Hit my Heart - Jeannine Molitor - E-Book

Hit my Heart E-Book

Jeannine Molitor

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Beschreibung

Wenn eine talentierte Eiskunstläuferin und der Star des Eishockeyteams aufeinandertreffen …
Die romantische Sports-Romance vor Kanadas magischer Winterlandschaft geht weiter

Chloé kann es nicht fassen. Um ihre vermasselten Semesterprüfungen nachzuholen, schickt sie ihr Vater ausgerechnet an eine Uni in Kanada – an den Ort, an dem sie die größte Niederlage ihrer Eiskunstlaufkarriere erfahren hat. Um seine Erwartungen zu erfüllen, versucht Chloé sich auf die Uni zu konzentrieren. Als sie sich endlich wieder auf das Eis wagt, wird sie ausgerechnet von Ryan, dem äußerst attraktiven Star der College-Eishockeymannschaft, dabei erwischt. Völlig unerwartet schlägt er ihr einen Deal vor: Er hilft ihr dabei, ihre Angst vor den Sprüngen zu überwinden, wenn sie ihren Vater dazu bringt, die Eishockeymannschaft mit einem Sponsoring zu unterstützen. Chloé stimmt dem Angebot zu, auch wenn sie die Konsequenzen noch nicht erahnen kann – und schon gar nicht die in Form der Schmetterlinge, die jedes Mal wie wild in ihrem Bauch flattern, wenn ein gewisser Eishockeyspieler mit meerblauen Augen sie anlächelt …

Weitere Titel dieser Reihe
Spin my Heart (ISBN: 9783986379650)

Erste Leser:innenstimmen
„Die Autorin verbindet die Welt des Eiskunstlaufs und des Eishockeys auf wundervolle Weise. Absolute Empfehlung!“
„Eine herzerwärmende Sports Romance über Selbstüberwindung und Liebe!“
„Die Kulisse der kanadischen Universität und der Eissport verleihen dem College-Liebesroman eine erfrischende Atmosphäre.“
„Die Chemie zwischen Chloé und Ryan ist elektrisierend. Eine New Adult Story, die zeigt, dass Unterstützung und Mut wahre Wunder bewirken können.“

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
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Seitenzahl: 476

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Über dieses E-Book

Chloé kann es nicht fassen. Um ihre vermasselten Semesterprüfungen nachzuholen, schickt sie ihr Vater ausgerechnet an eine Uni in Kanada – an den Ort, an dem sie die größte Niederlage ihrer Eiskunstlaufkarriere erfahren hat. Um seine Erwartungen zu erfüllen, versucht Chloé sich auf die Uni zu konzentrieren. Als sie sich endlich wieder auf das Eis wagt, wird sie ausgerechnet von Ryan, dem äußerst attraktiven Star der College-Eishockeymannschaft, dabei erwischt. Völlig unerwartet schlägt er ihr einen Deal vor: Er hilft ihr dabei, ihre Angst vor den Sprüngen zu überwinden, wenn sie ihren Vater dazu bringt, die Eishockeymannschaft mit einem Sponsoring zu unterstützen. Chloé stimmt dem Angebot zu, auch wenn sie die Konsequenzen noch nicht erahnen kann – und schon gar nicht die in Form der Schmetterlinge, die jedes Mal wie wild in ihrem Bauch flattern, wenn ein gewisser Eishockeyspieler mit meerblauen Augen sie anlächelt …

Impressum

Erstausgabe September 2023

Copyright © 2024 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-98778-321-0 Taschenbuch-ISBN: 978-3-98778-604-4

Covergestaltung: Anne Gebhardt unter Verwendung von Motiven von depositphotos.com: © [email protected], © kchungtw, © ellysonn depositphotos.com: © bruno135, © tomert stock.adobe.com: © Sky Masterson, © Viorel Sima Lektorat: Daniela Guse

E-Book-Version 18.03.2024, 08:21:38.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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Hit my Heart

Für meinen Patenonkel Marcel. Ohne dich wäre ich nicht der Mensch, der ich heute bin.

Prolog: Chloé

»Das kann nicht dein verdammter Ernst sein!« Meine Stimme hallt unheimlich laut durch das Esszimmer, das zu groß für Papa und mich allein ist. Ich kann nicht fassen, was er gesagt hat, und schaffe es nur noch, ihn aus weit aufgerissenen Augen anzusehen.

»Achte auf deinen Ton, Chloé.« Er wirft mir einen mahnenden Blick zu, den ich nur zu gut kenne. Damit schafft er es nicht mehr, mich einschüchtern. Aber mit seiner Aufforderung sieht es anders aus. »Ich müsste diesen Weg nicht wählen, wenn du deine Prüfungen nicht in den Sand gesetzt hättest.« Papa reibt sich über die Stirn, als würde ich ihm Kopfschmerzen verursachen.

Ich beiße mir auf die Unterlippe und weiche seinem vorwurfsvollen Blick aus. Damit hat er nicht unrecht. Mir war schon beim Verlassen des Raums klar, dass ich diese Prüfung nicht bestehen würde und dieses beschissene Gefühl hat sich wenige Wochen später bestätigt. »Und als wäre das noch nicht schlimm genug, willst du mich jetzt auch noch wegschicken.«

»Nun hör aber auf alles zu überdramatisieren. Ich habe dir nur einen Vorschlag gemacht. So hast du die Chance, über den Winter an einem Programm teilzunehmen und den fehlenden Stoff aufzuholen. Damit könntest du deine Semesterprüfungen in der Hälfte der Zeit nachholen.«

Ich kann mir ein trockenes Auflachen nicht verkneifen. »Du nennst das also einen Vorschlag?« Mir ist bewusst, dass ich mich mit den folgenden Worten auf dünnem Eis bewege. Aber mit jeder Sekunde, die verstreicht, verliere ich weiter meine Geduld. »Weißt du, wie ich das nenne? Du setzt mir die Pistole auf die Brust! Ausgerechnet Kanada! Von allen gottverdammten Ländern auf dieser Welt muss es ausgerechnet Kanada sein?«

Damit habe ich eine Grenze überschritten. Papa schlägt mit der flachen Hand auf den Tisch, wodurch die darauf stehende Vase gefährlich ins Wanken gerät und ich bei dem Krach zusammenzucke. »Ich warne dich ein letztes Mal, Chloé. Pass auf, wie du mit mir sprichst«, sagt er mit bedrohlich ruhiger Stimme, die er auch bei wichtigen Geschäften einsetzt, um sein Gegenüber einzuschüchtern. »Du hast deine Chance bekommen und sie nicht genutzt. Als dein Vater liegt es auch in meiner Verantwortung dafür zu sorgen, dass du dein Studium nicht vollkommen wegwirfst. Wir wissen beide, dass das nicht das erste Mal der Fall ist, aber nun sind wir an einem Wendepunkt angekommen. Diese Diskussion hat keinen Zweck. Es gibt nur zwei Möglichkeiten für dich: Du wiederholst das Semester komplett oder du nimmst diese einmalige Chance an, nach Kanada zu fliegen und die Prüfung nachzuholen. Es sei denn, du möchtest ohne Abschluss in der Firma einsteigen.«

Genau das werde ich mit Sicherheit nicht tun. Das Knirschen meiner Zähne ist deutlich zu hören und füllt die unangenehme Stille zwischen uns. Papa und ich fechten ein Blickduell aus, doch während er dabei völlig gefasst wirkt, habe ich das Gefühl, dass mir der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Ich falle und falle und erst, als ich ergeben nicke und den Blick auf die makellose Tischplatte richte, spüre ich den Aufprall im ganzen Körper.

»Ich wusste, dass du mir früher oder später zustimmen wirst.« Papas Hand greift über den Tisch hinweg nach meiner und drückt sie kurz, doch darin liegt keine Wärme. Im Gegenteil würde ich sie ihm am liebsten entziehen. Dafür fehlt mir in diesem Augenblick aber die Kraft. Genauso wie für weitere Widerworte oder den Zwischenruf, dass ich ihm definitiv nicht zustimme, sondern mich eher gezwungenermaßen geschlagen gebe. Wie ich es hasse, wenn er mich vor vollendete Tatsachen stellt und ich nicht die geringste Chance habe, mich dagegen zu wehren.

»Vielleicht findest du dort auch ein paar neue Freunde.« Papa fängt meinen Blick aus schmalen Augen auf, worauf sich seiner wandelt und verschlossen wird. Das ist ein Thema über das ich definitiv nicht sprechen will und das spürt er auch.

Er lässt meine Hand blitzschnell los, als hätte er sich daran verbrannt. »Ich muss gehen«, sagt er im Aufstehen und verlässt das Esszimmer. Als wäre ich sein vierzehn Uhr Termin, den er erfolgreich abgeschlossen hat, und nun kann er sich dem Nächsten widmen. Sein Verlassen macht den Raum unfassbar leer. Zuvor hat er ihn mit seiner Präsenz gefüllt, doch jetzt komme ich mir darin winzig und unbedeutend vor.

