Honig, Crime & spitze Ohren - Magentabuch - Isabell Hahn - E-Book

Honig, Crime & spitze Ohren - Magentabuch E-Book

Isabell Hahn

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Beschreibung

Ein Buch. Süßer Honig. Und geheimnisvolle Machenschaften. Die hübsche Elfe Mina begibt sich auf Wanderschaft, um ihren eigenen Honig auch außerhalb des Heimatdorfes zu verkaufen. Insgeheim hofft sie darauf, endlich einmal ein Abenteuer zu erleben. Auf ihrer Reise begegnet sie dem Bibliothekar Lennar, dem ein wertvolles Buch gestohlen wurde. Mina wittert ihre Chance und ist sofort Feuer und Flamme: Sie wird das Buch zurückholen! Wäre doch gelacht, wenn das nicht klappt! Allerdings ahnt sie da noch nicht, dass dunkle Mächte ihre Finger im Spiel haben. Und nicht nur dort – sondern auch an ihr.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Isabell Hahn

Honig, Crime & spitze Ohren - Magentabuch

Inhaltsverzeichnis

Das Lied

Prolog

1

2

3

4

5

6

7

8

9

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41

Epilog

Anmerkungen der Autorin

Über die Autorin

Auch erschienen

Impressum

Gewidmet ist diese Geschichte

der regenbogenbunten Vielfalt.

Das Lied

Wer liest, was offensichtlich zu sehen,

der kann ein langes Leben gehen.

Wer hütet, was in dem Buch geschrieben,

dem sei der Schatz für immer geblieben.

Wer zwischen den Zeilen des Buches kann lesen,

der sei um viel Wissen reicher gewesen.

Wer Willens ist, den Sinn zu erfassen,

der kann die Magie nicht mehr von sich lassen.

Prolog

„Mach! Mich! Los!“, knurrte Mina und zerrte an ihren Fesseln. Ihre mittlerweile aufgerissene Bluse rutschte über ihre Schultern. Sie saß auf dem kalten Boden. Ihre Hände waren auf dem Rücken vertäut. Das dicke Seil führte zu einer der Ösen an der hölzernen Wand.

Die Gestalt kam auf sie zu. In dem schwach beleuchteten Raum sah Mina sie kaum, aber sie roch ihren erdigen Duft. Mina kannte diesen Geruch. Sie hatte ihn in den letzten Wochen bereits kennengelernt.

„Eine kleine Wildkatze“, stellte die Gestalt mit einem gierigen Lächeln fest und kam dicht an Minas Gesicht heran. „Du wirst meinen Plan nicht zunichtemachen. Du kannst den Fortschritt nicht aufhalten“, flüsterte sie gereizt in Minas Ohr.

Mina spürte den warmen Atem und ihre Haare sträubten sich. Sie drehte ihr Gesicht zur Seite und schrammte dabei mit ihrer Wange über das Holz. Holzsplitter bohrten sich in ihre Haut. Mina zischte. Ihr Gesicht brannte.

„Nein, Mina“, sprach die Gestalt weiter, „ich werde dich nicht losmachen. Du bleibst hier und ich verschwinde.“ Damit drehte sie sich um und entfernte sich mit schnellen, festen Schritten.

Mina hörte, wie sich eine Tür knarrend öffnete. Draußen war es dunkel, kein Lichtstrahl drang durch die offene Tür. Kurze Zeit später fiel sie mit einem Knall wieder ins Schloss. Und bald darauf hörte Mina noch etwas anderes. Ein Knistern. Sie sah, wie es heller wurde.

„Verdammt!“

1

„Ja, Papa, ich pass schon auf mich auf!“ Mina warf ihren Eltern eine Kusshand zu, schnallte ihren Lederrucksack fester um sich, rückte die kleine Gürteltasche zurecht und zog los.

Sie schritt über den steinigen Weg, der vom Dorfplatz zu den Grashügeln führte, die im Westen zu sehen waren. Sie kam vorbei an kleinen Fachwerkhäusern, die rechts und links die Straße säumten. Weiß getüncht, mit dunklen, schweren Holzbalken.

In den Vorgärten wuchsen orangefarbene Rosen, violette Tulpen, blaue Stiefmütterchen und pinke Chrysanthemen. An den Fenstern hingen Blumenkästen, in denen rote Geranien und dazwischen Kräuter wuchsen, von denen manche leuchtend blühten und unzählige Bienen anlockten. Rund um die Häuser standen Obstbäume. Äpfel, Pflaumen, Birnen, Kirschen, Pfirsiche. Sie verströmten einen Duft nach leckerem Obstkuchen und Mina bekam Appetit.

Sie blieb stehen und grübelte nervös: „Habe ich genügend zu essen dabei?“ Sie nahm den Rucksack ab, öffnete ihn und sah die Pakete mit Keksen, Broten, Kuchen und Käse, die sich darin auftürmten. Sie zuckte mit den Schultern und verzog den Mund: „Hm, wird wohl reichen.“

Voller Vorfreude ging sie weiter und genoss die Strahlen der aufgehenden Sonne in ihrem Rücken. Sie konnte das Summen und Schwirren aus den Vorgärten hören und den Duft der Blüten riechen. Tief sog sie ihn ein letztes Mal ein. Wie würde es außerhalb des Dorfes sein? Wie sähe der Rest der Welt aus?

Bisher kannte Mina nur ihr Dorf und die umliegenden Höfe. Und natürlich die Geschichten der fahrenden Händler und Reisenden, die diese mit ins Dorf brachten.

Mina hörte noch die Rufe mit den besten Wünschen ihrer Eltern und Freunde, dann trat sie über die imaginäre Schwelle, die sie aus dem Dorf führte.

