Ich finde dich - B. T. Gold - E-Book

Ich finde dich E-Book

B.T. Gold

4,8

Beschreibung

Der Polizist Dave Malon wird ins Krankenhaus gerufen um die Zeugenaussage einer schwer traumatisierten Frau aufzunehmen und verliebt sich in sie. Nach ihrer Entlassung nimmt er Sofia bei sich auf und auch sie entwickelt langsam Gefühle für ihn. Leider plagen sie Nacht für Nacht fürchterliche Alpträume und sie durchlebt ihr Martyrium immer und immer wieder aufs Neue. Obwohl Dave alles in seiner Macht stehende tut, um ihren Peiniger zu finden, verlaufen sämtliche Ermittlungen im Sand. Dann fühlt sich Sofia plötzlich beobachtet und Dave unterläuft ein fataler Irrtum. Er ignoriert, aufgrund Sofias desolaten Zustands ihre Angst und muss diesen Fehler fast mit seinem Leben bezahlen, als ihr Entführer plötzlich bei ihm Zuhause auftaucht. Diese Wendung zwingt seinen Boss dazu, den aalglatten FBI-Profiler Pete Sullivan mit ins Boot zu holen. Seine Ermittlungsmethoden grenzen schon fast an Selbstzerstörung und trotzdem bleibt Dave keine andere Wahl als ihm zu vertrauen, da er der Beste ist. Als dann eine Nachricht von Sofia auftaucht, beginnt ein mörderisches Katz und Maus Spiel, da ihr Entführer mittlerweile über Leichen geht, um zu behalten was er sich genommen hat. Sein einziges Ziel besteht darin Sofia zu besitzen und ihr, mit allen Mitteln die ihm zur Verfügung stehen, seinen Willen aufzuzwingen.

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Seitenzahl: 517

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Liebe Leserinnen und Leser,

ich möchte mich bereits im Voraus bei ihnen allen bedanken, dass sie mein Buch gekauft haben. Hoffentlich erfülle ich ihre Erwartungen und schaffe es, sie für einige Stunden den Alltagsstress vergessen zu lassen und hoffe sie in eine andere Welt entführen zu können.

Bis zum Jahresende folgen noch zwei weitere Bücher, in denen der Profiler Pete Sullivan sein Können unter Beweis stellen muss und hoffe, dass ich sie auch mit diesen Storys begeistern kann.

Viel Spaß beim Lesen wünscht ihre

B.T. Gold

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Sieben Monate zuvor

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Acht Monate später

1

Panisch blickte ich immer wieder über meine Schulter, ohne jedoch mein Tempo zu verringern. Ich lief und lief, obwohl ich keine Ahnung hatte wo ich mich überhaupt befand. Um mich herum waren nur Bäume, kein Weg, keine Lichtung, nichts. Seit Tagen war ich bereits hier draußen und mittlerweile schwanden meine Kräfte. Ich konnte und ich wollte nicht mehr. Ich wollte nur noch, dass es aufhörte. Meine Arme und Beine waren völlig zerkratzt, da ich immer wieder über etwas stolperte, hinfiel oder hängen blieb. Mein Durst war zur Unerträglichkeit angeschwollen und ich hatte bei jedem Atemzug das Gefühl, einen Dornenzweig herunterzuwürgen. Völlig fertig blieb ich stehen und wollte mich in mein Schicksal ergeben, als ich ein lautes Knacken schräg hinter mir hörte.

Nein! Bitte nicht!

Obwohl ich den Bruchteil einer Sekunde zuvor bereit war aufzugeben, übernahm jetzt mein Selbsterhaltungstrieb die Kontrolle über meinen Körper. Schnell kauerte ich mich hinter einen Strauch und presste meine Hände panisch vor den Mund, da meine Atmung so dermaßen laut und abgehackt ging, dass ich fürchtete er könnte es hören. Angestrengt lauschte ich in die Stille hinein und meine Augen sogen förmlich die Umgebung auf. Aber da war nichts, absolut nichts.

Hab ich es mir nur eingebildet?

Das Einzige was ich hörte war mein Herzschlag, der wild in meiner Brust pulsierte. Eine Zeitlang blieb ich noch kniend und lauschend hinter dem Gestrüpp sitzen, bis ich mich langsam traute wieder aufzustehen. Ängstlich blickte ich in alle Richtungen, doch ich war alleine. Er hatte mich nicht gefunden. Fix und fertig lehnte ich mich leicht vorn über gebeugt gegen einen Baum, atmete ein paar Mal tief durch und als ich mich wieder aufrecht hinstellte, sah ich, wie die Sonne langsam hinter den Bäumen unterging.

Oh nein! Bitte, nicht noch eine Nacht.

Im Dunkeln war es um ein vielfaches schwieriger gerade aus zu laufen, da einem sämtliche Orientierungspunkt fehlten und man eigentlich nur ziellos umherstolperte. Selbst tagsüber tat ich mir unheimlich schwer eine zielgenaue Richtung einzuschlagen, da ich mich bei jeder Verschnaufpause völlig panisch umherdrehte, sodass ich meist nicht mehr wusste, als welcher Richtung ich eigentlich gekommen war. Ich konnte nur hoffen, dass ich nicht die ganze Zeit im Kreis herum irrte.

Was ist wenn er mich findet?

Ich zitterte am ganzen Leib und meine Augen füllten sich alleinig bei dem Gedanken mit Tränen. Denn ich wusste genau, was dann mit mir passieren würde, oder eher was er mit mir machen würde.

Nicht daran denken! Nicht daran denken!

Es half nichts, meine Tränen liefen und als ich völlig verzweifelt diesem Impuls zu weinen nachgab, ließ mich ein erneutes Knacken regelrecht erstarren. Wie versteinert stand ich da und traute mich nicht mal mehr zu atmen.

Nein! Bitte nicht. Bitte lass es ein Tier sein.

Stille, nur die Blätter, die sich in den Baumwipfeln sanft im Wind bewegten, waren zu hören. Trotzdem blieb ich weiterhin stehen und taxierte die Gegend. Meine Augen wanderten hektisch hin und her und als ich schon glaubte ich wäre in Sicherheit, nahm ich ein weiteres Geräusch wahr.

Er ist hier!

Augenblicklich ging ich hinter einem der Bäume in Deckung und jetzt war es ganz eindeutig. Ein Zweig der am Boden lag wurde zertreten.

„Ich habe dir gleich gesagt es bringt nichts wegzulaufen, Sofia. Denn ich finde dich! Überall!“

Das Wort überall, sagte er mit so einem Nachdruck in der Stimme, dass ich zu zittern begann.

Geh weg! Bitte geh weg!

„Wenn du jetzt rauskommst, werde ich dich nicht bestrafen.“

Ich presste mich noch fester gegen den Baum und Tränen der Verzweiflung liefen mir übers Gesicht.

„Schön langsam werde ich ungeduldig und du weißt genau was dann passiert.“

Jetzt drohte er mir ganz unmissverständlich. Instinktiv kauerte ich mich zusammen, presste meine Hände vor den Mund und hielt den Atem an. Ich traute mich nicht mal in die Richtung zu spähen, aus der ich seine Stimme hörte.

„Komm sofort raus, Sofia!“ brüllte er Sekunden später hasserfüllt und ich wusste, dass er mich töten würde, wenn er mich jetzt zwischen seine Finger bekam.

Obwohl ich kein gläubiger Mensch war, fing ich stumm zu beten an, denn mehr hatte ich nicht. Dies war im Moment das Einzige woran ich mich festhalten konnte und als ich seine Stimme erneut hörte, war es fast so, als würden meine Gebete erhört.

„Ich will das nicht tun, Sofia. Das weißt du ganz genau. Also gebe ich dir eine letzte Chance.“

Eine schier unendliche Pause folgte.

„Komm zu mir und ich werde dich heute noch nicht bestrafen.“

Heute nicht, aber morgen ganz sicher!

Trotz seiner unterschwelligen Drohung, fingen meine Gedanken an mir Mut zuzusprechen.

Steh auf und zeig dich ihm. Vielleicht verzeiht er dir ja. Du schaffst es nicht ihm zu entkommen.

Gerade als ich aufstehen wollte, schrie eine andere Stimme auf mich ein.

Tu es nicht! Er tötet dich!

„Sofia.“

Seine Stimme war butterweich und ich schöpfte neuen Mut. Langsam stand ich auf, blieb aber immer noch schützend hinter dem Baum stehen.

„Du weißt genau, dass ich erst aufgebe, wenn ich dich wiederhabe. Also bitte, mach es dir und mir nicht noch schwerer.“

Dir und mir? Wie kann …

Plötzlich stand er vor mir und ich war im ersten Moment wie gelähmt, als er mich siegessicher angrinste.

„Du kannst mir nicht davonlaufen, Sofia.“

Liebevoll nahm er mich an der Hand und ich war unfähig zu reagieren. Erst als er versuchte meine Finger zu küssen, fing ich an panisch um mich zu schlagen. Zuerst lächelte er noch amüsiert, doch dann veränderte sich seine ganze Körpersprache. Er packte mich grob am Oberarm, zerrte mich gewaltsam hinter dem Baum hervor und stieß mich gnadenlos zu Boden. In dem Moment, als ich am Boden aufschlug, wurde mir mein Fehlverhalten erst so richtig bewusst und ich fing zu betteln an.

