Hund und Katze, nicht normal! - Chris Herdo - E-Book

Hund und Katze, nicht normal! E-Book

Chris Herdo

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Beschreibung

Rupp, ein American Staffordshire Terrier, wartet einsam und hungrig an einen Baum gefesselt zunächst auf seine Befreiung, dann auf seinen wohl unvermeidlichen Tod. In seiner Not schläft er ein und träumt von seiner bewegten Vergangenheit, in der er trotz seines gutmütigen Wesens zu einer Kampfhundausbildung und illegalen Wettkämpfen gezwungen wurde. Rettung naht schließlich durch Bella Luna, eine Katze, die Rupps Lebensgeister neu erweckt. Beide beschließen, einen Ort zu suchen, wo sie gemeinsam glücklich leben können. Doch eine von Tierschützern aus einem Tierheim befreite Hundebande steht Rupps Glück im Wege. Der Anführer dieser Hundebande, Little Blue Dog, hat noch eine Rechnung mit Rupp offen, die er begleichen will. Bella Luna will ihren neuen Hundefreund überreden, Little Blue Dog und seinen gefährlichen Begleitern aus dem Weg zu gehen. Als das misslingt, trennen sich die Wege der so unterschiedlichen Tiere wieder. Beide ahnen nicht, dass sie sich unter dramatischen Umständen noch einmal begegnen werden.

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Hund und Katze, nicht normal!

Chris Herdo

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Impressum

Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Besuchen Sie uns im Internet - www.herzsprung-verlag.de

© 2022 – Herzsprung-Verlag GbR

Mühlstr. 10, 88085 Langenargen

Alle Rechte vorbehalten. Taschenbuchauflage erschienen 2022.

Cover gestaltet mit Bildern: © NilsZ, © Vincent und © FurryFritz,

alle Adobe Stock lizenziert

Lektorat + Herstellung: CAT creativ - www.cat-creativ.at

ISBN: 978-3-98627-030-8 - Taschenbuch

ISBN: 978-3-98627-031-5- E-Book

*

Inhalt

Jedem Ende folgt ein Anfang

Vorsicht geboten

Es wird brenzlig

Der Blutkampf

Bella Luna kommt zurück

Rupp hat ein Zuhause

Das Wiedersehen

Der letzte Kampf

Was Bella voraussah

*

Jedem Ende folgt ein Anfang

„Ein American Staffordshire Terrier jammert nicht“, dachte Rupp und besah sich mit schmerzverzerrtem Gesicht zum hundertsten Mal seine klaffende und entzündete Wunde auf der linken Schulter. Seit Tagen wollte sie nicht heilen und brannte entsetzlich.

In der Ferne hörte er ein Auto heranpreschen. Dessen Reifen quietschten, als es durch die Kurve raste. Der geschwächte Hund richtete sich auf, lief mit breiter Brust bis an den Fahrbahnrand und wedelte aufgeregt mit seinem Schwanz hin und her. Rupp hoffte, von den Menschen in diesem Auto gesehen zu werden. „Es wäre so schön, wenn endlich jemand anhielte und mir die Freiheit schenkte“, dachte er. Eine liebe Familie, die er beschützen könne, müsste es sein. Wie oft hatte Rupp in den Tagen seiner Gefangenschaft diesen Traum geträumt?

Dann aber schien ein Wunder wahr zu werden, denn das Auto bremste ab, wurde langsamer und hielt am Straßenrand an. Der American Staffordshire Terrier tänzelte ungeduldig auf seinen Pfoten. Er sah vor seinem geistigen Auge, wie er ihren Hof bewachte, sah, wie er mit ins Haus durfte und wie er mit den Kindern im Wald herumtobten konnte.

Ein Mann mit dem Bauch eines Bierfasses zwängte sich auf der Fahrerseite zur Autotür heraus. Gleichzeitig wurden die beiden hinteren Türen aufgestoßen und ein Junge und ein Mädchen stiegen aus. Unter ihren Anoraks schienen auch sie Bierfässer zu verbergen, nur etwas kleinere.

Der dicke Mann, Rupp vermutete, dass das der Vater der beiden Kinder war, lief voran. „Na, Hund, wie ist das so, wenn man angebunden ist?“, rief er aus einiger Entfernung.

„Vorsicht, Paps, du hast gehört, was Mutter gesagt hat!“, warnte das Mädchen ihren Vater. „Das ist ein Kampfhund!“

Rupp horchte auf. Er hasste dieses Wort wie kein anderes. „Es gibt keine Kampfhunde!“, knurrte er leise. „Es gibt nur kräftige Hunde, die von dummen Menschen zu Killern erzogen werden. Kein Hund kommt als Kampfhund auf die Welt!“ Wer konnte das besser wissen als er selbst?

