»House of Night« Paket 2 (Band 4-6) - P.C. Cast - E-Book

»House of Night« Paket 2 (Band 4-6) E-Book

P.C. Cast

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Beschreibung

WENN DAS ENDE NAHT – ZUM GROSSEN FINALE DER HOUSE OF NIGHT-SERIE Mehr als acht Millionen Fans weltweit Lesen Sie Band 4, 5 und 6 dieser weltweit einzigartigen Serie zum Preis von € 9,99. Ungezähmt: Der vierte Band der House of Night-Serie In nur einer Woche wenden sich Zoeys Freunde von ihr ab, und sie wird zur absoluten Außenseiterin. Ihr bleiben nur noch zwei wirkliche Freunde, allerdings ist die eine untot und der andere nicht mal Gezeichnet. Außerdem hat die Hohepriesterin Neferet den Menschen den Krieg erklärt, und Zoey weiß tief in ihrem Herzen, dass das falsch ist. Aber wird irgendjemand auf sie hören? Zoeys Abenteuer auf dem Vampyr-Internat nehmen eine gefährliche Wendung: Ihr Vertrauen wird auf eine harte Probe gestellt, schreckliche Pläne kommen ans Licht, und eine uralte, böse Macht erhebt sich. Gejagt: Der fünfte Band der House of Night-Serie Zoey ist wieder mit ihren Freunden vereint, aber eine dunkle Gefahr bedroht die neue Ruhe. Kalona, Neferets neuer Liebhaber, sieht umwerfend aus und hat das gesamte House of Night in seinen Bann gezogen. Und niemand scheint zu bemerken, welche Bedrohung von ihm ausgeht. Der Schlüssel, den es braucht, um seinen immer stärker werdenden Einfluss zu brechen, liegt in der Vergangenheit. Aber was, wenn diese Vergangenheit Geheimnisse offenbart, die Zoey nicht wissen will? Und was geschieht, wenn Wahrheiten ans Licht kommen, denen sie sich nicht stellen mag? Versucht: Der sechste Band der House of Night-Serie Nachdem Zoey und ihre Freunde Kalona und Neferet aus Tulsa vertrieben haben, hätten sie eigentlich eine Pause verdient. Aber ihnen allen ist keine Ruhe vergönnt. In den Tunneln unter Tulsa breitet eine mysteriöse und beängstigende Macht aus. Stevie Rae weiß davon, will aber mit ihren Freunden nicht darüber sprechen. Sie glaubt, das allein regeln zu können. Erst als es fast zu spät ist, weiht sie ihre beste Freundin Zoey in das Geheimnis ein. Werden die beiden die richtige Entscheidung treffen?

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Seitenzahl: 1547

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P.C. Cast | Kristin Cast

»House of Night« (Band 4-6)

Ungezähmt / Gejagt / Versucht

Roman

FISCHER E-Books

Inhalt

Ungezähmt[Widmung][Danksagung]EinsZweiDreiVierFünfSechsSiebenAchtNeunZehnElfZwölfDreizehnVierzehnFünfzehnSechzehnSiebzehnAchtzehnNeunzehnZwanzigEinundzwanzigZweiundzwanzigDreiundzwanzigVierundzwanzigFünfundzwanzigSechsundzwanzigSiebenundzwanzigAchtundzwanzigNeunundzwanzigDreißigEinunddreißigZweiunddreißigDreiunddreißigGejagt[Widmung][Danksagung]EinsZweiDreiVierFünfSechsSiebenAchtNeunZehnElfZwölfDreizehnVierzehnFünfzehnSechzehnSiebzehnAchtzehnNeunzehnZwanzigEinundzwanzigZweiundzwanzigDreiundzwanzigVierundzwanzigFünfundzwanzigSechsundzwanzigSiebenundzwanzigAchtundzwanzigNeunundzwanzigDreißigEinunddreißigZweiunddreißigDreiunddreißigSpäterVersuchtKristin und ich möchten [...]DanksagungEinsZoeyZweiStevie RaeDreiZoeyVierZoeyFünfZoeySechsZoeySiebenStevie RaeAchtStevie RaeNeunZoeyZehnZoeyElfZoeyZwölfZoeyDreizehnZoeyVierzehnZoeyFünfzehnAphroditeSechzehnStevie RaeSiebzehnStevie RaeAchtzehnZoeyNeunzehnZoeyZwanzigZoeyEinundzwanzigZoeyZweiundzwanzigZoeyDreiundzwanzigZoeyVierundzwanzigZoeyFünfundzwanzigRephaimSechsundzwanzigZoeySiebenundzwanzigZoeyAchtundzwanzigZoeyNeunundzwanzigZoeyDreißigZoeyEinunddreißigZoeyZweiunddreißigZoeyDreiunddreißigStevie RaeRephaimVierunddreißigZoeyFünfunddreißigStevie RaeSechsunddreißigZoeySiebenunddreißigStevie RaeAchtunddreißigZoeyNeununddreißigZoeyVierzigHeathStarkEpilogZoey

Ungezähmt

Dieser Band ist den Schülern und Ehemaligen der South Intermediate High School in Broken Arrow, Oklahoma, gewidmet. Danke für euren Enthusiasmus, euren Sinn für Humor und eure Unterstützung dieser Serie. Ein Hoch auf die SIHS!

Und auf die Damen von Tulsa Street Cats. Sie sind vielleicht keine Nonnen, aber als Katzenheilige gehen sie auf jeden Fall durch!

Danksagung

Wir möchten unserer wundervollen Agentin Meredith Bernstein danken, ohne die das House of Night niemals geboren worden wäre.

Ein riesengroßes WIR LIEBEN EUCH geht an unser phantastisches Team bei St. Martin’s Press: Jennifer Weis, Anne Marie Tallberg, Matthew Shear, Carly Wilkins, Brittney Kleinfelter, Katy Hershberger, Talia Ross und Michael Storrings. Es ist wunderschön, eine so tolle Zusammenarbeit mit euch zu haben.

Vielen Dank an alle Fans von House of Night – wir wissen euch zu schätzen!

Und vielen Dank an Tulsa Street Cats für ihre Unterstützung, ihren Sinn für Humor und die Hingabe, mit der sie sich den Katzen widmen. Mehr über die Organisation und über Spendenmöglichkeiten ist auf www.streetcatstulsa.org zu finden. Kristin und ich lieben Street Cats!

Eins

Irgendeine bescheuerte Krähe hielt mich mit ihrem karr, karr, karr die ganze Nacht wach. (Oder besser gesagt den ganzen Tag – ich bin ja ein Jungvampyr, da ist die Tag-und-Nacht-Geschichte genau umgekehrt.) Also, jedenfalls kriegte ich letzte Nacht/Tag null Schlaf. Wobei eine blöde schlaflose Nacht zurzeit eindeutig zu meinen kleineren Problemen gehört. Das Leben ist nämlich echt Mist, wenn all deine Freunde sauer auf dich sind. Ich sollte das wissen – ich heiße Zoey Redbird und bin derzeit unumstrittene Titelverteidigerin des großen Ich-mache-meine-Freunde-sauer-Pokals.

Persephone, die große Rotschimmelstute, die mir sozusagen gehören würde, solange ich im House of Night wohnte, wandte den Kopf und schnupperte an meinem Hals. Ich gab ihr einen Kuss auf das weiche Maul und striegelte weiter ihren glänzenden Hals. Mich um Persephone zu kümmern beruhigte mich immer und half mir nachzudenken. Und beides hatte ich momentan dringend nötig.

»Okay. Ich hab mich jetzt schon zwei Tage lang erfolgreich vor der großen Konfrontation gedrückt. Aber so kann das nicht weitergehen«, erklärte ich Persephone. »Ja, ich weiß, die sind jetzt in der Mensa beim Mittagessen und tun alle ganz dick miteinander und lassen mich total links liegen.«

Persephone schnaubte und machte sich wieder daran, ihr Heu zu kauen.

»Ja, ich finde, dass sie aber auch Idioten sind. Klar hab ich sie angelogen, aber eigentlich hab ich ihnen hauptsächlich Sachen verschwiegen. Und das war zu ihrem eigenen Besten.« Ich seufzte. Okay, dass Stevie Rae untot war, hatte ich ihnen wirklich zu ihrem eigenen Besten verschwiegen. Dass zwischen mir und Loren Blake – Meisterpoet der Vampyre und Lehrer an unserer Schule – was gelaufen war, na ja, das war eher zu meinem Besten gewesen. »Aber trotzdem.« Persephone drehte ein Ohr nach hinten, um mir zuzuhören. »Die sind total vorschnell in ihrem Urteil.«

Persephone schnaubte noch einmal. Ich seufzte wieder. Mist. Viel länger konnte ich es wirklich nicht mehr hinauszögern.

Ich tätschelte meiner süßen Stute noch ein letztes Mal den Hals, dann ging ich gemächlich in die Sattelkammer und legte die verschiedenen Striegel, Bürsten und Mähnenkämme zurück, mit denen ich sie jetzt eine Stunde lang bearbeitet hatte. Tief atmete ich die tröstliche Mischung aus Leder- und Pferdeduft ein, um meine Nerven zu beruhigen. Als ich im Glas der Fensterscheibe mein Spiegelbild erblickte, fuhr ich mir automatisch mit den Fingern durch mein langes dunkles Haar, damit es nicht ganz so zerknautscht aussah. Ich war erst vor etwas mehr als zwei Monaten Gezeichnet worden und ins House of Night gekommen, aber mein Haar war schon merklich länger und kräftiger geworden. Und dass ich supertolle Haare bekam, war nur eine der vielen Veränderungen, die mit mir vorgingen. Manche davon sah man mir von außen nicht an – wie die Tatsache, dass ich eine Affinität zu allen fünf Elementen hatte. Andere sprangen sofort ins Auge – wie die einzigartigen Tattoos, die in filigranen, fremdartigen Spiralen mein Gesicht umrahmten und sich dann (anders als bei jedem anderen Jungvampyr oder erwachsenen Vampyr) weiter über Hals und Schultern und das Rückgrat hinunterzogen – und nun auch, erst seit wenigen Tagen, um meine Taille herumliefen (ein kleines Detail, das außer mir, meiner Katze Nala und der Göttin Nyx bisher niemand kannte).