Nun war sie also unterwegs. Die Sonne strahlte, wärmte ihren Hals und die wohlige Wärme zog hinab bis zu ihrem Bauchnabel. Sie nahm das Tuch ab, das ihre Schultern bedeckte, und knöpfte ihre Bluse weiter auf. Sie mochte es, wenn der Ansatz ihrer Brüste zu sehen war und von Sonne und Wind berührt werden konnte. Ihre Brüste wippten bei jedem Schritt sanft auf und ab. Eine Strähne ihres langen, blonden Haars kitzelte sie.

Es war Zeit gewesen, sich auf den Weg zu machen, um ihr eigenes Geschäft auszubauen. Aber vor allem, um ihre Neugier zu befriedigen, wie die Menschen außerhalb ihres Dorfes wohl so waren. Also hatte sie beschlossen, ihre wichtigsten Zutaten und eine Auswahl an fertigen Produkten einzupacken und loszugehen. Als Imkerin kannte sie sich mit den vielen Pflanzen aus, die hier überall wuchsen. Auch mit ihrer heilenden Wirkung.

Mina stellte nicht nur leckeren, goldgelben Honig her, sondern produzierte auch Salben, Öle, Seifen und Cremes, mit deren Verkauf sie sich ihren Lebensunterhalt verdiente. Sie hatte die Produkte in ihrem Dorf und an die fahrenden Händler verkauft, die mit ihren Wagen vorbeikamen oder Transportdrohnen schickten, mit denen Mina ihre Waren in die Welt versenden konnte.

Natürlich passte in ihren Rucksack nur eine kleine Auswahl der Zutaten und Produkte für den Verkauf in den Städten, die sie bereisen wollte. Sie hoffte, auf ihrem Weg an Höfen vorbeizukommen, um den Vorrat aufzustocken, und vielleicht lief sie auch ein paar Händlern über den Weg. Irgendetwas würde sich ergeben.

Tagelang war sie jetzt schon unterwegs und schwelgte, wie so oft, in Gedanken an den Aufbruch aus ihrem Dorf und an das, was womöglich kommen würde. Sie sah, wie die Sonne begann, tiefer zu stehen und riss sich aus ihrer Träumerei. Bevor es dunkel wurde, musste sie eine Bleibe finden. Sie hatte wirklich keine Lust mehr, in der freien Natur zu schlafen. Sie setzte sich auf einen großen Findling am Rand ihres Wegs und schaute mit ihren honigfarbenen Augen neugierig umher. Der beginnende Sonnenuntergang beleuchtete den Himmel in zartem Rosa, gemischt mit einem Orange, durch das weiße Streifen zogen. Der Sonnenball stand glühend in der Mitte, ein Teil von ihm war schon hinter den mit Tannen bestückten Bergspitzen verschwunden. Er sah aus, als tauche er schwerfällig in ein Meer aus Natur ein.

Mina stöhnte. Ihr Körper und auch ihr Geist hätten sich gefreut, wenn sie hier noch eine Weile länger hätte sitzen können, aber sie stand auf, nahm ihren Rucksack und machte sich daran, eine Bleibe für die Nacht zu finden. Beim Beobachten des Horizonts hatte sie vorhin ein Haus in der Ferne gesehen. Da wollte sie hin, vielleicht hatte sie Glück.

Der Feldweg, den sie nahm, führte vorbei an Kartoffel- und Kohlfeldern. Daneben Streifen mit Sonnenblumen und einer bunten Mischung aus Wildblühern. Es summte und raschelte. Kleine Mäuse freuten sich wohl über das, was vom gedeckten Buffet für sie abfiel.

Jetzt war das Haus schon in seiner ganzen Pracht zu sehen. Es war ein Bauernhaus, zu dem diese Felder gehören mussten. Hinter den Feldern tauchten Gemüsegärten mit roten, gelben und grünen Paprika, prächtigen Tomaten, großen und kleinen Melonen und satt orangefarbenen Kürbissen auf. Daneben Sträucher mit Himbeeren, Johannisbeeren, Blaubeeren, Stachelbeeren und ein Feld mit reifen, roten Erdbeeren.

Dass dieses Gemüse, das Obst und die Blumen alle zur gleichen Zeit in unterschiedlichen Stadien blühen, wachsen und erntereif sein konnten, war der wissenschaftlichen Forschung der letzten Jahrzehnte zu verdanken. Schon lange war es den Bauern möglich, die leckersten und reifsten Früchte zu erhalten, egal zu welcher Jahreszeit.

Und das kam auch dem Honig zugute. Die Bienen gediehen, und von dem intensiven Honig reichte wenig, um die Süße und den Geschmack zu erzeugen, den man sich wünschte.

In Gedanken versunken stand sie schon bald vor dem Bauernhaus. Es war nicht groß, dafür aber besonders schön und urgemütlich. Die Wände bestanden aus weißem Stein. Um das Haus lag weißer Kies, der immer mal wieder von großen Blumentöpfen durchbrochen war, in denen Veilchen und Vergissmeinnicht blühten.

Hinter einem der Töpfe bemerkte sie eine neugierige Katze, die ihren rot-weiß gefleckten Kopf vorsichtig hervorstreckte. Durch ein Fenster sah sie die Küche, in der Licht brannte.

Mina ging zur Haustür und klopfte an. Keine drei Sekunden später öffnete sich die Tür und eine junge Frau mit geröteten Wangen strahlte sie an. Sie trocknete sich gerade die Hände an einem Tuch ab.

„Ja?“, schaute sie Mina fragend an.