„Der kann uns nichts tun!“, schnaufte der dicke Vater.

„Hier, Paps!“, sagte der Junge und zog aus dem Straßengraben einen abgebrochenen Ast, der einst zu einem der vielen, an der Straße stehenden Apfelbäume gehört haben musste.

„Lass nur, mein Sohn, die Bestie ist angebunden. Wir sehen uns die mal aus der Nähe an!“

Rupp verstand gar nichts mehr. Wieso nannten diese Leute ihn einen Kampfhund? Und wieso beschimpften sie ihn als Bestie? Sie kannten ihn doch gar nicht. Er hatte weder den Mann noch dessen Kinder jemals in seinem Leben gesehen. Das wusste er genau. Auf sein Gedächtnis konnte er sich verlassen. Rupp wusste, dass er noch nie einem Menschen ein Leid zugefügt hatte. Sein altes Herrchen hatte ihn streng erzogen, war aber auch immer nett zu ihm gewesen. Rupp hatte es viel Spaß bereitet, dessen Anweisungen zu folgen. Es glich einem Spiel. Sie waren nicht nur Herrchen und Hund, sie waren Freunde, die sich gegenseitig achteten und die sich zu jeder Zeit aufeinander verlassen konnten.

Der dicke Mann und seine dicken Kinder kamen immer näher. Was wollten sie von ihm? Rupp ängstigte sich und begann, am ganzen Körper zu zittern.

„Na, du Bestie! Wie viele Menschen hast du schon gebissen? Hast du schon einen zerfleischt?“ Der Mann grinste, sodass seine Mundwinkel zu seinen großen, roten Ohren krochen. „Wer hat dir die gerechte Strafe auferlegt und hat dich hier angebunden? Geschieht dir ganz recht, du Bestie!“

„Hier, Paps, nimm den Ast!“, sagte erneut der Junge und hielt seinem Vater den Ast hin.

„Den brauche ich nicht!“, maulte der Mann und spuckte zu dem Hund.

Die Kinder kicherten.

Rupp, der den Baum, an den er angebunden worden war, schon tausendmal verflucht hatte, war in diesem Augenblick froh, dass es ihn gab und er sich hinter ihm verstecken konnte.

Der Junge fuchtelte mit dem Ast vor der Nase des American Staffordshire Terriers herum. Jedoch gelang es dem Hund, mit seinem durchtrainierten Körper geschickt diesem auszuweichen.

Das Mädchen nahm seinen Kaugummi aus dem Mund und warf nach dem verängstigten Tier, als vom Auto her eine Frauenstimme zu hören war. Sie rief, dass es Zeit wäre, endlich weiterzufahren. Der Köter würde schon irgendwann verhungern.

„Dich sollte man einschläfern!“, zischte der Mann, bevor er sich endlich von Rupp abwendete. Schnaufend schleppte er seinen dicken Körper zum Auto. Dabei stieß er riesige Atemwolken aus.

Das Mädchen streckte Rupp die Zunge raus und zog dazu eine hässliche Grimasse, bevor sie ihrem Vater folgte. Der Junge indessen hielt den Ast wie einen Speer, zielte und warf ihn in Rupps Richtung. Der konnte sich durch einen kleinen Sprung noch rechtzeitig in Sicherheit bringen. Mit aufheulendem Motor fuhr das Auto mit den Menschen davon. Es wurde auf der langen Landstraße immer kleiner, schrumpfte zu einem immer winziger werdenden Punkt, bis es von Rupps scharfen Augen nicht mehr gesehen werden konnte.

Der American Staffordshire Terrier schüttelte sich und legte sich hinter den Baum. Er drückte sich fest an den harten Boden. Sein Magen rumorte vor Hunger. Rupp war traurig und fror. So blieb er liegen, schloss seine Augen und bemerkte gar nicht, wie sich der Tag verabschiedete und die Nacht ihren Sternenteppich über ihn ausbreitete.

Rupp sah nicht einmal mehr auf, wenn er ein Auto hörte. Im Gegenteil, er drückte sich nur noch dichter an den kalten, harten Erdboden. Er wünschte sich nur eins: einschlafen und nie wieder aufwachen. Doch zu sterben war genauso schwer, wie am Leben zu bleiben.

In seinem Kopf spukten wilde Gedanken herum. Bilder taten sich auf. Solche, die er schon fast vergessen hatte, und solche, die ihm vorkamen, als hätte er sie erst gestern gesehen. Rupp schlief erschöpft ein.

