Pfaffensud - Andreas Schröfl - E-Book

Pfaffensud E-Book

Andreas Schröfl

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  • Herausgeber: GMEINER
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2021
Beschreibung

Das katholische München ist in Aufruhr. In der Landeshauptstadt werden Kirchenwände mit Psalmen besprüht und ein Unbekannter in Luzifermaske klagt in Internetbotschaften das Lotterleben einiger Pfarrer an. Die Lage verschärft sich, als, nach der Firmung von Sanktus Tochter Martina, Abt Philipp erschlagen in der Sakristei aufgefunden wird. Neben dem Toten entdeckt der Sanktus eine blutige Monstranz sowie seinen Freund Graffiti, der in der blutverschmierten Hand eine Karte mit dem Abbild Luzifers hält. Hat der Sanktus den Mörder bereits gefunden?

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Seitenzahl: 309

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Andreas Schröfl

Pfaffensud

Bier-Krimi

Zum Buch

Heiliger Sanktus „Ich müsst schnell zum Pieseln“, meint der Graffiti noch kurz bevor die Firmung von Sanktus Tochter Martina beginnt. Sanktus, der ihm kurze Zeit später folgt, überrascht seinen Freund in einem Handgemenge mit einem Geistlichen in den Waschräumen des Pfarrheims – der Abt, der die Firmung durchführt, wie sich später herausstellt. Nach der heiligen Messe wird Abt Philipp tot in der Sakristei aufgefunden, neben ihm eine blutige Monstranz sowie der Graffiti, der in der blutverschmierten Hand eine Karte mit dem Abbild Luzifers hält. Ist der Graffiti, bekennender Atheist, der Mörder, oder ist das ein weiteres Werk des Unbekannten mit der Luzifermaske, der in Internetbotschaften die Verfehlungen von Geistlichen, die Missbrauchsdelikte und die stockenden Diskussionen um den Zölibat und die Liberalisierung der Kirche anprangert? Pfarrer Remigius Hintermeier und sein afrikanischer Kollege Joseph „Sepp“ Mbewu bitten den Sanktus bei der Aufklärung um Hilfe. Für den Sanktus ist der Fall die Chance von daheim Reißaus zu nehmen. Seine Frau Kathi hat nämlich Besuch aus Dresden.

Andreas Schröfl, 1975 in München geboren und aufgewachsen, erlernte das Handwerk des Brauers und Mälzers in einer Münchner Großbrauerei. Anschließend studierte er an der Universität Weihenstephan und arbeitete fünf Jahre als Braumeister in einer bayerischen Brauerei. Andreas Schröfl lebt mit seiner Familie in einem Dorf am Rande der Hallertau. Die Sanktus-Bier- und München-Krimis vereinigen seine Liebe zum Beruf, die Verbundenheit mit München und der bayerischen Tradition sowie seine langjährige Leidenschaft für Kriminalromane.

Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

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Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

Telefon 0 75 75 / 20 95 - 0

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © ffphoto / stock.adobe.com

und © fotoduets / stock.adobe.com

ISBN 978-3-8392-6780-6

Zitat

Er, der HERR, dein Gott, wird diese Leute ausrotten vor dir, einzeln nacheinander …

(5. Mose 7,22)

Personenverzeichnis

Alfred Sanktjohanser, der »Sanktus«, Bierbrauer und Hobbydetektiv

*

Familie:

Kathi, seine Frau, Programmiererin, ruhender Gegenpol zu ihrem Mann

Martina, Kathis Tochter, schwierig, da in der Pubertät

Schorschi, Sanktus’ und Kathis Sohn, der einzig Vernünftige

Anna, Sanktus’ große Schwester und Mutterersatz

Jean-Pierre, »Hannes«, ihr Lebensgefährte, Autohändler, zünftig, trinkfreudig

Der alte Sanktjohanser, Sanktus’ Vater, Familienoberhaupt, oft anstrengend

*

Sanktus’ Freunde und Ermittler:

Quirin Himsl, der »Graffiti«, Sanktus’ Jugendfreund und zwielichtiger Geschäftsmann, sehr gutaussehend, Bazi

Schlauch-Gernot, Bierbrauer im Gärkeller, cholerisch

Malte Rosen, der »Piefke«, Biersieder im Sudhaus, Erbsenzähler

Giovanni, Hilfskraft im Lagerkeller, aufbrausend

Helmut Ehrensberger, Brauer im Flaschenkeller, ruhig, besonnen

Bhuphinder Singh, Inder, Wirt und Koch im Stammlokal ›Neue Kirche‹, katastrophaler Autofahrer

Ashwini, seine Nichte, Bedienung in der ›Neuen Kirche‹, trägt Sari, Schönheit

Hanspeter Häberle, Mitinhaber der ›Haidhauser Bierwerkel‹, Bierbrauer, gemütlicher Schwabe

*

Die Polizei:

Bine Schranner, junge Kommissarin, hat alles im Griff

Rudi Bergmann, amtierender Kommissar, Franke, alter Freund von Sanktus, Pfundskerl

Charlie Burgmaier, Polizist, Sanktus’ langjähriger Feind

Lenz Hofer, Polizist, Handlager des Burgmaiers

*

Pfarrer:

Pfarrer Remigius Hintermeier, Pfarrer Sankt Johann Baptist, Bekannter von Sanktus, fortschrittlich und dynamisch

Pater Joseph Mbewu, Pfarrer aus Südafrika, Freund Hintermeiers, zünftig

Abt Philipp, Engelbert Praetorius, Abt vom Berg

Pfarrer Maximilian Aust, Münchner Pfarrer

Pfarrer Edmund Siebler, Münchner Pfarrer

Rosina Muxeneder, Pfarrsekretärin

Gregor, Oberministrant Sankt Johann Baptist

*

Graffitis Handlanger

Murat, Nikos, Pröbstl, Binser, Skywalker, Gump, Ganswürger, Wast

*

Weitere

Birthe Dombrowski, Kathis Freundin aus Dresden, rotes Tuch für den Sanktus

Manu Schmiedinger, Graffitis große Jugendliebe

Lily Pfisterer, Bekannte aus Graffitis Jugendzeit

Sandy, doof

Prolog

Pfarrer Matthias Zechbauer wachte am späten Abend auf seiner Chaiselongue auf, und sein Schädel drohte zu zerplatzen. Er grunzte einen letzten lauten Schnarcher, bevor er die Augen öffnete und sich umsah. Sodbrennen, war sein einziger Gedanke.

