Ich, Herakles, und meine großen Heldentaten. Live aus dem alten Griechenland - Frank Schwieger - E-Book

Ich, Herakles, und meine großen Heldentaten. Live aus dem alten Griechenland E-Book

Frank Schwieger

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Beschreibung

Herakles packt aus! Herakles – der berühmteste Held der Antike – erzählt von seiner Kindheit und wie es zu den berühmten zwölf Aufgaben kam, die er bestehen musste. Geschildert werden alle zwölf Abenteuer aus der Sicht jeweils eines Beteiligten. So erleben wir hautnah, wie Herakles die vielköpfige Hydra erlegt, den Nemeischen Löwen bezwingt und den Höllenhund Kerberos aus der Unterwelt entführt …

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Achtung: Herakles packt aus!

Herakles – der berühmteste Held der Antike – erzählt von seiner Kindheit und wie es zu den berühmten zwölf Aufgaben kam, die er bestehen musste. Wie hat Herakles die vielköpfige Hydra erlegt? Wie wurde der Nemeische Löwe bezwungen? Und wie der Höllenhund Kerberos aus der Unterwelt entführt?

Das Freundschaftsbuch aus dem alten Griechenland: Hier berichten Herakles & Co. live und unverblümt von ihren Abenteuern.

Von Frank Schwieger sind außerdem bei dtv lieferbar:

Ich, Odysseus, und die Bande aus Troja

Ich, Kleopatra, und die alten Ägypter

Ich, Merlin, und die furchtlosen Ritter

Ich, Odin, und die wilden Wikinger

Ich, Zeus, und die Bande vom Olymp

Ich, Caesar, und die Bande vom Kapitol

Der Schiffsjunge der Santa Maria

Die Rache des Gladiators

Das Löwenamulett

Flucht aus Rom

Für Daniel filio minori carissimo

Ich treibe mich ja gern bei euch Menschen herum. Natürlich nicht in meiner wahren Gestalt, das würde zu viel Aufsehen erregen. Manchmal verwandle ich mich in einen alten Mann oder in ein junges Mädchen, um mich bei euch ein wenig umzusehen. Und um euch Menschen in Gespräche zu verwickeln. Dabei fällt mir eine Sache immer wieder auf: Kaum ein Mensch kennt noch meine wunderbaren Heldentaten! Unglaublich, nicht wahr? Okay, mit meinem Namen können die meisten Menschen schon noch etwas anfangen. »Herakles, das ist doch so ein starker Typ aus dem alten Griechenland.« Aber wenn ich sie dann nach einer Heldentat frage, zucken die meisten mit den Schultern und gehen weiter. Du kannst dir bestimmt vorstellen, dass mich so eine Antwort reichlich wütend macht und ich gern zu meiner Keule greifen würde, um dem Blödmann damit auf den Kopf zu hämmern. Aber ich kann mich meistens beherrschen und hatte irgendwann eine viel bessere Idee: dieses Buch hier! Ich bin in die Unterwelt gegangen und auf den Olymp gedüst, habe Frauen, Männer und Kinder zusammengerufen, auch zwei Göttinnen, einen Riesen, eine Hirschkuh und einen Kentauren, und sie gebeten, diejenige Herakles-Heldentat aufzuschreiben, bei der sie dabei gewesen sind. Das haben sie gern getan. Ich selbst habe natürlich auch ein Abenteuer erzählt. Du solltest dieses Buch gründlich lesen. Es kann nämlich gut sein, dass dich irgendwann einmal ein junges Mädchen oder ein alter Mann nach dem berühmten Herakles fragt. Dann solltest du ausführlich antworten können, damit ich nicht doch zu meiner Keule greife und sie auf deinen Kopf niedersausen lasse.

Dein

Dies ist meine Geschichte

Du hast sicherlich schon von Zeus gehört, oder? Dem mächtigen König der Götter, dem Chef vom Olymp, dem Herrscher über Himmel und Erde, der seine Blitze über die ganze Welt schleudern kann, dass es überall nur so zischt und kracht. Klar hast du von dem gehört. Und vielleicht denkst du sogar: Oh ja, dieser Zeus, das ist ein echt krasser Typ, der Supergott überhaupt, der alles im Griff hat und an dem kein Weg vorbeiführt. Tja, was soll ich sagen? Da liegst du leider komplett daneben.