„Guten Tag“, entgegnete Mina und lächelte zurück, „ich bin Mina aus Colin. Ich bin Imkerin und auf einer Reise durch die Welt, um Neues kennenzulernen. Und ich suche einen Schlafplatz für die Nacht.“

„Imkerin?“, fragte die junge Frau aufgeregt. Sie strahlte immer noch, vielleicht sogar noch mehr, und ein Funkeln blitzte in ihren Augen auf.

„Jjjja?“, antwortete Mina, jetzt etwas zaghafter und fragend.

„Perfekt!“, reagierte ihr Gegenüber und winkte Mina ins Haus. Eine Freundin der vielen Worte schien die Frau nach aktuellem Beobachtungsstand nicht zu sein. Mina sah ihrer Gastgeberin irritiert hinterher, folgte aber der Aufforderung.

Im Hausflur konnte sie durch eine Tür am Ende des Ganges nach draußen sehen. Die untergehende Sonne beleuchtete den Teil hinter dem Haus so stark, dass sie erkennen konnte, was dort zu finden war: Bienenstöcke.

Doch bevor Mina genauer hinsehen konnte, schob die junge Frau sie nach links in die Küche, in der es wundervoll duftete. Pfannkuchen! Und Mina roch die Pfannkuchen nicht nur, sie sah sie auch. Mitten auf dem Tisch stand ein Berg dampfender Fladen. Ihr lief das Wasser im Mund zusammen. Sie musste schlucken.

Plötzlich erschrak Mina.

„Oooooliander, Abendessen!“

Die junge Frau rief in einer Lautstärke, die Minas Ohren klingeln ließen. Gleich darauf tauchte ein Mann in der Küche auf. Im Gegensatz zu der Frau, die trotz ihres freundlichen Lächelns angespannt wirkte, strahlte er Ruhe und Gelassenheit aus. Er ging zu seiner Frau und gab ihr einen Kuss auf die Wange.

„Ich sehe, wir haben einen Gast“, sagte er jetzt an Mina gerichtet. „Guten Tag, ich bin Oliander, glücklicher Ehemann dieser wundervollen Frau und Herrscher über unsere Gärten.“

Er streckte Mina die Hand entgegen. Mina errötete leicht ob so viel direkter Offenheit, aber sie nahm Olianders Hand, drückte sie fest und stellte auch sich vor: „Mina aus Colin, Imkerin. Ich habe eine Bleibe für die Nacht gesucht. Deine Frau war so freundlich, mich einzuladen.“

„Imkerin, hm?“, und auch auf Olianders Gesicht machte sich ein Strahlen breit. Mina hingegen zog verwirrt die Augenbrauen zusammen. Dass sie Imkerin war, schien in diesem Haus schon fast übertrieben viel Freude auszulösen.

„Nimm doch bitte Platz, iss mit Soraya und mir und erzähle uns, was dich hierher verschlägt“, sprach Oliander weiter und der Duft der Pfannkuchen zog Mina vollends an den Tisch.

Sie setzte sich und nahm einen Teller, legte sich einen Pfannkuchen darauf, goss Ahornsirup darüber und biss ein Stück davon ab. Er war köstlich! Buttrig, süß, fluffig, dick. Sofort entspannte sich Mina. Ihr Körper konnte endlich neue Kraft schöpfen.

Nach dem Abendessen setzte sie sich zusammen mit ihren Gastgebern in die gemütliche Stube an den offenen Kamin. Oliander brachte ihnen drei Gläser mit goldglänzendem Sherry. Das Getränk verströmte einen starken Geruch, der Mina, noch bevor sie ihre Lippen ans Glas setzte, Wärme schenkte. Und während der Duft ihre Nase ausfüllte, nahm sie einen ersten Schluck. Der Sherry lief weich in ihren Mund, über ihre Zunge und rann langsam wie Honig die Kehle hinunter. Sofort stieg die Temperatur in ihrem Körper an und ihre Muskeln entspannten sich noch mehr. Ein leises Schnurren entwich ihrem Mund. Kurz schloss sie ihre Augen, rutschte in ihrem Sessel noch ein Stück nach hinten, ließ ihre Arme auf die Lehnen sinken und öffnete die Augen wieder. Auch Oliander und seine Frau entspannten sich sichtlich nach ihrem wohl sehr ausgefüllten Tag.

„Danke“, begann Mina, „dass ich für die Nacht bei euch bleiben kann.“

„Wir haben uns gefragt“, redete nun Soraya, „ob du nicht etwas länger bleiben möchtest?“

Mina sah erst sie und dann Oliander fragend an.

„Wie du vielleicht gesehen hast“, fuhr Soraya fort, „haben wir Bienenstöcke im Garten. Wir sind neu im Bienengeschäft. Unser Steckenpferd und unsere Leidenschaft sind die Gärten. Aber mit den Bienen können wir unsere Erträge erhöhen und nebenbei auch noch Honig produzieren.“

Soraya hob entschuldigend die Schultern.

„Wir haben uns schon einiges angelesen und ausprobiert. Aber eine echte Imkerin hier zu haben, erschien uns ein Wink des Schicksals. Wir würden uns freuen, wenn du uns noch mehr beibringen könntest. Im Gegenzug kann ich dich mit Pfannkuchen versorgen.“

„Und natürlich bringen wir dir auch gerne etwas über unsere Pflanzen bei, wenn du magst“, ergänzte Oliander.

