Treibgut - B.T. Gold - E-Book

Treibgut E-Book

B.T. Gold

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Beschreibung

Ryan Parker lebt seit über fünf Jahren unter falschem Namen in einem abgelegenen Haus am Meer. Sein einziger sozialer Kontakt ist sein Freund, der Elitesoldat Tony Barrett, der ihm damals auch zu seiner neuen Identität verhalf. Alles verläuft ruhig, bis Ryan eines Morgens eine Frau vor dem Ertrinken rettet. Trotz ihres offensichtlichen traumatischen Erlebnisses, will sie weder zur Polizei, noch darüber sprechen. Ryan zieht sämtliche Register und als die Unbekannte dann endlich mit der Sprache herausrückt, wird Ryan mit seinem schlimmsten Alptraum konfrontiert und seine Vergangenheit holt ihn ein. Er bittet Tony erneut um Hilfe, aber aufgrund eigener Probleme stellt er einen seiner besten Männer zu Schutz ab. Caleb ist extrem zielorientiert, gnadenlos und völlig skrupellos, für ihn zählt einzig und alleine das Endresultat. Wie er es erreicht, und was er dafür tun muss, ist ihm völlig gleichgültig. Ryan und Kate haben jedoch keine andere Wahl, als ihm blind zu vertrauen, da sie sich mit einem überaus mächtigen und brutalen Gegner angelegt haben, der bereit ist bis zum Äußersten zu gehen, um sein Ziel zu erreichen.

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Liebe Leserinnen und Leser,

wie bereits angekündigt veröffentliche ich nun mein Lieblingsbuch, aber keine Angst, zwei weitere Pete Sullivan Storys sind bereits fertig geschrieben und warten nur noch auf ihre Veröffentlichung.

Dennoch hoffe ich, dass ihnen diese Geschichte genauso gefällt wie mir.

Ihre

B.T. Gold

Inhaltsverzeichnis

Schmerz

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Wut

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Vergeltung

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Schmerz

Substantiv – maskulin

durch Krankheit, Verletzungen o.Ä. ausgelöste, sehr

unangenehme körperliche Empfindung

tiefe seelische Bedrückung, Kummer oder Leid

1

Ich wachte schon wieder weit vor Sonnenaufgang auf und wälzte mich im Bett hin und her. Obwohl ich die Wellen die auf den Strand aufliefen schon immer beruhigend fand, störten sie mich heute. Um kurz nach vier hielt ich es im Bett nicht länger aus und stand leicht gereizt auf. Seit Wochen ging dies jetzt schon so und zerrte mittlerweile an meinen Nerven. Aber ich dachte nicht daran mich unterkriegen zu lassen, zog meine Laufklamotten an und verließ keine fünf Minuten später das Haus, um meine tägliche Joggingrunde zu drehen. Der Wind war extrem frisch und ich fing leicht zu frösteln an. Heute würde das Thermometer nicht über die fünfzehn Grad steigen, was aber zu dieser Jahreszeit völlig normal war. Auch das Meer war nur etwas für Hartgesottene, da der Seegang im Gegensatz zum Sommer, sehr rau war. Trotz der Strandnähe hatten die Immobilenhaie noch keine Notiz von der Gegend genommen und ich wohnte relativ einsam und zurückgezogen in einem kleinen Haus direkt am Meer. Zugegebener Weise war der Strand von Felsvorsprüngen ziemlich zerklüftet, aber gerade diese pure und ungezähmte Natur gefiel mir. Genau dies gab letzten Endes den Ausschlag mich genau hier niederzulassen. Auch spielte die nicht vorhandene Infrastruktur ebenfalls eine große Rolle. Ich wollte meine Ruhe und nahm es tausendmal lieber in Kauf eine Stunde mit dem Auto zum nächsten Laden fahren zu müssen, als meine Nachbarn auf der Pelle sitzen zu haben. Seit dem ich denken kann, war ich ein Einzelgänger und hatte nur einen einzigen Freund, auf den konnte ich mich aber hundertprozentig verlassen, egal was kam. Genau dieser Freund hatte mir vor fast fünf Jahren geholfen von der Bildfläche zu verschwinden, als es in New York zu heiß für mich wurde. Seit dieser Zeit lebte ich unter falschem Namen noch zurückgezogener, als ich es eh schon tat. Sämtliche Brücken riss ich ein und für die meisten Leute hatte es den Anschein, als wäre ich tot. Leider nicht für alle und genau dieser Umstand machte in den letzten Jahren einen Geist aus mir. Unter dem Radar, alleine, unsichtbar und vor allen Dingen wenig soziale Kontakte, denn die verkomplizierten es immer. Wenn man so leben musste, bastelte man sich eine Vergangenheit zusammen und leider musste man manchmal spontan etwas dazu erfinden. Man log, dass sich die Balken bogen und wenn man nicht genau aufpasste zu wem man was sagte, fiel das Kartenhaus in sich zusammen und die Leute wurden neugierig, oder schlimmstenfalls misstrauisch und stellten Nachforschungen an. Dies konnte ich mir aber unter gar keinen Umständen leisten, da ich bereits mit einem Bein im Grab stand, dass ich mir leider selbst geschaufelt hatte.

Komm endlich runter. Seit fast fünf Jahren ist nichts passiert und wenn du jetzt nicht anfängst durchzudrehen, wird auch weiterhin nichts passieren. Seit drei Wochen machst du dir jetzt schon Gedanken und nichts, absolut gar nichts deutet darauf hin, dass er dich gefunden hat. Also genieße verdammt nochmal die Gegend und vergiss den ganzen Scheiß endlich!

Krampfhaft versuchte ich meinen Kopf frei zu bekommen und nach den ersten drei Meilen gelang es mir endlich. Meine Beine rannten mittlerweile wie von selbst durch den nassen Sand und die Wellen kamen knapp bis zu mir an den Strand nach oben, schafften es aber nicht meine Schuhe nass werden zu lassen. Mittlerweile fror ich auch nicht mehr und rannte Meile um Meile vor mich hin, bis ich die ersten Sonnenstrahlen am Horizont wahrnahm. Für einen kurzen Moment blieb ich stehen und beobachtete, leicht nach vorne übergebeugt und schnell atmend, dieses Schauspiel. Leider hatte ich heute meine Sonnenbrille vergessen und beschloss, nach einem kurzen Blick auf meine Uhr, umzukehren, da ich bereits seit einer dreiviertel Stunde unterwegs war und der Weg zurück nicht kürzer wurde. Immer wenn ich im Dunklen lief, vergaß ich jegliches Zeit- und Streckengefühl und die letzten Meilen zurück, zogen sich dann ewig dahin. Zehn Meilen waren für meine körperliche Konstitution perfekt, aber alles was darüber hinausging wurde zur Qual. Sport musste für mich Spaß machen und nicht in quälender Folter, oder im Zwang etwas tun zu müssen, stehen. Natürlich kämpfte ich jeden Morgen mit meinem inneren Schweinehund, aber wenn ich ihn besiegt hatte und Meter um Meter vor mich hin lief, fiel alles von mir ab und ich vergaß alles um mich herum. Ich fühlte mich unendlich frei und genoss die ungezähmte Natur. Es war, als würde ich neue Energie tanken, die mich über den ganzen Tag rettete. Gerade als ich mein Tempo zügeln wollte, da ich über felsiges Gelände musste, kam eine größere Welle angerollt und ich lief, obwohl ich ein paar Schritte den Strand nach oben rannte, genau in sie hinein.

„Scheiße!“

Genervt blieb ich mit völlig durchweichten Schuhen stehen und ärgerte mich über meine eigene Blödheit. Ich wusste doch ganz genau, dass an diesem Strandabschnitt die Wellen mit einer viel höheren Geschwindigkeit hereinkamen. Es war schließlich nicht das erste Mal, dass ich genau hier nass wurde. Normalerweise würde ich mich über so eine Lappalie nicht einmal ärgern, geschweige denn aufregen, aber die Schuhe brauchten zwei volle Tage zum Trocknen. Natürlich hatte ich noch ein zweites Paar, aber bei diesen bekam ich immer eine Blase. Obwohl es das gleiche Model war, sogar die Farbe war identisch, waren sie unbequem, weiß der Teufel warum. Den kleinen Felsvorsprung überquerte ich gehend und meine Schuhe hinterließen bei jedem Auftritt ein leicht schmatzendes Geräusch. Gerade als ich die Felsen überquerte, rollte die nächste Welle an und ich schaffte es gerade noch auszuweichen.

Du nicht.

Mit einem leichten Grinsen wollte ich gerade meinen Lauf fortsetzen, da ich merkte wie ich durch den kalten Wind zu frösteln begann, als ich am wasserzugeneigten Ende der Felsen etwas im Augenwinkel wahrnahm. Abrupt blieb ich stehen und spähte aufgrund des Sonnenstandes mit zusammengekniffenen Augen auf die Stelle, an der ich mir eingebildet hatte etwas gesehen zu haben. Ich wusste nicht einmal was mich irritierte, da ich jetzt absolut nichts sehen konnte. Eine erneute Welle brach sich, aber ich blieb einfach stehen und merkte wie das kalte Wasser um meine Beine schwappte.