Klar, herrschen kann Zeus, keine Frage. Befehle erteilen, Götter und Menschen zusammenfalten, das ist voll sein Ding. Und wenn irgendwer auf komische Gedanken kommt, dann zückt er einen seiner Donnerkeile oder gleich einen feurigen Blitz und versengt dem Widerspenstigen damit gehörig den Hintern. Doch das ist nur die eine Seite unseres ach so verehrten Göttervaters.

Andererseits nimmt er es nämlich mit der Treue zu seiner lieben Ehefrau Hera nicht allzu genau. Immer wieder stellt er Nymphen, Göttinnen oder jungen Frauen aus der Menschenwelt nach, um sie, wie er es gern nennt, näher kennenzulernen. Und wenn er sie dann näher kennengelernt hat, werden neun Monate später süße Babys geboren, die ihren Vater Tunichtgut meist nie zu Gesicht bekommen, weil er die junge Mutter sitzen gelassen und sich anderen Abenteuern zugewandt hat. Und für diesen Gott Leichtfuß standen damals bei uns in Griechenland überall prächtige Tempel, vor denen die Menschen Zeus Opfer darbrachten und zu ihm beteten. Unglaublich, oder?

Warum ich dir das alles erzähle? Weil unser lieber Göttervater auch in meiner Familie große Unruhe gestiftet und das Leben meiner Herrin und meines Herrn gehörig durcheinandergebracht hat. Ja, ich war eine Sklavin. Meine Herrin hieß Alkmene. Der Name meines Herrn ist komplizierter, er hieß Amphitryon. Du kannst ihn ruhig Amphi nennen, wenn es dir lieber ist. Ich als Sklavin durfte das damals natürlich nicht. Was Zeus mit meiner Familie angestellt hat, werde ich dir jetzt erzählen.

Wir lebten damals in der Stadt Theben. Alkmene und Amphitryon sehnten sich nach einem Kind, sie waren ja frisch verheiratet und so verliebt. Und eine Babysitterin hatten sie sich auch schon besorgt, nämlich mich. Sie hatten mich auf dem Sklavenmarkt von Theben gekauft. Auf dem Schild um meinen Hals stand, dass ich besonders gut mit Kindern umgehen könne. Das stimmte sogar. Für meine vorige Herrin hatte ich tatsächlich als Kindermädchen gearbeitet.

Doch leider klappte es nicht mit der Schwangerschaft. Ich vermute, dass schon hier der gute Zeus seine göttlichen Finger im Spiel hatte, aber sicher bin ich mir da nicht. Auf jeden Fall war ihm meine Herrin Alkmene aufgefallen, so viel steht fest, und er hatte sie schon seit Längerem vom Olymp aus beobachtet. Götter können ja unglaublich weit gucken, musst du wissen.

Alkmene war aber auch wirklich ein echter Hingucker, das muss ich schon sagen. Und sie war oft einsam, weil mein Herr Amphitryon häufig unterwegs war. Kreon, der König von Theben, führte zu dieser Zeit nämlich dauernd Krieg und rief darum alle Männer seiner Stadt zu den Waffen. Da konnte sich mein Herr nicht entziehen und musste meine Herrin oft monatelang allein zu Hause lassen. Na ja, so richtig allein war sie nicht, wir waren zwei Sklavinnen und ein Sklave, die ihr die Arbeit abnahmen. Aber das steigerte wohl nur noch ihre Langeweile. Also saß sie oft auf der Bank im großen Garten hinter dem Haus und seufzte dort unentwegt vor sich hin vor lauter Einsamkeit und Langeweile. Wahrscheinlich hat Zeus diese Seufzer auf dem Olymp gehört und sich gedacht: »Hoppla, diese hübsche junge Dame braucht dringend etwas Abwechslung, die muss ich unbedingt näher kennenlernen. Außerdem wird es Zeit, mal wieder einen großen Helden in die Welt zu setzen, das habe ich schon lange nicht mehr getan.«

Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, was Zeus gedacht hat. Auf jeden Fall stand er eines Tages vor unserer Haustür. Aber denk jetzt nicht, dass er einfach so bei uns geklopft und gesagt hat: »Guten Tag, Aglaia, du erkennst mich bestimmt, ich bin’s, der Göttervater Zeus, und ich möchte deine Herrin Alkmene besuchen.« Dann wäre ich ja vor Schreck in Ohnmacht gefallen. Nein, er hat sich einen ganz miesen Trick einfallen lassen, um sich an meine ahnungslose Herrin heranzumachen. Wenn es darum geht, eine nette junge Frau kennenzulernen, ist der Einfallsreichtum des Göttervaters grenzenlos.

Was er gemacht hat? Er hat den übelsten Trick angewandt, den du dir vorstellen kannst. Er hat sich nämlich in Amphitryon verwandelt (Götter können sich ja in alles Mögliche verwandeln, aber das weißt du ja) und ist einfach so ins Haus spaziert.

Meine Herrin fiel ihm bei der Begrüßung vor Freude um den Hals und wollte ihn gar nicht wieder loslassen.

»Dass du schon zurück bist, lieber Amphi!«, rief sie mit tränenfeuchten Augen. »Ich hatte wieder solche Angst um dich. Ist der Krieg denn schon zu Ende?«

»Fast«, sagte Amphitryon schmunzelnd und strich seiner Frau liebevoll über die Wange. Dass es nicht Amphitryon, sondern Zeus persönlich war, der dort im Garten unseres Hauses stand und sie verliebt anschaute, konnten weder Alkmene noch ich ahnen. Ich war gerade dabei, das Unkraut aus dem Gemüsebeet zu zupfen, und sah interessiert zu den beiden Verliebten hinüber.

»Aglaia«, rief Alkmene mir zu. »Lass meinem Mann ein Bad ein. Und sag in der Küche Bescheid: Wir wollen heute wie Könige zu Abend essen.«

Ich tat, was meine Herrin mir befohlen hatte. Sie konnte beim besten Willen nicht ahnen, wer sich da nach dem fröhlichen Abendessen zu ihr ins Bett kuschelte. Später erfuhr ich, dass Zeus dem Sonnengott Helios befohlen hatte, den Feuerwagen drei Tage lang nicht über die Himmelsbahn zu fahren. So konnte der Göttervater eine wirklich sehr lange Nacht mit Alkmene verbringen. Wir Sklaven und alle anderen Menschen bekamen davon natürlich überhaupt nichts mit. Wir schliefen und schliefen und schliefen und wachten erst auf, als unser vermeintlicher Herr längst schon wieder aus dem Haus war – angeblich wegen dringender Geschäfte, die er in der Stadt zu erledigen hatte.

Du kannst dir vorstellen, wie groß die Aufregung war, als der wirkliche Amphitryon wenige Stunden später in voller Kriegsmontur zurückkam und überhaupt nichts davon wusste, dass er kurz zuvor schon zu Hause gewesen war. Alkmene und er kapierten schnell, dass sie hereingelegt worden waren und es nicht Amphitryon gewesen sein konnte, der diese überlange Nacht mit Alkmene verbracht hatte.

»Ich schäme mich in Grund und Boden«, klagte Alkmene. »Ich habe meinen Ehemann betrogen!« Heiße Tränen liefen ihr übers Gesicht. Ich wedelte ihr mit einem Fächer etwas Luft zu, damit sie nicht in Ohnmacht fiel.

»Du kannst doch nichts dafür«, versuchte Amphitryon sie zu trösten. Er saß neben ihr auf der Bank im Garten und legte seinen Arm um sie. »Das muss ein Gott gewesen sein, der dich besucht hat, anders ist das nicht zu erklären. Gegen die Götter sind wir Menschen machtlos. Das Beste wird sein, wir erzählen niemandem von dieser Sache und tun so, als sei nichts geschehen.«

»Und wenn ich jetzt schwanger bin?«, schluchzte Alkmene.

