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Ildikó von Kürthy

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Beschreibung

«Mit Männern ist es wie mit Aspirin – manchmal braucht man zwei.» Betrogen. Verlassen. Über 30. Und das Bindegewebe hat die besten Zeiten hinter sich. Kann es noch schlimmer kommen? Ja. Linda verliebt sich in einen verheirateten Mann. Und das bedeutet: neue Unterwäsche kaufen, Bauch einziehen und niemals fragen, ob er seine Frau verlässt. Wie lange kann das gutgehen? Bis einer mehr will. Und dieser eine ist ein ganz anderer. Der taucht unerwartet auf, halb nackt und im ungünstigsten Moment ... «Liebe! Romantik! Ein supertolles Buch!» Harald Schmidt «Lesen und am Ende wieder selig seufzen!» Freundin

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Ildikó von Kürthy

Höhenrausch

Roman

 

 

 

Über dieses Buch

«Mit Männern ist es wie mit Aspirin – manchmal braucht man zwei.»Betrogen. Verlassen. Über 30. Und das Bindegewebe hat die besten Zeiten hinter sich. Kann es noch schlimmer kommen? Ja. Linda verliebt sich in einen verheirateten Mann. Und das bedeutet: neue Unterwäsche kaufen, Bauch einziehen und niemals fragen, ob er seine Frau verlässt.Wie lange kann das gutgehen?Bis einer mehr will. Und dieser eine ist ein ganz anderer. Der taucht unerwartet auf, halb nackt und im ungünstigsten Moment …«Liebe! Romantik! Ein supertolles Buch!» Harald Schmidt«Lesen und am Ende wieder selig seufzen!» Freundin

Vita

Ildikó von Kürthy ist freie Journalistin und lebt in Hamburg. Ihre Bestseller wurden mehr als fünf Millionen Mal gekauft und in 20 Sprachen übersetzt. Ihr Roman «Mondscheintarif» wurde fürs Kino verfilmt, «Freizeichen» und «Blaue Wunder» folgen.

Impressum

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Oktober 2009

Copyright © 2006 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Covergestaltung any.way, Pepperzak Brand

Coverabbildung Abbildungen: © thinkstockphotos.de

ISBN 978-3-644-20141-5

 

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

 

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Dieses E-Book ist nicht vollständig barrierefrei.

 

 

www.rowohlt.de

«Ich will, dass mich alles was angeht.

Und für das, was mir fehlt, will ich keinen Ersatz.»

Christoph Meckel, «Licht»

«Ich sag dir was: Ich will endlich mal die Andere sein! Wenigstens ein Mal. Diese geheimnisvolle und Furcht einflößende Andere. Die, von der du automatisch annimmst, sie sei schöner und jünger und dünner als du. Die, von der du glaubst, dass sie das Haus niemals ungeschminkt und nur auf hohen Absätzen verlässt.

Die Andere, die Gewissenlose, die keine Rücksicht nimmt, und auf dich schon gar nicht, und die ausgerechnet deinem Mann das Gefühl gibt, er sei etwas Besonderes. Und im schlimmsten Fall glaubt er ihr das sogar.

Ich möchte mal eine Bedrohung sein, statt immer nur bedroht zu werden. Ich möchte Geheimnisse haben, statt welche herauszufinden. Verdammt, warum bin ich immer die Eine und nie die Andere?»

«Du hattest noch nie eine Affäre?»

«Bevor es so weit kommen konnte, bin ich immer schon betrogen worden.»

«Das muss sich ändern. Am besten sofort!»

«Ach, und wen soll ich deiner Meinung nach betrügen? Darf ich dich daran erinnern, dass ich gerade erst frisch verlassen worden bin?»»

«Alles ist möglich.»

«Alles und nichts. Und in meinem Fall tippe ich mal lieber auf nichts.»

«Ich sage dir, Linda, in ein paar Wochen erkennst du dein eigenes Leben nicht mehr wieder.»

«Ist das ein Versprechen oder eine Drohung?»

«Natürlich ein Versprechen!»

«Mal abwarten. Wie heißt es nochmal? Du kannst nicht beides haben: Versprechen und halten.»

«Mit Sonnenuntergängen ist es ja so: Kennst du einen, kennst du alle»

Es ist nämlich so, dass ich lieber nicht mit dem Besonderen rechne. Wenn mir was Bemerkenswertes passiert, dann bin ich vorsichtshalber überrascht und denke zunächst, es müsse ein Missverständnis vorliegen. Würde man mir die Hauptrolle in «Pretty Woman II» anbieten oder würde mich ein Profikiller im Auftrag des usbekischen Geheimdienstes mit einem Infrarotgewehr umlegen, oder würde eine Masseurin sagen, sie beneide mich um mein festes Bindegewebe – herrje, da weiß ich doch sofort: Hier stimmt was nicht! Hier liegt eine Verwechslung vor. Das ist doch gar nicht mein Schicksal!

Du musst auf der Hut sein, wenn dir was Ungewöhnliches passiert. Denn womöglich bist du gar nicht gemeint.

