Hopfenkiller - Andreas Schröfl - E-Book

Hopfenkiller E-Book

Andreas Schröfl

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  • Herausgeber: GMEINER
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2018
Beschreibung

Garreth Vane, amerikanische Craftbier-Ikone, eröffnet in München seine erste Brauerei. Den konventionellen Bierherstellern sowie dem Reinheitsgebot sagt er den Kampf an. Bald darauf werden der Besitzer der größten Craftbier-Brauerei Münchens tot in der Isar aufgefunden, sein Konkurrent erschlagen auf dem Brauereihof entdeckt und im Münchner Bier unerlaubte Zutaten nachgewiesen. Steckt Vane hinter den Taten? Kommissar Bichlmaier bittet Alfred Sanktjohanser um Unterstützung. Ein Fall, der den Sanktus an seine Grenzen bringt.

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Seitenzahl: 368

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Andreas Schröfl

Hopfenkiller

Der »Sanktus« muss ermitteln

Zum Buch

Der Tod braut mit »Wenn mir irgendwas passiert, was dir komisch vorkommt, dann gehst du zum Sanktus!« Mit dieser Anweisung meldet Hannelore ihren Ehemann, den Brauereibesitzer Bertram Simbacher, als vermisst. Die Münchner Bierwelt ist seit einigen Wochen in Aufruhr. Garreth Vane, ein amerikanischer Craftbier-Guru, eröffnet in Giesing seine erste Brauerei und sagt den konventionellen Bierherstellern sowie dem Reinheitsgebot den Kampf an. Kurz darauf werden im Bier der Münchner Bärenbrauerei Phosphorsäure und in den Tanks des Sternbräus schädliche Keime entdeckt. Als zudem der Chef der Haidhauser French Quarter Brewing Company erschlagen auf dem Brauereihof aufgefunden wird, ist die Polizei ratlos. Daher bittet Kommissar Bichlmaier seinen Freund Sanktus bei diesem Fall um Hilfe. Unterstützt von seinen Brauereikollegen, Dr. Engler und seiner Bekannten Lena nimmt der Sanktus die Ermittlungen auf. Dabei dringt er weit in die Welt der Craftbier-Brauer vor und begibt sich selbst in akute Gefahr.

Andreas Schröfl, 1975 in München geboren und aufgewachsen, erlernte das Handwerk des Brauers und Mälzers in einer Münchner Großbrauerei. Anschließend studierte er an der Universität Weihenstephan und arbeitete fünf Jahre als Braumeister in einer bayerischen Brauerei. Andreas Schröfl ist verheiratet und lebt mit seiner Familie in einem Dorf am Rande der Hallertau. Die Sanktus-Bier- und München-Krimis vereinigen seine Liebe zum Beruf, die Verbundenheit mit München und der bayerischen Tradition sowie seine langjährige Leidenschaft für Kriminalromane.

 

Bisherige Veröffentlichungen im Gmeiner-Verlag:

Schlachtsaison (2017)

Altherrenjagd (2016)

Brauerehre (2015)

 

Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

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Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

Telefon 0 75 75 / 20 95 - 0

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Alle Rechte vorbehalten

2. Auflage 2019

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © volff/fotolia.com

Druck: CPI books GmbH, Leck

Printed in Germany

ISBN 978-3-8392-5628-2

Widmung

Im Gedenken an den Wirts-Hans von Berghaselbach

 

Vorwort

Diesen Sanktus-Band möchte ich ausnahmsweise mit einem Vorwort beginnen, da mir zum Erscheinen meines vierten Sanktus-Krimis einiges auf dem Herzen liegt.

Bis 2015 mein erster Sanktus-Krimi »Brauerehre« erschienen ist, bin ich Brauingenieur und Familienvater gewesen. Seitdem darf ich mich zusätzlich als Kriminalautor bezeichnen, Ehre sozusagen kein Ausdruck. Das Erschaffen der Sanktus-Fälle und vor allem die humorigen Lesungen machen mir außerordentlich Spaß und sind für mich der Kontrapost zum stressigen Berufsalltag. Der Sanktus ist bei uns inzwischen ein unsichtbares Familienmitglied und begleitet uns Schröfls das ganze Jahr hindurch überall hin, da uns auf jeder Reise oder auf jedem Ausflug eine neue Szene oder Geschichte für unseren Ermittler einfällt. Was mich aber noch mehr freut, ist, dass der Sanktus auch bei vielen Lesern schon ein ständiger Begleiter ist, was in mannigfaltigen Vorschlägen für neue Krimis resultiert. Auf Wunsch eines Lesers ist zum Beispiel Sanktus’ Freund, der Inder Bhupinder, entstanden, der aus den Büchern nicht mehr wegzudenken ist, mir im Gegenteil von Leserundenmitgliedern sogar strikt untersagt worden ist, seinen Anteil am Sanktus-Geschehen zu reduzieren.

Ich freue mich außerordentlich, dass der Sanktus so großen Anklang findet, und so mancher ihn bereits schon als Kultfigur handelt und nach Verfilmung ruft.

Doch auch so manche Kritik habe ich bisher einstecken müssen. Die Romane enthielten zu wenig Herzschmerz und Liebe, und vor allem der frühe Tod des Bummerls im ersten Teil ist von der Damenwelt mit mehr als Missfallen aufgenommen worden, was bis im Leseboykott gegipfelt hat. An dieser Stelle möchte ich mich bei allen Leserinnen entschuldigen und gelobe Besserung mit diesem Band. Leider kann ich den Bummerl nicht mehr auferstehen lassen wie Dallas den Bobby Ewing. Das wäre einfach zu kitschig.

In diesem Roman findet der Sanktus wieder zurück zu seinen Wurzeln, sprich zum Bierbrauen, er wird also mitten in die neue Craftbier-Bewegung hineinkatapultiert. Münchner Biertradition versus neu entwickelte ungewohnte Biersorten. In diesem Dilemma könnt ihr euch den Sanktus ja sicherlich vorstellen.

Diesmal möchte ich auch einem unumstößlichen Trend der Regionalkrimiliteratur gerecht werden. Auf den hinteren Seiten findet ihr ein Rezept! Auch wenn es nicht für die Küche ist. Lasst euch überraschen.

Axel, auf Deinen Wunsch hin gibt’s auch einen Anhang mit Übersetzungen vom Bayerischen ins Hochdeutsche.

Den Lesern, denen der letzte Band zu blutig war, sei versichert: Dieses Mal wird’s nicht so schlimm. Nicht blutig, eher »bierig«.

Viel Spaß beim Lesen,

Euer Andreas Schröfl

Sommer 1940

Es war ein warmer Sonntagmorgen im Spätsommer, und die ersten diffusen Sonnenstrahlen fanden ihren Weg durch das offene Fenster der Kammer des Austraghofes. Rosa schlich sich leise aus dem Bett und legte die Schellackplatte auf das Koffergrammofon. »J’attendrai« von Rina Ketty aus dem Jahr 1938 begann leise und melancholisch den Raum zu erfüllen. Fritz regte sich im Bett und blinzelte Rosa verliebt entgegen, woraufhin diese zurück zu ihm unter das Plümo schlüpfte und sich an ihn kuschelte. Er streichelte über ihr rötliches Haar, das in diesem Licht wie Feuer leuchtete.

