Hölle – Ein Pfalz-Krimi - Alicia Schlinck - E-Book

Hölle – Ein Pfalz-Krimi E-Book

Alicia Schlinck

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Beschreibung

Auf der Dienststelle in Neustadt an der Weinstraße läuft alles in geregelten Bahnen, Schwerverbrecher sind weit und breit auch keine in Sicht. Eine Gelegenheit, die sich der Dienststellenleiter Oberkommissar Dieter Schlempert nicht entgehen lässt und ein paar Tage frei nimmt. Ein paar Tage, um sie mit seiner Familie zu verbringen, um sich um den Garten zu kümmern, um zu entspannen, um ehrgeizig seine Fitness zu verbessern, einfach, um sie mit angenehmen Dingen zu füllen. Dass gerade dann, wenn sich das Leben von seiner schönsten Seite zeigt, ausgerechnet die Kommissarstochter gekidnappt wird, stürzt Schlempert in die größte Krise seines Lebens. Dass er sich als Angehöriger vom Entführungsopfer nicht an den Ermittlungen beteiligen darf, macht es auch nicht besser. Kurzerhand begibt er sich auf eigene Faust auf Verbrecherjagd. - »Peter wiederum legt seinen Arm um meine Schulter und zieht mich freundschaftlich hinaus auf den Hof. ›Dieter, wie geht es dir?‹, fragt er mich und schaut mir dabei in die Augen, als wollte er prüfen, ob ich ihm auch die Wahrheit sage. ›Was willst du hören? Meine Tochter ist in der Hand von einem Psychopathen, meine Dienststelle kocht ihr eigenes Süppchen und meinem Sohn, samt meiner Frau habe ich Hausarrest erteilt, damit ihnen nichts geschieht. Wie soll es mir also gehen? Beschissen natürlich.‹«

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Alicia Schlinck wurde am 21.03.2000 in der Südpfalz geboren. Schon vor ihrer Geburt bewies sie Eigensinn und verharrte in Steißlage. Nachdem sie ein Arzt mit dem Skalpell das Licht der Erde erblicken ließ, entdeckte sie früh ihre Liebe zu Büchern, somit war es ihr ein Freude mit ihrem Baba dieses Buch auf Papier zu bringen.

Michael Schlinck, am 07.07.1969 ebenfalls in der Südpfalz geboren, freute sich am 21.03.2000 über die Geburt seiner eigensinnigen Tochter. Da diese sich zur Leseratte entwickelte, war es Michael bald ein Bedürfnis, selbst Bücher zu verfassen. Inzwischen gelang es ihm auch seine Kinder mit seiner Leidenschaft zu infizieren. So haben Alicia als Co-Autorin und sein Sohn Luc, geboren 03.11.2001, als Grafiker an diesem Buch mitgearbeitet.

Michael Schlinck

HÖLLE – EIN PFALZ-KRIMI

Kommissar Schlemperts familiärster Fall

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2018

Personen und Handlungen sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Copyright (2018) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de

Übersichtskarte

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Impressum

Vorwort

Tag 1

Tag 2

Tag 3

Tag 4

Tag 5

Tag 6

Im Krankenhaus I

Trauma

Im Krankenhaus II

Ein Schritt zur Normalität

Amnesie

Jawohl

Synapsen

Cool

Was nun?

Marc

Schocktherapie

Schocktherapie die Zweite

Beim Präsidenten

Rudy Palanowski

Alicia

Michael

Weitere Informationen

Vorwort

Noch nie habe ich meinen Job gemocht. Alles hat damit angefangen, dass ich im Sandkasten gerne Räuber und Gendarm gespielt habe und davon träumte, cool auf Verbrecherjagd zu gehen, so wie Bruce Willis als John McClane in »Stirb Langsam«. Was ich dabei vergessen habe ist, dass ich weder cool noch Bruce Willis bin. So habe ich nun einen Job am Bein, der weder zu mir noch ich zu ihm passe. Aber nun ist es eben einmal so und ich bin Bulle. Oberbulle sogar bin ich, als Dienststellenleiter.

Allerdings hat man so als Oberbulle nicht nur Freunde, ganz im Gegenteil, es liegt in der Natur der Sache, dass man in bestimmten Kreisen recht unbeliebt zu sein scheint. Schon wieder ein Nachteil dieses Scheißjobs. Als würden die unbezahlten Überstunden, die unangenehmen Gespräche mit der Landesregierung und die Querelen im Team nicht reichen.

Aber nun bin ich abgeschweift:

Also habe ich mir, so als Oberbulle, einen Urlaub verdient und genau da beginnt er, der schlimmste Alptraum, den ich in meinem Leben durchschreiten muss. Und dabei beginnt es so beschaulich.