Da … Da war es schon wieder. Verdammt was ist das?

Irgendetwas trieb im Wasser und als die nächste Welle gegen die Felsen schlug, erkannte ich es. Es war ein Arm. So schnell ich konnte, lief ich bis zur Felskante, ließ mich auf die Knie fallen und bekam den Arm gerade noch zu fassen, bevor das Wasser sich wieder zurückzog und den leblosen Körper mit sich riss. Leider schaffte ich es nicht sie nach oben zu ziehen und sprang ohne zu zögern ins kalte Nass. Eine neue Welle rollte an und ich konnte den Körper gerade noch aus dem Gefahrenbereich ziehen, bevor er wieder gegen den Fels gedrückt wurde. Schnell zog ich sie an mich und schwamm mit ihr im Schlepptau ans rettende Ufer. Beherzt packte ich sie an den Armen und schleifte sie einige Meter den Strand nach oben, ließ mich auf meine Knie fallen, griff an ihren Hals und wie durch ein Wunder fühlte ich einen Puls. Extrem schwach, aber zumindest noch vorhanden.

„Mrs. … Mrs. … Können sie mich hören?“

Keine Reaktion. Schnell schlug ich ihr leicht auf ihre rechte Wange.

„Mrs. … Hallo … Verstehen sie mich?“

Wieder nichts und meine Schläge wurden rabiater.

„Mrs. … Hallo … Hallo … Hören sie mich?“

Scheiße, scheiße, scheiße!

Erneut kontrollierte ich ihren Puls.

Stirb mir bloß nicht weg.

Der Puls war weiterhin da und ich versuchte erneut, sie ins Leben zu holen.

„Mrs. … Bitte … Mrs. … Verstehen sie mich?“

Ein leises Stöhnen war zu hören und ich wiederholte die leichten Schläge.

„Hallo … Mrs. … Verdammt, komm zurück … Bitte.“

Ein erneutes Stöhnen folgte und Hoffnung keimte in mir auf. Ich legte meine Hand unter ihren Nacken und hob sie leicht an.

„Mach die Augen auf…Bitte.“

Jetzt tätschelte ich mit meiner freien Hand abwechselnd ihre Wange, oder kontrollierte den Puls an der Halsschlagader. Trotz meiner Panik hatte ich das Gefühl, dass er stärker wurde und endlich kam die Frau meiner stetigen Aufforderung die Augen zu öffnen nach. Rehbraune Augen blickten mich kurz an, bevor sie ihr wieder entkräftet zufielen. Jetzt konnte ich auch ihre Atmung am Heben und Senken ihres Brustkorbes erkennen und ich entspannte mich etwas.

„So ist es gut … Schön weiteratmen … Sie haben es geschafft, jetzt kann ihnen nichts mehr passieren.“

Bitte, mach mir bloß nicht schlapp. Bleib ja bei mir.

Weiterhin stützte ich ihren Kopf und legte instinktiv meinen Arm um sie. Ich wollte ihr unter allen Umständen das Gefühl von Sicherheit vermitteln. Die Frau in meinen Armen war nur mit ihrer Unterwäsche und einem zerrissenen Shirt bekleidet und sah fürchterlich mitgenommen aus. Überall auf ihrem Körper befanden sich Kratzer, kleine Schürfwunden und blaue Flecken. Ihre Hände sahen aber am schlimmsten aus. Sämtliche Fingernägel waren abgebrochen oder gesplittert, die Fingerkuppen und die Handinnenflächen waren zerschnitten und die Fingerknöchel waren eine einzige Schürfwunde. Auf ihrer Stirn verlief quer eine Schnittwunde und an ihrer rechten Schläfe befand sich eine kleine Platzwunde. Sie musste seit Stunden im Wasser getrieben sein und verzweifelt um ihr Leben gekämpft haben.

„Sie sind in Sicherheit“ fing ich erneut an, da ich keinen blassen Dunst hatte, was ich tun, geschweige denn sagen sollte.

„Jetzt kann ihnen nichts mehr passieren.“

Ich merkte, dass sie zitterte und legte sie in den Sand zurück um mein Shirt auszuziehen, als sie sich in meinen Unterarm krallte und die Augen öffnete. Die Panik in ihrem Blick ließ mich erschaudern. Diese Frau hatte schreckliches hinter sich.

„Keine Angst, ich will ihnen nur mein Shirt überlegen.“

Sie entspannte sich etwas, ließ meinen Arm jedoch nicht los. Umständlich zog ich mein Laufoberteil aus, löste behutsam ihre

Hand von meinem Arm und schüttelte das Shirt komplett ab. Aber als ich es ihr überlegen wollte, merkte ich erst, dass es völlig durchnässt war und gegen ihr Zittern absolut nichts ausrichten würde. Also zog ich sie fest in meine Arme und fing an sie warm zu rubbeln.

Verdammt, was mache ich denn jetzt? Bis zu meinem Haus sind es garantiert noch drei Meilen.

„Sie brauchen Hilfe Mrs., aber hier kann ich ihnen nicht helfen. Ich muss sie hierlassen, um …“

„Nein“ kreischte sie völlig verstört und packte mich so fest an meinem Unterarm, dass es wehtat.

„Bitte, sie brauchen Hilfe und zwar sofort. Es wird nicht …“

Jetzt folgte ein gequältes und fürchterliches Wimmern, das mir durch und durch ging. Sie hatte Angst, panische Angst, dass ich sie hier alleine lassen würde.

„Schscht, ganz ruhig. Ich bleibe hier, ich werde sie nicht alleine lassen. Versprochen.“

Sie beruhigte sich und sah mich so dermaßen hilfesuchend an, dass es mir eiskalt den Rücken herunterlief.

Scheiße, scheiße, scheiße. Das schaffe ich nie.

Trotz dieser Gewissheit legte ich eine Hand unter ihren Nacken, die Andere um ihre Kniekehlen, hob sie an und stand mit einem Ruck auf. Augenblicklich schlang sie ihre Arme um meinen Hals und ließ ihren Kopf kraftlos gegen meine nackte Brust fallen.

Meine Hoffnung, dass sie sich vielleicht auf ihren Beinen halten konnte, schwand ins Bodenlose und ich fing an im Laufschritt nach Hause zu gehen.

Bereits nach einigen hundert Metern waren meine Beine bleischwer, mein Atem ging abgehackt und meine Arme schrien förmlich nach Erlösung. In den Filmen, wenn der Held seine Angebetete stundenlang auf seinen Armen in der Gegend herumtrug und ganz nebenbei noch seine Gegner in die Flucht schlägt, sah es immer so leicht und einfach aus, aber die Realität war komplett anders. Obwohl ich mehr als gut trainiert und die Frau alles andere als schwer war, ging dies an den Rande meiner körperlichen Fähigkeiten. Bereits nach der ersten Meile war ich so fertig, dass ich mich am liebsten auf meine Knie fallen gelassen hätte. Mein Körper schrie nach einer Pause, aber ich wusste genau, dass ich nie wieder nach oben kommen würde, wenn ich jetzt diesem Drang nachgab. Also lief ich weiter und kämpfte mit meinem inneren Schweinehund. Nach einer gefühlten Ewigkeit, kam endlich mein Haus in Sicht und ich mobilisierte meine letzten Kräfte. Keuchend und schweißgebadet stieß ich mit der Schulter meine Türe auf und stolperte regelrecht in mein Schlafzimmer.

Vorsichtig legte ich die Frau auf meinem Bett ab und sie krallte sich augenblicklich an mir fest und bedachte mich wieder mit diesem panischen Blick.

„Keine Angst, ich gehe nicht weg.“

Vorsichtig löste ich ihre Hände von meinem Arm, setzte mich schwer atmend neben sie aufs Bett und schälte sie aus ihrem nassen Shirt. Ohne Gegenwehr ließ sie es zu und ich bedeckte ihren Körper, der nunmehr nur noch mit BH und Slip bekleidet war, schnell mit meiner Decke. Ihre Unterwäsche traute ich mich nicht ihr auszuziehen, da ich ihr nicht auch noch ein ungutes Gefühl vermitteln wollte.

„Sie sind in Sicherheit.“

Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass meine Worte nicht bei ihr ankamen.

„Bitte Mrs., versuchen sie etwas zu schlafen.“

Energisch schüttelte sie ihren Kopf, so viel Energie hätte ich in ihrem Zustand nicht für möglich gehalten und ich packte die Gelegenheit am Schopf.

„Wie heißen Sie?“

Keine Reaktion.

„Bitte Mrs., wenn sie mir ihren Namen verraten …“ Wieder kam dieses Kopfschütteln und mir drängte sich ein schrecklicher Verdacht auf.

„Sie wollen nicht, dass ich weiß wer sie sind, oder?“

Beschämt schlug sie die Augen nieder und meine Vermutung wurde somit bestätigt.

„Gut, ich werde sie in Ruhe lassen, aber nur wenn sie mir versprechen etwas zu schlafen.“

Ein Kopfschütteln folgte und ich verschränkte demonstrativ die Arme vor meiner Brust.

