Historical Lords & Ladies Band 55 - Anne Ashley - E-Book
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Historical Lords & Ladies Band 55 E-Book

Anne Ashley

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Beschreibung

PIKANTES WIEDERSEHEN von ASHLEY, ANNE
Die wagemutige Katherine lässt sich auf ein riskantes Abenteuer ein: Sie soll geheime Dokumente von Paris nach England schmuggeln. Als wäre das nicht schon brenzlig genug, soll ausgerechnet Major Daniel Ross sie begleiten und zur Tarnung ihren Ehemann spielen! Der Mann, der einst ihr Herz im Sturm eroberte und den sie nach einem Zerwürfnis für immer aus ihrem Leben verbannt hat. Der Mann, den sie nie vergessen konnte …

EIN GENTLEMAN WAGT UND GEWINNT von ASHLEY, ANNE
Dieser Schuft! Abbie ist empört: Ausgerechnet Barton Cavanaugh macht ihr im mondänen Kurort Bath, Treffpunkt der feinen englischen Gesellschaft, den Hof. Und das, obwohl er sie einst schändlich betrogen hat! Sie war ihm versprochen - bis er in einer kompromittierenden Situation erwischt wurde. Doch plötzlich setzt Barton sein Leben für sie aufs Spiel, und Abbie beginnt zu zweifeln: Hat sie ihm damals Unrecht getan?

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Seitenzahl: 528

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Anne Ashley

HISTORICAL LORDS & LADIES BAND 55

IMPRESSUM

HISTORICAL LORDS & LADIES erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Thomas BeckmannRedaktionsleitung:Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

Neuauflage by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg, in der Reihe: HISTORICAL LORDS & LADIES, Band 55 – 2016

© 2003 by Anne Ashley Originaltitel: „Beloved Virago“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Übersetzung: Roy Gottwald Deutsche Erstausgabe 2004 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe HISTORICAL MYLADY, Band 419

© 2005 by Anne Ashley Originaltitel: „Betrayed And Betrothed“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Übersetzung: Vera Möbius Deutsche Erstausgabe 2007 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe HISTORICAL MYLADY, Band 488

Abbildungen: Harlequin Books S.A., AndyRoland, Ian Dyball, Gregor Buir / Thinkstock, alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 04/2016 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733765538

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, MYSTERY, TIFFANY

Pikanntes Wiedersehen

1. KAPITEL

Januar 1815

Ungeachtet verbesserter Straßenverhältnisse zogen selbst es Leute, die sich das Reisen leisten konnten, im Winter vor, daheimzubleiben, vorausgesetzt, sie waren nicht gezwungen, das Haus für längere Zeit zu verlassen. Aufgrund des beißend kalten Windes und des verhangenen, Schnee ankündigenden Himmels war es Katherine O’Malley geraten erschienen, Zuflucht in einem akzeptablen Gasthaus zu suchen. So hatte sie die Nacht in einer Herberge verbracht und stellte morgens zufrieden fest, dass der Wind die Richtung gewechselt und stark nachgelassen hatte, die Sonne schien und die Landschaft nur mit einer dünnen Schneedecke überzogen war.

Am Frühstückstisch in dem abseits der Schankstube gelegenen Privatsalon sitzend, schaute sie ihre Zofe an und sagte lächelnd: „Wenn ich Ihre mürrische Miene sehe, Miss Harlow, frage ich mich, ob ich nicht doch die Hoffnung aufgeben muss, dass Sie irgendwann ein umgänglicheres Naturell haben werden.“

„Und ich bezweifle, Madam, dass ich den Tag erleben werde, an dem Sie aufhören, stichelnde Bemerkungen zu machen“, erwiderte Bridget ungerührt.

Katherine fühlte sich nicht grundlos zurechtgewiesen. Sie wusste sehr genau, dass ihre Freimütigkeit ein unschöner Zug an ihr war, und bedauerte gelegentlich ihre Unbedachtheit. Immer wieder hatte sie versucht, ihre spitze Zunge im Zaum zu halten, war sich jedoch gewahr, dass ihr Temperament oft mit ihr durchging und sie dann Dinge äußerte, die sie anschließend bereute. Sie tröstete sich mit dem Gedanken, dass eine ihrer Tugenden die Bereitschaft war, andere Menschen zu respektieren, und sie nie die Absicht hatte, sie gezielt zu verletzen. Sie hielt sich keineswegs für anmaßend, sondern bemühte sich, auf Gefühle Rücksicht zu nehmen, insbesondere auf die ihres früheren Kindermädchens.

„Ich nehme an“, fuhr Bridget fort, „dass wir am frühen Nachmittag bei Ihrem Onkel und Ihrer Tante eintreffen werden, vorausgesetzt, wir kommen gut durch. Allerdings ist eine Reise zu dieser Jahreszeit mit ziemlichen Risiken verbunden.“

„Es gibt einen guten Grund dafür, dass ich sie unternehme“, erwiderte Katherine freundlich. „Ich hatte wirklich nicht vor, auf das Vergnügen zu verzichten, bei der Verlobung meiner Cousine dabei zu sein und für eine Weile die Gesellschaft meiner einzigen Verwandten zu genießen. Folglich war ich mir im Klaren, dass ich Unbequemlichkeiten ertragen muss.“

„Ich kenne Sie gut genug, Miss Katherine, um zu wissen, dass Sie sich durch nichts von einem Entschluss abbringen lassen“, sagte Bridget ernst. „Sie werden mir verzeihen, wenn ich den Kopf darüber schüttele, dass Miss Wently sich ausgerechnet jetzt und nicht im Frühling verloben will, wenn das Wetter so viel besser ist. Zumindest läuft man nicht Gefahr, dass die Kutsche auf glattem Untergrund den Halt verliert und im Straßengraben landet.“

„Ich habe keinen Einfluss auf Carolines Entscheidung gehabt, wie Sie sich sehr wohl denken können“, äußerte Katherine trocken. „Captain Charlesworth, ihr Zukünftiger, ist beim Militär und bekommt daher natürlich nicht von einem Tag auf den anderen Urlaub, selbst wenn der Krieg mit Frankreich sich nunmehr dem Ende entgegenneigt.“

„Hoffentlich!“, seufzte Bridget und warf einen Blick auf die Standuhr. „Wir sollten aufbrechen, Miss Katherine, wenn wir noch so rechtzeitig bei Ihren Angehörigen eintreffen wollen, dass Ihnen vor dem Ball etwas Zeit zum Ausruhen bleibt“, legte sie ihr dann nahe. „Wer weiß, wie lange das schöne Wetter anhält! Ich werde dem Kutscher sagen, er solle die Chaise vorfahren, und mich vergewissern, dass unser Gepäck wieder gut verstaut ist.“

„Ja, bitte“, stimmte Katherine zu, stand auf und nahm die Handschuhe an sich.

Auch Bridget erhob sich, ließ ihr beim Verlassen des Extrazimmers den Vortritt und begab sich zum Sattelplatz.

Katherine suchte das Entrée auf, läutete dem Wirt und beglich die Rechnung. Sorgsam verstaute sie den Geldbeutel in der Balantine, zog die Handschuhe an und wünschte dem Krüger ein gutes Geschäft. Rasch strebte sie zur Haustür, die unvermittelt geöffnet wurde, und da sie nicht mehr rechtzeitig ausweichen konnte, stieß sie mit dem eintretenden Herrn zusammen.

Hastig hielt er sie an den Oberarmen fest und äußerte entschuldigend: „Verzeihen Sie, Madam. Ich hoffe, ich habe Sie nicht zu sehr erschreckt.“

„Nein“, antwortete sie höflich. „Ich hätte besser achtgeben müssen.“ Die Art, wie der Mann sie berührte, war eigenartig beruhigend und erinnerte sie an den Vater. Es irritierte sie ein wenig, schmeichelte ihr jedoch zugleich, dass der gut aussehende Fremde sie einen Moment lang bewundernd betrachtete, ehe er sie losließ und zur Seite trat.

„Sie sind ganz blass geworden, Madam“, bemerkte er. „Sind Sie sicher, dass mit Ihnen alles in Ordnung ist? Sollte ich nicht besser die Wirtin herholen?“

„Nein, das ist nicht nötig“, antwortete Katherine. „Ich weiß Ihre Besorgnis jedoch zu schätzen, Sir.“ Verwirrt durch die Gefühle, die er in ihr geweckt hatte, nickte sie ihm kurz zu und strebte an ihm vorbei ins Freie. Zum Glück folgte er ihr nicht, doch sie bildete sich ein, er schaue hinter ihr her, während sie zur Droschke ging.

„Nanu, Sie sehen aus, als sei Ihnen ein Gespenst über den Weg gelaufen!“, äußerte Bridget verdutzt, als ihre Herrin in die Berline stieg.

Derweil der Kutscher den Wagenschlag zumachte, ließ Katherine sich auf der anderen Sitzbank nieder und erwiderte offenherzig: „Genau so komme ich mir im Moment vor! Haben Sie den Herrn gesehen, der vor einigen Augenblicken das Gasthaus betrat?“

„Nein“, antwortete Bridget verwundert. „War es jemand, den Sie kennen?“

„Nicht dass ich wüsste“, sagte Katherine und schüttelte den Kopf. „Aber irgendwie hatte ich das Gefühl, ihm schon einmal begegnet zu sein. Ich kann mich indes beim besten Willen nicht erinnern, wo das gewesen sein sollte. In Bath bestimmt nicht.“

„Vermutlich sah er gut aus, nicht wahr?“, äußerte Bridget schmunzelnd und setzte sich in der anfahrenden Kutsche bequemer hin.

