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In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie ist Denise überall im Einsatz. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Doch auf Denise ist Verlass. In der Reihe Sophienlust Extra werden die schönsten Romane dieser wundervollen Erfolgsserie veröffentlicht. Warmherzig, zu Tränen rührend erzählt von der großen Schriftstellerin Patricia Vandenberg. Ein warmer, sonniger Nachmittag hatte alle Kinder von Sophienlust in den Park gelockt. Selbst die Großen hatten ihre Schularbeiten etwas verschoben, um das gute Wetter nutzen zu können. Sie saßen auf dem Rand des Springbrunnens oder vor dem Pavillon. Meistens hatten sie einander Geheimnisse zu erzählen, von denen die Kleinen noch nichts wissen sollten. Aber denen boten die Schaukel, die Rutsche und der Sandkasten Abwechslung genug. Denise von Schoenecker stand etwas abseits und beobachtete ihre Schützlinge. Um ihre Lippen lag ein glückliches Lächeln. Es gab so viele Stunden, in denen sie dankbar für die Aufgabe war, die sie mit dem Kinderheim übernommen hatte. Die Arbeit wurde ihr nie zu viel, weil sie sich nichts Schöneres vorstellen konnte, als armen vernachlässigten Kindern diesen Ort der Geborgenheit bieten zu können. Schwester Regine kam durch den Park und riss sie aus ihren Gedanken. »Herr Dr. Roeder ist gekommen, Frau von Schoenecker. Er wartet im Empfangszimmer.« Denise strich sich über die Stirn. »Beinahe hätte ich diesen Besuch vergessen. Zumindest habe ich nicht auf die Zeit geachtet. Bitte, bleiben Sie hier im Park, Schwester Regine, und passen Sie auf die Kleinen auf.« Sie lächelte. Dann ging sie schnell auf das Kinderheim zu. Dr.
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Seitenzahl: 136
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Ein warmer, sonniger Nachmittag hatte alle Kinder von Sophienlust in den Park gelockt. Selbst die Großen hatten ihre Schularbeiten etwas verschoben, um das gute Wetter nutzen zu können. Sie saßen auf dem Rand des Springbrunnens oder vor dem Pavillon. Meistens hatten sie einander Geheimnisse zu erzählen, von denen die Kleinen noch nichts wissen sollten. Aber denen boten die Schaukel, die Rutsche und der Sandkasten Abwechslung genug.
Denise von Schoenecker stand etwas abseits und beobachtete ihre Schützlinge. Um ihre Lippen lag ein glückliches Lächeln. Es gab so viele Stunden, in denen sie dankbar für die Aufgabe war, die sie mit dem Kinderheim übernommen hatte. Die Arbeit wurde ihr nie zu viel, weil sie sich nichts Schöneres vorstellen konnte, als armen vernachlässigten Kindern diesen Ort der Geborgenheit bieten zu können.
Schwester Regine kam durch den Park und riss sie aus ihren Gedanken. »Herr Dr. Roeder ist gekommen, Frau von Schoenecker. Er wartet im Empfangszimmer.«
Denise strich sich über die Stirn. »Beinahe hätte ich diesen Besuch vergessen. Zumindest habe ich nicht auf die Zeit geachtet. Bitte, bleiben Sie hier im Park, Schwester Regine, und passen Sie auf die Kleinen auf.« Sie lächelte. Dann ging sie schnell auf das Kinderheim zu.
Dr. Constantin Roeder, der Besitzer einer Klinik in Heilbronn, war ihr von Bekannten angemeldet worden. Sie war nun ein bisschen neugierig auf diesen Besucher.
Als sie das Empfangszimmer betrat, erhob sich ein großer schlanker Mann aus dem Sessel und kam auf sie zu. »Frau von Schoenecker?«, fragte er, und seine grauen Augen blicken Denise bewundernd an.
»Ja, die bin ich«, sagte sie. »Ich freue mich über Ihren Besuch, Herr Dr. Roeder. Bitte, kommen Sie mit in mein Zimmer, dort können wir uns ungestört unterhalten.«
Denise ging voraus, die Treppe hinauf in ihr Biedermeierzimmer, das sie sehr liebte.
