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"Vor anderthalb Jahren haben wir bei einem recht ordentlichen Begräbnis das WIE zu Grabe getragen." Und jetzt sind wir im Nu im Bild. In Zsuzsanna Gahses Hundertundein Stillleben. Was da (geschrieben) steht, das steht nicht still, schon gar nicht das Leben. Im Augenschein, im Augenlicht kriegt alles seinen Rand und seine Dauer, wächst zum Bild. "Der Augenblick ist das Stillleben, mein Herz, Aufgehoben sein oder nicht aufgehoben sein, den Augenblick kümmert es wenig, so ist das eben." Dieses Prosabuch ist ein Buch des Belebens, nicht des Belehrens, des Verdichtens, nicht des Verklärens – es ist kein Buch vom stillen Leben, wohl vom gelösten, vom luftigen. Sehensweisen. Also: "Luftanhalten ist das Wichtigste, der Nachmittag wächst immer irgendwohin, das Stillleben liegt im Bett, wo sonst; "die Äpfel rollen vom Tisch ins Feld … Als die Bilder laufen lernten, kam der Film zur Welt, aufgeschrieben bleiben sie (be)stehen. Dieser Blick, allen Büchern Zsuzsanna Gahses eigen, zählt nicht, er wiegt, das eine Bild wiegt Bilderfluten auf. Es geht nicht um Stimmungen, es geht um die Stimmung des Gefühls (der Lesenden). Die Stillleben versprechen nichts. "Ein Augenblick im Leben vergeht. Mal ihn", sagte Cezanne und tat es. Und Zsuzsanna Gahse schrieb Hundertundein Stillleben, Wort für Wort Stillleben. "Auf das Soeben kommt es an, das ist es. Länger oder kürzer unentwegt soeben."
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Seitenzahl: 111
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Stillleben, anlässlich meines Todes
Noch still
Mit Robert
Still leben
Fünftes Stillleben
Stillleben
Stillleben mit Rebhuhn
Natürlich
Grün mit Anna und Hanna
Mit dem Messer
Ein Freund
Am Nachmittag
Mohn
Amalie und Friederike
Am Nachmittag
Ähnlich
Knabenkraut
Die Blumen
Sagen Sie
Weiß
Der Zweig
Rot
Abendbesuch
Lilien
Zehn Kilogramm
Bild mit Pfeffer
Notiz
Stachelig
Das Wasser
Früchte
Der gute Braten
Glück
Am Nachmittag
Iris
Rose
Stillleben
Ein Apfelgericht
Blumen und Früchte
Natura Morta
Natura Morta
Der erste März
Der erste März
Die Ente
Notiz
Melonen
Iris
Dann sterben sie
Zu Grabe getragen
Jener holländische Maler
Um sieben Uhr
Nummer 52
Nummer 53
Soeben
am nachmittag
Nach zehn Tagen
Alles
Geschenkt
Sammlung
Mehrzahl
Die Vase
Der Tisch
Oh
Wasser
Dann kam Alice
Silber, Silber
Ein Stück
Notiz
Notiz
Anflehung
Sieben Uhr
Zählte morgens
Nummer 71: Hommage
Urwald
Gegen Mittag
Kalbsknochen
Das Rad
Reichenauer Apfel
Wortstillleben
Recht
Johannisbeeren
Fortlaufend
Nummer 81
Ohne Titel
Notiz über das Rad
Süß
Morgengabe
Apfel, m.
Stillleben für Alice
Gamos
Immortelle
Fortlaufend
Terese, Irene
Anti-Stillleben
Die neuesten Nachrichten
Einerseits
Hundsrosen
Gartenweg
Jagdstillleben
Ineinei
am nachmittag
Stein
Notiz
Hundertachtes Stillleben
Jagdstillleben
Nummer 110
Liebe, liebste Friederike
Notiz
Amseln
Markt
Luca, der Fischesser
Natura morta
Simulation
Fortlaufend
Am Nachmittag
Akeleien
Petit Fleur
Variante
Am schönsten
Kristalle
Fortlaufend
Die Bauern brachten Nüsse vorbei. Helle und dunkelblaue Trauben in einer Schale, die mir gefallen hätte. Nacheinander stellten sie alles auf den Tisch. Auch die Pflaumen, die pflaumenroten Pfirsiche. In eine Bleitafel hatten sie die sechzehn Namen eingraviert, die mir die liebsten gewesen waren, und das Bleiblatt lag auf dem Tisch neben dem Obst und den Blumen, so dass es blau und honigbraun leuchtete.
