Hoffnung auf Kirschblüten - Katrin Koppold - E-Book

Hoffnung auf Kirschblüten E-Book

Katrin Koppold

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Beschreibung

«Glaubst du eigentlich noch an die Liebe, Mia?» Mia fährt nach Paris. Im Gepäck: ein gebrochenes Herz und ein Bolzenschneider. Sie möchte das Liebesschloss durchtrennen, das sie ein paar Wochen zuvor mit Rik an einer der vielen Brücken befestigt hat - aber an welcher? Als Mia dem geheimnisvollen Noah mit den traurigen Augen begegnet, der sie zu den schönsten Plätzen der Stadt führt, wird ihre Suche recht bald zur Nebensache. Doch noch hat sie mit der Vergangenheit nicht abgeschlossen. Herzzerreißend, romantisch und mit ganz viel Paris-Flair! Der winterliche Wohlfühlroman von Erfolgsautorin Katrin Koppold. "Hoffnung auf Kirschblüten" ist der vierte Band rund um das Liebesleben von vier unterschiedlichen Schwestern. Jede Geschichte ist abgeschlossen und kann unabhängig von den anderen gelesen werden. Länge der Taschenbuchausgabe: 320 Seiten Veröffentlichungen der Autorin: Aussicht auf Sternschnuppen Zeit für Eisblumen Sehnsucht nach Zimtsternen Hoffnung auf Kirschblüten Mondscheinblues (Spinoff der Reihe und gleichzeitig Auftakt zur Mondschein-Trilogie) Hochzeitsküsse und Pistolen Liebe hoch 5 (Anthologie) und unter dem Pseudonym Jade McQueen: The Diamond Guys: Fynn Sie die Autorin auf ihrer Homepage (katrinkoppold.de) und auf Facebook!

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HOFFNUNG AUF KIRSCHBLÜTEN

KATHARINA HERZOG

Für meine Leserinnen und Leser

INHALT

Ohne Titel

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Danksagung

Liebe Leserinnen und Leser!

Über die Autorin

»In jedem Winter steckt ein zitternder Frühling,

und hinter dem Schleier jeder Nacht

verbirgt sich ein lächelnder Morgen.«

(Khalil Gibran)

1

Ich hatte nicht erwartet, mich nach meinem Tod im Himmel wiederzufinden. Zwar rechnete ich auch nicht damit, in der Hölle zu landen – so durch und durch schlecht war ich zu Lebzeiten nun auch wieder nicht gewesen –, aber zumindest über einen läuternden Kurzaufenthalt im Fegefeuer hätte ich mich nicht gewundert.

Ein bisschen klischeehaft war dieser Himmel ja schon. Überall weiß, und dann dieses gleißende Licht um mich herum. Nur diese Totenstille passte nicht so recht zu meiner bisherigen Vorstellung. Ich hatte sphärische Harfenmusik erwartet.

Ein Engel im hellen Nachthemd und mit goldblonden Locken schwebte auf mich zu. Er beugte sein pummeliges Gesicht mit den roten Apfelbäckchen zu mir herunter. »Mei, san Sie endlich aufg'wacht.«

Überrascht riss ich die Augen auf. Ein bayerischer Engel!

»Bin ich tot?«, brachte ich mühsam hervor und fuhr mir mit der Zunge über die spröden Lippen.

»Naa!« Ein zwitscherndes Lachen ertönte. »Im Krankenhaus san Sie.«

Im Krankenhaus! Seltsamerweise verstörte mich diese Vorstellung noch viel mehr als die, mich im Himmel zu befinden. Vorsichtig wackelte ich mit Fingern und Zehen, um zu überprüfen, ob ich mich noch bewegen konnte. »Dann sind Sie … kein Engel?«

»Aba naa!« Ihre Mundwinkel bogen sich noch weiter nach oben. »I bin die Schwesta Gertrud.«

Gertrud! Der Engel, beziehungsweise die Krankenschwester, hieß genauso wie die Frau mit der furchtbaren Dauerwelle, die vor ein paar Wochen bei meinem Dad eingezogen war.

Überrascht ließ ich diese Information auf mich wirken. Mein Kopf und meine rechte Schulter schmerzten zwar höllisch, aber mein Gehirn schien in Ordnung zu sein. Zumindest litt ich nicht an einer Amnesie. Ich wusste nämlich, dass ich einen Vater hatte. Das war natürlich keine besondere Gedächtnisleistung. Alles andere war schließlich rein biologisch ausgeschlossen. Doch ich erinnerte mich auch an meine Mutter, die jetzt in Irland lebte, und an meine drei Schwestern, an Helga, Fee und Lilly, die ebenso wie ich in München wohnten. Nicht einmal Gertrud, Dads neue Freundin, hatte ich verdrängt. Lediglich bei einer Sache war ich mir nicht sicher.

»Was … was ist denn passiert? Wie bin ich hierhergekommen?«

»Sie hattn an Unfoi.«

Einen Unfall?

»Mid am Auto.«

Schemenhafte Bilder tauchten vor meinem geistigen Auge auf. Ich erkannte ein Stück roter Spitze, einen Baum, der auf mich zugerast kam. Da war das Quietschen von Bremsen und das hässliche dumpfe Geräusch eines Aufpralls. Riks Schrei. Rik! Ruckartig schoss ich hoch, und der Schmerz, der dabei durch meinen Kopf und meine Schulter zuckte, ließ mich aufschreien.

»Sie müssn liagn bleibn.« Schwester Gertruds rundliche Hand drückte mich sanft, aber nachdrücklich auf das Kopfkissen zurück.

»Rik …« Ich schnappte nach Luft. »Da war ein Mann im Auto … Können Sie mir sagen, ob es ihm gut geht?«

»A Mo«, wiederholte Schwester Gertrud langsam, als wäre sie sich nicht sicher, wovon ich sprach. Doch das Zucken ihres Augenlids verriet sie.

Panik stieg in mir auf. Rik! »Was ist mit ihm?«

Ich mobilisierte all meine Kräfte, um mich aufzurichten. Doch Schwester Gertrud drückte mich unerbittlich nach unten.

* * *

»Sollten wir sie nicht langsam aufwecken, Fee?«

»Warum? Lilly ist sowieso noch nicht da.«

»Ich verstehe nicht, wie Mia es schafft, so kurz, bevor sie entlassen wird, einzuschlafen. Nicht einmal ihr Koffer ist gepackt.«

»Na und?« Fee klopfte mit dem Fuß auf den Boden, wie immer, wenn sie ungeduldig war. »Wie lange braucht man schon, um einen Morgenmantel und eine Zahnbürste hineinzustopfen?«

»Was ich auch nicht verstehe: Die Straße war gerade wie ein Streichholz, kein anderes Fahrzeug war involviert. Es hat nicht einmal geregnet. Rik ist doch nicht nur gegen den Baum gefahren, weil Mia herumgeschrien hat, dass er dem Hasen ausweichen soll. Außerdem hatten sie sich kurz vor dem Unfall wohl gestritten.«

»Weißt du, worum es ging?«

»Nein. Mia wollte nicht darüber sprechen.«

Fee schnaubte. »Das ist typisch.«

»So ist sie halt.«

»Ja, so ist sie. Und deswegen kann ich mir auch gut vorstellen, wie sich der Unfall abgespielt hat. Vermutlich ging es bei der Auseinandersetzung um irgendetwas Banales, und Mia hat mal wieder aus einer Mücke einen Elefanten gemacht und ist total ausgeflippt. Rik hat sich mehr auf sie als auf die Straße konzentriert, und so kam eins zum anderen. Sie war doch schon immer die Dramaqueen in unserer Familie. So, wie sie drauf ist, wundert es mich sowieso, dass nicht schon viel früher was Schlimmes passiert ist.«

Ich hörte, wie Helga scharf einatmete, und auch ich hielt unwillkürlich die Luft an. Fee, diese Schlange.