Plötzlich sah er, wie sein altes Herrchen ihn als kleinen Welpen in einem Körbchen von einem Züchter zu sich nach Hause holte. Sein alter Herr hatte ihm einmal gesagt, dass seine Frau gestorben sei, er aber nicht alleine leben wolle und auch nicht alleine leben könne. Viele Jahre während seiner Ehe hatte er sich einen Sohn gewünscht. Dieser hätte Rupert heißen sollen. Doch seine Frau konnte keine Kinder bekommen. Irgendwann hatten sie sich damit abgefunden. Sein Herrchen überlegte, wie er den Welpen nennen sollte. Er hielt Rupert als Name für einen Hund ungeeignet. Außerdem könne ein Hund kein Kind ersetzen. Jedoch Rupp, das klänge gut und würde irgendwie zu dem kurzhaarigen, goldbraunen, fast kupferfarbenen Welpen mit dem weißen Lätzchen passen.

Rupps Herrchen war immer streng, aber auch immer gut zu ihm gewesen. Er brachte dem jungen American Staffordshire Terrier alle Kommandos bei, die ein gut abgerichteter Hund befolgen können solle. Rupp lernte, sich bei dem Kommando Platz auf seine Pfoten zu legen, beim Kommando Sitz zu sitzen und bei dem Wort Bring zu holen, was sein Herrchen weit weggeworfen hatte. Rupp ließ den apportierten Gegenstand aus seiner Schnauze fallen, wenn sein Herrchen das Wort Aus sagte.

Rupp lernte aber auch, Hindernisse zu überspringen und mit seiner Nase einen Gegenstand aufzuspüren, den sein alter Herr zuvor versteckt hatte. Ihm wurde beigebracht, nicht zu reagieren, wenn ihn ein anderer Hund anbellte oder ihn ein Mensch anbrüllte. Der junge Hund lernte auch, keinen noch so verführerischen Leckerbissen von einem Fremden anzunehmen. Damit Rupp sich nicht so einsam vorkam, kaufte der alte Herr bei einem Züchter noch einen weiteren American Staffordshire Terrier-Welpen, ein Weibchen. Ihr gab der alte Mann den Namen Elise, so wie sein Lieblingsklavierstück hieß, das er sehr oft hörte.

Rupp und Elise vertrugen sich von Anfang an sehr gut miteinander. Der Rüde mochte die Hündin sehr, fühlte sich wie ihr älterer Bruder.

Der alte Mann, Rupp und Elise verbrachten viele Stunden in der Natur. Die jungen Hunde tobten auf saftig grünen Waldwiesen durch den nahen Buchenhain und absolvierten täglich ihr Pensum auf dem Hundeübungsplatz. Es war die schönste Zeit in Rupps Leben.

Doch kann es nicht immer nur sonnige Zeiten geben. Für niemanden auf dieser Welt. Auch nicht im Leben eines Hundes. So kam es, wie es einmal kommen musste, jedoch für den jungen Rupp und für die kleine Elise viel zu früh: Ihr Herrchen, das schon sehr alt war, lag eines Morgens in seinem Bett und atmete nicht mehr. Die beiden American Staffordshire Terrier wussten sofort, was passiert war.

Der Nachbar ihres Herrchens brachte die jungen Hunde in ein Tierheim. Das war schon schlimm genug für Rupp. Doch sollte es noch schlimmer kommen. Weil das Tierheim aus allen Zäunen platzte, wurde Elise in ein anderes Tierheim gebracht. Ihren traurigen Blick bei ihrer Trennung würde Rupp bis an sein Lebensende nicht vergessen. Seit diesem Tag hatte er seine Elise nicht wiedergesehen, aber täglich an die junge American Staffordshire Terrierhündin gedacht.

Rupp erwachte durch das Gekrächz einer aufgeschreckten Krähenkolonie. Er öffnete seine Augen und richtete sich auf. In weiter Entfernung von der Landstraße, in einem Tal, lief eine Gruppe Männer über einen Acker, der noch von zahlreichen kleinen, schmutzigen Schneeinseln bedeckt war. Die Männer schwangen Knüppel und brüllten um die Wette. Was sie riefen, konnte Rupp nicht verstehen.

Er wollte laut bellen, um so ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Doch plötzlich fiel ihm wieder ein, dass Vorsicht geboten war. Rupp erinnerte sich an das gestrige Ereignis, als er wieder einmal erleben musste, dass nicht alle Menschen gut waren. Dass nicht alle Menschen schlecht waren, hatte er schon sehr früh durch sein altes Herrchen bewiesen bekommen.