»Heut wird’s ein wunderbarer Tag. Wir könnten hinten an den kleinen See zum Baden gehen. Was meinst?«, flüsterte sie ihm zärtlich zu und fuhr die Form seines Schnauzbarts mit dem Zeigefinger nach. »Schön gräuslich ist der.«

Sie begann zu kichern, und Fritz verdrehte genervt seine Augen.

»Hoffentlich ist das alles bald vorbei. Dann kommt er sofort wieder weg«, flüsterte er.

»Jawohl, mein Fritz alias Hans Hintermeier, bester Knecht, den wir je hatten. Dann hat diese Camouflage ein End’, und wir heiraten endlich.«

Fritz nahm Rosa fest in die Arme und küsste sie zärtlich auf ihre vollen Lippen.

In diesem Moment wurde die Tür zur Kammer mit einem Krachen geöffnet, und ein Herr in grauem Anzug erschien, von zwei Männern der bayerischen Ordnungspolizei begleitet. Der elegante Hut des Mannes fing Rosas Blick sofort. Gestapo war ihr einziger Gedanke: Jemand hatte Fritz verraten. »J’attendrai« verklang in diesem Moment.

»Friedrich Springer. Wenn Sie bitte mitkommen würden. Wir hätten da einige Fragen an Sie«, begann der Gestapomann.

Rosa sprang aus dem Bett und baute sich vor dem Eindringling auf.

»Was wollen Sie von ihm? Und wer ist Friedrich Springer? Das ist unser Knecht Hans.«

»Netter Versuch, Fräulein. Danke für die schauspielerische Einlage. Ich würde Ihnen jedoch dringend raten, mit uns zu kooperieren, da ich Sie sonst wegen Unterstützung kommunistischer Widerstandsbewegungen verhaften müsste.«

Dabei drehte er sich um und sah in das Dunkel des Gangs vor der Kammertür. Rosa folgte seinem Blick und erkannte hinter ihm Gottfried, ihren jüngeren Bruder. Ein infames Grinsen, das an einen Teufel erinnerte, war auf seinem Gesicht zu erkennen.

»Jetzt gehst nach Dachau«, zischte er Fritz an, als dieser an ihm vorbei abgeführt wurde.

Nachdem die Männer mit Fritz die Kammer verlassen hatten, warf sich Rosa auf das Bett und weinte bittere Tränen. Würde sie Fritz je wiedersehen, und wie konnte sie ihrem Bruder zukünftig in die Augen schauen? Was hatte ihn zu diesem Verrat getrieben? Fritz hatte ihm nie etwas Böses gewollt. Plötzlich vernahm sie Geräusche eines Handgemenges vom Hof unten heraufkommend durch das Fenster.

»Haltet ihn auf!«, hörte sie eine Männerstimme kreischen.

Dann ertönte ein Schuss.

Rosa hangelte sich zitternd zum Fenster hinauf und sah zögerlich auf den Platz hinunter. Fritz lag auf dem Bauch im Staub. Sein Hemd war am Rücken blutrot gefärbt. Der Mann von der Gestapo drehte ihn gerade mit dem Fuß um, und Rosa blickte nun direkt in Fritz’ ausdruckslose, tote Augen. Diese Szene würde sie bis an ihr Lebensende nicht vergessen. Der Gestapomann sah mit kaltem Blick zu Rosa herauf. Ihr Bruder folgte seinem Blick verängstigt. Es war das letzte Mal, dass Rosa Gottfried in die Augen sah. Für sie endete an diesem Tag ihr bisheriges Leben.

22. Juli 2016

Das Wetter war drückend, und es hat schon leicht nach Regen gerochen, als der Sanktus mit der Kathi die Treppen zur U4 am Max-Weber-Platz hinabgestiegen ist. Na bravo, schon wieder Regen! Mal was ganz was anderes in diesem Sommer. Der Sanktus hat bei dem Wetter ein leichtes, aber stetes Dröhnen im Schädel gehabt. Zum Verzweifeln, verstehst du? Der ganze Sommer ist bisher im wahrsten Sinne des Wortes zum Verzweifeln gewesen, weil Sonne in diesem Jahr eigentlich gar nicht vorhanden. Kein Tag am Baggersee oder im Prinzregentenbad, fast kein richtiger Abend im Münchner Biergarten, einfach gar nichts. Nada, niente. Das drückt aufs Gemüt, kannst du dir vorstellen. Und das nicht nur beim Sanktus, weil du hast die Aggressivität in der Stadt förmlich ansteigen spüren können. Aber dass sie sich an diesem Tag so entlädt, hätte sich weder der Sanktus noch sonst jemand hier träumen lassen.

Er und die Kathi hatten sich seit Wochen auf das Festival zum 500. Jahrestag des bayerischen Reinheitsgebots am Odeonsplatz gefreut, weil Treffen vieler Bekannter und das Wichtigste, kinderfreier Abend, da sich die Anna um die Martina und den kleinen Georg gekümmert hat. Klar, Vorhaben kritisch, weil der kleine Sanktjohanser-Stammhalter war bisher nicht der große Verfechter der Aktion »Ein Abend ohne Mama«. Aber Gott sei Dank ganz der Papa und doch Besinnung an diesem heutigen wichtigen Tag, also kein Zwergerlaufstand, und die beiden haben ausgehen können. Zur Unterstützung ist der alte Sanktjohanser auf der Bildfläche erschienen, weil völlig Nachwuchs-damisch, sprich Opa mit Herz und Seele. Die Anna hatte die Augen verdreht, ihn aber, weil er sich gar so gefreut hat, gewähren lassen. Hat er doch seine Freude haben sollen, der stolze Opa.

Um kurz vor 18.00 Uhr sind sie also aus der U-Bahn hinaus und an der Oberfläche am Odeonsplatz erschienen. Und wie du es dir vorstellen kannst, hat es auch schon zum Tröpfeln angefangen. Jetzt ein leises »Na bravo!« auf den Sanktus-Lippen. Ist ja schon wieder gut angegangen. Der Sanktus und die Kathi also sofort Rechtsdrehung an den ersten Ausschank der Sternbrauerei, wo der Sanktus den Schankkellner, den Gustl, gekannt hat. Nun erst einmal für ihn und die Kathi ein frisches Freibier. Sternbräu Bio naturtrüb mit Small Talk, Witz-Witz und weißt noch, früher?

Zwei Minuten darauf sind schon die üblichen Verdächtigen, also der Schlauchgernot, der Piefke, der Ehrensberger Helmut und der Giovanni aufgetaucht. Großes Hallo gar nichts. Der Giovanni hatte anscheinend schon etwas vorgeglüht, weil bereits glasige Augen und extrem laute Artikulation. Der Ehrensberger hat wie immer nicht viel gesagt, und der Schlauchgernot hat irgendwas mit »Bluads-Craftbier-Plempel« in den Piefke hineingeschimpft. Der Piefke nur betretenes Wegschauen. Sofort haben sich die vier um den Sanktus und die Kathi geschart.

»Und wie geht’s mit eurer ›Haidhauser Bierwerkel‹?«, hat der Gustl wissen wollen.

»Läuft gut. Aber heute ist zu, weil eh alle auf dem Festl hier sind. Aber, der Hanspeter ist ned da. Der ist heim nach Baden-Württemberg gefahren. Mit seiner Annouk. Da hat irgendeine Oma von ihm Geburtstag.«

»Irgendwann muss ich jetzt doch amal vorbeischauen. Apropos Craftbier, warst du letzte Woch’ bei dem narrischen Bärtigen?«, hat der Gustl gefragt.