„Greg bitte!… Bitte tu das nicht!… Bitte!“

Instinktiv hob ich beide Hände schützend vor meinem

Körper und zog sämtliche Register.

„Es war ein Fehler … Ich werde nie wieder weglaufen … Bitte Greg, ich werde ab sofort gehorchen.“

Als er nichts sagte, stand ich langsam auf. Meine Hände

hielt ich jedoch weiterhin schützend vor mich.

„Es tut mir leid… Ehrlich.“ Mein letztes Wort war fast nicht zu verstehen, da ich vor lauter Angst zu schluchzen begann. Ich war ihm völlig ausgeliefert und seiner Mimik nach zu urteilen, wusste er dies ganz genau.

„Braves Mädchen“ kam sanft und ich schöpfte neuen Mut, aber als er an seinen Gürtel griff, schwand meine Hoffnung ins Bodenlose.

„Bitte Greg, tu das nicht. Ich verspreche nie mehr wegzulaufen.“

Er sagte kein einziges Wort, aber seine Taten sprachen Bände. Er öffnete die Schnalle und zog seinen Gürtel mit nur einer schnellen Bewegung aus den Schlaufen seiner Hose. Extrem langsam wickelte er das Ende mit der Schnalle um seine Hand und kam Schritt für Schritt auf mich zu. Gerade als ich erneut zu betteln anfangen wollte, sah ich dieses erwartungsvolle Grinsen, dass sich über seine Mundwinkel zog und ich wich panisch einen Schritt zurück.

Leider blieb ich an etwas hängen und fiel rückwärts auf den Boden. Hart kam ich zuerst mit dem Rücken und dann mit dem Hinterkopf am Boden an und ich spürte eine aufkommende Ohnmacht. Verzweifelt kämpfte ich diese nieder und ließ meinen Peiniger nicht aus dem Augen.

Schon fast amüsiert sah er mir zu, wie ich mich auf meinem Hintern sitzend von ihm wegschob. Unbeirrt ging er weiter, beleckte seine Lippen und ich startete einen verzweifelten Hilferuf.

„Bitte… Bitte nicht. Es tut mir leid.“

Ohne einer erkennbaren Gefühlsregung beugte er sich zu mir runter und ich fing zu wimmern an. Trotzdem versuchte ich noch einmal an seine Menschlichkeit zu appellieren.

„Bitte Greg … Ich tue alles was du willst, aber bitte, tu das nicht.“

Ich wusste, dass es keinen Sinn haben würde und als er seine Hand mit dem Gürtel anhob, fing ich zu schreien an.

„Sofi… Sofi… wach auf.“

Ich schrie und schlug wild um mich, als mich zwei Hände an der Schulter packten und rüttelten.

„Sofia! ... Ich bin es!“ kam eine sanfte, aber bestimmte Stimme und ganz langsam kam ich völlig verschwitzt und fertig wieder zu mir.

Es war Dave, der mich fest in seinen Armen hielt und nicht er.

„Sofi, du hast nur geträumt. Er ist nicht hier. Du bist in Sicherheit. Beruhige dich. Er kann dir nichts mehr tun.“

Ich sah den Schmerz in seinen Augen, als er versuchte mich zu beruhigen.

Ein Traum, es war nur ein Traum.

Erleichtert ließ ich mich zurück in mein Kissen fallen und versuchte meine Atmung unter Kontrolle zu bringen. Dave ließ mich wieder los, wischte mir mit seinem Daumen die Tränen vom Gesicht und sah mich liebevoll an. Immer wieder strich er mir über meine Wange, sagte aber keinen Ton. Mittlerweile wusste er genau, dass ich ganz von alleine anfangen musste zu erzählen und ich wusste, dass er mir zuhören würde, egal wie schwer es für ihn auch war.

„Es tut mir leid“ versuchte ich mich zu rechtfertigen, aber er legte mir kopfschüttelnd seinen Zeigefinger auf die Lippen.

„Schscht, dir muss gar nichts, hörst du, überhaupt gar nichts, leidtun. Hast du mich verstanden?“

Obwohl er seinen Zorn versuchte zu unterdrücken, konnte ich diesen deutlich in seinen Augen sehen. Er hasste Greg abgrundtief und er hasste was er mir angetan hatte.

Trotzdem hielt er seine Gefühle im Zaum und versuchte mich zu beruhigen, anstatt seinem eigenen Schmerz freien Lauf zu lassen. Aber seine Augen verrieten ihn jedes Mal, da sie ihren strahlenden Glanz verloren und in ein mattes grau tauchten. Erst als ich nickte, zog er mich in seine Arme und presste mich fest an seinen Körper.

„Ich liebe dich, Sofia Harrison.“

Trotz der kurzen Zeit die wir uns kannten, wusste er genau wie er mich aufheitern konnte. Wenn er meinen ganzen Namen sagte, rollte er die beiden rr in meinem Nachnahmen extrem lange. Es klang dann immer wie Harrys Sohn. Auch diesmal klappte es und als ich mich aus seiner Umarmung löste, gab er mir einen Kuss.

„Ich liebe dich auch.“

Ich strich ihm über seine Wange.

„Danke, dass du so viel Geduld mit mir hast. Ich weiß auch nicht warum es momentan wieder so schlimm ist. Tagsüber holt es mich schon fast nicht mehr ein, aber in der Nacht kommt alles wieder hoch.“

„Sofia …“ Ich ließ ihn nicht aussprechen, da ich genau wusste, was er jetzt sagen wollte.

„Nein Dave.“

Ich wollte aus dem Bett steigen, doch er hielt mich am Handgelenk haltend davon ab. Einige Sekunde sah er mich nur an und als ich schon dachte er würde es auf sich beruhen lassen, versuchte er es erneut.

„Bitte Sofia, hör mir zu.“

Schnell schüttelte ich meinen Kopf und starrte auf meine Beine, aber auch diese Geste ließ ihn nicht verstummen.

„Du quälst dich … seit Tagen … und es wird jede Nacht schlimmer. Bitte Sofia, lass dir professionell helfen.“

In seiner Stimme lag so viel Schmerz und gleichermaßen Hoffnung mich endlich dazu überreden zu können und trotzdem lehnte ich es ab.

„Nein!“

Ich wollte diese Diskussion nicht. Nicht jetzt und auch nicht später und ich zog anklagend und viel zu heftig meine einzige Trumpfkarte die ich hatte.

„Du hast es mir versrochen, Dave! Hörst du, Versprochen!“

Seinem Gesichtsausdruck zu urteilen, hatte ich ihm gerade verbal eine schallende Ohrfeige verpasst. Mein schlechtes Gewissen prallte voll auf mich ein und ich lenkte ein.

„Ich kann nicht. Noch nicht, Dave.“

„Er könnte dir aber besser helfen als ich.“

Er legte beide Hände um meine Schultern.

„Ich weiß, dass ich es dir versprochen habe und du weißt genau, dass ich dieses Versprechen niemals brechen würde.“

Ich schlug beschämt die Augen nieder, doch er hob mein Kinn mit seinen Fingerspitzen behutsam an.

„Ich bin immer für dich da, wenn du mich brauchst. Egal wie lange es auch dauern mag, das weißt du, oder?“

Ich nickte.

„Ich will dir nicht wehtun, niemals. Aber ich weiß nicht ob ich dir eine wirkliche Hilfe bin, wenn es darum geht …“ „Doch!“ fiel ich ihm bestimmt ins Wort, als ich seine Hilflosigkeit sah.

„Du hilfst mir, Dave.“

„Wie Sofia? Wie verdammt nochmal helfe ich dir? Es wird schlimmer, jeden Tag …“ Er brach kurz ab, schüttelte seinen Kopf und schloss für einen Moment seine Augen. Genau diesen Moment nutzte ich, um ihn zu beruhigen.

„Als ihr mich gefunden habt, warst du der Einzige der mir Zeit gegeben hat und genau das ist es was ich brauche. Zeit, Dave, mehr nicht.“

„Und du glaubst das wird reichen? Ich glaube es nämlich nicht.“

„Dann zwingst du mich?“

Wieder kam dieses völlig hilflose Kopfschütteln.

„Nein Sofia, ich würde dich niemals zwingen.“

„Dann hältst du dich an dein Versprechen?“

„Ja Sofi, ich halte mich daran.“

Jetzt war es Dave, der aus dem Bett stieg und ich sah ihm hinterher, bis er im Bad verschwand. Noch nie war er so hartnäckig und noch nie bin ich ihn deswegen so angegangen. Ich wusste, Dave würde ein gegebenes Versprechen niemals brechen, egal wie Falsch es für ihn auch sein mochte. Versprechen waren für ihn sowas wie ein Ehrenkodex, an den er sich tausendprozentig gebunden fühlte.