„Gut, ganz wie sie wollen.“

Ich merkte wie sie sich langsam wieder beruhigte und ich ging aufs Ganze.

„Ich werde sie zu nichts zwingen, aber nachdem ihr Zustand sehr grenzwertig ist und sie meinen Rat nicht befolgen, muss ich, zu meiner eigenen Sicherheit, die Polizei informieren.“

Blankes Entsetzen schlug mir entgegen und ich hätte mich am liebsten für meine Drohung geohrfeigt. Tränen der Angst liefen ihr stumm über die Wangen und sie versuchte aufzustehen, schaffte es aber nicht.

„Es tut mir leid. Bitte beruhigen sie sich. Ich wollte damit doch nur erreichen, dass sie mir ihren Namen verraten.“

Sie glaubte mir kein Wort und ich umschloss beruhigend ihre Hand, da ich wollte, dass meine nächsten Worte mit dieser Geste mehr Gewicht bekamen.

„Bitte Mrs., es ist die Wahrheit. Sie wollen aus irgendeinem Grund nicht, dass ich weiß wer sie sind und dass ich die Polizei einschalte. Ich habe es kapiert und werde nichts dergleichen tun.

Ich muss sie mir nur ansehen, um zu wissen, dass sie schreckliches durchgemacht haben und es steht mir nicht zu darüber zu entscheiden wie es weitergehen soll. Ich habe nur eine Bitte, ruhen sie sich aus und ich werde im Gegenzug nichts unternehmen, bis sie etwas anderes sagen, ok?“

Sie taxierte mich und ich hatte das Gefühl, als wollte sie mich mit ihrem Blick durchbohren. Sie versuchte meine Worte einzuordnen und suchte in meinem Verhalten ob sie mir trauen konnte. Ich hielt ihrem Blick stand und nickte ihr beruhigend zu. Sie nickte ebenfalls und ich gab ihre Hand wieder frei. Wortlos zog sie die Decke ein Stück nach oben, rollte sich unter ihr zusammen und schloss die Augen. Sie schien gesehen zu haben, wonach sie so verzweifelt gesucht hatte. Ich blieb noch eine Weile sitzen bis ich mir ganz sicher war, dass sie eingeschlafen war und verließ dann körperlich und auch seelisch völlig am Ende mein Schlafzimmer.

Die Türe ließ ich einfach offen stehen. Ich wollte, dass sie mich, wenn sie wieder aufwachte, hören und auch sehen konnte.

Was hast du bloß schreckliches durchgemacht und wieso hast du auf meine Drohung die Polizei einzuschalten so panisch reagiert?

Jetzt wollte ich nur noch unter die heiße Dusche und aus meinen völlig nassen Klamotten raus. Minutenlang stand ich einfach nur so da, stützte mich mit den Händen an der Wand ab und ließ das Wasser auf meinen Nacken und Rücken prasseln. Mein körperlicher Zustand besserte sich zusehends, aber mein seelischer verschlechterte sich von Minute zu Minute. Ich kämpfte mit meinem Beschützerinstinkt und meinem Selbsterhaltungstrieb und hatte keine Ahnung wer von beiden gewinnen würde. Auf der einen Seite stand diese Frau, die unsagbares durchgemacht haben musste, oder vor irgendjemandem oder irgendetwas floh und auf der anderen Seite stand ich und die Frage, ob ich bereit war, alles für sie zu riskieren und aufzugeben, was ich mir in den letzten fünf Jahren aufgebaut hatte? Ich musste unbedingt mehr über sie und über das was ihr zugestoßen war herausfinden, um mir wirklich darüber klar zu werden, wie weit ich letzten Endes bereit war zu gehen. Fragen über Fragen quälten mich und ich ertappte mich bei dem Gedanken, warum ich sie überhaupt gerettet hatte.

Du blödes Arschloch.

Ich hatte in meinem Leben schon genug Scheiße gebaut, aber einen Hilfsbedürftigen im Stich zu lassen, nur um meine eigene Haut zu retten, brachte ich noch nie übers Herz und wenn es um eine Frau ging, schon gar nicht.

Du hast sie gerettet, weil du bist wie du bist und dich wegen diesem Mistkerl garantiert nicht verbiegen lässt.

Ich stieß mich von der Wand ab, drehte den Wasserhahn zu und stieg aus der Dusche. Schnell trocknete ich mich ab, zog mir frische Klamotten über, verließ das Bad und spähte in mein Schlafzimmer. Sie lag noch genauso da, wie vor einigen Minuten und sie schlief tief und fest.

Ruh dich aus.

Ich lehnte mich gegen den Türrahmen, vergrub meine Hände in den Hosentaschen und beobachtete sie eine Weile. Sie hatte lange braune Haare, die ihr in nassen Strähnen über das Gesicht fielen und wenn man von den unzähligen Schrammen absah, war sie relativ gutaussehend. Ich schätzte sie auf Mitte dreißig, konnte mich aber aufgrund ihres Zustandes ziemlich irren. Je länger ich sie so daliegen sah, umso wütender wurde ich und eine immer wiederkehrende Frage fraß sich in meine Gedanken und wollte nicht mehr verstummen.

Warum?

Fahrig und unkoordiniert machte ich Frühstück. Immer wieder hielt ich inne, da ich vergessen hatte was ich aus dem Schrank, oder dem Kühlschrank holen wollte und als ich den Kaffee in meinen Becher goss, hörte ich einen markerschütternden Schrei.

Mist!

Augenblicklich ließ ich alles stehen und liegen und lief geschockt in mein Schlafzimmer. Die Unbekannte saß schwer atmend mittig auf meinem Bett, hielt die Decke krampfhaft fest und zitterte am ganzen Leib. Als sie mich sah, wich sie zurück und ich blieb abrupt mittig im Zimmer stehen.

„Keine Angst.“

Beschwichtigend nahm ich meine Hände vor meinen Körper.

„Ich tue ihnen nichts.“

Verschreckt sah sie mich weiterhin an und ich entfernte mich ein Stück von ihr.

„Ich habe sie aus dem Wasser gezogen und hierher gebracht.

Können sie sich daran erinnern?“

Keine Regung.

„Ich weiß, dass sie Angst haben und ich weiß auch, dass sie unter keinen Umständen wollen, dass ich die Polizei verständige. Ich habe dies akzeptiert und werde nichts dergleichen tun. Ich weiß auch, dass sie mir nicht sagen wollen wie sie heißen, aber es würde die Sache für mich unheimlich erleichtern.“

Wieder nichts.

Verdammt rede mit mir!

Ich wusste schon gar nicht mehr, was ich noch alles sagen sollte, damit sie endlich anfing mir zu vertrauen.

„Bitte sagen sie doch etwas … Irgendetwas, es ist mir völlig egal.

Hauptsache sie reden mit mir.“

Schon fast bettelnd sah ich sie an, aber es änderte rein gar nichts an der Situation.

Gehe es anders an. Fordere sie heraus.

„Gut, wie sie meinen. Ich dachte jedoch, dass sie mir zumindest dies als Dank schuldig sind.“

Herausfordernd sah ich sie an, doch es war wie die Male zuvor.

„Ich bin Ryan, Ryan Parker.“

Wie bescheuert bist du eigentlich? Warum zum Teufel hast du ihr deinen richtigen Namen gesagt? Du weißt absolut nichts über diese Frau.

Ich hätte mich am liebsten selbst geohrfeigt, so wütend war ich auf meinen eklatanten Fehler. Leider ließ ich meine Wut jetzt an ihr aus, was die Situation nicht unbedingt besser machte.

„Na gut, dann halt nicht! Dann nenne ich sie einfach …“

Ich überlegte kurz.

„Treibgut.“

Endlich, eine erste Gefühlsregung. Sie zuckte zusammen, als hätte ich sie geschlagen.

„Gefällt er ihnen?“ setzte ich bissig nach.

Meine Hoffnung sie durch Provokation zum Sprechen zu bewegen, zerplatzte wie eine Seifenblase, als ich ihren Gesichtsausdruck sah. Er war wieder völlig teilnahmslos, so als wäre ihr alles egal was um sie herum passierte.

So ein Mist!

Schnell änderte ich meine Taktik.

„Haben sie Hunger?“

Nichts.

„Ich habe gerade Frühstück gemacht, nichts großartiges nur ein belegtes Brot mit Wurst und Käse und einen Kaffee. Wenn sie etwas möchten, bringe ich es ihnen.“

Es war zum Verrückt werden. Nicht, dass sie nur nicht mit mir redete, nein, sie nickte oder schüttelte nicht einmal ihren Kopf.

Warum redest du nicht?

„Gut, dann halt kein Zimmerservice. Wieso einfach, wenn es auch schwierig geht?“

Kopfschüttelnd verließ ich das Zimmer, in der Hoffnung sie würde mir folgen, aber nichts geschah. Also frühstückte ich wie immer alleine, aber meine Gedanken drifteten immer wieder zu ihr ab.

Gehe ich die Sache vielleicht völlig falsch an und sie hat ein seelisches Trauma? Ist ihre Psyche so traumatisiert, dass sie im Moment gar nicht anders kann, oder will sie nur nicht?