Mina sah die beiden immer noch abwechselnd an. Dann nickte sie. „Ich bleibe sehr gerne hier. Ich bin auf der Reise, um Neues zu entdecken. Neue Pflanzen kennenzulernen wäre prima. Ein Zwischenstopp tut mir nach den Tagen des Wanderns gut. Meine Füße bedanken sich jetzt schon bei euch.“

Oliander klatschte in die Hände. „Dann ist es also abgemacht. Stoßen wir an!“

Er erhob sein Glas. Vor Überschwang wäre fast der gesamte Sherry aus dem Glas geschwappt. Mina nahm einen Schluck aus dem ihren und prostete den beiden zu.

2

Ein Klingeln schreckte Lennar auf. Er öffnete die Augen. Er lag in seinem Bett und sah jetzt die Decke seines Schlafzimmers über sich. Durch einen Spalt im Vorhang drang ein schmaler Lichtstreifen. Lennar schloss seine Augen wieder und öffnete sie erneut. Noch immer war es im Zimmer dunkel, bis auf den Schein der Straßenlaterne.

Weshalb schlief er nicht mehr, wo es doch noch Nacht war? Das Klingeln. Nein, eher ein Scheppern. Sofort war er wach.

Lennar richtete sich auf, schwang die Beine über die Bettkante und steckte seine Füße in die Pantoffeln, die neben seinem Bett auf dem Fußboden standen. Er schaltete seine Nachttischlampe ein, stand auf, nahm den Morgenmantel aus Jacquard-Stoff, zog ihn an und band den Gürtel ordentlich zu. Dann ging er zur Schlafzimmertür, die er lautlos öffnete.

Er straffte sich und lauschte. Nichts. Er trat aus seinem Zimmer und ging den Flur entlang zur Treppe. Leise nahm er eine Stufe nach der anderen hinunter in seine Bibliothek. Am Ende der Treppe angekommen blieb er stehen und spitzte erneut seine Ohren. Stille.

Lennar drückte auf den Lichtschalter an der Wand neben sich. Die Tiffany-Lampen in der Bibliothek erwachten zum Leben und strahlten ein warmes Licht auf die Regale mit ihren Büchern.

Lennar ließ seinen Blick durch den Raum gleiten. Er blieb an der Eingangstür hängen.

Auf dem Boden vor der Tür lag etwas. Eine silberne Glocke. Die Glocke, die eigentlich über der Tür hängen sollte und ihm immer dann ein Zeichen gab, wenn Besucher die Bibliothek betraten. Aber jetzt hing sie nicht mehr an ihrem Platz. War sie locker gewesen und heruntergefallen? Lennar runzelte die Stirn. Es war nicht seine Art, unachtsam zu sein und nicht zu bemerken, wenn etwas repariert werden musste.

Er schaute sich weiter um. Im Licht der Lampen sah er, dass der wenige Staub in seinem Geschäft aufgewirbelt war. Nicht nur dort, wo die Glocke auf dem Boden lag, sondern auch mitten im Raum, in dem seit Stunden niemand mehr gewesen war.

Lennar setzte sich in Bewegung und folgte der Spur. Ganz so, als würde er geführt. In eine bestimmte Richtung, an einen bestimmten Ort. Er wehrte sich nicht gegen dieses - Gefühl - und das war eigenartig. Gefühle, vor allem auf sie zu hören, war nicht gerade sein Steckenpferd. Aber vielleicht lag es daran, dass er mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen worden war.

Er ging weiter. Um Tische, Sessel und Regale herum in den hinteren Teil der Bücherei. Dorthin, wo das kleine Podest stand. Dorthin, wo das Buch war. Wo es gewesen war!

Lennar stockte. Wieso war es nicht dort, wo es sein sollte? Das Buch reihte sich ein in die außergewöhnliche Gesellschaft von Staub und Glocke. Nur mit dem Unterschied, dass diese noch da waren und das Buch nicht. War es am falschen Ort irgendwo in der Bibliothek? Hatte er es verlegt?

Lennar schüttelte den Kopf. „Ganz bestimmt nicht. Niemals!“, sagte er zu sich selbst.

Und auch sonst konnte niemand das Buch woanders platziert haben. Nur er hatte den Zugangscode zum Sicherungsmechanismus, mit dem das Buch festgemacht war.

Er hatte es nicht verlegt. Das wusste er. Aber Tatsache war, dass das Buch nicht mehr an seinem angestammten Platz lag.

Er schaute auf seine rechte Hand. Der Zugangscode war in einen Ring integriert, den er immer an sich trug. Damit konnte er das Buch aus seiner Sicherung lösen. Aber das hatte er seit bestimmt einem Jahr nicht mehr getan. Der Ring war noch da. Er drehte seine Hand. Alles so, wie es sein sollte.

„Jemand muss den Mechanismus umgangen haben“, dachte Lennar. Und im nächsten Moment wurde ihm klar: „Jemand war hier und hat das Buch gestohlen!“

Lennar drehte sich um. Dieser Gedanke hatte zu dieser unmenschlichen Uhrzeit nur langsam den Weg in sein Gehirn gefunden. Der aufgewirbelte Staub und die heruntergefallene Türglocke! Er rannte zur Tür. Etwas, das er sonst nie tat. Rennen.

Er riss die Tür auf. Ein kalter Nachtwind schlug ihm entgegen. Die Glocke klingelte erneut, als die Tür dagegen stieß. Lennar trat vor seine Bibliothek und hastete die kleine Treppe vor seinem Laden nach oben. Nichts. Hier war nichts. Und niemand.

„Merde!“ Lennar stampfte mit dem Fuß auf den Boden. Kleine Sandkörner wirbelten auf. Das Magentabuch war weg.

3

Mina blinzelte. Hatte da eben ein Hahn gekräht? Langsam öffnete sie ihre Augen. Die Sonne schien ihr direkt ins Gesicht. Verwirrt schaute sie durch das Fenster. Sie war aus einem tiefen, traumlosen Schlaf aufgewacht und suchte nach Orientierung.