„Wie man es nimmt“, erwiderte Katherine ausweichend. „Ja, in gewisser Weise ist er attraktiv, aber ich würde ihn nicht gerade als Bild von einem Mann bezeichnen. Wie dem auch sei, mir ist es vollkommen gleich, wie er aussieht.“

„Natürlich!“, erwiderte Bridget ironisch. „Und der Grund ist uns beiden geläufig, nicht wahr?“

Befremdet schaute Katherine ihre Zofe an, wandte dann verstimmt das Gesicht ab und blickte aus dem Fenster, um ihr zu verstehen zu geben, dass sie das Gespräch für beendet erachtete. Ihr war klar, dass ihre Bedienstete sie nicht absichtlich hatte verletzen wollen, denn das entsprach nicht ihrem Wesen. Im Gegenteil, Miss Harlow war von Natur aus zuvorkommend, gefällig und rücksichtsvoll, und außerdem sehr anhänglich. Ohne diese manchmal etwas lästige und allzu beschützerhafte Einstellung hätte Katherine jedoch, wie sie sehr wohl wusste, die zahlreichen Krisen in den letzten Jahren nicht so gut gemeistert. Von ihr hatte sie erfahren, dass sie während des schlimmsten Unwetters, das seit Menschengedenken über Irland hinweggefegt war, das Licht der Welt erblickt hatte. Es war eine sehr schwere Geburt gewesen, die die Mutter beinahe das Leben gekostet hatte und dazu führte, dass sie keine weiteren Kinder bekommen konnte. Das war der erste Schicksalsschlag gewesen, von dem Katherine mittlerweile glaubte, er stehe in einem unheimlichen Zusammenhang mit ihr.

In der Kindheit war sie sich nicht bewusst gewesen, dass sie den ihr nahe stehenden Menschen Unglück brachte, inzwischen jedoch war sie fest davon überzeugt, da es, seit sie lebte, in ihrem Umfeld zu viele tragische Ereignisse und unerklärliche Todesfälle gegeben hatte.

Nur ein Mensch schien nicht unter dem Bann des auf ihr lastenden Fluchs zu stehen, und das war Miss Harlow. Unwillkürlich schaute Katherine zu ihrer fülligen Zofe hinüber, die sich in den Winkel der Sitzbank gelehnt hatte und zu dösen schien.

Katherine grübelte darüber nach, wie ihre Zukunft sich gestalten mochte, und hielt sich erneut vor, es sei unsinnig zu hoffen, der Mann, den sie heiratete, würde nicht von diesem vermeintlichen Fluch betroffen sein. Daher gelangte sie ein weiteres Mal zu der Erkenntnis, dass es gewissenlos von ihr wäre, einen ahnungslosen Verehrer ins Unglück zu stürzen, indem sie sich mit ihm vermählte.

Im Verlauf ihres sechsjährigen Aufenthaltes in Bath hatte sie zwar eine Reihe von interessanten Gentlemen kennengelernt, für keinen jedoch eine Schwäche gehabt. Erst der Fremde hatte überraschenderweise Gefühle in ihr geweckt, die mehr zu sein schienen als bloße Sympathie. Sie gestand sich ein, dass sie sich zu ihm hingezogen fühlte, weil er sie an den Vater und dessen warmherzige Fürsorglichkeit erinnerte.

Verhalten seufzend sagte sie sich, es sei gut, dass sie dem Unbekannten nicht mehr begegnen werde, da er genau der Typ Mann war, der ihr gefährlich werden und ihren Beschluss, nicht zu heiraten, ins Wanken bringen konnte.

Sie bemühte sich, nicht mehr an ihn zu denken, schloss die Augen und schreckte irgendwann auf, als die Droschke ruckend zum Halten kam. Die Berline stand vor dem Haupteingang des hübschen Hauses, in dem der Onkel und die Tante wohnten, und sie sah erleichtert, dass Meldrew bereits die Tür öffnete. Einen Moment später wurde der Wagenschlag aufgemacht, und der Kutscher half ihr beim Aussteigen. Sie wartete, bis Miss Harlow sich zu ihr gesellt hatte, und wies sie an, sich um das Gepäck zu kümmern. Dann stieg sie die kurze Freitreppe hinauf und begrüßte den sich höflich verbeugenden Butler. Er geleitete sie ins Entrée, nahm ihr Mantel und Handschuhe ab und führte sie zum Salle de séjour. Nachdem er sie angekündigt hatte und zur Seite gegangen war, betrat sie den Salon und sah Tante und Cousine ihr strahlend entgegenlächeln.

Lavinia legte sofort den Stickrahmen auf die Tricoteuse, stand auf und ging mit ausgestreckten Armen auf die Nichte zu, die ihrer verstorbenen Schwester so ähnlich sah. „Wie reizend, dich wiederzusehen, Katherine!“, sagte sie herzlich, umarmte die junge Frau und drückte ihr einen Kuss auf die Wange.

„Ich freue mich sehr, bei euch zu sein“, erwiderte Katherine bewegt, löste sich von der Tante und schaute die Cousine an, die sich ebenfalls erhoben hatte. „Du siehst entzückend aus, meine liebe Caroline“, fuhr sie fort. „Lord Charlesworth kann sich glücklich schätzen. Ich nehme an, es wird ein großes Verlobungsfest, nicht wahr?“

„Ja“, bestätigte Caroline lächelnd. „Mama und ich waren eine Woche lang mit den Vorbereitungen beschäftigt. Wir erwarten ungefähr einhundert Gäste, und ich freue mich ganz besonders, dass du gekommen bist. An sich hatten wir dich schon gestern erwartet, und da du nicht eingetroffen bist, befürchteten wir, du hättest dich aufgrund der winterlichen Wetterverhältnisse anders entschieden.“

„Bitte, nimm Platz“, forderte Lavinia die Nichte auf und setzte sich wieder.

Katherine ließ sich neben Caroline auf der Veilleuse nieder und erwiderte belustigt: „Nein, so wankelmütig bin ich nicht, meine Liebe. Ich bin zwar fast drei Jahre älter als du, aber noch kein ängstliches spätes Mädchen! Aber es hat sehr danach ausgesehen, als würde es schneien, und deshalb habe ich es vorgezogen, die Nacht in einem Gasthof zu verbringen.“

Zärtlich betrachtete Lavinia die hübsche Nichte. Zwar hatte Katherine die blaugrünen Augen ihres irischen Vaters geerbt, aber auch das wundervoll glänzende rotbraune Haar der Mutter. Im Wesen entsprach sie eher Liam als Charlotte, da sie ebenso freimütig war wie er und manchmal sogar genauso, wie er aufbrausend sein konnte.

„Außerdem wollte ich mich etwas von den spitzen Bemerkungen des Drachen erholen“, fügte Katherine schmunzelnd an.

Lavinia wusste, wer damit gemeint war, und sagte trocken: „Miss Harlow hat doch nur dein Bestes im Sinn, Katherine. Du ahnst nicht, wie froh ich darüber bin, dass sie in all den Jahren bei dir war und dir zur Seite gestanden hat.“

Im Stillen stimmte Katherine der Tante zu, auch wenn sie, besonders in den letzten Monaten, das betuliche, bemutternde Verhalten ihrer Zofe als lästig empfunden hatte. „Wo ist Peter?“, erkundigte sie sich, um das Thema zu wechseln.

„Er war Weihnachten hier und ist jetzt wieder an der Universität“, antwortete Caroline. „Offen gestanden bin ich überzeugt, dass er froh ist, heute Abend nicht anwesend zu sein. Ihm behagte die Aussicht nicht, sich zusammen mit Papa um alleinstehende ältere Damen kümmern zu müssen.“

„Ich bezweifle, dass Onkel Henry sich darauf freut“, erwiderte Katherine und warf der Tante einen amüsierten Blick zu.

„Nein, natürlich nicht“, sagte Lavinia schmunzelnd und griff nach ihrer Stickarbeit. „Aber er hat sich resignierend damit abgefunden. Allerdings will er sich Verstärkung verschaffen.“

„Verstärkung?“, wiederholte Katherine verständnislos.

„Nun, er ist vorhin zu Sir Giles geritten, und ich bin sicher, dass er den Baronet mit der Absicht aufgesucht hat, sich seiner Unterstützung bei dieser sicher nicht sehr unterhaltsamen Aufgabe zu versichern.“

„Du kannst dich auf mich verlassen“, sagte Giles lächelnd. „Ich werde gegen acht Uhr eintreffen. Mary würde es mir sehr übel nehmen, wenn wir deiner Einladung nicht Folge leisteten.“

„Du bist wirklich ein guter Freund, Giles“, erwiderte Henry dankbar, steckte den Zeigefinger unter das Cachenez und lockerte es etwas. „Ich gebe zu, dass es mir davor graust, mich mit lauter alten Schachteln abgeben zu müssen.“

Im Gegensatz zur geschwätzigen Schwester zog Giles es im Allgemeinen vor, zurückhaltend zu bleiben. Nun fühlte er sich indes bemüßigt, etwas redseliger zu sein, um den geschätzten Nachbarn von der bevorstehenden lästigen Pflicht abzulenken. „Die zukünftige Schwiegermutter deiner Tochter würde ich zwar nicht als alte Schachtel bezeichnen, aber sie kann sehr anstrengend sein“, meinte er und schmunzelte flüchtig. „Es ist mir ein Rätsel, wie sie und ihr apathischer Gatte zwei so schmucke Knaben in die Welt setzen konnten. Verstehen kann ich jedoch, dass du dich über die Verlobung deiner Tochter mit Charlesworth freust. Er ist ein sehr netter junger Mann und eine Zierde seines Regiments. Im Übrigen solltest du dir nicht so viele Sorgen machen, Henry. Ich bin sicher, deine charmante Gattin hat dafür gesorgt, dass heute Abend alles gut verläuft.“

„Hoffentlich!“, murmelte Henry, setzte sich bequemer hin und streckte die Beine aus.