Wem hätte ich’s auch zeigen sollen?

»Tja, vorgestern warst du nicht nur mit einem, sondern gleich mit drei Typen zusammen«, erklärte ich dem Ich mit den dunklen Augen und dem zynisch verzogenen Mund, das mich aus der Fensterscheibe ansah. »Aber damit hast du gründlich aufgeräumt, was? Heute hast du nicht nur absolut gar keinen Freund mehr, sondern dir wird die nächsten, keine Ahnung, hundert Millionen Jahre lang auch keiner mehr vertrauen.« Na gut, außer Aphrodite, die vor zwei Tagen total ausgerastet und Hals über Kopf aus der Schule floh, weil sie womöglich wieder zurück in einen Menschen verwandelt worden war, und Stevie Rae, die besagter ausgerasteten Aphrodite hinterherjagte, weil sie womöglich an ihrer Wiedermenschwerdung schuld war, als sie sich in dem von mir beschworenen Kreis von einem fiesen untoten toten Ding in eine un-untote, aber seltsam rot tätowierte Stevie Rae zurückverwandelt hatte. »Wie auch immer«, sagte ich laut zu mir selbst, »du hast es geschafft, so ungefähr bei jedem, der irgendwie mit dir zu tun hat, was falsch zu machen. Tolle Leistung!«

Meine Unterlippe hatte angefangen zu zittern, und ich spürte, wie mir Tränen in die Augen stachen. Oh nein. Es würde überhaupt nichts bringen, wenn ich mir jetzt die Augen ausheulte. Ehrlich, hätte das irgendeine Wirkung, dann hätten meine Freunde und ich uns schon vor Tagen wieder vertragen und geküsst (also, nicht wirklich natürlich). Ich musste einfach auf sie zugehen und versuchen, die Dinge wieder ins Lot zu bringen.

Es war Ende Dezember, die Nacht war kühl und ein bisschen neblig. Die flackernden Gaslaternen entlang des Fußweges, der von den Ställen und Außenanlagen zum Hauptgebäude führte, hatten kleine gelbe Heiligenscheine und sahen altertümlich und wunderschön aus. Eigentlich war das ganze Schulgelände des House of Night einfach herrlich. Es wirkte viel eher so, als gehöre es zu einer König-Artus-Sage denn zum einundzwanzigsten Jahrhundert. Ich liebe es, hier zu sein, rief ich mir ins Gedächtnis. Das hier ist mein Zuhause, der Ort, an den ich gehöre. Ich muss mich nur mit meinen Freunden versöhnen, dann wird alles wieder gut.

Ich kaute gerade auf meiner Unterlippe und fragte mich, was wohl die beste Versöhnungstaktik wäre, als mein angestrengtes Nachdenken von so etwas wie Flügelschlägen unterbrochen wurde, die rings um mich die Luft erfüllten. Etwas an dem Geräusch ließ mir einen Schauder den Rücken hinunterlaufen. Ich sah nach oben. Da war nur Dunkelheit und Himmel und die winterkahlen Zweige der gewaltigen Eichen, die den Fußweg säumten. Ich erzitterte, weil die Nacht plötzlich nicht mehr weich und neblig wirkte, sondern finster und heimtückisch.

Halt mal – finster und heimtückisch? Was für ein Quatsch. Wahrscheinlich hatte ich gerade nur das finstere, heimtückische Rascheln des Windes in den Zweigen gehört. Himmel, ich verlor noch den Verstand.

Ich schüttelte den Kopf über mich selbst und ging weiter. Aber schon nach ein paar Schritten passierte es noch einmal. Das seltsame Flattern erzeugte sogar einen kleinen Wind, der mich umwehte und mir zehn Grad kälter vorkam als die übrige Luft. Mir kamen Bilder von Fledermäusen, Spinnen und ähnlichem ekligen Ungeziefer in den Kopf, und automatisch schlug ich mit der Hand wild über mir durch die Luft.

Meine Finger trafen auf keinen Widerstand, aber eisige Kälte jagte einen schneidenden Schmerz durch meine Hand. Völlig entgeistert schrie ich auf und barg die Hand schützend an der Brust. Einen Moment lang war ich einfach nur ratlos und wie betäubt vor Angst. Das Flattern wurde lauter und die Kälte größer. Da kam endlich Bewegung in mich. Ich zog den Kopf ein und tat das Einzige, was mir einfiel: Ich rannte durch den nächsten Eingang in die Schule hinein.

Drinnen knallte ich die dicke Holztür hinter mir zu, drehte mich nach Atem ringend um und spähte durch das kleine Bogenfensterchen in der Tür. Die Nacht schwamm und waberte vor meinen Augen, wie schwarze Farbe, die auf einer dunklen Fläche zerläuft. Und das eisige Gefühl der Angst wollte nicht weggehen. Was war da los? Fast ohne zu begreifen, was ich tat, flüsterte ich: »Feuer, komm zu mir. Ich brauche deine Wärme.«

Das Element gehorchte sofort. Die Luft um mich erfüllte sich mit der beruhigenden Hitze eines Kaminfeuers. Während ich weiter nach draußen starrte, legte ich die Handflächen auf das raue Holz der Tür. »Dorthin auch«, flüsterte ich. »Schick deine Hitze auch nach draußen.«

Wie eine Woge aus Hitze wanderte das Element an mir vorbei, durch die Tür hindurch und in die Nacht. Ein Zischen war zu hören, wie wenn Trockeneis verdampft. Dick und träge bäumten sich die Nebelschwaden auf, mich erfasste ein kurzer Schwindel, von dem mir ein bisschen übel wurde, und die seltsame Dunkelheit begann sich aufzulösen. Dann vertrieb die Hitze endlich die frostige Kälte, und so plötzlich, wie sie sich verändert hatte, war die Nacht wieder ruhig und vertraut.

Was war das gerade?

Jetzt bemerkte ich wieder das Stechen in meiner Hand. Ich betrachtete sie. Über den Handrücken zogen sich rote Striemen, so als habe etwas mit Krallen oder Klauen meine Haut aufgekratzt. Ich rieb die hochroten Wunden, die juckten wie eine Verbrennung vom Bügeleisen.

Und dann überkam mich ein Gefühl – heftig, jäh, überwältigend – und ich erkannte mit dem sechsten Sinn, der mir von der Göttin gegeben worden war, dass ich nicht allein hier sein sollte. Die Kälte, die einen Augenblick lang die Nacht heimgesucht hatte – das geisterhafte Etwas, das mir die Hand aufgekratzt hatte und vor dem ich nach drinnen geflohen war –, löste ein schreckliches Vorgefühl in mir aus, und zum ersten Mal seit langer Zeit empfand ich richtige Angst. Nicht um meine Freunde. Nicht um meine Grandma oder um meinen menschlichen Exfreund oder selbst um meine Mom, mit der ich mich ein für alle Mal verkracht hatte. Ich hatte Angst um mich selbst. Es war nicht mehr nur so, dass ich meine Freunde gern um mich gehabt hätte. Es war so, dass ich sie brauchte.

Während ich mir weiter die Hand rieb, setzte ich mich in Bewegung. Eines war mir jetzt klar: Lieber würde ich mich der Enttäuschung und Gekränktheit meiner Freunde stellen als dem Etwas, das draußen im nächtlichen Dunkel vielleicht noch auf mich wartete.

 

Eine Sekunde lang blieb ich dicht vor der Tür zum ›Speisesaal‹ (auch bekannt als Schulmensa) stehen, in dem Hochbetrieb herrschte, sah zu, wie die anderen Schüler sich ungezwungen und fröhlich unterhielten, und wurde fast von dem Wunsch überwältigt, so sein zu können wie all die anderen Jungvampyre – ohne außergewöhnliche Fähigkeiten und die Verantwortung, die damit einherging. Eine Sekunde lang wünschte ich mir so sehr, normal zu sein, dass ich kaum noch Luft bekam.

Dann spürte ich ein sanftes Lüftchen um mich spielen, warm wie von einem unsichtbaren Feuer. Flüchtig roch es nach dem Meer, obwohl Tulsa, Oklahoma, nun wirklich weit von jeder Küste entfernt lag. Ich hörte Vogelgezwitscher und erahnte den Duft von frisch gemähtem Gras. Und mein Geist erbebte vor stummer Freude über die mächtige Gabe, die meine Göttin mir geschenkt hatte – die Affinität zu allen fünf Elementen, Luft, Feuer, Wasser, Erde und Geist.

Ich war nicht normal. Ich war anders als jeder andere Jungvampyr oder Vampyr, und es war unrecht, mir etwas anderes zu wünschen. Und etwas, das Teil meines Nicht-Normal-Seins war, sagte mir, dass ich da reingehen und mit meinen Freunden Frieden schließen musste. Ich straffte meinen Rücken und sah mich ohne jedes Selbstmitleid im Raum um.

Es war nicht schwer, meine spezielle Gruppe zu finden, die wie immer in unserer üblichen Ecke saß. Ich holte tief Luft und durchquerte zügig den Speisesaal, wobei ich den Jungs und Mädchen, die hi zu mir sagten, ein kurzes Nicken oder Lächeln schenkte. Ich stellte fest, dass alle mir die übliche Mischung aus Respekt und Ehrfurcht entgegenzubringen schienen, was bedeutete, dass meine Freunde nicht überall irgendwelchen Mist über mich rumerzählt hatten. Es bedeutete außerdem, dass Neferet noch nicht zu einem offenen Angriff gegen mich aufgerufen hatte. Noch nicht.