Sieben Monate zuvor

Endlich wurde der Wald lichter und ich konnte Geräusche von schnell fahrenden Autos hören. Obwohl ich körperlich völlig am Ende war, versuchte ich noch schneller zu laufen. Es kam aber eher einem Humpeln gleich. Mein ganzen Körper war mit blutenden Kratzern, Schrammen und blaue Flecken übersäht. Meine Fußsohlen bluteten und taten bei jedem Schritt höllisch weh. Meine Lippen waren aufgesprungen und das Schlucken viel mir extrem schwer, da ich seit drei Tagen weder etwas gegessen noch getrunken hatte.

Nicht aufgeben, nicht jetzt.

Ich mobilisierte meine letzten Kräfte und nach schier unendlichen Minuten erkannte ich auch endlich mein Ziel visuell. Ich lief auf eine stark befahrene Straße zu und als ich den Asphalt unter meinen Füßen spürte, rollten mir einige Tränen übers Gesicht.

Du hast es geschafft. Du hast es endlich geschafft.

Obwohl ich völlig nackt war, stellte ich mich an den Fahrbahnrand und versuchte durch Winken einige Autos zum Anhalten zu bewegen. Doch es war ergebnislos, keiner hielt an. Es war nicht so, dass sie mich nicht wahrnahmen, dass konnte ich deutlich an ihren entsetzten Gesichtern sehen, es war vielmehr so, dass die nicht anhalten wollten, um eventuellen Unannehmlichkeiten aus dem Weg zu gehen. Ich war so nah dran und doch so weit weg.

Bitte helft mir. Bitte.

Plötzlich überkam mich so eine Angst, dass ich kurz vor dem Ziel doch noch scheitern könnte und fing erneut extrem hektisch und fahrig zu Winken an. Doch das Ergebnis blieb das gleiche. Immer wieder spähte ich jetzt in Richtung des Waldes und ließ mich dann entkräftet auf meine Knie sinken.

„Bitte“ flüsterte ich, da ich zu mehr nicht mehr fähig war und spürte wie mich eine rettende Dunkelheit umfing.

Ein tiefes, stetiges Brummen hüllte mich ein. Es war fast so, als wäre ich mit diesem Brummen verschmolzen, da mein ganzer Körper unter diesem Geräusch vibrierte. Mein Mund fühlte sich an, als wäre er ausgedörrt und jeder Schluckreflex wurde zur Qual. Mein kompletter Körper tat weh und irgendetwas kratziges umhüllte mich. Für einen kurzen Moment gelang es mir meine Augen zu öffnen, doch das Gesehene ergab überhaupt keinen Sinn. Bäume, überall Bäume, die rasend schnell an mir vorbeizogen. Erneut versuchte ich meine Augen zu öffnen und diesmal gelang es mir um ein vielfaches länger. Die Bäume rasten nicht an mir vorbei, sondern ich an ihnen. Ich saß in einem Auto, auf dem Beifahrersitz eines Autos und ich war in eine warme, aber kratzende Wolldecke eingewickelt. Erleichtert schloss ich meine Augen, doch dann überrollte mich ein Gefühl der Angst.

Wer sitzt auf dem Fahrersitz? Ist es er?

Langsam drehte ich meinen Kopf in Richtung des Fahrers und fing innerlich zu beten an.

Bitte nicht er. Bitte.

Er war es nicht. Daran bestand kein Zweifel. Es war ein älterer Mann der mich gleichermaßen erleichtert und besorgt ansah.

„Gott sei Dank, sie leben noch.“

Vor lauter Erleichterung legte er seine Hand auf meinen Oberschenkel und ich zuckte zusammen. Erschrocken nahm er sie wieder weg, sah kurz auf die Straße und dann wieder zu mir. Er war aber viel zu aufgewühlt um etwas sagen zu können.

„Wo bin ich?“ fragte ich mit leiser, kratzender Stimme und meine Augen fielen mir einfach wieder zu.

„Keine Angst. Es wird ihnen keiner mehr wehtun. Sie sind in Sicherheit“ hörte ich die Stimme des alten Mannes und als ich meine Augen kurz öffnete und sich unsere Blicke trafen, glaubte ich ihm und die Dunkelheit kam zurück.

Viele Stimmen, hektische Stimmen. Sie redeten alle wild durcheinander und immer wieder wurde ich von einem starken Lichtschein geblendet. Mühsam schlug ich die Augen auf und sah in fünf, mir völlig fremde Gesichter.

Panisch versuchte ich um mich zu schlagen, wurde aber sofort von mehreren Händen an den Schultern, den Unterarmen und den Oberschenkeln festgehalten.

„Bitte beruhigen sie sich. Wir wollen ihnen helfen. Sie sind im St. Johns Hospital“ rief eine Frauenstimme und als sie mir direkt in die Augen blickte, fing ich zu nicken an und Tränen rannen mir gleichzeitig übers Gesicht.

Sofort merkte ich wie mich die Hände wieder losließen und ich versuchte mich zu entspannen.

„So ist gut. Wir wollen ihnen nur helfen.“

Ich spürte einen liebevollen Druck auf meinem Oberarm.

„Wie heißen sie?“ fragte die Frauenstimme erneut, aber ich war viel zu schwach um zu antworten.

Behutsam strich mir jemand über meinen Kopf, bevor es wieder schwarz wurde.

Weiß, alles war weiß und grell. Trotzdem ließ ich meine Augen so gut es ging geöffnet und versuchte alles einzuordnen. Weiße Vorhänge, Schläuche, bunte Lichter, eine Glastür, gedämpfte und verzerrte Stimmen. Ich schloss meine Augen wieder, da alles keinen Sinn ergab und versuchte mich jetzt auf meine Gefühle zu konzentrieren.

Ich lag in einem Bett, einem weichen Bett und war mit einer extrem leichten Decke zugedeckt. Hinter mir war ein gleichmäßiges piepen zu hören und langsam begriff mein Gehirn wo ich war. Ich lag in einem Krankenhausbett. Ich hatte zumindest oben herum etwas an, da ich die Decke auf meinen nackten Beinen spüren konnte, aber nicht auf meinem Oberkörper. Erneut zwang ich mich meine Augen zu öffnen und versuchte gleichzeitig mich aufzusetzen, aber ich wurde an meiner Schulter haltend, zurück in mein Kissen gedrückt. Obwohl es sehr sanft war, überkam mich eine panische Angst und als ich meinen Kopf abrupt drehte, sah in weiche grün-graue Augen.

„Keine Angst. Ich bin Detektiv Dave Malone.“

Er stand seitlich neben meinem Bett und sprach beruhigend auf mich ein.

„Und das ist mein Partner Scott Young.“

Ich folgte seinem Blick und sah einen weiteren Mann leicht versetzt hinter ihm stehen.

Polizisten. Es sind Polizisten.

Langsam entspannte ich mich wieder.

Wenn es Polizisten sind, warum haben sie dich dann beobachtet?

Erneut überkam mich diese Panik und Malone versuchte mich zu beruhigen, indem er in seine Hosentasche griff, ein kleines Lederetui herauszog und es mir entgegenhielt.

„Sehen sie, das ist mein Dienstausweis.“

Er gab mir ein paar Sekunden, bevor er ihn wieder wegsteckte.

„Können sie mir ihren Namen sagen?“

Ich nickte und er wartete geduldig.

„Sofia …“ Mehr brachte ich nicht heraus, da meine Kehle so dermaßen ausgedörrt war, dass ich hart zu husten anfing.

Dieser Malone drehte sich leicht nach rechts ein, nahm etwas von dem Beistelltisch neben meinem Bett und streckte es mir hin.

„Trinken sie einen Schluck Wasser.“

Ohne auf eine Antwort von mir zu warten, hob er meinen Kopf am Nacken haltend etwas an, legte das Glas an meine Lippen und flößte mir eine winzige Menge kühles, sprudelfreies Wasser ein. Leider war es viel zu wenig und obwohl mein Durst jetzt erst so richtig geweckt worden war, traute ich mich nicht, nach mehr zu bitten.

„Verraten sie mir bitte auch ihren Nachnamen, Sofia?“ fuhr er augenblicklich fort, gleich nachdem er mich wieder losließ und das Glas auf seinen Platz zurückgestellt hatte.

„Harrison, Sofia Harrison“ antwortete ich jetzt um einiges klarer und auch der Hustenreiz blieb aus.

Young stieß sich augenblicklich vom Fensterbrett ab, sah seinen Partner an, dieser nickte ihm zu und er verließ schnellen Schrittes das Zimmer. Jetzt war ich mit Malone allein.

Er zog seinen Stuhl näher an mein Bett heran und setzte sich. Eine Zeitlang sah er mich nur an, bis er erneut eine Frage stellte.

„Können sie sagen was passiert ist?“

Schnell machte ich meine Augen zu und schüttelte den Kopf.

Nicht daran denken. Nicht daran denken. Nicht daran denken.

Ich spürte eine Hand auf meinem Oberarm und zuckte zusammen.

„Keine Angst.“

Die Hand verschwand wieder.

