Hypnosystemische Therapie (Leben Lernen, Bd. 331) - Stefan Hammel - E-Book

Hypnosystemische Therapie (Leben Lernen, Bd. 331) E-Book

Stefan Hammel

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Beschreibung

Das Grundlagenbuch zum hypnosystemischen Arbeiten Gefragtes Thema für psychologische Fort- und Weiterbildung Das erste Grundlagenbuch zur Hypnosystemischen Therapie Praxisnah und mit vielen Beispielen Seit über 25 Jahren bereichern Methoden der Hypnosystemischen Therapie die psychologische Beratung höchst erfolgreich. Erstmals wird nun ein Einführungsbuch und Grundlagenwerk für alle, die diesen kreativen Ansatz in ihr Angebot integrieren wollen, vorliegen. Stefan Hammel geht auf die Grundannahmen und therapeutischen Strategien ein und vermittelt die therapeutischen Tools praxisnah und an vielen Beispielen.  Elemente der Systemischen Therapie, der Hypnotherapie nach Milton Erickson und der Teile- bzw. Aufstellungsarbeit verbinden sich zu einer eigenständigen, neuen Herangehensweise.  Die Wahrnehmungen und Deutungen der Klienten werden dabei gleichsam als Film betrachtet, der schrittweise angepasst wird, bis ein stimmiges Kompetenzerleben und Verhalten entsteht, das in der Therapie oder Beratung weiter gefestigt wird.

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Seitenzahl: 429

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Stefan Hammel

Hypnosystemische Therapie

Das Handbuch für die Praxis

Klett-Cotta

Zu diesem Buch

Seit etwa 25 Jahren bereichern die Methoden der Hypnosystemischen Therapie die Behandlungs- und Beratungsmöglichkeiten von Klienten höchst erfolgreich. In unterschiedlichen Ausprägungen werden hierbei Elemente der Systemischen Therapie mit der Hypnotherapie nach Milton Erickson und häufig auch Aufstellungsarbeit miteinander verbunden. Das Ziel des Herangehens in Therapie und Coaching: Menschen darin zu unterstützen, ihre Wahrnehmung bewusst so zu beeinflussen, dass ein positives Erleben erzeugt und damit Veränderung möglich wird. Stefan Hammel beschreibt in diesem – höchst überfälligen – Buch erstmals sowohl die grundsätzlichen Annahmen und Grundlagen als auch die hypnosystemische Praxis mit den verschiedensten therapeutischen Strategien und Interventionen.

Die Reihe »Leben Lernen« stellt auf wissenschaftlicher Grundlage Ansätze und Erfahrungen moderner Psychotherapien und Beratungsformen vor; sie wendet sich an die Fachleute aus den helfenden Berufen, an psychologisch Interessierte und an alle nach Lösung ihrer Probleme Suchenden.

Alle Bücher aus der Reihe ›Leben Lernen‹ finden Sie unter: www.klett-cotta.de/lebenlernen

Impressum

Leben Lernen 331

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Klett-Cotta

www.klett-cotta.de

© 2022 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Cover: Jutta Herden, Stuttgart

unter Verwendung einer Abbildung von © Adobe Stock/davidpalau

Gesetzt von Eberl & Koesel Studio, Altusried-Krugzell

Gedruckt und gebunden von CPI Clausen & Bosse GmbH, Leck

ISBN 978-3-608-89198-0

E-Book ISBN 978-3-608-11870-4

PDF-E-Book ISBN 978-3-608-20554-1

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Inhalt

Vorwort

Praktische Hinweise

Teil 1

Grundlagen

Kapitel 1

Was ist Hypnosystemische Therapie?

Kapitel 2

Grundannahmen

2.1 Annahmen und Haltungen aus der Hypnotherapie

2.1.1 Wirkfaktoren von Therapie

2.1.2 Der Kreislauf von Erinnerung und Erwartung

2.1.3 Trennen, Verbinden und Verwandeln

2.1.4 Vom Folgen und Führen

2.2 Annahmen und Haltungen aus der Systemischen Therapie

2.2.1 Nutze alles! – Utilisation

2.2.2 Das Beständige und der Wandel – Zirkularität und Musterunterbrechung

2.2.3 Über Ressourcen, Kontexte, Beziehungen, Zukünfte, Ziele und Lösungen

2.2.4 Gute Fragen stellen

2.3 Annahmen und Haltungen aus Psychodrama, Aufstellungs- und Teilearbeit

2.3.1 Drinnen und draußen

2.3.2 Ich als viele

2.3.3 Lösungsassoziierte Personen ins Spiel bringen

2.3.4 Die transgenerationale Perspektive

Teil 2

Was uns kränkt und was uns heilt

Kapitel 3

Blick zurück und Blick nach vorn

3.1 Rolle und Identität

3.1.1 Der Platz in der Herde

3.1.2 Täter und Opfer

3.1.3 Krise

3.1.4 Neue Zugehörigkeiten

3.2 Verlassenheit und Trauma

3.2.1 Ursprünge

3.2.2 Auslöser

3.2.3 Wirkungen

3.2.4 Auflösung

3.3 Ambivalenz und Konflikt

3.3.1 Probleme als Ambivalenzen

3.3.2 Die Ambivalenz von Schmerz und Betäubung

3.3.3 Konflikte, Doppelbindungen und Gegen-Doppelbindungen

3.3.4 Entscheidung – oder doch nicht?

Teil 3

Therapieablauf

Kapitel 4

Vorgespräch

Kapitel 5

Begrüßung

Kapitel 6

Zielklärung

Kapitel 7

Anamnese

7.1 Anamnese mit systemischen Fragen

7.1.1 Fragen des Therapeuten an sich selbst

7.1.2 Problemanamnese

7.1.3 Anamnese zugeschriebener Probleme

7.1.4 Ressourcenanamnese

7.2 Anamnese mit Körpersignalen

7.2.1 Nutzung von Körpersignalen zur Navigation in der Problemanamnese

7.2.2 Nutzung von Körpersignalen zur Navigation in der Ressourcenanamnese

7.2.3 Verbindung von Lösungsphysiologie mit Problemerinnerungen

7.2.4 Anamnese mit ideomotorischen Signalen

7.3 Anamnese mit Lebensmöglichkeiten

7.3.1 Anamnese auf der Grundlage verbaler Rückmeldungen

7.3.2 Anamnese auf der Grundlage nonverbaler Rückmeldungen

7.3.3 Transgenerationale Anamnese

7.3.4 Additive Anamnese

Kapitel 8

Formen therapeutischer Intervention

8.1 Therapeutische Metaphern

8.1.1 Ordnung

8.1.2 Regulierung

8.1.3 Gleichgewicht

8.1.4 Transfer

8.2 Therapeutische Geschichten

8.2.1 Veränderte Interpunktion

8.2.2 Geteilte Lebenserfahrung

8.2.3 Vorbilder

8.2.4 Märchen, Fabeln, Fantasiegeschichten

8.3 Therapeutische Landkarten und Landschaften

8.3.1 Die Insel der Liebe

8.3.2 Inselkarten selbst erstellen

8.3.3 Das Bergdorf

8.3.4 Idiomatische Landschaften

8.4 Therapeutische Räume

8.4.1 Linienmodelle

8.4.2 Raumflächenmodelle

8.4.3 Kreismodelle

8.4.4 Dreidimensionale Raummodelle

8.5 Therapeutisches Modellieren

8.5.1 Subtraktion von Symptomen

8.5.2 Unsichtbare Freunde

8.5.3 Subtraktion, Addition und Transformation realer und möglicher Personen

8.5.4 Draußensofa und Drinnensofa

8.6 Therapeutische Grüße

8.6.1 Dissoziative Grüße

8.6.2 Assoziative Grüße

8.6.3 Transformative Grüße

8.6.4 Gemischte Grüße

8.7 Therapeutische Rituale

8.7.1 Technische Rituale

8.7.2 Fürsorgerituale

8.7.3 Rituale von Abschied und Neubeginn

8.7.4 Heilrituale

Kapitel 9

Abschluss und Folgestunde

9.1 Zweifel ausräumen und Zuversicht aufbauen

9.2 Terminvereinbarung

9.3 Eröffnung der Folgestunde

9.4 Rückmeldung zur Entwicklung seit der letzten Sitzung

Verzeichnisse

10.1 Ansprechpartner für Ausbildung und Therapie

10.2 Personen- und Sachverzeichnis

10.3 Verzeichnis der Einzelinterventionen

10.4 Literaturverzeichnis

Vorwort

»Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt«, sagt der Philosoph Ludwig Wittg(1)enstein.1 Sprache schafft Wirklichkeit. Eine begrenzende Sprache schafft Grenzen für die Wirklichkeit. Vorstellungsgrenzen sind Möglichkeitsgrenzen.

Die Grenzen meiner Welt bedeuten nicht die Grenzen des Möglichen in der Welt und auch nicht die Grenzen der Möglichkeiten meines Klienten. Und die Grenzen seiner Sprache, seiner Vorstellungkraft und Hoffnung sind auch nicht die Grenzen seiner Möglichkeiten, wenn es gelingen kann, mit meiner Sprache und Vorstellungskraft die Grenzen seiner Welt zu erweitern.