Ich kauere mich auf dem Stuhl zusammen und starre an die weiße Wand gegenüber. Alles hier ist weiß und grau. Die Wände, die Kissen und selbst der Blume in der Vase wurde alle Farbe entzogen. Genauso fühle ich mich innerlich: Komplett farblos. Automatisch wandern meine Gedanken zurück zu unserem Gespräch. Papas harte Worte klingen in meinen Ohren nach, als hätten sie sich wie ein verdammter Parasit darin festgesetzt. Ein Parasit, der ein Tonband bei sich und Freude daran hat, mich ununterbrochen damit zu quälen.

Nach meinem Abitur hatte ich keine Ahnung, was ich machen soll. Bis auf das Eiskunstlaufen haben immer meine Eltern bestimmt, was mein nächster Schritt ist. Aber mit der Volljährigkeit und dem Abschluss in der Tasche wurde auf einmal von mir erwartet, dass ich weiß, was ich in Zukunft mit meinem Leben anfangen will. Doch woher sollte ich das wissen? Außer dem Eiskunstlaufen gab es nie etwas, das mich wirklich interessierte, geschweige denn komplett begeistern konnte.

Daher war ich damals fast dankbar, als Papa Wirtschaft als Hauptfach vorschlug und mir damit die Entscheidung abnahm, die mir fast unmöglich vorkam. Zumindest war ich das bis ich gemerkt habe, wie schwer es mir fällt. So schwer, dass ich die Prüfungen verhauen habe und wiederholen muss.

Kanada. Warum muss es ausgerechnet Kanada sein? Papa weiß genau, was ich damit verbinde, was vor einem knappen Jahr dort passiert ist. Wie auf Knopfdruck werde ich zurück in die Vergangenheit katapultiert. Mein Flug nach Halifax kommt mir in den Sinn. Wie froh ich darüber war, endlich einmal wieder an einem großen Wettbewerb teilzunehmen. Aber sobald wir gelandet waren, ist alles schiefgelaufen.

Das Schlimmste war nicht der verpeilte Taxifahrer oder die nicht fertig zurechtgemachte Suite im Hotel. Es war der Vorfall beim Wettkampf selbst. Eiskunstlauf ist so wunderschön, wie er unerbittlich sein kann. Eine falsche Bewegung, ein unsauber ausgeführter Sprung bedeutet oftmals schon das bittere Ende. Oder in meinem Fall eine eifersüchtige Freundin, die meine Schlittschuhe manipuliert hat und damit dafür verantwortlich war, dass es mich ziemlich übel aufs Eis gelegt hat.

Der Schlüsselbeinbruch ist zwar längst wieder verheilt, aber in meinem Kopf sieht es anders aus. Dabei habe ich es geliebt auf dem Eis zu stehen. Ich konnte es immer kaum erwarten, an Wettkämpfen teilzunehmen und mein Können unter Beweis zu stellen. Die WM-Qualifikation in Kanada sollte meine große Chance sein – und ausgerechnet dort wurde mir die Liebe zum Eislaufen beinahe schon gewaltsam entrissen.

Ich schiebe die Bilder immer so weit wie möglich von mir, doch seit Papa zum ersten Mal von Kanada gesprochen hat, sprießen die Erinnerungen in meinem Kopf wie wilde Pilze aus dem Boden und ich kann mich nicht dagegen wehren. Immer wieder spüre ich, wie meine Schlittschuhe unter mir nachgeben. Wie das Eis näherkommt – und dann ein explodierender Schmerz in meiner Schulter. Ich schüttle den Kopf, um die Bilder loszuwerden.

Ohne es bemerkt zu haben, habe ich die Hände fest ineinander verschränkt, um sie vom Zittern abzuhalten. Seit diesem Vorfall habe ich mich kaum noch aufs Eis gewagt, aber das kam Papa recht. Zumindest bis ihm klar wurde, dass das hinsichtlich meiner Noten im Studium eher keine Verbesserung bringt und ich mich noch mehr zurückziehe.

Ich hasse mich selbst für diese verdammte Schwäche, seither kaum auf dem Eis gestanden zu haben. Heißt es nicht, dass ein Reiter, der gefallen ist, sofort wieder in den Sattel steigen sollte? Ich kenne mich nicht unbedingt mit Pferden aus, aber um die Metapher weiterzuführen: Ich schaffe es im Augenblick nicht einmal, diesen verdammten Gaul zu satteln, geschweige denn aufzusteigen. Zwar hat meine Trainerin mir ihre Hilfe angeboten, aber ich habe mit der Begründung, mich auf mein Studium konzentrieren zu müssen, abgelehnt. So viel also zu diesem Thema. Nun habe ich weder das eine noch das andere geschafft. Wirklich starke Leistung.

Genug!, unterbreche ich meine durcheinanderwirbelnden Gedanken und schiebe sie in das hinterste, dunkelste Eck in meinem Gehirn. Schnell stehe ich auf und verlasse den stillen Raum, um nach oben in mein Zimmer zu gehen. Das Bunt darin, das in krassem Kontrast zu dem Weiß-Grau des restlichen Hauses steht, zaubert mir ein zumindest kleines Lächeln ins Gesicht. Ich lasse mich auf das Bett fallen und fahre mit den Fingerspitzen über den farbenfrohen Überwurf, den ich selbst gestrickt habe. Wie von allein wandern meine Finger weiter bis zum Nachtkästchen, von dem ich meine Guerilla-Stricknadeln mitsamt der knallgelben Wolle und dem angefangenen Strickdeckchen herunternehme.

Ich setze mich auf und lehne mich mit dem Rücken gegen die Kissen. Kurz betrachte ich das Strickmuster und beschließe, ein paar Reihen mit dieser Wolle weiterzumachen, bevor ich eine andere Farbe auswähle.

Wenn mich nach so einem aufwühlenden Gespräch etwas wieder beruhigen kann, dann sind es die gewohnten Bewegungen und das leise Klackern der Stricknadeln. Es ist ein so vertrautes Gefühl, dass ich mich innerhalb weniger Minuten gelöster fühle, wenn auch nicht komplett entspannt. Aber das habe ich ohnehin nicht erwartet. Diese Restanspannung ist mein ständiger Begleiter und ich kenne sie nur zu gut. Sie ruht immer unter der Oberfläche und springt ans Tageslicht, wenn ich sie am wenigsten brauchen kann.

Erst als es langsam dunkel um mich herum wird und ich das Muster kaum noch erkenne, sehe ich wieder von meiner Arbeit auf. Das Licht des Mondes fällt auf meinen weißen Hochglanzschreibtisch, den ich mit einem regenbogenfarbigen Guerilla-Muster überdeckt und damit etwas Farbe verliehen habe. Darauf liegen immer noch meine Lernsachen und ganz oben auf dem Stapel der Zettel, der mich erst in diese beschissene Lage gebracht hat: die Prüfungsergebnisse.

Ich lege die Strickarbeit zur Seite und gehe wie ferngesteuert auf den Schreibtisch zu, als würde ich davon magisch angezogen werden. Meine Hand greift nach dem Blatt Papier, das einfach so über meine Zukunft entscheidet, als hätte es die Macht dazu. Als könnte ich es nicht zerreißen, in das Feuer einer Kerze halten und damit auslöschen. Es ist nicht das erste Mal, dass ich darüber nachdenke, aber das würde mir nur einen kurzen inneren Frieden verschaffen, bis die Realität mich wieder einholt. Denn diese beschissenen Ergebnisse stehen auch dann fest, wenn ich sie nicht mehr schwarz auf weiß in der Hand halte.

Ohne einen Blick darauf zu werfen, lege ich das Blatt zurück auf den Tisch und zünde stattdessen die drei großen Kerzen an, die gleich einen beruhigenden Vanilleduft verströmen. Ich weiß leider auch so, was auf dem Papierbogen steht. Chloé Monet, geboren in Paris, ist so dumm, dass sie nicht nur durch eine, sondern gleich durch drei Prüfungen in ihrem Wirtschaftsstudium gefallen ist. Zwar stimmt der Wortlaut nicht, aber am Ende kommt es auf dasselbe raus: Ich reise schon in wenigen Tagen nach Kanada.

Papa hat ›seine Beziehungen spielen lassen‹, wie er gern betont und gesagt, dass es ein ›Privileg‹ ist, dass ich zu so einem späten Zeitpunkt überhaupt diese Chance bekomme, an diesem bescheuerten Winterprogramm teilzunehmen. »Normalerweise sind diese Plätze schon wenige Stunden nach den Prüfungen alle belegt. Du kannst wirklich von Glück sagen, dass es noch möglich war, dich dort unterzubringen«, höre ich seine Stimme in meinem Kopf und passend dazu taucht ein Bild seines eindringlichen Blickes auf.