„Sie müssen mir nichts sagen. Ruhen sie sich aus. Ich werde die ganze Zeit hier bleiben. Egal wer ihnen das angetan hat, er kann ihnen jetzt nichts mehr tun.“

Ich wachte durch ein gedämpftes Rascheln neben mir auf und drehte mich erschrocken in diese Richtung. Malone saß schuldbewusst auf dem Stuhl neben meinem Bett und hielt eine Papiertüte in der Hand. Er hatte nicht gelogen, er war immer noch da.

„Entschuldigen sie.“

Er sah kurz auf seine Tüte und legte diese dann unter den Stuhl.

„Wissen sie noch wer ich bin, Sofia?“ fragte er mit einem Lächeln und ich nickte.

„Gut.“

Eine Pause folgte.

„Wollen sie darüber reden?“

Nein! Niemals!

Ich schüttelte den Kopf und drehte mich schnell weg. Da war die Hand schon wieder. Diesmal zuckte ich nicht zusammen und er ließ sie auf der Meinen liegen. Vorsichtig strich er mit seinem Daumen immer wieder darüber und ich merkte wie meine Anspannung nachließ. Müde schloss ich meine Augen und da sah ich ihn.

Nein, geh weg.

Erschrocken fuhr ich nach oben und zog meine Hand aus der Seinen. Schwer atmend saß ich im Bett und drückte mich ängstlich gegen das Kopfende des Bettes.

„Sofia“ hörte ich eine Stimme.

Sie klang als käme sie von weit her.

„Sofia“ kam erneut leise und gedämpft.

„Sie sind in Sicherheit. Sofia … Sofia! … Sehen sie mich an … Bitte.“

Die Stimme wurde immer lauter und dann erkannte ich sie, es war Malone.

„Alles in Ordnung?“

Seine Stimme spiegelte seinen besorgten Gesichtsausdruck wieder.

Nein, nichts ist in Ordnung.

Ich schüttelte den Kopf, zog die Beine fest an meinen Körper und weinte. Augenblicklich hörte ich wie er seinen Stuhl verrutschte und aufstand. Er ging um mein Bett herum und hantierte neben mir mit etwas. Langsam hob ich meinen Kopf und sah wie er sich ein Glas Wasser einschenkte.

„Möchten sie etwas zu trinken?“

Ich nickte und er führte das Glas an meine Lippen. Gierig trank ich ein paar Schlucke und legte meine Hände um seine Hand, die das Glas hielt. Ich trank es bis auf den letzten Tropfen leer, erst dann ließ ich wieder los. Gerade als ich mich zurück auf mein Kissen legen wollte, ging die Türe auf und ich zuckte panisch zusammen.

„Keine Angst“ hörte ich Malones einfühlsame Stimme.

„Das ist mein Partner Scott Young. Können sie sich noch an ihn erinnern?“

Ich nickte abermals und entspannte mich wieder.

Malone ging auf ihn zu. Sie unterhielten sich kurz miteinander und sahen immer mal wieder rüber zu mir. Ich konnte jedoch nicht verstehen was sie sagten. Dann verließ Young das Zimmer und Malone ging zu seinem Stuhl zurück.

„Ich glaube sie wissen, dass wir gerade über sie gesprochen haben, oder?“

Ich nickte und er setzte sich hin.

„Gut.“

Er überlegte kurz.

„Scott hat mir erzählt, dass sie vor vier Monaten spurlos verschwunden sind.“

Oh Gott, nur vier Monate? Es kam mir vor wie eine Ewigkeit.

„Ich bin mir sicher, dass sie ein traumatisches Erlebnis hatten und ich weiß auch, dass sie nicht darüber sprechen wollen.“

Er machte eine Pause.

„Ich werde sie zu nichts zwingen, aber ich rate ihnen dringend mit mir zu reden, damit wir den Kerl kriegen.“

Panisch fing ich an meinen Kopf zu schütteln.

Nein, nicht erinnern. Nicht daran denken.

„Sofia … Bitte.“

Da war die Hand auf meinem Arm wieder.

„Es war nur ein Rat. Sie müssen mir nichts sagen, o.k.?“

Jetzt sah ich ihn an und nickte erneut.

„Ich bleibe einfach hier sitzen. Sie haben alle Zeit der Welt.“

Er angelte die Papiertüte, die er zuvor unter seinem Stuhl gelegt hatte, hervor, lehnte sich dann zurück und schlug die Beine übereinander.

„Käsesandwich, wollen sie auch ein Stück.“

Erwartungsvoll sah er mich an, brach ein Stück ab und streckte es mir entgegen.

„Ich würde es an ihrer Stelle essen, denn der Krankenausfraß ist ungenießbar.“

„Danke.“

Ich nahm es und biss herzhaft hinein. Endlich bekam ich etwas zu essen und schlang es regelrecht hinunter. Malone konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen und streckte mir sein restliches Brot entgegen.

„Ich denke, sie brauchen es um einiges mehr wie ich.“

Ich schüttelte den Kopf, doch er ließ nicht locker.

„Jetzt nehmen sie es schon, diese Rumsitzerei macht eh nur fett.“

„Sie müssen hier nicht rumsitzen“ antworte ich trotzig, da ich nicht wollte, dass er etwas tat, was er eigentlich gar nicht wollte.

„Ich weiß, ich möchte es aber. Oder ist es ihnen lieber, wenn ich gehe?“

Plötzlich war all seine Souveränität verschwunden und er stand unsicher auf. Aber allein der Gedanke, dass er ging, machte mich nervös.

„Nein! Bitte nicht!“

„Ganz ruhig.“

Er drückte meinen Oberarm und setzte sich wieder hin.

„Ich habe hier ein tolles Buch, soll ich es ihnen vorlesen?“

Er will mit etwas vorlesen?

„Es würde mir nichts ausmachen“, sagte er achselzuckend und zog ein Buch aus der Ablage meines Nachttischkästchens.

Ich wusste genau, dass er dies nur tat, weil ich Angst vor dem Alleinsein besaß und er nicht wusste, was er sonst hätte machen oder sagen können.

„Danke.“

„Bedanken sie sich mal nicht zu früh, vielleicht kann ich ja gar nicht stotterfrei vorlesen“ versuchte er seine eigentliche überaus mitfühlende Geste herunterzuspielen, schlug schnell sein Buch auf und begann zu lesen.

Obwohl ich versuchte der Geschichte zu folgen, fielen mir meine Augen immer wieder zu.

„Nein!… Nein!… Greg, bitte tu das nicht.“

Ich schlug wild um mich.

„Sofia … Sofia… wachen sie auf.“

Panisch riss ich die Augen auf und versuchte mich loszureißen.

„Sofia, ich bin es … Detektiv Malone.“

Erst jetzt erkannte ich ihn. Ich war im Krankenhaus. Langsam beruhigte ich mich wieder und Malone nahm seine Hände von meinen Schultern.

„Geht es wieder? Ist alles in Ordnung?“

„Nein… nichts ist in Ordnung“ flüsterte ich hilflos.

„Er war einfach da. Verstehen sie? Ich konnte überhaupt nichts machen.“

Ich schlug die Hände vors Gesicht und weinte bitterlich.

Malone stand auf, goss mir mal wieder ein Glas Wasser ein und reichte es mir.

„Ich passe auf sie auf. Er kann ihnen nichts mehr tun.“

Ich nahm das Wasser, stürzte es in einem Zug herunter und hielt mich schon fast krampfhaft daran fest.

„Was ist passiert?… Wollen sie es mir erzählen?“

Ich schüttelte den Kopf.

„Ok Sofia, es ist ganz allein ihre Entscheidung.“

Er ging um das Bett herum und setzt sich wieder hin. Die nächsten Minuten verbrachten wir schweigend, bis sein Handy zu läuten anfing.

Er sah kurz auf das Display, drückte den Anruf weg, stand aber gleichzeitig auf.

„Ich muss kurz telefonieren, bin aber gleich wieder da.“

Nein, nicht weggehen. Bitte lass mich nicht alleine.

Er drückte meine Hand und verließ das Zimmer.

Stille.

Ich hörte nur meinen eigenen schnellen Atem und versuchte mich zu beruhigen, aber dieses beklemmende Gefühl wollte einfach nicht verschwinden. Plötzlich ging die Türe auf und ein mir unbekannter Mann kam herein. Schnurstracks ging er auf mich zu und als er seine Hand nach mir ausstreckte, fing ich schon zu schreien an.

„Nein… Nicht …Malone… Hilfe.“

Der Mann wich zurück und sah mich völlig entsetzt an. Im nächsten Augenblick wurde meine Zimmertüre aufgerissen und Malone kam herein gestürzt.

„Verschwinden sie!“

Als der Mann nicht reagierte, flippte er aus.

„Sie sollen machen, dass sie rauskommen und zwar sofort!“

Er packte den Mann am Arm und zog ihn von mir weg in Richtung Türe.

„Ich wollte doch nur …“ fing der Fremde stammelnd an, doch Malone ließ ihn nicht aussprechen.

„Es ist mir scheiß egal was sie wollten. Raus hier! Und wenn sie sich noch einmal hier blicken lassen, verpasse ich ihnen eine.“

Er packte ihn am Kragen, schmiss ihn aus dem Zimmer und machte die Türe wieder zu. Schnellen Schrittes trat er an mein Bett.

