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Kinder zwischen Krieg und Wiederaufbau Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg hat Millionen Menschen geprägt und wirkt in vielen Familien bis heute nach. Kinder interessieren sich für die Zeit, über die ihre Großeltern und Urgroßeltern erzählen. Dieses Buch lässt die, für die Entwicklungen in Deutschland und Europa so wichtige, Nachkriegszeit lebendig und greifbar werden. Sieben Mädchen und Jungen erzählen von ihren Erlebnissen während der Jahre 1945 bis 1954, von Flucht und Vertreibung, von Hunger und Kälte, von Wohnungsnot und Kohlenklau, von den Hamsterfahrten der Mutter und dem Verlust des Vaters, von Schwarzmärkten und Zigaretten als Zahlungsmittel, von der Luftbrücke und der Fußballweltmeisterschaft.
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Seitenzahl: 254
Veröffentlichungsjahr: 2025
Die Nachkriegszeit aus Kinderperspektive
Die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg haben das Leben von Millionen Menschen geprägt und wirken bis heute in vielen Familien nach. Dieses Buch nimmt junge Leserinnen und Leser mit in eine Zeit, von der Großeltern und Urgroßeltern oft erzählen, und macht die für die Entwicklungen in Deutschland und Europa so wichtige Nachkriegszeit lebendig und greifbar.
Sieben Mädchen und Jungen berichten von ihren Erlebnissen zwischen 1945 und 1954. Von Flucht und Vertreibung, Hunger und Kälte, Wohnungsnot und Kohlenklau, von Hamsterfahrten der Mutter und dem Verlust des Vaters, von Schwarzmärkten und Zigaretten als Zahlungsmittel, von der Berliner Luftbrücke und dem »Wunder von Bern«.
Mit historischen Fotos, informativen Texten und einem Vorwort des Autors.
Von Frank Schwieger sind bei dtv außerdem lieferbar:
Kinder unterm Hakenkreuz
Ich, Captain Hook, und die verfluchte Schatzinsel
Ich, Athene, und die mutigen Frauen aus Olympia
Ich, Aladin, und die Helden aus 1001 Nacht
Ich, Herakles, und meine großen Heldentaten
Ich, Odysseus, und die Bande aus Troja
Ich, Kleopatra, und die alten Ägypter
Ich, Merlin, und die furchtlosen Ritter
Ich, Odin, und die wilden Wikinger
Ich, Caesar, und die Bande vom Kapitol
Ich, Zeus, und die Bande vom Olymp
Die Rache des Gladiators
Der Schiffsjunge der Santa Maria (als E-Book)
Flucht aus Rom (als E-Book)
Das Löwenamulett (als E-Book)
Frank Schwieger
Wie wir die Nachkriegszeit erlebten
Mit Illustrationen von Friederike Ablang
uxori carissimae
Deutschland hatte 1939 unter Führung der Nationalsozialisten einen Krieg begonnen, den Zweiten Weltkrieg, der große Teile Europas zerstörte und in dem so viele Menschen ermordet wurden wie in keinem anderen Krieg zuvor und danach. Doch dieser Krieg hat nicht nur in die von Deutschland angegriffenen Länder Tod und Vernichtung getragen, sondern auch in Deutschland selbst gewaltige Zerstörungen hinterlassen und unzähligen Menschen das Leben genommen.
Heute können wir uns kaum noch vorstellen, wie zertrümmert Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg vielerorts war, auch wenn wir vielleicht schon Bilder der Städte gesehen haben, die von Bomben in Schutt und Asche gelegt worden waren. Zertrümmert waren aber nicht nur die Häuser und Wohnungen, sondern auch die Menschen selbst hatten auf unvorstellbare Weise gelitten. Viele waren gestorben. Gewalt und Zerstörung, die die Deutschen in andere Länder gebracht hatten, waren in ihr eigenes Land zurückgekommen. Diejenigen, die den Krieg und die schon vorher begangenen Morde der Nationalsozialisten, vor allem an den Juden, überlebt hatten, lagen vielfach innerlich in Trümmern: Wie sollte man mit diesem Grauen, mit dieser unvorstellbaren Brutalität fertigwerden?
In der Zeit nach dem Krieg ging es darum, all diese Trümmer zu beseitigen. Der Blick wurde nach vorn gerichtet, gleich zwei deutsche Staaten mussten aufgebaut werden. Die grausame Vergangenheit hätte man am liebsten ganz schnell vergessen, obwohl das natürlich nicht möglich war, da man überall die Folgen dieser Vergangenheit sehen und spüren konnte.
In dieser unruhigen und schwierigen Zeit lebten Kinder, die am vergangenen Krieg und an den Verbrechen der Nationalsozialisten keine Schuld hatten und eigentlich nur das wollten, was Kinder zu allen Zeiten auf der ganzen Welt wollen: behütet aufwachsen, lachen, spielen und sich im Kreis ihrer Familie und Freunde wohlfühlen.