»Mei, der schaut so gut aus«, hat die Kathi geschwärmt. »Wie der bekannte Geiger da!«

»Ein Depp ist er«, Einwurf aus dem Schlauchgernot-Off.

»Beim Garreth Vane?«, hat der Sanktus geantwortet. »Freilich. Brutale Aktion! Bin gespannt, was er uns heute präsentiert.«

»Isse verruckte, dieser Mann«, hat der Giovanni geplärrt.

Ja, was würde der ausgeflippte amerikanische Craftbier-Brauer heute veranstalten, um die bayerische Bierwelt zu schocken? Die Branche war nach der letzten Aktion komplett in Aufruhr, weil so etwas war im Bier-München bisher noch nicht zelebriert worden. Man war auf jeden Fall gespannt.

»Wird sich wohl was einfallen lassen, nöch«, hat der Piefke resümiert.

Den Garreth noch im Schädel hat der Sanktus nebenher die Passanten beobachtet. Der Helmut hat es ihm schielenderweise gleichgetan. Alle hektisch mit den Regenschirmen und ihren Capes beschäftigt, und wie ihm aufgefallen ist, so ziemlich jeder mit Handy am Ohrwaschel und, noch viel schlimmer, besorgte Blicke. Wie kannst du auf so einem Fest nur so grantig schauen? Wegen dem bisserl Regen? Wenn hier jemand einen solchen Blick hat haben dürfen, dann ja wohl der Sanktus allein, weil ja schon wieder mittendrin in einer Ermittlung. Er hat das ja eigentlich gar nicht wollen, jetzt wo er Vater geworden war. Ein strammer Bub, der Schorschi, also sein ganzer Stolz. Er hat eigentlich vorgehabt, sich um seine Familie und um den neuen Craftbier-Laden samt Microbrauerei, die »Haidhauser Bierwerkel«, die er mit dem Hanspeter eröffnet hatte, zu kümmern. Und um sonst nichts. Aber erstens kommt es anders und zweitens, als du denkst!

Zwei Leichen haben den Sanktus gerade beschäftigt, verstehst du? Zwei tote Brauereibesitzer und keinen Hinweis auf irgendwas. Beide hinüber, also Exitus, aber so was von. Wirklich kein Spaß. Und nicht dass du glaubst, das ist alles! Kurz vorher hat das Münchner Bier mehrere mächtige, sozusagen biochemische, Anschläge aushalten müssen. Terror Scheißdreck dagegen. Also bis dato, aber siehst du gleich, es ist noch schlimmer gekommen.

Der Sanktus hat jetzt verwundert den Kopf geschüttelt und sich wieder seinem Bier gewidmet. Wie immer hat er in die Blume des Schaums hineingerochen, doch bald ist ihm aufgefallen, dass irgendwie niemand mehr dem Gespräch gefolgt ist. Der Gustl hat in die Menschenmenge geschaut, und auch die Kathi hatte ihren Kopf weggedreht. Die vier sonst so lauten Bierbrauer waren mit einem Mal auch sehr still. Plötzlich hat sich eine Garnison Polizisten ihren Weg durch die handygebannte Menge gepflügt. Nervosität in den Polizistengesichtern kein Ausdruck. Und das Wetter jetzt immer schlechter, weil schon Schauer. Der Himmel wolkenverhangen dunkel. Dazu die düsteren Mienen!

»Da stimmt doch was ned«, hat der Gustl konstatiert, und die Kathi hat an ihrem Smartphone gewischt.

»Kein Netz«, hat sie gemurmelt. »Und das am Odeons­platz. Schon komisch.«

Zustimmendes Murmeln seitens Gernot und Giovanni.

Just in dem Moment ist der Birkenegger Wast, ein Bierbrauer, den der Sanktus aus Freising gekannt hat, schnaufend an die Theke gestürmt und hat dem Gustl zugerufen: »Schnell! Schenk ma a Hoibe ein! Los! Mach!«

Der Gustl hat ihm ein Bier gezapft, der Wast hat es auf einen Sitz ausgetrunken und völlig entsetzt gekeucht: »Im Olympia Einkaufszentrum schießen s’! Mehrere Tote! Brutal!«

Der Schankkellner hat ihm ein weiteres Bier hingestellt, und der Wast hat auch dieses in einem Zug geleert.

»Die U-Bahnen haben den Betrieb eingestellt, und die Handynetze sind lahmgelegt«, hat die Hanni, Wasts Begleitung, die inzwischen hinter ihm erschienen war, gerufen. »Muss der Horror dort sein!«

Der Sanktus hat das Ganze erst einmal kategorisch angezweifelt, weil geglaubt hat er so schnell nichts, aber eigenartig war die Situation schon, weil so viele Polizisten hat es auf dem Odeonsplatz wahrscheinlich seit dem Hitlerputsch 1923 nicht mehr gehabt. Ein Taschendieb hat die allgemeine Verunsicherung sofort ausgenutzt und einen norddeutschen Touristen um seinen Rucksack erleichtert. Der Preuße sofort nach, aber keine Chance, da die Traube von Menschen angesichts der Meldungen aus dem Olympia-Einkaufszentrum handlungsunfähig, sprich, alle haben Dieb und Opfer mit vergeistigten Mienen nachgesehen. Engel beim Münchner im Himmel gerade Vorbild.

Der Sanktus hat an seinem Bier genippt und fragend die Kathi angeschaut. Die hat wie ein Schaf genauso zurückgeblickt, und beide haben nun versucht, Wortfetzen der vorbeiziehenden Passanten zu erhaschen. Schüsse, Olympia-Einkaufszentrum, Terror, islamistischer Angriff und so weiter. Sauber! Anscheinend war doch was dran an der Meldung vom Wast. Nicht, dass du meinst, der Sanktus wäre jetzt nervös gewesen. So eine Atmosphäre am Odeons­platz hat ihn noch lange nicht aus der Fassung gebracht, weil er doch von seinen Mordermittlungen schon was anderes gewohnt war. Aber ein Gefühl der Unruhe ist schon in ihm aufgekeimt. Ein sehr starkes sogar. Blick in die Wolken und gleich Verstärkung dieses Eindrucks. Jetzt wieder Blick nach vorne. Irgendwie war das Gelb der Renaissancebauten der Ludwigstraße und der Theatinerkirche unwirklich kitschig. So komisch leuchtend, obwohl keine Sonne am Himmel war. Einfach irreal. Genauso unmöglich wie die Meldung eines Terroranschlags in München. Die Medien hatten ja schon lange proklamiert, dass auch München auf der Liste der Terroristen sei, aber geglaubt hat das doch keiner. Überall: Berlin, Hamburg, Köln. Aber doch nicht im Sanktus-München. Wirklich ned, oder? Der Sanktus wieder schwer am Hadern.

»Wir drehen ’ne schnelle Runde«, hat der Piefke sich mit seinen drei Begleitern verabschiedet. »Wer weiß, was da heute noch kommt. Na denn, Tschö mit Ö!«

Und weg war das Brauer-Quartett.

»Drehen wir auch eine Runde?«, hat der Sanktus die Kathi verharmlosend gefragt. Die Kathi hat recht kariert geschaut, und er hat genau erkannt, dass sie äußerst unruhig war.