Dieses nicht zu wissen, wo und wie man dran war, trieb mich an den Rande des Wahnsinns und Selbstzweifel machten sich in mir breit.

Bin ich zu hart mit ihr? Treibgut? Wie bin ich nur auf so einen Schwachsinn gekommen?

Resigniert warf ich mein Brot auf den Teller zurück, stand auf, holte einen Teller aus dem Schrank, schnitt eine neue Brotscheibe ab, teilte diese und belegte die eine Hälfte mit Käse und die Andere mit Salami. Ich angelte einen Kaffeebecher aus den Tiefen meines Schrankes und spülte ihn kurz aus, da er ganz staubig war.

Seit Jahren benutzte ich immer die gleiche Tasse für meinen Kaffee, keine Ahnung warum, aber es war schon fast wie ein Ritual, dass ich sie sofort nach dem der Becher leer war, ausspülte und zum Trocknen in das Abtropfbecken stellte. Ich füllte die Tasse und überlegte ob ich ihn schwarz, mit Zucker, mit Milch, oder vielleicht mit beidem servieren sollte. Ich entschied mich für alles und machte mich auf den Weg zurück zu ihr. Selbst als ich das Zimmer betrat, regte sie sich nicht, sondern blieb mit angewinkelten Beinen zusammengekauert sitzen.

„Sie sollten etwas essen“ versuchte ich betont nett, aber es nützte nichts.

„Ich habe ein Käse- und ein Salamibrot gemacht, beim Kaffee war ich mir nicht sicher, wie sie ihn mögen, also habe ich Milch und Zucker hinein getan. Ich hoffe, das geht in Ordnung?“

Mittlerweile kam ich mir blöd vor und stellte genervt alles am Nachttisch ab.

„Ok Lady, ich habe verstanden, dass sie nicht mit mir reden wollen. Aber ein Nicken oder ein Kopfschütteln ist das Mindeste was sie tun könnten. Ich habe vermutlich ihr Leben gerettet und sie drei Meilen bis zu meinem Haus getragen, was wahrlich kein Vergnügen war, sondern harte Arbeit. Jetzt liegen sie in meinem Bett und strafen mich mit Verachtung, anstatt sich für meine Hilfe zu bedanken. Ich für meinen Teil finde dies ziemlich undankbar und egoistisch, da ich mir wirklich Gedanken um sie mache.“

Sie hob den Kopf an, drehte ihn aber nicht zu mir her.

Ich kriege dich schon noch dazu mit mir zu reden.

„Ich werden ihnen jetzt ein paar Fragen stellen und ich möchte eine Reaktion darauf, egal wie. Haben sie das verstanden?“

Ich wartete und als ich schon dachte, dass sie weiter auf stur stellte, drehte sie ihren Kopf in meine Richtung und nickte fast unmerklich.

„Gut.“

Na endlich.

„Soll ich einen Arzt verständigen?“

Sie schüttelte ihren Kopf verneinend.

„Weil sie keinen brauchen, oder weil sie Angst haben?“

Keine Regung, also versuchte ich es anders.

„Ok, reden wollen sie anscheinend nicht, dann Frage ich halt anders. Wollen sie keinen Arzt, weil sie anonym bleiben wollen, oder brauchen sie keinen?“

Verdammt, das waren jetzt schon wieder zwei Fragen auf einmal.

Trotz meines Fehlers schüttelte sie ihren Kopf hin und her. Ich überlegte kurz und ging meine Frage im Geiste noch einmal durch, aber bevor ich etwas falsch interpretierte, hakte ich noch einmal nach.

„Haben sie Probleme beim Atmen?“

Jetzt war es eindeutig ein nein.

„Sonst irgendwelche Probleme oder sogar Schmerzen?“

Wieder eine kopfschüttelnde Geste und ich konnte die Frage mit dem Arzt endlich abhaken.

„Sehen sie, es war doch gar nicht so schwer.“

Aufmunternd lächelte ich sie an.

„Verraten sie mir jetzt ihren Namen?“

Das verneinende Schütteln kam extrem schnell und heftig.

„Und wenn ich verspreche rein gar nichts zu unternehmen?“

Ich hatte es schon wieder verkackt, sie machte dicht. Trotzdem konnte ich mich nicht zügeln.

„Na gut, dann bleibt es beim Treibgut.“

Sie zuckte wieder zusammen. Meine Betitelung gefiel ihr überhaupt nicht und ich triumphfierte innerlich.

Damit kriege ich dich.

Den restlichen Tag ließ ich sie mehr oder weniger in Ruhe. Zwei Mal versuchte ich noch ein Gespräch in Gang zu bringen, aber ich gab erfolglos und resigniert auf. Als ich jedoch am Abend mit einer heißen Suppe mein Schlafzimmer betrat und den Teller samt Frühstück sah, platzte mir der Kragen.

„Keine Ahnung wie oft ich sie jetzt schon höflich gebeten habe etwas zu essen, aber jetzt reicht es! Ich habe hier einen Teller Suppe und sie genau zwei Optionen. Entweder sie werden diese jetzt freiwillig essen, oder ich werde sie dazu zwingen und glauben sie mir, das wollen sie garantiert nicht.“

Ich stellte den Teller samt Löffel ab und nahm das Frühstück vom Nachttischkästchen.

„Ich werde in genau fünf Minuten wiederkommen und wenn der Teller dann nicht leer ist, sorge ich persönlich dafür!“

Wütend verließ ich das Zimmer und musste mich schwer zusammenreißen, um nicht die Türe hinter mir zuzuwerfen.

Oh man, warum musste ausgerechnet ich sie finden?

Resigniert ließ ich mich auf die Couch fallen und ertappte mich dabei, wie ich den Zeiger der Uhr beobachtete und die Minuten mitzählte. Eine Minute war bereits verstrichen und ich würde ihr keine einzige Sekunde mehr Zeit lassen. Irgendwie musste ich sie aus ihrer Lethargie holen, da sie sonst vor die Hunde ging.

Fünf Minuten, die Zeit ist um.

Ich sprang auf und ging schnurstracks zurück. Widererwarten stand der Teller immer noch unberührt neben dem Bett.

Wie kann ein Mensch nur so verflucht stur sein?

Eigentlich hatte ich felsenfest damit gerechnet, dass sie nach meiner mehr als deutlichen Ansage die Suppe schon vor lauter Angst vor der Konsequenz essen würde, aber weit gefehlt. Sie hatte sie nicht einmal angerührt.

Na dir, werde ich helfen.

Ich drehte mich auf dem Absatz um, ging zurück in die Küche, schnappte meine Kaffeetasse aus dem Abtropfbecken und kam ins Schlafzimmer zurück.

„Wenn sie dachten, ich würde nur drohen, dann haben sie mich völlig falsch eingeschätzt.“

Ich nahm den Suppenteller und schüttete den Inhalt in die Tasse.

In diesem Moment war es mir völlig egal, dass sich die Hälfte der Flüssigkeit auf dem Boden ergoss und eine ziemliche Sauerei auf dem Teppich hinterließ. Ich stellte den Teller zurück und kniete mich mit einem Bein auf das Bett.

„Letzte Chance, entweder sie nehmen jetzt die Tasse in die Hand und trinken sie leer, oder ich werde das für sie erledigen.“

Keine Resonanz.

„Ich rede mit dir! Also sei zumindest so höflich und höre auf mich zu ignorieren.“

Sie hob den Kopf und sah mich an, was ich allerding dem Umstand meiner ungezügelten Wut auf sie und nicht ihrer Höflichkeit entnahm.

„Also was ist jetzt, Treibgut?“

Wieder zuckte sie bei dem Wort zusammen, machte aber keine Anstalten die Tasse zu nehmen.

„Gut, du hast es so gewollt.“

Ich packte sie fest am Genick, zog sie zu mir heran, setzte die Tasse an ihren Lippen an und flößte ihr die Suppe ein. Als sie ihren Kopf wegdrehen wollte, verstärkte ich den Druck meiner Hand in ihrem Nacken und presste die Tasse fester gegen ihren Mund. Ein erneuter Schluck folgte und als sie leicht hustete, nahm ich die Tasse weg und lockerte meinen Griff. Das Husten hörte auf und ich wiederholte die Prozedur, aber sie fing an sich mit den Händen gegen mich zu wehren und ich ließ von ihr ab.

„Hör auf damit, denn es wird dir nichts bringen. Also trinke jetzt die Tasse leer!“

Ich hielt sie ihr erneut hin, aber sie versuchte sie wegzuschlagen.

„Was soll das, verdammt nochmal? Ich habe dich doch nicht aus dem Wasser gezogen, damit du mir jetzt hier verreckst!“

Demonstrativ hielt ich die Tasse vor ihr Gesicht, aber nichts geschah.

„Bitte, zwing mich nicht sie dir mit Gewalt einzuflößen.“

Wieso tut sie das? Nein, nein, nein.

Trotz meines schreienden Gewissens, setzte ich mich leicht hinter sie, umschloss mit meiner linken Hand ihren Körper, sodass sie ihre Arme und ihren Kopf nicht mehr rühren konnte und zwang sie so, die Suppe zu sich zu nehmen. Als ich von ihr abließ, sah ich Tränen in ihren Augen.