»Entschuldige«, murmelte Fee. »Das war blöd von mir.« Durch den Wimpernvorhang meiner halb geschlossenen Lider sah ich, wie sie sich auf die Unterlippe biss und den Kopf senkte, sodass die blonden Haare wie ein Schleier vor ihr Gesicht fielen. »Mein Gott! An mir geht diese ganze Angelegenheit nun einmal auch nicht spurlos vorbei.«

»Mia hat es ja nicht gehört«, entgegnete Helga, aber an ihrem Tonfall merkte ich deutlich, wie wütend sie über Fees taktlose Bemerkung war.

Die Zimmertür wurde aufgerissen. »Tut mir leid, dass ich so spät komme. Der übliche Feierabend-Horror auf den Straßen«, japste die atemlose Stimme meiner Zwillingsschwester Lilly.

»Du hast nichts verpasst«, sagte Helga. »Mia schläft.«

»Schon wieder?« Lilly klang enttäuscht. »Sie wird doch heute entlassen.« Ich spürte förmlich ihren prüfenden Blick auf meinem Gesicht, und nur durch unbändige Willenskraft schaffte ich es, nicht die Augen zu verdrehen. Ja, ich schlief schon wieder! Der Unfall lag erst sieben Tage zurück. Ich hatte eine Gehirnerschütterung, ein gebrochenes Schlüsselbein, mehrere Prellungen, und mein gesamter Körper war mit Bandagen umwickelt wie ein Würstchen im Speckmantel. Was erwarteten alle von mir? Sollte ich im Zimmer herumhüpfen und Breakdance tanzen?

»Na ja, wie dem auch sei«, fuhr Lilly fort. »Ihr beiden geht am besten in die Cafeteria und trinkt etwas. Ich packe ihre Sachen zusammen. Irgendwann wird sie schon aufwachen.«

Kaum hatten Fee und Helga den Raum verlassen, setzte Lilly sich auf mein Bett. »Mia Baum. Du brauchst nicht so zu tun, als ob du schläfst. Ich weiß genau, dass du wach bist«, sagte sie mit fester Stimme.

»Und woher weißt du das?«, knurrte ich.

»Du bist eine miserable Schauspielerin.«

»Wirklich?« Widerstrebend öffnete ich mein rechtes Lid einen Spalt breit. Ich fand meine Darbietung ziemlich überzeugend.

»Und ich kenne dich schon mein ganzes Leben.« Lilly beugte sich über mich und zupfte an meinen Wimpern, sodass ich auch noch das andere Auge öffnen musste.

»Lass das!« Unwillig schlug ich ihre Hand weg.

»Warum machst du das?«

»Was?«

»Warum spielst du uns was vor? Wir sind extra hergekommen, um dich abzuholen. Bist du nicht froh, dass du entlassen wirst?«

»Was denkst du denn?«, fragte ich mürrisch, obwohl ich das Gefühl der Angst kaum unterdrücken konnte, das mich bei dem Gedanken beschlich, den schützenden Kokon des Krankenhauses zu verlassen. Ich hatte sogar darüber nachgedacht, dem Arzt etwas von diffusen Schmerzen im Kopf- und Brustbereich zu erzählen, um noch ein bisschen länger bleiben zu dürfen. Letztendlich war ich jedoch pragmatisch genug, um mir einzugestehen, dass meine Entlassung durch diese Lüge nur aufgeschoben und keinesfalls aufgehoben werden konnte. Und es würde an dem, was ich getan hatte, auch nichts ändern.

»Na komm. Wir müssen los.« Lilly schlug die Bettdecke zurück und half mir auf die Beine.

Mit zittrigen Knien ließ ich mich von ihr in das winzige Bad führen und sank auf den Toilettensitz. »Ich habe keine Lust, bei Dad und Gertrud einzuziehen.«

»Wir sollen sie Trudi nennen.«

»Ich sage Gertrud zu ihr.«

»So schlimm ist sie gar nicht.«

»Doch.«

»Wäre es dir lieber, wenn er sich mit einer zwanzig Jahre Jüngeren eingelassen hätte?«

»Nein. Aber mit einer sieben Jahre Älteren …« Ich rümpfte die Nase.

»Du wohnst schließlich nur für ein paar Wochen bei ihnen«, sagte Lilly mitfühlend. »Bis es dir besser geht und du wieder allein zurechtkommst.«

Allein! Meine Eingeweide zogen sich zusammen, aber ich schaffte es, mir das Entsetzen, das dieses Wort in mir auslöste, nicht anmerken zu lassen. »Mir geht es ganz wunderbar und ich komme hervorragend … allein zurecht.«

Vorsichtig fuhr mir Lilly mit einem feuchten Lappen über das zerschundene Gesicht und versuchte, mit einer Bürste das Nest auf meinem Kopf zu entwirren. »Sollen wir deine Haare nicht lieber waschen?«

»Nein, bitte nicht. Das habe ich vorgestern erst getan. Nur kämmen«, wehrte ich ab. Bereits die bloße Vorstellung, mich in meinem momentanen Zustand unter die Dusche zu stellen oder meinen Kopf unter den Wasserhahn zu hängen, verursachte mir körperliche Schmerzen.

»Dann mach ich dir einen Zopf.« So gut es ging, fasste Lilly meinen strähnigen Haarschopf zusammen und wickelte einen Gummi darum. »Ich finde es schön, dass du sie jetzt länger trägst.« Sie zwirbelte meinen Pferdeschwanz um ihren Zeigefinger. »Es lässt dich weicher und weiblicher aussehen.« Ich verzog das Gesicht, und sie lachte auf. »Aber ich mochte auch deine kurzen Borsten. Bei der Frisur wusste man zumindest gleich, woran man bei dir ist.« Dann hielt sie mir eine Strähne vor die Nase. »Du …« Sie stockte einen Moment. »Du hast sie für Rik verlängern lassen, nicht wahr?«

Abrupt stand ich auf.

»Ach, Mia!« Lilly trat neben mich und nahm mich in den Arm, bemüht, nicht an meine schmerzende Schulter zu stoßen.

Ich vergrub mein Gesicht in ihren roten Locken, und der Duft ihres Maiglöckchenparfüms stieg mir in die Nase. Ein Schluchzen kroch meine Kehle hoch, doch ich schluckte hart und presste meine Lider zusammen, um die Tränen zurückzudrängen.

»Du bist nicht schuld an dem, was passiert ist, hörst du? Ich an deiner Stelle hätte genauso reagiert.« Lilly löste sich von mir und hob mein Kinn, zwang mich, sie anzuschauen.