Mit einem einzigen Wisch fege ich die Lektüren, Ordner und dieses verdammte Stück Papier von meinem Schreibtisch, die alle auf einem Stapel lagen und jetzt mit einem lauten Krachen auf dem Boden landen. Für den Bruchteil einer Sekunde durchflutet mich ein Gefühl von Zufriedenheit, doch die Wut nimmt rasch wieder überhand. Mein Atem geht schnell und das Herz in meiner Brust pocht so heftig, dass ich nur noch ein Rauschen in den Ohren höre.

Ich schließe die Augen und atme ein paar Mal tief durch, in dem Versuch mich zu beruhigen. Wenn ich jetzt die Fassung komplett verliere und Papa das mitbekommt, fühlt er sich nur bestätigt und diesen Gefallen werde ich ihm bestimmt nicht machen.

Papa hat mich gekonnt daran erinnert, was für mich auf dem Spiel steht. Sollte ich das Studium nicht schaffen, muss ich direkt in seiner Firma einsteigen. Denn ohne Abschluss würde ich keinen der qualifizierten Jobs ergattern, die er für mich vorsieht und die unserer Familie gerecht werden. Wenn ich die Prüfungen wieder nicht bestehe, werde ich nie eine Chance haben, aus dem ganzen Kreis auszubrechen. Ich werde für immer hier in Paris bleiben müssen. Bei meinen Eltern, für die ich nie genug bin. Na wenn das keine tollen Aussichten für die Zukunft sind.

Ich warte ein paar Augenblicke, bis sich Atmung und Herzschlag wieder normalisieren und bücke mich dann nach den Sachen, um sie vom Boden aufzusammeln und zurück auf den Schreibtisch zu verfrachten.

Sobald meine Hände nichts mehr zu tun haben, fühle ich mich in dem Zimmer wie verloren. Für einen Moment stehe ich noch so da und lasse meinen Blick durch den Raum schweifen. Bei der Einrichtung hatte ich damals praktisch kein Mitspracherecht. Mama dachte, genau zu wissen, was mir gefällt, und hat sich für ihr typisch farbloses Konzept entschieden. Weiße Hochglanzmöbel, grauer Teppich und Schreibtischstuhl und viel Glas, um den Raum größer wirken zu lassen. Aber das hätte er meiner Meinung nach nicht gebraucht.

Mir hat hier drin immer die persönliche Note gefehlt. Das kam erst, als ich das Guerilla-Stricken für mich entdeckt habe. Es hat eine Weile gedauert, bis ich den Bogen raus hatte, aber dann habe ich unermüdlich Topf- und Vasenüberzieher, Tischdeckchen und Kissenbezüge in den leuchtendsten Farben selbstgemacht. Seitdem fühle ich mich in dem Zimmer um einiges wohler. Wenn Mama weniger Zeit im Flieger und mehr zu Hause verbringen und sehen würde, dass ich selbst für die Vase mit ihren geliebten weißen Orchideen einen knallbunten Überwurf gestrickt habe, würde sie wieder einen halben Herzinfarkt kriegen. Bei dem Gedanken daran, wie entsetzt sie beim letzten Mal dreingeschaut hat, kann ich mir ein Grinsen nicht verkneifen.

Mein Blick wandert weiter zum Fenster, durch das das Mondlicht immer heller dringt und beschließe, noch ein wenig hinauszugehen. Die frische Luft wird mir guttun und meinen Kopf frei blasen. Also greife ich kurzerhand nach meiner Jacke, die über dem Schreibtischstuhl hängt, und verlasse das Zimmer.

Auf dem Weg nach unten begegne ich keiner Menschenseele. Papa ist mit ziemlicher Sicherheit in seinem Büro oder bei irgendeinem geschäftlichen Termin und die Angestellten, die sich hier im Haus um das Kochen, Putzen und den Garten kümmern, haben Feierabend und sind nach Hause gefahren. Manchmal erwische ich mich dabei, wie ich ihnen ein wenig neidisch hinterhersehe und hoffe, dass irgendwann doch noch eine andere Familie durch die Tür tritt und sagt, dass ich nicht hierher, sondern zu ihnen gehöre. Aber ich schätze, dass das nach zwanzig Jahren nicht mehr passieren wird und ich mit den Menschen um mich herum vorliebnehmen muss. Auch wenn sie so gut wie nie da sind.

Ich nehme den Haustürschlüssel aus der Schublade des Sideboards, ziehe meine Schuhe an und trete hinaus. Tief sauge ich mit geschlossenen Augen die Luft ein und genieße den kühlen Wind, der über meine erhitzte Haut streicht, als würde er versuchen, mir zu sagen, dass alles wieder gut wird.

Ich folge dem schmalen Weg hinunter zum Tor, das sich mit einem leisen Quietschen öffnet. Um später hereinzukommen, brauche ich den Schlüssel und einen Code. Einmal bin ich mitten in der Nacht von einer Party zurückgekommen und mir fiel die Zahlenabfolge nicht mehr ein. Meine Eltern waren dermaßen sauer, als sie durch die Alarmanlage aus dem Schlaf gerissen wurden.

Das gehört leider nur zu einem von zahlreichen blamablen Erlebnissen der letzten Jahre. Jedenfalls hatte es mir drei Wochen Hausarrest eingehandelt, die ich in buntem Protest verbracht habe. Für alles, was irgendwie beweglich war, habe ich Überwürfe und Decken in so krassen Farben gestrickt, dass sie schon fast in den Augen wehtaten. Mama hat das so in den Wahnsinn getrieben, dass sie die Sache mit dem Hausarrest schnell wieder vergaß und mich freiwillig gehen ließ. In diesem Moment habe ich ein ziemliches Triumphgefühl empfunden. Es war ein kleiner Sieg, aber ein Sieg.

In letzter Zeit gehöre ich dafür eher zur Loser-Nation. Oder wie dieser Nerd aus meinem Studiengang sagen würde: Das Glück ist mir nicht hold. Ich stolpere von einer beschissenen Situation in die Nächste und immer wenn ich denke, ich hätte mir die Kacke endlich von den Sohlen streifen können, hat der nächste Hund einen Haufen auf meinen Weg gesetzt. Zack, wieder Scheiße an der Ferse.

Ich wandere durch die Straßen von Paris, die nur noch von den Laternen und vorbeifahrenden Autos erhellt werden. Es ist beruhigend zu wissen, dass hier immer etwas los ist. Egal zu welcher Uhrzeit, du kannst dich darauf verlassen, dass es andere nächtliche Wanderer gibt, die sich vom Mondlicht nach draußen locken lassen. Oder wie ich versuchen, auf andere Gedanken zu kommen.

Die Türme der Notre Dame tauchen auf und erst in diesem Moment wird mir klar, wie lang ich schon unterwegs bin. Von unserem Haus sind es gute zwanzig Minuten bis hierher. Trotzdem nehme ich mir die Zeit und setze mich auf eine der Bänke vor der Kathedrale, die von den Straßenlaternen sanft beleuchtet werden. Der Anblick der Kirche hat etwas Beruhigendes an sich. Egal, wie oft ich hierherkomme, in ihrer Fassade entdecke ich immer wieder neue Dinge.

Stumm betrachte ich sie, lasse mich von der Stille einnehmen und genieße das heimelige Licht des Mondes. Die Nacht hatte schon immer eine gewisse Anziehungskraft auf mich – zum Leidwesen meiner Eltern. Unzählige Male habe ich mich aus dem Haus gestohlen, um durch die Pariser Straßen zu schlendern und mir den Kopf frei blasen zu lassen. In diesen Momenten kann ich am besten nachdenken, aber vor allem brauche ich mich nicht zu verstellen.

Manchmal kommt mir das Licht der Sonne wie ein Rampenlicht vor, in das ich ohne meine Zustimmung geschoben werde. Als würde ich dann auf der Bühne stehen und eine Rolle spielen müssen, der ich nie gerecht werde. Der Druck fühlt sich so heftig an, dass ich glaube, er würde sich um meine Brust legen und zudrücken, sodass ich keine Luft mehr bekomme. In der Dunkelheit ist es nicht so. Sie gibt Anonymität. Ich muss nicht Chloé Monet sein, wenn ich das nicht will. Ich kann irgendeine junge Frau sein, die einen Spaziergang macht, ohne dass irgendjemand näher darüber nachdenkt. Hier schrumpft der Druck auf einen erträgliches Maß.

Doch diese kurzen Auszeiten haben auch eine Schattenseite. Sie verdeutlichen all das, was ich nicht haben kann. Es ist wie in einem verkehrten Märchen, in dem die Prinzessin verflucht ist: Bei Nacht darf sie ihr wahres Gesicht zeigen und am Tag wird sie zu einem Monster oder zumindest zu einer Marionette, die dazu gezwungen wird zu tun, was ihr gesagt wird. Was würde ich dafür geben, diese Fäden durchschneiden und herausfinden zu können, wer ich wirklich bin und was ich will. Im Moment weiß ich nicht einmal, wie viel echte Chloé in mir steckt.