Kann es sein, dass im Klienten Möglichkeiten zu Lösung, Heilung und Entwicklung schlummern, die bisher nicht verwirklicht sind, weil er bestimmte physiologische Erfahrungen, bestimmte Worte und Bilder, noch nicht entdeckt hat? Und wenn dem so ist, wie kann ich dazu beitragen, dass er dieses Potential entdeckt? Kann man sein Inneres so stimulieren, dass es Möglichkeiten der Lösung, Heilung und Entwicklung zur Verfügung stellt, die sein und mein Bewusstes noch nicht gefunden hatten?

Wie können wir die Sprachgrenzen, Vorstellungsgrenzen, Möglichkeitsgrenzen erweitern, für eine Therapie, die noch sicherer, schonender und nachhaltiger wirkt, oder auch schneller, um mehr Menschen zu helfen und Leidenszeiten zu verkürzen?

Wenn ich in den Jahren meiner therapeutischen Tätigkeit eine innere Stimme gehört habe, die sagt: »Das geht nicht«, dann habe ich es mir zur Gewohnheit gemacht zu fragen: »Ist das sicher? Wie ginge es, wenn es ginge? Wie geht es, wenn es geht?« Ich wähle probeweise die Hypothese: »Es geht, ich weiß nur noch nicht wie«. Die Lösung, die ich nicht kenne, stelle ich mir vor wie einen Schatz, der in der Erde liegt und den ich finden kann, wenn ich darauf beharre, dass es sich lohnt, ihn zu suchen.

Womöglich ist unsere Wirklichkeit das, was wir erinnern und erwarten.

Vielleicht ist dann alles im Fluss?

Erlauben Sie, dass ich Ihnen, bevor wir richtig beginnen, eine Geschichte erzähle …

In einer Hütte am Fluss in den felsigen Bergen lebte einmal ein Goldwäscher. Jeden Morgen stand er auf, wusch sich, aß eine Scheibe Brot, zog seine Arbeitskleidung an und ging mit seinem großen Sieb zum Fluss. Viele Jahre lebte er schon hier und hatte schon so manche Tonne Sand gesiebt. An manchen Tagen fand er etwas Gold, doch selten war es mehr als er brauchte, um sich das Nötigste an Essen, Kleidung und an Werkzeug für seinen täglichen Bedarf zu kaufen. Lange hatte er davon geträumt, auf eine große Menge Gold zu stoßen. Doch dieser Traum, das ahnte er jetzt, würde sich wohl nie erfüllen. Denn meistens, wenn er in sein Sieb schaute, war darin nichts zu finden als nur die kleinen Kiesel, die in der Sonne glitzerten. Eines Tages kam ein alter Schulfreund zu Besuch. Er war Juwelier in einer größeren Stadt und hatte es zu einem ansehnlichen Vermögen gebracht. Er interessierte sich, einmal zu sehen, wie dieser Goldwäscher lebte. »Zeig mir doch bitte einmal, wie du Gold wäschst«, bat er den alten Freund. Zögernd stand dieser auf, nahm sein Sieb von der Wand und ging mit seinem Gast zum Fluss. Er tauchte das Sieb in den Fluss, schüttelte es und ließ das Wasser herauslaufen. »Siehst du, wieder nichts«, seufzte er und blickte auf zu seinem Freund. »Das ist ja unglaublich«, sagte der und wurde blass. »Lauter Diamanten!«2

Kaiserslautern, im November 2021

Praktische Hinweise

Nach bestem Wissen wurden die Quellen derjenigen Intervention angegeben, die ich von Kolleginnen und Kollegen übernommen habe. Wo keine Quelle angegeben ist, wurde das betreffende Vorgehen von mir entwickelt oder so weiterentwickelt, dass es sich von bereits bekannten Methoden deutlich abhebt. Bei Interventionen, die in Fachkreisen als bekannt vorausgesetzt werden, wurde i. d. R. auf Quellenangaben verzichtet. Bei der großen Zahl der vorgestellten Methoden sind vereinzelt fehlende oder falsche Angaben möglich. Sollten Quellen nicht oder falsch angegeben sein, bitte ich um einen Hinweis, um in künftigen Auflagen auf die Urheber hinzuweisen.

Alle Methoden wurden auch im Format der Therapie per Videogespräch erprobt. Wo Anpassungen des Vorgehens für die Anwendung im Videoformat nötig sind, werden diese an den entsprechenden Stellen im Text erklärt.

Teil 1

Grundlagen

Zwei Annahmen liegen aller Therapie zu Grunde:

Alle Menschen sind gleich.

Alle Menschen sind verschieden.

Weil alle Menschen gleich sind, können wir kommunizieren.

Weil alle Menschen verschieden sind, müssen wir kommunizieren.

Um einander zu verstehen, müssen wir annehmen, dass der andere mit seinen Worten und seiner Körpersprache dasselbe meint, was andere und auch wir selbst meinten, wenn wir uns so ausdrückten.

Und um einander zu verstehen, dürfen wir auf keinen Fall annehmen, dass der andere mit seinen Worten und seiner Körpersprache dasselbe meint, was andere und auch wir selbst damit meinen würden. Denn eines ist gewiss: Er meint etwas anderes.3

»Wenn ich Ihnen eines sagen dürfte, was Ihnen viele Umwege im Leben ersparen kann, dann wäre es das: Jeder Mensch auf dieser Welt meint mit jedem Wort, was er sagt, etwas anderes.« Eine Krankenschwester und frühere Schülerin Milton Ericksons erzählte mir vor Jahren, dass der Meister ihr das mit auf den Weg gegeben habe.

»Die Sprache ist die Quelle der Missverständnisse«, sagt der kleine Prinz.4 Wenn wir eine gemeinsame Basis für unsere Kommunikation suchen, bietet das Achten auf die Physiologie mehr Orientierung als das Achten auf Worte. Die sichtbare und hörbare Körpersprache ist viel urtümlicher. Manches davon hat für die Kommunikation unter Menschen (und zum Teil mit Tieren) universale Geltung. Raum für Missverständnisse gibt es dennoch, denn unterschiedliche kulturelle Prägungen wirken auch hier.

Ein Kreislauf der Missverständnisse entsteht, wenn wir auf Annahme 1 zurückgreifen, wo Annahme 2 sich besser bewährt. Oft ist es besser, »du« und »ich« statt »wir« zu sagen. Ein Kreislauf von Entfremdung und Erniedrig(1)ung entsteht, wenn wir Grundsatz 2 anwenden, wo sich Grundsatz 1 besser bewähren würde.

Unterscheidungen von »wir« und »die anderen« trennen Männer von Frauen, Ureinwohner von Kolonisatoren, Erlöste von Ungläubigen, Erwachsene von Kindern, Wächter von Gefangenen und Behandler von Patienten auf eine Weise, die von stetiger Abwertung und Selbstabwertung begleitet ist. Es sind dieselben Unterscheidungen, die auch Mensch und Tier, Kultur und Natur trennen. Die Linien, an denen wir die Unterscheidung zwischen »wir« und »die anderen« vornehmen, sind überwiegend dieselben, mit denen wir zwischen »g(1)ut« und »böse«, »richtig« und »falsch«, »klug« und »dumm«, gesund« und »krank« trennen.

Wenn wir in Ressource(1)n denken, in Chancen, in Werten, deren Gegenteil nicht Unwerte, sondern andere Werte sind, dann ist es heilsam, Wirklichkeit gemeinsam zu konstruieren und sich einig zu werden: »Wer bin ich? Wer bist du? Wer sind wir? Wie ist die Welt, in der wir uns bewegen?« Hier kann das Leben als Nicht-Nullsummenspiel5 gelebt werden, also dem Modell »Freundschaft« oder »Kooperation« folgen, wie das Musikstück einer Band, das der Logik folgt: »Was gut ist für dich, ist auch gut für mich«. In solchen Kontexten ist das »Wir« heilsam. Wo verdeckte oder offene Nullsummenspiele, also Modelle von »Wettbewerb« oder »Krieg« überwiegen, hat das »Wir« toxische Qualitäten, und es ist besser, von »du« und »ich« zu sprechen.

Im ersten Fall tut es gut, die Wirklichkeit gemeinschaftlich zu konstruieren, auch wenn sie davon weder universal wahr noch wirklich wird. Im zweiten Fall ist es günstig, zwischen verschiedenen Wirklichkeiten zu unterscheiden und nicht auf der Konstruktion eines gemeinsamen Bildes der Wirklichkeit zu bestehen.