»Meinst?«, hat sie gefragt. »Soll’ ma ned lieber heimgehen?«

»Kathi, selbst wenn’s im Olympia-Einkaufszentrum schießen. Wir sind hier am Odeonsplatz. Die Polizei hat die Lage bestimmt schon im Griff. Geh zu!«

Also sind die beiden mit aufgespanntem Regenschirm an den Ausschankbuden der bayerischen Brauereien auf dem Platz unter der Theatinerkirche entlang getingelt, aber die richtige Stimmung hat sich irgendwie nicht einstellen wollen, obwohl der Sanktus natürlich sofort befreundete Brauer getroffen hat. Weil Brauereien ja kleine Welt, wie du weißt. Nach einigem harmlosen Small Talk und Geplänkel sind die beiden am Stand einer Traunsteiner Brauerei angekommen. Dort haben sie den Besitzer und die Besitzerin gekannt. Die Menge hat sich aufgrund des Regenschauers immer dichter unter das Zeltdach des Standes gedrängelt, und hat fast den Anschein einer flüchtenden Tiermeute erweckt, die in der Höhle des Rudels Unterschlupf sucht. Stachus, Stachus, war zu hören. Immer wieder Stachus und vor allem Schüsse! Nach längerer Warterei hat der Sanktus doch noch ein »Pale Ale« ergattert und die Kathi und er haben sich mit der Besitzerin, der Doris, unterhalten wollen. Ihr hat jedoch gerade ihr Ehemann, der Berni, etwas ins Ohr geflüstert. Der Doris ist schlagartig sämtliche Farbe aus dem Gesicht entwichen, und sie hat sich zur Kathi und zum Sanktus gedreht.

»Ihr habts doch zwei Kinder, oder?«, hat sie gefragt.

Nicken seitens Kathi und Sanktus.

»Dann würd ich an eurer Stelle jetzt direkt heimgehen. Die sind schon am Stachus. Von dort sind auch Schüsse gemeldet worden!«

Der Blick von der Kathi hat jetzt keine Interpretation mehr zugelassen, und der Sanktus hat sein Pale Ale zügig ausgetrunken. Zügig. Nicht schnell und nicht langsam.

»Jetzt mein ich, is’s vielleicht doch gscheiter, wir gehen«, hat er gesagt. »Auf geht’s, Kathi!«

Die beiden sind unter dem Plastikvordach des Ausschanks hinausgetreten, und der Sanktus ist auf einmal ganz still gestanden.

»Hörst es, Kathi?«, hat der Sanktus gefragt.

»Was?«, die Kathi zurück. »Jetzt komm. Mir is’s da ned wohl! Überhaupt ned. Wie lange werden die vom Stachus da her brauchen?«

»Ned lang, Kathi! Ned lang. Aber hörst es?«

»Was denn?«, hat die Kathi nervös gefragt.

»Nix! Gar nix. Man hört nix, ha? So stad is’s da noch nie gwesen.«

Die Kathi hat die Ohren gespitzt. Es war wirklich totenstill. Du hast kein Auto fahren gehört, nur leises Gemurmel und die auf Boden und Dächern aufkommenden Regentropfen. Gespenstisch. Wenn du bis jetzt nicht gewusst hast, was das bedeutet, dann hättest du es an diesem Tag definitiv gelernt. Du hättest auf der Brienner Straße ein Picknick machen können, also abgesehen vom Wetter, aber vom Verkehrsaufkommen her definitiv kein Problem.

»Dann geh endlich zu. Wir haben zwei Kinder daheim. Die brauchen ihre Eltern wirklich noch ein paar Jahre länger!«

»Aber durch die Nebenstraßen, Kathi. Komm!«

So sind der Sanktus und die Kathi durch den Hofgarten entlang der Residenz in Richtung Karl-Scharnagl-Ring marschiert. Die meisten Passanten haben verstört versucht, mit dem Handy ihre Verwandten anzurufen, um ihnen mitzuteilen, dass sie unversehrt waren. Doch kein Googeln, Telefonieren, WhatsAppen oder SMSen möglich. Nur Wischen ins Leere. Verzweiflung in den Gesichtern nahezu unbeschreiblich. Wenn der Anlass nicht so prekär gewesen wäre, hätte dem Sanktus diese Ohnmacht gefallen.

Der Weg hat sie hinter dem Ring durch die Gassen des Lehels geführt, weil der Sanktus die große Prinzregentenstraße hat meiden wollen. Höchste Vorsicht jetzt praktisch angesagt. Inzwischen ist es nicht mehr so ruhig gewesen, da Sirenen überall, also Polizeiwagen, Krankenwagen, Notarzt und Zivilfahrzeuge. Sonst war kein Auto unterwegs. Das heißt, fast, weil in den kleinen Straßen haben noch ein paar Wagen versucht, zu fahren, aber wirklich weitergekommen sind sie nicht, weil alles komplett dicht.

Die Kathi hat sich beim Sanktus untergehakt gehabt, und die Geschwindigkeit, mit der sie gelaufen ist und den Sanktus voran gedrängt hat, hat ihm signalisiert: allerhöchste Eisenbahn! Angst kein Ausdruck.

Gerade in dem Moment, als sie an einem der vielen Restaurants des Lehels vorbeigegangen sind, hat ein Mann, der an einem der gedeckten Tische draußen gesessen ist und anscheinend Netz gehabt hat, laut gerufen: »Oh mein Gott, jetzt sind sie am Odeonsplatz!«

Vor ungefähr einem halben Jahr

Verena Weichslbaumer saß neben ihrem Ehemann an einem der wuchtigen Holztische im Bräustüberl der Brauerei »Weichslbaumer« – Braukunst seit 1895 – in Firmkirchen.

Angeekelt betrachtete sie Paul, wie er gerade eine Portion Leber- und Blutwurst mit Sauerkraut und Kartoffelpüree in sich hineinschlang. Bald würden die Knöpfe an seiner Trachtenweste abplatzen, wenn er so weitermachte. Er betrachtete sie kurz und durchdringend mit seinen Schweinsaugen und lächelte mit vollem Mund. Ein Fetzen Kraut hing in seinem Mundwinkel, und etwas Soße rann sein Kinn hinunter. Er griff zu seinem Bierglas, ein traditioneller Willybecher, wie er noch überall in Bayern zu finden war, und nahm einen großen Schluck. In diesem Augenblick durchfuhr Verena ein schlagartiger Brechreiz, und sie musste sich kurz entschuldigen, um die Toilette aufzusuchen.

Nachdem sie sich übergeben hatte, spülte sie ihren Mund und Rachen mit Wasser und betrachtete ihr Konterfei im Spiegel. Was war nur aus ihr geworden? Was hatte dieser Mann aus ihr gemacht? Sie sah eine verbitterte Frau, die sie aus roten Augen, die vom Weinen und Erbrechen herrührten, ansah. Es war der Blick einer verbrauchten Frau, nicht der einer 35-Jährigen, die mitten im Leben stand. Der Rest an ihr war immer noch bestens in Schuss, denn sie achtete auf ihre Figur, trieb Sport. Ihr dichtes, dunkles Haar, das ihr über die Schultern fiel, wies noch keine graue Strähne auf. Früher war sie die Dorfschönheit, und alle Firmkirchner Männer waren hinter ihr her gewesen. Und sie? Warum hatte sie sich für diesen fettleibigen Tyrannen entschieden?

Wie lange würde die Ehe noch so weitergehen? Diese Farce? Sie träumte seit Jahren von einer harmonischen Beziehung, von einem zärtlichen Mann, vielleicht auch Liebhaber, von einem anderen Leben.