»Seine Eltern sind anderer Meinung.« Und nicht nur sie! Auch Rik. Ich befreite mich aus Lillys Griff, konnte jedoch nicht verhindern, dass eine Träne meine Wange hinunterlief.

»Ich weiß«, sagte Lilly sanft. »Und wenn ich mich in ihre Lage versetze, kann ich sie sogar verstehen. In ein paar Wochen tut es ihnen bestimmt leid.«

Wohl kaum. Unsere Blicke begegneten sich im Badezimmerspiegel. Wie gerne hätte ich Lilly erzählt, was wirklich passiert war. Aber mein Stolz und auch Angst hielten mich davon ab.

* * *

Während meine Zwillingsschwester ihr Auto holte, wartete ich mit Helga und Fee im Foyer. Schweigend starrten wir durch die gläserne Front in die Dunkelheit hinaus. Schneeflocken wirbelten durch die Luft, und die wenigen Besucher, die um diese Zeit noch ins Krankenhaus kamen, hangelten sich am Geländer mehr schlecht als recht die rutschigen Treppenstufen hinauf zum Eingang.

»Wenn sich einer von ihnen ein Bein bricht, kann er zumindest sofort medizinisch versorgt werden«, versuchte ich die unbehagliche Stimmung aufzulockern, doch Helga bog nur halbherzig einen Mundwinkel nach oben, und Fees Gesicht blieb völlig emotionslos. Fantastisch! Erleichtert sah ich, wie Lillys rotes Auto schlingernd vor der Eingangstür zum Stehen kam.

Mit meinem unverletzten Arm griff ich nach dem Koffer, aber Fee nahm ihn mir ab. »Lass mich das machen.« Anscheinend hatte sie immer noch ein schlechtes Gewissen wegen ihrer dämlichen Bemerkung von vorhin.

Helga half mir, neben Lilly auf den Beifahrersitz zu klettern. Von einem Foto am Armaturenbrett strahlten mir meine Zwillingsschwester und ihr Freund Jakob entgegen.

Sexy Jakob war das, was man gemeinhin als einen guten Fang bezeichnete. Dunkle Augen, dunkle immer ein wenig zerzaust aussehende Haare, ein Drei-Tage-Bart, muskulöse Oberarme (etwas, was mir an Männern besonders gefiel). Außerdem war er Systeminformatiker in einer großen Firmengruppe und arbeitete derzeit in Barcelona. Ob Letzteres so wünschenswert war, darüber konnte man sich natürlich streiten. Aber bevor ich Rik kennenlernte, hatte ich es immer ganz vorteilhaft gefunden, wenn mir die Kerle nicht zu sehr auf der Pelle hingen.

»Seit wann klebt das Bild hier?«, fragte ich, weniger aus Interesse als vielmehr in dem Bestreben, den letzten Gedanken zu verscheuchen.

»Seit vorgestern.«

»Damit du die Zeit bis zu eurem Wiedersehen in Zukunft besser überstehst?«, neckte ich sie.

Lilly nickte gequält. Angesichts meines Kummers wirkte sie nicht gewillt, mit mir über ihr eigenes Liebesglück zu reden. Und im Grunde genommen war ich ihr dankbar. Ich drehte mich zu Helga um. »Wie geht es Mathilda?«, startete ich einen erneuten Versuch, zwanglose Konversation zu betreiben.

»Sie bekommt gerade ihren fünften Zahn und fängt an, sich überall hochzuziehen«, antwortete meine älteste Schwester.

Und weiter? Ich hob aufmunternd die Augenbrauen. Vor meinem Unfall hatte ich mir auch immer ihre langweiligen Babygeschichten anhören müssen.

»Ansonsten gibt es nichts Neues«, fügte Helga lahm hinzu.

»Beim Sender alles okay?«, wandte ich mich schließlich an Fee, die mit stumpfem Gesichtsausdruck aus dem Fenster schaute. Fee arbeitete bei dem Fernsehmagazin trend und hatte stets allerlei Anekdoten aus der Welt der Stars und Sternchen parat, die mich normalerweise ebenso wenig interessierten wie Helgas Babygewäsch. Jetzt aber hätten sie ein willkommenes Gesprächsthema geboten.

»Der übliche Stress. Zum Glück drehe ich nicht mehr selbst. Meine Beförderung war ein Segen. Der Bürojob lässt sich viel besser mit Pauls Betreuung vereinbaren als diese ständige Reiserei und die unregelmäßigen Arbeitszeiten.«

»Geht es Paul gut?«

»Er ist ein wenig erkältet. Gestern musste ich deswegen zu Hause bleiben.«

»Und Sam?«

»Auch alles in Ordnung.« Sie wandte sich ab und starrte wieder hinaus in die vorbeirauschende Dunkelheit.

Diese Geste brachte bei mir das Fass zum Überlaufen. »Hört endlich auf, mich wie ein rohes Ei zu behandeln«, zischte ich.

Fee und Helga schauten schockiert in meine Richtung, selbst Lilly löste kurz den Blick von der Straße.

»Ja, euch geht es im Moment besser als mir.« Meine Stimme überschlug sich fast und ich merkte, dass mein Gesicht langsam aber sicher die Farbe einer reifen Erdbeere annahm. »Ihr habt Mann und Kind oder zumindest einen Freund, keinen Arm, der in einer Schlinge steckt, kein Gesicht voller Pflaster, und ihr habt auch keine ganze Woche in einem verfickten Krankenhaus verbracht. Aber wenn ihr mich bemitleidet, macht ihr alles nur noch schlimmer. – Und jetzt erzählt mir endlich, was ihr in den letzten beschissenen Tagen alles gemacht habt!«

2

»Ich habe nur etwas ganz Leichtes vorbereitet. Der Karl-Heinz hat in letzter Zeit ein paar Probleme mit seinem Cholesterinspiegel.« Gertrud stellte eine große Schüssel grünen Salat und eine Platte mit gegrillten Fischfilets auf den Esstisch.

»Cholesterin? Oh je.« Dankbar, dass es in dieser Familie außer mir noch jemanden gab, um den man sich Sorgen machen musste, und der die Aufmerksamkeit von mir ablenken konnte, griff ich das Thema auf.

»Nicht der Rede wert.« Dad machte ein unbehagliches Gesicht.

»Na, na, na, verharmlose das mal nicht.« Gertrud spitzte missbilligend die Lippen.

»Er ist nur ganz leicht erhöht«, protestierte er.

»Zu hoch ist zu hoch.« Ihr Ton duldete keinen Widerspruch. »Und jetzt greift zu.«

»Wie? Das ist alles?«, murmelte Fee, und auch mein Magen knurrte. Ich mochte einsam und traurig sein, aber meinen Appetit hatte das noch nie gestört. Und die Portionen im Krankenhaus waren schon knapp bemessen gewesen. Salat war okay, aber anstelle des Fisches hätte ich mir ein Rindersteak und ein paar gebackene Kartoffeln gewünscht. Zumindest hatte es das früher immer gegeben.