Aus systemischer und hypnosystemischer Sicht wird Wirklichkeit ohnehin nicht analysiert, sondern konstruiert. So sagt Paul Watzlawick(1), dass »die Wirklichkeit das ist, was wir Wirklichkeit nennen«.6 Was das für die Therapie bedeutet, erklärt er so:

Wenn wirklich zutrifft, dass unsere Wirklichkeit immer eine konstruierte ist … handelt [es] sich … darum, die eine Wirklichkeitskonstruktion, die leidschaffend ist und nicht mehr tragfähig sich erweist, durch eine andere, tragfähigere zu ersetzen, und das ist heute meine Idee von Psychotherapie.7

Entsprechend formulieren Jochen Schweitzer(1)(1) und Arist von Schlippe: »Wirklichkeit besteht aus nichts anderem als Geschichten«,8 und an anderer Stelle:

Was wir als ›Wirklichkeit‹ bezeichnen, entsteht im Dialog, im Gespräch. Das, was wir für wirklich halten, haben wir in einem langen Prozess von Sozialisation und Versprachlichung als wirklich anzusehen gelernt. Systeme konstruieren gemeinsame Wirklichkeiten als Konsens darüber, wie die Dinge zu sehen sind. Die gemeinsame Sichtweise davon, was als »Wirklichkeiten« in einem System erlebt wird, ist sehr weitgehend bestimmend für Glück oder Unglück, Zufriedenheit oder Unzufriedenheit.9

Derselben Tradition folgend sieht Gunther Schmidt(1) die Aufgabe von Therapie darin,

so intensiv und systematisch als möglich Fokussierungshilfen anzubieten, um … [bereits gespeicherte und verfügbare] Potentiale wieder zu suchen …, zu finden und zu aktivieren und dann so nachhaltig als möglich in die gewünschten Lebenskontexte zu assoziieren.10

Die im Klienten bereits angelegten, aber für ihn zunächst nicht zugänglichen Potentiale wieder erreichbar zu machen, heißt, Wahlfreiheit zu ermöglichen. »Wahlfreiheit wieder zu erhöhen ist das zentrale Ziel aller hypnosystemischen Interventionen.«

Vermutlich unterscheidet schon Watzlawick – und mit Sicherheit Schmidt – nicht mehr streng zwischen einer Therapie des Körpers und der Psyche. Die Unterscheidung zwischen nicht-körperlichen psychischen und nicht-psychischen körperlichen Symptomen ergibt aus hypnotherapeutischer und systemischer Sicht auch wenig Sinn. Was als psychisch, körperlich, sozial, endogen oder exogen gedeutet wird, ist hypnosystemisch betrachtet eine Frage der Brille, die der Betrachter aufsetzt. Die Unterscheidungen sind eher Hinweise auf die Modelle im Manual des Behandlers, als dass sie das tatsächliche Leben und Leiden des Klienten beschreiben.

So sind auch Diagnosebegriffe und Beschreibungen sogenannter Pathologien mehr als Hinweise auf die Modelle der Behandler zu betrachten, denn als Beschreibungen dessen, was der Klient erlebt. Es ist nicht so, dass es keinen Bezug zwischen beidem gäbe. Nur ist eine Landkarte nicht die dargestellte Landschaft,11 ein Passfoto nicht die gezeigte Person und das Bild einer Sache nicht die abgebildete Sache.12 So ist ein »Krankheitsbild« auch nicht das, was in einem Klienten geschieht, sondern eine Konvention über das, was im Kopf des Therapeuten geschehen könnte, wenn er den Klienten sieht. Ebenso ist die Aussage, ob ein Leiden heilbar sei, keine Aussage über die Möglichkeiten des Klienten, sondern über die des Behandlers, genauer: über die Möglichkeiten, die dem Behandler bekannt sind. Entsprechend enthalten Prognosen keine Aussage über die Zukunft des Klienten, sondern über die Entwicklung bei einem Durchschnitt anderer Menschen, die unter bestimmten Gesichtspunkten als vergleichbar gelten.

Diagnosen und Prognosen können Orientierungen bieten, enthalten aber ein Risiko. Im Gehirn herrscht immer »Gegenwart«. Die Erwartungen eines Patienten über die ihm prognostizierte Zukunft werden daher in seinem Gehirn im Wesentlichen gleichbehandelt wie Erinnerungen, aktuelle Wahrnehm(1)ungen und Deutungen. Sie können bewirken, was sie behaupten. Nun kennt der Organismus auch keine Unterscheidung zwischen »körperlich« und »psychisch«.13 Die Regulation der unwillkürlichen Körperaktionen und Körperreaktionen hängt also auch davon ab, wie der Patient seine Prognose hört, versteht und verarbeitet. Viele systemische und hypnosystemische Therapeuten vermeiden daher Diagnosebegriffe. Krankheitskonzepte können aber auch gewürdigt werden, etwa mit Blick auf die Funktionen, die sie im System erfüllen:

›Krankheit‹ wird … nicht als ›wirklich wahres‹ Phänomen angesehen, sondern ebenfalls als Konstrukt, wenn auch ein oft sehr bedeutsames. Dabei kann gerade das Konstrukt ›Krankheit‹ ein eminent wichtiges Organisationselement eines Systems werden, deshalb sollte aus dieser konstruktivistischen Sicht keineswegs zwangsläufig geschlossen werden, man solle in einer Therapie das Konstrukt ›Krankheit‹ zielgerichtet auflösen, um so die Menschen zu unterstützen, sich von dem Erleben zu befreien, ausgelieferte Opfer zu sein (wie dies heute noch häufig in der Systemischen Therapie praktiziert wird). Grundsätzlich gesehen, erscheint dies durchaus sehr wünschenswert. Beachtet werden sollte dabei aber, wie das, wofür ›Krankheit‹ in einem System in eventuell (unbewusst) gewünschter Weise wirkte, z. B. intensiverer Zusammenhalt im System, auf andere Weise erreicht werden kann. Sonst würde der Versuch, Krankheitskonzepte aufzulösen, vielleicht als Bedrohung erlebt werden und mit Abwehr beantwortet werden.14

Krankheitskonzepte können auch für die Gesundheit und das Wohlbefinden des Klienten genutzt (utilisiert) werden. Anknüpfend an Diagnosebegriffe wird das Modell der Erkrankung auf eine Weise veranschaulicht, dass darin implizierte Lösungen (z. B. gute Absichten des Organismus) Ideen generieren, wie durch die Therapie oder ein bestimmtes Verhalten des Klienten Leid (Handlungsbeschränkungen) vermindert und Wohlbefinden (erweiterte Handlungsmöglichkeiten) gefördert werden.15

Kapitel 1

Was ist Hypnosystemische Therapie?

Als Hypnosystemische Therapie werden Gesprächsformen bezeichnet, die Elemente von Systemischer Therapie, Erickson’scher Hypnotherapie und oft auch von Teilearbeit und Strukturaufstellungen16 in einem wachen Dialog verbinden. Der Begriff »hypnosystemisch« wurde um 1980 von Gunther Schmidt(2) eingeführt. Als Gründe für die Zusammenschau des Erickson’schen(1) und des systemischen Ansatzes in einem Konzept führt Schmidt an:

Beide gehen von der Idee aus, alle Lebensprozesse mit dem Blick auf eine mögliche Beschreibung von Muster(1)n zu betrachten. Beide verstehen lebende Systeme als sich selbst organisierende, autopoietische Systeme …

Beide … gehen vom fast identischen Verständnis aus, wie Veränderung geschehen kann (nämlich durch die Bildung von Unterschieden in bisher vorherrschenden Mustern).

Die Zusammenführung der Ansätze ergibt auch deshalb Sinn, weil ihre Entwicklung von Anfang an eng verflochten war. Schmidt verweist dabei darauf, dass »die wichtigsten Interventionen der systemischen Arbeit über lange Jahre fast alle aus der Erickson’schen Hypnotherapie entliehen wurden«.17

Der systemische Ansatz wurde in Deutschland ab 1974 vom Münchner Familienkolleg (Gaby Moskau(1), Gerd Müller(1)), vom Münchner Institut für Integrative Familientherapie (Carole Gammer(1), Martin Kirschenbaum(1)), am Weinheimer Institut von Maria Bosch,(1)18 an der Mannheimer Hochschule für Sozialwesen (Elisabeth Nader(1)) sowie prominent von der Heidelberger Gruppe um Helm Stie(1)rlin verbreitet.

Diese waren in engem Austausch mit Salvador Minuchin(1) und der Mailänder Gruppe um Mara Selvini Palazzoli(1). Beide Gruppen standen in Kontakt mit der kalifornischen Palo-Alto-Gruppe mit Paul Watzlawick(2), Jay Haley(1), Virginia Satir(1) und anderen, die wiederum in engem Austausch mit Milton Erickson(2) und Gregory Bateson(1) standen.

Paul Watzlawick, John Weaklan(1)d und Richard Fisch(1) gaben der Systemischen Therapie eine theoretische Fundierung, indem sie deren Praxis mit den Axiomen der Gruppentheorie (Evariste Galois(1)), der Logischen Typenlehre (Alfred Whitehead(1) und Bertrand Russell)(1)19 und der Systemtheorie (Niklas Luhmann(1) u. a.) verbanden.

Gunther Schmidt(3), der zur Heidelberger Gruppe gehörte, lernte Milton Erickson in Arizona kennen und brachte, wie einige weitere Kollegen,20 Impulse aus dessen Arbeit nach Deutschland.

In den USA entwickelte Virginia Satir(2)(1) familientherapeutische (1)Konzepte und die Methode der Familienskulptur, die sie auch an deutsche Kollegen vermittelte.

In München lernte Bert Hellinger ihre Methode kennen, der sie in veränderter Form als »Familienstellen« bekannt machte. Später kam es zu einem Bruch zwischen Hellinger und der Mehrheit der systemisch arbeitenden Kollegen. Das Verhältnis zwischen Aufstellern und Systemtherapeuten hat sich später – mit Ausnahme von Hellinger, der gesondert betrachtet wurde – wieder entspannt, wovon der Buchtitel »Aufstellungsarbeit revisited … nach Hellinger?«21 Zeugnis gibt. Im systemischen und hypnosystemischen Kontext vermitteln u. a. Gunthard Weber(1) in Wiesloch sowie Insa Sparrer(1) und Matthias Varga von Kibéd(1) in München Techniken der Aufstellungsarbeit. Dabei sind sie regelmäßig im Austausch mit Schmidt und anderen hypnosystemisch arbeitenden Kolleginnen und Kollegen. Im Bereich der Teilearbeit stehen die hypnosystemisch orientierten Kollegen unter anderem mit Vertretern der Ego-State-Therapie wie Kai Fritzsche(1) und Woltemade Hartman(1) in enger Verbindung.