Als sie sich gesetzt hatten, sagte sie: »Es geht also um Ihren kleinen Jungen, Herr Doktor.«
»Ja, um Rüdiger. Er ist fünf Jahre alt. Ich bin ein viel beschäftigter Arzt und kann mich wenig um meinen Sohn kümmern. Meine Wirtschafterin Malwine ist leider nicht mehr jung genug, dass sie sich auf den Jungen einstellen könnte. Zudem hat sie sehr viel Arbeit mit dem großen Haus und dem Garten. Meine Klinik liegt zwar neben dem Wohnhaus, aber oft kann ich es den ganzen Tag nicht ermöglichen, auf einen Sprung zu meinem Jungen zu gehen. Komme ich dann am Abend zurück, schläft er meistens schon.« Constantin Roeder strich sich über das braune Haar. Er sah bedrückt aus. »Leider habe ich auch niemanden, der Rüdiger in den Kindergarten bringt und wieder abholt. Dadurch kommt er kaum mit anderen Kindern zusammen. Das wirkt sich bei ihm schon aus. Er ist ein sehr zurückhaltendes Kind, um nicht zu sagen, schon fast schwermütig.«
Denise hatte aufmerksam zugehört. Jetzt wagte sie die Frage: »Seine Mutter ist gestorben?«
Dr. Roeder lehnte sich zurück, und sein Gesicht verhärtete sich sichtbar. »So viel wie gestorben«, antwortete er. »Ich musste mich schon vor längerer Zeit von meiner Frau trennen. Über die Gründe möchte ich nur ungern sprechen.«
»Sie sind also geschieden und der Junge wurde Ihnen zugesprochen«, stellte Denise fest.
»Nein, geschieden bin ich nicht, aber das Familiengericht hat die vorläufige Entscheidung getroffen, dass mein Junge bei mir bleibt. Ich werde das auch bei der Scheidung durchzusetzen wissen.«
Denise erschrak vor dem harten Klang in der Stimme ihres Besuchers. Sie nahm sich zusammen, um das nicht zu zeigen. Etwas nachdenklich sagte sie: »Für gewöhnlich nehmen wir nur Waisenkinder bei uns auf, aber ab und zu auch ein Kind, das zu Hause nicht die richtige Pflege hat, wenn die Mutter im Krankenhaus ist oder ähnliche Umstände eintreten.«
»Ich habe also keine Hoffnung, meinen Jungen bei Ihnen unterzubringen?«, fragte Constantin Roeder erschrocken. »Ich würde mich nur schweren Herzens von ihm trennen, aber ich muss zuerst an ihn denken. Er soll endlich etwas aus sich herausgehen. Ohne richtige Betreuung fürchte ich, dass er seelischen Schaden nimmt. Frau von Schoenecker, vielleicht müsste Rüdiger nicht für allzu lange Zeit bei Ihnen bleiben. Ich gedenke nämlich, nun doch die Scheidung einzuleiten und mich wieder zu verheiraten. Mit einer neuen Mutter im Haus würde für den Jungen alles anders werden. Bitte, überlegen Sie doch noch einmal, ob Sie meine Bitte nicht erfüllen könnten. Sie würden mir damit einen großen Gefallen tun und Rüdiger helfen.«
»Gut, ich werde den Jungen aufnehmen«, sagte Denise nun kurz entschlossen.
Constantin Roeder atmete auf. »Danke«, sagte er leise. »Wann darf ich den Jungen zu Ihnen bringen?«
»Sobald Sie wollen. Ich sorge dafür, dass er ein Bett bekommt. Das wird sich machen lassen, weil in den nächsten Tagen ein Junge Sophienlust verlässt.« Denise zögerte kurz, ehe sie weitersprach. »Übrigens ist das ein ähnlicher Fall. Dieser Junge war auch bei uns, weil sich die Eltern getrennt hatten und der Vater nicht für ihn sorgen konnte.« Nun lächelte Denise. »Aber nun haben sich die Eltern wieder geeinigt. Sie wollen noch einmal neu anfangen.«
»Das wird bei mir nicht der Fall sein.« Das sagte Constantin Roeder schroff und mit verbittertem Gesicht. »Meine Frau hat mich betrogen, und das kann ich nicht verzeihen. Auch dem Jungen zuliebe nicht. Entschuldigen Sie bitte, davon wollte ich ja nicht sprechen. Das muss ich mit mir allein abmachen.«
»Hat Ihr Junge noch eine Erinnerung an seine Mutter?«, fragte Denise. »Das sollten wir wissen, damit wir uns auf ihn einstellen können.«
»Rüdiger war zwar erst etwas über drei Jahre, als ich mich von seiner Mutter trennte, aber er spricht noch immer von ihr«, antwortete Dr. Roeder etwas schwerfällig. Es war ihm anzumerken, dass er nicht gern davon sprach. »Ob er seine Mutter noch erkennen würde, weiß ich nicht. Vielleicht ist die Erinnerung an sie durch Bilder wachgehalten worden.« Nun klang seine Stimme ärgerlich. ».Meine alte Wirtschafterin kann es leider nicht lassen, dem Jungen immer wieder Bilder seiner Mutter zu zeigen und von ihr zu reden, obwohl ich ihr das verboten habe.«
»Rüdiger sehnt sich also nach seiner Mutter. Welches Kind in seiner Lage würde das nicht tun«, sagte Denise aus ihren Gedanken heraus.