Mit einem Seufzer betrachtete ich das Familienfoto, das über dem Tischchen mit der Retrolampe hing. Zwei Jahre lag der Fototermin erst zurück, und trotzdem kam mir die Aufnahme vor wie ein Relikt aus einer anderen Zeit. Dad und Milla saßen Händchen haltend auf der Couch. Fee, Lilly, Helga und ich waren dekorativ um sie herum platziert.

Eine Klassenkameradin von Fee hatte einmal gesagt, unsere Eltern sähen aus wie ältere Ausgaben von Ken und Barbie. Damals hatte ich mich gefragt, welche Drogen sie eingeworfen hatte, bevor sie zu uns zu Besuch kam. Im Nachhinein musste ich ihr allerdings zustimmen: Die beiden hatten wirklich ein schönes Paar abgegeben. Er groß mit grau melierten Schläfen, sie blond und schlank, perfekt geschminkt und frisiert, mit einem strahlenden Lächeln auf den Lippen.

Die Frau, die jetzt an Dads Seite saß, war das komplette Gegenteil meiner attraktiven Mutter. Statt enger Jeans und hoher Stiefeletten trug sie eine Bundfaltenhose und praktische Schnürschuhe. Ihre braun gefärbten Haare umrahmten in krausen Löckchen das gerötete Gesicht. Vom Aussehen her hätte sie eher zu Opa Willy gepasst als zu meinem Vater. Aber … wo die Liebe hinfällt. Ich seufzte noch einmal.

»Könnte ich vielleicht etwas Brot zu dem Salat und dem Fisch haben?«, fragte Helga. »Ich habe seit heute Mittag nichts mehr gegessen.«

»Auf der Anrichte in der Küche liegt ein frischer Laib.« Gertrud machte Anstalten aufzustehen.

Meine älteste Schwester wehrte ab. »Ich kenne mich hier aus. Möchte sonst noch jemand eine Scheibe?«

»Ich.« Dad hob die Hand, aber als Gertruds strenger Blick ihn traf, ließ er sie unverzüglich sinken.

»Keine Kohlenhydrate am Abend hatten wir ausgemacht.« Dann wandte sie sich an Helga, die mit hochrotem Gesicht die gestreifte Tapete musterte und aussah, als würde sie vor Lachen gleich explodieren. »Der Karl-Heinz und ich haben in der letzten Zeit nämlich ein bisschen zugelegt.«

Helga stürzte mit einem erstickten Laut in Richtung Küche.

»Bring mir ein Glas Wein mit«, rief Fee ihr nach.

»Der ist leider aus. Der Karl-Heinz …«

»… darf keinen mehr trinken?«, vollendete Fee ihren Satz mit unbewegter Miene.

»… ist heute nicht im Getränkemarkt gewesen.« Gertrud musterte sie befremdet.

Und nun war ich es, die in schallendes Gelächter ausbrach. Es kam so plötzlich, dass ich selbst nicht damit gerechnet hatte, und es schüttelte meinen Körper so heftig, dass ich vor Schmerz aufschrie und dann wie eine Marionette, der man die Fäden durchtrennt hat, zusammensackte. Hilflos starrten Gertrud, Opa Willy und meine Schwestern mich an. Dad fing sich als Erster. Er kam zu mir, drückte meinen Kopf an seine Brust und strich mir über die Haare.

»Mein armes, armes Häschen«, sagte er und hörte sich dabei an, als müsse er gleich weinen.

* * *

Nachdem sich Fee, Helga und Lilly verabschiedet hatten, stand ich noch einige Augenblicke im Vorgarten und sah den Rücklichtern von Lillys Auto nach. Im Endeffekt war es doch noch ein schöner Abend geworden. Doch jetzt, ohne meine Schwestern an meiner Seite, fühlte ich mich in unserem Elternhaus einsam und verlassen.

Hinter mir ertönte ein leiser Pfiff. Ich drehte mich um und sah Opa Willy mit seinem Rollator in der Haustür stehen. »Hast du auch noch Hunger?«

Ich nickte. »Und wie. Mein Magen hat gar nicht gemerkt, dass es etwas zu essen gab.«

»Dann lass uns ein bisschen die Straße hinunterspazieren.« Er machte ein verschmitztes Gesicht.

»Willst du zur Dorfalm? Ich weiß nicht, ob ich dafür schon fit genug bin.« Ich sah ihn zweifelnd an. Momentan erschöpfte es mich, mehr als drei Schritte zu gehen. In diesem Zustand war ein Spaziergang für mich genauso anstrengend wie ein Halbmarathon.

Tatsächlich geriet ich bereits nach wenigen Metern in Versuchung, Opa Willy den Rollator aus der Hand zu reißen, so wackelig fühlte ich mich auf den Beinen. Doch er ging gar nicht zu der gemütlichen Gaststätte in der Ortsmitte, sondern blieb vor dem schmiedeeisernen Tor stehen, das in die Koniferen-Hecke eingelassen war, die das weitläufige Grundstück meiner Eltern umschloss.

»Du willst in den Garten? Dafür hast du mich um das komplette Haus herumgeschleppt?«, protestierte ich. »Wir hätten über die Terrasse hinausgehen können.«

Opa Willy zog einen Schlüssel aus seiner Jackentasche und schloss das Tor auf. »Trudi darf nicht wissen, wo wir sind.« Er blinzelte mir verschwörerisch zu.

Sie durfte nicht wissen, dass wir in den Garten gingen? Die ganze Angelegenheit wurde immer mysteriöser. Wobei es mir im Grunde genommen egal war, wohin er mich führte, solange es dort eine Sitzgelegenheit gab. Ich folgte ihm langsam.

Gut, dass Opa Willy so schlecht gehen konnte. Normalerweise brachte mich die Geschwindigkeit, mit der er sich seit seiner Hüft-OP fortbewegte, zur Weißglut. Heute jedoch kam mir sein Schneckentempo sehr gelegen. Er hatte sich sogar einen kleinen Vorsprung erarbeitet, als wir das Holzhäuschen mit dem roten Dach erreichten, das sich im hintersten Winkel des Grundstücks versteckte.

Früher hatten meine Schwestern und ich immer in dem Häuschen gespielt. Mittlerweile war es Jahre her, dass ich diesen Teil des Gartens betreten hatte. Opa Willy dagegen kannte sich offenbar bestens aus, denn er steuerte zielstrebig auf die schmale Holzveranda zu. »Wir können die Lampe leider nicht anmachen. Nur eine Kerze. Sonst sieht Trudi uns.« Er öffnete die Tür.

Bereits der Schein des sichelförmigen Mondes, der durch die Fenster fiel, reichte, um zu erkennen, dass sich im Inneren unseres Gartenhauses wenig verändert hatte. Der ausrangierte Esstisch mit der Eckbank befand sich noch genauso darin wie die Gartengeräte. Neu allerdings war der kleine Kühlschrank, der etwas verdeckt neben dem Rasenmäher platziert worden war.

»Früher gab es den aber noch nicht.« Meine Lippen kräuselten sich spöttisch.

»Er stammt aus dem Seniorenheim gegenüber. Sein vorheriger Besitzer, der alte Goldbrunner, ist gestorben, und seine Tochter wollte ihn schon wegwerfen.« Opa Willy griff hinein und holte eine eingeschweißte Packung Rohesser und ein Glas Gurken heraus.