Am besten, Ihr lest selbst.

Euer Dieter

Tag 1

Feuchte Erde, richtig, genauso riecht frische, feuchte Erde. Kein wenig modrig oder gammelig, ganz frisch riecht sie, die Erde. Auch der Aushub, der neben dem Eingang liegt, ist noch nicht in der Frühlingssonne getrocknet. Dieser Gang wurde erst vor kurzem gegraben, das ist sicher. Irgendwo dort drinnen ist er, der Gauner. Oder ist es etwa eine Gaunerin? Genau bestimmen kann ich es nicht. Immerhin bin ich dem Subjekt ja noch nie persönlich begegnet, nur dem Ergebnis der Missetaten.

Wie soll ich nur vorgehen? Welche Strategie wäre hier angebracht? Am liebsten würde ich ja gerne hineinkriechen, wenn es nur ginge. Doch schon beim Gedanken daran gerät mein gesamter Kreislauf aus dem Takt. Durch Training konnte ich einen Teil meiner Klaustrophobie ablegen. Ich kann immerhin mit einem Aufzug fahren oder auch mit dem Flugzeug in den Urlaub reisen, aber enge Höhlen gehen nicht, genau wie eine Fahrt auf der Rückbank eines Autos, welches hinten keine Türen besitzt. Der Gedanke daran, dass ich von dem vor mir Sitzenden abhängig bin, wenn ich das Fahrzeug verlassen will, schnürt mir die Luft ab. Auch musste ich neulich zur Computertomografie, also in die Röhre. Genau fünf Zentimeter bin ich in die Maschine eingetaucht, schon schrie ich nach Hilfe und habe panisch den Alarmknopf gedrückt. Erst mit einer Beruhigungsspritze war es mir möglich, diese Untersuchung über mich ergehen zu lassen.

Bei diesen unterirdischen Gängen mit den ganzen Verzweigungen würde ich es keine fünf Sekunden aushalten, auch mit Spritze nicht. Doch alles wenn und aber hilft nichts, da drinnen hockt er, der Feind, und ich bin hier draußen. Da ich nicht hinein kann, muss ich ihn herauslocken, den Gauner. Doch wie nur? Am besten ich spüle ihn aus seinem Loch. Aber wenn ich die unterirdischen Gänge mit Wasser flute, nehme ich auch in Kauf, dass ich diesen miesen Halunken am Ende noch auf dem Gewissen habe. Jetzt ist guter Rat teuer. Kurz entschlossen greife ich nun doch zum rabiatesten aller Mittel und bereite alles vor, um dem Übeltäter ein nasses Grab zu bereiten. Und nun, Schlauch ins Loch und Wasser marsch. Kurz plagt mich noch mein Gewissen, doch dann reiß ich den Hebel um und pumpe das unterirdische Labyrinth voller Wasser. Jetzt heißt es, alle Ausgänge im Auge zu behalten, damit er mir nicht entkommt, der Lump. Aus dem ersten der vielen Ausgängen blubbert auch schon das Wasser nach oben. Nun kommen auch schon aus zwei weiteren Zugängen die ersten Blasen. Nur der Unhold lässt sich nicht sehen. Ob er nun doch gerade in einem dunklen Eck ersäuft? War es wirklich die richtige Entscheidung, gleich so rabiat zu werden? Nun ist es zu spät. Inzwischen kommt aus immer mehr Erdlöchern das Wasser geblubbert. Jetzt reicht es! Werde ich nun wegen dieser Sache zum Mörder?

Nein, ich lege den Hebel wieder zurück und unterbreche somit die Wasserzufuhr. Was hat mich denn nur zu solch einer Tat getrieben? Gut, ich habe im letzten Spätsommer viel Zeit damit verbracht, meinen Garten zu pflegen. Einen Pool habe ich angelegt mit einer befestigten Grillfläche. Und den Rasen habe ich gehegt und gepflegt. Meine ganze Liebe zur Natur habe ich in diesen Rasen gesteckt, habe ihn gestutzt und gedüngt. Nun kommt so ein blöder Maulwurf und gräbt mir den ganzen Garten um. Alle paar Meter hinterlässt er seine typischen Haufen in meinem sonst so gepflegten Garten. Da kann einem ja wirklich der Gaul durchgehen und ich kann dann auch noch zum Gartenschlauch greifen, um ihm sein Wohnzimmer unter Wasser zu setzen. Ich hoffe, es wird ihm eine Lehre sein, dem doofen Maulwurf.