„Meine Schwester erzählte mir, dass so gut wie alle von denen, die ihr eingeladen habt, kommen werden“, fuhr Giles fort. „Wenigstens haben wir einigermaßen gutes Wetter.“

„Zum Glück!“, sagte Henry und trank einen Schluck Burgunder. „Ich hatte schon mit Schnee gerechnet. Nun, vielleicht steht uns der noch bevor. Meine Nichte Katherine, die gestern ankommen sollte, war noch nicht da, als ich vorhin das Haus verließ. Möglicherweise ist sie durch einen Witterungsumschwung aufgehalten worden.“

„Kommt sie von weit her?“, erkundigte sich Giles höflich.

„Ja, aus Bath“, antwortete Henry. „Lavinia und Caroline haben sie sehr gern und werden arg enttäuscht sein, wenn Katherine nicht beim Ball anwesend ist. Vor einem Jahr hat meine Frau meiner Nichte vorgeschlagen, zu uns zu ziehen. Katherine hat das jedoch abgelehnt. Ich glaube, sie wohnt gern in dem Haus, das ihr von ihrer Großtante Augusta vererbt worden ist. Sie lebt mit ihrer Gesellschafterin und ihrem früheren Kindermädchen dort.“

„Wie alt ist sie?“

„Fast dreiundzwanzig.“

„Und wo sind ihre Eltern?“, fragte Giles und bemühte sich, nicht zu gähnen.

„Sie sind tot“, sagte Henry. „Ihr Vater ist vor sieben Jahren auf See verschollen. Er war ein ausgezeichneter Pferdezüchter und hatte von der Regierung den Auftrag erhalten, eine größere, für die Armee in Portugal benötigte Zahl bei ihm gekaufter Pferde zum dortigen Hauptquartier zu bringen. Die Brigg, auf der er sich befand, und zwei weitere Frachtsegler wurden, obwohl ein Konvoischiff sie begleitete, in der Bucht von Biscaya von französischen Fregatten angegriffen und versenkt. Es ist mir vollkommen unerklärlich, wie das passieren konnte!“, fügte Henry ärgerlich hinzu. „Erstens gab es Geleitschutz, zweitens waren die drei Schiffe gleichermaßen stark bewaffnet, und drittens waren unsere Landsleute in der Übermacht. Monate nach dem Zwischenfall erfuhr ich, die Admiralität habe bedauernd bekannt gegeben, der Verlust sei auf ein peinliches Missverständnis zurückzuführen. Man sei davon ausgegangen, dass die Frachtschiffe und der Escorteur zwei Wochen nach der Brigg abfahren würden.“

„Das ist in der Tat ein höchst eigenartiger Vorgang“, warf Giles erstaunt ein.

„Ich finde die Sache skandalös“, fuhr Henry aufgebracht fort. „Meine Schwägerin hat den Tod ihres Gatten nie verwunden. Sie begann zu kränkeln und zog sich einige Wochen nach der Verlustmeldung eine Lungenentzündung zu, an der sie dann gestorben ist.“

„Wie furchtbar!“, murmelte Giles mitfühlend. „Deine Nichte ist wirklich zu bedauern.“

„Peter Fairchild, ihr Großvater, ist sofort nach Irland gereist und hat sie zu sich geholt. Da er der Meinung war, sie müsse eine gute Erziehung bekommen und weltgewandter werden, hat er sie zu seiner Schwester nach Bath geschickt. Sie war erst kurze Zeit bei ihrer Großtante und litt noch sehr unter dem Tod der Eltern, als mein Schwiegervater einen Herzanfall bekam und verschied.“

Die Erwähnung des Namens Fairchild hatte Henry stutzig gemacht. Er konnte sich indes nicht erinnern, wieso er ihm vertraut vorkam.

„Dann starb auch Augusta und hinterließ ihr das Haus. Lavinias Vater hatte mich zu einem ihrer Vermögensverwalter bestimmt, und ich kann sagen, dass Katherine nicht schlecht gestellt ist. Allerdings kann sie erst über das aus dem Verkaufserlös des väterlichen Gestüts und dem Vermächtnis ihres Großvaters bestehenden Erbe verfügen, wenn sie fünfundzwanzig ist. Bis dahin stehen ihr lediglich die Mittel zu, die Augusta ihr testamentarisch vermacht hat.“

Giles langweilte die betrübliche Geschichte, und daher war er erleichtert, als jemand an die Bibliothekstür klopfte. „Herein!“, rief er laut.

Der Butler betrat den Raum, verbeugte sich und sagte: „Major Ross wünscht Sie zu sprechen, Sir.“

„Bitten Sie ihn herein“, erwiderte Giles erfreut und stand auf.

„Sehr wohl, Sir.“

Neugierig blickte Henry zur Tür und sah einen Moment später einen hochgewachsenen Mann von kräftiger Statur hereinkommen.

„Welch unerwartete Überraschung, Major!“, sagte Giles lächelnd.

„Guten Tag, die Herren“, begrüßte Daniel sie, verneigte sich leicht und schüttelte dann dem Baronet die Hand. „Ich bin nur auf einen Sprung hergekommen“, erklärte er, „weil ich Mr. Cranford versprochen habe, Ihnen diesen Brief zu übergeben. Ich bin auf dem Weg nach London, um an einem Offizierstreffen teilzunehmen und einen Freund zu besuchen.“

„Vielen Dank, Major“, erwiderte Giles, nahm den versiegelten Umschlag entgegen und legte ihn auf den Schreibtisch. „Wollen Sie sich nicht setzen, Sir?“, wandte er sich an seinen ehemaligen Mitarbeiter.

„Danke“, willigte Daniel ein. „Lange kann ich indes nicht bleiben“, fügte er hinzu, während er sich in einem Fauteuil niederließ.

Auch Giles nahm wieder Platz und erkundigte sich: „Wie sind die Straßenverhältnisse? Mein Freund sorgt sich um eine Verwandte, die er erwartet.“

„Ich bin ohne jede Schwierigkeit nach Andover gelangt“, antwortete Daniel. „Über Nacht hat es dann etwas geschneit, aber die Straßen sind frei.“

„Hm!“, äußerte Henry stirnrunzelnd. „Handelt es sich bei dem von Ihnen genannten Herrn zufällig um den ehrenwerten Mr. Charles Cranford?“, fragte er dann neugierig.

„Ja“, bestätigte Giles. „Kennst du ihn?“

„Nicht persönlich“, antwortete Henry. „Ich weiß jedoch, dass er Parlamentsmitglied ist. Und wenn ich mich nicht täusche, hat er das Anwesen meines verstorbenen Schwiegervaters in Dorset erstanden.“

„Möglich wäre es“, meinte Giles. „Ich habe mich vorhin bereits gefragt, wieso der Name Fairchild mir geläufig ist. Aber Major Ross kann uns sicher Genaueres berichten.“

„Ja, es trifft zu, dass Mr. Cranford der Käufer des erwähnten Besitzes ist“, sagte Daniel. „Ich kenne ihn sehr gut, weil ich in der Nähe lebe.“

„Du meine Güte, ist die Welt klein!“, rief Henry überrascht aus. „Ich bin mit Colonel Fairchilds jüngerer Tochter Lavinia verheiratet. Vielleicht ist sie Ihnen bekannt, wenngleich Sie wohl noch sehr jung waren, als wir uns vermählten und sie das väterliche Haus verließ.“

„Nein, im Moment entsinne ich mich nicht an sie“, erwiderte Daniel ehrlich. „Es ist auch zu lange her, dass ich die beiden Töchter meines Nachbarn zum letzten Mal gesehen habe.“

„Ich bin sicher, meine Gattin würde sich sehr freuen, Sie bei uns begrüßen zu dürfen und mit Ihnen über alte Zeiten zu plaudern“, sagte Henry freundlich. „Oh, das trifft sich gut! Heute Abend geben wir einen Ball. Darf ich Sie dazu einladen? Sie wären uns sehr willkommen.“

„Vielen Dank, Sir“, äußerte Daniel höflich. „Ich werde es mir überlegen.“

„Es wäre meiner Frau und mir ein Vergnügen, wenn Sie kämen“, erwiderte Henry, warf einen Blick auf seine Taschenuhr und stand auf. „Oh, es ist höchste Zeit für mich, nach Hause zu fahren“, meinte er erschrocken. „Wir sehen uns später, Giles. Und die Einladung bleibt bestehen, Major“, fügte er lächelnd an, verneigte sich und verließ die Bibliothek.

„Ich bin mir zwar bewusst, dass ich Sie nicht dazu zwingen kann, den Aufenthalt hier zu verlängern“, wandte Giles sich an den Major, während er sich erhob. „Indes wäre es mir sehr recht, wenn Sie die Gelegenheit nutzten, damit wir gemütlich und ausgiebig über früher plaudern können.“ Er ging zum Konsoltisch, auf dem die Getränke standen, schenkte dem Besucher Wein ein und brachte ihm das Glas.

Daniel nahm es entgegen und erwiderte eine Spur maliziös: „Verzeihen Sie, Sir, aber ich kann nicht behaupten, dass die Aktivitäten, die uns verbunden haben, immer sehr angenehmer Natur waren.“

„Falls Sie damit diese entzückende Französin meinen, Miss Justine Baron, gebe ich Ihnen recht“, stimmte Giles trocken zu. „Die sie betreffende Operation war der größte Fehlschlag, den ich je erlebt habe. Meine Gutherzigkeit hat mich dazu bewogen, Miss Baron zu beschäftigen. Sie ist nicht aus freien Stücken Spionin geworden, sondern aufgrund persönlicher Umstände. Selbstverständlich habe ich sie für ihre Dienste gut honoriert, jedenfalls bis kurz vor ihrem Tod, nachdem man herausgefunden hatte, wo sie von mir versteckt wurde. Bedauerlicherweise habe ich das Malheur nicht verhindern können, obwohl ich kurz davor war, die von mir gesuchten Verbrecher zu fassen!“

„Verbrecher?“, wiederholte Daniel erstaunt. „Sind Sie sicher, dass sie das Abkommen eingehalten hätte?“, setzte er skeptisch hinzu.