Werde jetzt bloß nicht weich, denn wenn du das jetzt nicht bis zum Ende durchziehst, geht sie vor die Hunde.

„Ich habe dich gewarnt, also fang jetzt bloß nicht zu heulen an!

Und wenn du glaubst, ich würde damit aufhören, hast du dich geschnitten. Es war ganz allein deine Entscheidung und wenn du weiterhin auf stur stellst, können wir diese mehr als erniedrigende Art und Weise wie du dein Essen zu dir nimmst, gerne fortführen.

Aber ich werde auf gar keinen Fall zulassen, dass du vor meinen Augen aufgibst. Hast du das verstanden, Treibgut?“

Sie nickte und ihre Tränen begannen bei dem Wort Treibgut stumm zu fließen. Obwohl ich erreicht hatte was ich wollte, packte mich mein schlechtes Gewissen so dermaßen, dass ich hier raus musste. Schnell stand ich auf und verließ das Zimmer. Die Türe schloss ich zum ersten Mal hinter mir, da ich ihr die Gelegenheit geben wollte, ihrem Schmerz freien Lauf zu lassen. Auch mir tat diese Barriere gut, da ich im Moment wirklich nicht wusste, wer von uns beiden mehr litt.

Nach einer halben Stunde betrat ich erneut mein Schlafzimmer.

Ich hielt einen Eimer mit Wasser und ein Glas mit demselben Inhalt in der Hand. Als sie zu mir sah, schüttelte sie panisch ihren Kopf. Zuerst wusste ich gar nicht was los war, aber als ich ihren Blick sah, den sie starr auf den Eimer gerichtet hatte, wusste ich was in ihr vor sich ging.

„Ich bin kein Unmensch, auch wenn du dies aufgrund der Aktion von vorhin von mir denkst.“

Ich stellte das Wasserglas am Nachttisch ab, den Eimer auf den Boden, kniete mich daneben, angelte nach dem Lappen und wrang ihn aus. Aber bevor ich anfing meinen Teppich sauber zu machen, ließ ich mich auf meine Fersen zurückfallen und suchte noch einmal das Gespräch zu ihr.

„Du musst nicht mit mir reden, obwohl ich denke, dass es dir gut tun würde. Du musst überhaupt nichts tun, aber wenn du die Nahrungsaufnahme verweigerst, kann ich dabei nicht tatenlos zusehen und ich werde es auch nicht.“

Ich sah ihr direkt in die Augen.

„Glaub mir, mir wäre es auch lieber gewesen, wenn du mich nicht dazu gezwungen hättest, aber ich werde es wieder tun, wenn es sein muss. Also bitte, tue uns beiden den Gefallen und trinke das Glas leer.“

Erst als ich anfing meinen Teppich zu schrubben, sah ich im Augenwinkel, dass sie nach dem Glas griff und immer wieder einen Schluck daraus trank. Ich tat so als würde ich es gar nicht bemerken, aber in Wirklichkeit atmete ich erleichtert auf. Der erste Schritt war getan, jetzt war es nur noch eine Frage der Zeit, wann sie für den Nächsten bereit war.

„So fertig, die Sauerei ist weg.“

Ich stand wieder auf.

„Danke.“

Argwöhnisch sah sie mich an.

„Das Wasser, danke dass du es freiwillig getrunken hast.“

Sie nickte und fing an ihre Hände nervös zu kneten.

„Willst du vielleicht duschen?“

Ein Kopfschütteln folgte.

„In die Wanne?“

Sie überlegte kurz, aber dann kam die gleiche Reaktion.

„Warum nicht?“

Ein Achselzucken folgte.

„Das Badezimmer hat ein funktionierendes Schloss.“

Beschämt blickte sie auf ihre Hände, als ich ihre Gedanken durchschaute. Aber ich gab mich noch nicht geschlagen.

„Komm schon, springe über deinen Schatten, eine heiße Wanne kann Wunder bewirken. Außerdem würde ich dir dann ein Shirt und eine Hose von mir geben.“

Ich zwinkerte ihr verschwörerisch zu und legte meinen Kopf leicht schief.

Bitte lass es funktionieren.

Gespannt wartete ich auf eine Reaktion von ihr und ich wurde zum ersten Mal nicht enttäuscht. Zögerlich fing sie bejahend zu nicken an.

Ja! Jetzt habe ich dich.

Schnell machte ich meinen Kleiderschrank auf und wühlte darin herum. Als ich das Gesuchte fand, zog ich es aus dem Stapel heraus und legte es ihr aufs Bett.

„Bei dem Shirt habe ich mich verlesen und die falsche Größe gekauft und die Jogginghose habe ich in den falschen Wäscheberg gebracht und viel zu heiß gewaschen. Wahrscheinlich sind dir die Klamotten immer noch viel zu groß, aber etwas Anderes habe ich leider nicht.“

Ich ging zum Schrank zurück, öffnete die zweite Türe und zog zwei Handtücher hervor. Auch diese legte ich zu den anderen Sachen aufs Bett.

„Das Bad ist gleich nebenan.“

Ich zeigte mit meinem Finger nach rechts.

„Ich bin im Wohnzimmer, den Gang immer gerade aus.“

Sie nickte dankend und ich verließ das Zimmer.

Mittlerweile wurde ich unruhig. Seit über einer Stunde war es absolut still im Bad. Kein Rauschen des Wassers, kein Föhn, keine Toilettenspülung, nichts was darauf hingedeutet hätte, das sich jemand darin aufhielt.

Sie wird doch nicht durchs Fenster …

Weiter wollte ich diesen Gedanken gar nicht führen und sprang augenblicklich vom Sofa auf. Mit schnellen Schritten durchquerte ich das Haus und blieb vor der Badtüre stehen und lauschte einen Moment.

Scheiße!

Ich klopfte an die Türe.

„Ist alles in Ordnung?“

Nichts.

„Hallo?“

Ich wartete.

Verdammt!

Jetzt hämmerte ich gegen die Türe.

„Mach auf! Sofort!“

Wieder nichts.

„Ich trete die Türe ein, wenn du sie nicht sofort aufmachst!“

Ich lauschte erneut, aber ich konnte rein gar nichts hören und plötzlich kam mir ein völlig anderer Gedanke.

Oh nein, sie wird doch nicht … Nein, nein, nein.

Ich ging ein paar Schritte zurück um Anlauf zu nehmen und ließ mich dann ungebremst mit meiner Schulter voran gegen die Türe fallen. Ein splitterndes Geräusch folgte und ich fiel schon fast ins Badezimmer hinein. Sie wollte sich gerade nach ihrem Handtuch bücken, als sie nach oben schnellte und mich panisch ansah. Sie war völlig nackt und tropfnass. Schaum hing in ihren Haaren, am Bauch, an beiden Armen und an ihrem Knie. Sie zitterte vor lauter Angst wie Espenlaub und blieb wie paralysiert, mit weit aufgerissenen Augen vor mir stehen. Sie war so geschockt und durcheinander, dass sie nicht einmal versuchte ihre Blöße zu bedecken. Schnell riss ich eines meiner Handtücher vom Haken und wickelte sie darin ein.

„Es tut mir leid … Ehrlich, aber ich dachte … Verdammt, hast du mich denn nicht gehört?“

Sie sah mich nur weiterhin ängstlich an und ich verlor die Beherrschung, packte sie an beiden Oberarmen und schüttelte sie.

„Ich weiß genau, dass du sprechen kannst, also rede endlich mit mir!“

Erschrocken ließ ich von ihr ab, als sie schützend ihre Hände nach oben riss und zu weinen begann.

Scheiße!

Resigniert ließ ich mich auf den Klodeckel fallen, beugte mich nach vorne über und fuhr mir nervös durch die Haare.

Warum mache ich nur alles falsch?

Als ich wieder zu ihr aufblickte, stand sie in der hintersten Ecke meines Bades und hielt sich krampfhaft an ihrem Handtuch fest.

„Ich wollte hier nicht so reinplatzen, aber ich habe mir Sorgen um dich gemacht. Ich habe geklopft und gerufen, aber du hast nicht geantwortet. Verstehst du? So funktioniert das einfach nicht, du musst mit mir reden. Ich verlange ja nicht, dass du mir alles über dich erzählst, ein simples ja oder nein würde mir schon reichen.

Bitte überlege es dir, aber so kann es unmöglich weitergehen und wenn du ehrlich zu dir selbst wärst, dann wüsstest du das auch.“

Sie starrte mich nur an und ich stand kopfschüttelnd wieder auf.

Ich war mit meinem Latein völlig am Ende.

„Ich verstehe dich nicht. Du stehst wie ein verschüchtertes Reh in der Ecke und hast Angst vor mir. Nach der Nummer die ich gerade abgezogen habe zu Recht, aber es wäre vermeidbar gewesen, wenn du deinen verdammten Mund aufgemacht hättest.“

Ich blickte durch den Raum.

„Sieh dich um, meine Türe ist hin, du hast panische Angst und ich bin fix und fertig, weil mir die ganze Sache wirklich peinlich ist.