»Wie um Himmels willen hast du es geschafft, ihn zu hierher zu transportieren?«

»Zwei Pflegerinnen haben mir dabei geholfen.«

»Zwei Pflegerinnen, soso.« Unsere Blicke trafen sich, und seine faltigen Lippen verzogen sich zu einem spitzbübischen Lächeln. Auch ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Opa Willy war ein Frauenheld, wie er im Buche stand. Mit Anfang achtzig war er noch regelmäßig an die Isarauen zum Nacktbaden gegangen und hatte seine im Vergleich zu ihm ohnehin schon blutjunge Freundin mit einer noch jüngeren betrogen. Momentan war er meines Wissens solo, was weniger daran lag, dass es im Seniorenheim auf der anderen Straßenseite zu wenige Kandidatinnen gegeben hätte, als daran, dass ihm die Damen dort langsam zu alt wurden und er sich viel lieber mit deren hübschen Pflegerinnen verabreden wollte. Apropos alt.

»Kannst du dir vorstellen, was einen älteren Mann dazu bringen könnte, sich eine noch ältere Frau zu suchen?« Mittlerweile hatten sich zu den Cabanossi und den Gurken noch ein Glas Senf, Toastbrot und mehrere Packungen Wurst und Käse gesellt. Und gerade holte Opa Willy ein Sixpack Bier aus dem Kühlschrank, der mich mittlerweile ein wenig an den Hut eines Zauberers erinnerte. Von innen war er wesentlich geräumiger, als er von außen aussah.

»Du meinst Trudi?« Er blickte auf.

»Ich meine Gertrud.«

»Sie will, dass wir sie Trudi nennen.«

»Ist mir egal, was sie will. Also – was glaubst du? Was zum Henker findet dein Sohn an so einer wie der?«

»Möchtest du auch etwas?« Opa Willy hielt mir die Packung Cabanossi und eine Flasche Bier unter die Nase. Ich nickte und griff dankbar zu. Auch mein Opa bediente sich und wackelte dann nachdenklich mit dem Kopf. »Das habe ich mich anfangs auch gefragt. Aber mittlerweile denke ich, sie tut deinem Vater wirklich gut.«

»Sie bevormundet ihn die ganze Zeit.«

»Vielleicht braucht er das.«

»Meinst du?« Ich sah ihn zweifelnd an und nahm einen großen Schluck aus der Bierflasche.

»Versteh mich nicht falsch, deine Mutter ist eine wundervolle Frau und ich vergöttere sie, aber Milla ist kein besonders fürsorglicher Typ. Ich glaube, es tut ihm einfach gut, mal ein bisschen … betüddelt zu werden. – Und jetzt mal zu dir, Mia-Mädchen. Geht es dir mittlerweile ein bisschen besser?« Er legte seine sehnige Hand auf meine und drückte sie fest.

Ich schluckte. Zum Glück wurde in diesem Moment die Tür des Gartenhäuschens aufgestoßen, und ein Schwall kühler Novemberluft wehte herein. Ich fuhr zusammen, hatte ich doch erwartet, die Silhouette einer vor Wut kochenden, den Schrubber schwingenden Gertrud auf der Schwelle zu sehen. Stattdessen stand Dad dort.

»Habt ihr auch so einen Hunger wie ich?«

Er nahm sich eine Toastscheibe aus der Packung, belegte sie dick mit Käse und Salami und biss abwechselnd von dem Brot und einem Würstchen ab. Nur das Bier verschmähte er. Seit seinem volltrunkenen Zusammenstoß mit einer Trambahn kurz vor Helgas Hochzeit trank er kaum noch etwas.

»Hast du keine Angst, dass Gertrud dich bei einem so kohlenhydratreichen Mitternachtssnack erwischt?«, feixte ich. Damit, dass auch er den Kühlschrank im Gartenhäuschen regelmäßig nutzte, hatte ich nun wirklich nicht gerechnet. »Denk an dein Cholesterin, Karl-Heinz. Und an den kleinen Ranzen, den du dir angefuttert hast.« Ich stupste ihm den Finger in den Bauch.

Dad schüttelte den Kopf. »Sie geht fast nie in den Garten, und so weit nach hinten sowieso nicht. Sie fürchtet sich vor Manfred.«

Oho! In dieser Hinsicht konnte ich Gertrud sogar verstehen. Manfred war der grantige Frührentner, der im Haus gegenüber wohnte. Bis vor kurzem hatte er sich noch so gelangweilt, dass er den überstehenden Grashalmen seines zehn Quadratmeter großen Rasens mit der Nagelschere zu Leibe gerückt war. Doch seit Millas überstürzter Abreise nach Irland bezahlte ihm Dad ein paar Euro im Monat dafür, dass er sich auch um unser Grundstück kümmerte.

Nun führte er hinter dem Haus und im Vorgarten ein strenges Regiment und duldete keinerlei Konkurrenz. Nicht einmal eine Himbeere durfte man pflücken, ohne ihn um Erlaubnis zu fragen. Sein Verhalten war zum Teil wirklich unverschämt, aber niemand aus meiner Familie traute sich, Manfred die Stirn zu bieten, weil jeder Angst davor hatte, den riesigen Garten selbst pflegen zu müssen. Gertrud machte da wohl keine Ausnahme.

»Und du bist auch öfter hier?«, erkundigte ich mich.

»Ein-, zweimal in der Woche.«

»Bis vor kurzem haben wir sogar hin und wieder hinter dem Schuppen gegrillt«, erklärte Opa Willy eifrig. »Dein Vater hat eine alte Wäschetrommel vom Wertstoffhof mitgebracht, die sich hervorragend zum Feuermachen eignet. Und in der Regentonne habe ich eine Flasche Jägermeister für besonders harte Zeiten gelagert.«

»Ihr seid wirklich super ausgestattet, ihr beiden. Wollt ihr nicht vielleicht auch noch ein bisschen Gras anbauen?«

»Gras?« Opa Willys helle Augen rundeten sich. »Davon gibt es hier im Garten doch bereits genug.«

Ich schüttelte den Kopf. »Ich meine kein richtiges Gras«, erklärte ich nachsichtig. »Ich meine Cannabis. Ein Rauschmittel.«

»Das weiß ich doch, mein Mia-Mädchen. He, he! Denkst du, dein Opa schläft mit dem Gesicht zur Wand? Ich wollte dich bloß ein wenig necken.« Er kniff mir in die Wange. »Na, was meinst du, Karl-Heinz? Können wir Manfred dazu überreden? Das mit dem Gras ist eigentlich gar keine so schlechte Idee.«

Ich blickte von Opa Willy, der schelmisch lächelte, zu Dad, der ebenfalls amüsiert grinste. Draußen vor dem Fenster tanzten Schneeflocken im fahlen Mondlicht, und das erste Mal seit einer Woche stieg so etwas wie Hoffnung in mir auf. Hoffnung darauf, dass die abgedroschene Weisheit, mit der ich in den letzten Tagen so oft getröstet worden war, stimmte und dass das Leben tatsächlich weiterging.