„Ja“, bestätigte Giles nickend. „Ich habe schon bald angenommen, dass es sich um zwei Verräter handelte, und war überzeugt, dass sie mir deren Namen nennen würde, weil ich ihr gegenüber nie wortbrüchig geworden bin. Sie hat großen Wert darauf gelegt, schnell an ein Vermögen zu kommen, und außer ihrer Geldgier gab es nur noch eins, was für sie von großer Bedeutung war, und zwar ihre Schwester Louise. Aber ich bin weiterhin entschlossen, den Schuft und seine Helfershelfer aufzuspüren und vor Gericht zu bringen.“

„Der Krieg ist zu Ende“, warf Daniel ein.

„Ja, gegen Napoleon, aber nicht gegen die im Untergrund arbeitenden Feinde Englands“, entgegnete Giles ernst und nahm das Federmesser zur Hand. „Entschuldigen Sie mich bitte einen Moment“, fuhr er fort, schlitzte das Couvert auf und zog das Schreiben heraus. Nachdem er den Brief zur Kenntnis genommen hatte, faltete er ihn zusammen, schob ihn wieder in den Umschlag und steckte ihn in die Innentasche des Gehrocks. „Mr. Cranford teilt mir mit, dass er Anfang April einen Ball geben wird, zu dem er einige interessante Leute eingeladen hat. Werden Sie daran teilnehmen?“

„Vielleicht“, antwortete Daniel ausweichend.

„Mir ist zu Ohren gekommen, dass Sie den Dienst quittiert haben“, wechselte Giles das Thema. „Trifft das zu?“

„Ja.“

„Was gedenken Sie nun zu tun?“

„Ich muss mich um meine viel zu lange vernachlässigten Besitzungen kümmern.“

„Wie schön, dass Sie vorhaben, sesshaft zu werden“, erwiderte Giles lächelnd. „Daraus schließe ich, dass alte Wunden mittlerweile verheilt sind.“

Überrascht schaute Daniel sein Gegenüber an und erwiderte befremdet: „Ihnen entgeht offenbar nichts, Sir!“

„Nun, das war stets mein Bestreben“, äußerte Giles schmunzelnd. „Werden Sie Mr. Wentlys Einladung befolgen?“

„Ich habe keine Abendgarderobe bei mir, nur meine Ausgehuniform“, antwortete Daniel achselzuckend.

„Dann steht einem Besuch bei meinem Nachbarn doch nichts im Wege!“

2. KAPITEL

Katherine betrachtete sich im Psyché und war sehr mit ihrem Äußeren zufrieden. Miss Harlow hatte sie hervorragend frisiert, und die dunkelgrüne, figurbetonende Ballrobe stand ihr ausgezeichnet. „Ich glaube, meine Perlen passen am besten zu diesem Kleid“, bemerkte sie nachdenklich, wandte sich vom Spiegel ab und setzte sich an die Poudreuse. Sie öffnete den Schmuckkasten, nahm das Kollier heraus und ließ es sich, während sie den Verschluss des Brasseletts am linken Arm einklinkte, von der Zofe um den Hals befestigen. Sobald Miss Harlow ihr die passenden Briolets angesteckt hatte, äußerte sie lächelnd: „In dieser Robe fühle ich mich sehr wohl. Sie ist nicht zu jugendlich gearbeitet, macht mich aber auch nicht älter, als ich bin.“

„Nein, ganz und gar nicht“, stimmte Bridget zu und bedauerte, dass Miss O’Malley nie einsehen wollte, welch hübsche, ansprechende Erscheinung sie abgab und wie reizvoll ihr schmales, ebenmäßig geschnittenes Gesicht war. Es war nicht erstaunlich, dass viele Männer sie bewunderten, selbst wenn rotbraunes Haar nicht jedermanns Geschmack war. „Sie sehen entzückend aus“, setzte die Zofe anerkennend hinzu.

Nur einen Moment später wurde die Tür des Ankleidezimmers geöffnet, und Katherine sah die Tante eintreten.

„Jedes Mal, wenn ich dich sehe, fällt mir die große Ähnlichkeit mit meiner Schwester auf“, stellte Lavinia fest. „Du bist eine Schönheit, mein Kind.“

„Danke“, erwiderte Katherine geschmeichelt und dachte daran, dass ihre Mutter zweifellos die attraktivere der beiden Schwestern gewesen war. Vom Wesen her hatte sie sich jedoch sehr von Tante Lavinia unterschieden. Sie war längst nicht so charakterfest wie ihre Schwester gewesen, die gewiss nicht dahinsiechte, falls – was Gott verhüten mochte – ihrem Mann ein Unglück zustieß. Im Gegenteil, die Tante würde, zumindest nach außen hin, die Contenance bewahren und ihren Kindern zuliebe ihr weiteres Leben meistern.

„Außerdem erinnerst du mich sehr an meine Großmutter“, sagte Lavinia. „Kein Wunder, dass mein Vater so an dir gehangen hat.“

„Auch ich hatte ihn sehr gern“, gestand Katherine. „Und deshalb tut es mir doppelt leid, dass sein Tod uns so früh getrennt hat.“

„Ja, das ist schade“, pflichtete Lavinia der Nichte bei. „Auch wenn er im Allgemeinen der Ansicht war, Frauen hätten sich bescheiden im Hintergrund zu halten, schätzte er deine offenherzige Art. Ich bin sicher, ihr beide hättet euch mit den Jahren immer besser verstanden.“

„Du bist heute schon die zweite Person, Tante Lavinia, die mir vorhält, dass ich manchmal zu freimütig bin“, erwiderte Katherine mit einem amüsierten Blick auf ihre Zofe, stand auf und glättete den Rock. „Ich verspreche dir, mich heute Abend sehr manierlich zu benehmen und meine vorlaute Zunge im Zaum zu halten.“

„Das kann nur von Vorteil sein“, meinte Lavinia belustigt. „Komm, gehen wir in den Salle de séjour“, fügte sie an und verließ das Ankleidezimmer.

Katherine folgte ihr und begab sich mit ihr in den Großen Salon, wo sich bereits die sichtlich aufgeregte Cousine und der unübersehbar weniger begeistert aussehende Onkel eingefunden hatten.

Ein Weilchen später kündigte Meldrew Lord Charlesworth, dessen Familie und weitere Gäste an. Nach der herzlichen Begrüßung machte der Onkel Katherine mit den Herrschaften bekannt, und wie es sich ergab, fand sie sich plötzlich neben Carolines zukünftiger Schwiegermutter auf der Veilleuse wieder. Da sie durch den Umgang mit ihrer Großtante über hinreichend Erfahrungen mit Ehrfurcht gebietenden älteren Damen verfügte, die noch dazu hin und wieder boshafte Bemerkungen machten, beschloss sie, sich sehr zurückzuhalten und Caroline nicht durch unbedachte Äußerungen den Abend zu verderben. Tapfer ertrug sie geraume Zeit das selbstgefällige Gehabe der verwitweten Baronin und willigte sogar ein, später mit ihr Whist zu spielen, überlegte indes enerviert, wie sie ihr für den Augenblick entrinnen könne.

„Lassen Sie nicht zu, dass meine Mutter Sie so mit Beschlag belegt“, raunte Captain Charlesworth, der Verlobte ihrer Cousine, ihr zu.

Katherine wandte leicht den Kopf zur Seite und sah ihn mit Caroline hinter sich stehen. Rasch entschuldigte sie sich bei Ihrer Ladyschaft, stand auf und gesellte sich zu den beiden.

„Da wir jetzt verlobt sind, Richard, halte ich es für angebracht, dass meine Cousine und du euch duzt“, sagte Caroline lächelnd, während man sich einige Schritte vom Sofa entfernte.

„Ich wäre entzückt, vorausgesetzt, sie hat nichts dagegen“, erwiderte Richard.

„Nein, ich habe keinen Einwand“, meinte Katherine freundlich. Sie fand Lord Charlesworth sehr gut erzogen, natürlich und auf den ersten Blick sympathisch. „Ich nehme an, ihr werdet den Ball eröffnen, nicht wahr?“

„Ja“, bestätigte Caroline strahlend. „Und du wirst keine Gelegenheit haben, dich irgendwo zu langweilen, weil Richards Freunde nur darauf warten, mit dir zu tanzen.“

„Oje!“, äußerte Katherine seufzend. „Ich befürchte, ich werde zu schwach sein, einem solchen Ansturm von männlichem Charme zu widerstehen.“ Im Gegensatz zu den meisten Frauen fand sie es jedoch nicht sonderlich aufregend, mit einem Mann zu tanzen, nur weil er Offizier war. Sie ließ den Blick über die Herren in Galauniform schweifen und fuhr amüsiert fort: „Irgendwie scheinen die Männer, die in formeller Abendgarderobe erschienen sind, denjenigen vom Militär gegenüber im Nachteil, weil diese in ihren schmucken Paradeuniformen einen so stattlichen Eindruck machen.“

„Wie wahr!“, stimmte Caroline zu und erblickte einen Herrn in rotem Kollett mit grünen Rabatten und weißen Biesen. „Wer ist dieser Offizier, Richard?“, erkundigte sie sich und wies diskret auf den Betreffenden. „Er kam in Begleitung von Sir Giles. Das ist doch keine Kavallerieuniform, nicht wahr?“

„Nein“, bestätigte Richard. „Der Gentleman trägt die Montur der Scharfschützen des fünften Dorsetshire Infanterieregiments. Ich kann dir nicht sagen, wer er ist, werde mich jedoch erkundigen. Wartet hier, ich stelle mich ihm vor.“

Katherine schaute zu dem fraglichen Gast hinüber, sah ihn sich zu Lord Charlesworth umdrehen und glaubte den Augen nicht trauen zu dürfen. „Du lieber Himmel!“, murmelte sie verblüfft. „Mit ihm hätte ich hier nicht gerechnet!“

„Wieso bist du so überrascht?“, wunderte sich Caroline. „Offenbar kennst du ihn.“

„Wie man es nimmt“, antwortete Katherine. „Beim Verlassen des Gasthauses, in dem ich übernachtet habe, bin ich mit diesem Herrn zusammengestoßen.“ Es freute sie, dass er anwesend war, und gespannt sah sie Lord Charlesworth entgegen, der den Unbekannten zu ihnen brachte.