Wenige Meter entfernt von mir taucht ein Pärchen im Licht der Straßenlaternen auf. Sie halten Händchen, haben nur Augen füreinander und scheinen überhaupt nichts von dem Drumherum mitzubekommen. Als die junge Frau die Arme um den Nacken des Mannes legt, um ihn überschwänglich zu küssen, wende ich den Blick ruckartig wieder ab.

Paris. Die Stadt der Liebe. Jedes Mal, wenn ich das höre, würde ich am liebsten laut auflachen und gleichzeitig genervt die Augen verdrehen. Als wäre eine Stadt überhaupt dazu fähig, so was wie Liebe auszulösen oder einen glücklicher zu machen. Ich jedenfalls wohne schon mein ganzes Leben hier und spüre nicht den Hauch davon. Und selbst wenn ein einziger Ort das doch könnte, dann ist es ein allgemeiner Irrglaube, dass die Liebe alles besser machen kann.

Meine Gedanken wandern, wie so oft an diesem Tag, weiter bis nach Kanada. Ich habe geahnt, dass Papa die verhauenen Prüfungen nicht mit einem Nicken abtun und sagen würde ›Beim nächsten Versuch machst du es eben besser‹. Dann würde ich ihn ziemlich schlecht kennen. Aber ich habe nicht damit gerechnet, dass er mich über viertausend Kilometer Luftlinie wegschicken würde.

Vielleicht findest du dort ein paar neue Freunde, schießt mir der Satz durch den Kopf, den er zuletzt zu mir gesagt hat. Als hätte er nach dieser Hiobsbotschaft noch einmal nachtreten wollen, bevor er seinen großen Abgang hinlegt. Ich weiß selbst, dass ich in meinem Leben niemanden habe, den ich tatsächlich als Freund bezeichne. Als reiche Unternehmerstochter, die ›von Daddy alles bezahlt bekommt, wenn sie nur mit den Wimpern klimpert‹, war es in der Vergangenheit nicht immer leicht, wahre Freunde von falschen zu unterscheiden.

Am Verlust einer Freundin bin ich zumindest nicht unbeteiligt. Auch das hängt mit der Qualifikation zur Eiskunstlauf-Weltmeisterschaft im letzten Jahr zusammen, die komplett anders verlaufen ist, als ich es mir erhofft hatte. Sie hat mir gesagt, dass sie in diesen Typen verknallt war, und ich habe mich ihm trotzdem an den Hals geworfen. Keine Ahnung, warum ich das getan habe. Vielleicht wollte ich mir selbst beweisen, dass ich alles haben kann, ohne mich groß anzustrengen. Oder meine Macht demonstrieren. Was weiß ich? Jedenfalls hat es sie so rasend gemacht, dass sie meine Schlittschuhe manipuliert und damit meinen Sturz auf dem Eis zu verantworten hat. Vielleicht war sie doch nie wirklich eine Freundin. Gute Bekannte, die man auf dem Gang grüßt und mit denen man ein wenig Small Talk austauscht, sind aktuell das Höchste der Gefühle.

Ich ziehe die Jacke enger um mich, als der Wind darunter fährt und mich frösteln lässt. Erst jetzt bemerke ich, dass es hier draußen deutlich kälter geworden ist, als es noch vor ein paar Minuten war. Das werte ich als Zeichen, dass es an der Zeit ist, nach Hause zu gehen. In der Vergangenheit zu wühlen, bringt sowieso nichts. Das befördert nur die ganzen unschönen Dinge ans Tageslicht, von denen ich gehofft habe, sie tief genug verbuddelt zu haben, um nie wieder darüber nachdenken zu müssen. Aber nie wieder ist eine verdammt lange Zeit und wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, weiß ich, dass einen alles irgendwann einholt.

Kapitel 1: Chloé

Ich sehe aus dem Fenster und betrachte die Landschaft unter mir, die wie ein Miniatur-Wunderland aussieht. Sie gewinnt immer weiter an Größe, als das Flugzeug zum Sinkflug ansetzt. Obwohl ich weiß, dass es trotzdem noch gute zwanzig Minuten dauern wird, bis wir landen, packe ich mein Buch zurück in die Tasche und trinke einen Schluck aus der kleinen Wasserflasche, die mir die Stewardess gereicht hat.

Kaum zu fassen, dass ich jetzt tatsächlich hier drin sitze. Papa und ich haben in den letzten Tagen unzählige Male darüber gesprochen. Immer wieder habe ich versucht, ihn zu überzeugen, seine Meinung doch zu ändern, aber ich hatte nicht die geringste Chance. Inzwischen bekomme ich eine Ahnung davon, wie seine Geschäftspartner sich fühlen, wenn er mit ihnen verhandelt. Egal, in welcher Situation er ist, er spielt seine Karten immer so aus, als säße er am längeren Hebel. Und Mama hat sich am Telefon wie immer sofort auf seine Seite gestellt, ohne mir überhaupt richtig zuzuhören.

Ich greife nach meinen Stricknadeln, die auf dem leeren Sitzplatz rechts von mir liegen. Wenn ich schon dazu gezwungen werde, eine halbe Ewigkeit zu fliegen, dann will ich nicht auch noch irgendeinen Fremden neben mir sitzen haben. Zumindest das konnte ich aushandeln, was immerhin ein winzig kleiner Sieg war. Beim Start des Fluges habe ich mit einem neuen Muster angefangen und mir fest vorgenommen, es zu beenden, bevor ich lande, um es auf dem Sitz liegen zu lassen.

Meine Stricknadeln klappern, als ich mit fliegenden Fingern Masche um Masche in dem grasgrünen Ton stricke. Eine interessante Farbwahl im Vergleich zu den ansonsten eher knalligen Farben, aber manchmal brauche ich etwas, das zwischendurch Ruhe in das Muster hineinbringt.

Ein Rauschen ertönt in den Lautsprechern und in der nächsten Sekunde erklingt die Stimme einer Stewardess. »Sehr geehrte Damen und Herren, wir erreichen in Kürze den Flughafen Halifax in Kanada. Bitte legen Sie Ihre Gurte an. Vielen Dank, dass Sie sich für einen Flug mit unserer Airline entschieden haben. Wir wünschen Ihnen einen angenehmen Aufenthalt.« Dasselbe folgt noch einmal auf Französisch.

Ich unterbreche meine Strickarbeit nur, um rasch den Gurt anzulegen. Wahrscheinlich würde ich Ärger kriegen, wenn das Flugpersonal sieht, dass ich hier während der Landung mit Stricknadeln herumhantiere. Aber ich bin so im Flow, dass es jetzt unmöglich ist, aufzuhören.

Zufrieden betrachte ich mein Werk und packe die Nadeln weg, kurz bevor die Räder des Flugzeugs kanadischen Boden berühren. Gerade rechtzeitig, da wir doch recht unsanft landen. Wer weiß, ob ich mir die Stricknadeln dabei nicht versehentlich ins Fleisch gerammt hätte. Das wäre nicht unbedingt ein glorreicher Start in meinen zweiten Kanadabesuch gewesen, aber zumindest passend zum Ende des ersten.

Ich hieve mich von meinem Sitzplatz, was nach mehreren Stunden Flug gar nicht so einfach ist. Jedenfalls spüre ich eine Hälfte meines Pos kaum noch und in meinen Füßen kribbelt es unangenehm. Rasch lege ich das gehäkelte Deckchen auf den Sitz, bevor ich mein Handgepäck aus der Gepäckablage hole. Auf dem Gang drehe ich mich ein letztes Mal um und lächle, als ich den bunten Fleck in dem Meer aus blaubezogenen Sitzen sehe. Irgendwie ist es ein schönes Gefühl, etwas zurückzulassen, das zeigt, dass ich an diesem Ort war. Auch wenn es nur eine Kleinigkeit ist und direkt weggeworfen wird, sobald es jemand von der Crew sieht.

Ich folge dem Menschenstrom aus dem Flugzeug in das Gebäude. Es dauert eine kleine Ewigkeit, bis ich endlich meinen türkisfarbenen Koffer auf dem Gepäckband entdecke und unter lautem Ächzen herunterhebe. Es wäre so viel einfacher, wenn der Fahrer mich schon hier, anstatt in der Eingangshalle abholen könnte. Dann würde mir zumindest das Schleppen erspart bleiben.

Zu allem Überfluss lande ich in einer Routinekontrolle des Zolls und bin gezwungen, meinen Koffer in einem gesonderten Raum für die beiden Beamten zu öffnen. Mit Einweghandschuhen bewaffnet, wühlen sie sich durch meine Sachen. Der junge blonde Mann hält einen meiner knallpinken BHs nach oben, um darunter zu sehen, sodass ihn jeder im Raum genau betrachten kann. In diesem Moment wünsche ich mir nichts sehnlicher, als dass sich der Boden unter mir auftut und mich mit Haut und Haaren verschlingt.