Er wuchtete seinen adipösen Körper von der Liege hoch und schleppte sich torkelnd ins Bad seiner Pfarrwohnung. Keuchend öffnete er den Allibert, um eine Natrontablette aus einer Dose herauszupfriemeln. Mit seinen dicken Fingern war das gar nicht so einfach.

Er schluckte die Tablette gierig mit einem großen Schluck Wasser hinunter und schickte gleich noch zwei Kopfwehtabletten hinterher. Sofort wurde das Brennen gelindert, und ein satter Rülpser stieg aus der Speiseröhre hoch. Die Magensäure war neutralisiert, und er war wieder halbwegs hergestellt. Er bespritzte sein Gesicht kurz mit Wasser und fuhr mit den feuchten Händen durch seinen spärlichen Haarkranz. Haareschneiden war auch wieder einmal angesagt Aber für wen? Die alten Weiber in der ersten Reihe würden ihm auch so bei seinen unmotivierten Predigten zuhören.

Nun erst bemerkte er seinen furchtbaren Durst. Was würde er nun für eine Weißweinschorle geben? Haus und Hof? Ein Königreich? Seine Seele? Allein der Gedanke an das prickelnde kühle Nass mit dem säuerlichen Geschmack ließ ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen. Ein Fall für eine weitere Natrontablette.

Er öffnete den Kühlschrank, rülpste noch einmal, aber weit und breit kein Chardonnay, kein Veltliner noch sonst eine Rebsorte zu entdecken. Aber eines war klar: Ohne Gute-Nacht-Schluck würde er keinen Schlaf finden und sich ewig im Bett wälzen. Am nächsten Tag würde er total verkatert und zerstört aufwachen, und die Frühmesse würde eine Tortur für ihn darstellen. Solche neumodischen Sachen wie das Wiederaufleben einer Roratemesse, die gefühlt mitten in der Nacht stattfand, lehnte er aus diesem Grund völlig ab.

Missmutig schloss er den Kühlschrank und streifte seine Soutane über, die zwar über seinem Ranzen spannte, aber selbst zu solch einer späten Stunde hätte er sich nicht im Bademantel in die Sakristei getraut. Auch wenn er lediglich eine Flasche Messwein holen wollte.

In diesem Moment fiel ihm ein, dass er den Ministrantenstammtisch wieder einmal vergessen hatte. Also eher verschlafen, aber der anstrengende Tag eines Geistlichen mit Weißwurstfrühstück im Kreis seiner Kollegen und ein opulentes Mittagessen mit dem CSU-Ortsverband hinterließen Spuren. Dazu kamen Kaffee und Kuchen beim Tanztee im Pfarrsaal mit den älteren Damen. Anschließend ein paar Halbe im Bierstüberl gegenüber. Da kannst du einen Stammtisch schon mal versäumen.

Er zog seine Hose unter dem Pfarrersgewand hoch und merkte, dass der Gürtel trotz des neu hinzugefügten zusätzlichen Lochs schon wieder zu eng war. Missmutig schloss er ihn trotzdem. Ab morgen würde er eine Diät anfangen.

Er öffnete die Tür, die vom Pfarrheim zu Kirche führte, und wollte sich im spärlich beleuchteten Gotteshaus zur Sakristeitür schleichen, doch schon als er in den Altarraum trat, kam ihm etwas anders vor als sonst. Von rechts, aus dem hintersten Teil der Kirche, wo sich der Hochaltar befand, konnte er einen flackernden Lichtschein ausmachen und zischende Geräusche vernehmen.

Pfarrer Zechbauer schritt zögerlich aus der Tür und schwenkte in diese Richtung.

Vor dem Altar, der ganz an der hinteren Wand der Kirche erbaut war, war eine Leiter aufgestellt worden, die von einer schwarzen Gestalt gesichert wurde. Oben auf der Leiter stand eine weitere Gestalt, die dabei war, die weiße Wand über dem Altar mit Farbe zu besprühen.

Wehe denen, die sich früh am Morgen aufmachen, um Rauschtrank nachzujagen, die bis spät am Abend bleiben, dass der Wein sie erhitze! Zither und Harfe, Tamburin und Flöte und Wein gehören zu ihrem Gelage. Aber auf das Tun des HERRN schauen sie nicht, und das Werk seiner Hände sehen sie nicht, Jes 5,11-13 

war in roter Farbe in großen Lettern zu lesen.

Die Gestalt auf der Leiter drehte sich zu Zechbauer um. Es war das gehörnte Gesicht des Teufels, das ihn feindselig anblickte.

Pfarrer Zechbauer grunzte wieder, und ihm entkam ein leise gehauchtes »Zefix!«. In diesem Moment wurde er ohnmächtig.

FREITAG

1.

Es war soweit. Das langersehnte Fest war endlich da. Heute war Firmung! Die von der Martina, also von Sanktus’ Stieftochter. Eigentlich hat sich der Sanktus, obwohl er nicht der wirkliche Extremkatholik vor dem Herrn war, auf den Tag gefreut, doch jetzt ist er, gefühlt seit fast einer Stunde, auf dem engen Klo der Haidhauser Altbauwohnung gesessen und hat auf sein Handy gestarrt. Nicht, dass du meinst, eine schlechte Nachricht auf dem Display, nein, nur das Solitär-Kartenspiel. Kurz und gut, der Sanktus hat sich einfach nicht aus der Toilette hinausgetraut, weil draußen Chaos. Meinst du, kannst du ihm nachfühlen, da die Kathi und die Martina herumgefuhrwerkt haben wie zwei Berserkerinnen? Das natürlich auch, aber es war zusätzlich ein weiterer Krisenfaktor hinzugekommen: Birthe Dombrowski, eine alte Freundin von der Kathi, und jetzt halt dich fest, aus Dresden!