»Er wird wieder eine Mutter bekommen. Eine, die ihn und mich nicht verrät.« Constantin Roeder ließ erkennen, dass er dieses Thema beenden wollte.
Denise ging darauf ein, aber sie wusste, dass sie über diesen Mann und seine Familienverhältnisse noch viel nachdenken würde. Sie glaubte ihm nicht so recht. Er kam ihr zu verbissen vor. Sie zeigte ihm nun das Kinderheim und konnte sehen, dass es ihm gut gefiel. Als er sich verabschiedete, bedankte er sich noch einmal und sagte: »Hier wird sich Rüdiger bestimmt wohlfühlen. Endlich wird er mit anderen Kindern zusammenkommen. Danach verlangt es ihn sehr, und es wird ihn ablenken. Wenn es Ihnen recht ist, Frau von Schoenecker, dann bringe ich Rüdiger am kommenden Sonntag.«
»Ja, das ist mir recht.« Denise gab ihm die Hand.
»Natürlich werde ich für die Kosten aufkommen, die der Aufenthalt meines Jungen hier verursacht. Ich weiß, dass man bei Ihnen nicht bezahlen muss, aber ich kann es mir leisten, Ihnen etwas zuzuschießen, was vielleicht ärmeren Kindern zugutekommt. Mir geht es nur darum, Rüdiger gut untergebracht zu wissen. Und dass er bei Ihnen gut aufgehoben sein wird, davon bin ich jetzt vollkommen überzeugt. Ich hoffe, dass er Ihnen keine Schwierigkeiten macht. Er ist ein friedfertiger Junge, nur etwas zu still.«
»Unsere Kinder werden ihm helfen, sich einzugewöhnen, Herr Doktor.« Denise lächelte Dr. Roeder zuversichtlich zu und brachte ihn bis an die Haustür.
Dann ging sie wieder in den Park, suchte sich mit Schwester Regine ein stilles Plätzchen und erzählte ihr, dass sie einen neuen Schützling bekommen würden.
»Wieder einmal ein Kind, dem man anscheinend gewaltsam die Mutter genommen hat«, sagte sie. »Wir wissen schon zu gut, wie sehr solche Kinder oft leiden. Ich bin nicht ganz sicher, dass die Mutter allein die Schuld an der Trennung trägt. Dieser Dr. Roeder kommt mir hart und unerbittlich vor, um nicht zu sagen, rechthaberisch.«
»Und er will sich wieder verheiraten?«, fragte Schwester Regine.
»Ja, das sagte er, aber bis jetzt ist er noch nicht einmal geschieden.« Denises Gesicht nahm einen grüblerischen Ausdruck an. »Das muss doch einen Grund haben. Andererseits scheint er schon genau zu wissen, wer Rüdigers neue Mutter werden soll. Es ist wirklich ein Jammer, dass es immer mehr Ehepaare gibt, die auseinandergehen. Auf der Strecke bleiben meistens die Kinder.«
Schwester Regine nickte. »Ja, es ist schwer, zu verstehen. Die einen gehen fast mutwillig auseinander, die anderen werden durch Tod gewaltsam getrennt.«
Denise wusste, woran Schwester Regine jetzt dachte. Nicht nur an das Schicksal so manchen Kindes, das sie schon in Sophienlust miterlebt hatten, sondern auch an ihr eigenes. Sie hatte Mann und Kind durch den Tod verloren und würde das wohl nie überwinden. Ihr einziger Trost war, dass sie hier für so viele arme Kinder sorgen konnte. Dabei opferte sie sich nahezu auf.
»Gehen wir zu den Kindern«, sagte Denise, um Schwester Regine von ihren schweren Gedanken abzubringen.
*
Als Dr. Roeder nach Hause zurückkehrte, war es früher Abend. »Wo ist Rüdiger?«, fragte er seine Wirtschafterin Malwine Winter.