Ist es das wirklich wert?“

Fragend sah ich sie an und sie schlug die Augen nieder. Dies war zumindest eine Reaktion, wenn nicht unbedingt die, die ich erhoffte, aber ich griff mittlerweile nach jedem Strohhalm.

„Ein kurzes ja oder nein hätte gereicht. Bitte, denke wenigstens darüber nach.“ Ich verließ das Bad, hielt im Türrahmen jedoch inne.

„Ich schlafe heute Nacht auf der Couch im Wohnzimmer. Mein Schlafzimmer ist leider nicht absperrbar.“

Ich zog die Schultern nach oben.

„Keine Ahnung wo der Schlüssel ist, oder ob es jemals einen dazu gab. Aber ich schwöre dir, dass ich dieses Zimmer nicht betreten werde.“

Bitte sag etwas, bitte.

Doch mein sehnlichster Wunsch wurde nicht erhört. Es kam mal wieder gar nichts.

Ich schlief in dieser Nacht so gut wie nichts, da meine Gedanken ständig um diese Frau kreisten.

Wer ist sie? Warum ist sie fast ertrunken? Wer hat ihr das angetan? Vor wem, oder vor was hat sie so viel Angst?

Mittlerweile schloss ich völlig aus, dass es ein Bootsunfall war.

Irgendjemand wollte, dass sie starb. Das warum galt es allerdings noch herauszufinden, aber ich hatte Zeit, verdammt viel Zeit und ich würde nicht lockerlassen. Irgendwann würde sie mit mir sprechen, ich musste nur Geduld haben.

Du und Geduld. Das ist doch ein Fremdwort für dich.

Auch bekam ich das Bild, als sie nackt und völlig verängstigt vor mir stand, nicht mehr aus meinem Kopf, da sie atemberaubend aussah. Ihre fraulichen Kurven waren perfekt aufeinander abgestimmt, rund, voll und weich. Nicht so grätig und kantig wie bei den Frauen die dem momentan herrschenden Schönheitsideal nacheiferten und sich sämtliche Rundungen abhungerten oder abtrainierten.

Hör auf, so an sie zu denken!

Krampfhaft versuchte ich auf andere Gedanken zu kommen, aber dieses Bild drängte sich immer wieder in meinen Verstand. Mein Beschützerinstinkt kam voll in mir durch und ich wusste genau, was dies zu bedeuten hatte.

Nicht gut, gar nicht gut. Tony wird dich dafür töten.

Diese Erkenntnis ließ mich hellwach werden.

Scheiße Tony, wie zum Henker soll ich ihm denn das beibringen?

Ratlos und völlig gerädert stand ich auf und als ich auf den Wecker sah, war es kurz nach sechs. Leise und im Halbdunkeln zog ich mich an und schlich ins Bad. Als ich gerade die Türe schließen wollte, ließ sie sich nicht bewegen, da die obere Angel ausgerissen war und das Ende der Türe am Boden auflag.

Dann habe ich ja jetzt wenigstens eine Beschäftigung.

Ich unterdrückte den Drang meiner Blase, da ich auf gar keinen Fall bei offener Türe die Hose herunterlassen wollte, hängte die Türe aus der verbliebenen und unbeschädigten Angel, trug sie so leise wie es mit diesem unhandlichen Ding überhaupt möglich war, vor das Haus und lehnte sie gegen die Hauswand. Als nächstes suchte ich im angrenzenden Schuppen nach zwei Unterstellböcken, dem Hobel, einem Stemmeisen und diversem anderen Zeug, um die kaputte Türe wieder in Stand setzen zu können. Ich versank so dermaßen in meiner Arbeit, dass ich um mich herum nichts mehr mitbekam. Dementsprechend überrascht war ich auch, als ich meinen Gast im Türrahmen stehen sah, als ich nach dem Leim griff.

„Guten Morgen“ begrüßte ich sie, aber meine Ansprache von gestern Abend schien nichts gebracht zu haben, da sie mich nur wieder wortlos ansah.

„Gut geschlafen…Treibgut.“

Sie zuckte aufgrund meiner Provokation zusammen, nickte aber trotzdem bejahend.

„Dann hast du mir etwas voraus, denn ich habe die ganze Nacht überlegt, wie ich diese verdammte Türe wieder in Ordnung bringen kann.“

Was machst du da? Hör sofort auf sie anzugehen.

Obwohl sie bereits beschämt zu Boden blickte, hörte ich nicht auf mein Gewissen.

„Wie ich sehe hast du entweder über meinen Vorschlag nicht nachgedacht, oder aus der peinlichen Szene von gestern nichts gelernt. Also frage ich mich gerade ernsthaft, ob es sich überhaupt lohnt die Türe zu reparieren?“

Ich stellte den Kleber weg, stützte mich auf der Türe ab und sah zu ihr hinüber, aber sie starrte noch immer in den Boden.

„Ich habe dich etwas gefragt, Treibgut und ich hätte gerne eine Antwort darauf.“

Nichts.

„Verdammt nochmal, ich rede mit dir!“

Komm wieder runter. Was ist denn los mit dir?

„Na gut, dann halt nicht.“

Ich ging auf sie zu, packte sie am Handgelenk und zerrte sie hinter mir her.

„Dann wirst du mir zumindest dabei helfen.“

Ich ließ sie wieder los und sie sah mich wieder mir diesem verängstigten Blick an.

„Hör auf mich jedes Mal, wenn ich dir zu nahe komme, so anzusehen. Ich tue dir nichts, denn wenn ich das gewollt hätte, wäre ich sofort über dich hergefallen.“

Sie wich zurück.

„Genau das meine ich.“

Resigniert warf ich meine Hände nach oben und schüttelte meinen Kopf.

„Vor was hast du bitte Angst?“

Ich wartete und als keine Reaktion kam fuhr ich gereizt fort.

„Das ich dich vergewaltige? Sorry, aber darauf stehe ich so gar nicht und ich denke auch, dass ich das nicht nötig habe.“

Überrascht über meine Wortwahl sah sie mich an und musterte mich kurz. Ich hatte das Gefühl, dass sie mich erst jetzt so richtig wahrnahm und ich breitete grinsend meine Arme zur Seite hin aus.

„Oder sehe ich wirklich so schlecht aus?“

Ein kaum merkliches Lächeln huschte über ihr Gesicht, als sie anfing ihren Kopf hin und her zu schütteln.

Ja!

„Bitte lass es zu.“

Irritiert sah sie mich an.

„Dein Lachen, ich habe es genau gesehen und ich würde es gerne wieder sehen.“

Es war als hätte ich ihr ein unmoralisches Angebot gemacht, so entsetzt sah sie mich an und einzelne Tränen liefen ihr über die Wangen.

„Das wollte ich nicht. Ich wollte doch nur, dass du …“

Ich brach ab, als sie völlig verzweifelt ihre Hände vors Gesicht schlug und sich abwenden wollte. Ich hielt sie am Oberarm zurück und zog sie in meine Arme, da sie mittlerweile fürchterlich weinte.

Was ist nur mit dir passiert?

„Schscht, nicht weinen, bitte nicht weinen. Ich entschuldige mich, egal für was, aber bitte höre zu weinen auf.“

Immer wieder strich ich ihr über ihren Kopf und langsam fing sie sich wieder.

„Geht es wieder?“

Ich spürte ihr Nicken an meiner Brust und entließ sie aus meiner Umarmung.

„Willst du darüber reden?“

Bitte sag ja.

Aber meine Bitte wurde nicht erhört und mir kam eine Idee.

„Gut, dann nicht. Dann kannst du mir ja jetzt helfen die Türe zu reparieren.“

Ich schob sie, trotz meines schreienden Gewissens vor mir her und dirigierte sie zu meinem Arbeitsplatz.

„Also, ich erkläre dir die einzelnen Werkzeuge und du gibst sie mir, wenn ich sie brauche, verstanden?“

Meine Kiefermuskeln fingen zu mahlen an, als sie völlig in sich zurückgezogen einfach nur so dastand. Mein Plan sie mit Arbeit abzulenken schlug genauso fehl, wie meine Versuche sie zum Sprechen zu bewegen.

„Hey Treibgut, ich rede mit dir.“

Sie zuckte zusammen, hob ihren Kopf und sah mich zornig an.

Herausfordernd sah ich ihr in die Augen, aber es kam nichts. Also ging ich in die Offensive.

„Was ist? Passt dir dein neuer Name vielleicht nicht?“

Sie nickte.

„Gut, dann verrate mir deinen Richtigen.“

Diesmal machte ich mir nicht einmal die Mühe abzuwarten, da ja eh nichts kommen würde.