Der American Staffordshire Terrier legte sich hinter den blattlosen Apfelbaum, an den er angebunden worden war, und presste seinen Körper auf den Boden. Rupp fror, obwohl die Tage deutlich länger wurden, die ersten Vögel aus ihren warmen Winterquartieren zurückgekehrt waren und ihre schönsten Frühlingslieder übers Land trillerten. In den Nächten jedoch gab es immer noch Frost.

Rupp ließ die Männer nicht aus seinen Augen, bis sie im bewaldeten Berg hinter dem Acker verschwanden. Er wusste nicht mehr, was er tun sollte. Vergeblich versuchte er noch einmal, sich von dem Baum loszureißen. Doch der dicke Strick um seinen Hals hielt. Von nun an versteckte sich Rupp hinter dem Baum und presste sich auf den gefrorenen Erdboden, wenn sich in der Ferne Autos ankündigten.

So verging auch dieser Tag für Rupp. Was blieb, war sein Hunger. Wie lange würde er noch ohne Nahrung überleben können? Die nächste Nacht brach herein und der Hund konnte lange Zeit nicht einschlafen. Sein Magen verkrampfte sich, peinigte Rupp mit starken Schmerzen und hinderte ihn so am Einschlafen. Als die letzte Stunde des Tages anbrach, übermannte der Schlaf doch noch Rupps geschwächten Körper.

Im Schlaf sah er sich, wie er im Tierheim einst durch die Gitterstäbe seines Käfigs zu einem strahlend blauen Himmel starrte. Die Sonne gab sich besonders viel Mühe an diesem Tag. Die Angestellten des Tierheimes mussten mehr als sonst die Blumenrabatten gießen. Sie mussten auch die Tiere mit mehr frischem Wasser versorgen. Rupp hoffte seit unzähligen Tagen im Tierheim, es möge ein guter Mensch kommen, so einer wie sein alter Herr es gewesen war, und ihn zu sich nach Hause holen.

Nur eine Woche später, es war wieder ein sonnendurchfluteter Sommertag, sollte sich Rupps sehnlichster Wunsch erfüllen. Ein maulfauler, vierschrötiger Mitarbeiter des Tierheimes schob um die Mittagszeit schweigend Rupp den Futternapf mit einem fleischähnlichen Brei in den Käfig. Der junge Hund hatte den Napf noch nicht ganz leer gefressen, als er Stimmen hörte, die er noch nicht kannte. Sie drangen immer näher an seine Ohren. Plötzlich standen die immer lächelnde Frau vom Tierheim und zwei ihm unbekannte Männer vor seinem Käfig. Bei der Frau war er einst vom Nachbarn seines alten Herrchens abgegeben worden.

„Schau mal, du kleiner Racker, hier sind zwei junge Männer, die dich gerne mitnehmen würden! Da musst du dich jetzt mal von deiner besten Seite zeigen!“

Die zwei Männer mit sehr kurzen Haaren grinsten durch die Gitterstäbe. „Na endlich, das ist ja ein Hündchen, wie wir es schon lange suchen“, sagte der große, etwas dünnere Mann zu dem kleinen, etwas dickeren, der mit offenem Mund auf einen Kaugummi schmatzend herumkaute.

„Genau, der ist noch jung genug, um zu kapieren, was wir von ihm wollen“, nuschelte der kleine Dicke.

Rupp gehörte von diesem Tag an den beiden jungen Männern. Schnell erkannte der American Staffordshire Terrier, wer von den beiden das Sagen hatte. Von seinen beiden Besitzern war der große, etwas dünnere Mann der Anführer.

Rupp schien es wieder gut zu gehen. Schnell vergaß er die vielen Tage hinter dem Maschendraht seines Käfigs im Tierheim. Einsam zu sein, war schlimm. Noch schlimmer aber war es, einsam und eingesperrt zu sein. Das neue Zuhause war zwar auch nur ein Käfig, aber viel größer und mit einer geräumigen Hütte darin. Und er durfte seinen Käfig viel häufiger verlassen als den im Tierheim. Rupp konnte mit seinen Besitzern in deren großen Garten hinterm Haus herumtoben und beweisen, wie schnell er war. Der junge Hund war froh darüber, gutes Futter und vor allem viel schmackhaftes, mageres Fleisch gefüttert zu bekommen. Immer wieder erhielt er auch Rinderknochen, an den genug saftiges Fleisch hing, das er abknabbern konnte. Doch am schönsten war es für den American Staffordshire Terrier, wenn er in den Garten gelassen wurde – ohne Leine, ohne Maulkorb. Rupp glaubte, im Paradies zu sein und die besten Besitzer bekommen zu haben, die es auf der Welt gab.