Sie sah sich um. Sie lag in einem weichen Bett unter einer Daunendecke. Rechts neben ihr an der Wand hingen Fotos von blühenden Gärten und Obstbäumen mit saftig aussehenden Früchten. Ihr Blick wanderte wieder nach vorne. Zwischen ihrem Bett und dem Fenster stand ein weißer Holzschreibtisch, davor ein mit Blumen verzierter Stuhl. An der linken Wand sah sie einen antiken Kleiderschrank, einen großen Spiegel und einen Sessel mit einem Tischchen daneben. Darauf stand ein leeres Sherry-Glas, auf dem Sessel lagen ihre Kleider.

Ihr Wachzustand verbesserte sich zusehends und sie erinnerte sich wieder daran, wo sie war. Die bisherige Reise mit ihren unterschiedlichen Schlaforten brachte Minas Gehirn bereits jetzt in die Bredouille.

Heute wachte sie also im Haus von Oliander und Soraya auf. Den beiden Gemüsebauern, die sie um Hilfe mit ihren Bienen gebeten hatten.

Nach dem Umtrunk gestern Abend hatte Oliander ihr das Zimmer gezeigt. Hinter dem Bauernhaus und bei den Bienenstöcken war ein Haus für Gäste. Soraya hatte Mina erzählt, dass ab und zu Wanderarbeiter hier vorbeikamen und auf dem Hof beim Anpflanzen und der Ernte halfen. Das Gästehaus stand immer für die helfenden Hände bereit.

Mina hüpfte aus dem Bett, streckte sich und ging zur Tür. Sie war sich nicht sicher, wie spät es war und ob in der Zwischenzeit noch mehr Helfer angekommen waren, die hier wohnten und öffnete deshalb langsam die Zimmertür.

Sie lauschte, hörte aber nichts. Sie schien allein zu sein. Also öffnete sie ihre Tür ganz und trat auf den Flur, von dem noch weitere Zimmer abgingen. Weiter vorne befand sich ein kleines Badezimmer. Sie hatte bereits gestern Abend ihre Siebenbadezimmersachen dort abgestellt. Jetzt huschte sie zum Bad und verschwand hinter der Badezimmertür.

Nach einer kurzen Katzenwäsche schlenderte sie in ihr Zimmer zurück, zog sich an und ging die Treppe vom ersten Stock nach unten in die Küche. Auf dem großen Holztisch hatte jemand einen Korb mit Obst bereitgestellt. Mina nahm sich einen Apfel und biss hinein. Der Saft des Apfels spritzte und lief in ihr Dekolleté.

„Na toll“, dachte sie, heute würde sie wohl wieder sehr anziehend für die süßsüchtigen Bienen sein.

Neben dem Obstkorb sah sie eine Kanne, aus der ihr der Duft von frisch gebrühtem Kaffee in die Nase stieg. Daneben stand ein Becher und auf einem Blatt Papier las sie: Guten Morgen, Mina! Wenn du so weit bist, komm einfach rüber. Wir sind im Haus oder im Garten.

Mina goss sich eine Tasse des heißen, schwarzen Getränks ein. Es duftete verführerisch. Mit der Kaffeetasse in der Hand trat sie hinaus. Die Sonne schien ihr bereits wärmend ins Gesicht. Sie schloss die Augen und genoss die Wärme, die sich vom Gesicht über ihren Hals bis auf ihr mit Apfelsaft bekleckertes Dekolleté ausbreitete. Die Sonne erwärmte nicht nur ihr Gemüt, sie spürte auch ein forderndes Ziehen in ihren Lenden.

„Nicht jetzt“, rügte Mina ihren Körper, „lass mich hier doch erst einmal ankommen.“

Mit diesen Gedanken im Gepäck machte sie sich auf, um den Blumengarten neben dem Gästehaus zu inspizieren. Der Anblick war atemberaubend! Hier blühten Blumen in allen erdenklichen Farben. Niedrige Bodendecker und hohe, mächtige Blütenkelche in leuchtendem Orange und Pink.

Zwischen den Blumen standen die Bienenstöcke. Sie ging zu ihnen. Dort angekommen, beobachtete sie die Bewohnerinnen. Eine nach der anderen flogen sie hinein in ihr Haus und wieder hinaus. Ein. Und aus. Unermüdlich. Immer im Bestreben, das Beste für ihr Bienenvolk zu tun und sein Überleben zu sichern. Das meditative Schwirren ließ Mina die Welt um sich herum vergessen, sie versank in das geschäftige und gleichtönige Treiben der Bienen. Ein. Und aus. Ein. Und aus.

Plötzlich hörte sie ein Zischen, das nicht zu den Geräuschen gehörte, die die Bienen von sich gaben. Es hörte und fühlte sich nicht gut an. Die Haare auf ihren Unterarmen stellten sich auf. Mina drehte sich um.

Neben dem Bauernhaus standen Oliander und ein anderer Mann. Er war in Schwarz gehüllt mit einer Kapuze über dem Kopf. Mehr ein Schatten als ein Mann.

Mina fokussierte ihren Blick und spürte, wie sich auch ihr Gehör weg von den Bienen, hin zu Oliander und dem Schatten bewegte. Das Zischen kam von dort. Oliander blickte grimmig auf die Schattengestalt. Mina sah, wie er seine Fäuste ungeduldig knetete.