»Vreni, wo bist’n?«, hörte sie Paul im Gastraum schreien. »Unser Besuch ist da.«

Schnell machte sie sich einigermaßen zurecht und trat aus der Damentoilette zurück in die Realität. Am Tisch ihres Mannes standen zwei Herren. Das mussten die Vanes aus Amerika sein, die sich für heute angekündigt hatten. Kurz bevor sie die drei Männer erreicht hatte, drehte sich der groß gewachsene der beiden Besucher zu ihr um und sah ihr direkt in die Augen. Verena stockte der Atem, sie spürte einen akuten Schwindel in sich hochsteigen, und in ihrer Brust begann es angenehm zu ziehen. Das konnte kein Mensch sein, das war ein göttliches Wesen! Diese blauen, warmherzigen Augen wollten sie völlig in sich aufsaugen. Die Zeit schien für sie in diesem Moment stillzustehen, und Verena nahm ihre Umgebung nicht mehr wahr. Da waren nur noch dieser Mann und sie selbst. Sonst niemand.

Garreth Vane bewegte sich langsam auf sie zu, nahm ihre Hand und deutete einen Handkuss an.

»Und Sie müssen Verena sein. I’m Garreth. Pleasure to meet you«, eröffnete er das Gespräch mit sonorer Bassstimme.

»Thank you. Sehr angenehm. Willkommen«, erwiderte Verena und versuchte, ihr Stottern mit einem Lächeln zu überspielen. Paul durfte unter keinen Umständen etwas merken. »Wollen wir uns ned setzen?«

Sie konnte nicht mehr lange stehen, so weich waren ihre Knie beim Anblick dieser Erscheinung, die sie an den bekannten Geiger erinnerte.

»Gerne, aber dazu müssten Sie meine Hand wieder loslassen«, scherzte Vane mit einem Schmunzeln.

Verena fiel erst jetzt auf, dass sie Vanes Hand krampfhaft umklammert hielt. Blitzschnell ließ sie sie los und nahm Platz. Sie konnte Pauls bohrenden Blick von der Seite förmlich spüren, vermied es aber, sich zu ihm zu drehen. Sie würde den Blick heute Abend noch ausgiebig genug zu spüren bekommen, und leider würde es nicht nur bei einem Blick bleiben. Wann würde sie es endlich schaffen, ihn zu verlassen? Sie konnte nicht sagen, wann sie endlich den Mut dazu aufbringen würde.

Garreth, dem das Verhalten der beiden Ehepartner sofort aufgefallen war, versuchte, Verena nicht mehr direkt anzusehen, um sie nicht in weitere Verlegenheit zu bringen. Seinem Begleiter, der eher den trotteligen Eindruck eines BWL-Fachidioten machte, blieb die Situation verborgen.

»Also, mach’ma den Sack zua. Unterschreib’ma?«, preschte Paul Weichslbaumer vor und hielt Garreth Vane einen Kugelschreiber unter die Nase. Garreths Cousin Dean Vane hatte die Vertragspapiere schon auf dem Tisch ausgebreitet und wollte in seiner hohen Stimmlage gerade einen Kommentar abgeben, als ihm Garreth ins Wort fiel.

»Easy tiger. Slow down«, unterbrach er Weichslbaumers Vorstoß, »bisher haben Sie nur mit meinem Cousin Dean gesprochen. Aber ich bin derjenige, der den technischen Teil des Vertrags unterschreibt.«

Dean stieß stotternd die Luft aus. Weichslbaumer sah Vane mit verstörtem Blick an. Verena konnte den Hass, den diese Zurechtweisung in ihm erzeugte, erkennen. Sie wusste, was auf dem Spiel stand. Die Brauerei war kurz vor der Pleite, da der Bierausstoß seit Jahren kontinuierlich zurückging und bisher keine von Weichslbaumers Anstrengungen, diesen Trend umzukehren, Früchte trug. Das ließ sich jedoch nicht auf die Produktqualität zurückführen. Das Bier der Brauerei war erstklassig, doch Weichslbaumer verlor immer mehr Gaststätten, da freie Wirte aufgrund seiner Streitsucht auf andere Brauereien umschwenkten. Der Vertrag mit den Vanes, der eine Vollauslastung der Brauerei sicherte, musste unter allen Umständen zustande kommen. Hoffentlich würde Paul das nicht auch wieder vermasseln.

»Der Betrieb wurde von der Universität Weihenstephan untersucht und für passend befunden«, erklärte Garreth Vane.

Bei dem Wort passend loderte es erneut in Weichslbaumers Augen. Ideal hätte er sich definitiv erhofft.

»Ihr Equipment ist auf aktuellem Stand. Sie können alle unsere Anforderungen an das late hopping, also späte Hopfung in Sudhaus und Keller erfüllen. Sie garantieren höchste Qualität, die im Vertragsappendix beschrieben ist.«

Jetzt war wieder ein Leuchten in Weichslbaumers Augen zu bemerken.

»Für mich ist es jedoch wichtig, dass Sie den Craftbier-Gedanken verinnerlicht haben und leben. Wir produzieren Biere, die weder pasteurisiert noch kurzzeiterhitzt sind. They are pure nature! Das müssen Sie definitiv einhalten. Die Kühlkette muss bis zur Abholung durch uns aufrechterhalten werden.«

»Eh koa Problem«, murmelte Weichslbaumer.

»Paul«, machte Vane weiter, »Sie sind dann bis auf Weiteres Lieferant und Produzent der »Red Head Brewing«-Produkte. Ich erwarte von Ihnen, dass Sie dies auch nach außen tragen. Wir wollen die Münchner Bierwelt revolutionieren. You understand? Benehmen Sie sich bitte auch so. Ich habe dem Vertrag eine Klausel angefügt, dass ich im Falle eines Fehlverhaltens Ihrerseits den Vertrag unmittelbar aufkündigen kann. And to be honest, um ehrlich zu sein, wir haben auch noch ein zweites Angebot. Sie sind auf keinen Fall unersetzlich für uns.«

Dabei sah er seinem Gegenüber tief in die kleinen Augen und lächelte. Weichslbaumer hätte diesen arroganten Menschen am liebsten auf der Stelle umgebracht, wäre das nicht sein existenzielles Aus gewesen. Also riss er sich zusammen, so gut es ging. Verena starrte mit gesenkten Augenlidern auf den Tisch vor sich, um jeglichen Blickkontakt mit Vane zu vermeiden. Dean wies Weichslbaumer auf den von Garreth genannten Passus hin, und Weichslbaumer unterzeichnete mürrisch. Anschließend wollte er Vane den Kugelschreiber zur Unterschrift reichen, aber dieser ignorierte ihn, zog einen teuren Füller aus der Innentasche seines Jacketts und signierte endlich. Danach wurden die Seiten paraphiert, beide Parteien erhielten eine Kopie, und Hände wurden geschüttelt.

Verena, die die Gelegenheit genutzt hatte, sich von der kleinen Gesellschaft zu entfernen, kam mit vier gefüllten Pilstulpen zurück.

»So, jetzt stoßen wir an, meine Herren«, forderte sie die Runde auf, und die Männer nahmen dankend die Gläser entgegen.

Als Vane sein Pils in Empfang nahm und in die Runde prostete, konnte sie nicht anders, als ihm noch einmal in die Augen zu blicken. Wärme durchfuhr sie, und sie wusste, dass Garreth Vane auf jeden Fall der Mann ihrer Träume war. Heute Abend würde sie die Grausamkeiten ihres Ehemannes mit diesem Mann in Gedanken stoisch ertragen.