Das »Dadüdada« hätte der Sanktus ja auch noch vertragen, weil ja Dialektfan, aber diese Frau, wenn sie geredet hat, hat direkt gesungen, mit so einer hohen Stimme, und jetzt pass auf, die Zeit, in der sie am Tag den Mund einmal gehalten hat, war so ungefähr auf 20 Minuten begrenzt. So ist es dem Sanktus zumindest vorgekommen, denn dieses Weib hat den ganzen lieben langen Tag geschnattert, da wirst du verrückt. Dauerbeschallung kein Ausdruck. Und das Schlimme an der Sache, sie hat die Kathi mitgezogen, und die hat somit ungefähr zehnmal so viel geredet wie sonst. Normalerweise hat die Kathi nie kopflos drauflosgeplappert, sondern immer erst ihr Hirnkastl eingeschaltet. Das war die Eigenschaft, außer ihren wunderschönen Zehen und ihrem Humor natürlich, die der Sanktus an der Kathi so gemocht hat, aber dieser Schalter war anscheinend gerade auf »Off« gestellt und der Sanktus am Leiden.

Wie kannst du dir die Birthe jetzt vorstellen? Sie war blond, ihre Haare hat sie zu einem Knoten auf dem Kopf zusammengefasst gehabt, aber nicht hinten, sondern zentral oben, wie die kleine My von den Mumins, also Fernsteuerantenne Anfänger. Ihr Gesicht war, abgesehen von dem brutal überschminkten roten Mund, ganz hübsch, aber die Erscheinung! Nix für den Sanktus. Die Birthe hat circa 100 Kilo gewogen und hat in ihrer unpassenden Kleidung ausgesehen wie eine abgepresste Blutwurst. Wäre auch noch gegangen, aber ihre Füße für den Sanktus halt überhaupt nicht tragbar. Sie hat extrem hässliche Zehen gehabt, die sie, es war ja warm, da Juni, barfuß zu jeder Gelegenheit auf dem Sofa oder auf einem Stuhl in die Höhe gereckt hat. Und immer »Dadüdada und Gänsefleisch«.

Der Sanktus, der die Birthe vorher nicht gekannt hat, war voller Tatendrang gewesen und hatte den Damen einen Schweinsbraten mit Blaukraut und Knödel gekocht, weil man muss ja jemand aus einem anderen Bundesland die bayerischen Schmankerl näherbringen, aber weit gefehlt, da Veganerin. Wie kannst du jetzt, wenn du nur Grünpampf frisst, so einen Ranzen in der Gegend umeinander schleppen, hat sich der Sanktus gefragt. Ist ihm dann auch plausibel erklärt worden, denn der Veganerwahn sei aus ihrem Abnehmwahn entstanden. Jo-Jo-Effekt-Vorbeugung hat es geheißen. Alkohol hat sie aber schon getrunken, und bei den Mengen an Wein, die sie weggepumpt hat, hätte sie auch eine halbe Sau in der Semmel essen können, Meinung vom Sanktus. Aber die war ja bei den Damen nicht gefragt. Ob das Etikett der Weinflasche mit veganem Kunstleim oder auf gar ketzerische Weise mit nichtveganem, auf Milcheiweiß basierendem Caseinleim draufgepickt war, war der Dame aber wurscht.

So hat sie halt das Blaukraut und die trockenen Kartoffelknödel mit zwei Flaschen Merlot runtergespült, und der Lärmpegel hat proportional zur Rotweinabnahme zugenommen.

»Ünd do Zwinger und die Semperöper und da müsstet ihr ünbedingt mol kömm. Und weste noch früher?«, und so weiter.

Und dann haben die Damen in Erinnerungen geschwelgt, wie toll es damals war, als die Kathi sie mal in Dresden besucht hat, und wie viel Männer die Birthe seinerzeit abgekriegt hat und so weiter. »Gloobste nüsch, nö?«

Und wenn der Sanktus die Birthe angeschaut hat, hat er das auch nicht geglaubt. Aber mei, weiß man’s? Steckst du nicht drin.

Die Martina hatte den Ausführungen am Anfang noch interessiert gelauscht, weil Weibergespräch, hatte aber dann auch schnell eine Müdigkeit vorgetäuscht und war ins Bett gegangen. Der Schorschi, Sanktus’ Sohn, und er selbst waren auch, nach Verstreichen eines unauffälligen Zeitraums, gefolgt. Die Frauen hatten noch bis 1 Uhr weitergemacht, und da das »Dadüdada« inzwischen recht laut gewesen war, war für den Sanktus an Schlaf nicht zu denken gewesen.

Wenn du jetzt meinst, das kannst du deiner Frau zuliebe mal aushalten, liegst du falsch, weil die Birthe war nicht nur zwei Nächte, sondern jetzt schon eine geschlagene Woche bei ihnen in München und der Sanktus kurz vor dem Durchdrehen. Baldiger Amoklauf relativ wahrscheinlich!

Der Sanktus hat gerade auf »Neues Spiel« drücken wollen, da hat es an der Klotür geklopft.

»Sanktüs, gännstefleisch ma fertschwerden? Ich müsste ooch mal«, hat die Birthe gesungen.

»Na bravo«, seitens Sanktus, und er hat gezwungenermaßen gespült. Klopapier hat er keins gebraucht, da er ja schon seit einer halben Stunde fertig war. Alibimäßig hat er noch etwas Lavendelduft versprüht, hat das kleine Fenster geöffnet und »Sofort!« gerufen. Hat sie doch noch ein bisserl zusammenzwicken sollen, die dumme Gans.

Nach circa drei Minuten hat der Sanktus die Tür geöffnet, und die Birthe ist mit 180 Sachen in die Toilette hineingestürmt. Nachdem der Sanktus eigentlich fluchtartig hinaus hat wollen, weil ja nicht länger als notwendig in einem Raum mit diesem Weibsstück, haben sich die beiden fast im Türrahmen verkeilt. Dabei ist dem Sanktus aufgefallen, dass die Birthe nur in Unterwäsche, aber mit Seidenstrumpfhose bekleidet war. Ein Bild zum Scheiße-Schreien. Anscheinend hatte sie ihr Bedürfnis beim Anziehen verspürt und war losgesprintet.

Der Sanktus hat jede ihrer Fettrollen an seinem Körper spüren können, und das rote Fischmaul war direkt vor seinem Mund. Jetzt wenn sie schnappt, also ihr Fischmaul direkt ins Gesicht drückt, sterb ich, hat er gedacht, aber die Birthe hat nur den Kopf geschüttelt und sich weiter an ihm vorbeigedrängelt.