Richard blieb mit ihm bei Caroline und Katherine stehen und sagte höflich: „Darf ich bekannt machen? Miss Wently, meine Verlobte, und Miss O’Malley, ihre Cousine. Major Daniel Ross, der beim Militär in hohem Ansehen steht.“

Daniel begrüßte die Damen und sagte dann zu Miss O’Malley: „Welch eigenartiger Zufall, Madam, dass wir uns hier wieder begegnen. Offenbar war uns das vom Schicksal vorbestimmt.“

Flüchtig registrierte sie, dass er eine tiefe, angenehm klingende Stimme und ein gewinnendes Lächeln hatte, doch die jäh in ihr erwachte Abneigung war stärker als der bisher so gute Eindruck von ihm. Bei der Erwähnung seines Namens hatte sie plötzlich begriffen, dass sie dem Mann gegenüberstand, den sie seit Jahren verabscheute. Sie musste sich zusammennehmen, um nicht die Fassung zu verlieren und etwas höchst Unpassendes zu äußern. „Bitte, entschuldigen Sie mich einen Moment“, erwiderte sie beherrscht. „Ich bin gleich zurück.“

Verwundert schaute Daniel ihr hinterher und konnte sich nicht erklären, warum sie so blass geworden war.

Aufgeregt strebte Katherine durch die Schar der Gäste, suchte den Damensalon auf und setzte sich erschüttert in einen Sessel. Erinnerungen stürmten auf sie ein an die Monate, die sie in Moreton im hübschen Haus des Großvaters verbracht und sich dort mit Helen Rushton, der Tochter seines Nachbarn, befreundet hatte, deren im Dienst der Marine stehender Vater ebenso auf See verschollen war wie ihrer. Aus der anfänglichen Sympathie war schnell tiefe Zuneigung geworden, und Katherine war bald von Helen ins Vertrauen gezogen worden. Helen hatte ihr unter anderem erzählt, dass sie ein Faible für Daniel Ross hatte, der damals noch Captain gewesen und nach siebenjährigem Aufenthalt im Ausland zurückgekehrt war. Jedes Mal, wenn er Helen die Aufwartung gemacht hatte, war Katherine von ihr in allen Details über seinen Besuch informiert worden. Helen hatte so sehr für ihn geschwärmt, dass sie glaubte, die Welt würde untergehen, nachdem ihr zu Ohren gekommen war, er pflege intensiven Umgang mit einer in der Gegend lebenden jungen Witwe. Die Erkenntnis, dass er sich nicht nur für sie interessierte, war ein schwerer Schlag gewesen, von dem sie sich lange nicht erholt hatte.

Katherine schaute auf, als die Tür geöffnet wurde, und sah die Cousine den Raum betreten. Es überraschte sie nicht, dass Carolines Miene besorgt war.

Caroline schloss die Tür und erkundigte sich beunruhigt: „Ist dir nicht gut, Katherine? Soll ich Mama oder Miss Harlow holen?“

Die Vorstellung, jetzt die Zofe ertragen zu müssen, war Katherine zuwider. „Nein, das ist nicht nötig“, antwortete sie ruhig. „Ich muss mich nur von dem Schock erholen, den ich soeben erlitten habe.“

„Schock?“, wiederholte Caroline verständnislos. „Was hat dich denn so aus dem inneren Gleichgewicht gebracht? Findest du nicht, dass du dich reichlich befremdlich benimmst? Hat dein Verhalten mit Major Ross zu tun? Ich hatte den Eindruck, dass du dich gefreut hast, ihn wiederzusehen, doch dann bist du unvermittelt so bleich geworden.“

„Ich weiß, dass mein absonderliches Betragen dir unerklärlich ist“, erwiderte Katherine einsichtig. Natürlich lag es ihr fern, Aufsehen zu erregen oder zu erkennen zu geben, dass sie Major Ross nicht mochte. Außerdem wollte sie nicht Gefahr laufen, für klatschsüchtig gehalten zu werden. Sie sah jedoch ein, dass sie Caroline eine Begründung für ihr eigenartiges Gebaren geben musste. „Major Ross war gut mit unserem Großvater bekannt“, fuhr sie fort. „Das hast du vielleicht bisher nicht gewusst. Er war wiederholt bei uns zu Besuch und hat auch in anderen Häusern der Gegend verkehrt. Irgendwann habe ich dann erfahren, dass er, was Frauen betrifft, keinen sehr guten Ruf hat. Mehr noch, man sagt ihm nach, ein rücksichtsloser Herzensbrecher zu sein.“

„Du meine Güte!“, murmelte Caroline verblüfft. „Bist du sicher, dass du keine falschen Schlussfolgerungen gezogen hast? Ich meine, du könntest etwas missverstanden haben, denn schließlich warst du noch sehr jung.“

„Ich will nicht von der Hand weisen, dass ich mehr aus dem Gerede gemacht habe, als wirklich dahinter steckt“, räumte Katherine widerstrebend ein und erhob sich. „Gleichviel, jetzt können wir nicht länger darüber sprechen. Wir müssen zu den Gästen zurück. Sonst wirft Richard mir womöglich noch vor, ich hätte dich daran gehindert, mit ihm den Ball zu eröffnen.“

Irritiert verließ Caroline mit der Cousine den Damensalon und kehrte schweigend in den Salle de séjour zurück.

Es überraschte Katherine nicht, dass Richard sich noch immer mit dem Major unterhielt, und sie nahm sich vor, es Caroline zuliebe eine Weile bei den Herren auszuhalten und dann die erste Gelegenheit zu nutzen, um sich unauffällig unter die anderen Anwesenden zu mischen.

Kaum war sie jedoch bei Lord Charlesworth und dem Major eingetroffen, hörte sie die Streicher im Ballsaal die Instrumente stimmen. Sogleich kam Bewegung in die Gesellschaft, und die Herrschaften begaben sich in den festlich geschmückten Saal. Zahlreiche Paare stellten sich auf dem Parkett auf, und einige Augenblicke später, nach einem kurzen Tusch, spielten die Musiker zu einer Gavotte auf.

Katherine hatte gehofft, der Major möge ebenfalls tanzen, doch missvergnügt musste sie zur Kenntnis nehmen, dass er bei ihr ausharrte.

„Darf ich davon ausgehen, Miss O’Malley, dass Sie sich mittlerweile besser fühlen?“, erkundigte er sich beiläufig.

„Ja“, antwortete sie steif.

„Wäre ich eingebildet, könnte ich denken, dass meine Anwesenheit Sie derart aus dem Konzept gebracht hat“, sagte er schmunzelnd.

Katherine musste sich zwingen, ihn nicht wortlos stehen zu lassen. Sie rang sich dazu durch, ihn anzusehen, und erwiderte etwas spitz: „Glauben Sie, was Sie wollen, Sir. Ich kann Ihnen jedoch versichern, dass mir nichts so schnell die Fassung raubt!“

Befremdet über Miss O’Malleys gereizten Ton, furchte Daniel leicht die Stirn.

Seine Verstimmung entging ihr nicht. Es war ihr jedoch gleich, ob er sich über ihre Abneigung wunderte oder nicht. Beruhigend fand sie, dass er sich ihrer sichtlich nicht entsann. Das war nicht erstaunlich, denn der Großvater hatte in Bezug auf ihre Erziehung ziemlich althergebrachte Ansichten vertreten und ihr, obwohl sie sechzehn Jahre alt gewesen war, nicht gestattet, bei gesellschaftlichen Anlässen in seinem Haus zugegen zu sein. Dennoch war sie einmal mit dem Captain zusammengetroffen. Damals hatte sie sich zufällig auf dem Sattelplatz befunden, als der Captain dort eintraf. Da die Begegnung mit einem jungen Mädchen für ihn zweifellos nicht von Bedeutung gewesen war, erinnerte er sich natürlich nicht an sie.

„Die Verlobten sind ein hübsches Paar, nicht wahr?“, äußerte er, um das peinlich gewordene Schweigen zu durchbrechen.

„In der Tat“, stimmte sie zu und beobachtete Caroline, die strahlend Lord Charlesworth anlächelte. „Beide passen fabelhaft zusammen und sind sehr ineinander verliebt.“

Sie nahm an, der Major werde etwas erwidern, doch da er nichts sagte, wandte sie ihm verwundert das Gesicht zu und sah ihn sie aufmerksam betrachten. Beim Anblick seines betörenden Lächelns ermahnte sie sich, vor ihm auf der Hut zu sein, gestand sich indes ein, dass sie ihn wohl kaum für einen Roué gehalten hätte, wäre sie nicht bereits über seinen losen Lebenswandel im Bilde gewesen. Wenn sie ihn vorurteilsfrei ansah, musste sie zugeben, dass er einen sehr ehrenwerten Eindruck machte und etwas ausstrahlte, das gewiss viele Frauen dazu bewog, in einer schwierigen Situation Trost bei ihm zu suchen. Aber nach Äußerlichkeiten durfte man nie gehen, denn bekanntlich trog der Schein.

„Stammen Sie aus der Gegend, Madam?“, nahm Daniel die zum Erliegen gekommene Unterhaltung wieder auf.

„Nein, Sir. Ich habe jahrelang in Irland gelebt und wohne jetzt in Bath.“ Sie fand, sie habe nun der Höflichkeit Genüge getan und könne, ohne Gewissensbisse verspüren zu müssen, den Major sich selbst überlassen.