 

09. Juni 2016, vor sechs Wochen

Ludwig Ampenberger war in seinem Element. Er stand etwas erhöht auf einer Treppenstufe im grün gefliesten Sudhaus seiner Brauerei und war gerade im Begriff, eine Gruppe Bio-Lebensmittelhändler durch den Betrieb zu führen. Überlegen ließ er, die Hände in die Hüften gestemmt, seinen Blick über die erwartungsvoll blickenden Gesichter schweifen. Auf seinem ebenfalls grünen Poloshirt prangte stolz das Wappen seiner fast 150-jährigen Brautradition. Es würde sich nun gleich zeigen, ob es sich bei seinen Gästen um wahre Brüder im Geiste oder lediglich um Möchtegern-Bioapostel handelte, die auf den gerade modernen ökologischen Zug aufgesprungen waren.

»Sehr geehrte Gäste, ich darf Sie heute in der wirklich einzigen Bio-Brauerei im Raum München begrüßen. Die Brauerei Ampenberger braut seit nun 20 Jahren mit rein biologischen Zutaten, also Bio-Malz und Bio-Hopfen aus ausgesuchten ökologischen Partnerbetrieben, reinste Biere. Unser Brauwasser gewinnen wir aus dem hauseigenen Tiefbrunnen. Das Wasser ist nachgewiesen Tausende von Jahren alt und frei von jedweden Umwelteinflüssen. Durch ein ausgeklügeltes magnetisches System versetzen wir dieses reinste Wasser in Schwingung, was einen einzigartigen positiven Einfluss auf den Brauprozess zur Folge hat.«

»Aha, welchen denn?«, erdreistete sich ein Besucher im Trachtenanzug zu fragen.

»Bessere Maischarbeit, qualitativ hochwertige Würzen und eine flottere Gärung«, antwortete Ampenberger prompt.

»Und wenn man die Blumen im Sudhaus damit gießt, wachsen die auch besser, oder?«, stichelte der Fragende.

Ampenberger wurde nervös. Er war es gewöhnt, nonchalant seine Bio-Lehren zu verbreiten und sein Publikum in seinen Bann zu ziehen. Freche Fragen zu beantworten, gehörte definitiv nicht zu seinem Repertoire.

»Dies selbstverständlich auch«, antwortete er gequält und ging sofort dazu über, von seinem neu erworbenen Blockheizkraftwerk zu berichten, mit dem er Wärme und gleichzeitig Strom erzeugte. Auch die geplante Trebertrocknungsanlage, die er mit einem Bekannten zur Erzeugung von CO2-neutraler Wärme plante, machte er zum Thema. Die Welt sollte wissen, dass es nur eine wahre Brauerei auf diesem beschissenen Planeten gab, und das war die Bio-Brauerei Ampenberger in Olching. Er hatte es bisher geschafft, wirklich alle Zweifler zu überzeugen, was die wachsende Nachfrage nach seinen Produkten bezeugte.

»Ich denke, ich kann mit Stolz von mir behaupten, die modernste und ökologischste Brauerei der Welt zu führen. Unsere Methoden und Arbeitsweisen sind richtungsweisend, unsere Bierqualität ist perfekt, was man von den Großbrauereien hier im Raum München, die lediglich behaupten, weiterhin nach dem Reinheitsgebot zu brauen, nicht behaupten kann.«

Jetzt folgte seine lang einstudierte Hasspredigt auf das industriell hergestellte Bier, die ihre Wirkung nie verfehlte. Durch einfallsreiche Verstrickungen von Halbwahrheiten und geschickt eingefädelten Lügen zeichnete er ein Bild von geldgierigen Konkurrenten, die minderwertigste Produkte ohne soziale Verantwortung herstellten. Er redete sich nun selbst so in Rage, dass er nicht bemerkte, wie ein stattlicher Herr, der sich bisher im Hintergrund gehalten hatte, auf ihn zukam.

»Luggi, jetzt machst an Punkt, gell!«, forderte der Besucher den Brauereibesitzer zum Schweigen auf. »Denkst du, mir Münchner Brauer sind auf der Brennsuppen daher gschwommen?«

»Der Niedermeier Willi. Wie kommst denn du da her? Jaja, der Herr Produktionsleiter vom Sternbräu! Hast du dich hier eingeschlichen?«, fragte Ampenberger, wobei er mit zitternder Hand über seine Frisur strich. Seine Zähne fletschte er wie ein Frettchen, was ihm für einen kurzen Moment einen irren Ausdruck ins Gesicht zauberte.

»Richtig. Ich bin in Vertretung aller Münchner Großbrauereien hier. Uns ist zugetragen worden, dass du uns ständig diffamierst. Ich rat dir, damit aufzuhören. Du hörst von unseren Anwälten. Servus, Luggi!«

Niedermeier drehte sich um und wollte gerade das Sudhaus verlassen, als ihm Ampenberger mit hochrotem Kopf etwas nachrief.

»Wie bitte?«, fragte Niedermeier.

»Ich mach euch fertig, mitsamt euren Anwälten«, krächzte Ampenberger.

»Aha, fertig machst du uns? Und das vor Zeugen. So wie du seinerzeit den Riedinger Bräu zerstört hast, indem du ihm unerlaubte Zusatzstoffe in den Sud gemischt und ihn dann angezeigt hast?«

»Das hat mir nie jemand beweisen können. Verleumdung. Ja, das könnts ihr. Sonst nichts. Schleich dich aus meiner Brauerei, Willi! Raus!«

Niedermeier winkte ab und verließ das Sudhaus. Die anderen Besucher taten es ihm kopfschüttelnd gleich.

Ampenberger verblieb allein inmitten der Kupferpfannen. Er trat mit solcher Wucht gegen die Sudhauswand, dass er schmerzerfüllt aufschrie.

17. Juni 2016, vor fünf Wochen

In der »Haidhauser Bierwerkel« war heute Probierabend, was so viel bedeutet hat, wie dass das ganze Viertel rings um den Craftbier-Shop im Verkaufsraum des Hinterhofgebäudes in der Einsteinstraße versammelt war. Der Sanktus und der Hanspeter hatten das Geschäft kurz nach den Münchner Rippermorden vor drei Jahren eröffnet. Ganz ohne Hilfe ist das natürlich nicht gegangen, aber der Hannes, dem der Häuserblock gehört hat, hatte ihnen das Gebäude zur Verfügung gestellt. Genau in diesem Hinterhof hatte das Autohaus »Meierhofer« als kleine Autowerkstatt seinen Anfang gehabt.

Der Hannes war vor drei Jahren wieder mit der Anna, Sanktus’ Schwester, zusammengekommen und war darüber so glücklich, dass er den beiden Brauern diese Location nur zu gern überlassen hatte. Natürlich gegen eine günstige Miete und, wer hätt’s gedacht, für viel Freibier. Weil zahlen wollte er dort für das Bier natürlich auf keinen Fall.

Der Innenraum war mit Holz verkleidet, und mehrere dunkle Regale mit zahlreichen ausgefallenen Biersorten haben die Wände geziert. Nicht dass du meinst, da sind millionenweise Flaschen gestanden, nein, jeweils genau eine Flasche pro Biersorte hast du sehen können. Weil, Bier mag eigentlich keine Wärme und kein Licht und war daher besser im großen Kühlraum zwischen Verkaufsraum und Brauerei aufgehoben. Du hast also im Regal eine Nummer ziehen müssen, und das Bier ist dir dann exakt richtig temperiert kredenzt worden. Sagst du nichts mehr, gell? Für die Biervielfalt und Sortenauswahl war der Hanspeter verantwortlich. Der hat sich tagelang damit beschäftigen können, die Regale zu arrangieren.