 

In diesem speziellen Fall allerdings gibt es keinen Zweifel. Ich, Linda Schumann, bin fünfunddreißig Jahre alt, irgendwie ungebunden, aber irgendwie auch nicht, und stehe meinem Schicksal gegenüber. Und, nein, es ist nicht der Killer aus Usbekistan. Es ist auf gewisse Weise erheblich schlimmer, ohne dass ich an dieser Stelle den Opfern von Profikillern zu nahe treten möchte.

Und? Erklingen Trompetenfanfaren in meinem Inneren? Ist die Szenerie von einem sanften, unwirklichen Zauber umwoben? So wie ich mir das vorgestellt hätte, wenn ich es mir überhaupt vorgestellt hätte? Natürlich nicht. Denn es kann keinen sanften, unwirklichen Zauber zwischen zwei Menschen geben, von denen einer Hüttenschuhe mit dunkelgrünem Zopfmuster trägt. Dieser eine bin bedauerlicherweise ich.

 

So ist es ja irgendwie immer: Du hoffst, dass etwas Bestimmtes passiert. Du hoffst und hoffst so vor dich hin, bis du dir selbst albern vorkommst und es sein lässt. Und wenn es dann passiert, bist du komplett unvorbereitet. Nicht der leiseste Hauch von Bauchgefühl. Keine intuitive Stimme, die dich deutlich und rechtzeitig warnt: «Zieh sofort diese beknackten Puschen aus! Und übrigens wäre jetzt auch ein hervorragender Moment, dir noch schnell einen BH umzuschnallen – auch wenn du in den letzten Wochen den Eindruck gewonnen hast, dass in Berlin selbst die fragwürdigsten Brüste unbefestigt unter Motto-T-Shirts ihr Unwesen treiben dürfen.»

Ja, das wären hilfreiche Hinweise gewesen.

Ich bin allerdings leider absolut nicht der Typ für Vorahnungen. Das hat mir auch meine Wahrsagerin bestätigt. «Sie sind durch und durch unesoterisch», hatte sie vorwurfsvoll nach einem ersten Blick in die Karten gemeint und daraufhin den Tarif für «wenig schwingungsintensive Personen» berechnet.

 

Es klingelt – und ich ahne wieder mal gar nichts. Wer soll das schon sein? Freitagabend. Kurz vor acht. Ich habe Sushi bestellt, und der einzige Freund, den ich in dieser Stadt habe, ist bereits da. Sitzt neben mir auf dem Sofa und isst abwechselnd Mozartkugeln und Erdnüsse im Honig-Knuspermantel.

Mit vollem Mund sagt er: «Ich brauche eine Extraportion Sojasauce. Und sag ihm: Bloß keinen Ingwer! Ich kann davon sterben.»

«Wolltest du nicht heute sowieso am liebsten sterben, genauso übrigens wie gestern und vorgestern?»

«Linda, du weißt, ich verstehe Spaß, aber in meiner Situation habe ich ein Mindestmaß an Rücksicht verdient. Wenn ich sterbe, möchte ich mir schon noch selbst aussuchen, woran. Und zwar an gebrochenem Herzen – und nicht an einer allergischen Reaktion auf eine asiatische Wurzelknolle.»

«Weißt du noch? Auf mich hast du auch allergisch reagiert, als wir uns kennen lernten – und du bist nicht gestorben.»

«Aber fast! Und außerdem ist die Gesamtsituation doch überhaupt nicht vergleichbar. Ich war gesundheitlich viel robuster, weil ich damals noch glücklich war.»

In schneller Folge verschwinden zwei weitere Mozartkugeln in seinem Mund. Gut, denn solange er isst, weint er wenigstens nicht. Da sind seine Prioritäten eindeutig: Erst der Speck, dann der Kummer.

Damals ist jetzt sechs Wochen her.

 

Unsere erste Begegnung war ein Albtraum. Wir lernten uns unter so unglaublich peinlichen Bedingungen kennen, dass wir nur eine Wahl hatten: Wir mussten uns hassen oder lieben. Eine ausgewogene Beziehung war unter den gegebenen Umständen nicht möglich. Wir entschieden uns zunächst für Hass.

«Groß, schlank, Mitte bis Ende dreißig, gerne blond, gerne gebildet, vorzugsweise mit gesichertem Einkommen und interessiert an einer festen Bindung.»

Das waren die Kriterien, die ich bei der Dating-Agentur «Lucky Number» in der Rubrik «Mit was für einem Mann wollen Sie am Wochenende ausgehen?» eingegeben hatte. Vorher hatte ich bereits meine Kreditkartennummer preisgegeben und zugestimmt, dass bei erfolgreicher Vermittlung von meinem Konto 9 Euro 95 abgebucht würden.

Ja, ja, natürlich hatte ich mich im Vorfeld hinlänglich geschämt. Erstens dafür, dass ich meinte, so was überhaupt nötig zu haben: eine Verabredung gegen Geld mit einem Unbekannten! Wie tief war ich gesunken? Und das Schlimme an diesem Unbekannten wäre ja in jedem Fall, dass er auch meinte, so was nötig zu haben. Da treffen sich also zwei Verzweifelte, die sich und den anderen dafür verachten, dass sie auf diese Weise zusammenkommen. Wie soll das gut gehen?