»Haben Sie meine Unterwäsche jetzt lang genug wie ein Reklameschild in die Luft gehalten?«

Er braucht einen Moment, um meine Worte zu begreifen. Doch dann wandert sein Blick von mir zu seiner erhobenen Hand und sein Gesicht läuft so knallrot an, dass ich befürchte, es würde gleich platzen. »Entschuldigung«, nuschelt er in seinen kaum vorhandenen Bart. Selbst seine Ohren haben eine rote Farbe angenommen und er legt den BH eilig zurück in meinen Koffer. Mit fahrigen Bewegungen schließt er ihn und klopft einmal mit der flachen Hand darauf. »Es ist alles in Ordnung. Sie können gehen.«

Ich versuche, mir ein zufriedenes Grinsen zu verkneifen, und halte stattdessen die ausdruckslose Miene aufrecht. Je schneller ich hier rauskomme, desto besser und das klappt eher, wenn ich den Zollbeamten nicht auslache.

»Sehr gut.« Die Worte verlassen meinen Mund schärfer als beabsichtigt.

Der junge Mann, dessen Gesicht wieder eine normale Farbe angenommen hat, holt tief Luft. Doch bevor er dazu kommt, etwas zu sagen, hieve ich den Koffer vom Tisch, ziehe den Griff heraus und laufe mit einem knappen »Einen schönen Tag noch!« davon.

Endlich schaffe ich es in die Eingangshalle, die sich in der Zwischenzeit schon geleert hat. Zumindest im Vergleich zu dem Andrang, der vermutlich noch vor einer Viertelstunde hier geherrscht hat. Ich halte Ausschau und entdecke einen Augenblick später einen Mann mittleren Alters mit einem Schild in der Hand, auf dem in krakeligen Lettern »Ms. Monet« steht. Mit langen Schritten gehe ich auf ihn zu.

»Miss Monet?«, spricht er mich an und grinst breit, wodurch eine Reihe gelbschwarzer Zähne zum Vorschein kommt.

Wie auf Kommando verziehe ich bei dem Anblick das Gesicht. »Ja«, antworte ich knapp und versuche, meinen Ausdruck in den Griff zu bekommen. Doch so ganz will es mir nicht gelingen, meine unbeteiligte Maske wieder aufzusetzen.

»Ich nehme Ihren Koffer und bringe Sie zum College.«

»Danke.« Ich überlasse ihm den Griff und folge ihm hinaus. Nach einem achtzehnstündigen Flug sehne ich mich nur noch nach einem Bett. Das Problem daran ist, dass es dafür eindeutig zu hell hier ist.

Der Fahrer scheint meinen Blick zu bemerken. »Keine Sorge, Miss. Es dauert nicht mehr lang, bis es dunkel werden wird.«

Ich werfe ihm darauf ein knappes Lächeln zu und auf dem Weg zum Wagen schreibe ich eine kurze Nachricht an Papa, dass ich gut gelandet bin und den Fahrer gefunden habe.

Den Großteil der Fahrt bestreiten wir schweigend. Ein paar Mal wäre ich beinahe eingenickt, doch wurde dann durch lautes Hupen oder das Holpern des Wagens auf der Straße wieder aus dem Halbschlaf gerissen.

»Wir sind gleich da«, unterbricht der Fahrer die Stille. Zuvor habe ich der Landschaft nur wenig Beachtung geschenkt. Aus dem Fenster gestarrt, ohne irgendetwas richtig wahrzunehmen. Aber jetzt werfe ich einen genaueren Blick nach draußen. Das Grün der Bäume ist dem eintönigen Grau der Häuser gewichen, das mich missmutig die Lippen zusammenpressen lässt. Zahlreich reihen sie sich so nah aneinander, als müssten sie sich gegenseitig stützen und die Wohngegenden nehmen ab, um Platz für größere Gebäude zu schaffen, die von weiten Arealen umgeben sind.

Wir kommen an einem Schild vorbei auf dem »University of South Royal« in großen Blockbuchstaben steht. Ab diesem Moment geht alles unheimlich schnell. Der Fahrer bringt mich nicht nur direkt vor das Verwaltungsgebäude, sondern versichert mir auch, dort auf mich zu warten, solange ich mich anmelde.

»Chloé Monet«, nenne ich dem Mann am Empfang nun schon zum dritten Mal meinen Namen. Er tippt so langsam auf die Tastatur seines veralteten PCs, dass er dem Faultier aus dem Disneyfilm Zoomania Konkurrenz macht. Wie das Kaninchen bin ich kurz davor auszuflippen, über den Tresen zu springen und meinen Namen selbst in die verdammten Tasten zu hauen.

Mehrmals balle ich meine Hände zu Fäusten und entspanne sie wieder, wie ich es in der Therapie gelernt habe, um Ruhe zu bewahren. Doch als er sich noch weiter vor den Bildschirm beugt, sodass seine Nase ihn fast berührt und dann in Zeitlupe seine runde Brille nach oben schiebt, ist es um meine Contenance geschehen. »Soll ich es Ihnen vielleicht buchstabieren? So schwer kann es ja nicht sein, die zehn Buchstaben zu tippen!«, fahre ich den Mann an und meine Stimme zittert vor Wut.

Er hebt ruckartig den Blick und sieht mich an, als hätte ich ihm eine Ohrfeige verpasst. Ich weiß, dass ich mich entschuldigen sollte, aber wie so oft hält mich etwas davon zurück. Sich zu entschuldigen, bedeutet einen Fehler, eine Schwäche zuzugeben. Und das wiederum ist der Anfang vom Ende. Außerdem sprechen aus mir die Müdigkeit und die Anspannung der letzten Stunden. Ich will einfach nur so schnell wie möglich in mein Zimmer und mich ins Bett legen. Ist das wirklich zu viel verlangt?

»Entschuldigen Sie, Miss.« Der Mann heftet seinen Blick wieder auf den Bildschirm und tippt ein paar letzte Daten in den PC ein. »Hier ist es. Sie sind im dritten Stock des Wohnheims untergebracht.« Er steht schwerfällig auf und macht sich an einem Schrank zu schaffen, aus dem er mehrere Papierbögen und einen Schlüssel hervorzieht und dann vor mir ablegt.

Ich greife nach den Sachen und presse sie an meine Brust, in der Hoffnung, damit endlich entlassen zu sein. »Danke. Kann ich gehen?« Die Ungeduld in meiner Stimme ist kaum zu überhören. Fast wie bei einem quengelnden Kind, das sein Eis möchte. Bei mir ist es nur ein verdammtes Bett, das mich jetzt wirklich glücklich machen würde.

Der Mann nickt und auf seinen Lippen liegt ein undurchsichtiges Lächeln. Ich wende mich ab und gehe auf die Tür zu. »Ihre Mitbewohnerin wird sich sicherlich freuen, dass Sie nun angekommen sind.«

Ruckartig drehe ich mich um. »Meine was?«

Er zuckt unter meiner lauten Stimme zusammen, hält sein Lächeln jedoch aufrecht, als würde er genau wissen, dass er mir mit den folgenden Worten eins auswischt. »Ihre Mitbewohnerin, Holly Turner. Sie ist ein wirklicher Sonnenschein.« Der Mann sieht gequält drein, als würde ihm das, was er als Nächstes sagt, körperliche Schmerzen bereiten. »Ich bin mir sicher, Sie beide werden sich hervorragend verstehen.«

Wenn ich nicht so geschockt von dieser Eröffnung wäre, würde ich jetzt mit den Augen rollen und davonlaufen. »Eine Mitbewohnerin? Das kann nicht sein! Ich bin mir sicher, mein Vater hat mir zumindest ein Einzelzimmer gebucht, wenn ich schon hier wohnen muss. Bestimmt ein Fehler der Verwaltung, sehen Sie bitte noch einmal nach.«

Die Lippen des Mannes kräuseln sich und er scheint sich diebisch darüber zu freuen, dass ich ihm in die Falle gehe, nachdem ich ihn vor ein paar Minuten angeschnauzt habe. »Gebucht? Wir sind hier doch kein Hotel! Jeder unserer Studenten bekommt von uns dieselben Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt. Damit sollten Sie sich wohl arrangieren.« Das Gespräch ist damit augenscheinlich für ihn beendet, denn der Mann wendet sich wieder seinem Papierkram zu und würdigt mich keines weiteren Blickes.

Fassungslos starre ich ihn ein paar weitere Sekunden an, glaube einfach nicht, dass ich von ihm in die Pfanne gehauen wurde. Doch er schenkt mir absolut keine Beachtung mehr, worauf ich unter leisem Fluchen den Raum verlasse und zurück zu dem Fahrer gehe, der vor dem Gebäude auf mich wartet.

»Alles in Ordnung, Miss?«

Ich ignoriere seine Frage und laufe an ihm vorbei. Mit einem Wink gebe ich ihm zu verstehen, mir zu folgen, und werfe nebenbei einen Blick auf das Papierchaos in meinen Händen. Zum Glück ist ein Campusplan dabei, denn ich wäre lieber zehn Kilometer in die falsche Richtung gelaufen, als noch einmal zurück in dieses Gebäude, und den Mann nach dem Weg zu fragen.