Ich nahm mir rasch einen Salat und eine Cola. Dann marschierte ich direkt zu unserem Tisch, die Finger so fest um das Tablett gekrallt, dass sie total blutleer waren, und setzte mich wie üblich neben Damien.

Niemand sah mich an, aber ihr belangloses Geplauder erstarb sofort. So was hasse ich total. Ich meine, was ist schlimmer, als zu einer Gruppe sogenannter Freunde zu stoßen, und sie verstummen alle sofort, so dass man genau weiß, dass sie gerade über dich geredet haben? Brr.

Statt wegzurennen oder in Tränen auszubrechen, was ich am liebsten gemacht hätte, sagte ich: »Hi.«

Niemand sagte etwas.

»Und, was ist los?« Ich richtete die Frage an Damien, meiner Einschätzung nach das schwächste Glied in der Wir-reden-nicht-mit-Zoey-Kette.

Leider waren es die Zwillinge, die mir antworteten, und nicht der schwule und daher viel einfühlsamere und höflichere Damien.

»Genau nichts, oder, Zwilling?«, sagte Shaunee.

»Genau, Zwilling, nichts. Weil man uns ja auch nichts anvertrauen kann«, bekräftigte Erin. »Zwilling, wusstest du schon, dass wir kein bisschen vertrauenswürdig sind?«

»Hab’s erst vor kurzem erfahren. Und du?«

»Ich auch«, schloss Erin.

Okay, in Wirklichkeit sind die Zwillinge alles andere als Zwillinge. Shaunee Cole ist eine karamellfarbene Jamaika-Amerikanerin und an der Ostküste aufgewachsen. Erin Bates ist herrlich blond und kommt aus Tulsa. Die zwei lernten sich kennen, nachdem sie am selben Tag Gezeichnet worden und ins House of Night gekommen waren. Und die Chemie zwischen ihnen stimmte sofort – als ob so etwas wie Genetik und Geographie überhaupt nicht existieren würde. Die eine ergänzt buchstäblich die angefangenen Sätze der anderen. Und in diesem Moment starrten sie mich beide mit genau dem gleichen verärgerten, missbilligenden Blick an.

Himmel, war das ermüdend.

Und es brachte mich auf die Palme. Okay, ich hatte ihnen Sachen vorenthalten. Okay, ich hatte sie angelogen. Aber ich musste es tun. Na gut – in den meisten Fällen musste ich es. Und dieses selbstgerechte Getue in doppelter Ausgabe ging mir tierisch auf die Nerven.

»Danke für die netten Kommentare. Und jetzt würde ich gern jemanden fragen, der sich nicht anhört wie diese Blair-Zicke aus Gossip Girl in Stereo.« Während die Zwillinge entrüstet den Atem einsogen, um mir was an den Kopf zu werfen, was sie irgendwann garantiert bereuen würden, wandte ich mich demonstrativ Damien zu. »Ich glaube, eigentlich wollte ich weniger fragen ›Was ist los‹, als ›Hat jemand von euch in letzter Zeit auch so erschreckende geisterhafte Flattererscheinungen draußen gesehen?‹ Hm?«

Damien ist ein hochgewachsener, echt süßer Kerl mit fein gemeißelten Gesichtszügen und ausdrucksvollen braunen Augen, die gewöhnlich voller Wärme sind. Momentan blickten sie allerdings wachsam und ziemlich eisig. »Geisterhafte Flattererscheinungen? Sorry, ich hab keine Ahnung, was du meinst.«

Es schnürte mir die Kehle ab, wie fremd er klang, aber ich sagte mir: okay, zumindest hat er die Frage beantwortet. »Auf dem Weg vom Stall hierher hat mich irgendwas mehr oder weniger angegriffen. Ich hab nicht wirklich was gesehen, aber es war kalt und hat mich ganz scheußlich an der Hand geschrammt.« Ich hielt die Hand hoch – aber die Striemen waren verschwunden.

Na super.

Shaunee und Erin schnaubten im Chor. Damien sah einfach nur furchtbar traurig aus. Ich öffnete gerade den Mund, um zu erklären, dass da noch vor wenigen Minuten eine fette Krallenspur gewesen war, da kam Jack mit einem Tablett in der Hand herbeigestürmt.

»Oh hi! Sorry, dass ich so spät bin, aber als ich mein Hemd anziehen wollte, hab ich gemerkt, dass vorne drauf ein Riesenfleck ist! Unglaublich!« Er ließ sich auf seinen Platz neben Damien fallen.

»Ein Fleck? Aber doch nicht auf dem tollen langärmligen blauen Armani-Hemd, das ich dir zu Weihnachten geschenkt habe, oder?« Damien rückte auf, um seinem Freund Platz zu machen.

»Mein Gott, nein! Auf das würde ich nie im Leben was draufkleckern. Mit dem bin ich ganz vorsichtig, weil es mein absolutes –« Abrupt verstummte er, als sein Blick auf mich fiel. Er schluckte. »Oh, äh. Hi, Zoey.«

Ich lächelte ihm zu. »Hi, Jack.« Dass er und Damien zusammen waren, war für niemanden von uns ein Problem. So blöd sie sich mir gegenüber auch gerade benahmen – spießig oder intolerant waren meine Freunde nun wirklich nicht.

»Ich hatte dich gar nicht erwartet«, faselte Jack. »Ich dachte, du wärst noch … äh … na ja …« Er verstummte und lief sehr hübsch rosa an.

»Du dachtest, ich würde mich noch in meinem Zimmer verstecken?«, schlug ich vor.

Er nickte.

»Nein«, sagte ich fest. »Das ist vorbei.«

»Ta-di-dum«, begann Erin, aber bevor Shaunee sich wie üblich an ihrer Ablenkungstaktik beteiligen konnte, kam von der Tür ein so ungeniertes sexy Lachen, dass wir uns alle danach umdrehten.

An der Seite von Darius, einem der jüngsten (und schärfsten) Söhne des Erebos – der Kriegertruppe, die das House of Night bewachte –, kam lachend Aphrodite hereingestöckelt, klimperte ihn kokett an und warf gekonnt die blonde Mähne zurück. Die Frau war schon immer ein Multitasking-Genie gewesen, aber ich war total verblüfft, wie ungezwungen, cool und vollkommen gefasst sie wirkte. Erst vor zwei Tagen war sie fast gestorben und gleich darauf völlig ausgetickt, weil der saphirfarbene Umriss einer Mondsichel (der auf der Stirn eines jeden Jungvampyrs erschien, als Zeichen dafür, dass in ihm oder ihr die Wandlung begonnen hatte, durch die man zum Vampyr wurde, wenn man nicht vorher starb) aus ihrem Gesicht verschwunden war.

Was bedeutete, dass sie sich irgendwie zurück in einen Menschen verwandelt hatte.

Zwei

Okay, ich hatte jedenfalls gedacht, sie hätte sich zurück in einen Menschen verwandelt. Aber selbst aus der Entfernung sah ich, dass ihr Mal wieder da war. Ihr kühler blauer Blick wanderte durch die Mensa, und sie schenkte allen, die sie anstarrten, ein überhebliches Grinsen. Dann wandte sie sich wieder Darius zu und ließ einen Moment lang die Hand auf seiner breiten Brust ruhen.

»Das war wahnsinnig lieb von dir, mich herzubegleiten. Du hast recht. Ich hätte nicht zwei Tage warten dürfen, um meinen Urlaub abzubrechen. So wie hier alles drunter und drüber geht, ist es wirklich am besten, auf dem Campus zu bleiben, wo man geschützt ist. Und mit dir als Wachmann ist der Mädchentrakt der mit Abstand sicherste und interessanteste Ort.« Wie sie ihn anschnurrte. Himmel, war die nuttig. Wäre ich nicht so überrascht gewesen, sie zu sehen, hätte ich die passenden Würgegeräusche dazu gemacht. Laut und offensichtlich.

»Und auf meinen Posten dort muss ich jetzt zurückkehren. Gute Nacht, meine Lady.« Und er machte eine geschliffene Verbeugung wie ein romantischer, edler Ritter aus alter Zeit, nur ohne Pferd und glänzende Rüstung. »Es war mir ein Vergnügen, dir behilflich zu sein.« Er lächelte Aphrodite noch einmal zu, drehte sich auf dem Absatz um und verließ den Saal.

»Würde sicher auch verdammt viel Spaß machen, dir behilflich zu sein«, sagte Aphrodite in ihrem dreistesten Ton, als er außer Hörweite war. Dann wandte sie sich der mäuschenstillen, gaffenden Menge der Schüler zu, hob eine perfekt gezupfte Braue und bedachte jeden Einzelnen mit ihrem spöttischen Original-Aphrodite-Grinsen. »Was denn? Habt ihr noch nie so was Schönes wie mich gesehen? Verdammt, ich war doch nur zwei Tage weg. Euer Kurzzeitgedächtnis ist wirklich schlecht. Wisst ihr nicht mehr? Ich bin das umwerfend tolle Biest, das ihr alle so gerne hasst.« Niemand sagte ein Wort. Sie verdrehte die Augen. »Ach, egal.« Sie ging zur Salatbar und begann sich einen Teller zusammenzustellen. Da brach der Damm. Unter rüdem Schnauben und abfälligem Gemurmel wandten sich die Kids wieder ihrer Mahlzeit zu.

Auf diejenigen, die keine Ahnung hatten, musste Aphrodite so schamlos und hochnäsig wirken wie immer. Aber ich merkte, wie nervös und angespannt sie in Wirklichkeit war. Himmel, ich konnte so gut verstehen, wie sie sich fühlte – ich hatte den gleichen Spießrutenlauf hinter mir. Besser gesagt, ich steckte mittendrin, genau wie sie.