Eigentlich möchte ich nichts zu tun haben mit einem Kerl, der 34 Euro 95 zahlt – es gibt einen Überschuss an suchenden Männern, deswegen müssen die mehr zahlen –, um mit einer Frau wie mir auszugehen. Und wennschon, dann soll er wenigstens erfolgreich, klug und schön sein. Und blond. So was hatte ich nämlich noch nicht. Zumindest nicht in dieser Kombination.

Was mich dennoch motivierte, per Internet einen Mann für Samstagabend und am liebsten auch für das darauf folgende Leben zu suchen, war der Alkoholgehalt in meinem Blut, als ich auf «Daten abschicken» klickte.

Es war Freitagabend, und ich hatte den ersten Monat überlebt, in einer fremden Stadt und einer fremden Wohnung – und das mit dem gewöhnungsbedürftigen Status «frisch getrennt» beziehungsweise «frisch verlassen».

Nach einer drei viertel Flasche Sekt hatte ich mir den Eindruck angetrunken, einen Grund zum Feiern zu haben und unwiderstehlich zu sein. Außerdem hatte ich gelesen, dass sich mittlerweile die meisten Paare per Internet kennen lernen. Ich goss noch ein Gläschen nach, bevor ich mich daranmachte, mein «Profil» zu erstellen. Das war schwierig, denn es galt, ein ausgewogenes Verhältnis zu finden zwischen Ehrlichkeit und Auslegbarkeit.

Körpergröße eins siebzig und Alter fünfunddreißig lassen natürlich kaum Interpretationsspielraum zu. Mein Körpergewicht jedoch rundete ich großzügig nach unten ab, weil da ja so Dinge eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen wie die spezifische Knochendichte und der Wasseranteil im Gewebe. Und außerdem stellt man sich ja üblicherweise beim Kennenlernen nicht als Erstes vor den Augen des anderen auf die Waage.

Ich denke auch, dass die Angabe «kastanienbraunes Haar» als korrekt gelten darf, weil man ja heute mit Tönungen schöne Ergebnisse erzielen kann. Und bis sich dann die Farbe nach und nach rauswäscht, ist der Unbekannte längst kein Unbekannter mehr und hat schon deine inneren Werte entdeckt. Und wenn ihn die nicht abschrecken, wird es dein langsam zum Vorschein kommendes, stumpfes, mittelbraunes Haar auch nicht tun.

Auch die Angabe «gebildet und humorvoll» machte ich mit relativ kleinem schlechtem Gewissen. Ich finde, der Begriff Bildung ist doch heutzutage ein überaus dehnbarer geworden. Die einen erwarten von dir, dass du das Werk Schopenhauers auswendig kennst. Die anderen halten dich für bescheuert, wenn du nicht weißt, dass die Sentenz «Schmerz ist, wenn Schwäche den Körper verlässt» von Arnold Schwarzenegger stammt.

Ich finde, mit einem durchschnittlichen Abitur, zwei abgebrochenen Studiengängen, einer Übersetzer-Ausbildung und diversen Hesse-Romanen mit eigenhändig unterstrichenen Passagen im Regal darf ich mich getrost als gebildet bezeichnen.

Und wem das nicht reicht, dem komme ich mit dem wunderbaren Begriff «emotionale Intelligenz». «Herzensbildung» hieß das, glaube ich, früher, als es noch Poesiealben und Kaugummiautomaten gab. Auf diesem Fachgebiet macht mir keiner so leicht was vor. Mein Herz ist gebildet und gebeutelt und natürlich mehrfach gebrochen.

Ein wenig gezögert hatte ich bei dem Begriff «humorvoll». Ich meine, ich bin selbstverständlich total humorvoll, halte mich für irrwitzig witzig und kann herzlich und lang anhaltend über meine eigenen Scherze lachen. Das schon. Aber man muss vorsichtig sein, denn mit einem ausgeprägten Eigenhumor kann man Männer leicht abschrecken.

Viele betrachten eine Frau ja nur dann als angenehm lustig, wenn sie keinen Wert auf eigene Scherze legt, dafür aber umso hingebungsvoller über die des Mannes lacht.

Trotzdem entschied ich mich, in meinem Profil meinen Humor nicht zu verschweigen. Ähnlich wie ein Buckel oder schiefe Zähne ist er ja auch auf Dauer schlecht zu verbergen, zumal ich finde, als emanzipierte Frau sollte man offen zu seiner Intelligenz und seinem Humor stehen.

Auf der Wunschliste der Eigenschaften meines Dating-Partners hatte ich «humorvoll» mit Bedacht nicht angekreuzt. Es gibt nichts Schlimmeres als einen Mann, der von sich glaubt, er sei lustig. Der sagt dann beim vierten Gin Tonic Sachen wie «Nich lang schnacken, Kopf in Nacken» oder «Nur die Harten kommen in den Garten» und wundert sich ernsthaft, warum ihm noch keiner eine eigene Comedy-Show angeboten hat.

 

Ich war sehr nervös vor meinem ersten Blind Date. Und ich fragte mich, wovor ich eigentlich mehr Angst hatte: dass er meinen Ansprüchen nicht gerecht werden würde oder ich seinen.

Ich betrat die Berliner Schaubühne mit Herzklopfen und einem kastanienbraunen Schimmer im Haar.