Was trägt die Hammel’sche Art der Therapie zu dieser Geschichte bei?

»Neu ist aus meiner Sicht … die Weiterentwicklung des Verräumlichens. Die Verräumlichung von Lebensmöglichkeiten und Optionen in der Anamnese(1) und der Therapie. Der Abschied von den Teilen. Das Grüßen …«, schrieb ein Kollege, der das Manuskript las. »Du transformierst in der Hypnotherapie Vorhandenes achtungsvoll und würdigend in ganz außergewöhnlicher und bemerkenswerter Weise und addierst etwas Neues dazu.« Wissen wollte er, was meine Sicht dazu sei: »Wo ist der Kern von Stefan Hammel, was sind die originären und originellen Stefan-Hammel-Konzepte?«22(1)

Ein Beitrag ist, der Arbeit mit Hypnose eine erzählende und dialogische Form zu geben. Dazu gehört es, Anpassungen zu benennen, die benötigt werden, um Hypnose in wach erlebten Zuständen mindestens so wirksam einzusetzen wie in tiefer Trance.(1)23 (vgl. Abschnitt 2.1.1). Das betrifft die Entwicklung narrativer hypnosystemischer Arbeit als Therapieform, also dem kunstvollen Gebrauch von Metaphern und Beispielgeschichten sowie der Transformation belastender Lebensgeschichten des Klienten in stärkende Selbsterzählungen. Dazu gehört die erstmalige Darstellung der Wirkmechanismen und Gestaltungsmöglichkeiten von therapeutischem Erzählen in einem Gesamtkonzept.24

Des Weiteren ist die Entwicklung des Therapeutischen Modellierens25 als einer neuen Therapieform zu nennen. Es handelt sich um eine radikal flexibilisierte und gleichzeitig regelbasierte Form der Interaktion mit personifizierten Lebensmöglichkeiten, die im Sinne Erickson’scher Therapie dissoziiert, assoziiert und narrativ transformiert werden(5), bis nach Möglichkeit ein symptomfreier Zustand erreicht wird (vgl. Abschnitte 2.3, 7.3 und 8.5).

Eine grundlegend neu entwickelte Methode ist die Arbeit mit therapeutischen Grüßen (Abschnitt 8.6).26 Es handelt sich um ein besonders effektives, schnelles und vielseitig einsetzbares Vorgehen mit dem Ziel, Veränderungen in den unwillkürlichen Reaktionen von Klienten zu stimulieren, eine Form von Ultrakurzhypnose auf der Basis Erickson’scher Kommunikationsformen.

Ein weiterer Beitrag ist es, in den Hintergrund getretene Elemente Erickson’scher Hypnotherapie wie den Gebrauch von Anekdoten und anderen Erzählelementen, von therapeutischen Doppelbindung(1)en, Mehrebenen-Kommunikation(1) und vielfältigen Formen der Utilisation verstärkt ins Bewusstsein der therapeutischen Arbeit gerückt zu haben.

Dazu kommt die Integration spiritueller Konzepte in die therapeutische Arbeit in einer Form, so dass die angebotenen Inhalte auch von Therapeuten und Klienten mit anderen oder unbestimmten Glaubenshaltungen übernommen werden können.

Abschließend kann die Entwicklung und Beschreibung hunderter von wirksamen Einzelinterventionen erwähnt werden, sowohl für spezifische therapeutische Situationen als auch generalisierbar für beliebige unterschiedliche Anwendungen.

Als Beiträge zur Fachdiskussion können darüber hinaus genannt werden:

das erstmalige und bisher einzige Buch zu Utilisation als der zentralen Herangehensweise von Erickson’scher Therapie.27

die erste umfassende Darstellung des zweiten zentralen Elements der Arbeit Milton Ericksons, der therapeutischen Mehrebenen-Kommunikation.28

das hier vorliegende Buch als der erste größere zusammenhängende Entwurf einer Hypnosystemischen Therapie.

Ein Hinweis sei an dieser Stelle erlaubt: Hypnosystemische Therapie ist wohl nicht »eine bestimmte Methode«, sondern lässt sich als therapeutische Haltung beschreiben, aus der ein breites Methodenspektrum erwächst. Schmidt(4) setzt als Konsens voraus,

dass es ›die‹ systemische Therapie oder Beratung nicht gibt, sondern sich ihre Geschichte auszeichnet durch das vielfältige, gleichzeitige Blühen vieler Ausdifferenzierungen der Grundsätze.29

Gleiches gilt für die hypnosystemische Therapie: Die Ansätze der Therapeutinnen und Therapeuten dieser Tradition lassen sich nicht als einheitliches Konstrukt, und noch weniger als »Schule« beschreiben. Vielmehr handelt es sich um eine Vielfalt verwandter und miteinander in Dialog stehender Ansätze.30

So wird auch dieses Buch nicht den einen hypnosystemischen Ansatz beschreiben. Es stellt vielmehr ein Spektrum an Möglichkeiten hypnosystemischer Therapie vor und präsentiert eine Interpretation dessen, was hypnosystemische Arbeit ausmacht.

Kapitel 2

Grundannahmen

Im Folgenden sollen einige Gedanken entfaltet werden, die als Grundlage für die weiteren Ausführungen dienen.

Körper und Psyche sind ein System. Alle körperlichen Erfahrungen sind durchdrungen von geistig-psychischen, und das heißt auch sozialen, biographischen und familienbiographischen Ein- und Auswirkungen. Die Frage, ob ein Leiden körperlich oder psychisch bedingt sei, ergibt unter dieser Betrachtung wenig oder keinen Sinn. Genauer gesagt, die Antwort auf diese Frage beschreibt keine Wirklichkeit im System, sondern verweist darauf, mit welcher Brille (der psychischen oder körperlichen) der Betrachter auf das Leiden dieses Menschen schaut.

Alles, was somatisch ist, ist auch psychisch, und alles, was psychisch ist, ist auch somatisch.31 Schmidt(6) spricht in diesem Zusammenhang von »Somatopsychik(1)«.32

Wenn der Begriff »psychisch« im Wesentlichen den Bereich der Gedanken und Emotionen bezeichnet, was sind dann Gedanken? Und was sind Emotionen?

Denken ist simulierte Wahrnehmung in Abläufen und vollzieht sich in Geschichten. Die zugrunde liegenden Sinneswahrnehmungen sind in unterschiedlicher Art und Intensität vernetzt. Manche Menschen »sehen« z. B. Töne und Geschmäcker (Synästhesie(1)). Wenn wir vom Denken sprechen, beziehen wir uns meist auf einen der folgenden drei bis vier Vorgänge – oder auf eine Kombination davon, denn vermutlich spielen alle Varianten bei allen Menschen eine Rolle, in unterschiedlicher Priorisierung.

Im einem Fall geht es um eine simulierte visuelle Erfahrung, also innere Film- und Bildsequenzen. Man kann auch von Tagträumen sprechen und zwischen solchen unterscheiden, die sich auf die Vergangenheit (Erinnerung), auf die Gegenwart (Deutung aktueller Wahrnehm(2)ung), auf die Zukunft (Erwartung, oft als Hoffnung oder Befürchtung) oder auf komplett fiktive Inhalte beziehen.

Im anderen Fall geht es um eine simulierte auditive Wahrnehmung in Form von Selbstgesprächen. Manchmal erfahren wir uns überwiegend als Hörer gesprochener Inhalte (und erleben dabei ein zweites eigenes Ich oder eine andere Person als Sprecher), manchmal erfahren wir uns überwiegend als Sprecher (mit uns selbst oder einer imaginierten anderen Person als Adressat), manchmal in einem Dialog, indem wir abwechselnd Hörer und Sprecher sind.

Einige, bei denen der kinästhetische Zugang zu sich und zur Welt überwiegt, erleben, dass sich ihre Gedanken aus Körpergefühlen und Körperreaktionen heraus formieren, also aus dem physiologischen Erleben heraus zu ihrem Bewusstsein dringen.

Einzelne Menschen kennen auch Schriftbänder, die vor ihrem geistigen Auge vorbeilaufen (Ticker-Tape-Synästhesie(2)), während sie innere Stimmen hören, so dass sie gewissermaßen »Gedanken lesen«, eine verbal-visuelle Variante des Denkens.

Manche werden den Begriff des Denkens rein verbal assoziieren – sie werden sich auf die zweite Variante konzentrieren und das Denken vom Träumen unterscheiden. Für mich ist Denken die Form des Träumens, die verbale Sprache mit einbezieht.