„Denn ich werde dich so lange Treibgut nennen, bis du mir etwas anderes sagst. So und jetzt wirst du mir helfen diese verdammte Türe zu reparieren, da ich keine Lust habe, bei offener Türe zu pinkeln.“

Ich war schon wieder von null auf hundertachtzig in nur ein paar Sekunden und verstand dies selbst nicht. Normalerweise war ich extrem ausgeglichen, umgänglich, hilfsbereit und ruhig, aber seit dem diese Frau bei mir war, kannte ich mich selbst nicht mehr. Ich schwankte permanent zwischen schlechtem Gewissen, Wut und Hilflosigkeit hin und her und wusste schon gar nicht mehr, wo mir der Kopf stand. Das Einzige, dass ich wirklich wusste, war, dass ich sie unter allen Umständen zum Sprechen bringen musste, da ich sonst absolut nichts für sie tun konnte. Ich schloss für einen Moment die Augen und atmete ein paar Mal tief durch.

„Also, das hier ist ein Stemmeisen, das ein Hobel, Schraubzwingen, Schraubendreher für Schlitz- und Kreuzschrauben und das ist eine Feile, nicht zu verwechseln mit der Raspel, die hier drüben liegt.“

Ich sah kurz auf und sie nickte sofort.

„Ich denke den Kleinkram muss ich dir nicht erklären, oder doch?“

Meine Frage wurde mit einen Kopfschütteln quittiert.

„Gut, dann lass und anfangen.“

Zwei Stunden später war die Türe wieder wie neu.

„Gut gemacht, Treibgut. Ich dachte nicht, dass sie wieder so gut aussehen wird. Jetzt muss nur noch der Leim abtrocknen, dann kann ich die Schraubzwingen entfernen und sie wieder einhängen.“

Anerkennend klopfte ich ihr auf die Schulter und ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Diesmal ließ ich es aber unkommentiert, da ich Angst hatte, dass sie wieder zu weinen anfing. Sie schien sich zu schämen Freude zu empfinden, warum auch immer?

„Hey Treibgut“ rief ich zu ihr rüber, als sie gedankenverloren aufs Meer starrte.

„Wie wäre es mit Frühstück?“

Ein verneinender Wink mit dem Kopf kam.

„Ich denke du hast mich gerade falsch verstanden.“

Ihr Körper versteifte sich.

„Meine Frage war eher, was willst du essen und nicht ob du Lust dazu hast. Denn Essen wirst du auf alle Fälle etwas, egal wie. Ich denke wir haben uns verstanden?“

Sie zuckte zusammen und sah sich unsicher um. Aber ich durchschaute ihr Vorhaben bereits im Ansatz.

„Fünfundvierzig Meilen.“

Verwirrt sah sie mich an.

„Es sind fünfundvierzig Meilen bis zum nächsten Ort. Also überlege dir gut, ob du abhauen willst.“

Sie überlegte was sie tun sollte und ich nahm ihr den Wind aus den Segeln.

„Ich bin schnell und überaus ausdauernd, also versuche es gar nicht erst.“

Da war er wieder, dieser mehr als entsetzte Blick.

„Ich wollte dir nicht drohen. Ich denke nur, dass du hier um einiges sicherer bist. Im Ort wird man sich nicht mit deinem Schweigen zufriedengeben, das sage ich dir gleich.“

Leicht panisch, wich sie ein paar Schritte zurück.

„Ich bin nicht blöd, Treibgut. Du willst nicht, dass ich weiß wer du bist, du hast panische Angst vor der Polizei und du bist fast ertrunken. Jetzt muss ich nur noch eins und eins zusammenzählen um zu wissen, dass du vor irgendjemanden flüchtest und dieser Jemand ist nicht unbedingt daran interessiert, dass du noch am Leben bist, oder irre ich mich vielleicht?“

Ihr Blick sprach Bände und mir wurde übel.

Scheiße, warum müssen meine schlimmsten Befürchtungen immer wahr werden? Kann es denn nicht einmal, wenigstens nur ein einziges Mal anders sein? Verflucht, was mache ich denn jetzt?

„Wie du siehst, weiß ich eine ganze Menge über dich, obwohl du noch kein einziges Wort mit mir gesprochen hast. Also, wie sieht es aus? Willst du immer noch die Schweigsame spielen, oder sagst du mir endlich was los ist?“

Nichts, absolut nichts und ich flippte mal wieder aus.

„Ich will dir helfen, verdammt nochmal! Wann kapierst du das endlich?“

Ich stieß einen genervten Schrei aus und schlug mit der Faust gegen die reparierte Türe.

„Ich bin es leid den Alleinunterhalter zu spielen. Ich habe dich halbtot aus dem Wasser gezogen, dich bis zu mir nach Hause geschleppt, dir mein Bett überlassen und keiner Menschenseele etwas vor dir erzählt. Also bitte, was soll ich noch alles machen, damit du deinen verdammten Mund aufmachst.“

Hör auf sie unter Druck zu setzen. So wird sie dir nie vertrauen.

Resigniert hob ich meine Hände an.

„Ach weißt du was, du kannst mich mal! Aber erwarte bloß kein Verständnis von mir und mit der Sonderbehandlung ist jetzt Schluss, ich bin schließlich kein Hotel.“

Wütend stapfte ich ins Haus und richtete mehr als energisch das Frühstück her. Ich konnte von Glück reden, dass die Teller nicht zersprangen, als ich diese auf den Tisch knallte.

„Frühstück!“ schrie ich in Richtung der Veranda und ich konnte hören wie jemand das Haus betrat.

Mit gesenktem Kopf setzte sie sich hin und legte ihre Hände in den Schoß.

„Was willst du, Treibgut? Kaffee oder Tee?“

Ich schnaubte verächtlich auf, als sie in ihr übliches Muster verfiel.

„Ja dann halt nicht!“

Ich riss einen meiner Oberschränke auf, holte eine Packung Früchtetee hervor und warf sie regelrecht auf den Tisch.

„Wenn du mir keine Antwort gibst, dann mache es dir gefälligst selbst!“

Jetzt zog ich die Kaffeekanne von der Maschine und stellte diese mittig auf den Tisch.

„Der Wasserkocher steht da hinten in der Ecke, falls du einen Tee willst. Wie gesagt, ich bin kein Hotel, Treibgut.“

Ich ließ mich auf meinen Stuhl fallen, schnappte meine Tasse und trank einen Schluck daraus. Es war mehr um mich zu beruhigen, als weil ich Durst hatte.

„Kate.“

Dieses Wort kam so unvermittelt, dass ich mich an meinem Kaffee verschluckte und diesen beinahe quer über den Tisch gespuckt hatte. Hustend sah ich sie völlig perplex an.

„Mein Name ist Kate und nicht Treibgut. Dieser Name ist erniedrigend und verachtend.“

„Ich weiß“ gab ich zu.

„Und genau aus diesem Grund habe ich dich auch so genannt.“

Überrascht sah sie zu mir herüber.

„Entschuldige, aber ich wollte dich aus der Reserve locken, weil ich dir helfen möchte, Kate. Das kann ich aber nur, wenn du mit mir redest.“

„Und wenn ich gar nicht will, dass mir jemand hilft?“

„Das glaubst du doch jetzt selbst nicht.“

Sie zuckte mit den Achseln und unser Gespräch verstummte.

Du hast sie. Verlier sie jetzt bloß nicht wieder.

Leider trat aber genau das ein. Immer wieder versuchte ich ein Gespräch mit ihr anzufangen, aber ich brachte nichts mehr aus ihr heraus. Sie blieb mit gesenktem Kopf auf ihrem Stuhl sitzen und aß extrem langsam ihr Brot, das ich ihr auf den Teller gelegt hatte.

„Willst du überhaupt Salami?“

Sie nickte.

„Sieht mir nicht so aus, du kaust jetzt schon seit einer halben Stunde darauf herum.“

Hoffnungsvoll sah ich zu ihr, aber sie blieb reglos sitzen. Sie quälte sich mit einer schrecklichen Erinnerung, dass konnte ich ihrem Gesichtsausdruck einwandfrei entnehmen und ich startete einen neuen Versuch.

„So wie ich dich einschätze, bist du gar nicht fähig so etwas Fürchterliches zu tun.“

Endlich sah sie mich an, wenn auch irritiert, aber sie sah mich zumindest an und ich ging aufs Ganze.

„Ich sehe ganz genau, dass du dich quälst und diese Schuld geht weit über ein schlechtes Gewissen hinaus. Glaub mir, ich kenne mich mit so etwas aus, da ich selbst erheblichen Dreck am Stecken habe. Aber eines weiß ich genau, du bist garantiert nicht fähig etwas Schlimmeres wie ich zu tun.“

Ich stand auf und fing an den Tisch abzuräumen. Kate beobachtete ich indessen aus den Augenwinkeln und meine mehr als unorthodoxe Vorgehensweise wurde belohnt. Ich hatte sie neugierig gemacht und genau dies würde ich mir zunutze machen.

Irgendwann wird sie diese Neugierde nicht mehr zügeln können und dann würde ich zuschlagen.

„Kate, hilfst du mir bitte mal?“

Ich brachte das untere Türscharnier einfach nicht in die Angel und wenn es doch einmal klappte, hatte ich die obere Angel wieder ausgefädelt. Entnervt setzte ich die Türe am Boden ab und wartete.

„Kate?“

Keine Antwort.

„Kate, wo bist du?“

Wieder nichts.