Genau genommen war ich in meinem Leben nur viermal im Theater gewesen, wobei ich zweimal die Pause genutzt hatte, um vorzeitig zu gehen. Aber Ibsens «Die Frau vom Meer» hatte ich mit Bedacht ausgewählt. Ich wollte dem Schicksal ein wenig auf die Sprünge helfen, denn meine Wahrsagerin hatte gesagt: «Halten Sie Ausschau nach einem Mann vom Meer. Ich kann in Ihren Karten ganz eindeutig sehen, dass das Meer in Ihrem Liebesschicksal eine entscheidende Rolle spielen wird.»

Das war vor vier Jahren. Ich lebte in meiner Heimatstadt Jülich und war gerade frisch verliebt. Dieser Mann – ich werde seinen Namen nie mehr aussprechen, das habe ich mir am Ortsschild Berlin geschworen – kam zwar nicht vom Meer, hatte aber immerhin ein Aquarium.

Meine Nachfrage bei der Wahrsagerin, ob der Ausdruck «Mann vom Meer» etwas großzügiger ausgelegt werden könne, quittierte sie mit tiefem Seufzen und dem erneuten Hinweis, dass sie es selten mit einem so unspirituellen Menschen wie mir zu tun gehabt habe. Dass ich drauf und dran war, in mein Verderben zu rennen, hat die blöde Kuh natürlich nicht vorausgesehen.

 

Ich sah ihn sofort. Er stand wie vereinbart an der Bar der Schaubühne und hielt eine weiße Nelke in der Hand. Das hatte ich als Erkennungszeichen schon mal komplett bescheuert gefunden – aber ich wollte die Beziehung nicht gleich zu Anfang durch Mäkeleien gefährden. Dazu hätte ich in den nächsten Jahren ja noch genügend Gelegenheit.

Ich hatte von «Lucky Number» lediglich die Telefonnummer und das Pseudonym der Person bekommen, die laut Computerabgleich am besten zu mir passte. Verabredet hatte ich mich mit «Lustmolch» per SMS, wobei mir, das muss ich sagen, bei dem Pseudonym schon ein klitzekleines bisschen mulmig zumute war. Ich hoffte aber einfach, dass er «Lustmolch» in selbstironischer Absicht gewählt hatte. Ich jedenfalls hatte mein Pseudonym «Paprika» unter diesem Aspekt ausgesucht. Außerdem war ich ja betrunken gewesen.

Allerdings habe ich mit der Hoffnung, etwas sei bloß ironisch gemeint, schon manches Mal voll danebengelegen. Besonders Männer meinen das, was sie sagen, relativ oft ernst. Und wenn man sich dann darüber kaputtlacht und sagt, wie toll man das findet, dass einer über sich selbst Witze macht, dann verstehen sie die Welt nicht mehr und fragen verdattert: «Was denn für Witze?»

Erwähnt sei hier mein Exfreund, dessen Namen ich nicht nennen darf. Meine Freundin Silke nennt ihn der Einfachheit halber «Draco». Da wir ständig über ihn sprechen, ist das zeitsparender, als immer «du weißt schon wer» zu sagen oder «dein bescheuerter Exfreund» oder «der, dessen Name nicht genannt werden darf».

Belesene Menschen wissen natürlich, dass «der, dessen Name nicht genannt werden darf» ein Standardbegriff der zeitgenössischen Literatur ist. Bei «Harry Potter» steht er für den fiesen Magier Lord Voldemort, den alle außer Harry so fürchten, dass sie nicht wagen, seinen Namen auszusprechen.

Silke befand, das sei zu viel der Ehre für meinen bescheuerten Exfreund, und taufte ihn Draco – nach dem ekeligen Mitschüler Draco Malfoy, Harrys ständigem, aber erfolglosem Widersacher.

Draco jedenfalls war immer nur aus Versehen komisch. Bloß hatte ich das zu spät gemerkt. Als zum Beispiel bei unserem ersten gemeinsamen Urlaub – am Meer selbstverständlich, ich wollte es dem Schicksal leicht machen – die Sonne genau so am Horizont versank, wie sie das soll, wenn zwei Verliebte ihr dabei zuschauen, sagte er in die ergreifende Stille hinein: «Mit Sonnenuntergängen ist es ja so: Kennst du einen, kennst du alle.»

«Andere Leute haben Appetit. Ich habe Hunger!»

Lustmolch starrte mich an.

Ich starrte zurück.

Hier war ganz offensichtlich etwas fundamental schief gelaufen.

«Sie sind Sexgott siebenundzwanzig?», fragte mich der kleine, dickliche Türke mit entsetzter Stimme. «Aber Sie sind ja eine Frau! Und noch nicht mal blond!»

Er schaute mich so angewidert an, als sei Weiblichkeit in Kombination mit mittelbraunem beziehungsweise kastanienbraunem Haar eine ansteckende Krankheit mit unbedingter Todesfolge.

Na bravo! Mein erster Versuch, über eine Dating-Agentur jemanden kennen zu lernen, und man vermittelt mir einen untersetzten Homosexuellen mit schlechten Umgangsformen in einem lila changierenden Anzug auf der Suche nach Sexgott siebenundzwanzig. Ich war beleidigt.