Nur leider stelle ich schnell fest, dass das Lesen von Plänen definitiv nicht zu meinen Stärken gehört. Ich bin mehr damit beschäftigt, das Ding in meiner Hand herumzudrehen und alle paar Meter anzuhalten und mich im Kreis zu drehen, als es tatsächlich zu lesen.

»Darf ich?« Der Fahrer taucht in meinem seitlichen Sichtfeld auf und streckt die freie Hand nach dem Campusplan aus, den ich ihm ohne ein Wort zu sagen überreiche. Ich bin echt zu müde, um mich da jetzt selbst durchzukämpfen.

Ich komme mir ein bisschen blöd vor, als wir nur fünf Minuten später vor dem grauen Betonklotz anhalten, der wohl für die nächsten zwölf Wochen mein zu Hause sein wird. Missmutig lasse ich meinen Blick an den zahlreichen Fenstern hinaufgleiten und bleibe an denen im dritten Stock hängen. Irgendeines davon gehört zu meinem Zimmer, wo ein Bett auf mich wartet. Allein dieser Gedanke beflügelt mich und gibt mir zumindest einen kleinen Kraftschub.

»Soll ich Ihnen den Koffer nach oben tragen?« Die Stimme des Fahrers in meinem Rücken reißt mich aus meiner Betrachtung und ich drehe mich um.

»Nein, das wird nicht nötig sein. Ich stelle ihn einfach in den Fahrstuhl.«

Die Augenbrauen des Fahrers wandern in die Höhe. »Sind Sie sicher? Das wäre kein Problem, ich könnte …«

»Wie schon gesagt. Nein, danke«, sage ich spitz, was er mit einem kurzen Nicken quittiert.

»Auf Wiedersehen, Miss.« Er übergibt mir den Griff des Koffers, dreht sich um und läuft davon. Fast als könnte er es kaum erwarten, so viel Abstand wie möglich zwischen uns zu bringen. Ich schüttle den Gedanken ab und betrete das Gebäude.

Der zweite Schock an diesem Tag lässt nicht auf sich warten: So lange ich auch in den Eingangsbereich starre, es will einfach kein Aufzug darin auftauchen. »Das darf jetzt nicht wahr sein.« Ich bin drauf und dran hinauszurennen und den Fahrer zurückzurufen, aber ich weiß, dass das absolut peinlich wäre, nachdem ich ihn so unwirsch davon geschickt habe. Also entscheide ich mich dafür, meinen überdimensionalen Koffer selbst die Treppen hinaufzuziehen.

Unter lautem Fluchen zerre ich an dem Griff und endlich rutschen die Rollen über die letzte Stufe. Erleichterung durchflutet mich, als ich vor der Tür mit der Nummer 314 zum Stehen komme. Ich stelle bestimmt einen schrecklichen Anblick dar, mit meinen in alle Himmelsrichtungen abstehenden Haaren und dem Schweiß, der auch aus Poren kommt, von denen ich bis zum heutigen Tag nicht einmal wusste, dass ich sie überhaupt habe.

Ich stecke den Schlüssel in das Schloss und betrete den Raum. Er ist noch kleiner, als ich befürchtet habe. An den beiden gegenüberliegenden Wänden stehen zwei schmale Betten. Eines davon ist mit einer langweiligen beige-weißen Wäsche bezogen, das andere ist noch frei. Zahlreiche Bücher sind in dem Regal meiner Mitbewohnerin zu sehen, die die bislang einzigen Farbpunkte im Raum sind. Selbst die beiden Schreibtische und Stühle sind in gedeckten Farben gehalten. Nicht einmal an der Wand hängen irgendwelche bunte Fotografien oder Bilderrahmen und ich frage mich sofort, wie langweilig dann erst meine Zimmergenossin sein würde.

Ich stelle meinen Koffer neben dem großen Kleiderschrank ab. Am liebsten würde ich mich sofort auf das Bett werfen und die Augen schließen, aber dafür muss es erst einmal bezogen werden. Rasch öffne ich den Reißverschluss und ziehe meine bunte Bettwäsche daraus hervor. Irgendwie verschafft es mir ein wenig Genugtuung damit endlich Farbe in diese sterile Hölle zu bringen und wie cool meine Seite des Zimmers erst aussehen wird, wenn ich sie verschönere. Ein Lächeln breitet sich bei diesem Gedanken auf meinem Gesicht aus, das mich zumindest für den Moment vergessen lässt, wo ich hier gelandet bin.

Kapitel 2: Chloé

»Hallo? Bist du tot?«

Viel zu helles Licht trifft erbarmungslos auf meine geschlossenen Lider. Die schrille Stimme, die ich nicht zuordnen kann, lässt meine Ohren klingeln. Ich brauche mehrere Versuche, um meine verklebten Augen zu öffnen, und als ich es endlich schaffe, springe ich fast vor Schreck aus dem Bett. Das Gesicht einer jungen Frau ist so nah vor meinem, dass ich jede einzelne Sommersprosse auf ihren Wangen zählen kann.

Wir knallen mit den Köpfen aneinander, worauf ich ein lautes Fluchen ausstoße. »Merde! Was soll das?«, frage ich sie und reibe mir dabei über die schmerzende Stirn. Das wird eine abartige Beule geben. Vielen Dank auch.

»Dasselbe könnte ich dich fragen. Du bist in meinem Zimmer.«

»Nur halbrichtig. Ist auch mein Zimmer«, nuschle ich und lehne mich gegen die Wand. Für meinen Geschmack ist das viel zu viel Konversation direkt nach dem Aufwachen. Normalerweise flöße ich mir erst mal zwei Tassen Kaffee ein, bevor ich überhaupt dazu in der Lage bin, einen klaren Gedanken zu fassen.

Sie stößt einen leisen Schrei aus und ich würde ihr dafür am liebsten den Hals umdrehen. Zu allem Überfluss wirft sie sich auf mich und schließt mich in die Arme. »Chloé? Das bist du doch oder? Dachte schon du kommst gar nicht mehr! Ich bin Holly. Du bist direkt vom Flughafen hierhergekommen, oder? Bin zwar echt voll gegen das Fliegen, aber von Frankreich kommst du wohl eher nicht mit dem Boot hierher. Du bist im Winterprogramm, oder?«

Unsanft schiebe ich sie von mir und bringe all meine Willenskraft auf, um sie nicht gleich aus dem Zimmer zu werfen. Ich schaffe es nicht einmal, alles aufzunehmen, was sie da eben gesagt hat.

»Ja, bin ich«, antworte ich kurzangebunden und hoffe, dass sie dadurch endlich versteht, dass ich meine Ruhe will. Doch weit gefehlt.

Holly setzt sich auf die Bettkante, als würden wir uns schon seit Jahren kennen und lächelt mich breit an. »Hast du Hunger oder Durst? Wann bist du eigentlich angekommen? Ich habe das gar nicht mitgekriegt. Dachte eigentlich, die Verwaltung würde mir Bescheid geben. Dann hätte ich dich abholen können. Also mit dem Bus. Ich habe keinen Autoführerschein, viel zu umweltschädlich. Genauso wie das Fliegen. Wir haben einmal vor dem Flughafen sogar demonstriert. War wahrscheinlich gar nicht so einfach das Wohnheim zu finden, oder?«

Perplex blinzle ich ein paar Mal. Keine Ahnung, welches Chaos in Hollys Kopf vorgeht, aber allein die Worte, die so ungefiltert und ohne erkennbare Reihenfolge aus ihrem Mund purzeln, verwirren mich komplett. In diesem Moment bin ich dem Mann aus der Verwaltung unheimlich dankbar dafür, sie nicht benachrichtigt zu haben. Keine Ahnung, wie ich das die nächsten zwölf Wochen aushalten soll. Ausgerechnet mit einer Quasselstrippe, die überhaupt keinen Sinn für Privatsphäre hat, teile ich mir das Zimmer. Das Universum hat wirklich einen schrägen Humor. »Hör mal. Ich habe einen Achtzehn-Stunden-Flug hinter mir und kann es nicht besonders leiden, einfach geweckt und dann vollgequasselt zu werden. Können wir den Small Talk vielleicht auf später verschieben?« Ich gebe mir Mühe, die Worte nicht so hart klingen zu lassen, wie ich sie am liebsten sagen würde. Ich muss mich einigermaßen gut mit ihr stellen und gleichzeitig direkt am Anfang Grenzen aufzeigen, sonst werden das noch schlimmere Wochen, als ich dachte.

Holly verliert ihr Lächeln für keine einzige Sekunde, beeilt sich dann aber, von meinem Bett aufzustehen und ein paar Schritte zurückzutreten. »Sorry, wusste gar nicht, dass der Flug so lang dauert. Bin noch nie geflogen. Zum Glück. Allein bei dem Gedanken an den CO2-Ausstoß krieg ich Ausschlag.« Ich reagiere nicht auf ihre Worte und mustere sie stattdessen zum ersten Mal genauer. Ihre blonden Korkenzieherlocken reichen ihr bis knapp über die Schultern. Sie trägt einen senfgelben Pullover und streicht sich in diesem Moment den olivgrünen Rock glatt. Das erste Wort, das mir durch den Kopf schießt, ist ›altbacken‹.