So verblassten allmählich auch die wehmütigen Gedanken an sein altes Herrchen, ohne jedoch völlig aus seinem Gedächtnis zu verschwinden. Nach einiger Zeit schien sich sein Glück noch einmal zu steigern. Der American Staffordshire Terrier durfte plötzlich nicht mehr nur im Garten herumtoben, sondern auch in der Natur. Dazu fuhren die Männer mit ihm öfters, egal, ob es regnete, stürmte oder die Sonne brannte, mit ihrem Jeep tief in den Wald hinein zu einer versteckt liegenden Lichtung. Die dortige große Wiese wurde zu Rupps Lieblingsplatz.

Der junge Hund apportierte seinen Besitzern dicke, kurze Eisenstangen. Außerdem sprang er nach kleinen Fleischstücken, die von den beiden Männern an Äste gebunden wurden. Von Mal zu Mal wurden die kleinen Leckerbissen höher an den Bäumen befestigt. Doch Rupp entwickelte großen Ehrgeiz, alle ihm gestellten Aufgaben so gut wie möglich zu erledigen.

Eines Tages begann sich der American Staffordshire Terrier über die Aufgaben zu wundern, die ihm seine Besitzer stellten. Sie hetzten ihn auf einen mit Rinderblut beschmierten Stoffhund, der an einem Ast eines Baumes hing. Um die jungen Männer nicht zu verärgern, tat er, was sie von ihm verlangten, und Sekunden später hatte Rupp den Stoffhund zerfetzt. Überall lagen künstliches Fell und Strohwolle herum.

Rupp war verblüfft, weil er dafür sehr gelobt wurde. Lachend prophezeiten ihm die jungen Männer, dass er ihnen einmal sehr viel Geld einbringen würde.

In den nächsten Tagen musste Rupp gegen einen Mann kämpfen, der in einem gepolsterten Anzug steckte. Der American Staffordshire Terrier fand das merkwürdig. Warum sollte er gegen einen Mann kämpfen, der ihm nichts getan hatte? Nach kurzem Sprint brachte er den Gegner mühelos zu Fall.

Rupp entwickelte sich zu einem muskulösen Hund mit einem kräftigen Kiefer, einem breiten, starken Nacken und einer enormen Sprungkraft. Allein durch seine Statur musste er keinen Gegner fürchten.

Oft lag er abends in seinem geräumigen, mit Stroh ausgelegten Zwinger und dachte über sein Leben nach. So glücklich wie in den ersten Tagen und Wochen war er nicht mehr. Das lag vor allem daran, dass er noch nicht wusste, warum er so hart trainieren musste und wieso er einmal viel Geld einbringen würde. Beklagen konnte er sich aber auch nicht. Die beiden jungen Männer gaben ihm reichlich und abwechslungsreiches Futter und mehrmals täglich frisches Wasser.

Nach einiger Zeit, die Sonne war längst nicht mehr so kräftig und verabschiedete sich auch viel früher als noch vor wenigen Wochen, fuhren seine Besitzer mit Rupp sehr weit fort. Wie weit, wusste der American Staffordshire Terrier nicht, aber es dauerte sehr lange, bis der Jeep anhielt. Auf dem Hof eines Fabrikgeländes suchte der kleine Dicke nach einer Parklücke. Unzählig viele Autos standen bereits dort. Aus einer der vier flachen Fabrikhallen hörte Rupp lautes Hundegebell.

„Was wird mich hier erwarten?“, überlegte er. Konnte er endlich mit anderen Hunden herumtoben?

Seine Besitzer legte ihm die Leine an und gingen mit Rupp in die Fabrikhalle. Ein Menschenpulk hatte sich in der Mitte der leeren Halle versammelt. In mehreren Kreisen standen sie um etwas, was Rupp nicht erkennen konnte. Nur lautes Hundegebell, lautes Gegröle und Geschrei der Menschen drang an seine Ohren.

Plötzlich schrie etwas in sehr hohen Tönen auf. Es übertönte sogar noch den Lärm, der zuvor die Halle ausgefüllt hatte. Mit einem Male wurde es ruhiger. Die Menschen bildeten eine Gasse zur Mitte. Von dort aus wurde von mehreren Männern ein blutender Hund fortgetragen. Rupp hörte, wie sie ihn lobten, er wäre der Champion!

Der American Staffordshire Terrier sah mit Schaudern den übel zugerichteten Hund. Er empfand Mitleid mit ihm. Wer hatte ihn so zugerichtet? Wie ein Champion sah er wirklich nicht aus.