3

Während der nächsten Tage war mein Leben vor allem eins: monoton. Punkt neun Uhr wurde ich von Gertrud, die vollkommen in ihrer Krankenschwesterrolle aufging, mit einem fröhlichen »Na, wie geht es uns heute Morgen?« geweckt, bevor sie mir ein Tablett mit einem leichten Frühstück — ein weich gekochtes Ei, eine Scheibe Toast mit Frischkäse und eine Tasse Pfefferminztee — ans Bett stellte. Anschließend verarztete sie die zahlreichen Schnittwunden in meinem Gesicht, half mir, mich zu duschen und anzuziehen, was ich angesichts meiner lädierten Schulter immer noch nicht alleine schaffte, und brachte mich dann in den Wintergarten, von wo aus ich eine wunderbare Aussicht auf die gegenüberliegende Straßenseite hatte. Obwohl unser Haus in einer Sackgasse lag, war hier in warmen Monaten aufgrund der exzentrischen Nachbarschaft stets viel geboten. Anfang November allerdings gab es bedauerlicherweise kaum etwas zu sehen. Manfred marschierte nicht mehr mit einem Eimerchen in der Hand durch seinen Mini-Garten, um dem Unkraut den Garaus zu machen, Karla, die früher Martin geheißen und mit Helga die gleiche Klasse besucht hatte, ging nur selten mit ihrer Katze spazieren, und auch Bernhard und Bianca, ein junges Pärchen (Bianca hieß eigentlich Christine, mir gefiel der andere Name in Verbindung mit Bernhard jedoch einfach besser) ließen sich nur selten blicken. Lediglich die schmuddeligen Kinder der »schrecklichen Aibls«, wie meine Mutter diese Familie immer genannt hatte, lungerten wie üblich auf der Straße herum, wo die älteren an ihren Mofas herumschraubten und auf den Boden rotzten, die jüngeren Ball spielten und Hauswände mit Kreide vollschmierten. In den Nachmittagsstunden bummelte ich mit Opa Willy eine Runde durch Traun – mittlerweile schaffte ich mehrere Meter am Stück, ohne das Gefühl zu haben, in Ohnmacht zu fallen – und abends, wenn das Essen mal wieder gar zu leicht war, traf ich mich mit ihm und Dad auf ein Betthupferl im Gartenhäuschen.

Im Grunde genommen war mein Tagesablauf ziemlich langweilig, doch mir taten die ungewohnte Ruhe und die Gleichförmigkeit in meinem Leben gut. Und auch wenn ich es nur ungern zugab, fand ich es schön, von Gertrud bemuttert und bekocht zu werden – wenngleich ich selten richtig satt wurde. Überhaupt kam ich überraschend gut mit der neuen Frau an der Seite meines Vaters klar. Eine ihrer positiven Eigenschaften war nämlich, dass sie zwar ununterbrochen plapperte, mich aber niemals über den Unfall oder sonst irgendetwas Persönliches ausfragte. Dass dies weniger aus Feingefühl geschah, sondern vielmehr der Tatsache geschuldet war, dass sie sich für niemanden außer sich selbst und ihren Karl-Heinz interessierte, war mir dabei vollkommen egal.

Nachdem ich bestimmt zehn Tage in diesem immer gleichen wohligen Rhythmus verbracht hatte, war es an einem sonnigen Freitagmorgen jedoch mit der Ruhe vorbei. Es klingelte, und Fee stand in kurzem Kleid, Lederjacke und mit Paul auf dem Arm vor der Tür.

»Stimmt es, dass du dich mit einigen Damen aus dem Seniorenheim angefreundet hast?«, fragte sie mich anstelle einer Begrüßung.

»Wie kommst du darauf?«, erwiderte ich verblüfft.

»Lilly hat es mir erzählt. Und die hat es von Opa Willy.«

»So ein Quatsch. Ich habe lediglich vorgestern Abend mit zwei von ihnen und Opa ein paar Runden Kniffel gespielt.«

»Senioren-Kniffel!« Fee riss die Augen auf. »So weit ist es mit dir gekommen! Du musst dringend raus.«

»Ich gehe jeden Tag mit Opa Willy spazieren.«

»Das meine ich nicht. Ich finde, du musst dringend mal wieder unter Leute, die jünger als sechzig sind.«

»Ich bin unter Leuten, die jünger als sechzig sind. Sogar jünger als zwanzig. Schau!« Ich zeigte auf zwei der Aibl-Jungs, die mit Zigaretten im Mundwinkel durch ihren verwahrlosten Vorgarten gingen und große Pakete unter den Armen trugen. Sie schleppten ständig irgendwelche Schachteln ins Haus. Vornehmlich, wenn es bereits dämmerte oder dunkel war, wie ich es von meinem Spähposten auf der Hollywoodschaukel beobachtet hatte — und ich war mir nicht sicher, ob der Inhalt dieser Schachteln einer polizeilichen Überprüfung standgehalten hätte.

Als die Jungs Fee bemerkten, blieben sie stehen und pfiffen anerkennend durch die Zähne. »Hey Babe!«, rief der ältere der beiden. »Hast du nachher Zeit?«

Statt einer Antwort hielt Fee meinem zweijährigen Neffen mit der einen Hand die Augen zu, während sie ihnen mit der anderen den Mittelfinger zeigte. Die Jungs verkrümelten sich feixend ins Haus. »Nimm dir die ja nicht zum Vorbild«, drohte Fee ihrem Söhnchen.

»Der eine ist doch ganz süß, mit seinem Irokesenschnitt und dem Augenbrauen-Piercing.«

Fee verzog das Gesicht. »Abgesehen von Rik hattest du schon immer einen seltsamen Geschmack bei Männern.« Im nächsten Moment biss sie sich auf die Lippe und sah mich entschuldigend an.

Ich stöhnte auf. »Keine Angst. Ich breche bei der Erwähnung seines Namens nicht in Heulkrämpfe aus. Ich habe es mittlerweile akzeptiert, dass er mich nicht sehen will.«

Fee warf mir einen prüfenden Seitenblick zu, dann ließ sie ihren Blick finster über die abgeblätterte Fassade schräg gegenüber gleiten. »Das Haus verschandelt die ganze Straße. Dieser Müll überall. Liegt da etwa eine Windel auf dem Balkon?« Sie zeigte auf ein weißes Päckchen mit zartgrünem Rand, das zwischen zwei Holzstreben hervorlugte. »Das Jüngste dieser Brut ist mindestens acht. Aber gut.« Sie wedelte mit der Hand vor ihrem Gesicht herum, als wolle sie das unerfreuliche Bild wegwischen. »Ich werde mich jetzt nicht über sie aufregen. Ich muss schließlich nicht hier wohnen. Und dich bringe ich auch von hier weg. Zumindest für ein paar Stunden.«

»Und wohin soll es gehen?« Ich hasste es, wenn Fee so selbstverständlich über mich bestimmte.

»Nach München. Wir bummeln ein bisschen durch den Englischen Garten und trinken etwas in Lillys Café.«

»Ich weiß nicht …« Obwohl ich nichts gegen ein wenig Abwechslung einzuwenden hatte, machte sich ein mulmiges Gefühl in meinem Magen breit. In Traun befand ich mich in einer Zeitblase. In München dagegen wartete die Realität auf mich, und solange ich mich der nicht stellte, schaffte ich es zumindest zeitweise, mir einzubilden, dass sie nicht existierte.