Die siebzigjährige Frau, schon bei den Eltern Dr. Roeders in Diensten gewesen, zuckte die Schultern. »Ich weiß es nicht genau. Rüdiger hatte heute wieder einen besonders schlechten Tag; es war nicht mit ihm auszukommen. Frau Materna war hier und wollte sich mit ihm unterhalten, aber er war so abweisend wie immer und ist einfach im Garten verschwunden. Sicher hat er sich dort irgendwo versteckt.« Malwine seufzte. »Es ist ein Elend mit dem Jungen. Zu mir hätte er schon Vertrauen, aber das wird durch die Besuche Frau Maternas immer wieder zerstört. Sie versteht es einfach nicht, mit dem Jungen umzugehen. Er spürt, dass ihre Zuneigung nur gespielt ist.«
»Müssen Sie immer so reden, Malwine?«, fragte Dr. Roeder erregt. »Sie wissen, dass ich das nicht hören will.«
»Ja, das weiß ich wohl«, sagte Malwine ungerührt, »aber soll ich mich auf meine alten Tage noch verstellen? Diese Frau Materna passt einfach nicht zu uns. Auch nicht zu Ihnen, Herr Doktor, aber damit stoße ich ja bei Ihnen auf taube Ohren. Rüdiger braucht eine Mutter, wie es Ihre Frau war. Sie stammte zwar aus kleineren Verhältnissen als Frau Materna, aber dafür hatte sie Herz.«
Constantin Roeder wurde immer ärgerlicher. Er hörte so etwas nicht zum ersten Mal von Malwine. »Ja, soviel Herz, dass darin gleich zwei Männer Platz hatten«, entgegnete er böse.
»Das werden Sie mir nie einreden können, Herr Doktor. Ich habe Ihre Frau gut gekannt und auch etwas Menschenkenntnis. Ich bin sicher, dass ihr großes Unrecht geschehen ist. Das werde ich auf meinem Totenbett noch glauben.«
»Ich kann Ihnen diesen Glauben nicht nehmen, Malwine, aber mir hat es genügt, meine Frau in den Armen eines anderen Mannes zu sehen.«
»Das werde ich nie begreifen.« Malwine schüttelte den Kopf. »Ihre Frau lebte nur ihrer Liebe zu Ihnen und zu ihrem Kind. Das habe ich doch miterlebt. Herr Doktor, Sie hätten nicht so unerbittlich sein dürfen. Sie haben Ihrer Frau nicht einmal erlaubt, sich zu verteidigen oder zu rechtfertigen.«
»Sie hätte mir ja nur Lügen erzählen können. Nein, nein, ich habe lieber meinen Augen vertraut. Wozu müssen wir wieder darüber sprechen, Malwine? Wie oft habe ich Sie schon gebeten, das zu unterlassen.«
Malwine machte ein schuldbewusstes Gesicht. »Das weiß ich, aber ich habe eben die Hoffnung nie aufgegeben, dass Sie mit Ihrer Frau doch noch einmal eine Aussprache suchen. Allein schon wegen des Jungen. Er wäre anders, wenn er seine Mutter hätte. So aber ist er niedergedrückt und oft verstockt. Sein Misstrauen gegenüber Frau Materna werden Sie ihm nie nehmen können.«
»Das wird er vergessen, wenn er in eine andere Umgebung kommt«, meinte Constantin Roeder. »Malwine, ich habe mich dazu entschlossen, Rüdiger in ein Kinderheim zu geben.«
Die Alte erschrak. »Auch das noch! Wird er nun ganz abgeschoben? Hinter diesem Entschluss steckt sicher Frau Materna.«
»Nein, das stimmt nicht. Ich wollte, dass Rüdiger hier eine Zeit lang herauskommt, unter fröhlichen Kindern sein kann und mehr Abwechslung hat. Malwine, ich habe durch die Empfehlung von Bekannten ein sehr gutes und schönes Kinderheim gefunden. Rüdiger wird dort in bester Obhut sein. Und das will ich ihm jetzt sagen. Ich gehe in den Garten und suche ihn.«
Malwine sah ihm bedrückt nach. Sie hätte Rüdiger so gern geholfen, aber sie wusste, dass sie dazu nicht imstande war. Auch wenn sie ihn sehr lieb hatte, er brauchte vor allem Mutterliebe und jemanden, der mehr für ihn da sein konnte als sie.
Während sie noch grübelte, rief Dr. Roeder im Garten nach seinem Jungen, und kurz darauf kam Rüdiger aus dem Schuppen, in dem die Gartengeräte abgestellt wurden.