Und Emotionen? Wenn wir beobachten, was geschieht, während wir eine Emotion erleben und ausdrücken, finden wir vor allem Körperreaktionen. Dazu gehören unwillkürliche Muskelbewegungen, Erschlaffen und Erstarr(1)en der Muskulatur, Veränderungen des Atem(1)s, der Herzaktivität und damit auch der Durchblutung(1), zitternde, vibrierende oder pulsierende Bewegungen, unterschiedliche Körpergefühle, Veränderungen der Schleimhäute, die Aktivierung der Tränendrüsen und vieles andere mehr. Emotionen sind vernetzte Körperreaktionen, die in ihrem Zusammenspiel nicht den jeweiligen Körperteilen zugeordnet, sondern als Reaktion auf ein äußeres, meist sozial bedingtes Geschehen erlebt werden.

Mit Emotionen reagieren wir auf Veränderungen unserer Sicherheit, Zugehörigkeit und Rolle in unserem sozialen System (»Herde«), auf erwartete bzw. eingetretene Verluste und Beschädigungen unserer Sicherheitszone (»Territorium«, »Heimat«, »Intimsphäre«).

Zu den Emotionen zähle ich Einsam(1)keit, Wut(1) und Ärger, Angst(1) und Scheu, Traurigkeit, Ekel(1), Widerwillen und Schauder oder Grauen, Rührung und Ergriffenheit, Scham und Schuld(1)gefühl sowie Freude mit ihren unterschiedlichen Facetten. Als Verbindung von Emotionen und Wünschen können noch Gunst und Missgunst bzw. Neid genannt werden (jemandem Gutes oder Schlechtes gönnen bzw. Gutes missgönnen). Als Verbindung von Emotion und Erinnerung kommen noch Dankbarkeit und Groll, als Verbindung von Emotion und Erwartung Zuversicht und Verzagtheit in Frage.

Emotionen wie Angst oder Traurigkeit treten auch dann auf, wenn unser innerstes Territorium, der Körper, in seinem Überleben oder seiner Integrität bedroht ist. Ekel wiederum ist die Angst der Körperöffnungen. Menschen ekeln sich, wenn sie erleben oder befürchten, dass etwas (über Wunden oder natürliche Körperöffnungen) unerwünscht in ihren Körper eindringt oder wenn sie sich mit einer anderen Person identifizieren, die sich in einer solchen Situation befindet.

Gedanken und Emotionen werden körperlich erlebt, das heißt, wahrgenommen. Bei den Gedanken steht für die meisten Menschen, zumindest im bewusstseinsnahen Bereich, eine visuelle und auditive Wahrnehmung im Vordergrund, bei den Emotionen Körpergefühle und Körperreaktionen. In der Welt unserer Träume (einschließlich der aktuellen gedeuteten Wahrnehmung(3)) sind Sehen, Hören, Fühlen und die anderen Sinnesleistungen ein Netzwerk. Gedanken und Emotionen sind also zwei Bereiche desselben Geschehens, mit Schwerpunktsetzung auf verschiedenen Sinneskanälen: Wenn wir denken, fühlen wir auch, und wenn wir fühlen, denken wir auch.

Die sinnliche Wahrnehmung bildet also – großenteils über die Imagination als Netzwerk simulierter Sinneseindrücke – die Schnittstelle zwischen dem, was wir als körperlich ansehen und dem, was wir psychisch erleben.

Auch unser Immun(1)system verfügt über Sinneskanäle, die wie unser Sehen, Hören und Riechen das Potential der Chancen und Gefahren im Bereich der eintreffenden Reize auslotet. Wie die anderen Sinne lernt, erwartet und erinnert es und erschafft hilfreiche oder irrtümliche Verbindungen von Reiz und Reaktion. Bei überlastenden sozialen oder territorialen Erfahrungen erzeugt es zuweilen Triggerreaktionen, die sich von trauma(1)tischen Reiz-Reaktions-Muster(2)n nicht unterscheiden. Medizinisch lassen sich viele vom Immunsystem gesteuerte Auslösemuster als Autoimmunerkrankungen beschreiben. Es ist bezeichnend, dass sowohl bei der Behandlung von Phob(1)ien als auch bei Allergie(1)n von »systematischer Desensibilisierung« gesprochen wird. Allem Anschein nach ist nicht nur die Therapie, sondern auch die behandelte Störung essentiell dieselbe – nur handelt es sich einmal (bei den meisten diagnostizierten Phobien) um einen Fehlalarm im visuellen Wahrnehm(4)ungssystem, das andere Mal um einen entsprechenden Irrtum in der immunologischen Wahrnehmung.33 Neben den bewussten Wahrnehmungskanälen gibt es also auch solche, die unbewusst bleiben, sich aber analog verhalten. Entsprechend sind, soweit ich sehe, alle therapeutischen Interventionen, die bei Phobien und traumatischen Triggern wirken, auch bei Allergien effektiv und umgekehrt.34 Der Zusammenhang wird auch deutlich, wenn wir Allergiepatienten fragen: »Seit wann haben Sie das? Und was war damals noch?«

Jede Wahrnehmung bedarf der Deutung, und natürlich unterliegen wahrgenommene und gedeutete Inhalte Irrtümern im Sinne von Über-, Unter- und Fehlinterpretationen.35 Zunehmend wird deutlich, dass unsere Sinne die Wirklichkeit weniger analysieren als konstruieren, weshalb womöglich »die Wirklichkeit das ist, was wir wirklich nennen«.36 »Wirklichkeit« ist ein kulturell entwickeltes Konzept, ein Ergebnis gemeinschaftlich gedeuteter Wahrnehmungen und nicht ihre primäre Quelle. Wenn wir zu analysieren meinen, was wir (oder unsere Vorfahren und die Gemeinschaft, in der wir unsere Umwelt interpretieren) zuvor geschaffen haben, treten wir in Kreisläufe von sich selbst bestätigenden Annahmen ein. Gunther Schmidt(7) schlägt in diesem Zusammenhang vor, nicht mehr von »Wahrnehmung«, sondern von »Wahrgeb(5)ung« zu sprechen.37 Unterschieden werden kann zwischen der Wirklichkeitskonstruktion einzelner – evtl. von anderen als paranoid(1) angesehenen – Individuen und der »Konsensusrealität«38 von gesellschaftlichen Mehrheiten oder von Überzeugungsgemeinschaften. Diese erzeugen auf unterschiedlichem Weg Plausib(1)ilität. Plausibilität entsteht z. B. durch normierte experimentelle Settings, durch relig(1)iöse Offenbarung, durch familiär oder staatlich legitimierte Autorität oder durch Vertrauen in die informativen Arrangements von medialen Blasen. Akzeptiert eine Gruppe oder ein Individuum die Voraussetzungen der anderen zur Herstellung ihrer Plausibilität nicht (was üblicherweise auf Gegenseitigkeit beruht), kann keine gemeinsame Wirklichkeit hergestellt werden – wie in der Therapie mit diagnostizierten »Wahn«-Patienten. Eine wirksame Arbeit ist oft dennoch möglich, wenn der Therapeut das Wirklichkeitskonstrukt seines Klienten akzeptiert und sich mit allen seinen Äußerungen innerhalb desselben bewegt.

2.1 Annahmen und Haltungen aus der Hypnotherapie

Hypnosystemische Therapie greift auf Konzepte aus der Hypnotherapie, insbesondere aus der Tradition Milton Erickson(6)s, zurück. Anders als in der klassischen Hypnotherapie wird in der hypnosystemischen Arbeit in der Regel keine formelle Trance(2)induktion angewandt und keine Tiefentrance induziert. Der Therapiestil ist weithin dialogisch, die Begegnung von Therapeutin und Klientin geschieht in partnerschaftlichem Verständnis, auf gleicher Augenhöhe.

Die Haltung Milton Ericksons war geprägt von Neugier, Liebe, Respekt und der Annahme von allem, was der Klient ihm entgegenbrachte. Diese Einstellung wie auch seine Sicht, dass alles, was der Klient braucht, bereits in ihm angelegt ist, hat – vermutlich weniger bei Erickson selbst als in der Entwicklung nach Erickson – zu einer Wende geführt: Der Klient steht dem Therapeuten gleichrangig gegenüber. Das heißt, dass der Therapeut vor dem Klienten nichts zu verbergen hat. Es gibt keine Techniken, von denen der Klient nichts wissen dürfte. Moralische oder pathologische Bewertungen haben in einem wertschät(1)zenden, kompetenzorientierten Umgang keinen Platz. Das heißt auch, die Kompetenz(1) des Klienten und die des Therapeuten erschaffen gemeinsam das Lösungserleben, nach dem der Klient sucht.

Milton Erickson war äußerst interventionsfreudig. Mit seinen therapeutischen Impulsen übernahm er regelmäßig die Führung. Auf andere Art aber folgte er seinen Patienten:

Jeder Mensch ist ein Individuum. Die Psychotherapie sollte deshalb so definiert werden, dass sie der Einzigartigkeit der Bedürfnisse eines Individuums gerecht wird, statt den Menschen so zurechtzustutzen, dass er in das Prokrustesbett einer hypothetischen Theorie vom menschlichen Verhalten passt.39

Ericksons Redeweise bei Hypnosesitzungen war nicht die von formalen Hypnosen, auch nicht imperativisch, sondern konversational. Oft war den Beteiligten nicht klar, wann die eigentliche »Hypnose« beginnt, und ob das, was gerade ablief, schon oder noch als »Hypnose« zu bezeichnen war.