Seit Monaten hatten sie, die Nachbarn, mir Blumen gebracht, kleinköpfige Sonnenblumen, Sommerastern, Herbstrosen, Herbstzeitlose, grüne Paprikaschoten, die nach Gras und nach Früchten rochen, und ich hatte alles gerne angenommen. Alles, was sie brachten, alles hatte ich immer angenommen. Still ruhten sich dann die Gaben auf dem Tisch aus, ich setzte mich zu ihnen, und sie blieben mir gegenüber.
Aber was ist das Gedächtnis? Sind es die Augen? Einen Augenblick lang die Farben, das Leuchten, das Ein- und Ausatmen der Farne, einen Augenblick lang immer noch Gelbsein, noch Süßsein, das Gedächtnis für einen Augenblick, immer noch das Leuchten, die gelben Rosen, immer noch glänzen die Trauben und sind rund, und noch einen Augenblick lang liegen die pflaumenblauen Pfirsiche in der Bauernschale.
Inzwischen ist die Zeit vergangen. Das Blei zerfällt, wobei die sechzehn Namen jetzt noch lesbar sind.
weil das Licht nicht brennt und im Schatten nur die Umrisse der Blumen und Vasen sichtbar sind. Im Dunkeln sind die Blumen kühl.
Das ist ein kaum sichtbares Stillleben. Einer der Sträuße steckt in einer chinesischen Vase, wird sich herausstellen, das wird sich zufällig herausstellen, und es wäre verrückt, auf den Zeitpunkt zu warten, in dem plötzlich jedes Detail verständlich wird.
Warum sollte restlos alles deutlich sein, warum auch. Zwanzig Prozent zu sehen, das reicht.
Symbolische Prozente, weil es auch weniger sein könnten; es ist schon gut so, wunderbare zehn Prozent bleiben, im Halbschatten, und dass sie kühl sind, macht mich warm. Da ist der dunkle Buckel über dem Hals der chinesischen Vase. Der Steinboden. Auf dem Boden steht ein gezackter, breiter Strauß, und am Tischrand ein relativ schmaler Vasenschatten mit einem lieben, fülligen Kopf oberhalb der Vase.
Von dieser Vase stellt sich später heraus, dass sie blau ist, wie die chinesische auch. Alle Vasen sind blau.
DAS LICHT IST NIGHT GUT, BOB, SO NICHT! ICH HABE NOCH NIE EIN STILLLEBEN IM LAMPENLICHT GESEHEN, UND ES GEFÄLLT MIR AUCH JETZT NICHT. DAS MESSER MIT DEM HOLZGRIFF NEBEN DER GLASKARAFFE, DAVOR DIE TRAUBEN, DARÜBER DIE ELEKTRISCHE TISCHLAMPE. DAS LICHT FÄLLT DEN CHRYSANTHEMEN DIREKT AUF DEN KOPF. UND DEM GEGENÜBER DAS BETT. NEIN, DIE BLUMEN SOLLEN NICHT AUF DEM TISCH STEHEN, BOB, DIE ZUMINDEST MÜSSEN ZU UNS, BRING DIE CHRYSANTHEMEN INS BETT, ICH MÖCHTE, DASS SIE LEUCHTEN. MACHST DU DAS LICHT AUS, BOB? WIR HABEN DIE BLUMEN, UND SIE LEUCHTEN. UND ICH WÜNSCHTE, ICH HÄTTE DIE KÜHLE KARAFFE IN DEN HÄNDEN, ABER NUN BRENNT DAS LIGHT SINNLOS AUF DAS MESSER HERAB, HAST DU ANGST, DAS LICHT AUSZUMACHEN? SIEHST DU, DA SIND DIE BLUMEN.
Sie ist die Inkalilie Ich kann nicht sagen, ich sei die Inkalilie.
Sie ist gelb am Kopf, das ist ihr Herz, drei äußere Blüten sind hellgelb, drei innere gelbe Blüten braun gestreift, die sind empfindlich, und zwischen den sechs farbigen Blättern streckt sie offen ihre Nerven ans Licht, in die Luft. Fünf oder sechs Nervenstängelchen warten.
Ich bin glücklich. Ich weiß nicht, ob sie darüber glücklich ist, dass ich sie sehe.
Dieser gelbe Kopf ist ihr Herz, in diesem Kopf, der ihr Herz ist, sind auch alle ihre anderen Hochgefühle, das übrige Grün an ihr ist der kluge Restkörper.
Die Inkalilie tut, als würde sie leben. Sie steht in einer schwarzen Vase.
Schon seit drei Stunden scheint sie in der Vase zu leben, und ich schaue ihr seit drei Stunden zu.
Alles Edle ist weiß bekanntlich. Die grünen Trauben heißen weiße Trauben, und diese haben sich gelb und braun verfärbt, dann ist die äußere Haut aufgebrochen. Seitdem eitern sie.