Dabei hat der Tag so schön angefangen, bis kurz vor zehn hatte ich im Bett gelegen, an einem ganz gewöhnlichen Montag. Heute habe ich mir dies gegönnt, es ist ja auch kein so ganz gewöhnlicher Montag. Es ist mein erster Urlaubstag seit ich die Neustadter Dienststelle als deren Leiter übernommen habe. Nachdem einige Wochen kein erwähnenswertes Verbrechen mehr geschehen ist, kann ich mir nun auch eine ganze lange Woche Urlaub gönnen. Es scheint mir und meinem Team gelungen zu sein, alle kriminellen Elemente entweder vertrieben oder ins Gefängnis gebracht zu haben.

Beim Öffnen meiner altmodischen Klappläden aus Holz vor dem Schlafzimmerfenster hatte mich dann eiskalt die Morgensonne erwischt. Nur durch die winzigen Schlitze meiner Augenlider konnte ich erkennen, welch ein herrlicher Frühlingstag mich hier draußen erwartet.

»Bin ich denn überhaupt noch auf der Erde, oder ist das etwa schon das Himmelreich?«, hatte ich mir gedacht, egal, ich wollte diesen Montag genießen, als ob es mein letzter wäre. Und wo könnte ich ihn besser beginnen als in meinem Garten? Nirgends!

Und hier stehe ich nun. Ich bin auch immer noch am Grübeln, ob ich dem armen Maulwurf Unrecht getan habe. Immerhin hat er nur auf seinen Instinkt gehorcht, der ihm eben den Befehl zum Höhlenbau erteilt hat und ich habe ihn dafür ertränkt. Das ist nicht gut. Dieser gemeine Meuchelmord, den ich verübt habe, wird mein Gewissen sicher auf Dauer belasten. Dementsprechend geduckt lasse ich meinen Blick durch den Garten wandern und sehe dabei, wie sich bei einem Rosenstock ein weiterer Erdhaufen bildet. Plötzlich erhebt sich daraus eine spitze, schwarze Schnauze. Am Rand der frisch aufgewühlten Erde sehe ich auch die schaufelartigen Vorderläufe des Bodenwerfers. Nun schiebt er auch noch den Rest seines Kopfes aus seiner Höhle. Eigentlich hat er sogar etwas Niedliches, wie er mich so anschaut. Seine Mundwinkel zieht er leicht nach oben und seine schwarzen Äugelein beginnen zu glänzen als er mich erblickt. Ich deute diese Grimasse als Grinsen. Genau das ist es, ein hämisches Lachen, dieses Mistvieh verspottet mich auch noch. Schnell hab ich mein schlechtes Gewissen vergessen und stürme ungestüm auf die Bestie zu. Natürlich ist so ein durchtrainiertes Kleintier wesentlich flinker als ein übergewichtiger Mitvierziger. Somit sind meine Anstrengungen vergeblich und ich stehe schwer atmend auf meinem Rasen und vernehme ein amüsiertes Lachen. Gibt es so etwas? Da lacht mich dieser Teufel auch noch aus. Ich dachte immer, dass diese Biester nur piepende Geräusche, ähnlich wie Mäuse, von sich geben können. So habe ich mir meinen ersten Urlaubstag gewiss nicht vorgestellt, dass ich im Garten stehe und ein Gartenumwühler hält mich zum Narren.

»Na, hält er dich zum Narren, dein Tunnelgräber? Hahaha.«

Okay, dies ist nun kein Maulwurf, der zu mir spricht. Es ist mein lieber Nachbar, Reiner Buttermilch, der sich köstlich über meine missliche Lage amüsiert.

»Du hast gut zu lachen, dein Garten sieht ja nicht aus wie das rheinhessische Hügelland«, rufe ich ihm zu.

»Komm mit zu mir rüber, ich habe da ein altes Hausmittel«, meint Reiner und winkt mich zu sich her.

Sein blonder Pony ist ihm inzwischen bis über die Augen gewachsen und bildet nun einen gleichmäßigen Abschluss mit seinen Kotletten. Ich kann nicht verstehen, wie Reiner durch diesen dichten Vorhang aus Haaren überhaupt etwas sehen kann. Anscheinend übt er schon einmal für die ewige Finsternis.

Auf seinem Hof gibt er mir eine Kanne mit Käsemolke. Mich verwundert, dass es etwas gibt, das Reiner im Überschuss hat, bei seiner Produktion von fragwürdigen Bioprodukten. Normalerweise verarbeitet er alles, restlos, egal wie unappetitlich es ist, zu seinen speziellen Milchprodukten. Eben alles von Reiner Buttermilch. Jedenfalls schütte ich kurz danach in jeden der Erdhaufen einen kräftigen Schluck Molke, was den Maulwurf vertreiben sollte, ohne dass er dabei sein Leben verliert. Soll er doch sein Fressen woanders suchen und dabei auch jemand anderen die Nerven rauben.