»Dann werden wir das Kind liebevoll aufziehen, egal wer der Vater ist«, versicherte ihr Amphitryon. »Die Menschen aus Theben werden keinen Verdacht schöpfen. Sie werden denken, dass ich der Vater bin.«

Ja, genau das taten die Thebaner, jedenfalls zu Anfang. Natürlich war Alkmene schwanger geworden in dieser Nacht, das hast du dir wohl schon gedacht. Neun Monate später kam ein putzmunteres Baby auf die Welt. Es war ein Junge und er bekam den Namen Herakles. Anfangs war Herakles ein ganz normales Baby, das wir alle sofort ins Herz schlossen. Doch schon bald fing er an, Dinge zu tun, die andere Babys nicht taten. Wenn er Hunger oder Durst hatte, brüllte er so laut, dass wir uns Wachs in die Ohren stopfen mussten, wenn wir sein Zimmer betraten. Die Rassel, die Amphitryon ihm schenkte, als er drei Monate alt wurde, hämmerte Herakles so fest gegen die Wand, dass nach drei Schlägen nur noch Kleinholz auf dem Boden lag. Die Stäbe seines Gitterbettchens zerknickte er, als seien es Strohhalme. Klein Herakles war schon ein besonderes Kind, das mussten wir alle bald zugeben.

»Der Kleine hat göttliche Kräfte«, meinte Amphitryon, als er einmal zusammen mit Alkmene vor Herakles’ Bettchen stand. Ich saß im Korbstuhl daneben und strickte gerade einen neuen Strampler für unseren kleinen Kraftprotz. »Ich kann unmöglich sein Vater sein.«

»Du bist sein Vater«, sagte Alkmene, »jedenfalls sein irdischer. Wer sein göttlicher Vater ist, werden wir wohl nie erfahren.«

»Ich tippe auf Zeus«, mischte ich mich ein und schaute von meinen Stricknadeln auf. »Der ist doch bekannt dafür, dass er …«

»Psssst!«, machte Alkmene. »Kein böses Wort über den Götterkönig. Er wacht über uns alle.«

»Ja, besonders über hübsche junge Frauen«, murmelte ich.

»Wie auch immer«, sagte Amphitryon. »Wir sind die Eltern dieses kleinen Wunderkindes. Möge ihm ein langes, glückliches Leben beschieden sein. Und möge sein göttlicher Vater, wer immer es auch sein mag, ein wachsames Auge auf ihn werfen.«

»Der wirft seine Augen lieber auf junge Frauen, die …«

»Du sollst still sein, Aglaia!«, herrschte Alkmene mich an. »Wir wollen nicht den Zorn des Göttervaters auf uns ziehen.«

Dass ich recht hatte und tatsächlich Zeus der Vater dieses kleinen Babys war, konnte ich damals natürlich nicht wissen. Erst viel später, als Herakles schon ein erwachsener Mann war, berichtete er mir davon. Er selbst wusste es von Zeus persönlich, der ihn eines Tages besucht und ihm die ganze Geschichte mit Alkmenes Täuschung erzählt hatte.

Von wegen Zorn des Göttervaters! Der interessierte sich doch gar nicht für mich, eine einfache Sklavin. Es war jemand anders, dessen Zorn wir geweckt hatten. Na ja, nicht wir, sondern das kleine Baby, das im Gitterbettchen mit den zerknickten Holzstäben lag. Wobei das kleine Baby natürlich völlig unschuldig war an diesem Schlamassel. Aber bei der Göttermutter ist es leider so, dass sie ihre berechtigte Wut eigentlich nie an ihrem Mann auslassen kann, dafür ist der einfach zu mächtig. Er hat ja diese furchtbaren Blitze, vor denen sogar die Götter Angst haben. Nein, Hera lässt ihre Wut meist an den Frauen aus, die Zeus näher kennengelernt hat. Auch das ist völlig unfair, ich weiß, zumal Hera doch die Schutzgöttin der Frauen ist. Oder sie lässt ihre Wut an den Kindern aus, die ihr untreuer Göttergatte in die Welt gesetzt hat. Das ist genauso unfair. Aber die Götter im alten Griechenland waren leider weder besonders fair noch besonders nett, das ist dir wohl schon nach diesen ersten paar Seiten aufgefallen.