„Alles in Ordnung?“

Er strich mir fürsorglich über meine Wange und mein ganzes Martyrium brach über mich herein. Ich fing am ganzen Körper zu zittern an, Erinnerungsfetzten schwirrten mir durch den Kopf und immer wieder tauchte dieses Gesicht vor mir auf. Einmal lächelnd und liebevoll und im nächsten Moment wütend und zornig. Plötzlich spürte ich seine Hände auf meinem Körper und dann seinen Gürtel.

Nein, ich wollte mich nicht daran erinnern, doch ich konnte es einfach nicht mehr abstellen.

„Greg Graham … Er heißt Greg Graham. Bitte helfen sie mir. Er darf mich nicht finden, sonst tötet er mich.“

2

Wütend schleuderte ich mein Sakko auf den Stuhl.

„Hey Dave, was ist dir denn für eine Laus über die Leber gelaufen?“

Ich sah ihn nur an und er verstand.

„Tut mir Leid. Es ist wieder schlimmer geworden, oder?“

„Ja“ gab ich leise zu.

„Und gestritten haben wir uns auch.“

„Scheiße!“

„Ja genau, Scheiße! Verdammt Scott, wieso kriegen wir dieses Schwein nicht? Wir haben die ganze Gegend nach ihm absuchen lassen. Und nichts, absolut nichts gefunden.

Ich weiß ja nicht mal mehr, wo ich noch ansetzen soll.“ „Hast du Sofia auf die Möglichkeit hingewiesen, dass wir ihn vielleicht …“ „Willst du mich verarschen“ platzte ich ihm ins Wort, da ich diese Option nicht mal hören wollte.

„Sie hat schon Angst genug, da braucht sie nicht auch noch das.“

Abwehrend hob mein Partner die Hände, da ich viel zu aufbrausend war und ich entschuldigte mich bei ihm.

„Ist schon gut, hab es ja kapiert. Aber glaubst du nicht, sie sollte sich endlich von einem Trauma Therapeuten helfen lassen?“

„Was glaubst du warum wir uns gestritten haben und was ich seit Monaten versuche?“

Frustriert ließ ich mich in meinen Bürostuhl fallen und dachte an die letzten Monate zurück.

Als mir Sofia im Krankenhaus alles erzählte, mit sämtlichen grausamen Details, hätte ich am liebsten um mich geschlagen. Natürlich bekam man als Polizist sehr viel mit und ich hatte schon mit weit aus schlimmeren und grausameren Fällen zu tun, aber bei ihr war es anders. Als ich sie zum ersten Mal sah, ging mir dieser Fall an die Nieren. Ich nahm ihn persönlich und stürzte mich voll und ganz hinein. Tagelang verharrte ich neben ihrem Bett, nahm mir sogar Urlaub, nur um bei ihr bleiben zu können. Jedes Mal wenn sie schlief, musste ich mich zusammenreißen sie nicht in den Arm zu nehmen. Sie war so unheimlich verletzlich und ich wollte, dass sie sich sicher fühlte. Unsere Gespräche wurden immer länger, vertrauter und privater.

Am Tag ihrer Entlassung war ich völlig durch den Wind. Ich hatte Angst sie für immer zu verlieren. Ängstlich und hilflos sah sie mich am Ausgang an und fragte, wo sie jetzt hinsollte? Sofort bot ich ihr an, dass sie bei mir bleiben konnte, war mir aber damals der anfänglichen Probleme nicht bewusst. Ihr erlebtes Trauma saß tief und es gab keine Nacht in der sie nicht schreiend aufwachte. Immer wieder versuchte ich sie zu einer Therapie zu überreden, aber sie lehnte kategorisch ab. Eines Tages stritten wir deshalb ziemlich heftig miteinander, da ich mehrere Stunden brauchte um sie wegen eines Alptraumes wieder zu beruhigen und als ich mich ruckartig zu ihr umdrehte, ging sie panisch vor mir in Deckung. Es dauerte Tage bis sie mir wieder vertraute und von diesem Tag an wusste ich, sie würde irgendwann alleine davon anfangen müssen, da Druck von mir absolut nichts brachte. Es verging Woche um Woche und sie fühlte sich besser. Sie schlief durch und lachte wieder. Eines Tages kam ich von der Arbeit nach Hause und sie küsste mich vor Freude. Wir ließen uns für diese Beziehungsveränderung viel Zeit, doch irgendwann führte eines zum anderen. Seit drei Monaten waren wir nun ein Paar und genossen es beide. Es ging ihr gut, bis vor fünf Tagen die Träume wieder anfingen.

„Dave?“ riss mich Scott aus meinen Gedanken.

„Ja?“

„Hast du mir nicht zugehört?“

„Sorry, ich war gerade ganz wo anders.“

Scott winkte ab und fing einfach an.

„Was hältst du von der Theorie, dass sie weiter gelaufen sein könnte, als wir es bis jetzt angenommen haben?“

„Wie meinst du das?“

Erwartungsvoll setzte ich mich auf.

„Jetzt halt mich aber nicht für blöd.“

Ich schüttelte meinen Kopf und wartete gespannt auf seine Ausführungen.

„Also, Sofia war in Panik und sie rannte was das Zeug hielt.

Vielleicht ist sie nicht gerade aus, sondern immer bergauf gelaufen. Dann wäre sie aus einer völlig anderen Richtung gekommen.“

„Das hätte sie doch bemerkt“ wiegelte ich ab, doch Scott gab noch nicht auf.

„Im Normalfall vielleicht, aber Sofia rannte um ihr Leben.

Ich denke nicht, dass man in so einer Situation recht viel mitbekommt.“

In meinem Kopf ging es plötzlich wild durcheinander.

„Verdammt Scott, du bist genial.“

Ich sprang auf und stellte mich vor die Karte. Scott tat es mir gleich, wenn auch um einiges langsamer.

„Bis jetzt sind wir davon ausgegangen, dass sie aus Richtung Dayton kam.“

Ich suchte mit dem Finger auf der Karte und steckte eine rote Nadel ein.

„Gefunden wurde sie hier.“

Scott zeigte mit dem Finger auf den Highway, achtzig Meilen vor Indianapolis und ich steckte eine weiße Nadel ein.

„Also hätten wir da noch Fort Wayne, Joliet oder Barry. Bei allen Orten geht es zum Highway nach oben.“

„Stimmt. Aber bei Joliet läuft ein Fluss entlang. Sofia hat aber ausgesagt kein Wasser gehört zu haben.“

„Das hätte sie auch nicht gehört, wenn sie sich hier befunden hätte.“

Scott zeigte das Gebiet links des Flusses an und ich bestätigte dies mit einem Nicken. Hatte aber immer noch Einwände.

„Auf der Seite des Flusses ist das Gebiet extrem steil. Bei diesen Höhenunterschieden hätte man es auf alle Fälle gemerkt, wenn man bergauf gelaufen wäre.“

Mein Partner überlegte kurz.

„Ok, du hast Recht. Joliet können wir streichen, aber Barry und Fort Wayne sind ganz klar im Rennen.“

Scotts Stimme triumphfierte.

„Wir kriegen diesen Bastard, Dave. Ganz sicher.“

„Ich hoffe es, Scott. Ich hoffe es.“

Er legte mir seine Hand auf die Schulter.

„Ich glaube es ist besser, wenn ich zum Chief gehe. Auf dich hat er bei dieser Sache eh schon einen dicken Hals.“

„Da hast du vermutlich Recht.“

„Vermutlich trifft es wohl nicht ganz.“

„Ja, du hast Recht und ich bin leider nicht ganz unschuldig daran.“

„Das kannst du laut sagen. Zuerst bist du einfach nicht zum Dienst erschienen, dann hast du dir über seinen Kopf hinweg Urlaub genommen, wirfst diesen Arzt aus dem Zimmer und drohst ihm Prügel an, nimmst eine Schutzbefohlene bei dir zu Hause auf und zu guter Letzt vögelst du sie auch noch.“

„Ich weiß“ gab ich kleinlaut zu.

„Aber du weißt genau was ich für sie empfinde und glaube mir, ich habe gewartet bis sie den ersten Schritt gemacht hat.“

„Das weiß ich doch. Bei mir brauchst du dich nicht zu rechtfertigen. Drück mir lieber die Daumen.“

Er drehte sich um und verließ unser Büro. Ich hingegen, starrte weiterhin auf die Umgebungskarte.

Ich krieg dich, Greg Graham! Ich krieg dich, du mieses Dreckschwein!

Ich musste mich zwingen an meinen Schreibtisch zurückzugehen und mich hinzusetzten, denn am liebsten wäre ich sofort drauf los und hätte den Suchtrupp von der Leine gelassen, aber leider hatte ich meinen Arsch zu weit unten. Dies konnte nur Chief Johnson genehmigen. Wir beide kannten uns schon sehr lange und er war acht Jahre mein Partner und bester Freund.

Bis zu diesem scheiß Tag.

Schnell zwang ich mich nicht daran zurück zu denken und nahm mir den Stapel mit Akten vor, den ich schon seit fast drei Wochen vor mir herschob.