»Ich dachte, sie sei wieder ein Mensch«, sagte Damien gedämpft. »Aber anscheinend ist das Mal doch zurückgekommen.«

»Nyx’ Wege sind geheimnisvoll«, sagte ich und versuchte so weise und Hohepriesterin-in-Ausbildung-mäßig wie möglich zu klingen.

»Wenn du mich fragst, sind Nyx’ Wege ein anderes Wort mit G, Zwilling«, sagte Erin. »Und, errätst du’s?«

»Ganz großer Schwachsinn?«, fragte Shaunee.

»Volltreffer«, nickte Erin.

»Das sind drei Wörter«, bemerkte Damien.

»Jetzt lass mal die Schulmeistermasche bleiben«, sagte Shaunee. »Du weißt doch, Aphrodite ist eine blöde Misthexe, und als ihr Mal weg war, hatten wir ’n bisschen gehofft, Nyx hätte sie ein für alle Mal abserviert.«

»Nicht nur ’n bisschen gehofft«, bestätigte Erin.

Während jeder im Raum Aphrodite anstarrte, würgte ich, ohne sie zu beachten, weiter meinen Salat herunter. Die Sache war nämlich die: Aphrodite war mal die beliebteste, mächtigste Oberzicke im ganzen House of Night. Seit sie es sich aber mit der Hohepriesterin Neferet verscherzt hatte und infolgedessen total abserviert worden war, war sie nur noch die Oberzicke. Aber natürlich waren sie und ich auf ganz komische Art (soll heißen: typisch für mich!) irgendwie zufällig so was wie Freundinnen geworden – oder wenigstens Verbündete. Nicht so, dass wir wollten, dass alle Welt das mitkriegte. Aber ich hatte mir trotzdem Sorgen um sie gemacht, nachdem sie verschwunden war, auch wenn Stevie Rae ihr sofort hinterhergerannt war. He, ich hatte seit zwei Tagen von keiner der beiden etwas gehört!

Meine anderen Freunde – genauer: Damien, Jack und die Zwillinge – konnten sie natürlich auf den Tod nicht ausstehen. Daher war es fast so gnadenlos untertrieben zu sagen, dass sie entsetzt und nicht sehr erfreut aussahen, als Aphrodite schnurstracks auf unseren Tisch zukam und sich neben mich setzte, wie der Kommentar von dem Ritter in Indiana Jones, »Seine Wahl war schlecht«, als der Böse aus dem falschen Kelch trank und sich auflöste.

»Es ist unhöflich, Leute anzustarren, selbst wenn sie so wunderschön sind comme moi«, sagte Aphrodite und nahm einen Bissen Salat.

»Was zum Teufel willst du hier, Aphrodite?«, fragte Erin.

Aphrodite schluckte und schenkte Erin einen gespielt unschuldigen Augenaufschlag. »Essen, du Spatzenhirn«, flötete sie.

»Hier ist zickenfreie Zone«, sagte Shaunee, die endlich die Sprache wiedergefunden hatte.

»Ja, da steht’s.« Erin wies auf ein nicht vorhandenes Schild an der Lehne ihrer Bank.

»Ich hasse es, mich zu wiederholen, aber in diesem Fall mach ich ’ne Ausnahme. Also noch mal: Fahrt zur Hölle, Ernie und Bert.«

»Okay, es reicht.« Erin war nahe daran, die Beherrschung zu verlieren. »Mein Zwilling und ich polieren dir gleich dein verdammtes Mal aus dem Gesicht.«

»Ja, und diesmal bleibt’s hoffentlich weg«, schloss sich Shaunee an.

»Hört auf«, sagte ich. Gleich darauf krampfte sich mir der Magen zusammen, als die Zwillinge die zusammengekniffenen, zornsprühenden Augen auf mich richteten. Hassten sie mich wirklich so sehr, wie es aussah? Allein der Gedanke versetzte mir einen Stich im Herzen, aber ich hob das Kinn und starrte unverwandt zurück. Wenn ich die Wandlung zum Vampyr überlebte, würde ich eines Tages ihre Hohepriesterin sein, und das hieß, sie sollten mir besser zuhören. »Das haben wir doch schon mal ausdiskutiert. Aphrodite gehört wieder zu den Töchtern der Dunkelheit. Und zu unserem Kreis auch.« Ich hielt einen Augenblick inne, weil ich mich fragte, ob sie die Affinität zur Erde, aufgrund deren wir sie in beides aufgenommen hatten, noch immer besaß oder womöglich bei der Verwandlung Jungvampyr – Mensch und offenbar zurück zum Jungvampyr wieder verloren hatte, aber das war zu verwirrend, also redete ich schnell weiter. »Ihr habt versprochen, sie zu respektieren, ohne Anfeindungen und blöde Bemerkungen.«

Die Zwillinge schwiegen, aber von neben mir kam ungewöhnlich kalt und ausdruckslos Damiens Stimme. »Ja, aber wir haben nicht versprochen, uns mit ihr anzufreunden.«

»Ich hab nie gesagt, dass ich mit euch befreundet sein will«, sagte Aphrodite.

»Dito, Hexe!«, gaben die Zwillinge im Chor zurück.

»Ach, was soll’s«, brummte Aphrodite und machte eine Bewegung, als wollte sie ihr Tablett nehmen und aufstehen. Ich hatte schon den Mund geöffnet, um sie zu bitten, sich wieder hinzusetzen, als von draußen auf dem Gang ein ganz absonderlicher Lärm durch die offene Tür der Mensa hallte.

»Was zum –?«, fing ich an, aber ehe ich die Frage ganz aussprechen konnte, stürmten wie verrückt fauchend und jaulend mindestens ein Dutzend Katzen in den Saal.

Okay, im House of Night sind Katzen allgegenwärtig. Im wahrsten Sinne des Wortes. Sie folgen dem Jungvampyr ihrer Wahl auf Schritt und Tritt, schlafen bei ihm im Bett und beklagen sich (wie in Nalas Fall) ständig bei ihm. Eine der ersten coolen Sachen, die wir in Vampsozi gelernt hatten, war, dass Katzen schon seit Jahrhunderten ein gutes Verhältnis zu Vampyren haben. Das heißt, wir waren alle daran gewöhnt, dass Katzen überall herumliefen. Aber ich hatte noch nie erlebt, dass sie sich dermaßen verrückt aufführten.

Genau zwischen den Zwillingen sprang ihr riesiger grauer Kater Beelzebub auf die Bank. Er hatte sich so aufgeplustert, dass er doppelt so monströs wirkte wie gewöhnlich, und starrte mit zu Schlitzen verengten bernsteinfarbenen Augen feindselig die offene Tür an.

Erin fing an, ihn zu streicheln. »Beelzebub, Süßer, was ist denn?«

Da sprang Nala mir auf den Schoß, stellte sich sofort auf, legte mir die kleinen weißbehandschuhten Pfoten auf die Schulter und beobachtete unter furchterregendem Katzenjaulen ebenfalls die Tür, durch die noch immer der seltsame Lärm drang.

»Hey«, sagte Jack auf einmal. »Ich weiß, was das ist.«

Ich kapierte es ungefähr im gleichen Augenblick. »Da bellt ein Hund!«

Und dann stürmte etwas in den Speisesaal, was eher wie ein großer sandfarbener Bär aussah als ein Hund. Dicht hinter dem Bärenvieh kam ein Junge hereingerannt, wiederum dicht gefolgt von mehreren ziemlich mitgenommen wirkenden Erwachsenen, darunter Dragon Lankford, unser Fechtlehrer, die Pferdekundelehrerin Lenobia und einige Söhne des Erebos.

»Hab ich dich!«, schrie der Junge, als er schlitternd mitsamt dem bellenden Hund nicht weit von uns zum Stehen kam, ihn am Halsband packte (es war aus pinkem Leder mit Metall-Stacheln) und geschickt eine Leine daran befestigte. Kaum war die Leine eingerastet, da hörte der Hund auf zu bellen, setzte sich auf sein rundes Hinterteil und sah hechelnd zu dem Jungen auf. »Na toll. Jetzt benimmst du dich«, hörte ich ihn dem unverkennbar grinsenden Vieh zumurmeln.

Auch wenn das Bellen verstummt war, die überall in der Mensa verteilten Katzen waren noch lange nicht besänftigt. Um uns fauchte es so laut, dass es sich anhörte wie das Zischen eines geplatzten Reifens.

»Verstehst du jetzt, was ich dir vorhin zu erklären versucht habe, James?«, fragte Dragon Lankford und betrachtete den Hund stirnrunzelnd. »Es hat einfach keinen Sinn, dieses Tier in unser House of Night mitzubringen.«

»Ich heiße Stark, nicht James«, sagte der Junge. »Und was ich vorhin versucht habe Ihnen zu erklären – der Hund bleibt bei mir. So ist es halt. Wenn Sie mich wollen, müssen Sie auch mit ihr klarkommen.«

Ich dachte mir, dass der Neue mit dem Hund sich ganz schön ungewöhnlich benahm. Nicht, dass er richtig grob oder respektlos gegenüber Dragon war, aber er sprach auch nicht so ehrfürchtig – oder gar furchtsam – mit ihm, wie das bei den meisten frisch Gezeichneten Jungvampyren der Fall war. Ich musterte sein T-Shirt mit Pink-Floyd-Aufdruck. Da war kein Jahrgangssymbol, nichts, woran ich hätte erkennen können, in welches Jahr er gehörte und wie lange er schon Gezeichnet war.

»Stark«, sagte Lenobia in unnachgiebigem Ton, »es ist schlicht und einfach unmöglich, den Hund in diese Schule zu integrieren. Du siehst doch, wie er die Katzen verschreckt.«

»Die werden sich schon an sie gewöhnen. In Chicago ging das auch. Normalerweise ist sie superlieb und macht sich überhaupt nichts aus ihnen, aber der Graue dort hat sie wirklich provoziert mit seinem Gefauche und Gekratze.«

»Oh-oh«, flüsterte Damien.