Dass der Name «Sexgott» bei der Agentur offenbar schon siebenundzwanzigmal gewählt worden war, ist für die gesamte Männerwelt bezeichnend und beschämend. Die siebenundzwanzig Sexgötter würde ich gerne mal in einer Reihe stehen sehen. Bestimmt ein göttlicher Anblick.

«Nein, das bin ich nicht», sagte ich so beherrscht wie möglich. «Aber Sie sind auch nicht blond. Und schlank schon gar nicht. Und gebildet sind Sie höchstwahrscheinlich auch nicht.»

Das Klingeln, das den baldigen Beginn der Vorstellung ankündigte, zwang uns, eine Entscheidung zu treffen.

«Ich möchte mir die Aufführung ungern entgehen lassen», sagte ich spitz und fand, dass ich mich anhörte wie eine Frau, die Broschen trägt und «Psssst!» zischt, wenn ihr Mann im Theater laut lacht. Lustmolch hatte mich in ein paar Sekunden zu einer Person gemacht, die ich nie sein wollte. Dafür hasste ich ihn umso mehr.

Er folgte mir schweigend zu unseren Plätzen, und bis zur Mitte des Stücks würdigten wir uns keines Blickes mehr. Dann bekam ich eine SMS, was, fürchte ich, auch den Schauspielern auf der Bühne nicht entging. Das durchdringende zweimalige Piepsen wurde durch meine Handtasche kaum gemildert. Ich schämte mich zu Tode – und hätte Lustmolch meucheln können, der sich demonstrativ an die Stirn tippte.

Zwei Minuten später erhielt auch er eine SMS, und es ertönte ein dreimaliges schrilles Wiehern. Leute mit pseudowitzigen Klingeltönen mag ich ja ganz besonders. Wahrscheinlich konnte ich noch dankbar sein, dass das Handy meines missratenen Sitznachbarn nicht rülpste oder pupste. Meine Laune verschlechterte sich zusehends.

Wie sich herausstellte, hatten wir beide eine SMS von der Agentur «Lucky Numbers» bekommen. Man teilte uns mit, dass es durch einen Zahlendreher bei der Eingabe unserer Kundennummern zu einer irrtümlichen Vermittlung gekommen sei. Wir möchten den Fehler entschuldigen, unsere Gebühren würden selbstverständlich erstattet werden.

 

Ich war vom Stück und meinem Begleiter so genervt, dass ich es bitter bereute, auf einem teuren Mittelplatz in der fünften Reihe zu sitzen. Da kann man sich nicht einfach rausstehlen – schon gar nicht, wenn man bereits durch Piepsen und Wiehern einen schlechten Eindruck gemacht hat.

Eine Pause hatte «Die Frau vom Meer» leider nicht zu bieten. Dafür aber ’ne Menge Meer. Es waberte in Form von Kunstnebel über die Bühne, und ich hatte gleich so ein Gefühl, dass der zuständige Techniker die Nebelmaschine womöglich etwas zu großzügig betankt hatte.

Die Darsteller waren nach einer Stunde eigentlich überhaupt nicht mehr zu sehen, und so langsam quoll der Nebel auch ins Parkett. Die ersten beiden Reihen waren schon komplett vernebelt, und ich fand das sehr amüsant, wie feine Damen versuchten, möglichst elegant mit ihrem Programmheft zu wedeln, um den klammen Dunst von ihren Lammfelljäckchen fern zu halten. Ich dachte an «The Fog – Nebel des Grauens» und genoss das Schauspiel – bis der türkische Lustmolch neben mir plötzlich anfing zu röcheln und seine Hand so heftig in meinen Unterarm krallte, dass ich sofort wusste, das würde einige ordentliche Blutergüsse hinterlassen. Ich neige nämlich zu blauen Flecken. Nach einer besonders herzlichen Umarmung oder etwas zupackenderem Geschlechtsverkehr sehe ich immer so misshandelt aus, dass mich jedes Frauenhaus mit Kusshand nehmen würde.

«Der Nebel!», japste Lustmolch. «Mein Asthma! Ich muss hier raus!»

Das Meer hatte mittlerweile auch unsere Reihe erreicht.

Ich packte Lustmolchs Hand und zog ihn Richtung Ausgang. «Ein Notfall», flüsterte ich entschuldigend den Leuten zu, die unseretwegen aufstehen mussten. Bei dem ein oder anderen hatte ich den Eindruck, Neid im Gesicht zu sehen, weil da zwei dem Nebel des Grauens entkamen.

 

In der Theaterbar bestellten wir in kurzem Abstand drei Runden Sekt. «Schaumwein weitet die Blutgefäße und die Bronchialkapillaren», verkündete Lustmolch, der sich von seinem Asthmaanfall beachtlich schnell erholte.

Ich betrachtete ihn jetzt etwas wohlwollender. Er konnte ja eigentlich nichts dafür, dass er schwul und offensichtlich mit einem bedauernswerten Bekleidungsgeschmack ausgestattet war. Außerdem hatte mir seine labile Gesundheit eine weitere Stunde Theater im Nebel erspart.

Figürlich gesehen sah Lustmolch aus wie ein aus der Form geratener Türsteher. In seinem Gesicht – erstaunlich schmal für die bedrohliche Breite seines Oberkörpers – waren die runden blauen Kinderaugen eine angenehme Überraschung. Körpermittig spannte sich eine beachtliche Plautze.