»Endlüsch«, hat sie mit einem erzürnten Blick nur gezischt, ihn aus dem Klo geschoben, die Tür zugeschlagen und abgesperrt.

Die Kathi, die gerade, auch nur mit Unterwäsche bekleidet, am Sanktus vorbeigegangen ist, hat ihn angeschaut und verwundert gefragt, ob er einem Geist begegnet wäre, so blass, wie er aussehe.

»Fast, Kathi. Fast. Aber geht gleich wieder.«

»Zieh dich auch an«, hat die Kathi genörgelt. »Um 9 Uhr geht die Kirch los!«

»9 Uhr schon? Die spinnen ja!«, hat der Sanktus gerufen.

Seit wann ist denn so früh ein Gottesdienst? Echt jetzt, oder? Meinung vom Sanktus.

»Und hoffentlich ist da heut nix, weißt schon, wegen dem Wahnsinnigen mit den Psalmen«, hat die Kathi noch aus dem Schlafzimmer gerufen.

2.

Vor der Kirche auf dem Johannisplatz praktisch Auflauf aller Angehörigen und allem, was Füße hat, kannst du dir vorstellen. Jeder Einzelne aufgebrezelt bis zum Dorthinaus. Auf einer Firmung auf dem Land siehst du schöne Trachten, und die Kinder sind auch traditionell angezogen, aber hier in der Landeshauptstadt hast du meinen können, die Queen von England kommt mit ihrem Hofstaat gleich um die Ecke. Manche Mütter oder vielleicht auch Tanten haben Hüte aufgehabt, dass sie auch in Ascot beim Pferderennen durchgegangen wären. Affig kein Ausdruck.

Die Kathi hat sofort die Verwandtschaft gesehen, also Sanktus’ Schwester, die Anna, samt ihrem Lebensgefährten, dem Hannes, und dem alten Sanktjohanser, Sanktus’ Vater. Alle Gott sei Dank dem Anlass entsprechend, aber normal gekleidet. Die Kathi selbst hat keine Verwandtschaft gehabt. Ihr Vater hatte vor Jahren Selbstmord verübt, und ihre Mutter war ihm kurz darauf gefolgt.

Nachdem sich alle begrüßt hatten, ist die Martina, die ein elegantes hellblaues Cocktailkleid angehabt hat, mit ihrer Firmpatin, der Anna, ebenfalls schick im Kleid, in Richtung Altarraum verschwunden, wo sich die Firmlinge und Paten vor der Messe mit dem Pfarrer noch einmal kurz getroffen haben.

Der alte Sanktjohanser hat seinen Sohn zu sich hergezogen.

»Wos is na des?«, hat er gefragt und auf die Birthe gezeigt.

Die Birthe war in einem engen, zitronengelben knielangen Kleid unterwegs. Ein gleichfarbiger Hut hat schief ihren Schädel geziert, und der Schopf war heute einmal hinten am Kopf, sonst hätte der Hut wahrscheinlich nicht auf ihren Kohlrabi gepasst. Der einzige farbige Kontrast war das unvermeidlich rot angeschmierte Fischmaul. Gott sei Dank hat sie geschlossene Schuhe angehabt, und der Zehennagel-Farbklecks ist dem Sanktus erspart geblieben.

»Ein Zitronenfalter«, hat der Sanktus geantwortet.

»San die ned a bisserl zierlicher«, hat der alte Sanktjohanser gefragt und mit beiden Händen ein kleines Wesen angedeutet. »Ist sie das?«

»Ja, das ist die Birthe Dombrowski, gebürtig in Dresden, Eltern aus Ostberlin.«

»Um Gottes willen!«, war alles, was der alte Sanktjohanser noch rausgebracht hat, bevor der Graffiti, Sanktus’ langjähriger Spezl, von hinten auf sie zugekommen ist.

Der Graffiti wie immer model-like. Ein Meter 90, dunkle Haare, dunkler Anzug und schwarzes Hemd. Durch den Anzug hast du seine durchtrainierte Figur erahnen können. Im Schlepptau hat er eine junge, gutaussehende blonde Dame gehabt.

»Servus, Sanktus«, hat er gerufen. »Bin ich z’ spät?«

»Naa, passt scho, Graffiti. Grad recht.«

Beide haben sich die Hände geschüttelt, aber nicht normal, sondern so auf cool, wo du die Daumen umgreifst und dann ein bisserl hin und her rüttelst. Der Sanktus hat der Begleitung auch seine Hand gegeben, und der alte Sanktjohanser hat es ihm mit verzücktem Blick gleichgetan.

»Sanktjohanser. Sehr angenehm«, hat er gemeint, und die Begleitung hat gestrahlt.

»Ich bin die Sa-andy.«

»Ja genau. Das ist die Sandy«, hat der Graffiti gesagt. »Sie ist die Tochter von einem meiner Geschäftspartner. Der ist mit dem Binser und dem Murat unterwegs, und die Sandy wär sonst ganz allein gewesen.«

»Und so ’ne Firmung wollt ich ja schon lange mal see-hen«, hat die Sandy fast kindlich gelallt.

Graffiti jetzt beschämter Blick zum Sanktus und der Schulterzucken.

»Ja dann«, hat der Sanktus gestammelt und in die Hände geklatscht. »Dann bist ja heut bei uns genau richtig, Sandy. Sehr schön. Sehr schön. Papa, magst du der Sandy mal kurz die Gegend zeigen? Ich hätt was mit dem Graffiti zu bereden.«

Dem Sanktus war nämlich gerade eine rettende Idee gekommen.

»Graffiti, ich muss raus von daheim«, hat er angefangen.

»Sanktus, du wirst doch ned …«, hat der Graffiti fast geschrien.

»Pst! Sei stad. Nein, nein. Natürlich ned. Aber wir haben seit einer Woche Besuch.«

»Besuch?«

»Ja, ich sag nur Zitronenfalter. Mehr sog i ned«, hat der Sanktus geflüstert und in Richtung Birthe gedeutet, die gerade den Hannes belabert hat.