Ich brauchte nicht hinzusehen – ich spürte deutlich, wie die Zwillinge sich aufplusterten wie Kugelfische.

»Meine Güte, was ist das nur für ein Lärm?« Wunderschön, von Macht erfüllt und ganz Herrin der Lage, rauschte Neferet in den Saal.

Ich sah, wie die Augen des Neuen sich bei ihrer atemberaubenden Erscheinung weiteten. Es war soooo nervig, wie jedem beim ersten Anblick unserer Hohepriesterin, meiner Nemesis, sofort jeglicher gesunde Menschenverstand abhandenkam.

Dragon legte die Faust über sein Herz und verbeugte sich ehrerbietig vor seiner Hohepriesterin. »Neferet, ich entschuldige mich für die Störung. Das ist mein neuer Zögling. Er ist gerade erst eingetroffen.«

»Das erklärt, warum der Junge hier ist. Aber nicht, warum das da hier ist.« Sie zeigte auf den hechelnden Hund.

»Sie gehört zu mir«, sagte der Junge. Neferet wandte ihm die smaragdgrünen Augen zu, und er folgte Dragons Beispiel und verneigte sich mit der Faust über dem Herzen. Als er sich wieder aufrichtete, sah ich völlig geschockt, wie er Neferet mit einem schiefen Grinsen bedachte. Es wirkte ganz schön frech. »Sie ist so was wie meine Katze.«

Neferet hob eine kastanienrote Augenbraue. »Tatsächlich? Sieht mir eher aus wie ein Bär.«

Ha! Also kam nicht nur mir dieser Vergleich in den Sinn.

»Na ja, Priesterin, sie ist ein Labrador, aber Sie sind nicht die Erste, die das findet. Ihre Pfoten sind jedenfalls groß genug. Schauen Sie mal.« Ungläubig sah ich zu, wie der Junge Neferet unbekümmert den Rücken zudrehte und seinem Hund befahl: »Give me five, Duch.«

Der Hund hob bereitwillig eine seiner wahrlich beeindruckenden Pranken und klatschte Starks Hand damit ab. »Gutes Mädchen!«, lobte er und kraulte ihr die Hängeohren.

Okay. Zugegeben, niedlicher Trick.

Dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder Neferet zu. »Aber egal ob Hund oder Bär, sie ist die ganzen vier Jahre, seitdem ich Gezeichnet wurde, bei mir gewesen, also ist sie für mich Katze genug.«

»Ein Labrador?« Neferet schritt demonstrativ einmal um den Hund herum und betrachtete ihn von allen Seiten. »Dafür ist sie aber enorm groß.«

»Tja, klein war Duch noch nie, Priesterin.«

»Sie heißt Duch?«

Der Junge nickte und grinste. Auch wenn er ein Oberprimaner war, überraschte es mich, wie lässig er mit erwachsenen Vampyren redete, insbesondere mit einer mächtigen Hohepriesterin. »Abkürzung von Duchess.«

Neferets Augen verengten sich, und sie sah den Jungen genau an. »Und wie ist dein Name, Kind?«

»Stark.«

Ich fragte mich, ob noch jemand bemerkte, wie ihre Kiefermuskeln sich anspannten.

»James Stark?«

»Nur noch Stark. Meinen Vornamen hab ich vor ein paar Monaten gestrichen.«

Aber sie drehte sich schon, ohne ihn weiter zu beachten, zu Dragon um. »Ist das der Junge, der vom House of Night in Chicago hierher versetzt werden sollte?«

»Ja, Priesterin«, sagte Dragon.

Als Neferet sich wieder Stark zuwandte, spielte um ihre Lippen ein berechnendes Lächeln. »Ich habe schon viel von dir gehört, Stark. Wir werden uns sehr bald einmal ausführlich miteinander unterhalten, du und ich.« Den Blick weiter auf den Jungen gerichtet, sagte sie zu Dragon: »Sorgen Sie dafür, dass Stark vierundzwanzig Stunden am Tag Zugang zu sämtlicher Bogenschießausrüstung und dem Übungsfeld hat.«

Ich bemerkte, wie Stark leicht zusammenzuckte. Offenbar sah das auch Neferet, denn ihr Lächeln wurde breiter. »Natürlich ist dir die Kunde von deinem Talent vorausgeeilt, Stark. Und nur weil du die Schule gewechselt hast, musst du nicht außer Übung geraten.«

Zum ersten Mal wirkte Stark unbehaglich. Eigentlich mehr als unbehaglich. Kaum war das Wort Bogenschießen gefallen, da hatte sich sein Gesichtsausdruck komplett gewandelt, von spitzbübisch-ironisch in eiskalt und beinah gehässig.

»Ich hab’s denen gesagt, als sie mich versetzt haben. Ich starte nicht mehr bei Wettkämpfen.« Seine Stimme war ausdruckslos und schon in der kurzen Entfernung zu unserem Tisch kaum mehr zu hören. »Egal auf welcher Schule ich bin.«

»Wettkämpfe? Du meinst diese banalen Bogenschießwettbewerbe zwischen den Houses of Night?« Bei Neferets Lachen bekam ich am ganzen Körper eine Gänsehaut. »Mir ist egal, ob du antrittst oder nicht. Aber denk daran, an diesem House of Night spreche ich für unsere Göttin Nyx, und ich sage dir nur das eine: Es ist wichtig, dass du die Gabe, die sie dir geschenkt hat, nicht vergeudest. Du kannst nie wissen, ob Nyx nicht irgendwann daran appellieren wird – und zwar nicht wegen irgendeines lächerlichen Wettbewerbs.«

Mein Magen vollführte einen Salto. Sie sprach von ihrem Krieg gegen die Menschen. Aber Stark, der ja keine Ahnung hatte, sah nur erleichtert aus, weil man nicht von ihm verlangte, auf Wettkämpfe zu gehen, und seine Miene wurde wieder draufgängerisch-charmant. »Kein Problem. Üben ist vollkommen okay, Priesterin.«

»Neferet«, fragte Dragon, »was sollen wir Ihrer Meinung nach mit dem, äh, Hund machen?«

Neferet schwieg einen Augenblick lang, dann kniete sie sich anmutig vor den hellgoldenen Labrador. Die großen Hängeohren der Hündin richteten sich nach vorn, und sie streckte den Kopf vor und schnüffelte neugierig an der Hand, die Neferet ihr hinhielt. Mir gegenüber fauchte Beelzebub drohend. Nala grollte tief in der Kehle. Neferet blickte auf und sah mich an.

Ich versuchte, ein nichtssagendes Gesicht zu machen, hatte aber keine Ahnung, wie gut es mir gelang. Ich hatte Neferet seit zwei Tagen nicht gesehen – seit sie mir aus dem großen Saal der Schule nach draußen gefolgt war, nachdem sie als Rache für den Tod von Loren Blake im Namen der Vampyre den Menschen den Krieg erklärt hatte. Natürlich waren wir aneinandergeraten. Sie war Lorens Geliebte gewesen. Ich auch, aber das war jetzt ohne Bedeutung. Neferet hatte die ganze Geschichte zwischen ihm und mir nur inszeniert, und sie wusste, dass ich das herausgefunden hatte. Neferet wusste auch, dass ich wusste, dass Nyx mit dem, was sie in letzter Zeit so angestellt hatte, nicht einverstanden war.

Um genau zu sein, hatte Neferet mich ziemlich tief in der Seele verletzt, und ich hasste sie fast genauso sehr, wie ich Angst vor ihr hatte. Ich hoffte nur, nichts davon zeigte sich auf meinem Gesicht, als die Hohepriesterin auf unseren Tisch zuschlenderte. Auf eine knappe Handbewegung hin folgte ihr Stark mit dem Hund an der Leine. Beelzebub gab noch ein langes Fauchen von sich und räumte das Feld. Ich streichelte wie wild Nala in der Hoffnung, sie würde nicht vollends ausrasten. Vor unserem Tisch hielt Neferet an. Ihr Blick huschte kurz von mir zu Aphrodite, dann blieb er auf Damien haften.

»Gut, dass du da bist, Damien. Es wäre schön, wenn du Stark sein Zimmer zeigen und ihm einen Überblick über den Campus verschaffen würdest.«

»Wäre mir ein Vergnügen, Neferet«, sagte Damien schnell. Neferet bedachte ihn mal wieder mit einem ihrer Hundert-Watt-Dankeschönlächeln, und seine Augen strahlten.

»Was genaue Details angeht, fragst du am besten Dragon.« Dann richteten sich ihre grünen Augen auf mich. Ich wappnete mich. »Zoey, das ist Stark. Stark, das ist Zoey Redbird, die Anführerin unserer Töchter der Dunkelheit.«

Er und ich nickten uns zu.

»Zoey, ich überlasse dir als Hohepriesterin in Ausbildung die Sache mit Starks Hund. Mit Hilfe der vielen Gaben, mit denen Nyx dich bedacht hat, wird es dir sicher gelingen, dass sie mit der Schule klarkommt und die Schule mit ihr.« Ihr kalter Blick ruhte unverwandt auf mir und sprach eine ganz andere Sprache als ihre honigsüße Stimme. Denk daran, dass ich hier das Sagen habe, sagte er, und du nur ein Kind bist.

Ich brach gezielt den Blickkontakt mit ihr und lächelte Stark steif an. »Ich helfe dir gern mit deinem Hund.«

»Sehr schön«, säuselte Neferet. »Ach, Zoey, Damien, Shaunee und Erin?« Sie lächelte meine Freunde an, und meine Freunde grinsten wie totale Schwachköpfe zurück. An Aphrodite und Jack verschwendete sie keinen Blick. »Für heute Abend um halb elf habe ich eine außerordentliche Vollversammlung des Kollegiums einberufen.« Sie warf einen Blick auf ihre mit Diamanten besetzte Platin-Armbanduhr. »Jetzt ist es fast zehn, ihr beeilt euch also besser mit dem Essen, denn ich wünsche, dass auch der Schülerrat anwesend ist.«

»Natürlich, machen wir!«, zwitscherten sie wie dumme kleine Vogelkinder, denen ihre Mama einen Wurm gebracht hat.