«Ich habe im letzten Jahr etwas zugelegt», murmelte er, als er meinen Blick bemerkte, und schaute bedauernd an sich hinunter. Ach, das fand ich nun wieder liebenswert. Weil es mich an mich erinnerte.

Wenn mich einer genau anschaut, rechne ich auch immer als Erstes damit, dass eine Beschwerde kommt oder ein dezenter Hinweis auf eine optische Entgleisung. Mir wird dann ganz ungemütlich zumute, und ich gebe lieber unaufgefordert zu, dass ich schlecht geschlafen oder zu lange gefeiert habe, der Friseur im Urlaub oder der Vertrag im Fitnessstudio ausgelaufen ist. Das mache ich reflexartig – um mich dann zu ärgern, dass ich mein Gegenüber bereitwillig auf Macken aufmerksam mache, die derjenige von sich aus womöglich gar nicht entdecken würde.

Fehlt nur noch, dass ich dem Nächsten, der mir in den Ausschnitt schaut, sofort entschuldigend die Diagnose meines Hautarztes mitteile. «Frau Schumann», hatte der Herr gemeint, als er meinen Körper nach Sonnenschäden absuchte, «für dieses Dekolleté sind Sie eindeutig zu jung!» Da ich fünfunddreißig bin und das ja nun wirklich nicht mehr jung zu nennen ist, kann man sich vorstellen, wie alt mein Ausschnitt aussieht.

Das liegt daran, dass ich mir vor jedem Urlaub vornehme, einen hohen Sonnenschutzfaktor zu benutzen. Lieber langsam braun werden als schnell verbrennen, sage ich mir jedes Mal. Aber es nützt nichts. Bereits am zweiten Tag liege ich dampfend und rot glühend in der Mittagssonne, eingecremt mit «Coconut-Tropical-Oil für die stark vorgebräunte Haut».

Ich weiß auch nicht, aber bei einigen Themenbereichen des Lebens braucht man mir mit vernunftbezogenen Argumenten nicht zu kommen. Was Sonnenbäder, Kleiderkauf, Beziehungen und den Verzehr von Kinderschokolade angeht, ist mein Unterbewusstsein programmiert auf «möglichst viel, möglichst schnell!».

Ich bin nicht der Typ, der noch dreimal um den Block geht, bevor er eine Bluse kauft. Und wie oft habe ich versucht, ein Stück Schokolade langsam auf der Zunge zergehen zu lassen oder eine homöopathische Dosis Chips zu genießen? Selten. Eher gar nicht. Andere Leute haben Appetit. Ich habe Hunger! Ich kann mich einfach nicht entspannen in Anwesenheit einer halb vollen Packung mit was drin, das ich mag.

Ich war nie gut im Langsamangehen oder Erst-mal-sacken-Lassen. Warum langsam, wenn’s auch schnell geht? Ich wehre mich auch nicht dagegen, mich Hals über Kopf zu verlieben. Ich wäge kein Für und Wider ab. Ich bin nicht vorsichtig. Ich will nicht vernünftig sein. Warum noch eine Nacht darüber schlafen, wenn du diese Nacht bereits mit ihm verbringen könntest? Warum erst mal in dich gehen? Warum nicht gleich mit ihm nach Hause?

Mein Freund Andreas, den ich noch nie gesehen habe, hat mir vor ein paar Stunden dazu Folgendes gemailt:

Von: Andreas Szabo

Betreff: Re: Bräunen oder verbrennen?

Datum: 3. Oktober 14:14:11 MESZ

An: [email protected]

Liebe Linda,

du willst also nicht vorsichtig sein. Und kommst dir dabei wahrscheinlich auch noch total hip und mädchenhaft vor. Das nervt. Vor allem, weil du kein Mädchen mehr bist und weil ich anderthalb Jahre jünger bin als du – und mir schon vorkomme wie der gute alte Onkel, der dir zahnlose Ratschläge für den weiteren Lebensweg gibt.

Aus Fehlern zu lernen heißt nicht, konventionell zu sein. Und nicht jeder, der vorher über das nachdenkt, was er tut, ist automatisch ein Spießer. Mit Vernunft werden auch Weltkriege verhindert. Das vorweg, falls du gerade ausholst, mich als früh vergreisten Emotionsminimalisten zu beschimpfen.

 

«Charakter entsteht durch kurzfristigen Triebverzicht zugunsten langfristiger Ziele.»

 

Ist leider nicht von mir. Wie viele Blusen hängen in deinem Schrank, die du nur einmal getragen hast? Und wie viele wären es, wenn du vor dem Kauf nochmal drüber geschlafen hättest?

Lass mich raten, wie fundamental du deinem Exfreund auf die Nerven gegangen bist mit dem ständigen Gezeter über ein paar Kilo zu viel?

Hat er dir gesagt, dass es doch eine prima Alternative wäre, statt zu jammern, die Tüte Chips in Frieden zu lassen? Vermutlich nicht. Ich war für so was auch immer zu bequem. Hätte wahrscheinlich ohnehin nichts genützt.