Einige Augenblicke später wurde ein weiterer Hund aus der Halle gebracht. Ihn schleiften zwei Männer an den Hinterpfoten über den kalten Beton. Eine Blutspur blieb zurück. Der Hund war tot.

Rupp wusste nun, was sich hier ereignet hatte. Sollte er auch an diesen Kämpfen teilnehmen müssen? Niemals würde er grundlos gegen einen anderen Hund kämpfen.

Rupps Körper jaulte auf und zuckte dabei wie vom Blitz getroffen. Wie oft hatte ihn schon dieser Traum aus seiner Vergangenheit gequält? Der American Staffordshire Terrier wälzte sich auf dem gefrorenen Boden herum und winselte wie ein geprügelter Hund.

Von irgendwoher hörte Rupp plötzlich eine weibliche Stimme. Sie drang immer deutlicher an seine Ohren. Es war kein Traum mehr. Noch benommen öffnete er seine Augen. Nur einige Sekunden später war er hellwach. In diesem Augenblick wusste er, dass er noch an den Baum gebunden war und er alles nur geträumt hatte.

Doch was war das?

Vor ihm stand in sicherer Entfernung eine Katze, die ihren getigerten Kopf mit zwei kleinen schwarzen Fleckchen auf der Stirn hin und her wiegte. Sie schien aus der Entfernung fast nur getigertes Fell zu haben. Außer den Fleck auf der Stirn konnte Rupp nur noch erkennen, dass ihre Pfotenspitzen weiß waren.

„Na, Hündchen, von einer Mieze geträumt?“, knurrte sie.

„Lass mich in Ruhe! Verschwinde!“ Rupp hatte noch nie eine Auseinandersetzung mit einer Katze gehabt. Er ignorierte Katzen. Er hasste sie nicht, wie man es von einem Hund annehmen konnte. Jedoch gab es auch keinen Grund für ihn, Katzen sonderlich zu mögen. Warum er aber gerade diese Katze nicht mochte, war etwas anderes: Die Tatsache, an einen Baum gebunden zu sein, irgendwie hilflos, war für ihn als Hund eine große Schande. Es war einfach so, dass er sich seiner misslichen Lage wegen schämte.

Die Katze tippelte einige Schritte auf Rupp zu. „Warum so aggressiv, Süßer? Du machst mir keine Angst, du stillgelegtes Kampfhündchen!“

Das war zu viel! Rupp sprang wütend der Katze entgegen. Dabei vergaß er den Strick an seinem Hals. Doch ein starker, würgender Schmerz erinnerte ihn sofort wieder daran. Der American Staffordshire Terrier schäumte vor Wut und bellte wie nie in seinem Leben zuvor. Es musste bis in den nächsten Ort zu hören gewesen sein. Wäre die Katze von ihm erwischt worden, wäre es ihr nicht gut ergangen. Doch so konnte er nur bellen.

Plötzlich machte die Katze einen Buckel und ihr schönes Fell sträubte sich in alle Himmelsrichtungen, dann setzte sie zu einem Sprung an. Rupp konnte gar nicht so schnell reagieren. Die fauchende Katze landete direkt vor seiner Schnauze. Bevor er sich versah, bekam er ihre Pfoten in seinem Gesicht zu spüren. Schmerzlich fühlte der American Staffordshire Terrier, wie ihm messerscharfe Krallen dicht an seiner Nase vorbei über seine Wange zogen. Noch bevor er nach der Katze schnappen konnte, sprang sie zurück in sichere Entfernung. Immer noch fauchte sie wie tollwütig – und er bellte, als ginge es um sein Leben. So dauerte es eine ganze Weile, bis sie nach und nach leiser wurden und schließlich verstummten.

Rupps Wange brannte und ihm wurde schwarz vor Augen. Kraftlos und erschöpft sackte er zu Boden. Es waren bereits drei oder vier Tage vergangen, an denen er nichts gefressen hatte.

„He, Hündchen, was ist mit dir?“, fragte die Katze. „Komm, wach auf und lass uns Frieden schließen.“

Als Rupp endlich seine Augen öffnen konnte, stand die Katze neben ihm. Er war zu schwach, um sich sofort auf sie zu stürzen, was sie wohl spürte. „Was willst du noch hier?“, keuchte der American Staffordshire Terrier. „Du siehst doch, wie es mir geht. Spar dir deine Häme.“

„Jammer nicht rum!“, entgegnete ihm die Katze. „Warum haben wir uns benommen wie Todfeinde? Wir kennen uns doch gar nicht!“

„Das liegt vielleicht an unserer Herkunft“, vermutete Rupp. „Wir haben uns verhalten wie Hund und Katze! Es muss vielleicht so sein, dass wir Hunde euch hassen.“

„Das liegt höchstwahrscheinlich an unserer Überlegenheit euch gegenüber! Es ist nichts als der pure Neid!“, miaute die Katze und grinste schelmisch.