Und ja, du hast richtig gehört: Brauerei. Die beiden wollten natürlich als Bierbrauer unbedingt ihre eigenen Bierkreationen entwickeln, also haben sie sich kurzerhand eine kleine gebrauchte Fünfhektoliteranlage zugelegt und mit großem Erfolg die Spezialitäten der »Haidhauser Bierwerkel«, hergestellt. Vier Hauptsorten haben sie inzwischen produziert. Der »Haidhauser Stenz«, ein mit Tettnanger kaltgehopftes bayrisches traditionelles Lagerbier, also Helles, die »Münchner Weißheit«, ein mit Amarillo-Hopfen und Cara-Red-Malz verfeinertes Weißbier, das »Einstein Bitter«, ein extremes Pils mit 50 Bittereinheiten, und das »Bhupindia Pale Ale«, ein feines India Pale Ale mit zitrusartiger Aromahopfennote. Diese Sorte hatten der Sanktus und der Hanspeter ihrem indischen Freund Bhupinder, dem Koch der »Neuen Kirche«, gewidmet.

Für die Namen und die praktische Herstellung war der Sanktus zuständig, für die Zusammensetzung der Rezepte der Hanspeter. Der Schwabe hat stundenlang mit Excel-Tabellen umeinander rechnen können, bis er mit seiner Komposition zufrieden gewesen ist. Der Sanktus hat sich mehr oder weniger daran gehalten, hat aber beim Hopfen immer eine Handvoll mehr in den Sud hineingetan. Dann hat’s genau gepasst. Alte Hausbrauer-Weisheit, musst du wissen.

Der Hanspeter hat immer noch in der Sternbrauerei gearbeitet, und der Sanktus war eigentlich Hausmann, aber natürlich meistens in der »Bierwerkel« zu finden. Die Kathi, weißt du ja, hat den besser dotierten Beruf gehabt und ist relativ bald nach der Geburt des kleinen Georg wieder in ihren Job zurück. So haben die beiden Brauer und Existenzgründer eigentlich ein Bombenleben gehabt, weil die »Werkel« hat abends nur von Donnerstag bis Samstag Bier ausgeschenkt. Den Dienst haben sich beide geteilt, aber oft waren sie auch zusammen im Laden und in der Brauerei. Den Bierverkauf nachmittags sowie die Bewirtung am Sonntagmittag hat Sanktus’ Vater übernommen. Gebraut wurde immer montags oder dienstags. Das hat der Sanktus gut übernehmen können, da die Kathi inzwischen auch von daheim aus arbeiten konnte. Die Martina war in der Schule und der kleine Schorschi ein paarmal in der Woche vormittags im Krümeltreff. Wann immer es eng geworden wäre, ist der alte Sanktjohanser eingesprungen und hat sich um seine Enkelkinder gekümmert.

Der Sanktus und der Hanspeter waren gerade im Gespräch mit ihren Kunden vertieft, und die Kathi und die Annouk, die Hanspeter-Gattin, haben sich miteinander unterhalten. Wahrscheinlich haben sie wie immer ihre beiden Männer belächelt, weil Enthusiasmus für das Craftbier pur. Faible kein Ausdruck. Würde jemand über Wein so philosophieren, hätte ihn der Sanktus als Wein-tot-Schmatzer abgetan, aber beim Bier war das für ihn halt etwas anderes. Da war er schon parteiisch, der Münchner Brauer.

Da es Freitag war, waren die Martina und der kleine Schorschi ausnahmsweise auch in der »Bierwerkel« vertreten. Der Schorschi, der »Kleine Bräu«, wie ihn die Gäste genannt haben, war vor allem bei der weiblichen Kundschaft beliebt.

Wer an Probierabenden nicht hat fehlen dürfen, war der alte Sanktjohanser, Sanktus’ Vater. Der war noch viel schlimmer als sein Sohn und hat alles über den neuen Biertrend in sich aufgesogen und auch genauso wieder von sich gegeben. Sehr zum Leidwesen seiner Opfer, die er sich wahllos aus den Besuchern herausgepickt hat. Er war vor drei Jahren unverhofft aus Afrika nach München zurückgekommen und war hier hängen geblieben. Inzwischen hatte er eine eigene kleine Wohnung in der Nähe des Johannisplatzes. Die Anna war heilfroh darüber, da er zuerst bei ihr gewohnt hatte, aber seit sie mit dem Hannes wieder zusammen war, das dritte Radl am Wagen gebildet hat. Die Bian, die vietnamesische Bekannte des Alten, die immer noch in München studiert hat, war heute auch anwesend und hat ganz langsam und bedächtig an einem »Imperial Black Stout«, einem röstmalzaromatischen Dunklen genippt, weil fehlende Enzyme bei den Asiaten, weißt du ja. Der Sanktä, wie alle den alten Sanktjohanser genannt haben, hat gerade wie immer Hof gehalten, also Dozent in der Runde der Craftbier-Anfänger, die seinen Ausführungen andächtig gelauscht haben. Grad wichtig hat er’s gehabt, wie er die Geschichte der Entstehung des »India Pale Ales« in den britischen Kolonien erzählt hat. Bald kommt er zu den belgischen Sauerbieren, hat sich der Sanktus gedacht. Da ist dann meistens Schluss mit dem Vortrag, weil Sauerbier doch gewöhnungsbedürftig und der Zuspruch eher begrenzt.

An einem Stehtisch im Eck sind die Sternbräu-Brauer gestanden, aber nur der Giovanni, der Italiener aus dem Lagerkeller, war zu hören, weil Südländer und lautestes Organ. Sogar der Schlauchgernot als erklärter Craftbier-Gegner – weil neumodischer Scheiß und hamma doch früher scho ghabt – war inzwischen regelmäßiger Gast in der »Bierwerkel«. Natürlich zuerst nur unter Protest, aber inzwischen hat er sich sogar für ein Pale Ale begeistern können, und die verschiedenen Starkbiere haben ihm eh zugesagt, was man an seinem bierseligen Blick schon wieder hat erkennen können. Der Piefke war bereits leicht angeheitert, und der Ehrensberger Helmut hat seinen schon etwas angestochenen Blick schielenderweise über die Besucher und die Bierregale schweifen lassen, roter Leuchtstreifen vom Knight-Rider praktisch Anfänger dagegen.

Auch die Anna und der Hannes waren anwesend und haben sich an einem kleinen Stehtisch verliebt über zwei belgische Witbiere in die Augen gesehen und Händchen gehalten.

Ringsum eine Bombenstimmung und der Laden brechend voll. Zurzeit war ein leichtes hopfenbetontes Summer-Ale, das »Sommer in der Stadt«, als saisonale Spezialität am Hahn. Die Hopfung war dem Hanspeter so gut gelungen, dass sich die Leute am liebsten darin ertränkt hätten, und der Sanktus hat Sonderschichten beim Biersieden einlegen müssen.

Das große Thema an allen Stehtischen: der Garreth Vane. Immer nur der Garreth Vane. Der Sanktus hat es schon nicht mehr hören können. Vane war das Flaggschiff einer amerikanischen Craft-Brauerei namens »Red Head Brewing Company«, die in München Fuß gefasst hatte. Rotkopf Brauerei? Was hat das denn bedeuten sollen? Keine Ahnung, der Sanktus. Jetzt, wenn du meinst, na und, weil so eine kleine Klitsche interessiert doch in München eh niemanden, liegst du falsch. Amerikanische Kleinbrauereien sind meist größer als Großbrauereien hier in Deutschland, und diese »Red Head Brewing Company« hat die Größe der Sternbrauerei bei Weitem überschritten gehabt.