Hera war also sauer auf das kleine Baby, dessen Kindermädchen ich war. Und was macht eine Göttin, wenn sie sauer ist? Klar, sie wird gewalttätig, aber so richtig. Allerdings traute Hera sich nicht, persönlich bei uns vorbeizuschauen. Wahrscheinlich fürchtete sie, Zeus würde das bemerken und sie aufhalten. Darum schickte sie ein Mordkommando, um den kleinen Herakles ruckzuck in die Unterwelt zu befördern. Ein besonders fieses Mordkommando, das muss ich schon sagen. Hera hatte nämlich zwei Schlangen organisiert, die in Herakles’ Zimmer kriechen und ihn in seinem Bettchen erwürgen sollten. Dass Hera diese Schlangen geschickt hatte, davon erfuhr ich natürlich auch erst später.

Wie gemein ist das denn, denkst du jetzt bestimmt. Ein unschuldiges Baby soll im Auftrag einer Göttin von gleich zwei Schlangen erwürgt werden? Geht’s noch? Klar, du hast recht, das geht natürlich gar nicht. Zum Glück ist es ja auch gar nicht so weit gekommen, denn sonst könnte es dieses Buch nicht geben. Und dafür habe ich gesorgt, die Sklavin Aglaia. Ohne mich hätte es all diese wunderbaren Abenteuer, die Superheld Herakles später erleben sollte, nicht gegeben. Darauf bin ich bis heute stolz, das kannst du mir glauben.

In dieser folgenschweren Nacht saß ich neben Herakles’ Bettchen. Wie jeden Abend hatte ich ihm ein Gutenachtlied vorgesungen und dann so lange sein kräftiges Händchen gehalten, bis er eingeschlafen war. Danach war auch ich eingeschlafen. Ich saß in dem Korbstuhl neben seinem Bettchen und träumte gerade einen süßen Traum, als ich von einem unheimlichen Zischen geweckt wurde. Sofort schlug ich die Augen auf.

Es war ein warmer Sommertag, Helios war gerade erst mit seinem Sonnenwagen hinter dem Horizont im fernen Westen verschwunden, sodass das Zimmer in einem schummrigen Halbdunkel lag. Das Zischen musste vom Fenster gekommen sein. Es war offen wie jede Nacht, der Vorhang bewegte sich leicht im Wind.

Ich rieb mir den Schlaf aus den Augen und schaute mich im Zimmer um. Hatte ich das Zischen nur geträumt? Ich konnte nichts Ungewöhnliches erkennen. Herakles schlief friedlich in seinem Bettchen, seinen Kuschellöwen fest im Arm. Ich ging zum Fenster, schob den Vorhang an die Seite und schaute hinaus in den Garten. Auch da sah ich nichts Auffälliges, hörte nur das Zirpen der Grillen, die sich im trockenen Gras versteckten. Ich drehte mich um und ging die wenigen Schritte zu Herakles’ Bettchen.

Und da sah ich sie.

Zwei schwarze Schlangen.

Sie mussten durch das offene Fenster gekommen sein. Lautlos glitten sie durch die zerbrochenen Gitterstäbe und bewegten sich auf Herakles’ Hals zu, der Kopf der einen Schlange lag schon auf seinem Kuschellöwen.

Dann ging alles rasend schnell. Ich schrie, als stünde der dreiköpfige Unterweltshund vor mir. Sofort wachte Baby Herakles auf, sah die erste Schlange auf seinem Löwen und packte sie blitzschnell direkt hinter dem Kopf. Er richtete sich auf und sah die Schlange interessiert an. Ich schrie unaufhörlich weiter, aber Herakles beachtete mich nicht. Der Schlange ging es gar nicht gut in Herakles’ Würgegriff. Sie riss ihr Maul weit auf, ich sah ihre spitzen Zähne und ihre gespaltene Zunge. Schon war die zweite Schlange da und wollte sich um Herakles’ Hals legen. Doch der hatte ja noch eine andere Hand und mit der griff er genauso schnell und fest zu wie mit der ersten. Auch der zweiten Schlange ging es jetzt gar nicht gut. Ihre Augen traten aus den Höhlen, als Herakles’ Finger sich fest um ihren Hals legten. Ich hörte auf zu schreien.