„Ich bin zu schwach, um mit dir über die Dinge des Lebens zu diskutieren. Nur eins noch: Wieso behauptest du, ihr Zwergtiger wäret uns überlegen?“

Die Katze hatte einen kleinen, glitzernden Granitstein gefunden. Daran wetzte sie sich gelangweilt ihre Krallen. „Glaubst du, Hündchen, dass wir Katzen uns den Menschen so unterwerfen würden, wie ihr es tut? Hast du schon einmal gesehen, dass eine Katze einem Menschen ein Stöckchen holt, das dieser weggeworfen hat? Niemals. Wer sind wir denn? Mir sind übrigens die Menschen egal. Dazu habe ich zu viel erlebt. Jedoch, es soll auch einige meiner Artgenossen geben, das gebe ich zu, die gut mit ihnen zusammenleben können. Dabei würden sie aber niemals ihre natürliche Identität aufgeben. Nicht so wie es alle Hunde tun!“

„Aber wir, wir Hunde, stammen vom kräftigen, schlauen Wolf ab. Ist dir das klar?“

Die Katze kicherte und schüttelte ihr Köpfchen. „Was ist denn vom Wolf in euch übrig geblieben? Das Einzige, was ich wüsste, wäre das Schwanzwedeln! Das ist aber auch schon alles!“

„Ich bin zu schwach, um zu streiten“, stöhnte Rupp. „Bitte geh jetzt. Ich möchte in Ruhe sterben. Schließlich ist es mein Schicksal, hier zu verhungern!“

Seine dunklen Augen sahen müde aus und sein Blick wirkte leer. „Sag mir noch, wie du heißt! Du bist vermutlich das letzte Lebewesen, mit dem ich gesprochen haben werde.“

Die schlanke Katze rieb sich ihre rechte Pfote an ihrem getigerten Brustfell und besah sich ihre gefeilten Krallen. „Ich heiße Bella Luna!“

„Was ist das denn für ein Name?“, knurrte Rupp.

„Wie heißt du denn?“

„Ich heiße Rupp. Das ist wenigstens ein ordentlicher Name. Aber Bella Luna …“

„Hör zu, Hündchen!“

„Nenn mich bitte nicht Hündchen. Das ist so erniedrigend. Ich sagte dir doch, wie ich heiße!“

„Na gut, Hündchen, ’schuldigung, Rupp. Bella Luna ist mein Künstlername.“

Rupp verdrehte seine Augen. „Wieso hast du dir einen Künstlernamen zugelegt? Und was für eine Kunst betreibst du denn?“

„Ich bin Hellseherin. Ich kann viele Dinge vorhersehen. Und der Name Bella Luna, fand ich, passt gut zu mir. Das kommt aus dem Italienischen und bedeutet so viel wie schöner Mond. Erstens bin ich nun wirklich nicht hässlich und zweitens erblickte ich das Licht dieser Welt in einer lauen Vollmondnacht. Das jedenfalls hat mir meine Mama gesagt. Natürlich hatte ich auch mal einen richtigen Rufnamen. Auf den kann ich aber gut und gerne verzichten.“

„Warum hast du den denn nicht behalten?“, fragte Rupp, der seinen Hunger fast vergessen hatte und immer noch nicht richtig verstand, warum sich jemand einen Künstlernamen zulegen musste.

„Möchtest du von jedermann Muschi gerufen werden? Also ich kenne ein Dutzend Katzen, die auf den Namen Muschi hören müssen. Eins ist aber sicher: Darunter befindet sich nicht eine, die auf diesen Namen stolz wäre. So, Rupp, was soll nun werden? Ich kann dich doch nicht hier zurücklassen. Ich muss aber weiter. Mich zieht es in die nächste Stadt. Dort wird sich eine Bleibe und etwas Fressbares finden. Das habe ich deutlich vorausgesehen.“

„Lass mich in Ruhe sterben. Lebe wohl, Bella Luna!“

„Wie alt bist du eigentlich?“, fragte die Katze.