»Weiß nicht, gibt’s nicht. Oder glaubst du, ich bin völlig umsonst fünfunddreißig Kilometer hier rausgefahren? Außerdem habe ich mir wegen dir extra heute freigenommen. Hopp, hopp! Wir fahren los.« Fee trommelte mit der Spitze ihres hochhackigen Stiefels auf den Boden.

»Ich hab nur einen Jogginganzug und ausgelatschte Sandalen an, meine Haare sind seit zwei Tagen nicht gewaschen …«, startete ich einen letzten Versuch, das Unheil abzuwenden.

»Dieser sportive Freizeit-Look ist diesen Herbst wieder total angesagt, und deine Haare … die sehen tatsächlich nicht besonders schön aus. Aber da ziehst du einfach meine Mütze drüber.« Sie griff in ihre Handtasche und zog ein graues, schlauchähnliches Strickgebilde hervor. »Hier.« Sie warf es mir zu.

Sportiver Freizeit-Look! Ich lächelte widerwillig. Spätestens dieses unsäglich alberne Wort machte mir klar, dass jeder Widerstand zwecklos war.

* * *

»Ich fühle mich wie jemand von der Aibl-Family«, murrte ich, als ich wenig später in der Mandlstraße vor dem eleganten Standesamt-Gebäude mit seinen weißen Säulen aus Fees Mini stieg und mit ihr und Paul in Richtung des Englischen Gartens marschierte.

»Stell dich nicht so an.« Fee verdrehte die Augen. »Früher war es dir auch egal, wie du herumgelaufen bist.«

Ich sah sie mitleidig an. »Weil ich immer Schwarz getragen habe? Diese Farbe ist zeitlos.«

»Unbestritten. Dein neuer Kleidungsstil gefällt mir trotzdem besser.«

»Mehr Barbie.«

»Weniger Grufti.«

Unsere Blicke kreuzten sich, und in seltenem Einvernehmen lächelten wir uns an. Manchmal konnte Fee ganz cool sein.

»Rik hat einen guten Geschmack.«

Meistens war sie jedoch die Pest! »Was soll das denn?«, zischte ich.

»Vorhin hast du gesagt, dass es in Ordnung ist, wenn ich seinen Namen erwähne«, verteidigte sich Fee.

»Über ihn sprechen will ich trotzdem nicht.«

»Das solltest du aber.«

»Nicht jetzt, und schon gar nicht mit dir.«

»Ich möchte dir nur helfen.«

»Dann lass mich in Ruhe.«

Fee schwieg beleidigt. Zumindest für einige Sekunden. Dann schnaubte sie verächtlich. »Ich kann diesem Brauch einfach nichts abgewinnen.«

Sie zeigte auf ein junges Pärchen, das ein rotes Vorhängeschloss am Geländer der Brücke befestigte, auf die wir zusteuerten. Den dazugehörigen Schlüssel warf der Junge mit einer ausholenden Bewegung in das aufspritzende Wasser des Baches, und eng umschlungen beobachten die beiden, wie er versank. Unwillkürlich fasste ich nach dem Griff von Pauls Kinderwagen, um mich daran festzuhalten.

»Die zwei sind höchstens vierzehn.« Fee schüttelte verständnislos den Kopf.

»Wahre Liebe hält sich eben nicht an Altersschranken. Das siehst du an Dad und Gertrud«, antwortete ich flapsig und ein paar Tonlagen zu hoch.

»Zum Glück gibt es in München noch nicht so viele«, fuhr Fee fort. »In Paris findet man diese Liebesschlösser überall, hat Nina erzählt. Einige Brücken sind so voll davon, dass man das Geländer überhaupt nicht mehr sieht. – Ist was?« Sie musterte mich befremdet. »Du siehst ganz käsig aus.«

»Was soll denn sein?«, wehrte ich ab und stakste trotz des Schwindels in meinem Kopf tapfer weiter. »Nina wohnt jetzt also in Paris?«

»Sie arbeitet dort im Verlag ihres Vaters.«

»War sie nicht gerade erst von Berlin wieder zurück nach München gezogen?«

»Nina ist eben ein Wandervogel. – Weißt du eigentlich, wie dieser Brauch mit den Vorhängeschlössern entstanden ist?«

Benommen schüttelte ich den Kopf. Außer in den Bereichen Mode, Promis und Kosmetik hatte sich Fee noch nie durch besonderes Spezialwissen ausgezeichnet.

»Einer der letzten Beiträge, den ich für trend gedreht habe, handelte von diesen Liebesschlössern. Der Brauch kommt aus Florenz. Dort haben die Studenten nach ihren Abschlussprüfungen die Schlösser ihrer Spinde an den Ponte Vecchio gehängt. Später wurde die Idee von Liebespaaren aus Rom aufgegriffen. Und von Italien aus hat sich der Brauch mit den Liebesschlössern in der ganzen Welt ausgebreitet. Als ob einem ein Stück Metall ewige Liebe bescheren könnte …«

»Du bist nur so zynisch, weil Sam dir immer noch keinen Heiratsantrag gemacht hat.«

»Sam und ich sind auch ohne Trauschein glücklich«, erklärte Fee, doch ein Flackern in ihren Augen verriet sie. Obwohl meine Schwester so cool und abgeklärt tat, hoffte sie im Stillen auf den romantischen Antrag, der bisher nicht erfolgt war. Und ich konnte es ihr nicht verdenken. Die beiden waren seit Jahren zusammen, sie hatten ein Kind miteinander. Worauf wartete der Kerl noch?

»Außerdem frage ich mich, ob die Paare, die diese Schlösser aufhängen, auch nur einen Gedanken daran verschwenden, was ist, wenn ihre Liebe doch einmal in die Brüche geht.« Fee legte anscheinend keinen gesteigerten Wert darauf, das Thema Heiratsantrag zu vertiefen. »Dann haben sie irgendwo auf der Welt ein dusseliges Schloss herumhängen, das an eine Liebe erinnert, die gar nicht mehr existiert. Und dann? Was machen sie dann? In den Fluss springen und nach dem Schlüssel suchen? Nachts mit einem Bolzenschneider anrücken? Oder akzeptieren sie das Liebesschloss als das, was es ist: ein stinknormales Vorhängeschloss, das man für ein paar Euro in fast jedem Laden kaufen kann?«

Mich fröstelte, und ich zog meine Jacke fester um meine abgemagerte Taille. »Das wäre wohl die beste Variante.«

* * *

Kaum hatten wir das Café Cäcilia betreten, stürmten schon meine Zwillingsschwester und ihr Hund Loki auf uns zu. Über einem grünen langärmligen Kleid trug Lilly ein weißes Schürzchen mit Spitzenborte, das ich ziemlich dämlich fand, auf das ihr vorwiegend älteres Publikum aber total abfuhr. »Mia, Fee! Das ist ja eine schöne Überraschung!« Sie umarmte uns. Bei meinem Anblick nahm ihr fröhliches Gesicht jedoch einen besorgten Ausdruck an. »Ist dir nicht gut?«

Ich bückte mich und tätschelte Loki über den wuscheligen Kopf. »Meine Schulter tut weh.«

»Dann setz dich und ruh dich aus. Ich koche uns Kaffee und Tee und stelle ein paar Stücke Kuchen auf den Tisch.«

»Für mich nicht«, wehrte Fee ab. »Mir geht es wie dem Karl-Heinz. Ich habe in letzter Zeit ein wenig zugelegt.« Sie grinste.