Der Hannes, mit süßsaurem Lächeln, hat ganz Gentleman immer wieder ihre Hand von seinem Oberarm entfernt. Aber lange würde er es nicht mehr aushalten. Das hat ihm der Sanktus angesehen.

»Jessas, Maria und Josef. Was ist denn das?«

»Das ist einfach nur grausam und brutal, Graffiti. Ich halt des nimmer aus. Ich sag’s dir. Ganz ehrlich!«

»Und die Kinder?«

»Jetzt sind dann Ferien. Die Martina fährt mit der Anna in den Urlaub, hat sie zur Firmung gekriegt, und der Schorschi ist mit meinem Papa unterwegs.«

»Und der Zitronenfalter?«, hat der Graffiti wissen wollen.

»Hat noch nicht angedeutet, wann er wieder heimfliegen will.«

Der Graffiti hat ein verständnisvolles Gesicht gemacht.

»Ich trau mich ja gar ned fragen«, hat der Sanktus fast gewinselt. »Am End sagt die, sie bleibt noch drei Wochen.«

»Nicht auszudenken«, hat der Graffiti gemurmelt. »Das kriegen wir schon irgendwie hin. Apropos fürchten, was sagst denn zu dem neuen Psalm-Fall?«

»Find ich cool«, hat der Sanktus gesagt. »Warum? Is scho wieder was passiert?«

3.

Seit einigen Wochen war die religiöse Welt Münchens im Aufruhr. Ein mit einer Luzifermaske vermummter Unbekannter rief im Internet zum kritischeren Umgang mit katholischen Priestern auf, die seiner Meinung nach Schande über ihr Amt brachten. Er prangerte sexuelle Übergriffe, Habgier, Amtsmissbrauch und Gotteslästerung an. In einigen Münchner Kirchen wurden Altäre und Kirchenwände mit Psalmen besprüht, die diese Sünden kritisierten. Auch der Punkt Entschädigung von Missbrauchsopfern wurde thematisiert, was die Debatte um die Schandtaten einiger katholischer Priester wieder aufleben ließ. 2018 wurde von den deutschen Bischöfen eine Studie veröffentlicht, die die Missbrauchsfälle im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz zwischen 1946 und 2014 dokumentierte. Die darauffolgenden Zahlungen aus einem eigens eingerichteten Entschädigungsfonds wurden jedoch als zu gering eingestuft. Das Paradoxon, dass hier für die schändlichen Verfehlungen der Geistlichen die Kirchensteuer zur Hilfe herangezogen werden könnte, die von braven, gläubigen Katholiken entrichtet wird, und trotzdem weiterhin neue Fälle bekannt wurden, bescherte dem Unbekannten Tausende von Klicks im World Wide Web. Als Grundübel identifizierte der provokant den heutzutage überholten Zölibat, der die Auswahl fähiger Menschen mit Lebenserfahrung seiner Meinung nach fast unmöglich machte. Somit sollten auch verheiratete Diakone zum Priester geweiht werden, wolle man mit der Zeit gehen und dem Rückgang der Zahl katholischer Geistlicher entgegenwirken. Auch die Einsetzung weiblicher Diakoninnen wurde von »Luzifer« propagiert. Die Weihe von Priesterinnen in der katholischen Kirche komischerweise jedoch nicht, was die Follower-Gemeinde verwirrte. In einem Video legte der Unbekannte dem katholischen Klerus nahe, sich auf die Amazonas-Synode im Herbst des Jahres zu besinnen und die katholische Kirche zurück zum wahren Glauben und dennoch in eine florierende Zukunft zu führen. Bis dahin werde mit weiteren Anregungen zu rechnen zu sein.

»Einen Kuttenbrunzer hat’s wieder getroffen«, hat der Graffiti gemeint.

Du musst wissen, dass der Graffiti ein Kirchenhasser war. Er war so unkatholisch, wie es nur gerade möglich war. Ob er ein heimlicher Atheist war, hat der Sanktus nicht gewusst, denn immer, wenn er in diese Richtung gefragt hat, ist ihm der Graffiti ausgewichen. Er hat dann jedes Mal etwas von einem einschneidenden Ereignis in seiner Vergangenheit gefaselt.

»Herr Himsl«, hat der Sanktus angefangen, »ich bin jetzt a ned der Katholik number one in the house, aber heut hamma Firmung. Also reiß dich bitte a bisserl z’samm.«

»Weng meiner«, hat der Graffiti zerknirscht zugestimmt. »Aber sei froh, dass ich heut überhaupt da bin. Ich bin seit über 20 Jahr in keiner Messe mehr g’wesen. Schau, das mach ich heut alles nur wegen dir und der Martina.«

»Passt! Rechne ich dir in alle Ewigkeit hoch an, aber sag, was war los?«

»Einen Pfarrer haben s’ wieder erwischt. Der Luzifer hat’s am Tag zuvor im Internet angeprangert. Psalm 73,12, Siehe, das sind die Gottlosen; die sind glücklich in der Welt und werden reich. Am nächsten Tag hat’s den Pfarrer Altenböck aus Sendling derbröselt. Zuerst hat er eine Karte mit einem Luziferbild erhalten, und dann sind Beweise aufgetaucht, dass er sich bei den Spendenaktionen immer selbst was zukommen lassen hat. War jetzt ned viel, aber trotzdem. Er wollt’s für die Orgelreparatur zurücklegen, sagt er. Na, ja, wer’s glaubt, wird selig.«

»Sauber. Vatikanische Geheimpolizei, oder was?«, hat der Sanktus gefragt. »Das wenn der Bummerl noch erleben könnt. Da wär er voll in seinem Element. Herrschaft, da muss ich auch amal wieder ans Grab. War ich scho ewig nimmer. Aber heut reden wir ned von den Toten. Heut is Firmung.«

»Ich müsst schnell zum Pieseln«, hat der Graffiti auf einmal gemeint. »Wo kann ich denn da hin?«

»Geh rüber ins Pfarrheim. Da gibt’s ein Klo!«

Und weg war der Graffiti.

Idee gar nicht so dumm, hat sich der Sanktus gedacht, weil sicher ist sicher, und es schaut schon recht blöd aus, wenn du während der Firmung deiner Tochter raus auf die Toilette musst. An allen Leuten in der Bank vorbei und dann diese vorwurfsvollen Blicke. Kann man doch vorher erledigen, solch eine Pennäler-Blase. Typisch, wieder der. Wahrscheinlich zu viel Weißbier zum Frühschoppen getrunken und so weiter. Also dem Graffiti hinterher ins Pfarrheim.