Mina, die immer noch auf freiem Feld unter der Sonne stand, ging langsam zum Bauernhaus in den Schatten des Daches und des alten Olivenbaumes, der, an die Hauswand gelehnt, den Sonnenschein genoss und sich ausruhte. Mina hatte das Gefühl, es wäre besser, wenn sie die beiden nicht so offensichtlich beobachtete. Aber ihre Neugier hielt sie nicht davon ab, die beiden auszuspionieren.

Neben dem Olivenbaum stand eine Bank, auf die sich Mina zu der dort dösenden Katze setzte. Von hier aus konnte sie Oliander und die Gestalt zwar nicht mehr ganz so gut sehen, aber umso besser hören.

„Nein!“, presste Oliander durch seine Zähne. „Nein! Kemal, ich unterstütze deine Sache nicht. Und das weißt du.“

„Oliander“, Mina lief ein Schauer über den Rücken, als der Schatten langsam sprach. Seine Stimme schien tief aus seinem Inneren zu kommen. Mehr ein Grollen als ein Sprechen. Tief verwurzelt in ihm. Und Mina spürte, wie sich die Wurzeln, während er sprach, ausbreiteten. So, als suchten sie etwas. Wie ein Hund auf der Suche nach einer Spur. Ein Hund, der ganz in ihrer Nähe war und wusste, dass sie irgendwo sein musste, der sie aber noch nicht gefunden hatte. Auch die Katze spürte es, denn mit einem Mal drückte sie ihren Buckel durch, sträubte das Fell, fauchte und verschwand.

„Es ist nicht nur meine Sache, es ist die Sache vieler, deren Leben es verändern wird. Es ist die unausweichliche Zukunft. Ob du mich nun unterstützt oder nicht.“

Mina hörte, wie Oliander langsam die Luft einsog und dann resigniert wieder ausstieß.

„Ja, du magst Recht haben.“ Oliander redete jetzt ruhig, wie mit einem Freund. Er schien keine Angst vor dem Schatten zu haben. „Aber vielleicht auch nicht. Vielleicht wirst du das, was du vorhast, gar nicht mehr überblicken können. Vielleicht ist es der Anfang von etwas Gutem, aber vielleicht auch der Anfang von etwas, das solche Ausmaße annimmt, dass du es überhaupt nicht mehr aufhalten kannst. Nein, meine Entscheidung steht fest. Ich unterstütze dich nicht.“

„Dann sei es so, alter Freund“, grollte Olianders Gegenüber.

Mina fühlte, wie sich die Wurzeln langsam wieder zurückzogen und hob ihren Kopf in Richtung der beiden Männer. In diesem Moment drehte sich das Gesicht des Schattens kaum merklich in ihre Richtung. Er hatte sie gesehen. Und er hatte in sie gesehen. Er hatte sie erfasst. Er hatte ihre Fährte aufgenommen.

Nachdem der Schatten gegangen war, saß Mina noch eine Weile auf der Bank neben dem Olivenbaum. Sie hatte die Augen geschlossen und ließ sich die mittlerweile vollständig aufgegangene Sonne ins Gesicht scheinen.

„Wer war dieses Wesen? Und: Was war er? Diese Aura, die von ihm ausging?“

Mina schüttelte den Kopf, um die Gedanken daraus zu vertreiben. Sie öffnete die Augen wieder. Mit einem Seufzen stand sie auf und strich ihren langen Rock glatt.

Sie sah, wie eine Biene auf sie zuflog und sich auf ihre Hand setzte. „Au!“, quietschte Mina. Die Biene hatte sie gestochen.

In Minas Hand steckte der Stachel einer Honigbiene. Noch nie zuvor war sie so von einer Biene gestochen worden. Die Biene war gezielt auf sie zugeflogen. Und jetzt war sie wieder verschwunden.

Mina zog vorsichtig an dem Stachel. Die Biene hatte ihr Leben geopfert, um sie zu stechen. Die Widerhaken des Stachels der kleinen Biene hatten sich unter Minas Haut verfangen und der Stachel war von dem Tier abgerissen. Die Biene würde sterben. Mina sah auf ihre Hand, auf der langsam eine rötliche Schwellung entstand. Der Stachel klebte noch an ihrem Zeigefinger. Sie schüttelte erneut den Kopf und ließ den Stachel auf den Boden neben den Olivenbaum fallen.

Einige Zeit später dachte sie nicht mehr an den Schatten. Sie hatte die Erinnerung an ihn und die Biene weit nach hinten in ihr Gedächtnis geschoben, denn sie konnte sich keinen Reim darauf machen und wollte ihre Energie nicht mit Grübeln verschwenden. Sie arbeitete weiter mit den Bienen, brachte Oliander und Soraya Verschiedenes rund um die Bienenzucht bei und half den Honig der Bienen zu schleudern.

Dieser Honig schmeckte fantastisch. Die Vielfalt an Blüten, die der Bauerngarten zu bieten hatte, brachte ein fast unnatürliches Aroma hervor. Man schmeckte den Lavendel, die Apfelblüten und auch das Herbe der Kräuter, die hier überall wuchsen.

Mina half bei der Ernte der reifen Möhren, Bohnen, Melonen und Beeren. Auch sie schmeckten fantastisch. Nicht nur einmal lief ihr der Saft der reifen Früchte aus dem Mund und tropfte auf ihr Kleid.

Ihre von der Arbeit in den Beeten dreckigen Hände waren ein Zeichen dafür, dass sie etwas geschafft und geschaffen hatte und erfüllten sie mit tiefer Zufriedenheit. Aber trotzdem wusste sie, dass es bald Zeit wurde, aufzubrechen. Sie war seit mehreren Wochen auf Olianders und Sorayas Hof und der Drang, die Welt weiter zu erkunden, machte sich wieder bemerkbar.