Da sagte ich laut und deutlich, damit es im ganzen Raum zu hören war: »Oh, Neferet, da fällt mir etwas ein. Aphrodite wird auch mitkommen. Da Nyx ihr eine Erdaffinität geschenkt hat, waren wir uns alle einig, dass sie dem Schülerrat beitreten sollte.« Ich hielt den Atem an und hoffte, dass meine Freunde mitspielten.

Ich war tierisch erleichtert, als niemand einen Ton von sich gab – außer Nala, die Duchess immer noch aus tiefster Kehle anfauchte.

Neferets Stimme wurde eiskalt. »Wie kann Aphrodite Mitglied des Schülerrates werden, wenn sie nicht einmal mehr Mitglied der Töchter der Dunkelheit ist?«

Ich gab mir einen vollkommen unschuldigen Anschein. »Hab ich vergessen, Ihnen das zu erzählen? Oh, es tut mir so leid, Neferet! Bei all den schrecklichen Sachen, die kürzlich passiert sind, muss das untergegangen sein. Aphrodite ist wieder in die Töchter der Dunkelheit aufgenommen worden. Sie hat mir und Nyx geschworen, unseren Kodex zu befolgen, da hab ich es ihr erlaubt. Ich dachte mir, das ist doch genau das, was Sie auch wollen – dass sie den Weg zurück zu unserer Göttin findet.«

»Das stimmt«, erklärte Aphrodite ungewöhnlich kleinlaut. »Ich bin mit den neuen Regeln einverstanden. Ich will meine früheren Fehler wiedergutmachen.«

Mir war klar, dass es total mies und gehässig wirken würde, wenn Neferet sie jetzt zurückweisen würde, nachdem sie öffentlich Bereitschaft zur Reue gezeigt hatte. Und für Neferet zählte der äußere Anschein verdammt viel.

Das strahlende Lächeln der Hohepriesterin war an den ganzen Saal gerichtet. Sie sah weder mich noch Aphrodite an. »Wie ungemein großzügig von unserer Zoey, Aphrodite wieder in den Kreis der Töchter der Dunkelheit aufzunehmen, vor allem, da sie damit die Verantwortung für Aphrodites Verhalten trägt. Aber unserer Zoey scheint ein hohes Maß an Verantwortung ja nichts auszumachen, im Gegenteil.«

Dann sah sie mich an, und mir stockte der Atem, als ich den Hass in ihrem Blick sah. »Pass nur auf, dass du unter so viel selbstauferlegtem Druck nicht erstickst, mein Kind.« Und plötzlich, als hätte sie einen Schalter umgelegt, war ihre Miene wieder voller strahlender Zuneigung, und sie lächelte den Neuen an. »Willkommen in unserem House of Night, Stark.«

Drei

»Äh, sag mal, hast du vielleicht Hunger?«, fragte ich, als Neferet und die anderen erwachsenen Vampyre wieder aus der Mensa verschwunden waren.

»Ja, schon ’n bisschen.«

»Wenn du dich beeilst, kannst du noch mit uns essen, und dann kann Damien dir dein Zimmer zeigen, bevor wir zu dieser Ratsversammlung müssen.«

»Dein Hund ist total süß«, sagte Jack und spähte an Damien vorbei, um Duchess besser in Augenschein nehmen zu können. »Ich meine, klar ist sie riesig, aber süß ist sie trotzdem. Sie beißt doch nicht, oder?«

»Nur wenn du sie zuerst beißt«, sagte Stark.

»Puh, brr.« Jack schüttelte sich. »Ich will doch keine ekligen Hundehaare im Mund!«

Ich beschloss, den Vorstellungskram mitsamt der eventuellen Oh nein, er ist ’ne Schwuchtel-Geschichte so schnell wie möglich hinter mich zu bringen. »Stark, das ist Jack. Damiens Freund.«

»Hi«, sagte Jack mit herzzerreißend niedlichem Lächeln.

»Hi«, sagte Stark. Es war nicht gerade ein enthusiastisches ›hi‹, aber es wirkte auch nicht schwulenfeindlich.

»Und das sind Erin und Shaunee.« Ich zeigte nacheinander auf die beiden. »Du kannst sie auch die Zwillinge nennen. Warum, kapierst du wahrscheinlich spätestens nach anderthalb Minuten.«

»Hi.« Shaunee warf ihm einen sehr eindeutigen Blick zu.

»Hi«, sagte Erin mit genau dem gleichen Blick.

»Und das ist Aphrodite«, beendete ich die Vorstellung.

Sein leicht sarkastisches Lächeln kehrte zurück. »Oh, die Göttin der Liebe. Ich hab ’ne Menge von dir gehört.«

Aphrodite hatte Stark mit seltsam intensivem, nicht gerade kokettem Blick betrachtet, aber als er sie ansprach, warf sie sofort in einem wahrlich atemberaubenden Schwung die Haare zurück. »Hi. Ich mag es, wenn die Leute wissen, wer ich bin.«

Sein Lächeln wurde breiter und noch ein bisschen sarkastischer, und er lachte kurz auf. »Es wäre fast unmöglich, nicht zu wissen, wer du bist. Dein Name ist ja wohl bekannt genug.«

Ich konnte sehen, wie Aphrodites intensiver Blick augenblicklich erlosch und von dieser naserümpfenden Überheblichkeit abgelöst wurde, die man viel eher von ihr kannte. Aber bevor sie die Chance bekam, Stark verbal auseinanderzunehmen, sagte Damien: »Stark, komm, ich zeig dir, wo die Tabletts und der ganze Kram sind.« Er stand auf – und blieb abrupt und unsicher stehen, weil Duchess ihm im Weg saß.

»Keine Sorge«, sagte Stark. »Die rührt sich nicht, solange keine Katze irgendwas Blödes anstellt.« Sein Blick glitt zu Nala, der einzigen Katze, die sich noch in Duchess’ Nähe befand. Nala war zur Abwechslung mal still, aber sie saß sprungbereit auf meinem Schoß und starrte den Hund reglos an, und ich spürte, wie angespannt sie am ganzen Körper war.

»Nala benimmt sich.« Ich hoffte nur, dass sie das auch wirklich tun würde. Es war ja nicht so, dass meine Katze sich von mir etwas sagen ließ. Himmel, welche Katze ließ sich überhaupt von irgendwem etwas sagen?

»Na dann gut.« Er nickte mir kurz zu und sagte dann zu dem Hund: »Duchess, sitz!« Und tatsächlich, als er Damien zur Essenstheke folgte, blieb Duchess neben uns sitzen.

Jack beäugte Duchess, als sei sie ein wissenschaftliches Experiment. »Also, Hunde sind schon sehr viel lauter als Katzen.«

»Ja, weil sie ständig hecheln«, sagte Erin.

»Und sie furzen viel mehr als Katzen, Zwilling«, bemerkte Shaunee. »Meine Mom hat solche überdimensionalen Großpudel, die haben vielleicht Blähungen!«

»Okay, also das ist jetzt wirklich nicht mehr lustig«, sagte Aphrodite. »Ich bin weg.«

»Willst du nicht noch bleiben und den neuen Typen anklimpern?«, fragte Shaunee überfreundlich.

»Ja, er schien dich doch gleich so sehr zu mögen«, fügte Erin klebrig-süß hinzu.

»Den überlasse ich euch beiden, er steht ja offensichtlich auf Hündinnen. Zoey, wenn du mit deiner Streberclique fertig bist, komm doch kurz in meinem Zimmer vorbei. Ich will dir vor der Ratssitzung noch was sagen.« Und sie warf ihr Haar zurück, grinste die Zwillinge verächtlich an und verließ den Speisesaal.

»Sie ist echt nicht so schlimm, wie sie tut«, versuchte ich die Zwillinge zu beschwichtigen. Sie schenkten mir nur ungläubige Blicke. Ich zuckte mit den Schultern. »Es ist nur, dass sie zu sehr daran gewöhnt ist, so zu tun, als sei sie schlimm.«

»Zu so ’nem Getue können wir nur sagen: also bitte«, sagte Erin.

»Wenn wir Aphrodite sehen, können wir verstehen, warum manche Mütter ihre Babys ertränken«, erklärte Shaunee.

»Versucht bitte, Aphrodite eine Chance zu geben«, sagte ich. »Sie hat angefangen, mich hinter ihre miese, zickige Fassade schauen zu lassen. Manchmal kann sie echt nett sein. Ihr werdet sehen.«

Eine ganze Weile sagten die Zwillinge nichts, dann sahen sie sich an und schüttelten genau gleichzeitig den Kopf und verdrehten die Augen. Ich seufzte mal wieder.

»Aber jetzt mal ein viel wichtigeres Thema«, sagte Erin.

Shaunee nickte. »Ja, nämlich der scharfe Neue.«

»Schau dir seinen Hintern an«, schwärmte Erin.

»Ich wünschte, er würde die Jeans ’n bisschen weiter runterziehen, dann könnte ich ihn besser sehen«, sagte Shaunee verträumt.

»Also Zwilling, Baggies sind doch so was von out! So’n Möchtegern-Gangsta-Neunziger-Style. So was ziehen coole Typen ja wohl nicht an«, sagte Erin.