Da ich jetzt sowieso schon wach bin, kann ich auch aufstehen. Ich schlage den Comforter zurück und setze mich auf. »Kannst du mir sagen, wo ich hier einen brauchbaren Kaffee herbekomme? Ohne bin ich nach dem Aufwachen echt wie ein Zombie. Die lechzen nach Menschenfleisch und ich nach Koffein.«

»Ah, Kaffee-Junkie also. So wirklich weiß ich es nicht. Ich trinke lieber Tee, aber die Straße runter gibt es ein Café. Die haben inzwischen sogar alles als Fair Trade. Eigentlich kann es ja nur gut schmecken, wenn es nicht umweltschädlich ist, oder?« Selbst in ihren Worten schwingt die ganze Zeit das Lächeln mit. Meine schlechte Laune scheint einfach komplett an ihr abzuprallen. Oder sie bemerkt sie gar nicht.

Meine Lust mich jetzt im Bad frisch machen zu müssen, um in irgendein Café zu gehen, hält sich in Grenzen. »Du kannst mir nicht erzählen, dass es hier keine Küche gibt.«

»Doch.« Holly blinzelt mehrmals, während ich warte, dass sie weiterspricht. »Keine Ahnung, ob du da fündig wirst. Wird eher nicht so genutzt. Soll ich sie dir trotzdem zeigen?«

»Vielleicht lässt sich in den Schränken ja irgendwo zumindest ein Pulver finden.« Ich hätte mir selbst die Geschwindigkeit nicht zugetraut, aber wenige Sekunden später stehe ich an der Tür und warte auf sie. Zwar habe ich noch meinen Pyjama an, aber das ist in einer solchen Notfallsituation zweitrangig. »Kommst du?«, frage ich an Holly gewandt, als sie mich nur perplex ansieht, anstatt sich direkt in Bewegung zu setzen.

Endlich tritt sie neben mich und übernimmt die Führung. Ich folge ihr aus dem Zimmer, die Treppen hinunter ins Erdgeschoss und zu einem Gang, der in einen anderen Teil des Gebäudes führt. Die Farbe an der Wand ändert sich von weiß zu etwas, das einmal zitronengelb hat sein können, nun aber eher einem graugelb gleicht.

Wir folgen dem Gang bis zum Ende und treten rechts durch eine Tür, die wiederum in einen weiteren Flur führt. Mich beschleicht der Gedanke, dass wir niemals ankommen, und Holly versucht, mich so durcheinanderzubringen, dass ich im Gebäude verlorengehen und nicht mehr zurückkehren würde. Doch dann treten wir an eine Tür, durch die es deutlich nach Verbranntem riecht.

»Ah, hier müssen wir richtig sein«, sage ich tonlos und verdrehe die Augen.

Der Geruch wird schlimmer, als wir die Küche betreten. Ich habe noch nie etwas so Unappetitliches wie diesen Raum gesehen. Die einst weißen Fliesen sind von unbestimmbaren Flecken übersät, die mich gepaart mit dem Geruch fast würgen lassen.

Holly fängt meinen entgeisterten Blick auf und zuckt entschuldigend mit den Schultern. »Nach Partys werden hier oft Tiefkühlpizzen im Ofen vergessen. Ich weiß, sieht nicht appetitlich aus. Aber wir sind ja nur für Kaffee hier. Auch wenn es hier eher keine Fair Trade Bohnen gibt.«

Ich gehe darauf nicht näher ein und trete stattdessen auf die Küchenschränke zu. Hauptsache, ich bekomme endlich mein Koffein und kann hier so schnell wie möglich wieder raus. »Ich schau mich auf der Seite um, nimm du die andere.«

Wir machen uns sofort an die Arbeit. Meine Stimmung erreicht einen neuen Tiefpunkt, als ich an dem letzten Schrank ankomme und außer abgelaufenen Dosengerichten nichts gefunden habe. »Sag bitte, dass du fündig geworden bist.«

Im selben Moment dreht sie sich schwungvoll mit einer braunen Verpackung in der Hand um. »Nicht mehr viel. Reicht aber für zwei Tassen.«

Sofort stürze ich auf sie zu. Holly scheint zu erschrecken, denn sie weicht einen Schritt zurück, aber darauf kann ich gerade keine Rücksicht nehmen. Ich greife nach der Packung in ihrer Hand und halte sie an mich gedrückt, als wäre sie der Heilige Gral. »Gott sei Dank!«, stoße ich erleichtert hervor und sehe mich nach einem Wasserkocher um. Ein verkalktes Exemplar steht auf der Anrichte, das ich sofort mit Wasser fülle und anschalte.

»Wow, du hast das wirklich ernst gemeint.« Ich drehe mich zu Holly um und fange ihren Blick auf. »Vielleicht wäre der Umstieg auf Tee doch besser. Zumindest gesünder. Überleg es dir nochmal.« Wahrscheinlich wirke ich auf sie wie eine Koffeinsüchtige, aber das ist mir egal. Ich habe nicht vor mich mit ihr anzufreunden, daher gebe ich nicht viel auf das, was sie über mich denken könnte.

»Alles, was mit Kaffee zu tun hat, ist immer ernst gemeint. Merk dir das.«

Als ich endlich mit einer dampfenden Tasse wieder auf dem Bett sitze, geht es mir deutlich besser. Die ersten Schlucke sind zwar gewöhnungsbedürftig, aber definitiv besser als nichts. Trotzdem nehme ich mir vor, in den nächsten paar Tagen loszuziehen und eine kleine Kaffeemaschine aufzutreiben, die ich ins Zimmer stellen kann. Jedes Mal in dieses Loch von Küche zu laufen, wäre eine Zumutung. Vor allem für meinen immer noch geschädigten Geruchssinn.

»Hast du für heute irgendetwas geplant?«, fragt Holly und wackelt auf ihrem Bett auf und ab, als könnte sie meine Antwort nicht erwarten.

»Nicht wirklich. Ich versuche, mich mit Kaffee und Schlaf vom Jetlag zu kurieren, damit ich morgen nicht völlig fertig bin.«

Sie nickt und steht mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht auf. Dabei sieht sie so gespannt aus, als würde sie gleich platzen. »Wenn du willst, kann ich dir den Campus zeigen. Es gibt echt viel, was man beachten muss. Zum Beispiel die unterschiedlichen Gebäude und Bibliotheken. Ist am Anfang nicht so einfach, aber ich kann dir sagen, wo am wenigsten los ist. Oder welches die besten Plätze zum Lernen sind. Wenn du eine Freistunde hast oder so. Oh, oder wie es in der Mensa abläuft. Das ist immer so eine Sache für sich.« Ihr Grinsen wird, wenn überhaupt möglich, noch breiter, während sie sich tiefer in ihren Monolog verstrickt. Holly spricht so schnell, dass es mir schwerfällt ihr zu folgen. »Und dann zeige ich dir das fair trade Café, wo wir immer hingehen. Das ist ja nur die Straße runter. Da gibt’s paar echt leckere Sachen. Kuchen zum Beispiel. Das Obst und Gemüse dafür ist zu einhundert Prozent Bio. Das bekommt man sonst nirgendwo und …«

Ich halte die Hand nach oben, um ihrem Redeschwall Einhalt zu gebieten. »Wir müssen ganz dringend eine Regel aufstellen, die verbietet mehr als drei Sätze am Stück zu sagen«, murmle ich vor mich hin und massiere meine Schläfe, die zu pochen anfängt. Doch Holly hört erst mit dem Reden auf, als ich die Stimme erhebe. »Schon gut, wirklich. Ich weiß das Angebot zu schätzen, habe aber gerade ehrlich gesagt keinen Bock darauf. Lass uns das auf ein anderes Mal verschieben.«

»War ein bisschen viel auf einmal, oder?« Holly lächelt verschmitzt. Sie zieht eine abgetragene Jeansjacke über das senfgelbe Oberteil, die ich am liebsten zusammen mit diesem abartigen Cordrock verbrennen würde.

»Ja, ein bisschen«, antworte ich in meinem besten sarkastischen Unterton, aber den nimmt sie nicht wahr.

Holly greift nach ihrer Tasche. »Dann drehe ich alleine eine Runde. Sollte genutzt werden, solange die Sonne noch scheint. Bisschen Vitamin D tanken. Morgen kann es nämlich schon wieder ganz anders aussehen. Wir sehen uns später.« Als sie an unserem Schrank vorbeigeht, bleibt sie ruckartig stehen. »Könntest du den Koffer vielleicht aufräumen? Ich habe ehrlich gesagt einen ziemlichen Ordnungstick und kann es nicht so leiden, wenn irgendetwas rumsteht.«

»Echt? Ist mir gar nicht aufgefallen.« Ich lasse meinen Blick absichtlich extralang auf ihren Schreibtisch gerichtet. »Aber klar kann ich machen«, sage ich und lächle zuckersüß zurück, während eine Idee in mir heranreift.