Am Abend, als alle zusammen an dem großen Tisch in der Küche saßen, begann Mina: „Oliander, Soraya, ich danke euch für eure Gastfreundschaft und dass ich bei euch so vieles lernen durfte. Aber es wird Zeit für mich. Ich muss weiterziehen.“

Oliander sah zu seiner Frau und dann zu Mina: „Wir haben uns schon gefragt, wie lange du wohl noch bei uns bleiben würdest. Deine Unruhe der letzten Tage war fast greifbar.“ Er machte eine Pause. „Und deshalb haben wir auch schon ein kleines Care-Paket für dich vorbereitet.“

Oliander stand auf, ging in den Flur und öffnete den großen Schrank. Mit einem Beutel in der Hand kam er zurück und stellte ihn vor Mina auf den Tisch. Mina sah Oliander und Soraya an und griff dann nach der Tasche. Sie öffnete die Schleife, zog den Beutel auseinander und fasste hinein. Sie fühlte kleine Gläser mit Deckeln, Fläschchen mit Korken und kleine, in Papier eingewickelte Klötze. Mina nahm eines der Gläser heraus. Es war ein Glas des wunderbaren Honigs.

„Der Honig soll dir deine Reise versüßen“, sprach Soraya. „Und vielleicht kannst du auch etwas davon auf einem Markt verkaufen. Gutes Geld für dich und gute Werbung für uns.“

Als nächstes zog Mina eines der kleinen Papierpakete aus dem Beutel. „Falls es dir einmal zu dunkel oder kalt sein sollte und du ein wärmendes Licht brauchst“, sprach jetzt Oliander. Mina entfernte das Papier des Pakets und hielt eine duftende Kerze in der Hand.

Als letztes holte Mina eines der Fläschchen aus dem Beutel. Es war aus dunklem Glas und mit einem Korken verschlossen, der mit Wachs versiegelt war. Mina versuchte durch das dunkle Glas hindurch etwas erkennen zu können.

„Blütenpollen“, unterbrach Soraya Minas Ratlosigkeit, „wir hatten das Gefühl, dass du sie irgendwann gebrauchen könntest. Oder vielleicht eine deiner Salben damit verstärken möchtest. Wir sind uns sicher, dir wird etwas einfallen.“

Nachdem das Geschirr des Abendessens weggeräumt war, saßen Oliander, Soraya und Mina noch, wie am ersten Abend, in der gemütlichen Stube zusammen und tranken einen schweren, dunklen Rotwein, den Soraya mit Gewürzen erwärmt und mit Honig gesüßt hatte. Die warme Flüssigkeit rann langsam durch Minas Hals und die Wirkung der Kräuter breitete sich in ihr aus. Da war er wieder, der Drang weiterzuziehen. Und der Drang endlich wieder neue Menschen kennenzulernen. Der Drang, Menschen zu berühren und von ihnen berührt zu werden. Die Süße des Weins drängte zwischen ihre Schenkel.

Als Mina ihr Glas leer getrunken hatte, stand sie auf und verabschiedete sich. Morgen früh nach dem Frühstück würde sie weiterziehen. Doch jetzt zog es sie in die Einsamkeit ihres Zimmers. Mit schnellen Schritten lief sie über den Hof und die Treppe hinauf. In ihrem Zimmer löste sie die Schnüre ihrer Bluse. Sie hatte das Gefühl, ihre Brüste, die mittlerweile bebten, wären gefangen. Sie streifte sich die Bluse von den Schultern und stand mit nacktem Oberkörper im Raum.

Mina ging zum Fenster und öffnete es. Der kalte Abendwind blies vom duftenden Wald her in ihr Zimmer und streichelte unsanft ihre Brustwarzen. Sie lehnte sich an das geöffnete Fenster und kreiste mit den Fingern der einen Hand über ihre harten Warzen. Mit der anderen Hand raffte sie ihren Rock und ließ die Finger schnell zwischen ihre Beine gleiten.

Sie war feucht. Kaum hatte sie ihre Schamlippen berührt, wäre sie fast gekommen. Sie zügelte sich und ließ kurz von sich ab. Aber die Lust, endlich wieder einmal einen Mann in sich zu spüren, drängte ihre Finger zurück an die Stelle, an der sie eben noch waren. Mina bewegte sie fordernd vor und zurück. Ihre andere Hand knetete ihre Brüste.

Der Mond schien ins Zimmer und schien ebenso erregt zu sein wie sie, denn der Wind begann noch drängender zu werden. Mina atmete immer schwerer. Ihre Hand glitt in ihrer feuchten Scham hin und her. Sie spürte, wie die Lust zunahm. Ihr Körper bebte, hörte nicht auf zu beben. Bis sie endlich von sich abließ, auf ihr Bett sank und halb entblößt einschlief.

Sie hörte nicht mehr, wie eine Tür wütend ins Schloss fiel.

4

Verschwitzt und ausgelaugt kam Mina in Horrington an. Endlich, sie hatte es geschafft.

Der zweitägige Marsch durch die vom Regen aufgeweichte Landschaft und das Schlafen unter freiem Himmel waren mühsam gewesen. Bei jedem Schritt war sie im Matsch versunken und nur langsam vorangekommen. Ihre Schuhe waren durchtränkt und die Beine schwer. Der Regen hatte in ihr Gesicht gepeitscht und teilweise konnte sie kaum sehen, wohin sie getreten war. Und dann stand sie vor dem Ortsschild: Horrington. Angekommen.