Die hypnosystemische Therapie greift diesen Gesprächsstil auf und führt ihn weiter, indem sie die Klienten zu wachen Imaginationsexperimenten einlädt. Sie verzichtet auf Trance(3)ritual(1)e und stimuliert dissoziative Prozesse durch den Gebrauch von Stimme(1) und Körpersprache, durch beiläufig eingestreute Signalwörter, eine bewusste Wahl geeigneter grammatischer Konstruktionen und durch gezielt gewählte Parabeln und Anekdoten. Wesentliche Grundkonzepte aus der Arbeit mit Hypnose behält sie bei. Dies möchte ich an einigen Grundbegriffen kurz erläutern.

Hypnose ist das absichtsvolle Herbeiführen von Trancephänomenen unter Nutzung von Rapport(1) und Suggestion(1). Hypnotische Prozesse sind alltägliche Prozesse. Die Phänomene, die wir als typisch für Hypnose ansehen, treten auch beim Lesen eines spannenden Buches auf: Anästhesie (Schmerzfreiheit), Amnesie (Vergessen von Umgebungsgeräuschen), negative und positive Halluzination (Buchstaben nicht sehen, Wahrnehm(6)en nicht-vorhandener Dinge), verändertes Zeiterleben, Katalepsie (Körperstarr(2)e), automatische Bewegungen (blätternde Hände) und anderes mehr.

Trance ist kein bestimmter Zustand, sondern »der Trance(4)begriff umfasst alle Erlebnisprozesse, bei denen unwillkürliches Erleben vorherrscht«.40 Gemeint sind Zustände ausgeprägter Dissoziation (also Ausblendung oder Abspaltung), Assoziation (also Verknüpfung oder Identifikation) und Transformation (also allmählicher Veränderung, etwa in inneren Filmen) von Erlebnisinhalten.

Sogenannte Trancephänomene wie etwa die Unfähigkeit, ein Körperteil zu bewegen (Katalepsie)41 oder eine Anästhesie42 lassen sich ohne Tranceinduktion erreichen.

Nicht jede Trance ist entspannend, und nicht jede Trance ist wünschenswert. Auch Zustände akuter Trauma(2)tisierung, Panik(1)attacken, Depressi(1)on, Psychose(1) und körperliche Krisen sind mit Trance verbunden, ohne dass es sich dabei um förderliche oder überwiegend angenehme Zustände handeln würde. Schmidt(8) unterscheidet im therapeutischen Kontext Problemtrancen und Wunsch- oder Lösungstrancen.(1)43 Problemtrancen resultieren aus der Aufmerksamkeitsfokussierung(1) auf belastende und möglichkeitseinengende Inhalte, Lösungstrancen aus der Fokussierung auf befreiende und möglichkeitserweiternde Inhalte, auf Chancen, Ressource(2)n und Kompetenz(2)en.

Suggestion ist Aufmerksamkeit(2)slenkung. Anders gesagt, ist Suggestion(2) die bewusst oder unbewusst erzeugte Stimulation von Veränderung im Erleben eines anderen Menschen. Suggestion erreicht Veränderungen im Bereich von Wahrnehm(7)ungen und Deutungen, Wünschen und Abneigungen, Überzeugungen und Handlungsimpulsen.

Man kann nicht nichts suggerieren,44(4) man kann lediglich der eigenen Suggestionen nicht gewahr sein. Suggestionen können verbal und nonverbal erfolgen. Auch, was wir erwartungsgemäß oder wider Erwarten unterlassen, hat suggestive Wirkung.

Jede Kommunikation ist unwillkürlich suggestiv. Das gilt zumindest, wenn wir annehmen, dass »jedes menschliche Erleben grundsätzlich als Ergebnis und Ausdruck von Aufmerksamkeitsfokussierung«45 zu verstehen ist und diese Fokussierung im Wechselspiel der Kommunikation durch die Beiträge der Partner (oder Kontrahenten) gegenseitig gelenkt wird. Gunther Schmidt(9) spricht hier von sehr starken Einladungen. Weil wir uns Dinge vorstellen müssen, um sie zu verstehen, sind manche dieser Einladungen (»Denk nicht an ›blau‹!«) allerdings so unwiderstehlich, dass das Konzept der gegenseitigen Lenkung (»Leading(1)«) ebenfalls naheliegt.

Die Wirksamkeit von (3)Suggestion (oder von Hypnotherapie) ist nicht speziell von der Tiefe der (5)Trance oder einer bestimmten Art von Trance abhängig, sondern davon, dass ein Arrangement geschaffen wird, in dem der Klient den angebotenen Suggestionen innerlich zustimmt. Formale Tranceinduktionen sind nur eine von verschiedenen möglichen Weisen, um die Zustimmung des Klienten zur Wirksamkeit der Therapie zu fördern.46(1)Placebos beispielsweise wirken auch ohne Trance oft ganz ausgezeichnet.

Beim Anregen von Trance wird lediglich der Bereich des Erlebens, in dem Einwände gegen das Therapieergebnis bestehen könnten, entkoppelt von dem Bereich, in dem sich das therapeutische Lernen abspielt. Um das gleiche Ergebnis im wachen Dialog zu erreichen, wird Relevanz und Plausib(2)ilität für die suggerierten Inhalte konstruiert. Entsprechend werden die Relevanz und Plausibilität von Einwänden, die dem Therapieerfolg entgegenstehen, dekonstruiert. Benötigt wird dafür keine logische Plausibilität. Es genügt eine gefühlte, intuitive Plausibilität (zur Konstruktion von Plausibilität vgl. Wirkfaktoren 2 und 3 in Abschnitt 2.1.1).47

Die Betrachtung von Aufmerksamkeitsfokussierungen erlaubt eine differenziertere Beschreibung der beteiligten physiologischen Vorgänge als die Verwendung des Trancebegriffs.48 Wir können mehrdimensionale Aufmerksamkeitslandschaften skizzieren, bei denen unterschiedlich stark mit dem Ich-Erleben assoziierte Erlebnisaspekte als Berge und davon dissoziierte Aspekte als Täler dargestellt sind. Wollen wir das transformative Element (also die Veränderung der Aufmerksamkeit über eine Zeitspanne hinweg) mitberücksichtigen, müssen wir gewissermaßen im Rahmen einer 3D-Animation zeigen, wie sich die Berge und Täler im Verlauf einer Therapiesequenz verformen und verschieben (zur Aufmerksamkeitsfokussierung durch Dissoziation und Assoziation s. a. Abschnitt 2.1.3.).

Von Mustern sprechen wir, wenn sich Aufmerksamkeitsfokussierungen von Einzelpersonen oder Teilen eines Systems wiederholen. Manche Muster(3) lassen sich fast statisch wie Momentaufnahmen des Organismus beschreiben (Erlebnismuster, z. B. Triggerreaktionen), andere eher dynamisch als Aufeinanderfolge verschiedener Stadien eines Prozesses (Verhaltens- und Interaktionsmuster, Eskalationsspiralen). Bei der Beschreibung von Mustern können wir weitwinklig fokussieren, indem wir die systemische Interaktion aller unmittelbar Beteiligten, der Gesellschaft oder weiterer Umweltfaktoren mit in den Blick nehmen oder engwinklig, indem wir die internale Kommunikation in Tagträumen, Selbstgesprächen oder Körperreaktionen betrachten.49

Rapport(2) ist die unwillkürliche gemeinsame Konstruktion von Wirklichkeit. Dazu gehören Übereinstimmungen in Körperverhalten, in der Sprechweise und Stimme(2), im verbalen Ausdruck, in der Deutung von aktuellen Situationen und gesprochenen Inhalten (inklusive Weltbild), in ästhetischen Präferenzen, Werthaltungen und vielem anderen. Zur Verdeutlichung der Bedeutung von Rapport kann die Metapher der »gemeinsamen Wellenlänge«, der Gadamer’sche Begriff der »Horizontverschmelzung« oder die Erfahrung eines »Wir-Gefühls« herangezogen werden.

Unter einem Yes-Set (»Ja-Serie«) verstehen wir eine Serie von Aussagen, auf die der Hörer erwartbar mit Zustimmung reagiert. Mit jeder solchen Aussage und jeder Zustimmung wächst die Wahrscheinlichkeit, dass die folgende Aussage ebenfalls bejaht wird – auch dann, wenn sie in einem anderen Zusammenhang vermutlich nicht angenommen werden würde.

Pacing (»Folgen«) bedeutet Anknüpfung an das Verhalten und Erleben des Gegenübers und steht für den Auf- und Ausbau von Rapport(3). Wir können den Atem(2), die Körperhaltung, die Sprechweise, das Vokabular, das Gedankengut und jede andere Lebensäußerung des Gegenübers pacen, indem wir uns seinem Verhalten angleichen. Pacing ist wesentlich, um den Klienten in seinem Ausgangserleben (seiner »Problemtrance(6)(2)«) abzuholen, um Vertrauen zu fördern und Einvernehmen herzustellen. Einem komplexen, mehrschichtigen Erleben beim Klienten kann mit einer analogen Kommunikation seitens des Therapeuten begegnet werden (Ambivalenz(1)pacing50).

Leading (»Führen«) bedeutet das Gestalten oder Mitgestalten eines gemeinsamen Erlebens und steht für ein suggestives Verhalten. Leading(2) ist wesentlich, um den Klienten seinem Zielerleben näher zu bringen, man kann auch sagen, um eine Lösungstrance zu fördern. Leading ist, ebenso wie Pacing, verbal und nonverbal möglich. Die Begriffe »Pacing« und »Leading« wurden von den NLP-Gründern Richard Bandler(1) und John Grinder(1) eingeführt, um das zu beschreiben, was Milton Erickson(7) »Establishing of a Yes-Set(1)« (»Aufbau einer Serie von Ja-Antworten«) nannte.