Er merkte, dass sie sich ihm entziehen wollte, und sagte rasch: „Würden Sie mir die Ehre des nächstens Tanzes erweisen, Madam?“

Sie musterte ihn hochmütig, rang sich zu einem aufgesetzten Lächeln durch und antwortete schnippisch: „Nichts in der Welt kann mich dazu bewegen, Sir! Ich tanze nur mit Offizieren, deren Rabatten, Aufschläge und Borten nicht grün sind!“

Daniel verengte die Augen, sah verärgert Miss O’Malley an und entgegnete süffisant: „Diese Einstellung, Madam, lässt bei jemandem mit Ihrer Haarfarbe einen merkwürdigen Mangel an gesundem Urteilsvermögen erkennen.“

Flüchtig presste sie die Lippen zusammen, um sich von einer scharfen Erwiderung abzuhalten. Pikiert wandte sie sich ab und mischte sich unter die angeregt plaudernden Gäste.

Verärgert blickte Daniel hinter ihr her, bis sie seiner Sicht entzogen war, und fragte sich, worauf ihr unnahbares Verhalten zurückzuführen sein mochte. Er fühlte sich brüskiert und begriff nicht, warum sie sich ihm gegenüber so ablehnend gab. Er vermutete, dass sie ihn schon früher so kalt behandelt, wahrscheinlich sogar nicht mit ihm gesprochen hätte, wäre ihr das unter Wahrung des Anstandes möglich gewesen. Es war ihm unerklärlich, wieso sie ihm gegenüber ihr Missfallen so deutlich zum Ausdruck gebracht hatte. Aber Logik konnte man nicht von Frauen erwarten. Sie verhielten sich oft sehr widersprüchlich und unberechenbar.

Dabei hatte er zunächst den Eindruck gehabt, sie freue sich, ihn wiederzusehen, bis sie dann, nachdem er ihr vorgestellt worden war, plötzlich blass geworden und ein feindseliger Ausdruck in ihren blaugrünen Augen erschienen war. Auch Lord Charlesworth und dessen Verlobte hatten sich über Miss O’Malleys brüskes Verschwinden gewundert. Nicht umsonst war Miss Wently ihrer Cousine gefolgt und hatte Daniel, als sie mit ihr zurückkehrte, sehr nachdenklich angeschaut. Offenbar hatte sie in der Zwischenzeit etwas über ihn erfahren, durch das sie beeinflusst worden war. Er konnte sich nicht denken, was die beiden Damen über ihn geredet haben mochten, denn schließlich hatte er keine von ihnen vor diesem Tag gesehen.

Giles näherte sich ihm unbemerkt und äußerte, neben ihm anhaltend: „Mir scheint, Sie sind über etwas beunruhigt, Sir.“

Überrascht schaute Daniel auf und fragte sich, warum der Baronet so zufrieden wirkte. Da er ihn kannte und wusste, dass Sir Giles sich gut verstellen konnte, war er im Nu misstrauisch. „Ach, das reden Sie sich nur ein“, erwiderte er ausweichend.

„Ich bin anderer Ansicht, aber lassen wir das“, sagte Giles leichthin und sah zum Spielsalon hinüber. „Mr. Wentlys Nichte ist eine bemerkenswert hübsche junge Frau, nicht wahr?“

Auch Daniel schaute durch die Menschenmenge, und sein Blick fiel durch die offene Flügeltür auf Miss O’Malley, die neben einer älteren Dame an einem Tisch Platz genommen hatte. „Ja“, stimmte er gleichmütig zu.

„Ihr Großvater mütterlicherseits war Colonel Fairchild“, fuhr Giles fort, „und sie hat eine Weile bei ihm gewohnt.“

Diese Mitteilung fand Daniel hochinteressant, und er versuchte sich zu entsinnen, ob er Miss O’Malley schon früher begegnet war. Er erinnerte sich indes nicht an sie. Das nahm ihn nicht wunder, weil sie zu der Zeit, als er den Colonel besucht hatte, noch ein junges Mädchen gewesen war.

„Ihr Haar hat eine wundervolle Farbe“, meinte Giles. „Ich jedenfalls habe eine Schwäche für Rotbraun.“

„Ach, ja?“, fragte Daniel skeptisch. „Mein Geschmack geht in eine andere Richtung. Die wenigen rothaarigen Frauen, die mir bis jetzt begegnet sind, waren samt und sonders hinterlistig, verschlagen, unberechenbar und nicht vertrauenswürdig. Und auch Miss O’Malley wird mich nicht dazu bringen, meinen Standpunkt zu ändern.“

Katherine stellte sofort fest, dass die in den Spielsalon kommenden Gäste den Tisch mieden, an dem sie mit der Dowager Baroness Charlesworth saß. Die Gründe dafür mochten mannigfacher Natur sein, aber keiner von ihnen sprach zu Lady Charlesworths Gunsten.

Plötzlich nahm Ihre Ladyschaft aus dem Augenwinkel einen Herrn wahr, der neben ihr stehen geblieben war, wandte ihm das Gesicht zu und sah sich Major Ross’ Begleiter gegenüber.

„Oh, Sir Giles“, äußerte sie überrascht. „Wollen Sie sich zu uns gesellen? Bitte, nehmen Sie Platz. Kennen Sie Henrys Nichte?“

„Wir wurden uns noch nicht offiziell vorgestellt“, antwortete Giles.

„Miss Katherine O’Malley, Sir Giles Osborne“, sagte Isabelle und wies einladend auf den freien Sessel. „Miss Katherines Mutter war die ältere Schwester von Henrys Gattin.“

Giles setzte sich und fragte beiläufig: „Darf ich wissen, wo Sie leben, Miss O’Malley?“

„In Bath, Sir, und zwar seit einigen Jahren.“

„Ich hoffe, Sie haben eine Anstandsdame!“, warf Isabelle streng ein.

Am liebsten hätte Katherine erwidert, sie solle sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern, hütete sich jedoch, die verwitwete Baronin gegen sich einzunehmen. „Ja, Madam“, bestätigte sie. „Die Gesellschafterin meiner verstorbenen Großtante wohnt bei mir.“

„Sehr gut!“, äußerte Isabelle zufrieden. „Uns fehlt eine vierte Person“, fügte sie dann unwirsch hinzu.

„Nein, Madam“, widersprach Giles. „Meine Schwester Mary kommt bereits.“

Katherine sah eine Dame mittleren Alters, die etwas fahrig und unkonzentriert wirkte, sich beim Tisch einfinden.

Giles stand auf, machte Mary mit den Damen bekannt und half ihr, sich zu setzen.

Miss Osborne mit ihrer aufgeregt ängstlichen Art erinnerte Katherine an Miss Mountjoy, die sie leider von ihrer Großtante hatte übernehmen müssen. Bestimmte Frauen in dieser Stellung hatten das Bedürfnis, ihrer Herrschaft alles recht zu machen, rechneten jedoch ständig mit Zurechtweisungen und waren daher sehr unsicher.

Miss Osborne und ihr Bruder erwiesen sich als geschickte Whist-Spieler und gewannen die erste Partie. Katherine bemerkte wiederholt, dass der Baronet und Lady Charlesworth sie verstohlen beobachteten, und das lenkte sie ab. Dennoch gelang es ihr und Ihrer Ladyschaft, die zweite Runde für sich zu entscheiden.

„Mir war klar, dass ich eine kluge Entscheidung getroffen habe, als ich einwilligte, zusammen mit Ihnen zu spielen“, bemerkte Isabelle zufrieden. „Sie lassen sich nicht so schnell aus der Ruhe bringen.“

„Diesen Eindruck habe auch ich gewonnen“, warf Giles ein und schaute grübelnd Miss O’Malley an. „Sie haben gute Nerven, Madam, und das ist in vielen Bereichen eine unschätzbare Voraussetzung.“

Seufzend wandte Katherine den Blick vom regennassen Park ab und richtete ihn auf die nähende Cousine. „Pardon, ich war nicht bei der Sache“, sagte sie entschuldigend. „Was hast du gesagt?“

„Ich sagte, dass ich über das nachgedacht habe, was du über Major Ross geäußert hast“, wiederholte Caroline.

Es war Katherine nicht genehm, über ihn reden zu sollen. Auch wenn sein Name in ihrer Gegenwart seit dem Verlobungsball nicht mehr erwähnt worden war, hatte sie sich mehrfach dabei ertappt, dass ihre Gedanken um ihn kreisten.

„Vor der Abreise hat Richard mir erzählt, Major Ross genieße bei der Heeresführung großes Ansehen und sei angeblich wiederholt mit wichtigen Aufgaben beauftragt worden.“

„Ich zweifle nicht daran, dass er tüchtig ist“, erwiderte Katherine spitz. „In meinen Augen ist er jedoch ein herzloser Mann, der keine Rücksicht auf die Gefühle anderer Menschen nimmt.“

„Ich kann deinen Standpunkt nicht teilen“, entgegnete Caroline ehrlich. „Beim Ball war ich mehrmals mit ihm zusammen und muss dir sagen, dass ich ihn sympathisch finde. Allerdings drückt er sich manchmal ziemlich direkt aus. Richard hat mir jedoch zu verstehen gegeben, dass Angehörige des Militärs oft einen etwas forschen Umgangston haben.“

„Willst du damit andeuten, dass ich mich gründlich in Major Ross täusche?“, fragte Katherine ungehalten.