Der Vane war Anfang April nach Bayern gekommen, und jetzt hör zu, mit dem Ziel, zuerst den Münchner und dann den bayerischen Biermarkt richtig aufzumischen, und jetzt lus noch amal, mit der Kampfansage gegen die Münchner alteingesessenen Großbrauereien. Die haben ihn natürlich belächelt, so wie sie alle da waren, der Sanktus jedoch war da eher vorsichtig. Dieser Typ hat eine Entschlossenheit ausgestrahlt, so was findest du nicht oft. Ausgeschaut hat er ja wie der Geiger, auf den die Frauen so stehen, dieser David Garrett, also Name und Look ähnlich. Dem Sanktus hat es die Zehennägel aufgestellt, wenn er diesen Musiker mit seinem Bart und seinem Schopf auf dem Kopf geigen gesehen hat. Nicht, dass ihm dieser Hilfs-Stradivari unsympathisch gewesen wäre, aber dieses Weiber-Schmachten.

»Der Garrett spielt, der Garrett spielt. Mach den Fernseher an. Der is ja so süüüüß!«

Ja zum Speiben, und dann schaut der Craftbier-Heini auch noch so aus wie der, und schon wieder alle Mädels am Schwelgen. Und jetzt pass auf, macht der auch noch ein IPA d’amore. Geht’s noch? Beim Gedanken an diesen US-Beer-Tycoon hat der Sanktus dem Hanspeter einen verstohlenen Blick zugeworfen, und der Schwabe hat verschwörerisch zurückgelugt, weil heute Abend war noch Brauer-Gottesdienst im Bogenhausener Georgskircherl angesagt. Und halt dich fest, die Einladung dazu ist genau von diesem Garreth Vane gekommen.

Die beiden Kleinbrauereibesitzer haben sich also von ihren Frauen verabschiedet, und der alte Sanktjohanser hat versprochen, sich um die Gäste zu kümmern und nach Feierabend abzusperren. Die beiden sind also mit dem Bus von der Grillparzer Straße zur Haltestelle Montgelasstraße gefahren. Von dieser Station an der Max-Josephs-Brücke waren es gerade noch knappe fünf Minuten zum Georgskircherl.

Vor dem Gotteshaus sind schon mehrere geladene Gäste im bekanntesten Friedhof der Stadt gestanden. Hier waren Persönlichkeiten wie die Liesl Karlstadt, Rainer Werner Fassbinder, Oskar Maria Graf, Helmut Dietl und Helmut Fischer begraben.

Der Simbacher Bertl vom Oberföhringer Brauhaus, der Neudecker Schorsch vom Neude-Bräu aus der Theresienstraße, der Mahler Heiko vom French Quarter Brewing, sozusagen ein Nachbar der »Bierwerkel«, der Chaoten Hubsy samt Preißen-Claas im bärtigen Craft-Brewer-Look und viele andere Bekannte aus der Münchner Craftbier-Szene, die du so kennst, waren versammelt. Sogar der Ampenberger, den eigentlich niemand gemocht hat, ist da gewesen.

Keiner der Anwesenden hat gewusst, warum dieser Gottesdienst hat stattfinden sollen, weil erstens gibt es alle zwei Jahre den Münchner Brauertag, und da wird in den »Alten Peter« gegangen, und zweitens, warum war niemand von den Großbrauereien da? Kein Stern-, kein Bärenbräu, kein Augustiner, Spaten und so weiter. Also angeregte Diskussionen über das Warum und Wieso, aber am Ende doch alle hinein.

Die kleine Rokokokirche, in der einst Pater Alfred Delp gewirkt hatte, war hell erleuchtet, und die Besucher haben die Reihen von hinten her gefüllt, weil in der Kirche und in der Schule sitzt du nicht in der ersten Reihe wie beim ARD und ZDF. Beim Reingehen hat der Sanktus einen Unbekannten in der letzten Bankreihe entdeckt. Neue Brauerei? Noch so ein Spinner, der gemeint hat, er müsste sein eigenes Bier pritscheln? Würde er schon noch rausfinden …

Als dann alle im Kirchenschiff Platz genommen hatten, ist ein gespenstisches Orgelspiel erklungen und die Beleuchtung gelöscht worden. Nur noch einzelne Kerzen haben gebrannt und im Windhauch geflackert. Dem Sanktus war nicht klar, wo der Windhauch hergekommen ist, da alle Fenster und Türen geschlossen waren, aber ihm war, als würde er das leise Surren eines Gebläses hören. Komische Veranstaltung. Wirklich.

Plötzlich ist vom Altar her langsam Rauch aufgestiegen, und ein Geistlicher in Kutte mit Kapuze über dem Kopf ist aus dem diffusen Dunkel hinter dem Altar aufgetaucht. »Der unheimliche Mönch« von Edgar Wallace ist es dem Sanktus durchs Hirn gefahren. Kann ja wohl nicht sein. Was hat dieser Kitsch bezwecken sollen? Die Gestalt hat ein Buch geöffnet, so wie es ausgesehen hat die Bibel, und die Hände gefaltet. Die Kerzen haben weiter im Luftzug geflackert. Der Geistliche hat seine Hände geöffnet und sie langsam zur Kapuze gehoben und diese nach hinten gestreift.

Es war niemand anderes als Garreth Vane, der mit geisterhaftem Blick zu seiner Gemeinde in den Bankreihen geblickt hat.

»Friends«, hat er mit sonorer Stimme und amerikanischem Akzent begonnen. »Thanks for coming today. Danke, dass ihr meiner Einladung gefolgt und heute hierhergekommen seid.«

Der Sanktus hat in die Runde geschaut und sprachlose Gesichter erkennen können. Alle Anwesenden waren von diesem Auftritt beeindruckt. In den Ampenberger-Augen hat der Sanktus Ehrfurcht gesehen. Wahrscheinlich inszeniert dieser Depp seinen Auftritt bei der nächsten Brauereiführung genauso. Der Simbacher Bertl und der Mahler Heiko haben geschaut, als ob ihnen ein wirklicher Geist erschienen wäre. Trotz der düsteren Stimmung im fahlen Kerzenschein hast du gesehen, dass die beiden aschfahl im Gesicht waren. Aber warum, hat der Sanktus sich gefragt. Ist doch alles nur Theater.

»Freunde«, hat Garreth Vane weitergemacht, »wir leben in einer Zeit, die immer schneller wird, immer konsumorientierter, immer grausamer. Wir haben Angst vor Terror, vor Zuwanderung, vor Armut im Alter. Wir trauen unseren Politikern nicht mehr, und nur wenige Menschen blicken zuversichtlich in die Zukunft. Dabei verlieren wir totally den Blick auf das Now, das Jetzt. Wir vergessen aufgrund all dieser Ereignisse die wichtigen Dinge des Lebens. Freundschaft, Liebe und sogar unsere eigene Gesundheit. Wir stopfen jeden Tag minderwertiges Essen und Fast Food in uns hinein. Wir wollen immer weniger Geld für Quality Food, also hochwertige Lebensmittel, ausgeben. Eine Kiste Bier kann man in Deutschland für sechs Euro haben.«