»Und für mich …« …auch nicht, wollte ich gerade sagen, doch Lillys prüfender Blick ließ mich verstummen. »… einen Marmorkuchen.« Ich hob Loki, der sich vor lauter Freude, mich wiederzusehen, überhaupt nicht einkriegen konnte, auf meinen Schoß.

»Und du, Paul? Das Gleiche wie immer?«, fragte sie unseren Neffen.

»Gogolate.« Er strahlte sie an. Charme hatte er ja, der kleine Kerl.

»Eine gute Wahl. Ich werde sehen, was sich machen lässt.« Sie kitzelte ihn am Kinn und wirbelte davon. Fee folgte ihr mit Paul an der Hand.

Erschöpft ließ ich mich auf einen der dicken Polsterstühle sinken und schaute mich um. Das Lokal, das vorher so altbacken ausgesehen hatte, war komplett renoviert worden, und auch wenn es mit seinen Weiß- und Rosatönen für meinen Geschmack ein bisschen zu zuckerbäckermäßig aussah, merkte man deutlich, wie wohl sich die Gäste hier fühlten.

Herr Schmied, ein älterer Herr, der fast jeden Morgen auf einen Earl-Grey-Tee und eine Butterbrezel vorbeischaute, winkte mir über den Rand seiner Zeitung freundlich zu. Auch die junge Mutter mit ihrem Baby im Kinderwagen kam häufig vorbei, genau wie die beiden Frauen in den Vierzigern, die die meiste Zeit schweigend nebeneinandersaßen und strickten. Touristen verirrten sich dagegen kaum in das Cäcilias, das sich ein wenig abseits gelegen im Englischen Garten versteckte. Daran änderte auch das Schild nichts, das Lilly erst kürzlich an einem der Hauptwege hatte aufstellen lassen. Dass sie sich trotzdem nicht über einen Mangel an Kundschaft beklagen konnte, verdankte sie meiner Keramikwerkstatt, die sich im benachbarten Gebäudetrakt befand, genannt froh + bunter. Nachdem mein ehemaliger Vermieter mich aus meinem früheren Laden in der Innenstadt herausgeekelt hatte, weil er das Haus zu luxuriösen Eigentumswohnungen umbauen wollte, war es ein absoluter Glücksfall gewesen, dass meine Zwillingsschwester die alte Villa mit dem angrenzenden Café im Englischen Garten entdeckt und sich mit deren Besitzern angefreundet hatte.

Inzwischen waren Fee und Lilly mit unseren Getränken und dem Kuchen an den Tisch zurückgekehrt. Sie setzten sich neben mich und fingen an zu plaudern. Lilly erzählte ein paar Anekdoten aus dem Café – Frau Schneider, die Opa Willy während seines München-Aufenthaltes vor ein paar Monaten kennengelernt hatte, kam immer noch mehrmals wöchentlich vorbei, in der Hoffnung, unseren Großvater zufällig im Cäcilias anzutreffen –, Fee lästerte über Gertrud und ihre übertriebene Fürsorge Dad gegenüber. Doch obwohl all das wirklich amüsant war, gelang es mir nicht, mehr als ein mechanisches Lächeln und ein gelegentliches Hm, hm beizusteuern. Ständig wanderten meine Gedanken zu der Brücke zurück.

Ebenso wie Fee hatte ich Liebesschlössern nie viel abgewinnen können. Ich fand den Brauch kitschig, albern und zudem wenig originell. Rik jedoch war von der Idee, wir könnten uns an einer der vielen Brücken in Paris verewigen, total begeistert gewesen. Und so hatten wir uns bei einem Straßenhändler mit schwarzer Haut und rotem Turban ein solches Schloss gekauft. Da Rik sich mit der Wahl des Hotels so sehr in Unkosten gestürzt hatte, wollte ich ihm diese kleine Freude nicht nehmen. Tausend Euro kostete unsere Unterkunft pro Nacht, eine Summe, die ich in manchen Monaten nicht verdiente, und bei der mir schwindelig wurde. Doch Rik hatte in seiner Baufirma gerade einen großen Deal abgeschlossen, den er feiern wollte, und versicherte mir mit einem Augenzwinkern, dass wir das Zimmer ja ausgiebig nutzen könnten. Was wir dann auch taten.

Bei unserer Ankunft erwartete uns ein Herz aus Rosenblättern auf dem Wasserbett, und auf einem der Nachtschränkchen stand eine Flasche mit Kräutermassageöl. Das Frühstück nahmen wir auf der privaten Dachterrasse ein, das Abendessen ließen wir aus dem hoteleigenen Feinschmeckerrestaurant liefern, und ansonsten ernährten wir uns von Champagner, Luft und ganz viel Liebe. So viel Liebe, dass es selbst mir, die ich von Rik nicht genug bekommen konnte, irgendwann zu viel wurde. Außerdem sehnte ich mich danach, die französische Metropole auch einmal aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten als nur aus der Vogelperspektive. Und so war mir Riks Idee mit dem Liebesschloss, so unsinnig ich sie im Grunde meines Herzens auch fand, nur recht gekommen.

* * *

Loki jaulte auf und sprang von meinem Schoß. Während ich ihn gedankenverloren gestreichelt hatte, war ich mit dem Finger in sein empfindliches Ohr gekommen.

»Was machst du denn mit dem armen Kerl?« Fee pustete sich eine blonde Ponysträhne aus dem Gesicht. »Außerdem hast du mir überhaupt nicht zugehört. Ich habe dich gefragt, ob du noch einmal in deine Werkstatt willst?«

»Müssen wir schon gehen?«

»Sam wartet auf mich und Paul. Er hat Mittagessen gekocht.«

»Und wer bringt mich nach Hause?«

»Ich«, meldete sich Lilly zu Wort. »Meine Ablösung kommt gleich, und ich muss sowieso in die Richtung. Jakob vom Flughafen abholen.« Sie wurde rot.

»Dann schaue ich beim nächsten Mal im Laden vorbei.« Im Moment fühlte ich mich nicht dazu in der Lage, meiner Aushilfe Diana gegenüberzutreten, die das froh + bunter kurzfristig für mich übernommen hatte und die mir bestimmt tausend Fragen stellen würde. Auch im Cäcilias wurde es mir zu eng. »Wenn du willst, können wir los.« Ich schob meinen Stuhl zurück.

»Du hast noch gar nichts gegessen und getrunken.«

»Der Kaffee war noch zu heiß.« Ich stürzte ihn in einem Zug hinunter.

»Und der Kuchen?«

»Den nehme ich mit.«

* * *

»Bleibt er nur übers Wochenende oder länger?«, fragte ich Lilly, als wir nebeneinander in der Ankunftshalle standen und auf Jakob warteten.

»Leider nur bis Sonntag.« Sie seufzte.