Utilisation ist das Nutzen …

von Elementen der Ausgangssituation zum Erreichen der Zielsituation,

des schon Funktionierenden für das Noch-Nicht Funktionierende, sowie

des Vertrauten und Unbestreitbaren zum Erreichen erwünschter Ergebnisse.

Utilis(1)ation ist gekennzeichnet von Wertschätz(2)ung all dessen, was der Klient und die therapeutische Situation uns entgegenbringen, mit der Bereitschaft, all das zu nutzen.

Utilisation ist also eine Werthaltung, Denkhaltung, Suchhaltung und Verhaltensorientierung.51 Sie ist nicht auf eine bestimmte Technik, Interventionsform oder Handlungsstrategie festgelegt. (Weiterführende Gedanken zum Konzept der Utilisation in der Hypnosystemischen Therapie finden sich in Abschnitt 2.1.3.)

Die Aufgabe des Therapeuten sieht Milton Erickson(8) entsprechend darin, »die vom Patienten gezeigten Verhaltensweisen zu akzeptieren und ihnen zu folgen, wie ungünstig diese in der klinischen Situation auch erscheinen mögen«. Dabei werden »die eigenen Einstellungen, Denk- und Verhaltensweisen [des Patienten und] … Aspekte der realen Situation … in verschiedenster Weise verwendet«.52 »Schätze alles und nutze alles!«, lautet gewissermaßen der Wahlspruch der Utilisation, Dabei wird »schätzen« nicht immer »mögen«, aber doch immer »respektieren« bedeuten.

Mehrebenen-Kommunikation(2) ist eine Form der Informationsaufnahme und Selbstmitteilung, die Lebensäußerungen der Gesprächspartner auf vielen Sinnes- und Sprachebenen synchron wahrnimmt und einordnet. Entsprechend werden die Angebote des Therapeuten (die Dekonstruktion von Problemerleben, Konstruktion von Lösungserleben und Transformation von Problem- in Lösungserleben) verbal und nonverbal auf vielen Kanälen synchron vermittelt. Das kann mit der Koordinationsleistung eines Autofahrers im Straßenverkehr oder eines Klavierspielers in einer Band verglichen werden, der viele Handlungen und Sinnesleistungen vernetzt, und in dichter Folge gleichzeitig intuitiv und bewusstseinsnah (der Reflektion zugänglich) Entscheidungen trifft, nach denen er handelt und reagiert.

Beim Erlernen von Mehrebenen-Kommunikation ist die Wahl der Worte mit ihren Wertungen und ihrem Konnotationsfeld von Interesse, die Syntax, der Gebrauch der Zeiten, von Indikativ, Konjunktiv, Imperativ und Frageform, der Einsatz von Affirmationen, Imperativen und Fragen, von Anekdoten und Parabeln, überhaupt der Dramaturgie gesprochener Worte. Sichtbar-nonverbal wird auf Mimik und Gestik geachtet, auf die Art der Bewegung, Veränderungen der Hautfärbung, des Atem(3)s und anderer unwillkürlicher Körperäußerungen, hörbar-nonverbal auf Stimme(3), Sprechweise und Sprachfluss(1), auf Räuspern(1) und Körpergeräusche. Hinzu kommen Beobachtungen zur Bekleidung, Körperpflege, zu Höflichkeitsformen und sonstigen Gepflogenheiten.53

2.1.1 Wirkfaktoren von Therapie

Wann sind therapeutische Interventionen wirksam? Wann womöglich weniger?

Der Forscher Matthew Lieberman(1) hat herausgefunden, dass Gehirne hauptsächlich auf dreierlei Weise in ihr emotionales Gleichgewicht zurückfinden:

wir identifizieren, was wir fühlen (Emotionen in Worte fassen)

wir denken anders über die Situation (Umdeutung)

wir denken an etwas anderes … (Ablenkung)

Ein anderer Forscher, James Coan(1), hat dem Puzzle der Möglichkeiten, wie das Gehirn wieder zur Ruhe findet, noch ein weiteres Teil hinzugefügt:

4.

die tatsächliche oder vorgestellte Präsenz eines Menschen, von dem wir glauben, dass er uns mag (Begleitung).54(1)

Therapeutische Interventionen, die diese Faktoren berücksichtigen, dürften dazu beitragen, emotionale Belastungen und damit assoziierte körperliche und soziale Symptome relativ schnell, sicher und nachhaltig zu reduzieren und ggf. aufzulösen.

Nach meiner Beobachtung gelten für die Wirksamkeit therapeutischer Interventionen folgende Prinzipien, die mit diesen Ergebnissen grundsätzlich in Einklang stehen:

1. Je wahrnehm(8)barer eine Intervention ist, desto effektiver ist sie.

Je sichtbarer, hörbarer, fühlbarer und sinnlich fassbarer die Therapie ist, desto stärker ist das Ergebnis später als Erinnerung verfügbar, aus der Erwartung und Erlebnisse generiert werden.55 Therapeutisch wirksam sind:

simulierte Wahrnehmung (Imagination),

das Nutzen sichtbarer Gegenstände und räumlicher Arrangements,

symbolische Handlungen,56(9)

körperlich erlebbare Veränderungen.

Das heißt auch:

Je räumlicher die Therapie erlebt wird, desto wirksamer ist sie.

Therapie braucht Erlebnis, Drama, Emotion. (Leiden wird im therapeutischen Prozess nicht unbedingt benötigt und kann diesem auch schaden.)

Je konkreter die im Lösungskontext verwendeten Begriffe und Szenen sind, desto besser wird das Gehörte verarbeitet.

Je abstrakter die im Problemkontext verwendeten Begriffe und Szenen sind, desto weniger bremst die Problemimagination das Auffinden von Lösungen.

2. Je relevanter und plausibler eine Intervention wirkt, desto effektiver ist sie.

Relevant ist, was zum Wertesystem des Klienten passt, was also von ihm als gut, nützlich, stärkend, möglichkeitserweiternd angesehen wird oder ersichtlich dem Schutz vor Gefahr, Leiden, Verlust und jeglicher Beeinträchtigung dient.

Plau(3)sibel ist, was vom Klienten als stimmig erlebt wird, was also keinen Widerspruch provoziert. Es gibt …

logische Plausibilität: »Wissenschaftler haben herausgefunden, …«

emotionale Plausibilität: »Man möchte draufhauen!«

erfahrene Plausibilität: »Sie wirken erleichtert.« »Sie sehen diese Tür, nicht wahr?«

narrative Plausibilität: »Wie alle Mistkäfer liebte er Mist.«

intuitive Plausibilität: »Haben Sie acht! Ich habe ansteckende Gesundheit.«

Worauf die Plausibilität von therapeutischen Interventionen beruht, ist nicht wichtig. Jede Art von gefühlter Plausibilität und Relevanz für das Leben der Klienten sorgt dafür, dass Suggestion(4)en umgesetzt werden. Ob dabei Trance(7) im Spiel ist, spielt eine eher geringe Rolle. Es genügt, die Inhalte so zu formulieren, dass – gleich, aus welchen Gründen – keine Nein-Reaktion vom Klienten zu erwarten ist.

3. Je weniger Einwände der Klient am Sitzungsende gegenüber der Therapie hat, desto stabiler ist das Ergebnis.

In eine Formel gefasst:

Das Plausib(4)ilitätsgefühl des Klienten für den Therapiefortschritt

minus

sein Plausibilitätsgefühl für Einwände/für den Fortbestand des Bisherigen

ist gleich

dem Wert für die Stabilität des Therapieergebnisses.

Bewusste oder unbewusste Einwände der Klienten gegen die Effektivität der Therapie sind der wirksamkeitsbegrenzende Faktor. Sie wirken als Gegensuggestionen, die einen Teil des Therapieergebnisses aufheben. Gelegentlich sind äußere Skept(5)iker machtvoller als innere. Wenn der Vater oder die Mutter eines Kindes, ein Arzt, eine Therapeutin oder eine andere Autoritätsperson andeutet oder ausspricht, die Therapie könne nicht wirken, hat das oft verheerende Auswirkungen.

Es lohnt sich, spätestens gegen Ende der Sitzung einige Zeit und Sorgfalt darauf zu verwenden, eine hohe gefühlte Plausibilität für die Nachhaltigkeit des Erreichten zu konstruieren und die Plausibilität für etwaige Einwände des Klienten und seiner Umgebung gegen die Gültigkeit und Haltbarkeit des Ergebnisses zu dekonstruieren. (Eine Intervention, die dieses Ziel verfolgt, ist »Die Erde dreht sich vorwärts« in Abschnitt 8.6, eine andere die Anekdote »Auf der mir zugewandten Seite« in 9.1.)

4. Je wirkungsvoller der Klient die erste Stunde erlebt und je zuversichtlicher er daher in die zweite Stunde geht, desto schneller verläuft die gesamte Therapie.

Ist die erste Therapiestunde aus Sicht des Klienten bemerkenswert ergebnisreich verlaufen, erwartet er für die zweite dasselbe und erlebt das dann in der Regel auch.