Im nächsten Moment flog die Tür auf. Alkmene und Amphitryon stürmten ins Zimmer. Herakles juchzte vor Vergnügen und zeigte seinen Eltern die beiden Schlangen, die er fest im Würgegriff hielt. Amphitryon sprang ans Bett und wollte dem Kleinen helfen, doch der erledigte die Sache lieber ganz allein. Wir konnten gar nicht so schnell gucken, da hatte Herakles die beiden Schlangen schon zu einem dicken Knäuel verknotet und aus dem Bett geworfen. Mit einem Fußtritt beförderte ich das Knäuel in eine Ecke des Zimmers, aber wir mussten keine Angst mehr vor diesen bösen Schlangen haben, Herakles hatte sie mit seinen starken Babyhändchen schon erledigt.

Und dann passierte etwas Wunderschönes an diesem denkwürdigen Abend: Herakles sprach seine ersten Worte. Er zog sich an den wenigen noch nicht zerknickten Gitterstäben hoch, strahlte uns an, zeigte auf das Schlangenknäuel in der Ecke und sagte: »Hat Herkles tot macht.«

Du kannst dir bestimmt vorstellen, dass Alkmene, Amphitryon und ich in diesem Moment in erleichtertes Gelächter ausbrachen. Alkmene nahm das Baby auf den Arm, knuddelte es nach Kräften und sagte: »Du bist ein wahres Wunderkind, mein Kleiner. Ich glaube, wir können uns noch auf einiges gefasst machen.«

Ja, das war die erste Heldentat, die Herakles vollbracht hat. Es sollten noch viele weitere folgen. Doch von denen werden dir andere erzählen.

Dies ist meine Geschichte

Keine Ahnung, wie oft mir diese Geschichte von den erwürgten Würgeschlangen erzählt wurde. Bei jedem Familienfest, bei jeder passenden oder unpassenden Gelegenheit haben meine Eltern oder mein Kindermädchen Aglaia sie in aller Ausführlichkeit zum Besten gegeben. Das war mir immer richtig peinlich. Ich konnte mich ja überhaupt nicht daran erinnern, da ich damals ja noch so klein gewesen war. Doch immerhin waren die beiden Schlangen die ersten Ungeheuer, die ich beseitigt habe. Dass noch viele weitere folgen sollten, konnte an diesem Tag niemand ahnen.

Hera war mächtig sauer, weil ihr Anschlag fehlgeschlagen war. Das hat Zeus mir später erzählt. Sie hat auf dem Olymp laut herumgeschimpft und jeden Gott, der sich ihr näherte, mit Steinen beworfen. Doch nach einigen Tagen hatte sie sich beruhigt und startete zunächst keinen neuen Anschlag auf mich. Vielleicht weil ihr untreuer Göttergatte eine andere junge Dame näher kennenlernen und Hera dies verhindern wollte. Die Göttermutter war wirklich nicht zu beneiden, das muss ich schon sagen. Irgendwie konnte ich ihre Wut gut verstehen. Mit Zeus als Ehemann hatte sie es wahrlich nicht leicht.

In den folgenden Jahren wuchs ich zu einem prächtigen Burschen heran, das kannst du dir wohl vorstellen. Meine Eltern ahnten ja schon, dass ich ein ganz besonderes Kind mit ganz besonderen Talenten war. Darum besorgten sie mir die besten Lehrer, die sich damals in Griechenland auftreiben ließen und die zu uns ins Haus kamen.

Meine Lehrer brachten mir so ziemlich alles bei, was man damals wissen konnte. Natürlich Lesen, Rechnen und Schreiben, das müssen auch angehende Superhelden lernen. Meine Lieblingsfächer waren das allerdings nicht, das muss ich zugeben. Auch für Philosophie, Grammatik, Rhetorik, für Geschichte und Erdkunde konnte ich mich nicht so recht begeistern. Ich mochte lieber praktische Fächer, bei denen ich meine Hände und meinen Körper gebrauchen konnte. Boxen, Ringen und Allkampf waren meine absoluten Favoriten. Wie, du hast noch nie etwas vom Allkampf gehört? Wir Griechen nennen diesen wunderbaren Sport Pankration. Das ist ein Kampfsport, bei dem alles erlaubt ist, um den Gegner k. o. zu schlagen. Nur Beißen und das Piksen in die Augen ist verboten.