„Nein, aber meine Meinung über ihn unterscheidet sich von deiner“, antwortete Caroline lächelnd. „Richard hat mir eine Geschichte über ihn erzählt, die ihm von einem Mitoffizier berichtet wurde. Nach dem Fall von Badajoz hat der Major die Witwe eines französischen Befehlshabers davor bewahrt, von englischen Soldaten belästigt zu werden. Natürlich habe ich nicht alle Einzelheiten erfahren, bin jedoch zu der Erkenntnis gelangt, dass ein Mann, der für den Schutz einer Dame sein Leben riskiert, ein ehrbarer Mensch ist. Und daher bin ich skeptisch, ob das, was du vor Jahren über Major Ross gehört hast, wirklich der Wahrheit entspricht.“

„Das Gleiche ließe sich auch über sein angeblich heroisches Verhalten vor Badajoz sagen“, wandte Katherine ein. „Solche Berichte werden jedes Mal, wenn jemand sie weitergibt, ausgeschmückt und verzerrt.“

„Nun, ich kann Mama über ihn ausfragen“, äußerte Caroline bedächtig. „Sie hat sich beim Ball ausgiebig mit ihm unterhalten.“

In diesem Moment ging die Tür auf, und die Tante betrat den Salon.

„Oh, du kommst wie gerufen!“, fuhr Caroline zufrieden fort und wartete, bis die Mutter die Tür geschlossen und sich gesetzt hatte. „Wie gut kennst du Major Ross?“, erkundigte sie sich dann.

Lavinia setzte sich, nahm den Stickrahmen von der Halterung des Handarbeitstisches und antwortete, während sie ihr bisheriges Werk begutachtete: „Eigentlich kaum, Caroline. Er war erst sechs oder sieben Jahre alt, als ich deinen Papa heiratete und mein Elternhaus verließ. Ich erinnere mich besser an seinen Vater, einen sehr charmanten und klugen Mann, dem er, wie mir scheint, sowohl im Aussehen als auch im Wesen ähnelt. Euer Großvater ist sein Patenonkel.“

„Wie bitte?“, warf Katherine überrascht ein und hörte auf, so zu tun, als widme sie sich der unterbrochenen Lektüre.

„Ja“, bestätigte Lavinia nickend. „Er und Mr. Ross senior waren Jugendfreunde, und sein Sohn hat sehr an meinem Vater gehangen. Nachdem Daniel nach Indien gereist war, hat Papa in seinen Briefen oft erwähnt, wie sehr ihm die Besuche seines Patenkindes fehlen.“

„Major Ross war in Indien?“, fragte Caroline erstaunt und legte die Näharbeit auf die Tricoteuse. „Ach, manche Männer führen ein wirklich aufregendes Leben!“

„Ich bin skeptisch, ob der Major im Hinblick auf die Ereignisse, die sich in seiner Abwesenheit in seiner Familie zutrugen, den Aufenthalt in Indien sehr genossen hat“, meinte Lavinia.

„Was ist damals passiert?“, wollte Caroline wissen.

„Ein Jahr nach seinem Fortgang starb sein Vater“, antwortete Lavinia. „Sir Joshua Ross, sein Onkel, hat ihm zwar sofort die schlechte Nachricht übermittelt, aber natürlich dauerte es eine kleine Ewigkeit, bis der Brief bei Major Ross eintraf. Nach seiner Heimkehr musste er dann auch noch feststellen, dass Miss Julia Melrose, seine Jugendliebe, einige Monate vorher seinen Cousin Simon geheiratet hatte.“

„Der Ärmste!“, äußerte Caroline mitfühlend.

Auch Katherine empfand Mitleid für ihn. „War es abgesprochen, dass er sich mit ihr vermählen würde?“, erkundigte sie sich neugierig.

„Nein“, sagte Lavinia und schüttelte den Kopf. „Ich glaube, Miss Melroses Eltern waren nicht dafür, dass ihre Tochter früh heiratet, auch wenn der Major als Sohn eines begüterten Großgrundbesitzers natürlich eine gute Partie war. Soweit mir bekannt ist, vertraten sie den Standpunkt, es sei richtiger, mit der Einwilligung zur Ehe noch einige Jahre zu warten. Major Ross hat sich damit abgefunden und den Aufenthalt in Indien wohl als Überbrückung der Zeit betrachtet, die er verbringen musste, bis er offiziell bei seinem Onkel um die Hand seiner Cousine anhalten konnte.“

„Wenn Miss Melrose ihn wirklich geliebt hat, dann verstehe ich nicht, warum sie einverstanden war, Simon Ross zu heiraten“, warf Caroline verwundert ein.

„Zu ihren Beweggründen kann ich nichts sagen“, erwiderte Lavinia. „Von meinen Freunden und Bekannten, die in Sir Joshuas Nachbarschaft leben, habe ich indes im Verlauf der Jahre erfahren, dass seine Tochter und die beiden Vettern sich schon von klein auf kannten, sie jedoch immer eine Vorliebe für Major Ross hatte. Und man hat allgemein angenommen, dass aus den beiden ein Paar würde. Auch euer Großvater war dieser Ansicht. Ich vermute, dass von irgendeiner Seite her Druck auf Miss Melrose ausgeübt wurde. Schließlich war Simon Ross derjenige, der als Sir Joshuas Sohn den Titel erben würde.“

„Ist sie mit ihm glücklich geworden?“, schaltete Katherine sich ein.

„Das entzieht sich meiner Kenntnis“, gestand Lavinia. „Aus der Ehe ging jedoch ein Sohn hervor, der vor fünf oder sechs Jahren geboren wurde. Bald danach ist sein Vater bei einem Jagdunfall ums Leben gekommen.“

„Das bedeutet, dass der Major jetzt doch noch seine Jugendliebe heiraten kann“, äußerte Katherine trocken.

„Möglich wäre es“, sagte Lavinia lächelnd. „Jedenfalls ist mir nicht geläufig, dass er je zu erkennen gegeben hätte, er wolle sich mit einer Frau vermählen, obwohl er über die Jahre hinweg etliche … hm … Liebschaften hatte.“

Katherine sah Caroline ihr einen Blick zuwerfen, der sie aufzufordern schien, ihr Wissen um die Affäre des Majors mit Miss Rushton preiszugeben. Sie tat ihr den Gefallen und äußerte leichthin: „Ich entsinne mich, dass der Major zu der Zeit, als ich bei Großvater lebte, starkes Interesse an meiner Freundin Helen, Captain Rushtons Tochter, bekundete.“

„Helen Rushton?“, wiederholte Lavinia stirnrunzelnd. „Oh, ja! Ich erinnere mich an sie. Der Captain und seine Frau lebten in der Nachbarschaft. Ich kann mir jedoch nicht vorstellen, dass der Major ein Faible für Helen hatte. Sie war doch noch viel zu jung. Wie alt mag sie gewesen sein?“

„Damals war sie siebzehn“, antwortete Katherine.

„Wie schrecklich, dass sie so früh verstorben ist“, fuhr Lavinia ernst fort. „Sie soll ihrer Mutter Hermione sehr ähnlich gewesen sein, die eine reizende, allerdings auch etwas weltfremde und arg einfältige Person war.“

Bis jetzt hatte Katherine nie daran gedacht, Helen könne für ihr Alter nicht reif genug gewesen sein. Zurückblickend erkannte sie indes, dass ihre Freundin tatsächlich ziemlich wirklichkeitsfern und etwas verstiegen gewesen war. Möglicherweise hatte Helen es sich nur eingeredet, dass der damalige Captain Ross ihr gut war. „Von ihr abgesehen hat der Major auch mit einer jungen Witwe getändelt“, sagte sie boshaft.

„Warum hätte er das nicht tun sollen?“, wunderte sich Lavinia. „Schließlich kann er zu der Zeit höchstens Anfang zwanzig gewesen sein. Ich bezweifle jedoch, dass er ernste Absichten mit dieser Frau verbunden hat. In diesem Alter sind Männer nicht bereit, sesshaft zu werden. Im Übrigen wäre es verständlich, dass er sich ablenken wollte, nach der Enttäuschung, die Miss Melrose ihm bereitet hatte. Beim Ball habe ich mich ausführlich mit ihm unterhalten und den Eindruck gewonnen, dass er erst jetzt entschlossen ist, eine Familie zu gründen. Und da er sehr vermögend ist, wird es ihm nicht schwerfallen, eine Frau zu finden, die er heiraten möchte.“

„Ich halte es zwar für unwahrscheinlich, dass er je den Titel erben wird“, warf Caroline ein, „aber nicht für ausgeschlossen, ihn eines Tages mit der Witwe seines Vetters vermählt zu wissen.“

Katherines Interesse an der Unterhaltung erlahmte, da sie nie verliebt gewesen war und sich daher nicht in die Nöte des Majors versetzen konnte. Zudem war sie nicht so schwärmerisch veranlagt wie die Cousine. „Ich hoffe, das Wetter bessert sich morgen“, sagte sie, um das Thema zu wechseln. „Ich fände es schrecklich, bei strömendem Regen nach Bath zurückfahren zu müssen.“

„Mir wäre es lieber, du bliebest noch eine Weile, Katherine“, erwiderte Caroline ehrlich. „Können wir dich nicht dazu überreden?“

„Ich würde meinen Aufenthalt gern um einige Tage verlängern, hätte dann jedoch Miss Mountjoy gegenüber ein schlechtes Gewissen“, gestand Katherine. „Sie ist schon zwei Wochen allein.“

„Es war äußerst schäbig von Tante Augusta, dich mit dieser dummen Person zu belasten“, meinte Lavinia kopfschüttelnd. „Sie hätte die Aufgabe, für dich da zu sein, aber ich bin überzeugt, dass du dich um sie kümmern musst. Was soll man von einer Gesellschafterin halten, die sich aus Angst, ihr könne übel werden, nicht dazu überwinden kann, mehr als zwei, drei Meilen in einer Kutsche zu fahren?“

„Oh, mir tut es nicht leid, Tante Lavinia, dass sie mich auf Reisen nicht begleitet“, antwortete Katherine trocken. „Sie geht mir oft auf die Nerven, weil sie wirklich sehr töricht ist. Andererseits muss ich zugeben, dass sie sich nach Kräften bemüht, mir alles recht zu machen. Und deshalb würde ich das Großtante Augusta gegebene Versprechen nie brechen und mich von Miss Mountjoy trennen. Die Ärmste hat zwanzig Jahre lang Großtante Augustas Launen ertragen und meiner Ansicht nach jetzt eine ruhige Zeit verdient. Ich erwarte nicht zu viel von ihr, sodass sie mehr oder weniger tun kann, was ihr beliebt.“ Katherine klappte das Buch zu und legte es auf den Lesetisch. „Zugegeben, ich hätte nichts dagegen, wenn sie von sich aus den Dienst quittieren würde“, setzte sie seufzend hinzu. „Dann könnte ich jemanden meiner Wahl einstellen.“

„Ich wage zu bezweifeln, dass Miss Mountjoy sich eine andere Stelle sucht“, äußerte Lavinia stirnrunzelnd. „Bei dir hat sie ein viel zu angenehmes Leben.“

„Das mag sein“, räumte Katherine ein. „Dennoch besteht die Möglichkeit, dass sie den Posten bei mir aufgibt, weil sie vor ungefähr einem Monat von ihrer verwitweten Schwester gebeten wurde, bei ihr zu wohnen.“

„Würdest du hier leben, wärst du nicht auf eine Anstandsdame angewiesen“, hielt Lavinia der Nichte vor.