4.

Als der Sanktus gerade die Klinke zur Toilettentür hat herunterdrücken wollen, hat er Geschrei von innen hören können. Es hat auch etwas gerumst, also alle Anzeichen für ein Gerangel oder Kampf. Er hat kurz nachgedacht, dann aber sofort hinein, weil vielleicht muss er ja dem Graffiti aus irgendeiner Patsche helfen.

So hat er also die Tür aufgerissen und sofort zwei Gestalten ausmachen können. Den Graffiti und einen Herrn in schwarzer Soutane, über der ein goldenes Kreuz an einer Halskette gehangen ist. Der Geistliche, etwas derangiert, hat gerade seine Brille wieder aufgesetzt, aber es war erkennbar, dass das filigrane Metallgestell etwas Schaden genommen hat. Wie das passiert ist, hat sich der Sanktus gar nicht vorstellen wollen.

Er hat dem Geweihten ins Gesicht gesehen. Dort war extreme Erleichterung zu erkennen, da die Farbe von tiefrot wieder in normale Gefilde gewandert ist. Tiefes Durchschnaufen seitens Pfarrer. Dann hat sich dieser die Soutane wieder zurechtgerückt und den Blick vom Graffiti zum Sanktus schweifen lassen.

Den Graffiti hat der Sanktus ja jetzt schon lange Jahre gekannt, und dessen Gesichtsausdruck nach war er gerade bei etwas äußerst Unangenehmem ertappt worden. Der Sanktus hat Angst, Wut und Hass gesehen und ist sich vorgekommen wie ein Jedi-Ritter, der die innersten Gefühle und Gedanken anderer Leute durch die »Macht« spüren kann.

Furcht führt zu Wut, Wut führt zu Hass. Hass führt zu unsäglichem Leid, hat er sich Meister-Yoda-like gedacht. Rausgebracht hat er aber nur: »Ois klar bei euch? Passt ois?«

»Freillä«, hat der Graffiti gestottert, und der Geistliche hat nur genickt und sich am Sanktus vorbei in Richtung Ausgang gedrängt. Im Vorbeigehen hat der Sanktus gemeint, dass er leise »Verwechslung« gehaucht hat.

Wie der Sanktus in den Gang vor der Toilette hinausgelugt hat, hat er eine etwa 60-jährige große Dame, die ihn an die Elisabeth Flickenschild aus den Edgar-Wallace-Krimis erinnert hat, ausmachen können. Sie musste die ganze Szene beobachtet haben, da die Klotür, die der Sanktus zuvor mit aller Wucht aufgerissen hatte, hängengeblieben ist, und somit freie Sicht auf die Szene gegeben war.

»Alles in Ordnung, Frau …?«, hat der Sanktus gefragt, da die Dame einen etwas blassen Teint und verwirrten Ausdruck gehabt hat.

»Muxeneder, Rosina Muxeneder. Ich bin die Pfarrsekretärin hier«, hat sie gestottert.

Jetzt hat der Sanktus die Dame angeschaut. Ja, Pfarrsekretärin hat gepasst. Wahrscheinlich hatte sie eigentlich Nonne werden wollen, so war ihr Auftreten. Sie war ganz dunkel gekleidet. Schwarzer Rock, schwarze Strümpfe, dunkelgraue Bluse. Der einzige Farbtupfer war eine goldene Kette mit einem Kreuz um ihren Hals.

Fast wie bei dem Pfarrer grad, hat sich der Sanktus gedacht.

Er und der Graffiti haben die Frau angesehen und sie die beiden. Immer wieder hat sie in Richtung Ausgang gelugt, durch den der Geistliche gerade verschwunden war. Sie hat auf die Tür gedeutet, und der Sanktus hat den Eindruck gehabt, als ob sie etwas sagen hat wollen. Dann hat sie wieder den Graffiti angesehen, und der Blick, den sie nun aufgehabt hat, war den Bruchteil einer Sekunde eisig. Nein, eisigst! So, als würde sie den Graffiti einfrieren wollen.

Logisch, Gedanke vom Sanktus, weil Pfarrsekretärinnen haben es halt gar nicht gern, wenn man Pfarrern in ihren Toiletten an die Gurgel geht. Kurz darauf hat sich die Dame aber schon wieder ein Lächeln abgerungen.

»Ich glaub, es ist besser, Sie gehen jetzt«, hat sie gemeint.

»Ja, genau. Pack ma’s«, der Sanktus.

Murmeln seitens Graffiti.

»Was war denn das?«, hat der Sanktus beim Hinübergehen, eigentlich eher Hinüberhasten, zur Kirche wissen wollen.

»Nix.«

»Wie? Nix? Du hast doch den am Krawattl g’habt. Erzähl mir doch keinen Schmarren, Graffiti«, hat der Sanktus gekontert.

»Halt die Pappn jetzt. Verwechslung. Hat er doch g’sagt«, hat der Graffiti geschimpft. »Jetzt ist Firmung, und a Ruh is!«

Der Sanktus hat gewusst, dass er in diesem Moment nicht mehr weiterkommen würde, und war somit wirklich still.

Auf dem Kirchplatz ist ihm die Kathi schon entgegengekommen.

»Wo bist denn schon wieder, zefix?«, hat sie gerufen. »Herrschaft, es geht gleich los.«

»Frau Sanktjohanser«, hat der Sanktus mit mahnender Stimme und erhobenem Zeigefinger deklamiert, »auf dem Platze der Kirche darfst du doch nicht fluchen. Schäme dich, Weib! Wir hatten ein Bedürfnis, dem nachgegangen werden musste.«

»Hä?«

»Beim Pieseln waren wir halt, der Graffiti und ich.«

»Ja, is scho recht. Jetzt komm. Alle sitzen schon drin.«

5.