Bogenschießen, Schwertkampf, Wettlauf und Weitsprung fand ich auch super, genauso wie den Speerwurf. Blöd dabei war nur, dass ich den Speer meistens so weit schleuderte, dass ich ihn nicht mehr wiederfinden konnte.

Auf den Musikunterricht hatte ich überhaupt keine Lust. Ich meine, hey, wozu muss ein Superheld schön singen und auf der Lyra klimpern können? Dafür waren meine tiefe Stimme und meine starken Finger überhaupt nicht geschaffen. Obendrein war mein Musiklehrer Linos ein strenger alter Knochen, der alle meine Fehler hörte und sofort bestrafte. Immer wieder schlug er mir mit seinem Taktstock auf die Hände, sodass die schon ganz blutig wurden. Das konnte ich eines Tages nicht mehr ertragen und schlug einfach zurück. Nein, nicht mit der Faust, sondern mit der Lyra, die ich gerade in den Händen hielt und der ich irgendwie nur schiefe Töne entlocken konnte. Ich zerschlug die Lyra auf dem Kopf meines Musiklehrers und sie zerbarst in tausend kleine Stücke.

Was soll ich sagen? Leider ging bei diesem Schlag nicht nur die Lyra kaputt, sondern auch ... Na, das kannst du dir wohl denken. Zum Glück war ich damals noch ein Kind, sodass der Richter mich gnädig behandelte. Er brummte meinen Eltern eine gewaltige Geldstrafe auf und verbot ihnen, in Zukunft Lehrer in unser Haus zu holen. Außerdem mussten sie die Kosten für Linos’ Beerdigung übernehmen. Das war alles in allem doch sehr unangenehm und es tat mir furchtbar leid um den alten Lehrer. Aber mein göttlicher Vater ist ja Zeus, der Gott des Gewitters, der Blitze und des Donners. Er ist für sein aufbrausendes Wesen bekannt und gefürchtet. Ich konnte also gar nichts dafür, dass ich so war, wie ich war, schließlich floss dieses aufbrausende Götterblut durch meine Adern.

Jedenfalls schickten mich meine Eltern nach dieser Linos-Lyra-Geschichte fort aus Theben in ein abgelegenes Dorf im Kithairongebirge. Dort besaß mein irdischer Vater Amphitryon Rinderherden, die von Sklaven gehütet wurden. Bei diesen Sklaven musste ich einige Jahre leben und ihnen bei der Hirtenarbeit helfen. Das war zwar etwas langweilig, aber immerhin gab es dort keine nervigen Lehrer, die alles besser wussten. In dieser Zeit schnitzte ich mir übrigens meine berühmte Keule, die ich bei meinen späteren Abenteuern so gut gebrauchen konnte. Ich fertigte sie aus Olivenholz an. Das ist ein besonders hartes Holz, wie du vielleicht weißt, härter jedenfalls als die Schädel all der Ungeheuer, mit denen ich es später zu tun bekommen sollte.

Als ich achtzehn Jahre alt war, kehrte ich zurück nach Theben – und nahm gleich an einem Kriegszug teil, den die Thebaner gegen eine Nachbarstadt unternahmen. Mein Vater Amphitryon fand das zunächst gar nicht gut, weil er sich Sorgen um mich machte. Aber als er dann sah, wie gut ich in der Schlacht mit meiner Keule umgehen konnte und wie viele Feinde ich mit ihr in die Unterwelt schickte, war er sogar ziemlich stolz auf mich. Natürlich gewannen wir diesen Krieg und ich wurde als großer Held gefeiert, der mit seiner Keule so viele Feinde das Fürchten gelehrt und unseren Sieg ermöglicht hatte. Zur Belohnung gab mir Kreon, der König von Theben, seine Tochter Megara zur Frau. Ja, so war das damals. Väter suchten den Ehemann für ihre Tochter aus. Ich habe gehört, dass zu deiner Zeit die Mädchen dabei auch mitreden können. Das ist sicherlich besser so.