„Warum ist er nur so stur, wenn es um dich geht? Kannst du mir das verdammt nochmal erklären?“ fluchte Scott als er kurze Zeit später in unser Büro zurückkam.

„Dieses gottverdammte Arschloch!“ schimpfte ich, sprang vom Stuhl auf, schlug mit der Faust auf meinen Schreibtisch und trat gleichzeitig gegen den Papierkorb.

Er flog gegen die Wand und kam dann scheppernd auf dem Boden wieder an. Leider brachte mich dies nur noch mehr auf die Palme und ich machte mich, wütend wie ich war, auf den Weg in sein Büro. Scott rief mir zwar noch etwas hinterher, aber ich war viel zu aufgebracht und es zu verstehen. Und selbst wenn ich es verstanden hätte, wäre ich nicht aufzuhalten gewesen. Ohne Anzuklopfen betrat ich sein Büro und machte meiner angestauten Wut auch umgehend Luft.

„Was für ein riesen Arschloch bist du eigentlich, Mike?“

blaffte ich augenblicklich und warf die Türe unsanft ins Schloss.

„Dave, verschwinde sofort aus meinem Büro, wenn du hier weiter arbeiten willst“ zischte er scharf zurück, aber mir rechte es jetzt endgültig.

„Das könnte dir so passen.“

Ich schlug mit der flachen Hand auf seinen Schreibtisch.

„Erst wirst du mir erklären warum du keinen Suchtrupp losschickst? Scott hat dir gerade eindeutige Beweise geliefert.“

„Beweise? Das nennst du Beweise? Du hast eine Vermutung, mehr nicht.“

Jetzt stand er auf und stellte sich drohend vor mich.

„Ich sage es dir nicht noch einmal. Verschwinde und zwar sofort!“

Verständnislos sah ich ihn an.

„Du warst mein Partner und mein bester Freund. Bitte … hilf mir.“

„Du hast es gerade gesagt. Warst ist hierbei das Zauberwort.“

Seine Stimme war eiskalt und ich konnte mein Temperament nicht mehr zügeln.

„Du verdammter Drecksack.“

Ich packte ihn am Kragen, doch bevor ich meinem Impuls ihn zu schlagen nachgegen konnte, zerrte mich Scott gewaltsam von ihm weg.

„Dave, hör auf“ rief er und als ich mich losreißen wollte, legte seinen rechten Arm quer über meinen Torso und fixierte meinen linken Arm mit seiner freien Hand in meinem Rücken.

Ich hatte nicht mal mitbekommen, wie er das Büro betrat, geschweige denn, wie er es so schnell schaffte mich bewegungsunfähig zu kriegen. Trotz seiner mehr als energischen Aktion, ging ich Mike weiterhin wütend an.

„Was hättest du getan, wenn es um deine Frau gehen würde?“ schleuderte ich ihm entgegen und bereute es in dem Moment, als die Worte ausgesprochen waren.

So schnell konnte ich gar nicht schauen, wie er regelrecht auf mich zusprang und mir, obwohl ich wegen Scott immer noch völlig wehrlos war, einen Faustschlag mitten ins Gesicht verpasste. Scott ließ mich geschockt los und Mike schickte mich mit einem erneuten Schlag zu Boden. Als er sich auf mich stürzen wollte, ging Scott schon wieder dazwischen. Diesmal zog er Mike zur Seite und presste ihn an seinen Schultern haltend, gegen die Wand.

„Finger weg, oder ich schmeiße sie raus!“ zischte er meinen Partner an und er ließ ihn augenblicklich los, stellte sich aber zwischen uns und sah mich völlig entsetzt und gleichermaßen verwirrt an.

„Mike“ lenkte ich ein und als er nichts sagte, stand ich wieder auf.

„Es tut mir leid, ehrlich. Das hätte ich nicht sagen dürfen.“

Langsam ging ich auf ihn zu und gab Scott mit einem Wink des Kopfes zu verstehen, dass er gehen konnte.

„Bitte, Mike.“

Mehr brachte ich nicht heraus als ich in sein Gesicht sah.

Seine Augen waren rot gerändert und mit Tränen gefüllt.

Aber als ich meine Hand auf seine Schulter legen wollte, flippte er aus.

„Raus!… Sofort!“

Ich zog meinen mehr als verwirrten Partner am Oberarm mit mir nach draußen und als ich die Türe ins Schloss zog und kurz davor verharrte, starrten mich sämtliche Kollegen fragend an.

„Ist in Ordnung, Leute. Ich bin gerade zu weit gegangen“ verteidigte ich den Chief, zog meinem Partner weiter in unser Büro und schloss die Türe hinter uns beiden.

„Was ist hier los?“

„Bitte Scott, nicht jetzt.“

Resigniert ließ ich mich in meinen Stuhl fallen.

„Dein Auftritt kostet mich wahrscheinlich den Job, falls du das nicht mitgekriegt hast! Also rück raus mit der Sprache!

Was läuft da zwischen euch beiden?“ schrie er mich jetzt erbost an.

„Nichts läuft …“ Weiter kam ich nicht, da er mir wütend ins Wort fiel.

„Hör mit dieser gequirlten Scheiße auf! Du hast ihn geduzt und du weißt, dass er verheiratet war. Also hör auf mir diesen Schwachsinn zu erzählen. Ihr kennt euch und zwar schon sehr lange. Ich bin dein Partner, schon vergessen?

Also hör auf mich anzulügen!“

„Bitte, ich möchte nicht darüber reden.“

„Es ist mir scheißegal ob du darüber reden willst! Du bist mir nach diesem Auftritt eine Erklärung schuldig.“

Abwehrend hob ich die Hände und gab mich geschlagen.

„Ist ja gut. Ich erzähle es dir ja.“

Ich wusste gar nicht wo ich anfangen sollte, also versuchte ich Zeit zu gewinnen.

„Versprich mir, dass die Sache unter uns bleibt.“

Eindringlich sah ich ihn an und Scott verdrehte genervt die Augen.

„Du weißt ganz genau, dass alles, egal was du mir auch sagst, unter uns bleibt. Also hör auf mit dieser Hinhaltetaktik!“

Ich schien gerade alles falsch zu machen und bevor ich Scott jetzt auch noch verletzte, fing ich einfach an.

„Mike und ich waren vor zwölf Jahren Partner.“

Scott zog eine Augenbraue nach oben, sagte aber nichts dazu.

„Ich war ganz neu dabei und er nahm mich unter seine Fittiche. Wir freundeten uns an und als er vier Jahre später Anna heiratete war ich sein Trauzeuge.“

„Du warst sein Trauzeuge? So nah standet ihr euch?“

Scott war vollkommen überrascht.

„Ja …und eigentlich noch viel näher.“

Ich dachte nicht, dass es so wehtun würde, wenn ich darüber sprach. Ich dachte, ich wäre darüber hinweg.

„Die beiden liebten sich über alles und erwarteten etwa vier Jahre später ein Kind. Am vierundzwanzigstem Mai wurde der Supermarkt in dem Anna gerade einkaufen war, überfallen und sie wurde als Geisel genommen.“

„Scheiße!“

Scott nahm geschockt eine Hand vor seinen Mund und riss die Augen auf.

„Wir beide waren zuerst vor Ort und Mike wollte rein, zum Austausch für seine Frau. Ich hielt ihn davon ab und überredete ihn auf Verstärkung zu warten. Wir wiesen die Kollegen explizit darauf hin ohne Sirene zu kommen, um Anna nicht zu gefährden, doch ein Streifenpolizist war übereifrig. Sekunden später hörten wir zwei Schüsse und Mike lief panisch hinein.“

Ich stockte kurz, da ich gerade wieder alles vor mir sah.

„Seine Frau lag blutüberströmt am Boden und der Typ hielt die Waffe jetzt direkt auf Mike an. Trotzdem rannte er einfach auf seine Frau zu und bevor dieses Arschloch ihn auch noch erschießen konnte, drückte ich ab.“

Ich machte eine kurze Pause und dann sprach ich den alles entscheidenden Satz aus.

„Genau das, hat er mir nie verziehen. Er wollte zusammen mit seiner Frau und seinem Kind an diesem Tag sterben.

Verstehst du?“

„Oh Gott!“ flüsterte Scott.

„Sie sind tot? Seine Frau und sein Kind?“

Ich nickte.

„Unsere Wege trennten sich und ich sah ihn erst wieder, als er vor zwei Jahren als Chief bei uns in Springfield anfing.“

Als ich in Scotts Augen sah, wusste ich plötzlich was ich tun musste. Langsam stand ich auf und ging zur Türe.

„Du hast jetzt nicht das vor, was ich glaube, oder?“ fragte Scott misstrauisch und ging auf mich zu.

„Doch, habe ich. Versuch erst gar nicht mich aufzuhalten.

Ich hätte das schon vor zwei Jahren tun müssen.“

Ich öffnete die Türe und ging aus dem Büro. Vor Mikes blieb ich stehen, atmete einmal tief durch und trat ohne zu klopfen ein.

„Hau ab, Dave!“ schleuderte er mir entgegen.