Apropos Fressen, eigentlich ist es nun an der Zeit, dass ich mich um die Zubereitung des Mittagsessens kümmere. Nach einem späten und üppigen Frühstück hätte ich ja noch keinen Bedarf an Kalorienaufnahme, aber um zwei kommt der Schulbus und dann schreien meine Kinder nach etwas Sättigendem. So habe ich pünktlich um zwei ein Festmahl auf dem Tisch stehen, nur was fehlt ist meine Familie. Denn inzwischen sollte doch mein Nachwuchs schon zu Hause sein. Nervös wandere ich am Fenster hin und her, jedoch niemand lässt sich draußen auf dem Hof blicken.

Also rufe ich zuerst einmal Natalie an, um diese zu fragen, weshalb meine engsten Familienmitglieder meine Kochkünste verschmähen.

»Schatz, du brauchst nichts zu kochen, Maik und ich sind gleich nach der Schule schnell zum Chinesen, um etwas zu essen, nun gehen wir zum Frisör. Genieße deinen freien Tag. Natalie« Dies lese ich auf dem Display von meinem Smartphone. Meine Kinder haben eigens für solche Zwecke eine WhatsApp-Gruppe eingerichtet. WhatsApp, wieder so ein Phänomen der Neuzeit, an welches ich mich noch gewöhnen muss.

Auf alle Fälle hock ich nun da wie der sprichwörtlich begossene Pudel. Der Herd steht voll mit dem leckersten Essen und mir ist der Appetit beinahe vergangen. Da hat man endlich einmal frei und keinen interessiert es. Morgen kann kochen wer will und ich esse auf jeden Fall aus Trotz die Reste von heute. Beim Frisör hocken also Natalie und Maik, aber wo steckt denn nur Quenni, meine Große? Auch sie erreicht man am besten mit diesem modernen Messenger-Dienst.

Keine dreißig Sekunden nachdem ich meine Nachricht versendet hab, macht mich mein Handy mit so einem unangenehmen Pfeifgeräusch darauf aufmerksam, dass nun auch in meinem Postfach eine Nachricht hinterlegt ist. »Hi Daddy, komm heute nicht nach Hause. Gehe ins Fitnessstudio und penne dann bei Marc, hatte ich dir aber gesagt.«

Gesagt, gesagt, mir wird so viel gesagt, da kann ich ja auch etwas überhören oder von mir aus auch einmal etwas vergessen. Jedenfalls ist dies noch lange kein Grund, mich alleine in der Küche sitzen zu lassen. Und überhaupt, sie hat doch morgen ihre Führerscheinprüfung, da schläft man nicht auswärts, wenn so ein wichtiger Termin ansteht. Nein, da bleibt man zu Hause im Schoß der Familie, immerhin ist so ein Führerschein ein einschneidendes Ereignis für eine Familie, da muss man auch mal den erregten Papa trösten.

Ich kann es wohl drehen und wenden wie ich will, es wird sich nichts daran ändern an meiner temporären Einsamkeit. Also setze ich mich alleine an den Tisch und schaufle mir den Teller bis zum Rand voll. Das Ganze wiederhole ich auch noch ein zweites und ein drittes Mal.

Nun habe ich die maximale Ranzenspannung erreicht, was bedeutet, dass mein Magen bis zum Zerbersten gefüllt ist. Es ist keine meiner positiven Eigenschaften, in solch einer Situation zur übermäßigen Nahrungsaufnahme zu neigen, aber ich kann es einfach nicht steuern. ›Frustfressen‹ nennt es Natalie zerknirscht, wenn ich wieder einmal neue Garderobe brauche.