„Fünf Hundejahre alt! Alt genug zum Sterben.“

„Umgerechnet in Menschenjahren wären das ungefähr fünfunddreißig Jahre! Da hast du noch die Hälfte deines Lebens vor dir! Zeit genug, noch etwas aus deinem Leben zu machen!“

„Ich werde den Rest meines Lebens hier an einen Baum gebunden auf meinen Tod warten!“

„Hör doch mal, Hündchen, entschuldige, ich vergesse immer wieder deinen Namen. Also, Rupp, ich könnte dich von dem Strick befreien und wir ziehen dann gemeinsam in die nächste Stadt.“

„Wie willst du mich denn befreien?“, fragte der Hund und schüttelte ungläubig seinen Kopf. „Und wenn uns jemand sieht: Hund und Katze, nicht normal!“

„Mir ist immer egal, was andere denken, wenn ich mich für das, was ich tue, nicht vor mir selber schämen muss. Lass uns eine Symbiose bilden!“, miaute sie und ihre Augen bekamen einen merkwürdigen Glanz. „Ich habe vorausgesehen, dass ich mit einem stattlichen Begleiter in einer Stadt einem angenehmen Leben entgegengehen werde.“

„Was ist, bitteschön, eine Symbiose?“, fragte Rupp und sein Blick sah aus, als hätte jemand versucht, ihn statt mit Hundefutter mit einer Katzenmahlzeit abzuspeisen.

„Eine Symbiose ist eine Zweckgemeinschaft! Wie kann ich dir das besser verständlich machen? Ich vergesse immer wieder, dass ich es mit einem Schwanzwedler zu tun habe.“

Rupp räusperte sich. Diese Katze sollte ihn bloß nicht provozieren.

„Also, wir bilden eine Gemeinschaft zum gegenseitigen Vorteil“, versuchte sie, ihm zu erklären. „Ich nütze dir und du nützt mir! Ganz einfach!“

„Zu was könntest du mir nützen? Und zu was ich dir?“ Rupp verstand nicht richtig.

„Ich bin unser Gehirn und du bist unsere Muskeln. Du siehst aus, als gäbe es nicht viele Hunde, die sich mit dir anlegen würden. Ich meine, wenn du mal wieder etwas auf die Rippen bekommen hast. Darum werde ich mich in der nächsten Stadt kümmern. Du musst mir nur vertrauen. Trotzdessen ich eine Katze bin.“

„Du bist unser Gehirn?“, wiederholte Rupp. „Mich hältst du wohl für vollkommen verblödet?“

„Nein, Rupp, niemand ist vollkommen, du auch nicht. Tut mir leid, aber du bist nun mal ein Hund. Lass uns nicht mehr davon reden. Es wird bald richtig hell und wir müssen von hier verschwinden! Außerdem ist es für dich in der Gegend gefährlicher als für mich. Selbst wenn du nicht angebunden wärst.“

„Wieso ist es für mich gefährlicher?“, erkundigte sich Rupp.

Die Katze sah sich um. „Vor drei Tagen haben ein paar Menschen, sie nannten sich Tierschützer, nachts in einem Tierheim alle Käfige geöffnet und uns alle freigelassen. Ja, du hast richtig gehört: Ich war in einem Tierheim. Über die Gründe zu reden, ist jetzt keine Zeit. Jedenfalls wurden die meisten Insassen wieder eingefangen. Nur eine Meute Kampfhunde haben sie nicht wieder einsperren können. Natürlich auch nicht jede Katze. Bella Luna ist nämlich klug, eben Katze! Und du bist deshalb gefährdet, weil dich jeder für einen dieser entflohenen Kampfhunde hält.“

„Es gibt keine Kampfhunde!“, protestierte Rupp. „Es gibt nur …“

„Lass dein Geheule, ich weiß das. Wenn ich Kampfhunde sage, dieses hässliche, von Menschen erfundene Wort verwende, dann weißt du doch, welche deiner Artgenossen ich meine. Und du als American Staffordshire Terrier gehörst nun mal zu diesen sogenannten Kampfhunden. Klar?“

Rupp dachte an die Männer, die laut grölend über das Feld gezogen waren. Sicher suchten sie nach diesen Hunden. Also hatte er richtig gehandelt, als er sich vor ihnen versteckte, statt auf sich aufmerksam zu machen.

„Alles klar, du kluge Katze! Was schlägst du nun vor?“

„Erst einmal werde ich dich befreien. Das hat was, findest du nicht auch: Liebes, kleines Schmusekätzchen befreit gefährlichen Kampfhund vom Strick!“

Rupp knurrte und ließ seine Zähne zum Vorschein kommen.

„Ej, Hundi, sieh das nicht alles so verbissen.

---ENDE DER LESEPROBE---