„Nein, das werde ich nicht. Ich habe viel zu lange damit gewartet.“

Ich schloss die Türe, da ausnahmslos alle Kollegen mal wieder irritiert zu uns rüber starrten und stellte mich vor seinen Schreibtisch.

„Verdammt Mike, du warst … ihr beide ward meine besten Freunde. Ich musste ihn töten. Ich konnte doch nicht einfach zusehen wie er dich auch noch abknallt. Ich wollte dich nicht auch noch verlieren. Bitte, du musst mir das endlich verzeihen. Ich habe sie auch geliebt. Ich sollte der Pate eurer kleinen Louisa werden.“ Meine Stimme brach zitternd ab und ich brauchte einen Moment um weiterzureden.

„Bitte Mike“ bettelte ich.

„So kann das doch nicht weitergehen. Seit zwei Jahren tun wir so, als würden wir uns gar nicht kennen.“

Seinem Gesichtsausdruck nach wusste ich genau, dass ich so nicht weiterkommen würde, also versuchte ich die professionelle Schiene mit einfließen zu lassen.

„Ich brauche deine Hilfe. Ich muss dieses Schwein finden, bevor eine andere Frau leiden muss.“

Jetzt sah er mich zumindest an.

„Ich liebe Sofia, genauso wie du Anna geliebt hast. Ich muss ihr helfen und das schaffe ich nur, wenn ich dieses Arschloch kriege. Ich bitte dich, hilf mir, nur dieses eine Mal und dann verschwinde ich von hier und du siehst mich nie wieder. Versprochen Mike!“

Ich stützte mich auf seinen Schreibtisch und beugte mich zu ihm vor. Es kam jedoch nicht die geringste Reaktion von ihm.

„Mike, so kann das nicht weitergehen. Seit zwei Jahren ignorierst du mich und machst mir mein Leben zur Hölle.

Du warst mein bester Freund. Bitte, hilf mir, lass nicht zu, dass dieses Schwein davonkommt. Wenn du mir nicht helfen willst, dann bitte, tu es für Sofia.“

Erst jetzt hob er langsam seinen Kopf und ich zog sämtliche Register.

„Bitte Mike, nur dieses eine Mal. Sie ist alles was ich habe.“

Ich hielt seinem Blick stand, obwohl mir Tränen der Angst und Verzweiflung übers Gesicht liefen.

„Bitte Mike, dann siehst du mich auch nie wieder.

Versprochen!“

„Nimm dir was, oder wenn du brauchst um dieses Schwein zu finden. Ich möchte nicht, dass du das Gleiche durchmachen musst.“

„Danke mein Freund. Ich danke dir.“

Schnell wischte ich mir die Tränen aus dem Gesicht und lief in mein Büro zurück. Den Blicken meiner Kollegen nach zu urteilen, sahen sie genau, dass ich geweint hatte, aber es war mich schlichtweg egal. Hier ging es ganz alleine um meine Sofia.

„Alles klar Partner“ platzte ich schon damit heraus, noch bevor ich richtig in meinem Büro angekommen war.

„Wir gehen in den Wald. Morgen früh geht’s los.“

Ich schnappte mein Sakko und rannte aus dem Büro.

3

Da stand sie. Ich atmete schwer, hatte schweißnasse Hände und mein ganzer Körper spannte sich vor Erregung an. Ich hatte sie endlich gefunden und ich würde sie wieder zurückbringen.

Sie gehört mir, mir ganz allein.

Als sie sich bückte um einen Brief, der ihr beim Ausleeren des Briefkastens heruntergefallen war, aufzuheben, wäre ich am liebsten auf sie zu gerannt.

Sie ist dir weggelaufen, also reiß dich zusammen, es sind viel zu viele Leute auf der Straße. Du bekommst deine Chance schon noch … und dann wirst du sie erst einmal bestrafen.

Oh ja, das würde ich, da war ich mir ganz sicher. Ich würde ihr beibringen mich nie wieder zu verlassen. Ein Schauer durchzuckte mich als ich daran dachte. Nicht weil ich es erregend fand sie zu züchtigen, nein, es war eine nötige Erziehungsmaßnahme. Mein Vater hatte mir schon sehr früh gezeigt, dass man sich durch Schmerz erlerntes viel besser merken kann. Leider hatte es meine Sofia bis jetzt nicht lernen wollen. Aber ich hatte Zeit, viel Zeit sogar. Diese vielen Monate ohne ihr waren die Hölle. Ich musste sie wiederhaben, egal wie lange es auch dauern würde.

Ich warte Sofia. Hörst du mich? Ich warte.

Ein Auto fuhr um die Kurve und ich stellte mich wieder geschützt hinter den Baum. Als ich hervorlugte, hielt er direkt vor dem Haus und ein Mann stieg aus. Wie auf Kommando breitete Sofia ihre Arme aus, als er anstatt durch das Tor zu gehen, geschickt über den Zaun sprang.

Dreckssportler!

Seit dem ich denken konnte, waren sie mir zuwider. Strohdumm und trotzdem hielten sie sich für etwas Besseres. Sie schikanierten alles und jeden und die Huren von Mädchen schmissen sich ihnen förmlich an den Hals. Jetzt zog er Sofia an sich und küsste sie. Immer und immer wieder, öffentlich, vor dem Haus, wo alle es sehen konnten.

Sie gehört mir! Mir! Mir ganz alleine!

Vor Wut und blanken Entsetzen schlug ich mit meinem Kopf immer wieder gegen den Baum. Ich wollte den Schmerz nicht nur innerlich, sondern auch körperlich spüren, da ich an allem Schuld war. Ich hatte sie schließlich entkommen lassen. Schon beim dritten Aufprall lief mir mein eigenes Blut übers Gesicht, aber es war mir egal.

Nimm deine dreckigen Finger von ihr. Sie gehört mir.

Dafür würde ich diesen Mistkerl töten und plötzlich drängte sich ein schrecklicher Gedanke in mein Gehirn.

Nein! Sie ist nicht wie die anderen Mädchen und sie ist nicht wie meine Mutter. Sofia ist keine Hure! Sie ist rein und zart.

Dieses Schwein muss sie in seiner Gewalt haben. Sie würde mir das niemals antuen. Sie liebt mich, nur mich. Das hat sie selbst immer wieder gesagt. Ich bin der Einzige, waren ihre Worte.

Ich werde dich retten, Sofia. Ich werde dich retten.

Ich zwang mich zu gehen und wischte mir das Blut aus dem Gesicht, denn ich durfte auf gar keinen Fall auffallen.

Niemand fasst sie an! Niemand! Sie gehört allein mir!

Wieso hat sie es zugelassen, dass er sie anfasst? Warum hat sie sich nicht gewehrt? Wieso läuft sie nicht weg?

Er hat sie unter Drogen gesetzt. Ja, genau so muss es sein.

Sie ist ihm wehrlos ausgeliefert.

Meine Sofia.

4

Als ich sein Auto um die Kurve fahren hörte, fühlte ich mich augenblicklich besser. Er stieg schnell aus dem Wagen, sprang mal wieder mit einem Satz über das Gartentor und grinste mich spitzbübisch an. Ich breitete meine Arme aus und er zog mich küssender Weise in die Seinen. In seinen Armen fühlte ich mich geborgen und sicher. Ich dachte nicht, dass ich mich in der Nähe eines Mannes, jemals wieder so fühlen würde. Aber er schaffte es mit seiner liebevollen Art jeden Tag aufs Neue. Anfänglich war ich ihm für seine Fürsorge unendlich dankbar, doch eines Tages fühlte ich noch etwas anderes. Zuerst war ich mir nicht sicher, doch dieses Gefühl wurde jeden Tag stärker, bis ich ihn dann das erste Mal küsste. Seit diesem Zeitpunkt wusste ich es genau, ich hatte mich in ihn verliebt.

Aus Zuneigung und nicht aus Dankbarkeit.

„Sofia …“

Meine Gedanken lösten sich augenblicklich auf und ich sah ihn an.

„Ich muss mit dir reden.“

Sein Tonfall war bestimmt, aber sanft und ich schüttelte instinktiv den Kopf.

Nein! Du hast es mir versprochen.

Er schob mich ins Haus, setzte sich mit mir auf die Couch und nahm meine Hand in die Seine.

„Ich weiß, ich hatte dir versprochen dich nicht zu drängen, aber …“

„Dann tu es nicht!“ ging ich ihn wie üblich an, wenn er darauf zu sprechen kam, sprang auf und versuchte meine Hand aus der Seinen zu lösen, doch er hielt sie fest und zog mich sanft, aber bestimmt zurück auf die Couch.

„Du musst nichts sagen, ok? Nur zuhören.“

Ich nickte, da sein gequälter Gesichtsausdruck Bände sprach. Er wollte dieses Gespräch ebenso wenig wie ich, weil er genau wusste, welches seelische Gefühlchaos er damit bei mir verursachte und er hasste sich dafür selbst.

Trotzdem machte er heute weiter, da es ihm extrem wichtig war, dass ich zumindest zuhörte.