Das bedeutet, dass insbesondere zu Beginn der Therapie auf alles verzichtet werden sollte, was voraussichtlich eher wenig therapeutische Veränderung erzeugt und dass umgekehrt alles getan werden sollte, was voraussichtlich viel Veränderung generiert.

Das bedeutet auch: In der ersten Stunde den Klienten länger als unbedingt nötig über sein Problem reden zu lassen, eine längere Anamnese(2)phase vorzuschalten, ihm therapeutische Konzepte zu erklären, ist ungünstig. Stattdessen kann diese Zeit genutzt werden, um ihn neue Sichtweisen erproben zu lassen, die einen hilfreichen Unterschied in seinem Leben machen.

Natürlich ist es unverzichtbar, dass der Klient sich wahrgenommen, willkommen und wertgeschätzt fühlt. Soweit dies aber ohne zusätzlichen Zeitaufwand erreicht wird, dient es der Effektivität der Therapie. Die Körperhaltung, Mimik und Gestik des Therapeuten, seine Stimme(4) und Sprechweise, seine Wortwahl, Höflichkeitsformen, Hinweise auf die gute Absicht seines Vorgehens und Fragen, wie es dem Klienten damit gehe, tragen Wesentliches dazu bei.

5. Heilung entsteht durch Defokussieren und Refokussieren.

Anliegen von Klienten sind oft sehr anschaulich: Schulversagen, Streit mit dem Partner(1), zwanghaftes Grübeln. Zu konkreten Anliegen lassen sich konkrete Fragen stellen: »Seit wann ist das so? Was war damals noch?«, »Haben Sie Ähnliches wie die Belastung von damals schon früher erlebt, vielleicht als Kind?« und: »Haben Ihre Eltern und Großeltern Ähnliches gekannt?«

Indem der Klient auf solche Fragen antwortet, defokussiert er sein aktuelles Wiedererleben älterer Belastungsreaktionen und refokussiertfrühere Auslöser, die oft besser als die aktuellen Ereignisse erklären, warum er jetzt so (und so stark) reagiert.

Mit der Einsicht, dass er sich vor den alten Belastungen zwar schützen darf, es aber nicht mehr braucht, defokussiert er die früheren Ereignisse und refokussiert die Ausgangssituation mit einem entspannten, neuen Blick. Bei mehreren Personen (z. B. Paar(1)en) ist es hilfreich, allen Beteiligten eine solche Sicht anzubieten.

6. Heilung entsteht durch reguliertes Wiedererleben erstarrter Emotionen.

Wenn Menschen – insbesondere in der Kindheit – regelmäßig erleben, dass sie ihre Emotionen nicht äußern können, weil ihnen sonst erhebliche Sanktionen (z. B. verbale Erniedrigung, körperliche Gewalt(1)) drohen oder weil sich niemand für ihr Ergehen interessiert (z. B. physische Abwesenheit oder Desinteresse von Bezugspersonen, Dissoziation durch Suc(1)(2)(1)(1)(2)ht, Depression oder Trauer), entwickeln sie oft Schwierigkeiten, Emotionen wahrzunehmen bzw. zu äußern. Klienten sprechen in diesem Kontext oft von Einsamkeit, Verlassenheit oder einer unergründlichen, tiefen Angst. Die Schwierigkeit, bestimmte oder alle Emotionen zu spüren und auszudrücken, geht oft mit einer reduzierten Körperwahrnehmung einher, teils auch mit Problemen in der optischen und akustischen Wahrnehmung. Das Phänomen der erstarrten(3), betäubten oder blockierten Emotionen spielt im Kontext tra(3)(2)umatischer Belastungen (s. Abschnitt 3.2) eine besondere Rolle. Psychische Phänomene wie Depression, Manie, Sucht und Psychose lassen sich als Versuch des Organismus verstehen, einen übermächtigen Schmerz zu betäuben und so einen Umgang damit zu ermöglichen (s. Abschnitt 3.3.2). Ebenso lassen sich viele körperliche Symptome auf Zeiten emotionaler Überlastung zurückführen (vgl. die Übung »Autoanamnese« zu Beginn des 7. Kapitels). Umgekehrt ausgedrückt: Unter der Erfahrung existenzieller Bedrohung transformieren sich starke Emotionen, die dauerhaft nicht ausgedrückt werden, häufig in Körpersymptome.

Das Maß, in dem der Klient Emotionen, die er zeitweise nicht oder aber nur in Extremform erleben konnte, erfahren und ausdrücken kann, ohne davon überlastet zu werden, ist ausschlaggebend für die Wirksamkeit der Therapie. Es genügt, die eigenen Emotionen gemeinsam wahrzunehmen und sie in ihrem Kontext als adäquat anzuerkennen. Eine hohe emotionale Intensität wird für die Heilung nicht benötigt.57

2.1.2 Der Kreislauf von Erinnerung und Erwartung

Die Begriffe »Vergangenheit«, »Gegenwart« und »Zukunft« beziehen sich auf unsere Verortung in der physikalischen Zeit. Das Rätsel der Zeit, das die Philosophie seit Menschengedenken beschäftigt, entsteht aus der gedanklichen Vermischung von physikalischer Zeit und biologischem Zeiterleben. Für unseren Bedarf ist festzuhalten:

Biologisch verfasste Wesen leben immer »jetzt«. Vergangenheit ist Erinnerung im Jetzt. Gegenwart ist gedeutete Wahrnehm(10)ung im Jetzt. Zukunft ist Erwartung im Jetzt, meist realisiert als Hoffnung oder Befürchtung. Alles, was im Jetzt geschieht, kann sich gegenseitig beeinflussen und füreinander genutzt werden.

Dieses »Jetzt« bezeichnet die zeitliche Selbstverortung unseres wahrnehmenden Geistes, wie das »Hier« die räumliche bezeichnet, »Ist« (im Gegensatz zu »Wäre« bzw. »Sei«) die Verortung mit Blick auf die realisierten Möglichkeiten und »Ich« die Verortung mit Blick auf andere Personen bzw. Möglichkeiten, eine Person zu sein.

Erinnerung, Erwartung und Erlebnis sind simulierte Wahrnehmung – innere Filme im Kopf einschließlich der dazugehörigen Körpergefühle und Körperreaktionen.

Erwartungen werden aus Erinnerungen gemacht, gute Erwartungen (Hoffnungen) aus guten Erinnerungen, schlechte Erwartungen (Befürchtungen) aus schlechten Erinnerungen. Aus dem, was wir erwarten, wird regelmäßiger als wir denken das, was wir bekommen, aus einer Erwartung wird ein Erlebnis.

Was bewirkt die Erwartung,

dass wir auf Glatteis ausrutschen?

dass das Placebo ein Medikament ist, das hilft?

dass wir einen Blackout bei der Prüfung haben?

dass der Chef uns ablehnt?

dass Hypnose hilft?

So wird aus schlechter Erinnerung schlechte Erwartung, daraus ein schlechtes Erlebnis, daraus eine schlechte Erinnerung, und nach drei Runden nennen wir es Erfahrung und meinen, so viel Erfahrung könne nicht täuschen. Dasselbe gilt natürlich umgekehrt für gute Erinnerung, Erwartung, Erlebnisse und sogenannte Erfahrungen.

Unterbrochen wird der Kreislauf beispielsweise, indem wir fiktive Erinnerungen erstellen und dem Gehirn einen Gruß mit der Bitte schicken, uns dieses gute Erleben »gefühlt schon immer« erleben zu lassen. Aus Erinnerung wird Erwartung; was »gefühlt schon immer« ist, ist »gefühlt für immer«. Die Zukunft wiederum besteht aus Erwartung – ansonsten müsste man sagen: Die Zukunft gibt es nicht, denn wenn sie da ist, ist sie weg, und zwischen »gefühlter« und »realer« Erwartung zu unterscheiden, ist nicht nötig. Es ist das gleiche. Also führt die »gefühlte Erinnerung« zu einer »realen Erwartung«.

Jean-Otto Domanski beschreibt unter dem Begriff »Reality Loop« im Anschluss an Alexander (1)Hartmann58 denselben Kreislauf von Erwartung und Erinnerung, jedoch weniger am Verlauf der Zeit orientiert, sondern an physiologischen Erfahrungen und inneren Bildern, die als selbsterfüllende Prophezeiungen wirken. Während beim Yes-Set eine lineare Entwicklung vorausgesetzt wird, geht sein Modell von einer Zirkularität aus, von einer kreis- oder spiralförmigen Festigung der erlebten »Wirklichkeit«.

Domanski beschreibt den Kreislauf wie folgt:

»Unsere Imagination, unsere inneren Bilder und Erwartungen rufen körperliche Empfindungen und Gefühle und eine bestimmte Physiologie hervor und beeinflussen so unsere Wahrnehmung. Wenn dies einige Male geschieht, nennen wir das eine Erfahrung und können Geschichten darüber erzählen. Aus diesen Erfahrungen speisen sich unsere Überzeugungen und Glaubenssätze, die wiederum unsere inneren Bilder und Wahrnehmungen beeinflussen. So erzeugen wir unsere Realität«.59

An jedem Punkt kann man anfangen, eine andere Realität zu erzeugen. Man kann …

andere innere Bilder und Filme imaginieren,

eine andere Körperhaltung einnehmen,60

andere Geschichten über sich selbst erzählen oder

andere Überzeugungen und Glaubenssätze entwickeln.

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