor:

„Entschuldigung, ich bin vom Bergischen Geschichtsverein, darf ich Ihnen mal eine diskrete Frage stellen?“ Diskret? Da spitzte ich doch gleich die Ohren und näherte mich erwartungsvoll den beiden Herren.

„Dürfte ich Ihre Rote Maske einmal ausleihen? Für einige Tage? Zum Zweck der wissenschaftlichen Forschung!?“

Der Professor suchte sichtlich nach Worten und hob erstaunt seine Augenbrauen:

„Das ist nicht meine Maske! Und das sind auch keine Leihgaben, sondern Exponate im Eigentum des Museums. Wozu denn Ihre Anfrage?!“

„Wie gesagt – ich arbeite wissenschaftlich auf dem Gebiet der Bergischen Geschichte … genauer gesagt auf dem Feld der Märchenforschung … zurzeit sitze ich an der Frage, ob die 1844 zum Bau der Eisenbahn am Wupperufer bei der Kluse verschwundenen Zwerge vielleicht in den Höhlen der Hardt Unterschlupf gefunden haben … das alles liegt ja eng beieinander.“

Aber hallo, das war ein verteufelt langer Satz! Deshalb konnte ich mir ein Grinsen nicht verkneifen und versuchte, ins Gespräch zu kommen:

„Pardon, dass ich mich da einschalte, aber Zwerge hier im Tal? … Das interessiert mich … und unsere Leser natürlich auch!“

„Stopp, meine Herren!“, protestierte der Professor, „was hat das mit unserem Museum zu tun?“ Während er wieder mit seinem Taschentuch die Stirn betupfte, holte der Herr vom Geschichtsverein weiter aus:

„Mit der verborgenen Magie der Maske kann man vielleicht die magisch begabten Zwerge wiederfinden, zumal man jetzt … also beim Umbau der B7 … und zwar nahe der Kluse … zwei ältere Höhlen wiederentdeckt hat.“4

Der Professor hatte seine Fassung wiedergewonnen und erklärte sehr betont:

„Also, um das Ganze abzukürzen: Die Rote Maske ist meiner Kenntnis nach vermutlich eine Imitation und hätte dann keine magische Kraft. Und außerdem dient dieses Museum der Dokumentation der Arbeit einstiger Missionare in Fernost. Das hat hier mit der Bergischen Geschichte nichts zu tun. Das ist eine ganz andere Schublade – wenn ich mal so sagen darf!“

Höflich lächelnd wandte sich der Professor ab. Betretenes Schweigen.

Wortlos nickte ich dem Herrn zu, suchte aber dann doch das Gespräch:

„Ich kenne die Enge des Tals an der Kluse, aber dass dort mal Zwerge waren, ist mir nicht geläufig.“

„Ja … doch, die alten Märchen rücken zwar immer mehr aus unserem Bewusstsein, aber sie enthalten tiefe Wahrheiten, die uns nützen könnten.“

Er zögerte etwas, vielleicht wollte er meine Loyalität überprüfen, doch dann fügte er mutig hinzu:

„Denken Sie an die Kluterthöhle nebenan im Ennepetal: Damals waren uns da die Zwerge hilfreiche Wegweiser, heute ist die Höhle eine nützliche Stätte für Asthmakranke!“

Ich suchte nach Worten, fand aber so schnell keine Antwort. Ein Moment der Sprachlosigkeit hatte sich unserer bemächtigt. Hilflos hob er seine Hände, dann verlor ich auch ihn aus meinen Augen.

Draußen war es dunkel geworden. In den Scheiben spiegelten sich jetzt schemenhaft die Besucher des Abends wider.

Nach und nach schlenderten die einzelnen Gruppen dem Ausgang zu. Nichts Aufregendes war bislang passiert: Die Masken verharrten geheimnisvoll in dem Gefängnis der Vitrinen, ihre starren Blicke hatten sich wehleidig verirrt in der irdischen Leere des Raums. Irgendwann würde jemand das Licht ausknipsen, und dann würden auch sie von der Ruhe der Nacht umarmt werden.

Inzwischen war es 18.00 Uhr geworden. Von draußen lockten die noch verborgenen Annehmlichkeiten eines bevorstehenden Wochenendes.

Noch benommen von den Ereignissen in der Museumshalle, machte ich mich vorsichtig auf den Weg zu meinem Wagen: In der Lokalredaktion wartete man bestimmt schon auf meinen Bericht.