Und jetzt ist dem Sanktus genau das passiert, was er eigentlich mit dem Gang zur Toilette vermeiden hat wollen. Die Leute haben in der Kirchenbank wegen ihm aufstehen müssen, und natürlich Kopfschütteln und abfälliges Gemurmel. Der Kathi war das furchtbar peinlich, nur dem Graffiti war das egal. Er ist einer Übermutter, die sich am lautesten beschwert hat, dass man ja auch pünktlich zum Gottesdienst in die Bank kommen könnte, einfach auf ihre weißen Lackschuhe getreten, ist da drauf kurz verweilt, hat sich freundlich entschuldigt, noch einmal das Gewicht verlagert, damit die Zehen wirklich blau werden würden, und hat sich mit einem Lächeln zum freien Platz neben der Sandy weiter durchgearbeitet. Kommentare der Übermutter gar nicht so christlich.

Direkt, nachdem der Graffiti gesessen war, hat die Glocke geläutet, die Gemeinde hat sich erhoben, die Ministranten und der Pfarrer Hintermeier, ein mittelgroßer, etwas korpulenter Herr mit Bart und Brille, sind in den Altarraum geschritten, aber dann hat den Sanktus fast der Schlag getroffen, denn die Kathi hatte weit vorn einen Platz ergattert, und somit hat er eine gute Sicht gehabt. Der zweite Geistliche mit der Bischofsmütze, der Abt vom Berg, der die Firmung durchgeführt hat, ist nun aus der Sakristei gekommen, und er war niemand anderes als der Mann, den der Graffiti grad vorher auf dem Pfarrheimklo am Schlawittl gehabt hat.

Der Sanktus hat zum Graffiti geschaut, und der hat ein diabolisches Lächeln auf den Lippen gehabt. Gar nicht gut. Nein. Gar nicht gut, Meinung vom Sanktus. Gefährlich, aber hat ja jetzt gerade nichts passieren können. Wenn der Sanktus gewusst hätte, wie falsch er mit dieser Schlussfolgerung gelegen ist, hätte er sich nicht so entspannt in die Kirchenbank gefläzt und durchgeschnauft.

Der Pfarrer Hintermeier hat die Messe in seiner umgänglichen, niederbayerischen sympathischen Art perfekt gestaltet und der Sanktus war froh, dass die Zeit wie im Flug vergangen ist.

Als die Firmlinge mit ihren Paten vorgetreten sind, hast du ein Blitzlichtgewitter gesehen, dass du meinst, du bist bei den Filmfestspielen in Cannes oder bei der Oscar-Verleihung in Los Angeles. Tausende von selbsternannten Hoffotografen haben sich aus den Bänken geschält, um den besten Blick auf ihre pubertierenden Schratzen zu erhalten und den Schnappschuss ihres Lebens zu machen.

Der Pfarrer Hintermeier hat die umtriebige Fotografenmenge mit einem Grinsen im Gesicht aufgefordert, sich wieder zu setzen, da er sonst nicht weitermache, und die Kirche dann wohl so lange dauern würde, dass die Weißwürste definitiv das Zwölf-Uhr-Läuten hören würden oder es sie gar zerreißt. Ein Affront im katholischen Bayern, und so hat sich die Menge wieder zurück in die Bank gepresst. Völkerwanderung Scheißdreck dagegen.

Der Sanktus hat von hinten auf seine Martina geschaut und war stolzer Vater, obwohl sie nicht seine leibliche Tochter war. Aber sie hatte seine Prägung, sprich, sie war halt doch irgendwie eine Sanktjohanser, auch wenn die Pubertät alles versucht hat, um die humorige bayerische Gelassenheit aus ihr zu vertreiben. Ja, sie hat sogar angefangen, daheim Hochdeutsch zu reden, also nach der Schreibe, was den Sanktus wirklich fertiggemacht hat. Aber zwischendrin, also zwischen Telefon und Smartphonewischen, war sie dann wieder ganz die Alte, und der Sanktus hat erneut Hoffnung geschöpft. Sie war halt sein kleines Mäderl und würde es für immer bleiben.

Der Schorschi, der neben ihm gesessen ist, hat ganz leise gefragt: »Wann ist des endlich aus? Ich hab Hunger!«

Der Sanktus hat ihm über den Kopf gestreichelt und gemeint, dass es wohl noch 20 Minuten dauern würde.

»Bei dir dauert immer alles 20 Minuten«, hat der Bub gemeint. »Und dann dauert’s ewig.«

Der Sanktus hat schmunzeln müssen. Wie so oft hatte ihn sein Sohn wieder einmal entlarvt. Die Kathi, die den Dialog mitbekommen hatte, hat gelächelt und dem Schorschi die Hand gedrückt.

Als Firmling und Patin an der Reihe waren, hat die Anna der Martina von hinten die Hand auf die Schulter gelegt, und der Abt hat dem Mädchen ein Kreuzzeichen mit Chrisam auf die Stirn gezeichnet. Dann hat er sich kurz mit der Martina unterhalten, und die nächsten waren an der Reihe. Eigentlich ein sympathischer Mensch, hat sich der Sanktus gedacht. Was hat der Graffiti wohl gegen ihn gehabt? Oder doch eine Verwechslung? O mei! Das würde wieder ein Gewürge werden, bis er das aus seinem alten Spezl herausbekommen würde.

6.

Nachdem der Gottesdienst vorbei war, haben sich alle Beteiligten auf dem Vorplatz der Kirche versammelt, wo bereits weiße Stehtische aufgestellt waren. Nun konnte sich jeder stärken, denn es gab Sekt, Bier, alkoholfreie Getränke sowie Canapés.

Der Schorschi ist schnurstracks zur Bar gerannt und mit einer Orangenlimonade zurückgekommen.

»Der ist viel zu brav«, hat der Sanktus gemeint. »Der kommt dir nach, Kathi. Ich hätt auf jeden Fall ein Cola dahergebracht.«

»Oder gleich eine Halbe Bier«, hat die Kathi schmunzelnd gemeint. »Aber hast recht. Ein braver Bub ist er, Gott sei Dank.«

Die Martina ist gerade mit der Anna zu der Gruppe hergekommen, beide Damen waren mit einem Glas Sekt mit Orangensaft bewaffnet, da war auch schon die Birthe wieder auf dem Tableau. Gott sei Dank hatte sie in der Sandy ein williges Opfer gefunden, das sich nicht getraut hat, ihr einen Korb zu geben oder einfach abzuhauen, und die Birthe hat gnadenlos in sie hineinblubbern können. Dem Sanktus war es recht, da der Graffiti eh noch nicht aus der Kirche herausgekommen war. Komisch, denn der Sanktus hat sich nicht vorstellen können, dass sein Freund länger als nötig in einem Gotteshaus verweilt. Aber sei’s drum, die Sandy und die Birthe waren aufgeräumt, die Mädels haben geratscht und der Hannes war mit dem alten Sanktjohanser völlig unterhopft zu dem Tisch, wo es das Bier gegeben hat, durchgestartet. Natürlich haben sie dem Sanktus und dem Graffiti auch ein Bier mitgebracht. Doch der Spezl war immer noch nicht da.