Da ich mich nun genötigt fühle, meinen Körper zu betätigen, gehe ich erneut hinters Haus in den Garten, aber ich wüsste nichts, was ich hier noch tun sollte. Auf der Abdeckfolie von unserem Pool liegen noch ein paar Schneereste und auf dem Rasen sind die flachgetretenen Maulwurfhügel zu sehen. So schleppe ich mir eben einen Klappstuhl auf die Veranda und schaue dem Schnee beim Tauen zu. Da ist dieses kleine Häufchen zu meinen Füßen, welches sich vergeblich gegen die Sonne wehrt. Ein kleines Naturschauspiel, das mich in seiner Banalität fasziniert. Da jage ich tagelang Mörder, Vergewaltiger und sonstige kriminelle Subjekte und nun fesselt mich der Anblick eines dahinscheidenden Schneehäufchens. Das Zuschauen strengt mich mehr an, als ich ursprünglich dachte und so übermannt mich die Frühjahrsmüdigkeit …

Achtundneunzig, neunundneunzig, hundert, geschafft. Warum tue ich mir den Scheiß hier eigentlich an? Da schleppe ich mich zweimal die Woche hier ins Center und mache brav meiner Sit‐ups für einen straffen Bauch, aber keinen interessiert es. Die Milly kommt schon lange nicht mehr mit und dem Marc ist es auch scheißegal, ob ich fett werde oder nicht, sagt er zumindest. Wenn ich allerdings an Daddy denke, so eine Wampe wie der will ich auch nicht haben. Gut, dann mach ich die ganze Quälerei eben für mich, wie es auch sein sollte.

Na ja, zwischen Marc und mir ist auch nichts mehr wie früher. Damals, da haben wir noch alles zusammen gemacht, jede freie Minute miteinander verbracht. Und nun? Jetzt hat er nur noch eins im Kopf und das ist sein beschissener Job und die verdammte Asche, die er verdient, verdammter Fuck. Jedes Wochenende hockt er in der Küche und kocht für die ›Bessere Gesellschafft‹. Gut, wenn er dann seine Lehre beendet hat, kann er mit der Asche, die er verdient, sicher eine Familie ernähren, aber was juckt mich das jetzt? Wir sind schließlich noch jung, da sollten wir doch Party machen, aber ich hock jedes Wochenende allein zu Hause und warte auf eine WhatsApp von ihm. Bestimmt dürfte er laut Jugendschutzgesetz nicht so viel malochen, oft von morgens bis in die Nacht um zwei. Ich werde das googeln und ihm dann Bescheid blasen. Genau, er ist ja mein Macker und nicht der Macker seines Chefs. Nachher fahr ich ja eh zu ihm rüber und werde auch bei ihm pennen, dann mache ich ihm mal ordentlich Dampf und wenn er nicht kuscht, dann soll er sich einfach eine andere suchen, die den Depp für ihn macht. Genau!

Warum ist es nur so kalt? Ach so, die Sonne ist hinter dem Giebel unseres Hauses verschwunden. Da bin ich doch tatsächlich in der Frühlingssonne eingeschlummert. Das Schneehäuflein zu meinen Füßen hat sich der Sonne ergeben und nur eine kleine Pfütze erinnert noch an seine Existenz. Ja, auch der Schnee ist vergänglich, so wie es auch wir Menschen sind. Selbst wenn wir dies ein Leben lang verdrängen möchten, irgendwann erwischt es uns doch, egal ob arm oder reich, ob dumm oder gescheit. Und wenn ich schon am Philosophieren bin, ist meine nächste Philosophie, »ohne Sonne ist es im Garten arschkalt« und deswegen gehe ich nun rein.

In der Küche haben inzwischen Maik und Natalie sich die Teller mit dem restlichen Mittagsessen gefüllt, was mich schnell wieder versöhnlich werden lässt. Mit Verwunderung bestaune ich auch die neuen Frisuren, die meine Familienmitglieder nun tragen.

Ich selbst gehe in den Keller, um mit meiner Deutschrockband, den »Dashwings«, zu proben, was mich die Pein vom Nachmittag endgültig vergessen lässt.

Ach du Scheiße, was ist denn nun los? Wo bin ich und wie komme ich hier her? Alter, warum dröhnt mir der Schädel so? Ich weiß nur noch, dass ich aus der Muckibude gekommen bin, dann wurde es schwarz vor meinen Augen. Da war nur noch dieser behinderte Schmerz an meinem Hinterkopf. Genau, ein irrer Schmerz und dann wurde es Nacht. Finster! Und nun? Alter, ich weiß nicht einmal ob es gerade Tag oder Nacht ist, da müsste ich mal kucken, aber ich kann nicht, weil meine Augendeckel so sackschwer sind. Sie sind dermaßen schwer, dass ich es nicht pack, sie auch nur ein bisschen zu öffnen. Nicht mal für nen Millimeter. Kein Stück, Fuck. Das kann doch nicht wahr sein, das ist doch alles nur ein scheiß Witz von Marc.