Der Vater ging auf ihn zu und legte den Arm um seine Schultern. »Was machst du nur wieder für dumme Sachen, Rüdiger. Weshalb hast du dich versteckt?«
Der kleine blondhaarige Junge, etwas schmächtig für sein Alter, sah seinen Vater mit großen Augen an. »Sie war doch hier.« Aus seiner Stimme klang Trotz.
»Das heißt nicht ›sie‹, sondern Frau Materna oder Tante Jenny.«
»Sie ist nicht meine Tante, und ich mag sie nicht, weil sie mich nicht mag.« Rüdiger blickte seinen Vater anklagend an. »Warum kommt sie immer wieder her? Bloß wegen dir, Vati. Ich weiß, sie will dich heiraten und meine Mutti werden. Ich habe aber schon eine Mutti. Du willst nur nicht, dass sie bei uns ist.«
»Nein, sie will uns nicht. Dich genauso wenig wie mich.« Jetzt klang Dr. Roeders Stimme wieder hart. »Komm mit ins Haus, ich habe dir etwas zu erzählen.«
Rüdiger folgte seinem Vater widerspruchslos ins Wohnzimmer, dort aber fragte er: »Ist sie jetzt weg?«
Der Vater unterdrückte einen Seufzer. Rüdiger war in seiner Ablehnung gegen Jenny Materna wirklich nicht beizukommen.
»Ja, wir sind allein, Rüdiger. Setze dich dort in den Sessel. Ich möchte dir etwas sagen, was dich vielleicht freuen wird.«
Der Junge sah ihn teilnahmslos an, als wüsste er gar nicht mehr, was Freude war.
Der Vater erzählte von dem Kinderheim Sophienlust, und dass Rüdiger dort willkommen sein würde. »Am Sonntag fahren wir nach Wildmoos, Rüdiger. Es wird dir dort bestimmt gefallen.«
»Du willst mich nur nicht mehr zu Hause haben, Vati, weil ich Frau Materna nicht mag. Sie ist deine Freundin. Bestimmt will sie auch, dass ich nicht mehr bei dir sein soll.«
Dr. Roeder stand auf, ging zu seinem Jungen und strich ihm liebevoll über den Kopf. »Rüdiger, bitte, sei nicht wieder so eigensinnig. Ich meine es doch nur gut mit dir. Mein Entschluss, dich in ein Kinderheim zu geben, hat gar nichts mit Frau Materna zu tun. Ich möchte nur, dass du es schöner hast als hier. Es wird dir bestimmt Freude machen, mit anderen Kindern zusammen zu sein.«
So redete der Vater noch längere Zeit auf seinen kleinen Sohn ein. Schließlich sagte Rüdiger: »Wenn du es willst, Vati, dann gehe ich eben in das Kinderheim.«
Dr. Roeder atmete etwas auf, aber wohl war ihm nicht zumute. Er wagte nicht, davon zu sprechen, dass Rüdiger nur vorübergehend in Sophienlust sein sollte bis Jenny Materna seine neue Mutter sein würde.
Constantin Roeder saß immer noch grübelnd im Wohnzimmer, nachdem Rüdiger schon längst zu Bett gegangen war. Eigentlich müsste ich Jenny anrufen, dachte er, aber er konnte sich nicht dazu aufraffen.
Das war ein Zeichen, dass Rüdigers Abneigung gegen diese Frau doch nicht spurlos an ihm vorbeiging. Dabei war er mit Jenny schon seit Langem befreundet. Sie gehörte bereits zum Bekanntenkreis, als seine Frau noch bei ihm lebte.
Jenny Materna war eine junge Witwe aus den sogenannten guten Kreisen. Ihr Mann hatte sie ohne Vermögen zurückgelassen. Erst nach seinem Tod hatte sie erfahren, dass er der Spielleidenschaft verfallen gewesen war. Um sich über Wasser halten zu können, arbeitete sie halbtags in einem Büro, machte aber keinen Hehl daraus, wie wenig ihr das zusagte.
Will sie vielleicht doch nur versorgt sein?, fragte sich Constantin an diesem Abend. Sofort schüttelte er einen solchen Gedanken wieder ab. Nein, so etwas durfte er nicht denken. Jenny liebte ihn. Nur deshalb wollte sie seine Frau werden. Er hatte ihr das zwar immer wieder in Aussicht gestellt, aber trotzdem die Scheidung von seiner Frau nicht betrieben. Weshalb er das nicht tat, darüber wollte er sich keine Rechenschaft ablegen. Es hätte zu viel in ihm aufgewühlt.