Entweder ihr seid unglücklich, weil ihr euch zu dick findet, oder ihr seid unglücklich, weil ihr auf Kohlehydrate verzichtet. Oder ihr seid unglücklich, weil ihr schlank seid, aber nicht wisst, ob ihr euer Gewicht halten werdet.

Euer jeweiliger Gemüts- und Körperzustand muss immer und unter allen Umständen thematisiert werden. Warum könnt ihr nicht einfach mal die Klappe halten und still vor euch hin abnehmen?

Ich weiß, was du jetzt sagen willst: Dein Charakter sei einfach nicht für den Verzicht geschaffen, zumindest nicht für den stillen Verzicht.

Und nur weil ich so ein unkommunikativer Einzeller sei, der seine Probleme mit sich ausmacht, solle ich nicht glauben, mein Weg sei der einzig wahre, um durchs Leben zu kommen.

Das sage ich ja auch nicht. Aber wenn du mich schon fragst: Ja, lieber bräunen statt verbrennen. Nimm den hohen Schutzfaktor und das Stück Schokolade statt der ganzen Tafel. Und schlaf eine Nacht drüber, bevor du mit wem auch immer schläfst.

 

Andreas

 

PS: Noch etwas in eigener Sache.

Ich habe in deiner Küche ein seltsames Gerät entdeckt. Es sieht aus wie eine Mischung aus Vibrator und Moulinette. Ich habe versucht, damit Zwiebeln zu hacken, und hätte dabei fast meinen Daumen filetiert. Was ist das?

Von: Linda Schumann

Betreff: Re: Re: Bräunen oder verbrennen?

Datum: 3. Oktober 17:42:29 MESZ

An: [email protected]

Hände weg vom Pürierstab, ehe ein Unglück geschieht! Und ja: Ich bin nicht der Typ für stillen Genuss und stillen Verzicht. Stille im Allgemeinen ist nicht so mein Ding. Ich hasse sogar stilles Mineralwasser!

Mehr kann ich dazu jetzt nicht schreiben, weil ich auf dem Weg zu meinem ersten Blind Date bin. Mit einem gewissen «Lustmolch» ins Theater! Werde dir später berichten. Und du wirst vor Neid erblassen, wenn ich mich heute Abend Hals über Kopf verlieben und eine rauschende Nacht mit meinem künftigen Gemahl verbringen werde – während du nochmal sacken lässt, was du als Nächstes ganz langsam angehen lassen könntest.

 

Linda

 

PS: Bin ich froh, dass ich dich nicht kenne. Sonst wäre ich niemals so ehrlich.

PS 2: Heute müssen die Blumen gegossen werden. Doch, auch die auf dem Balkon. Regen reicht nicht.

Andreas und ich hatten uns genau im richtigen Moment nicht kennen gelernt. Drei Monate nach der traumatischen Trennung von meinem Freund hatte ich beschlossen, die Stadt zu verlassen. Ein Neuanfang schien mir angebracht. Weg von all den Erinnerungen, weg von der Möglichkeit, ihm an jeder Ecke begegnen zu können. Drei Monate wollte ich mir für meine Genesung gönnen. An meinen Übersetzungen konnte ich schließlich überall arbeiten.

Innerhalb von ein paar Tagen fand ich über die Mitwohnzentrale eine Wohnung in Berlin. Das erste Angebot hatte ich abgelehnt, obschon die Fotos der beiden Zimmer recht einladend aussahen. Aber bei genauerem Nachfragen stellte sich heraus, dass das, was mir der Vermieter am Telefon als «unverbaubaren Fernblick» beschrieben hatte, der Sichtkontakt zur Landebahn des Flughafens Tempelhof war.

Das zweite Angebot war perfekt. Für alle Beteiligten. Andreas Szabó, Illustrator, bot ab sofort seine Zweizimmerwohnung am Prenzlauer Berg an und suchte – ich zitiere die Mitwohnzentrale: «Egal was. Möglichst sofort. Mindestens dreihundert Kilometer weg von Berlin. Kleine Stadt. Erst mal für drei Monate.»

Na, da schien einer genauso dringend sein Leben verlassen zu wollen wie ich. Und so hatten wir einfach getauscht, sein Leben gegen meins, mein Leben gegen seins. Wir haben uns nie gesehen. Sind einfach am selben Tag und zur selben Zeit losgefahren und haben die Schlüssel bei den Nachbarn hinterlegt.

Zunächst tauschten wir nur E-Mails aus wie «Muss man deinen Toaster bedrohen, damit er funktioniert?» (von mir) oder «Wie konntest du mit einer Nachbarin existieren, die zum Aufstehen Whitney Houston aufdreht?» (von ihm). Oder: «Dein Wecker tickt so laut, dass er mich nicht wecken muss, weil ich wegen ihm ohnehin nicht einschlafen kann» (von ihm). Oder: «Hilfe, hätte heute fast deine widerlichen Ohrenstöpsel aufgegessen, weil ich sie für Gummibärchen hielt!» (von mir).

Aber wenn einer in deinem Bett schläft, bewacht von deinen Stofftieren, wenn einer vergisst, deine Balkonpflanzen zu gießen, wenn einer zum Einschlafen die Spieluhr aufzieht, die du so liebtest, bis sich traurige Erinnerungen an sie hefteten wie fettige Fingerabdrücke, wenn sich einer kaputtlacht über deine «Sissi»-DVD-Schmuckkollektion mit persönlicher Widmung von Karlheinz Böhm, wenn einer auf der Flucht ist – genauso wie du – und merkt, dass Fliehen sinnlos ist – genauso wie du: Dann entsteht eine seltsame, anonyme Nähe.