Bin ich nun schon zu schwach, meine Augen zu öffnen? Was ist denn nur los mit mir? Kann mir jemand sagen, was hier eigentlich abgeht? Wie war das? Ich bekam einen Schlag auf den Schädel. Merk ich da was? Oh du gequirlte Oberscheiße, wie kann ich nur auf so einen saudummen Gedanken kommen? Klar merke ich dort etwas, einen Megaschmerz, der mir gleich wieder das Licht ausgehen lässt. Ein Schmerz, der mich doch zum hysterischen Gekreische bringen müsste. Aber warum kreische ich denn nicht? Was ist nur los mit meinem Mund? Ich konzentriere mich auf meinen Mund, doch es kommt mir vor, als wäre es gar nicht meiner. Der ist so trocken, total ausgedörrt und die Lippen pappen aneinander, als wäre Kleber darauf. Ich versuche zu plärren, doch nichts passiert, so ein Dreck. Kein Ton verlässt meinen Kopf, also nehme ich noch einmal meine ganze Kraft zusammen und konzentriere mich nur darauf zu schreien. Aber anstatt eines Tons kommt nur der stechende Schmerz am Hinterkopf zurück. Das ist nicht nur ein Stechen, das ist ein riesiger rostiger Nagel, den mir jemand in den Schädel zu rammen scheint. Autsch, verdammte Scheiße! Verflucht und zugenäht! Nun wird es auch schon wieder finster in meiner Denkfabrik und mit meinem Bewusstsein verliert sich glücklicherweise auch wieder der Kackschmerz.

Tag 2

Scheiße, ich war wieder weg. Alter, wie lange war ich denn dieses Mal bewusstlos? Mir kommt es wie eine Ewigkeit vor, doch es können auch nur ein paar Minuten gewesen sein. Jedenfalls tut mir der Schädel etwas weniger weh als vorher, was allerdings nicht heißt, dass die Schmerzen jetzt zum Aushalten wären. Bestimmt nicht, sie sind nur so, dass mir nicht gleich wieder das Licht ausgeht. Jetzt habe ich wenigstens die Chance, den Rest meines Körpers abzuchecken. Die Hände! Ich kann sie nicht fühlen. Alles was ich fühle ist ein Scheiß, der sich in meine Handgelenke schneidet und mir saumäßig weh tut. Bin ich etwa gefesselt? Das wird es sein, denn ich kann auch meine Arme nicht rühren. Holy Shit, wer zum Teufel hat mich warum gefesselt? Jetzt kocht mir aber gleich die Galle über. Vielleicht komme ich ja weiter, wenn ich nochmal versuche, die Augendeckel aufzuklappen. Immerhin bekomme ich diese um ein paar Millimeter gelupft, doch ich sehe nichts. Ein großes, stockdunkles Nichts! Nur kalt ist es! Arschkalt, ein verdammtes, dunkles Loch, in dem ich mich befinde.

Mit einem schönen Frühstück wollte ich meinen zweiten Urlaubstag beginnen, gerne auch mit einer heißen Dusche oder von mir aus auch mit etwas Frühsport, nur nicht mit einem Telefon, welches hartnäckig läutet. Da unseres nun einmal läutet, gehe ich eben ran.

»Schlempert«, melde ich mich und mich erschrickt dabei, wie verschlafen meine Stimme noch klingt.

»Ey, hier ist der Benny«, meldet sich eine mir gänzlich unbekannte Stimme, »wo steckt denn die Quenni?«

Gut, wer Quenni ist, das weiß ich. Doch was ein mir unbekannter Mann von meiner Tochter will, das weiß ich nicht.

»Sagen Sie mir zuerst einmal, wer Sie sind und was Sie von meiner Tochter wollen.«

»Oh sorry, ich bin der Benny, Fahrlehrer bei der Fahrschule Müller«, stellt sich nun mein Gesprächspartner ordnungsgemäß vor, »ich stehe vor der Prüfstelle in Landau und hatte hier vor einer halben Stunde einen Prüfungstermin mit Quenni. Diese ist allerdings nicht aufgetaucht.«

Nicht aufgetaucht? Das passt nicht zu meiner Tochter. Diese ist eigentlich immer die Zuverlässigkeit in Person, vor allem, wenn es um ihren Führerschein geht. Seit Wochen redet sie von der heutigen Führerscheinprüfung und wie sie sich darauf freut, mich danach durch die Gegend zu chauffieren. Begleitetes Fahren mit siebzehn eben.

Da stimmt etwas nicht! Selbst wenn sie bei Marc den Bus verpasst hätte, dann hätte sie angerufen, damit ich sie abhole und nach Landau bringe und hätte nicht die Prüfung sausen lassen.

»Ich werde Quenni auf dem Handy anrufen und melde mich sogleich bei Ihnen«, sag ich zu Benny und möchte gerne auflegen.