Viele Trauben an der Rebe haben nur kleine schattige Flekken, Schlagstellen, die wieder heilen könnten. Aber wie lange bleiben sie gesund? Dann eitern auch sie, hell, beinahe weiß, das Fleisch schwindet, und die Kerne stechen sichtbar blind hervor. Schließlich sitzt der Schimmel überall in den Früchten, und der Schimmel, der ist wirklich weiß.
VORÜBERGEHEND MÖCHTE ICH NOCH SAGEN: ICH, MÖCHTE AUCH DU SAGEN UND LIEGENBLEIBEN. ICH MÖCHTE JETZT LIEGENBLEIBEN, ICH GLAUBE, ICH MÖCHTE NIE MEHR AUFSTEHEN. EINES TAGES WERDE ICH AUFSTEHEN WOLLEN UND VERGESSEN, DASS ICH VORHER LANGE ZEIT, BEINAHE ENDLOS LANGE NICHT AUFSTEHEN WOLLTE. SPÄTER WERDE ICH AUFSTEHEN WOLLEN, JETZT WILL ICH ES AUF KEINEN FALL, JETZT WILLST DU DAS AUCH NICHT; ICH HOFFE, ICH SEHE, DU ATMEST AUS. DU ATMEST AUS, ATMEST TIEF WIEDER EIN, UND DAHINTER, HINTER DEM ATMEN DIE ZÄHNE, UND DAHINTER DU. ICH LIEBE AUCH DIE ZÄHNE, DEN RAUM HINTER DEINEN ZÄHNEN UND MÖCHTE LIEGENBLEIBEN. ICH KANN NICHT AUFSTEHEN, UND WENN DU JETZT LEICHTER WÄREST UND AUFSTEHEN KÖNNTEST, WÄHREND ICH ES NICHT KÖNNTE, WAS WÜRDE ICH SAGEN.
Zuerst aßen sie Obst, nahmen abwechselnd Pflaumen und Pfirsiche aus der Zinnschüssel und Birnen aus dem Korb, und da sie alle drei nichts zu sagen wussten, weil es ihnen die Sprache verschlagen hatte, aßen sie weiter, während das tote Rebhuhn kopfunter von der Wand herabhing. Ein schweres, buntgefiedertes Rebhuhn war es, das, mit einem Fuß an einen eisernen Nagel gebunden, ohne zu schwanken über dem Tisch hing, einer der beiden Flügel war nach unten gekippt, und dort leuchteten die inneren Federn hervor. Die drei Essenden drückten Pflaumen entzwei, nahmen die Kerne heraus, legten sie auf den Holztisch, bissen langsam in die Birnen. Es lagen noch mindestens ein Dutzend Pfirsiche in der Schüssel. Die blieben unberührt, und mit ihrer ohnmächtigen Sprachlosigkeit machten sich die drei allmählich daran, sich gegenseitig aufzuessen, indem sich einer von ihnen über den Arm des anderen legte, sich dort festbiss, und jener, der den Biss zu spüren hatte, neigte sich zum Hals des Dritten, und während er den Biss fühlte, schmeckte er mehr und mehr die Haut am Hals des anderen, der, um ebenfalls schmecken zu können, sich über den Tisch hinweg an die Brust des ersten warf. Weil sie sich sonst nicht hätten gegenseitig erreichen können, beugten sie sich gleichzeitig über den Tisch, mit halbgeschlossenen Augen aßen sie weiter und schwiegen.
So ist das. So liegt die Birne grün auf der Kommode. So grün ist sie, und so ist die Holzkommode, sie ist aus Holz. Neben der Birne steht eine Glaskaraffe, darin ein wenig klare, durchsichtige Flüssigkeit. Eine Glaskaraffe, die durchsichtig ist und die eine durchsichtige Flüssigkeit enthält. So sieht es mit dem Glasgefäß aus. So ist das mit der Birne, der Karaffe, der Kommode. Die Birne ist grün und beinahe vorschriftsmäßig rund, die Oberfläche der Kommode ist sichtbar aus Holz, in der Karaffe ist die Flüssigkeit wasserklar, und die Karaffe ist aus Glas. Die durchsichtige Karaffe und auch das Wasser darin sind erstaunlich klar. So ist das.
Zuerst kamen Terese und Irene, dann folgten Alice, Michaela, später Magda und Anna und Hanna. Sie setzten sich nacheinander, eng nebeneinander auf das frischgepolsterte Kanapee, das Polster war mit Seegras gefüllt. Alle sieben schauten lächelnd beinahe in die gleiche Richtung, allmählich mit müden Blicken. Nur Anna blieb immer aufrecht, ohne angegriffen oder welk auszusehen, im Gegenteil, sie wirkte die ganze Zeit über frisch wie im ersten Augenblick. Aber auch das ist vorbei, und auf dem Kanapee sitzt jetzt nur Hanna.