»Trotzdem würde ich seinen Hintern gern mal sehen, Zwilling«, beharrte Shaunee. Sie warf mir einen Blick zu und lächelte. Es war eine ziemlich reservierte Version ihres alten, freundschaftlichen Lächelns, aber immerhin nicht mehr dieses sarkastische Misstrauen, das sie die letzten Tage mir gegenüber draufgehabt hatte. »Na, was denkst du? Eher Richtung Christian Bale oder doch nur Tobey Maguire?«

Ich wäre am liebsten in Freudentränen ausgebrochen und hätte geschrien: Ja! Ihr redet wieder mit mir! Aber ich schaltete meinen Verstand noch rechtzeitig ein und ging daran, einträchtig mit ihnen den Neuen zu bequatschen.

Also, sie hatten schon recht. Stark hatte was. Er war mittelgroß, nicht Quarterback-groß wie mein menschlicher Exfreund Heath oder beispiellos Superman-groß wie mein Ex-Jungvampyr-jetzt-Vampyr-Exfreund Erik. Aber klein war er auch nicht. Vielleicht ungefähr so groß wie Damien. Ein bisschen mager, aber unter seinem abgetragenen T-Shirt zeichneten sich Muskeln ab, und seine Arme waren definitiv ganz schön knackig. Seine Haare waren so zwischen blond und braun und niedlich zerzaust. Sein Gesicht konnte sich auch sehen lassen – kräftiges Kinn, gerade Nase, schöne braune Augen und ein netter Mund. Also, in Einzelteile zerlegt, hätte man Stark als ganz okay bezeichnen können. Aber als ich ihn beobachtete, wurde mir klar, woran es lag, dass er nicht nur na ja war, sondern wow: daran, dass er so selbstsicher und bestimmt wirkte. Alles, was er tat, schien er sehr bewusst zu tun und dabei auch ganz bewusst aus einer ironischen Haltung heraus. Als wäre er ganz Teil der Welt und gleichzeitig eben auch nicht.

Oh ja, es war schon komisch, dass ich das so schnell erkannte.

»Also, ich find ihn schon ziemlich süß«, sagte ich.

Da keuchte Jack auf. »Oh mein Gott! Jetzt weiß ich, wer er ist!«

»Sag bloß«, bemerkte Shaunee.

»Er ist James Stark!«, stieß Jack beschwörend aus.

Erin verdrehte die Augen. »Ach was! Jack, das wissen wir schon.«

»Nein, nein, nein! Ihr kapiert’s nicht. Er ist der James Stark! Der beste Bogenschütze der Welt! Wisst ihr nicht mehr, es war ganz groß im Internet! Letztes Jahr bei den Olympischen Spielen hat er total abgesahnt! Leute, er ist gegen erwachsene Vampyre angetreten, sogar gegen Söhne des Erebos, und er hat sie alle geschlagen! Er ist ein Star …« Jack schloss mit einem hingerissenen Seufzer.

»Oh, Mann! Tritt mir in den Hintern und nenn mich Volldepp, Zwilling! Jack hat recht!«, rief Erin.

»Ich hab’s doch gewusst – scharf in einem extremen Ausmaß!«, sagte Shaunee.

»Wow«, sagte ich nur.

»Zwilling, ich werde versuchen, diesen Hund zu mögen«, versicherte Erin.

»Aber absolut, Zwilling«, sagte Shaunee.

Natürlich starrten wir alle Stark wie verblödet an, als er mit Damien zurück an unseren Tisch kam.

»Was ist?«, fragte er mit einem Bissen Sandwich im Mund und sah zu Duchess. »Hat sie was gemacht, während ich weg war? Sie leckt manchmal ganz gern Zehen ab.«

»Igitt, wie –«, fing Erin an, brach aber ab, weil Shaunee sie unter dem Tisch gegen das Schienbein trat. »Nein, Duchess war die perfekte Dame, während du weg warst«, sagte sie mit unwahrscheinlich freundlichem Lächeln.

»Gut«, sagte Stark und setzte sich. Wir starrten ihn weiter an, und er rutschte unbehaglich auf der Bank hin und her. Wie auf ein Zeichen setzte sich Duchess ganz nah neben ihn, lehnte die Schulter an sein Bein und sah hingebungsvoll zu ihm auf. Ich bemerkte, wie er sich entspannte, als er automatisch die Hand ausstreckte und ihr die Ohren kraulte.

»Ich hab gehört, dass du die ganzen Vampyre im Bogenschießen geschlagen hast!«, platzte Jack heraus. Dann presste er die Lippen aufeinander und wurde knallrot.

Ohne von seinem Teller aufzusehen, zuckte Stark mit den Schultern. »Ja, ich bin ganz gut im Bogenschießen.«

Auch bei Damien fiel nun der Groschen. »Der Jungvampyr bist du? Ganz gut? Du bist der Hammer!«

Jetzt sah Stark auf. »Ja und? Das ist einfach was, worin ich gut bin, seit ich Gezeichnet wurde.« Sein Blick wanderte von Damien zu mir. »Apropos berühmte Jungvampyre – ich hab schon gesehen, dass es stimmt, was man sich über dein XXL-Mal erzählt.«

»Ja, es stimmt.« Ich hasste solche ersten Begegnungen. Ich fühlte mich furchtbar unwohl, wenn ich den Eindruck hatte, der andere sah nur den Über-Jungvampyr und nicht die reale Zoey in mir.

Plötzlich war es mir klar. Was ich fühlte, war vermutlich nicht weit entfernt von dem, was Stark gerade fühlte.

Ich fragte schnell das Nächstbeste, was mir einfiel, um von dem Thema loszukommen, wie ›besonders‹ er und ich waren. »Magst du Pferde?«

Das ironische Lächeln war wieder da. »Pferde?«

»Na ja, ich dachte, vielleicht bist du so’n richtiger Tierfan«, sagte ich lahm und deutete mit meinem Kinn auf seinen Hund.

»Ja, ich denk schon, dass ich Pferde mag. Ich mag die meisten Tiere. Außer Katzen.«

»Außer Katzen!«, quiekte Jack.

Stark zuckte wieder mit den Schultern. »Die hab ich noch nie richtig leiden können. Sind mir zu zickig.«

Beide Zwillinge schnaubten entrüstet.

»Katzen haben ein sehr unabhängiges Naturell«, begann Damien. Ich hörte schon den Dozententon in seiner Stimme und freute mich, dass mein Plan, das Thema zu wechseln, funktioniert hatte. »Natürlich wissen wir alle, dass man sie in vielen antiken Kulturen der Welt religiös verehrt hat, aber wusstest du auch, dass sie –«

»Äh, sorry, Leute, dass ich unterbreche«, sagte ich und stand auf, wobei ich Nala festhielt, damit sie nicht auf Duchess’ Rücken plumpste. »Aber ich muss mir vor der Ratssitzung noch anhören, was Aphrodite will. Wir sehen uns dort, okay?«

»Ja, okay.«

»Sieht so aus.«

»Bis dann.«

Immerhin – das war mehr als gar kein Abschied.

Ich lächelte Stark noch einmal freundlich zu. »War schön, dich kennenzulernen. Wenn du was für Duchess brauchst, sag mir Bescheid. Es gibt hier ganz in der Nähe einen guten Tierbedarfs-Laden. Die haben dort ein extragroßes Katzensortiment, aber ich denke, das übliche Hundezeug haben sie auf jeden Fall auch.«

»Ich sag dir Bescheid«, sagte er.

Und dann, während Damien mit seiner Katzen-sind-toll-Lektion fortfuhr, nickte er mir noch mit kaum merklichem Zwinkern zu. Es war klar, dass er mir für meinen wenig subtilen Themenwechsel danken wollte. Ich zwinkerte zurück und war schon halb zur Tür heraus, als mir auffiel, dass ich wie eine Bekloppte grinste, anstatt mir darüber Gedanken zu machen, dass ich beim letzten Mal, als ich draußen gewesen war, von irgendetwas angegriffen worden war.

Wie eine Behinderte, die Hilfe braucht, stand ich vor der großen Eichentür, die nach draußen führte. Da kam gerade eine Gruppe von den Söhnen des Erebos die Treppe vom Personalspeiseraum im ersten Stock herunter.

»Priesterin«, sagten ein paar von ihnen, als sie mich sahen, und die ganze Gruppe hielt kurz an und neigte respektvoll den Kopf, so richtig schön zackig mit der Faust auf der Bodybuilderbrust. Ich grüßte nervös zurück.

»Priesterin, erlaube mir, dir die Tür zu öffnen«, sagte einer der älteren Krieger.

»Oh, äh, danke.« Da kam mir plötzlich eine Idee, und ich fügte hinzu: »Ich dachte gerade, ob es vielleicht möglich wäre, das einer von euch mich nach drüben begleiten und mir eine Liste mit den Namen der Krieger geben könnte, die den Mädchentrakt bewachen. Ich glaube, es wäre vielleicht netter und persönlicher für alle, wenn wir wüssten, wie sie heißen.«

»Sehr aufmerksam von dir, meine Lady«, sagte der ältere Krieger, der mir immer noch die Tür aufhielt. »Es würde mich freuen, dir die Namen aufschreiben zu dürfen.«

Ich dankte ihm lächelnd. Auf dem ganzen Weg hinüber zum Mädchentrakt plauderte er höflich über die Krieger, die uns beschützen sollten, und ich nickte und machte passende Bemerkungen, während ich verstohlen immer wieder in den Nachthimmel spähte.

Nichts flatterte, und die Temperatur sank nicht. Trotzdem wurde ich das dumme, beklemmende Gefühl nicht los, beobachtet zu werden.

Vier

Ich hatte kaum nach der Türklinke gegriffen, da wurde auch schon die Tür zu meinem Zimmer aufgerissen, und Aphrodite packte mich am Handgelenk. »Beweg deinen Hintern mal ’n bisschen schneller! Mann, du bist ja lahmer als ’ne Oma mit Krückstock!« Sie zerrte mich ins Zimmer und knallte die Tür hinter uns zu.