Es war Abend geworden und die Straßenlaternen von Horrington beschienen die Regentropfen, die immer noch vom Himmel fielen. Aber nun hatte sie wieder festen Boden unter den Füßen. Sie blieb stehen und atmete tief ein und aus.

Mina stemmte ihre Hände in die Hüften und sah sich um. Sie stand am Eingang eines kleinen Platzes, der mit Pflastersteinen ausgelegt war. Ein Stück vor sich sah sie einen beleuchteten Brunnen, der gleichmäßig plätscherte. Auf dem Brunnen thronte ein Fisch, aus dessen Maul eine kleine Wasserfontäne ins Brunnenbecken spritzte und sich mit den Regentropfen, die in den Brunnen fielen, vermischte. Um den Brunnen herum waren Bänke aufgestellt.

Sie kniff ihre Augen zusammen. Der Regen nahm ihr immer noch etwas von ihrer Sicht. Hinter dem Brunnen, am linken Rand des Platzes, vermutete sie gestapelte Stühle und Tische.

Sie näherte sich dem Möbelturm. Er gehörte zu einem Café, das in die Ecke zwischen dem Platz und einer Nebenstraße drapiert war. Um das Café herum waren Beete angelegt, die übersäht waren von kleinen, weißen Blüten. Dazwischen schimmerten pinkfarbene, gelbe und weiße Tulpen. Sie leuchteten so stark, dass Mina ihre Farben im Dämmerlicht erkennen konnte.

Im Licht der Laternen konnte sie außerdem erkennen, dass die Hauswand des Cafés in hellem Rosa gestrichen war. Die Tür war weiß und an ihr hing ein Kranz aus Zweigen mit rosafarbenen Blumen und Schleifen.

„Ziemlich viel Rosa“, dachte Mina bei sich.

Über der Tür hing ein leuchtender, selbstverständlich pinkfarbener Neonschriftzug: Rosys Zuckerschnecke. Wie passend.

Neben der Tür sah Mina einen beleuchteten Schaukasten. Sie ging näher heran. Im Kasten fand sie eine Auflistung der Köstlichkeiten, die es diese Woche im Café gab: Mohn-Eierlikör-Torte, Beeren-Baiser-Kuchen, Honig-Joghurt-Schnitte, Obst-Törtchen und eine Zitronen-Tarte nach Art des Hauses.

Mina lief das Wasser im Mund zusammen. Sie hatte seit dem kargen Mittagessen nichts mehr gegessen und der Gedanke an diese süßen, klebrigen Zuckerteile ließ ihr Herz höherschlagen.

Auf dem Aushang las sie zudem, dass es hier nicht nur Kuchen gab. Dieses Café war wohl wirklich etwas für Zuckerschnecken, denn es gab auch in Handarbeit hergestellte Bonbons und Pralinen.

Mina drehte sich weg. Sie musste hier schnell verschwinden, da der Zuckergott ihr sonst das Hirn vernebeln und sie zum Einbruch in das Café animieren würde. Sie brauchte etwas zu essen und ein Bett.

Sie ging die Straße weiter in die Stadt hinein. Jetzt erst sah sie, wie belebt die Stadt war. Um sie herum schlenderten die Bewohner Horringtons unter Regenschirmen oder Regencapes schnatternd und schwatzend durch die Straßen. Der Regen schien ihnen nichts auszumachen. Sie waren fröhlich, hatten keine Eile und waren vermutlich auf dem Weg von ihrer Arbeit nach Hause oder schon unterwegs mit Freunden.

Aus einem Pub hörte sie Shanty-Musik, die Türen waren geöffnet. Wohl um den Dunst, den die Menschen im Inneren und der Regen draußen verursachten, entweichen und neue, frische Luft hereinzulassen.

Es war warm, trotz des Regens. In Minas Vorstellung müsste es hier kalt und ungemütlich sein, die Menschen müssten schnell und gebückt von Haus zu Haus huschen oder ganz zu Hause bleiben. Aber davon traf nichts zu.

Sie sah ein Pärchen aus dem Pub kommen. Die junge Frau lehnte sich an die Hauswand der Kneipe und ihr Begleiter griff zwischen ihre Beine. Mina duckte sich hinter eine unbeleuchtete, nicht funktionierende Straßenlaterne und beobachtete die beiden. Die Frau stöhnte leise.

Minas Nippel wurden spitz, so spitz wie ihre Ohren. Und auch sie konnte ein leises Stöhnen nicht unterdrücken. Wie lange hatte sie keinen Mann mehr zwischen ihren Beinen gespürt. Der Weg hierher war so beschwerlich gewesen, dass sie nicht einmal daran gedacht hatte. Jetzt aber überkam sie eine vernachlässigte Lust. Sie leckte ihren Zeigefinger mit ihrer Zungenspitze an und ließ ihn über ihren vom schweren Atmen bebenden Brustansatz gleiten.

Das Pärchen hatte sich mittlerweile wieder auf den Weg gemacht und war verschwunden, aber Minas Lust blieb.

Jetzt machte sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht breit. Hier gefiel es ihr, hier würde sie bleiben. Und hier würde sie sicher eine warme und trockene Unterkunft finden.

Die Schmerzen vom Wandern in ihren Beinen nahm sie nur noch im Hintergrund wahr. Sie freute sich auf ein kräftiges Abendessen und dann wollte sie sich aufmachen, um ein Zimmer zu suchen. Ihr Körper schrie nach einem herrlichen Bad. Ja, genau, das würde sie tun. Und als sie das Pub genauer betrachtete, las sie: Schwarze Krähe – Pub & Sleep. Perfekt.

Mina ging in ihren tropfenden Kleidern auf die geöffnete Eingangstür zu.

---ENDE DER LESEPROBE---