Katherine hatte sich bereits gefragt, wie lange es noch dauern würde, bis die Sprache wieder auf diesen leidigen Punkt kam. Zu oft war sie schon von der Tante aufgefordert worden, zu ihr zu ziehen, und einer verbindlichen Stellungnahme stets ausgewichen. Sie hatte nichts dagegen, hier zu leben, da sie ihre Verwandten mochte, und auch nicht um ihre Selbstständigkeit fürchten musste. Die Tante war sehr umgänglich und hätte ihr gewiss keine Vorschriften gemacht. Der Grund, so eigenartig er auch sein mochte, war, dass es ihr widerstrebte, bei ihren Angehörigen zu wohnen, weil sie sich davor ängstigte, dann Unheil über sie zu bringen.

„Du hast recht, Tante Lavinia“, pflichtete sie ihr bei und lächelte sie herzlich an. „Indes möchte ich dir nicht zumuten, Miss Mountjoy ertragen zu müssen. Selbst wenn ich Glück hätte und sie dazu überreden könnte, das Angebot ihrer Schwester anzunehmen, bliebe noch meine Zofe zu berücksichtigen. Ich würde nie imstande sein, sie zu bewegen, mich zu verlassen, und habe mich damit abgefunden, sie behalten zu müssen. Sie hat ein derart bestimmendes Wesen und ist so eigenmächtig, dass sie, wäre sie auf Dauer hier, in kürzester Zeit damit anfinge, deine Dienstboten herumzukommandieren, die sich das verständlicherweise nicht gefallen lassen und bei erstbester Gelegenheit die Flucht ergreifen würden.“

„Oh, ich kenne sie zur Genüge und weiß, dass sie sich hin und wieder arg im Ton vergreift“, erwiderte Lavinia auflachend. „Trotzdem bin ich froh, dass sie bei dir geblieben ist und … Herein!“, rief sie, weil jemand an die Tür geklopft hatte.

Meldrew betrat den Raum, ging zu Miss O’Malley und hielt ihr mit einer Verbeugung das Silbertablett hin. „Dieser Brief wurde soeben für Sie abgegeben, Madam“, verkündete er. „Der Überbringer ist gehalten, auf Antwort zu warten.“

Überrascht nahm die das Couvert an sich, riss es auf und zog das Billett heraus. Rasch las sie die kurze Mitteilung und rief dann erstaunt aus: „Sir Giles Osborne und seine Schwester bitten mich heute um drei Uhr zu sich! Hast du für den Nachmittag schon etwas vor, Tante Lavinia?“

„Bin ich ebenfalls eingeladen?“

„Nein, du wirst in dem Schreiben nicht erwähnt.“

„Das beruhigt mich“, gestand Lavinia, ohne gekränkt zu sein. „Isabelle will nämlich zu Besuch kommen. So bleibt mir die unangenehme Aufgabe erspart, Sir Giles absagen zu müssen.“

Katherine blickte zur Cousine hinüber und zog aus deren verstimmter Miene den Schluss, dass Caroline sich keineswegs darauf freute, ihre zukünftige Schwiegermutter zu sehen. Sie bedauerte sie, fand jedoch, sie sei nicht wie Caroline genötigt, die Gesellschaft der Baronin ertragen zu müssen. „Würde es dich stören, Tante Lavinia, wenn ich die Einladung annehme?“, erkundigte sie sich höflich. „Sir Giles hat einen sehr guten Eindruck auf mich gemacht. Ich finde ihn intelligent und mag seinen trockenen Humor.“

„Natürlich habe ich nichts dagegen“, antwortete Lavinia. „Richten Sie dem Boten aus, Meldrew“, wandte sie sich dann an den Butler, „dass meine Nichte kommen wird.“

„Sehr wohl, Madam“, erwiderte er und zog sich zurück.

„Du musst wirklich eine nachhaltige Wirkung auf Sir Giles ausüben“, bemerkte Caroline amüsiert. „Im Allgemeinen lebt er sehr zurückgezogen und hat nicht oft Gäste.“

„Das entspricht nicht der Wahrheit“, entgegnete Lavinia. „Erst seit dem Tod seiner Frau und seines jüngeren Sohns ist er nicht mehr so gesellig, wie er das früher war. Im Übrigen hält er sich aufgrund seiner Regierungstätigkeit oft in London auf.“

„Ich habe nie durchschaut, was er eigentlich tut“, warf Caroline ein. „Ich glaube, nicht einmal Papa weiß das genau.“

„Sir Giles hat sich nie präzis dazu geäußert“, sagte Lavinia. „Er hat lediglich einmal angedeutet, er arbeite für das Kriegsministerium. Ich kann mir jedoch nicht erklären, warum er sich nun, nachdem der Krieg beendet ist und Napoleon in der Verbannung auf Elba lebt, weiterhin so oft in London aufhält. Oh, da fällt mir ein, dass Henry gesagt hat, Sir Giles sei am Tag nach dem Verlobungsball mit dem Major nach London gefahren. Nun, wie dem auch sei, ich hoffe, du wirst einen angenehmen Nachmittag mit ihm und seiner Schwester verbringen.“

Katherine widerstand dem Drang, der Tante zu erwidern, sie zöge es vor, mit Miss Osborne Tee zu trinken, statt die schreckliche Lady Charlesworth erdulden zu müssen.

3. KAPITEL

Katherine war neugierig darauf zu wissen, wie der Gentleman lebte, dessen Gesellschaft sie beim Verlobungsball als sehr angenehm empfunden hatte. Als sie mit Miss Harlow nach Osborne House aufbrach, hatte der Regen aufgehört, und hin und wieder brach ein Sonnenstrahl durch die grauen Wolken. Missmutig dachte sie daran, dass sie seit dem Tod der Großtante, die ihr viele Freiheiten gelassen hatte, ständig Rücksicht auf die Konvention nehmen und, wenn sie Besucher empfing oder sich in die Öffentlichkeit begab, eine Anstandsdame bei sich haben musste. In den zwei Wochen, die sie nunmehr bei ihren Angehörigen weilte, hatte sie erkannt, dass man auf dem Land sehr viel zwangloser lebte. Sie hatte die Möglichkeit gehabt, allein im Park spazieren zu gehen, und selbst wenn man, wie beim Einkaufsbummel mit Caroline oder der Tante in der Stadt, von einer Zofe begleitet worden war, hatte diese sich stets diskret im Hintergrund gehalten, sodass man nicht den Eindruck gewinnen musste, beaufsichtigt zu werden.

Miss Mountjoy hingegen redete unaufhörlich, wenn Katherine sie in Bath irgendwohin mitnehmen musste, und fiel ihr mit ihrem dummen Geschwätz auf die Nerven. Manchmal hatte Katherine sich versucht gefühlt, sie anzuschreien, sie solle gefälligst den Mund halten, und war nahe davor gewesen, sie auf der Stelle zu entlassen. Lediglich das der Großtante gegebene Versprechen hatte sie von diesem drastischen Schritt abgehalten.

Und Miss Harlow musste sie ebenfalls zu der Einsicht bringen, dass sie keinen Aufpasser mehr brauchte, sondern eine junge, selbstbewusste Frau war, die gut auf sich achtgeben konnte. Gewillt, die Sache ein für alle Mal zu klären, stellte sie sich auf eine hitzige Diskussion ein und sagte unwirsch: „Mir ist wirklich nicht klar, Miss Harlow, warum Sie unbedingt mitfahren mussten.“

„Das gehört sich so, Madam“, erwiderte die Zofe steif.

„Kutscher und Lakai reichen vollkommen aus, um den Anstand zu wahren“, entgegnete Katherine ungehalten.

„Das mag sein“, räumte Bridget ein. „Aber weder der eine noch der andere hat daran gedacht, es Ihnen in der Kutsche gemütlich zu machen und Ihnen das Reiseplaid über dem Schoß auszubreiten. Ich habe Ihrer seligen Mutter auf ihrem Totenbett versprochen, mich stets um Sie zu kümmern, und werde nicht wortbrüchig! Ihr Wohlbefinden wird immer mein größtes Anliegen sein, Madam.“

Innerlich stöhnte Katherine auf. Im gleichen Moment kam die Berline vor dem Hauptportal von Osborne House zum Stehen. „Ich erwarte von Ihnen, Miss Harlow, dass Sie, wenn Sie im Haus sind, Ihre Zunge im Zaum halten und nichts äußern, das Sie und mich in ein schlechtes Licht setzt!“, erwiderte sie streng.

Pikiert schaute Bridget sie an und empfand es als unerhört, kritisiert zu werden. Da jedoch der Wagenschlag geöffnet wurde, enthielt sie sich einer bissigen Bemerkung, wartete, bis ein Bediensteter Miss O’Malley aus dem Fahrzeug geholfen hatte, und folgte ihr dann verärgert die Freitreppe hinauf.