»Ich bin nicht lahm, und du hast mir ’ne Menge zu erklären«, sagte ich. »Wie bist du hier reingekommen? Wo ist Stevie Rae? Wann ist dein Mal zurückgekommen? Was –?« Ich erstarrte mitten in meinem Fragewasserfall, weil etwas laut und eindringlich von außen an mein Fenster klopfte.

»Erstens, sei nicht bescheuert. Wir sind im House of Night, nicht im Grandhotel. Niemand schließt seine Tür ab, also bin ich einfach in dein Zimmer gelatscht. Zweitens: Stevie Rae ist genau hier.« Sie rauschte an mir vorbei zum Fenster. Ich stand sprachlos da, während sie die dicken Vorhänge zurückzog und am Griff des schweren, bleiverglasten Fensters zerrte. Sie warf mir über die Schulter einen verärgerten Blick zu. »Hey, ein bisschen Hilfe wär ganz nett.«

Völlig perplex trat ich zu ihr ans Fenster. Tatsächlich war unsere ganze Kraft nötig, um es aufzubekommen, und dann blickte ich aus dem obersten Stockwerk des alten, burgähnlichen Natursteinbauwerks nach draußen.

Die Nacht war immer noch kalt und trüb, und inzwischen war auch noch ein feiner, leichter Regen dazugekommen. In der Dunkelheit war hinter den dichten Bäumen gerade noch die Ostmauer zu erkennen. Mich überlief ein Schauer – nicht wegen des Wetters. Jungvampyren macht Kälte nicht viel aus. Nein, es war der Anblick der Ostmauer, eines mächtigen, unglückseligen Ortes. Neben mir seufzte Aphrodite, beugte sich vor und spähte an der Außenwand hinunter. »Lass den Mist und komm rein. Sonst erwischen sie dich noch, und außerdem ruiniert mir die Feuchtigkeit die Frisur.«

Ich machte mir fast in die Hose, als vor mir plötzlich Stevie Raes Kopf erschien.

»Hi, Z!«, sagte sie übermütig. »Schau mal, wie obergeil ich klettern kann.«

»Oh Mann, jetzt komm – endlich – rein!« Aphrodite packte Stevie Raes Hand und zog. Leicht wie ein Luftballon hüpfte Stevie Rae ins Zimmer. Eilig schloss Aphrodite das Fenster und zog die Vorhänge zu.

Ich klappte meinen weit offenstehenden Mund zu, konnte aber nicht anders, als Stevie Rae weiter anzustarren, die aufstand, sich die Roper-Jeans abklopfte und ihre langärmelige Bluse wieder hineinsteckte.

»Stevie Rae«, gelang es mir schließlich zu sagen. »Bist du etwa gerade außen an der Wand hochgeklettert?«

»Jep!« Sie grinste mich an und nickte so wild, dass ihre kurzen blonden Locken flogen wie bei einer durchgeknallten Cheerleaderin. »Cool, was? Das ist, als wär ich ein Teil von den Steinen, aus denen das Ding hier gebaut ist, und ich werd total schwerelos und na ja, da bin ich.« Sie breitete demonstrativ die Arme aus.

»Wie Dracula«, sagte ich und merkte erst, dass ich den Gedanken laut ausgesprochen hatte, als Stevie Rae die Stirn runzelte und fragte: »Was ist wie Dracula?«

Ich ließ mich schwer auf das Fußende meines Bettes sinken. »In Dracula – dem Buch von Bram Stoker – beschreibt Jonathan Harker, wie er Dracula an der Wand von dessen Burg runterkrabbeln sieht.«

»Oh, yeah, das krieg ich auch hin. Als du gesagt hast ›wie Dracula‹, hab ich gedacht, du meinst, dass ich ausseh wie Dracula – voll unheimlich und bleich mit grausiger Frisur und eklig langen Fingernägeln. Aber das haste nich gemeint, oder?«

»Nein! Nein, du siehst echt wirklich toll aus.« Und das war die Wahrheit. Stevie Rae sah klasse aus, vor allem verglichen damit, wie sie den ganzen letzten Monat über ausgesehen (und gerochen und sich benommen) hatte. Sie sah wieder aus wie Stevie Rae, bevor der Körper meiner besten Freundin vor fast genau einem Monat die Wandlung nicht verkraftet hatte und gestorben war – und sie dann irgendwie von den Toten auferstanden war. Aber da war sie ganz anders gewesen, gebrochen. Von ihrer Menschlichkeit war nicht mehr viel übrig gewesen, und sie war nicht die Einzige, der es so gegangen war. In den Tunnels aus der Prohibitionszeit unter dem alten, verlassenen Bahnhof von Tulsa hing eine ganze Bande ekliger untoter toter Kids herum. Fast wäre Stevie Rae zu einer von ihnen geworden – bösartig, sadistisch und gefährlich. Nur dank ihrer Affinität zur Erde, mit der sie von unserer Göttin beschenkt worden war, hatte sie noch ein bisschen an sich selbst festhalten können. Aber nicht mal das hatte gereicht. Langsam, aber sicher war sie sich entglitten. Da hatte ich mit Hilfe von Aphrodite (der Nyx auch eine Erdaffinität verliehen hatte) einen Kreis beschworen und Nyx gebeten, Stevie Rae zu heilen.

Und das hatte die Göttin auch getan, aber im ersten Moment hatte es so ausgesehen, als würde Aphrodite im Austausch gegen Stevie Raes Menschlichkeit sterben müssen. Zum Glück war das dann doch nicht so gewesen. Aphrodite war nicht gestorben, aber stattdessen war ihr Mal verschwunden, und das von Stevie Rae hatte sich auf wundersame Weise ausgefüllt und erweitert – was bedeutete, dass sie die Wandlung zum Vampyr vollendet hatte. Aber um das Chaos perfekt zu machen, war Stevie Raes Tattoo nicht saphirblau gefärbt, so wie die üblichen Vampyrtattoos. Ihr Mal war leuchtend rot – die Farbe von frischem Blut.

»Äh, hallo? Erde an Zoey? Jemand zu Hause?«, bahnte sich Aphrodites Klugscheißerton einen Weg durch mein überlastetes Gehirn. »Kümmer dich mal um deine Busenfreundin. Ich glaub, sie kriegt gerade die Krise.«

Ich blinzelte. Ich hatte Stevie Rae zwar angestarrt, aber ohne sie richtig zu sehen. Sie stand mitten im Zimmer – das unser Zimmer gewesen war, bis ihr Tod vor einem Monat alles komplett umgeschmissen hatte – und sah sich mit riesigen Augen um, in denen Tränen schwammen.

»Oh Stevie Rae. Es tut mir so leid.« Ich eilte zu ihr hin und umarmte sie. »Es ist bestimmt furchtbar für dich, wieder hier zu sein.« Sie fühlte sich seltsam steif und komisch an. Ich lockerte meine Umarmung und hielt sie so, dass ich sie anschauen konnte.

Ihr Gesichtsausdruck ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Aus dem tränenverhangenen Schock war Zorn geworden. Einen Augenblick lang war ich verwirrt, woher mir der Zorn bekannt vorkam – eigentlich wurde Stevie Rae kaum jemals wütend. Dann wusste ich es. Sie sah aus wie vorher, bevor wir den Kreis beschworen hatten und sie ihre Menschlichkeit zurückgewonnen hatte.

Ich trat einen Schritt zurück. »Stevie Rae? Was ist los?«

»Wo sind meine Sachen?« Genau wie ihr Gesicht war auch ihre Stimme einfach nur böse.

»Liebes«, sagte ich sanft. »Die Vampyre entfernen die Sachen von einem Jungvampyr immer, wenn er, äh, gestorben ist.«

Stevie Rae betrachtete mich aus zu Schlitzen verengten Augen. »Ich bin nich tot.«

Aphrodite trat neben mich. »Hey, jetzt schnapp nicht über. Denk mal nach. Die Vampyre glauben, du seist tot.«

»Aber keine Sorge«, sagte ich eilig. »Ich hab darauf bestanden, dass ich einen Teil deiner Sachen zurückkriege. Und ich weiß, wo der Rest ist. Ich kann dir alles wiederbesorgen, wenn du willst.«

Da löste sich das Böse, Finstere augenblicklich in Luft auf, und vor mir stand wieder meine beste Freundin. »Auch meine Cowboystiefellampe?«

»Ja, die auch.« Ich lächelte ihr zu. Himmel, ich hätte mich auch aufgeregt, wenn jemand mir all meine Sachen weggenommen hätte.

Aphrodite seufzte. »Man sollte doch denken, wenn jemand stirbt, könnte sich wenigstens sein fürchterlicher Anti-Style verflüchtigen. Aber nein. Deine Geschmacksverirrung ist genauso unsterblich wie du.«

»Aphrodite«, sagte Stevie Rae fest. »Nett sein.«

»Du und dein Mary-Poppins-Westernstil.«

»Hey, Mary Poppins war Engländerin. Nix Western«, sagte Stevie Rae von oben herab.

Sie klang so sehr wie früher, dass ich einen kleinen Glücksschrei ausstieß und noch einmal die Arme um sie schlang. »Ich bin so verdammt froh, dich zu sehen! Dir geht’s jetzt wirklich wieder gut, ja?«

Diesmal erwiderte sie die Umarmung. »Bisschen anders, aber gut schon, ja.«

Mich überkam eine solche Woge der Erleichterung, dass ich das bisschen anders vollkommen überhörte. Ich war einfach so froh, sie körperlich und seelisch geheilt wiederzusehen, dass ich dieses Wissen erst mal wie einen Schatz in mir bewahren musste, und dieses Bedürfnis ließ keinen Gedanken daran zu, dass vielleicht doch irgendwelche Restprobleme übriggeblieben sein könnten. Außerdem fiel mir gerade etwas ganz anderes ein. »Wartet mal«, sagte ich plötzlich. »Wie seid ihr zwei überhaupt zurück aufs Schulgelände gekommen, ohne dass die Krieger Amok gelaufen sind?«