»Super, danke dir. Dann bis später.« Sie hebt die Hand, wodurch die Schlüssel darin klimpern. Sobald die Tür sich hinter ihr geschlossen hat, greife ich nach meiner Handtasche und ziehe meine Stricknadeln und die Wolle daraus hervor.

»Was ist denn hier passiert?«, kreischt Holly mit schriller Stimme, als sie ein paar Stunden später mit zwei Tüten in der Hand zurückkommt, aus denen es verlockend nach chinesischem Essen duftet.

Für den Bruchteil einer Sekunde habe ich ein schlechtes Gewissen, doch das verflüchtigt sich bei dem lustigen Anblick von Hollys vor Schock geöffnetem Mund sofort wieder. »Gefällt es dir? Ich dachte, es wäre ganz cool ein bisschen Farbe reinzubringen.«

Sie lässt ihren Blick durch das Zimmer und über die bunten Decken schweifen, die ich in den letzten Stunden gestrickt habe. Allzu viel habe ich nicht geschafft. Nur einen Überzug für den kleinen Blumentopf auf der Fensterbank, ein Deckchen, das ich auf dem Schreibtisch platziert habe und eines das über dem Schreibtischstuhl liegt.

Holly öffnet mehrmals den Mund, doch schließt ihn dann wieder, als könnte sie nicht die passenden Worte dafür finden. »Kannst … kannst … Wie hast du das in der Zeit geschafft? Das ist ja … Wow.« Ihr Gesicht hat jegliche Farbe verloren, als müsste sie die neuen, bunten Farbtupfer im Zimmer damit wieder ausgleichen.

Gespielt betroffen fasse ich mir an die Brust und schiebe die Unterlippe hervor. »Du magst es nicht? Oh nein, ich habe mir so viel Mühe gegeben.«

Sie kann nicht damit aufhören, auf die Guerilla-Strickmuster zu starren und sieht daher nicht, dass ich sie veräpple. »Es ist … sehr bunt. Das ist nicht so mein Fall ehrlich gesagt.«

»Wie schade. Ich hatte eigentlich vor, das ganze Zimmer damit einzudecken. Ich stricke immer, wenn ich runterkommen will. Also eigentlich jeden Abend. Ich produziere das Zeug ohne Ende.«

Holly versucht sich zu zwingen, ein Lächeln aufzusetzen, das eher wie eine Grimasse aussieht. »Oh, tolles Hobby.« Ich lese auf ihrem Gesicht genau ab, was sie noch dazu sagen möchte: Solange du es auf deine Zimmerseite beschränkst.

Ich muss mich wirklich zusammenreißen, um nicht in lautes Gelächter auszubrechen. Wer hätte gedacht, dass ich schon direkt am ersten Tag eine Möglichkeit finden würde, meine Mitbewohnerin in den Wahnsinn zu treiben. Hollys Blick wandert weiter zu meinem Koffer, der immer noch an genau derselben Stelle liegt und nicht angerührt wurde. Oh ja, das könnten doch lustige zwölf Wochen werden.

Am nächsten Morgen bereue ich es, mich nicht von Holly herumgeführt haben zu lassen. Der Campus ist ein verdammtes Labyrinth und ich bin schon seit geschlagenen zwanzig Minuten auf der Suche nach dem Gebäude, in dem mein erster Wirtschaftskurs stattfinden soll. Ich werfe einen schnellen Blick auf die Uhr meines Handys und ein lauter Fluch kommt mir bei dem Anblick über die Lippen. Ich bin verdammt spät dran und habe immer noch keine Ahnung, wo ich hinmuss.

Dutzende Studenten in kleinen Grüppchen laufen an mir vorbei. Doch anstatt irgendjemanden nach dem Weg zu fragen, beschließe ich, ihnen zu folgen. Manchmal ist es gar keine schlechte Idee, mit dem Strom zu schwimmen. Als ich dann im Inneren des Gebäudes endlich das Schild mit der Zimmernummer ›LD128‹ entdecke, atme ich erleichtert aus und betrete den Raum.

Die meisten Studenten sitzen bereits auf ihren Plätzen, wodurch ich mich mit einem Stuhl in der vorderen Reihe begnügen muss. Nicht unbedingt das, was ich am ersten Tag wollte, aber besser als nichts. Zumindest habe ich jetzt endlich den richtigen Ort gefunden und das ist schon einmal ein Fortschritt. Gerade als ich mich herunterbücke, um meinen Laptop auszupacken, höre ich das Ächzen des Stuhles neben mir.

Ich sehe auf. Ein Student mit wirren, braunen Haaren und auffällig blauen Augen hat sich auf den Stuhl gesetzt. Er ist wie ich dabei, seine Sachen aus der Tasche hervorzukramen, sieht dafür aber aus, als wäre er gerade erst aus dem Bett gefallen. Ich löse meinen Blick wieder von ihm, schalte meinen Laptop an und öffne ein neues Dokument, in dem ich schon einmal das Thema des heutigen Seminars als Überschrift vermerke.

Ein Fluchen erklingt neben mir und ich drehe mich automatisch wieder zu dem Typen um. Er ficht einen Kampf mit seinem Rucksack aus, dessen Reißverschluss augenscheinlich klemmt und seinen Inhalt dadurch nicht freigibt.

»Fuck!«, flucht er und zieht noch heftiger an dem Verschluss. Blöderweise zu heftig. Mit einem unschönen Knacken kracht das Ding ab.

Ich presse fest die Lippen aufeinander, um ein Lachen zu unterdrücken. Doch als er mit dem Reißverschluss in der einen und dem Rucksack in der anderen Hand so verdutzt aussieht, als würde er die Welt nicht mehr verstehen, ist es um mich geschehen. Wie eine Nadel, die zu nah an einen mit Wasser gefüllten Ballon gerät, bricht das Lachen aus mir hervor.

Sein Kopf schnellt sofort zu mir herum. Mit vor Wut funkelnden Augen unterzieht er mich einer Musterung, aber das bringt mich eher dazu, noch lauter zu lachen. »Vielleicht solltest du ein Buch darüber schreiben, wenn du es so lustig findest. Dann wäre zum Literaturkurs vielleicht noch einer im Kreativen Schreiben gut.«

Mein Gekicher gerät ins Stocken. »Literatur? Wie meinst du …«

Das Öffnen der Tür und der darauffolgende Klang von Stöckelschuhen auf Fliesen unterbrechen mich. Die Frau tritt hinter den Tisch im vorderen Bereich des Raumes und stellt ihre Umhängetasche ab. Erst als sie in Ruhe einen Stapel Bücher und ein Tablet ausgepackt hat, wendet sie sich uns zu. »Einen wunderschönen guten Morgen, wünsche ich Ihnen und herzlich Willkommen im ersten Kurs des neuen Semesters.« Eine gewisse Panik breitet sich in mir aus, die immer dann aufkommt, wenn ich das Gefühl habe, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein.

»Was meintest du mit Literatur?«, zische ich in die Richtung meines Sitznachbarn. »Das muss ein Wirtschaftskurs sein. Das steht auf meinem Stundenplan.« Doch er lässt seinen Blick stur nach vorne gerichtet und scheint extrem interessiert an der Ansprache der Dozentin zu sein.

Als ich mich wieder umdrehe, trifft mich der kalte Blick der Professorin und ich schlucke fest. »Sie dürfen sich gerne zu einem späteren Zeitpunkt mit Ihren Kommilitonen unterhalten. Am liebsten außerhalb meines Seminars.« Sie räuspert sich und wendet sich dem gesamten Raum zu. »Jetzt soll es erst einmal um eine Lektüre gehen, die ein neues Thema unseres Kurses einläutet.« Ihr gesamter Gesichtsausdruck ändert sich, als sich ihre zahlreichen Falten in ein Lächeln legen. »In den nächsten Wochen werden wir uns mit dem Sommernachtstraum von William Shakespeare beschäftigen.«

Meine Kinnlade klappt herunter. Sommernachtstraum? Shakespeare? Mir wird abwechselnd heiß und kalt und total klar, dass ich mehr als nur falsch hier bin. Am liebsten würde ich sofort meine Sachen packen und flüchten. Ab und zu lese ich gerne. Auf langen Flügen oder wenn ich keine Lust zum Stricken oder Fernsehen habe. Aber dann mit Sicherheit nicht so etwas.

Ein leises Hüsteln erklingt neben mir. »Mund zu, sonst verschluckst du noch eine Fliege. Zumindest machst du einem Frosch gerade Konkurrenz.«

Mein Kopf ruckt in Richtung meines Sitznachbars und ich werfe ihm einen wütenden Blick zu. Meine Wut steigert sich noch mehr, als ich sehe, dass er total gechillt nach hinten gelehnt auf dem Stuhl sitzt, und die Arme entspannt vor der Brust verschränkt.