Auf einmal ist der Pfarrer Hintermeier bei den Herren gestanden und hat mit ihnen angestoßen. Wie immer war er in eine schwarze Soutane gekleidet. Anders hast du ihn nirgends antreffen können. Selbst wenn er mit seinem Mountainbike durch München geradelt ist, hat er dieses Gewand angehabt. Wie er es geschafft hat, mit dem Stoff nicht in der Kette des Radls hängenzubleiben, war dem Sanktus ein Rätsel.

»Prost. Kennen mia zwoa uns?«, hat er den Sanktus gefragt. »Sie komma mir so bekannt vor. Aber ich weiß jetzt ned, wo ich sie hintun muss.«

Der Sanktus, personengedächtnismäßig seit eh und je schlecht, hat den Kopf geschüttelt.

»Ich auch ned, aber bekannt schon, äh, ja, ja …«, hat er geflunkert.

»Wurscht. Komma schon no drauf, aber hobts es den Abt g’sehn? Der geht ma no ab. I hob ja drin versprochen, dass na alle jetzt Fotos mit eahm machen können. Wo is na der? Der wollt sich eigentlich nur noch in Ruhe umziehn. I schau amoi«, hat er gemeint und sich zum Gehen umgedreht.

»Moment, Herr Pfarrer«, hat der Sanktus gemeint. »Ich geh mit. Mir geht nämlich mein Spezl, der Himsl Quirin, noch ab.«

»Na pack ma’s! Auf geht’s«, hat der Hintermeier gemeint, und die beiden sind in Richtung Kirche und durch das große Portal wieder in den mächtigen Backsteinbau hinein.

Sie sind durch die langen dunklen Bankreihen mittig durch das Kirchenschiff in Richtung Altar geeilt. Dem Sanktus war bereits klar, dass irgendetwas nicht stimmen hat können, denn, wenn der Graffiti jemanden am Vormittag eine aufstreichen will und zwei Stunden später gehen diese Person und der Graffiti ab, dann kannst du eins und eins zusammenzählen. So schaut’s aus! Nicht, dass der Graffiti aggressiv wäre oder ein großer Schläger, brauchst du nicht glauben. Außerdem hat es lange gedauert, bis man den Graffiti so gereizt hat, dass er ausfallend wird. Handgreiflich eigentlich nie, also privat. Geschäftlich hätte der Sanktus jedoch keineswegs seine Hand für ihn ins Feuer gelegt, denn was die Firma Himsl In- und Export so getrieben hat, ist ihm Gott sei Dank völlig verborgen geblieben. Ob die Geschäfte alle ganz legal gelaufen sind, hat er bezweifelt. Eigentlich war es dem Sanktus ganz recht, dass er nie etwas mitbekommen hat und seine Freundschaft zum Graffiti ausschließlich privater Natur war. Geschäftliche Querelen haben stets seine zwielichtigen Angestellten, der Murat, der Nikos, der Binser oder der Pröbstl, geregelt.

Vor ihm hat der Pfarrer Hintermeier gewinkt, und dem Sanktus ist aufgefallen, dass ihnen eine Gestalt zwischen den Bankreihen entgegengekommen ist. Dabei hat es sich um die große Dame aus dem Pfarrheim gehandelt, die Pfarrsekretärin Muxeneder.

»Muxi«, hat der Hintermeier gerufen, »hast du den Abt g’sehn?«

»Naa, Herr Pfarrer. Der ist noch ned aus der Sakristei rausgekommen. Ich hab mir jetzt natürlich nicht hineinschauen trauen, weil ich als Frau und ein geweihter Herr … Naa, müsst ich mich ja der Sünden fürchten.«

Die Muxeneder hat sich sofort bekreuzigt.

»Muxi, so wild wär’s jetzt auch ned. Aber hast recht. Wissen S’«, hat er sich an den Sanktus gewandt, »unser Mesner ist krank, und die Muxi, also die Frau Muxeneder, hilft grad a weng aus.«

Nun sind sie eiligen Schrittes zum Eingang der Sakristei gelaufen, der sich auf Höhe des Altars befunden hat. Der Hintermeier hat an die Tür geklopft.

»Bertl«, hat er gerufen, »Bertl, bist du da drin? Engelbert. Mach auf!«

Dann hat er an der Tür gerüttelt. Sie war verschlossen.

Er hat sich zur Aushilfsmesnerin hingedreht.

»Also, Muxi, sperr auf!«

»Meinen S’, ich sollt, Herr Pfarrer? Ned, dass der ehrwürdige Herr Abt vielleicht noch ned ganz angezogen ist«, hat die Ersatzmesnerin gestammelt.

Der Hintermeier hat der Muxeneder den Schlüssel aus der Hand genommen und die Tür zur Sakristei aufgesperrt und geöffnet. Drinnen ist auf einem Teppich in einer Blutlache der Abt vom Berg gelegen. Sein Kopf hat eine klaffende Wunde aufgewiesen, und es war klar, dass er erschlagen worden war. Das Mordwerkzeug war offensichtlich. Es hat sich dabei um die Monstranz vom Altar gehandelt. Sie war blutverschmiert zu Füßen des Abts hingestellt worden.

Neben dem Toten ist ein blasser Graffiti gekniet. In der Hand hat er eine Karte mit einem Luzifer-Bild gehabt. Seine Finger waren blutverschmiert.

Die Muxeneder hat einen gellenden Schrei ausgestoßen und geschrien: »Das ist er! Das ist der Mann, der den ehrwürdigen Abt heute schon auf der Toilette angegriffen hat. Polizei! Polizei!«