Mittlerweile weiß Andreas so viel über mich, als würden wir uns schon Jahre kennen. Ich versuche, ihn zu trösten, wenn er sich einsam fühlt in der Wohnung, die ich gerade so schlimm vermisse. Entweder schreibe ich dann Mails, die ich für lustig halte, oder mache ihn auf Bücher und Filme in meinen Regalen aufmerksam, die mir immer geholfen haben, mich von meinem Kummer abzulenken.

Nun gut, bei der Empfehlung, sich «Pretty Woman» anzuschauen, hatte ich seinen Geschmack wohl nicht hundertprozentig getroffen. Und bei «Arielle die Meerjungfrau» ließ er sich nicht mal überreden, die DVD im Regal zu suchen. Aber er musste zugeben, dass die Lektüre von «Asterix und Kleopatra» und «Asterix bei den Belgiern» fast immer zu augenblicklicher Besserung der Laune führt.

Im Gegenzug versorgt mich Andreas mit Berlin-Adressen. Bevor ich das erste Mal das Haus verließ, kannte ich den besten Thailänder am Prenzlauer Berg, den «Fettnapf» – die beste Frittenbude, den schönsten Wochenmarkt, und ich hatte drei Telefonnummern von Freunden von Andreas, die sich bereit erklärt hatten, mit mir auszugehen – wenn es denn unbedingt sein müsse.

Und dank Andreas kannte ich den besten Döner-Laden Berlins, der dazu noch rund um die Uhr geöffnet war. Bereits mehreren Abenden, die einsam zu werden drohten, hatte ich im «Grill- und Schlemmerbuffet» am Rosenthaler Platz noch eine positive Wendung geben können. Der Döner dort ist absolut knorpelfrei und einer der leckersten, die ich je gegessen habe. Ich darf mich auf diesem Gebiet als Spezialistin bezeichnen, denn Döner ist für mich das Größte. Nichts macht mich so schnell glücklich wie der Biss in einen guten, großen Döner mit viel Tzatziki und Zwiebeln.

Ich habe mir tatsächlich schon morgens um vier an den wackeligen Stehtischen des «Grill- und Schlemmerbuffets» den Kummer weggegessen. Da stand ich dann, gleich vor den beiden Spielautomaten, am abgeschabten Holzstehtisch, und schon der Anblick des schwitzenden, sich langsam drehenden, riesigen Fleischspießes stimmte mich dankbar und andächtig.

Ich verstand Andreas gut, dass er gebeten hatte, ich möchte ihm nicht länger von meinen nächtlichen Döner-Gelagen berichten. Er habe kaum Heimweh, aber der Gedanke ans «Grill- und Schlemmerbuffet» sei eine Qual.

Welcher Liebeskummer Andreas zur Flucht aus Berlin bewogen hat, weiß ich nicht. Aber irgendwann werde ich ihn danach fragen. Jedenfalls sind wir auf eine besondere Weise fremde Freunde geworden.

 

Lustmolch war nach der vierten Runde Sekt offensichtlich zu der Ansicht gelangt, dass wir Freunde werden sollten. Er senkte seine Stimme so tief wie möglich, sah mir verschwörerisch in die Augen und fragte: «Da du offensichtlich nicht Sexgott siebenundzwanzig bist, wer bist du dann? Egal, was du heute Abend erleben wolltest, mit Sex hätte das mit Sicherheit nicht das Geringste zu tun gehabt.»

Dabei musterte er mich und meinen Ausschnitt mitleidig.

«Wie meinst du das?»

Hätte ich meine Bluse doch einen Knopf weiter aufmachen sollen? Und die schwarze Hose? Zu seriös? Die Schuhe zu flach? Die Kette zu bieder?

«Ich hatte keine Zeit, mich groß umzuziehen.» Ich hatte seit dem frühen Nachmittag etwa acht verschiedene Kombinationen probiert.

«Also mich brauchst du wirklich nicht anzulügen, Süße. Die Frau muss erst noch geboren werden, die sich keinen Kopf macht, was sie bei der ersten Verabredung anzieht. Wenn das jemals was werden soll mit deinen Blind Dates, solltest du dringend die Schuh-, Dekolleté- und Po-Frage checken. So, und jetzt möchte ich mich erst mal richtig vorstellen: Erdal Küppers. Wohnhaft in Hamburg, aber als Lustmolch auf Jagd in Berlin.»

«Angenehm. Linda Schumann. Neu-Berlinerin und als ‹Paprika› erstmals auf Jagd.»

«Paprika? Feurig! Scharf! Puszta! Sex! Also der Name ist spitze. Er passt nur leider nicht zu dir. Aber das werden wir ändern!»

«Das Schicksal klingelt nicht an der Haustür. Jedenfalls nicht an meiner»

Ich öffne die Tür – und höre mich schreien. Das war mir natürlich schon in der nächsten Sekunde peinlich, aber ich bin nun mal schrecklich schreckhaft.