* * *
Vorsichtig öffnete Terese die Tür, drückte die Klinke herunter, streckte erst ein Bein vor, ein Bein im roten Strumpf, dann trat sie lautlos ins Zimmer, atmete aus, schaute sich um und steckte sich dabei die Haare hoch. Ihre Wangenknochen waren groß und rot, und wieder atmete sie tief ein, die Haare fielen zum Teil herab, die Bluse spannte für einen Augenblick. Dann, als Terese schon einige Schritte von der Tür entfernt war, kam Irene, stand kurz in der geöffneten Tür, wahrend sich Terese bereits auf das Kanapee setzte, gleich darauf ging sie, Irene, den selben Weg, den vorher die andere gegangen war, und auch sie setzte sich; sie war von Kopf bis Fuß bordeauxrot gekleidet, das Kleid, die Strümpfe, Schuhe um eine Spur dunkler als bei Terese, an ihren Ohren baumelten zwei Steine, zwei kleine dunkelrote Granate, die sie allerdings nicht im Sinn hatte, sonder eben am Ohr.
* * *
In der (hinter der) aufgehenden Tür wurde Tereses blasses Gesicht sichtbar, zwei tiefe dunkle Linien unter den Augen sogar, und sie streckte ein Bein vor, nicht weit vor, gleich darauf folgte das andere Bein, so gleich, wie Beine zu folgen pflegen, wobei immer eines der beiden beginnt, streckt sich vor, nachher ist das andere im Vorteil, beide in roten Strümpfen, aber es kommt auch auf die Hüften an, zum Beispiel darauf, wo die Beine endlich zusammenhängen, und darauf, was weiter oben ist, so geht der ganze Körper mit,
und nach dem dritten langsamen, besonnenen oder gelangweilten Schritt leuchtete ihr Gesicht, drei Schritte von der Tür entfernt, es leuchtete in vielen Rotstrichen, wie aus einer Trickkiste gezogen. Ein Auf und Ab bei den Wangenknochen (jetzt atmete sie tief ein), in der Mundvorwölbung, diese Farbe, das eigentliche Rot, nicht bordeaux, frei von jedem Gelb und nur etwas Blau darin, das eigentliche Rot war vielleicht wirklich aus der Trickkiste. Einige Haarsträhnen fielen herab, sie waren unvorsichtig hochgesteckt; also war an Terese alles rot, und Rot lebt lang.
Es ist gut zu wissen, wie man einen Apfel schält. Am besten vom Strunk her, rund um den Apfel herum, in Spiralen, die Schale nicht ganz einen Zentimeter breit (denn jetzt, nicht wahr, mitten in dieser plumpen, verdrießlichen Wut, vergrößert sich der Apfel von selbst, und die Frage, wie breit die Schale mit dem Messer losgeschnitten werden sollte, wird ebenfalls groß). Hoffentlich ist das Apfelschälen eine lustvolle Angelegenheit, das Messer in der rechten Hand, der rechte Daumen liegt auf dem kühlen, wächsernen Apfel, auf dass man sich festhalten kann.
Wie also geht es mit dem Apfel zu. Ruhe mit dem Apfel. Die einfachsten Dinge hat sie nicht gelernt. Dieses Schälen den Kindern beizubringen, gehört zu den frühen Elternpflichten, rasch nach dem Apfel greifen, das mit dem Apfel müssen sie sagen, wie er auf dem Tisch liegt, auf der Tischdecke, wie er riecht, wenn auch wächsern.
Der Polizeihauptmann hatte das Mädchen in den Saal geführt, die mit gedunsenen Augen eintrat und im Laufe der Verhandlung dann
kaum ein Zusammenhang. Der Apfelkorb flog um, und hinaus kullerten die wächsernen Apfel, hinaus, hinaus.
Und also nicht einmal zum eigenen Trost einen Apfel schälen können.
Alle heißen Olga, alle; alle heißen Olga. Das ist eine einfache Geschichte, und sie begann damit, dass einer der Freunde, der jetzt langst nicht mehr unter den Lebenden ist, sie geliebt hat, er hat sie alle, die Olga heißen, wenn auch die mit dem Namen Olja, geliebt. Nur wenige Frauen, die dem Aussehen nach Olga heißen könnten, heißen anders, aber diese haben dann zu Recht einen anderen Namen; ihre Ähnlichkeit mit Olga ist unwesentlich, und sobald ich ernsthaft vergleiche, stellt sich heraus, dass die Ähnlichkeiten völlig oberflächlich sind, von Ähnlichkeiten war nur irrtümlicherweise die Rede.