»Das hab ich doch längst versucht«, informiert mich aber der Fahrlehrer, bevor ich auflegen kann. »Dreimal habe ich es bei ihr durchläuten lassen, ohne Erfolg.«

»Okay, ich versuche sie zu erreichen und sage ihr, dass sie sich bei Ihnen melden soll«, und damit beende ich das Gespräch.

Sicher ist sie bei Marc und der hat einmal mehr den Wecker abgestellt, da er nach einem durchgearbeiteten Wochenende an seinen beiden freien Tagen ausschlafen möchte. Natürlich ist mir klar, dass Quenni eine eigene Weckfunktion in ihrem Handy hat, doch auf irgendeine Art muss ich mich schließlich beruhigen.

Zunächst suche ich aus dem Telefonspeicher die Nummer von Marcs Handy und bestätige sie auch gleich.

»Moin Dieter, was gibt es?«, meldet sich mein Schwiegersohn in spe gähnend.

»Hey Marc«, sag ich aufgeregt, »sag mal, pennt ihr noch? In Landau steht der Fahrlehrer von Quenni samt Prüfer und wartet.«

»Ist sie nicht dort? Bei mir ist sie auch nicht!«

»Wie bei dir ist sie nicht? Sie hat doch bei dir übernachtet, wann ist sie denn los?«

»Gar nicht«, vervollständigt Marc meine Verwirrung.

»Also ist sie doch noch bei dir?«, versuche ich mir nun Klarheit zu verschaffen. »Jetzt sag schon, wo steckt Quenni?«

»Keine Ahnung. Eigentlich wollte sie ja gestern nach der Muckibude zu mir kommen, um in ihren Geburtstag reinzufeiern, aber sie ist nicht gekommen.«

»Mensch und da sagst du nicht Bescheid? Was für ein Paar seid ihr denn? Wo kann sie denn nur sein? Quenni lässt schließlich nicht so mir nichts dir nichts ihre Führerscheinprüfung sausen.«

»Keine Ahnung«, sagt Marc nun zum wiederholten Mal, »ich weiß nicht, wo sie sich verkriecht, wenn sie zickt.«

Meine Tochter zickt? Okay, sie pubertiert, aber zicken würde ich dies nicht nennen. Wichtig ist für mich zu wissen, wo meine Tochter steckt. Nur, wie soll ich das herausfinden, wenn ich nach dem Auflegen keine ruhige Minute zum Nachdenken habe, denn schon wieder klingelt das verdammte Telefon.

Die Nummer auf dem Display ist mir unbekannt und hat eine Vorwahl von Zweibrücken oder so. Sollte dies vielleicht Quenni sein? Aber was hat sie denn in Zweibrücken zu suchen? Das soll sie mir am besten gleich erklären, falls sie es überhaupt ist, die hier anruft.

»Schlempert«, melde ich mich also zum zweiten Mal heute Morgen knapp am Telefon.

»Die Justizvollzugsanstalt Zweibrücken, mein Name ist Ronald Würth, guten Tag«, meldet sich eine etwas heißere, männliche Stimme. »Spreche ich mit dem Oberkommissar Dieter Schlempert von der Dienststelle in Neustadt an der Weinstraße?«

»Mit dem Dienststellenleiter, um ganz genau zu sein«, sage ich zustimmend, »aber Sie rufen mich sicher nicht an, um mich dies zu fragen. Hören Sie, ich habe hier ein familiäres Problem zu lösen und zudem befinde ich mich im Urlaub. Würden Sie bitte Ihr Anliegen meinem Stellvertreter in Neustadt vortragen.«

»Es tut mir leid, aber ich muss schon Sie persönlich sprechen«, sagt Würth hastig, da er sicher schon an meinem Tonfall gehört hat, dass ich nicht gewillt bin, dieses Gespräch fortzuführen.

»Dann sprechen Sie eben«, gebe ich mich geschlagen. Ich denke, dass es schneller geht, mir seine Geschichte anzuhören, als ihn abzuwimmeln.

»Okay, ich fasse mich auch kurz«, sagt nun mein Gesprächspartner und ist dabei hörbar erleichtert, »also wir haben hier einen Gefangenen, so einer der schwierigen Sorte, einer der glaubt, der Boss vom Knast zu sein, obwohl, eigentlich ist er hier sogar so etwas wie der Boss.«

»Und was habe ich damit zu tun? Soll ich euch beraten, wie Strafvollzug funktioniert?« Irgendwie nervt mich der Typ, da fehlt mir jede Spur von meiner Tochter und der labert mich mit seinen Problemen voll.