Am nächsten Morgen brauchte ich nicht lange in der Zeitung zu blättern. Im bunten Lokalteil fand ich meinen Report wieder:

Im Angesicht von Dämonen

Unter der fachkundigen Betreuung von Professor Felix Zimberli (Wien), Gastdozent für das Thema „Mensch–Maske–Mythos“, fand gestern Abend eine Führung durch die ethnografische Ausstellung des Museums auf der Hardt statt, an der rund dreißig Personen teilgenommen haben. Der Referent gab eine anschauliche Einführung in das kulturelle Brauchtum alter Völker, die mit Masken und Zeremonien den Zauber von Dämonen und Geistern kontrollierten, um damit ihren Alltag zu meistern. Die Ausstellung ist noch bis zum 4. April geöffnet. (F.J.)

Kapitel 2

Präsident mit Pinocchionase

Es war Ende Februar und die tollen Tage des Karnevals kündigten sich an. Alle Jahre gab es im Tal einen Rosensonntagszug und über den Link „Rathaus Online“ konnte man den Verlauf des bevorstehenden Umzugs schon Tage vorher in Erfahrung bringen:

Der diesjährige Rosensonntagszug wird um 13h30 beginnen und verläuft gemäß folgender Zugstrecke: Kreisel Neuenteich 13h30, Hofkamp 13h45, Haspeler Brücke 14h10, Friedrich-Engels-Allee 14h30, Alter Markt 15h50, Brandströmstr. 16h30. Drei Trommlergruppen und ein Musikzug aus der Grafenstadt Hoya sorgen für die musikalische Verstärkung des Zuges aus 24 Gruppen und Mottowagen. Wetter: Einige Regentropfen und gelegentliche Windböen sind zu erwarten. Mit bis zu 100.000 Jecken an der Zugstrecke wird gerechnet.

Journalistisch betrachtet, war ich da nicht zuständig: Volksfeste, Trödelmärkte, Karnevalsumzüge – das alles lag bei uns im Pressehaus in den bewährten Händen anderer Mitarbeiter/-innen. Aber jeder wusste: Statt „Helau“ oder „Kölle Alaaf“ pflegte man hier den Dreisilber „Wuppdika“, der für ortsansässige Jecken ein Stück lokaler Selbstbestätigung war. Am folgenden Montag – im Rheinland feierte man gerade den Rosenmontag – wollte ich mir unsere Berichte zum närrischen Treiben vom Tag zuvor zu Gemüte führen, als ich eine merkwürdige Notiz im Lokalteil unserer Zeitung entdeckte:

Karnevalspräsident mit Pinocchionase?

Unter den Karnevalsjecken gab es gestern erhebliche Unruhe, als der Zug an der Haspeler Brücke ins Stocken geriet: Eine Gruppe maskierter Jugendlicher behinderte den Präsidentenwagen der „Dönberger Funken“ und neckte die Insassen so sehr, dass dem wütenden Präsidenten eine dreimal längere Nase wuchs – eine „Pinocchionase“, wie Zeugen behaupten. Erst nach fünf Minuten soll jemand hinter einer auffällig roten Maske mit einem Wink die Nase wieder auf ihr natürliches Maß zurückgeführt haben. Anschließend sei die Gruppe über den Hardtweg aufwärts hinter den Bäumen verschwunden. (Red)

Toll, dachte ich, geschehen doch noch Wunder? In den Redaktionsräumen fand ich eine ausgelassene Stimmung vor, aus den Monitoren quollen die beschwingten Rhythmen von den närrischen Hochburgen des rheinischen Karnevals, und mit besonderem Interesse erwartete man die Motivwagen mit ihren politischen Anzüglichkeiten. Doch dann erblickte ich auf meinem Arbeitstisch eine handgeschriebene Telefonnotiz von der Zentrale:

„Dringend. Es hat einen Vorfall gegeben. Herr Fabian Jaspers möge sich um 11.00 Uhr im Museum auf der Hardt einfinden. Auch das Polizeipräsidium wurde informiert. Strikte Vertraulichkeit ist geboten.“

Jetzt war es 10.20 Uhr, und sofort überlegte ich besorgt, was an meinem Zeitungsbericht vom Samstag denn falsch gewesen sein könnte. Und wieso Polizeipräsidium? Mit einem neuen Schreibblock bewaffnet, machte ich mich auf den Weg zum Heiligen Berg und fuhr pünktlich beim Hauptgebäude vor.