Ich lehnte die Türe gegen die Wand und ging durchs ganze Haus, aber sie war wie vom Erdboden verschluckt. Als ich auf die Veranda hinaustrat und sie auch nicht sah, wurde ich unruhig.

„Kate!“

Nichts! Ich wurde lauter und ungehaltener.

„Verdammt Kate, mach nicht den gleichen Scheiß wie gestern im Bad.“

Ich lauschte und blickte mich gleichzeitig nervös in der Gegend um, aber ich konnte sie weder hören, noch sehen und begann mir ernsthaft Gedanken zu machen.

Wo ist sie hin, verdammt nochmal? Sie war doch vor ein paar Minuten noch da.

Im Laufschritt lief ich Richtung Strand und als ich schon dachte, sie wäre hier auch nicht, sah ich sie gefährlich nahe am Abgrund auf einer der Klippen stehen.

Oh nein, bitte tu das nicht.

„Kate!“

Ich rannte so schnell ich konnte in ihre Richtung und als ich keine zwanzig Meter hinter ihr war, zügelte ich mein Tempo.

„Kate?“

Sie drehte sich zu mir um und ich sah in ein tränenüberströmtes Gesicht. Instinktiv hob ich die Hände beruhigend an.

„Bitte Kate, geh da weg“ schrie ich gegen die Brandung an, doch sie schüttelte ihren Kopf.

„Egal was du auch getan hast, das ist es nicht wert. Bitte Kate, geh von der Klippe weg.“

Langsam und vorsichtig begann ich mich ihr zu nähern.

„Wieso? … Wieso jetzt?“

Fragend sah sie mich an, blieb aber zum Glück bewegungslos stehen. Unerbittlich schlugen die Wellen tosend gegen die Felsen.

„Wieso kämpfst du zuerst um dein Leben und willst es jetzt wegwerfen? Was hat das für einen Sinn?“

Sie wich einen Schritt nach hinten.

„Nein!… Bitte nicht.“

Sie schüttelte ihren Kopf und sah immer wieder zwischen mir und dem Abgrund hin und her. Ich wusste genau, dass sie, wenn sie hier heruntersprang nicht den Hauch einer Chance haben würde.

Die Wellen kamen an diesem Strandabschnitt mit so einer Geschwindigkeit und Wucht herein, dass man mit einem viel zu großen Druck gegen die Felsen geschleudert wurde, als das man dies überleben konnte.

„Wenn du springst, muss ich hinterher und ich denke nicht, dass ich dir sagen muss, was dann passiert.“

Ich ging einen weiteren Schritt auf sie zu und streckte meine Hand nach ihr aus.

„Ich kann und ich werde nicht zulassen, dass du diesen Schwachsinn durchziehst, nicht nachdem du so gekämpft hast.“

Jetzt trennten mich nur noch zwei Meter von ihr und ich blieb stehen, da ich ihren Gesichtsausdruck absolut nicht deuten konnte.

„Gib mir deine Hand … Bitte Kate.“

Hoffnungsvoll hielt ich ihr Meine entgegen, traute mich aber nicht zuzupacken, da ich sie auf der Zielgeraden nicht doch noch verlieren wollte.

Bleib ruhig, lass ihr Zeit. Wenn du jetzt durchdrehst, springt sie.

Aber anstatt meine Hand zu nehmen, drehte sie sich um und ließ sich einfach fallen. Ohne überhaupt drüber nachzudenken, hechtete ich auf sie zu und bekam gerade noch ihren Unterarm zu fassen, bevor sie in die Tiefe fiel. Der Aufprall am Boden war so dermaßen hart, dass mir im ersten Moment die Luft wegblieb und zum Glück widerstand ich dem Impuls sie loszulassen.

„Kate … Kate … Gib mir deine Hand.“

Ich streckte ihr meine andere Hand soweit es ging entgegen und sie sah kurz zu mir hoch, gehorchte aber nicht.

„Verdammt Kate, tu sofort was ich dir sage!“

Immer wieder schlugen die Wellen erbarmungslos gegen die Felsen und sie war mittlerweile von dem hochspritzenden Wasser völlig durchnässt. Leider wurde ihr Arm enorm glitschig und ich merkte wie sie mir immer mehr entglitt und eine unbeschreibliche Panik ergriff mich.

„Ich kann dich nicht mehr halten. Bitte Kate, tu mir das nicht an.“

Mittlerweile hielt ich sie krampfhaft an ihrem Handgelenk fest.

Mein Arm und meine Schulter schrien vor Schmerz, aber ich konnte nicht aufgeben.

„Nimm sie endlich!“

Ich merkte wie ich von ihrem Gewicht langsam über die Felskante gezogen wurde.

„Kate bitte, wir sterben sonst beide … Willst du das?“

Endlich sah sie zu mir hoch.

„Ich werde dich unter gar keinen Umständen loslassen, hörst du!

Und wenn du nicht für meinen Tod verantwortlich sein willst, dann gib mir endlich deine verdammte Hand!“

Eine riesige Welle brach sich an den Felsen und der feine Nebel der Gischt spritzte mir ins Gesicht. Für einen kurzen Augenblick schloss ich die Augen, da das Salzwasser leicht brannte und als ich sie wieder öffnete, versuchte Kate nach meiner Hand zu greifen.

Völlig verängstigt sah sie zu mir hoch und ich sah den Überlebenswillen in ihren Augen.

„Noch ein Stück, Kate.“

„Ich schaffe es nicht.“

Panisch sah sie nach unten und sofort wieder zu mir.

„Du schaffst das. Also reiß dich endlich zusammen!“

Erneut versuchte sie meine Hand zu packen und ich konnte ihre Fingerspitzen spüren, als eine weitere brechende Welle bis zu mir nach oben spritzte.

„Los Kate, probiere es noch einmal.“

Ich reckte ihr meine Hand noch ein Stückchen entgegen und rutschte erneut einige Zentimeter nach vorne. Wieder spürte ich ihre Fingerspitzen und dann hatte ich sie.

„Ich hab dich… Ich hab dich.“

Erleichtert senkte ich kurz meinen Kopf und gab ihr erneut schreiende Befehle.

„Stütze dich mit den Beinen in der Wand ab.“

Sofort kam sie meiner Aufforderung nach und der Zug auf meiner Schulter wurde augenblicklich leichter. Stück für Stück zog ich sie nach oben und als ich es endlich geschafft hatte, ließ ich mich völlig entkräftet auf meine Knie sinken.

Sie selbst lag zitternd auf ihrem Bauch, hob leicht ihren Kopf und sah mich beschämt an. Sie wollte etwas sagen, doch diesmal schüttelte ich meinen Kopf und gab ihr mit einem Wink meiner linken Hand zu verstehen ihren Mund zu halten. Zum ersten Mal wollte ich, dass sie stumm blieb. Eine Zeitlang verharrte ich noch in dieser Position, bis ich mich zumindest einigermaßen wieder beruhigt hatte um einen Dialog mit ihr führen zu können, ohne ihr eine runterzuhauen. Denn genau dies wollte ich am liebsten tun, sie anbrüllen und gehörig übers Knie legen.

„Steh auf Kate, du bist völlig durchnässt und brauchst andere Klamotten.“

Sie rappelte sich wortlos nach oben und starrte in den Boden, als ich sie energisch am Oberarm packte. Ich wollte sie zur Rede stellen, doch meine Vernunft siegte.

Wenn du sie jetzt anbrüllst, kriegst du gar nichts aus ihr heraus.

Stumm dirigierte ich sie in Richtung meines Hauses und ließ sie erst wieder los, als wir im Wohnzimmer standen.

„Du gehst jetzt in die Wanne oder in die Dusche, verstanden!“

Sie nickte.

„Ich suche dir andere Anziehsachen, passen wird dir aber rein gar nichts, da das …“ Ich zog kurz an ihrem Shirt.

„… die Einzigen waren, die wenigstens einigermaßen gepasst haben.“

Hör zu schreien auf und beruhige dich.

„Es tut mir leid“ kam plötzlich zaghaft und obwohl sie endlich meinen sehnlichsten Wunsch erfüllte und mit mir sprach, war dies der ungünstigste Zeitpunkt, denn sie nur wählen konnte.

„Leid? … Es tut dir leid? …Willst du mich verarschen?“

Sie wich ein Stück zurück, da ich sie so dermaßen anschrie, dass alles zu spät war.

„Du bist doch vollkommen durchgeknallt!“

Ich packt sie an den Schultern.

„Zuerst kämpfst du um dein Leben und dann wirfst du es einfach weg! Wie egoistisch und feige bist du eigentlich? Du hättest mich fast mitgerissen, ist dir das eigentlich bewusst?“

Sie sagte nichts und ich fing an die hin und her zu schütteln.

„Ich habe dich etwas gefragt, Kate, also gib mir verdammt nochmal eine Antwort, bevor ich dir eine runterhaue.“

„Du hast doch keine Ahnung!“ schrie sie mir zornig entgegen, fing zu weinen an und versuchte aus meinem Griff zu kommen, aber ich packte nur noch fester zu.

Das Schütteln stellte ich jedoch ein.

„Dann erkläre es mir endlich, denn das bist du mir nach dieser Nummer schuldig.“