Ich war total verliebt in Megara, das musst du mir glauben. Immerhin war sie eine echte Prinzessin. Unsere Ehe war glücklich. Wir bezogen ein schönes Haus in Theben und bekamen in den nächsten Jahren drei muntere Kinder. Ich vollbrachte die ein oder andere Heldentat und alles war gut und hätte so bleiben können. Doch dann startete die Göttermutter Hera einen zweiten Versuch, mich ins Verderben zu stürzen. Vielleicht war ihre Wut gegen mich wieder hochgekocht, als sie einmal nach Theben blickte und mich glücklich im Kreis meiner Familie sah.

So schickte sie mir eines Tages den Wahnsinn. Ja, so etwas können Göttinnen, eine ganz gemeine Sache ist das. An diesem Tag drehte ich total durch, schrie wie ein Irrer und schlug unser ganzes Haus kurz und klein. Als ich am nächsten Tag wieder zu mir kam, war nicht nur das Haus zerstört, sondern auch meine Familie: Meine liebe Frau Megara und unsere Kinder lagen tot in den Trümmern. Kannst du dir vorstellen, wie verzweifelt ich da war? Ich wusste nicht mehr ein noch aus, flüchtete aus der Stadt, lief tagelang wie von Sinnen durch die Gegend und kam schließlich nach Delphi, zum berühmten Orakel des Gottes Apollon. Dort fragte ich die Priesterin Pythia um Rat. Ich wollte wissen, wie ich mich von meiner entsetzlichen Schuld befreien könnte. Klar, ich konnte meine Familie nicht wieder lebendig machen. Doch als Mörder war ich in den Augen der Götter und Menschen ein Verfluchter, ein Ausgestoßener. Von diesem Fluch wollte ich mich befreien, mich entsühnen, wie wir damals sagten. Und diese Sühne musste ein Gott festsetzen, darum war ich nach Delphi gegangen, um Apollon um Rat zu bitten.

Die Pythia, die Priesterin des Gottes, schaute mich lange durchdringend an. Dann sagte sie: »Du hast ein schlimmes Verbrechen begangen, Herakles. Ein Verbrechen, das eigentlich nicht entsühnt werden kann: Du hast deine wehrlose und unschuldige Familie getötet. Doch Apollon hat mir erzählt, dass Hera dir den Wahnsinn geschickt hat. Du warst völlig von Sinnen, als du diese furchtbare Tat begingst. Darum gibt es tatsächlich eine Möglichkeit, dich von dieser schweren Schuld zu befreien.«

»Was soll ich tun, verehrte Pythia?«, fragte ich verzweifelt. »Hilf mir in meiner Not!«

»Stell dich zwölf Jahre lang in den Dienst des Königs Eurystheus, des Herrschers von Mykene«, antwortete die Priesterin. »Durch eine lange Sklavenarbeit kann deine Schuld getilgt werden. Du musst alles tun, was der König dir befiehlt. Das werden schmutzige und gewaltige Aufgaben sein. Doch wenn du nach zwölf Jahren alle Arbeiten erledigt hast, wird der König dich entlassen. Du wirst ein freier Mann sein, dessen Schuld in den Augen der Götter und Menschen getilgt ist.«

»Das will ich tun«, stimmte ich, ohne zu zögern, zu und machte mich noch am selben Tag auf den Weg nach Mykene.

Auf meiner Wanderung traf ich in einem einsamen Tal einen merkwürdigen jungen Mann. Er trug einen breitkrempigen Hut, an dessen Seiten flatternde Flügel befestigt waren. Auch an den Sandalen des Burschen erblickte ich kleine Flügel.

»Hey, Bruder!«, begrüßte der junge Mann mich. »Ich meine: Halbbruder. Wir haben den gleichen Vater. Gestatten: Mein Name ist Hermes. Ich bin der Götterbote, du hast vielleicht schon von mir gehört.«

Ich nickte und war verwirrt. Wollte der Typ mich auf den Arm nehmen? Das sollte Hermes sein? Aber ich hatte doch nicht den gleichen Vater wie er. Damals wusste ich nämlich noch nicht, wer mein eigentlicher Vater war. Ich überlegte, ob ich meine Keule auf den Kopf des frechen Kerls niedersausen lassen sollte.