»Entschuldigen Sie, ich habe wohl etwas zu weit ausgeholt. Es handelt sich dabei um einen Straftäter, der seinen Aufenthalt hier Ihnen zu verdanken hat.«

Da er nun eine Pause macht, nutze ich wiederholt die Gelegenheit, ihn zu drängen: »Das ist mir doch egal, wer ihn ins Gefängnis gebracht hat. Sind die Verbrecher erst mal bei euch, dann habe ich nichts mehr mit denen zu tun. Also können wir das Gespräch nun beenden? Ich habe wirklich andere Sorgen.«

»Aber, ich meine, also weil der doch meint …«

»Jetzt heraus mit der Sprache, wer meint weshalb was?«

»Na der Palanowski meint, wenn Sie nicht noch heute Morgen hier erscheinen, dann werden schreckliche Dinge geschehen.«

»Welche schrecklichen Dinge kann einer im Gefängnis schon ausrichten? Also schauen Sie, dass Sie den Rudy selbst in den Griff bekommen. Ich kümmere mich um meinen eigenen Scheiß. Ende der Durchsage!«, und schon habe ich das Gespräch endgültig beendet.

Gerade rechtzeitig, denn schon klingelt es an der Haustür. Oh Mann, was ist denn heute nur los?

»Einschreiben für Sie«, sagt die fröhlich lächelnde Briefbotin, nachdem ich die Tür geöffnet habe.

Leider ist es mir gerade nicht zum Lächeln zumute, weshalb ich wortlos den Empfang des Umschlags bestätige. Eigentlich bin ich im Moment gar nicht neugierig darauf, was sich in diesem gepolsterten Kuvert befindet, aber aus purer Gewohnheit reiße ich es auf und greife hinein. Das hätte ich besser einmal nicht gemacht, denn nun schmerzen mir die Fingerkuppen, als würde ich sie ins Feuer halten. Schnell ziehe ich meine Hand zurück und starre auf meine Finger, aus denen auch schon das Blut tropft. Beim genauen Hinsehen erkenne ich nun auch die kleinen gläsernen Splitter, die sich ohne spürbaren Widerstand in meine Haut gebohrt haben. Wahrscheinlich werde ich Stunden damit beschäftigt sein, diese kleinen Biester aus meinen Fingern zu ziehen. Sicherlich hat Natalie etwas bestellt, das in einer Glasflasche verpackt war und diese Flasche liegt nun in Scherben im Kuvert. Parfüm, Gewürze, Nitroverdünnung, Handgranaten oder dergleichen. Nachdem ich mir die ersten Splitter aus den Fingern gepult habe, muss ich feststellen, dass diese sehr spitz und gleichmäßig in der Form sind. Viel zu gleichmäßig für einen zufällig entstandenen Scherbenhaufen.

Also schütte ich den Inhalt des Umschlags vorsichtig auf den Vorleger an der Haustür. ›Home Sweet Home‹ steht darauf geschrieben. Aber heute ist nichts ›Sweet‹ in meinem Zuhause. Nach und nach rieselt ein kleiner Berg der höllisch spitzen Glassplitter auf die Matte. Irgendwer wollte mir anscheinend einen Streich spielen. Einen Streich, der alles andere ist als lustig, denn es läuft weiter Blut aus den Fingerkuppen meiner rechten Hand und saut meinen Türvorleger ein. Nachdem alle Glasstücke aus dem Kuvert gerieselt sind, fällt nun auch noch ein Blatt Papier zu Boden.

Wie lange bin ich schon in diesem Loch? So eine Kacke aber auch, was ist hier nur los? Kann ich nicht endlich aus diesem scheiß Loch gerettet werden? Wer zum Fuck sperrt mich hier ein? Wenn ich nur etwas sehen könnte, aber es ist einfach stockdunkel. Moment, da oben kommt etwas Licht durch schmale Schlitze. Dort ist es hell. Anscheinend stecke ich also in einer Grube, die mit Brettern abgedeckt ist.

Was war das für ein Geräusch? Die Bretter knarren doch. Da oben läuft jemand. Mensch, das ist meine Chance. Nun muss ich mich ein weiteres Mal anstrengen, um auf mich aufmerksam zu machen.

»Hilfe!«, hör ich meine Stimme heißer krächzen. Eigentlich klingt dies ja gar nicht wie meine Stimme, eher wie die Stimme eines Fremden, aber es muss wohl meine sein, denn sonst ist doch niemand in diesem Scheißloch. »Hilfe, da oben ist doch jemand, dann helfen Sie mir doch, verdammt noch einmal. Machen Sie endlich die scheiß Bretter weg!«