„Scott hat mich heute auf eine Idee gebracht.“

Er versuchte ein Lächeln, das ihn aber mehr als misslang, als ich vor lauter Angst tief einatmete.

„Ganz ruhig, Sofi.“

Er legte mir beruhigend seine Hand auf die Wange.

„Ich bin da und er kann dir nichts mehr tun.“

Mehr als ein Nicken brachte ich nicht zustande und Dave platzte einfach damit heraus.

„Wir glauben mittlerweile, dass wir unsere Suche in die falsche Richtung laufen ließen. Wir glauben, dass du in der Nähe von Fort Wayne oder Barry gefangen gehalten wurdest.“

Gefangen gehalten wurdest.

Er strich mir beruhigend über meinen Rücken.

„Du sagtest du bist immer geradeaus gelaufen. Aber könnte es sein, dass du immer leicht bergauf gerannt bist? Ohne es zu merken?“

Hoffnungsvoll sah er mir in die Augen, aber ich schüttelte schnell meinen Kopf.

„Bitte, tu mir das nicht an. Zwing mich nicht mich zu erinnern. Bitte Dave, du hast es mir versprochen.“

Meine Augen füllten sich mit Tränen und er zog mich in seine Arme.

„Es tut mir Leid. Ich wollte nur, dass du dich an den Weg zurückerinnerst. Nicht an …“

Er beendete den Satz nicht und hielt mich nur noch fest. Minuten später schob er mich behutsam von sich und sah mir in die Augen.

„Ich werde kein Wort mehr darüber verlieren, versprochen.“ Ich konnte es in seinen Augen sehen, wie schwer es ihm viel mich so zu sehen, noch dazu wo er diesmal an meinem Zustand Schuld war.

„Ich mach uns beiden einen Cappuccino, in Ordnung?“

Ich nickte mal wieder und Dave ging in die Küche. Er stand mit dem Rücken zu mir, fuhr sich ein paar Mal mit den Händen durch die Haare und hantierte dann fahrig an der Kaffeemaschine herum. Seiner angespannten Haltung nach, war er kurz davor durchzudrehen.

„Warum wolltest du das wissen?“ fragte ich zögernd, da er noch nie so hartnäckig versuchte, mich zum Reden zu bringen.

Dave hielt in seiner Bewegung kurz inne, drehte sich zu mir um und Hoffnung blitzte in seinen Augen auf.

„Weil wir vielleicht die Chance haben, dieses Schwein doch noch zu kriegen.“

Plötzlich erfasste mich eine so unglaubliche Unruhe, dass ich aufstehen musste. Aber in diesem Moment war es mir unmöglich sitzen zu bleiben.

„Ganz ruhig, Sofi.“

Er kam auf mich zu, dirigierte mich auf einen der Küchenstühle und setzte sich daneben.

„Lass dir Zeit.“

Er strich meinen Oberarm entlang und ich schloss die Augen.

„Ich bin da. Er kann dir nichts tun.“

„Ich hatte fürchterlich Angst, dass er mich findet und … bestraft.“

Dave strich mir über die Wange und ich legte diese in seine Handfläche.

„Die erste Zeit stand er in der Haustüre und rief mir nur hinterher. Zuerst bittend und dann fürchterlich drohend. Ich war schon kurz davor wieder zurückzugehen.“

„Wie bitte? Du wolltest zurück? Warum?“

„Ich weiß, dass du das nicht verstehst. Aber er hat in sämtlichen Einzelheiten meine Bestrafung gebrüllt, wenn ich nicht augenblicklich stehenbleiben würde. Als ich mich nach ihm umdrehte und sein Gesicht sah, wusste ich, dass er log. Er würde mich diesmal nicht nur bestrafen, diesmal würde er mich halbtot prügeln. Nur diese Erkenntnis brachte mich dazu weiterzulaufen.“

Ich machte eine Pause und versuchte mich zu erinnern.

Ich kriege dich.

Nein, lass es nicht zu. Erinnere dich nur an den Weg. Versuche es. Schieb die Angst und seine Stimme zur Seite. Du schaffst das.

Und da sah ich es plötzlich vor mir. Ich lief die meiste Zeit über steil bergauf. Ich hielt mich immer wieder an einigen Sträuchern fest, oder zog mich mit Hilfe meiner Arme nach oben. Dann ging es wieder steil bergab und ich fiel die meiste Zeit, nur um am Ende wieder hinaufzukriechen.

„Du hast Recht, es ging die ganze Zeit steil bergauf.“

„Steil bergauf? Bist du dir da sicher?“

Abwartend und völlig euphorisch sah er mich an. Ich schien gerade genau das gesagt zu haben, war er hören wollte.

„Ja Dave. Es war extrem steil und hügelig. Ich bin mir ganz sicher“ setzte ich bekräftigt nach und er küsste mich sichtlich erleichtert auf die Stirn.

„Braves Mädchen.“

Entsetzt und völlig panisch über diese Wortwahl sprang ich auf und als ich hinter mir ein schepperndes Geräusch hörte, hob ich meine Hände schützend vor den Körper und presste mich zittern an die Wand.

„Sofia?“ rief er irritiert und sah zwischen mir und dem umgefallenen Stuhl hin und her.

„Was ist los?… Sofia?“

Ich zwang mich ruhig zu atmen und nahm meine Hände wieder runter.

Er ist nicht hier. Er hat das nicht gesagt, es war Dave und er liebt dich.

„Sofia? Rede mit mir, bitte sag was.“

Langsam kam er auf mich zu und zog mich zögernd in seine Arme, da er anscheinend Angst vor meiner Reaktion hatte.

„Rede mit mir, bitte.“

„Sag das nie wieder zu mir. Bitte Dave, sag das nie wieder.“

Ich schlang meine Arme um seinen Körper und fing bitterlich zu weinen an. Dave versuchte mich mit allen Mitteln zu beruhigen, schaffte es aber nicht, da ich immer weiter in meine Erinnerungen abdriftete.

„Ich bin wieder da, mein Liebling“ rief er mir schon von der Türe entgegen.

Panisch und beschämt drückte ich mich in die hinterste Ecke des Bettes, als er den Raum betrat. Sofort viel sein Blick auf den dunklen Fleck in dem Mitte der Matratze und sein Blick wurde düster.

„Macht man das, Sofia?“ fragte er mich, als wäre ich ein kleines Kind.

„Bitte, es tut mir leid. Ich konnte es nicht mehr halten.“

„Ausreden, ich höre immer nur ausreden“ schrie er mich an.

„Was habe ich dir gestern gesagt?“

Er beugte sich drohend zu mir herunter.

„Los, antworte mir!“

„Ich muss lernen meine Verfehlungen zuzugeben“ brachte ich stottern hervor.

„Ich habe noch etwas gesagt. Los Sofia, ich will alles hören.“

Er wurde immer wütender.

„Sonst musst du es mir beibringen …“

Meine Stimme brach ab.

„Den ganzen Satz, Sofia. Wiederhole den ganzen Satz.“

„Mit dem Gürtel. Sonst musst du es mir mit dem Gürtel beibringen“ brachte ich mit tränenerstickter Stimme hervor und hob meine freie Hand schützend nach oben.

„Bitte, ich mache es wieder sauber. Es tut mir Leid.“

Langsam zog er seinen Gürtel aus der Hose und wickelte sich das Ende mit der Schnalle um die Hand.

„Bitte nicht, Greg.“

Mein Betteln nützte nicht das Geringste. Erbarmungslos zog er aus.

Ich schrie bei jedem Schlag auf und versuchte mich verzweifelt mit meiner Hand zu schützen. Aber es war wie immer vergebens und nach fünf Schlägen hörte er wieder auf.

„Ich will das nicht tun, das weißt du ganz genau. Aber du lernst besser durch Schmerz. Glaub mir, Sofia.“

Erst jetzt löste er die Handschelle vom Bettpfosten und meine rechte Hand war frei.

„Im Schrank ist neues Bettzeug, mach es wieder sauber.“

Schnell wand ich mich Richtung des Schrankes ab. Mein Unterarm und meine Schulter brannte wie die Hölle, trotzdem traute ich mich nicht mal daran zu reiben, da er mich keine Sekunde aus den Augen ließ und als ich fertig war, strich er mir über meinen Kopf und raunte:

„Braves Mädchen.“

„Sofi, bitte hör zu weinen auf. Ich entschuldige mich, egal für was, aber bitte rede mit mir.“

Seine Stimme klang dünn und hilflos. Langsam hob ich meinen Kopf und sah ihm in die Augen. Da sah ich es wieder, diese unsagbare Wut auf Greg und seine Angst um mich. Wie damals schon im Krankenhaus, als ich ihm das erste Mal davon erzählte.

„Braves Mädchen“ stammelte ich

„Das hat er immer gesagt, nachdem er mich mit seinem Gürtel geschlagen hat.“

Entsetzt sah er mich an, zog mich in seine Arme, aber nur um mich Sekunden später wieder wegzuschieben.

„Du gottverdammtes mieses Arschloch!“ schrie er in den Raum und schlug mit der flachen Hand so fest auf den Tisch, dass die Vase, die darauf stand, umfiel.