Dieses Buch spannt einen Bogen über die ersten zehn Nachkriegsjahre: Die erste Geschichte erzählt vom Frühjahr 1945, als Deutschland durch die »Alliierten«, also die vereinten Siegermächte, von der nationalsozialistischen Herrschaft befreit und besetzt wurde. Die letzte Geschichte spielt im Frühjahr 1954, als ein ganzes Land die Sorgen des Alltags für kurze Zeit vergaß, weil eine Fußballmannschaft ein Wunder vollbrachte.
Sieben Kinder und Jugendliche aus verschiedenen Teilen Deutschlands erzählen, was sie in diesen Jahren erlebt haben: das ersehnte Ende des Krieges, freundliche und brutale Besatzungssoldaten, die Sehnsucht nach dem vermissten Vater, Flucht und Vertreibung, Wohnungsnot, Hunger und Kälte, übervolle Klassenräume und strenge Lehrer, neue Anfänge in winzigen Zimmern, die Blockade einer Millionenstadt, Schwarzmärkte und amerikanische Zigaretten, einen mutigen Aufstand – und einen unsterblichen Sportsmann, der im entscheidenden Moment alles richtig gemacht hat.
Die Erlebnisse der in diesem Buch versammelten »Trümmerkinder« lehnen sich an diejenigen an, die Millionen Kinder in Deutschland so oder auf ganz ähnliche Weise in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg wirklich hatten. Sie haben eine ganze Generation geprägt, eine Generation, die ein zertrümmertes Land wieder aufgebaut und in eine bessere Zukunft geführt hat.
Papa war tot. Schon seit zwei Jahren, da war ich gerade acht Jahre alt geworden. »Gefallen für Führer, Volk und Vaterland« hatte in der Traueranzeige gestanden. Als ob er nur hingefallen wäre. Irgendwo in Russland. Einfach nur gefallen. Wenn man fällt, kann man wieder aufstehen. Doch für Soldaten gilt das leider nicht, das hatte ich damals schon verstanden. Sie werden dann irgendwo in dem Land begraben, in dem sie gefallen sind. Und stehen nie wieder auf.
Als Papa in den Krieg ziehen musste, war ich noch sehr klein. Dabei war er doch eigentlich gar kein Soldat, sondern Schuster. In seiner kleinen Werkstatt in unserem Haus flickte er kaputte Schuhe und hat auch neue hergestellt. Da roch es immer so herrlich nach Leder und Leim und Schuhputzcreme. Ich liebte diesen Duft. Und ich liebte es, Papa bei der Arbeit zuzuschauen. Er saß dabei meist auf einem niedrigen Schemel, trug seine alte graue Strickjacke, die an den Ellenbogen schon geflickt war, und eine dunkelbraune Lederschürze über seiner abgewetzten Hose. Die Regale ringsum waren voll mit Schuhen, die repariert werden sollten oder die auf ihre Abholung warteten: Kinderschuhe mit aufgeplatzten Nähten oder kaputten Sohlen, schief gelaufene Stiefel, Damenschuhe mit hohen Absätzen oder feine Herrenschuhe aus blank poliertem Rindsleder. Auf seiner Werkbank lagen die Werkzeuge, die er bei seiner Arbeit brauchte. Und mittendrin Papa, zwischen den Lippen ein paar Schuhnägel, sodass er nicht sprechen konnte, und gerade damit beschäftigt, eine neue Sohle an einen Schuh zu nageln, den er zwischen die Knie geklemmt hatte.
Außer der Werkstatt gab es nicht viele Dinge in unserem kleinen Haus, die noch an ihn erinnerten. Da war die Fotografie, die im Wohnzimmer auf dem Klavier stand. Papa in Soldatenuniform. Sein Lächeln auf dem Foto wirkte gequält. Fast sah man ihm an, dass er keine Lust hatte, als Soldat zu kämpfen. Und dann war da noch die Trommel, die er mir zu meinem sechsten Geburtstag geschenkt hatte, als er für kurze Zeit nach Hause kommen durfte. Er hatte sie selbst gemacht und an der Seite mit bunten Schmetterlingen bemalt. Die Farbe war leider hier und da schon abgeplatzt. Ich hatte lange nicht mehr auf der Trommel gespielt. Aber immer, wenn ich mich an Papa erinnern wollte, nahm ich sie auf den Schoß und trommelte ganz leise mit den Fingern darauf herum. Dann sah ich ihn wieder in seiner Werkstatt, wie er an einem Schuh herumwerkelte und mir zulächelte, wenn ich ihn dort unten besuchte. Denn die Werkstatt lag im Keller unseres Hauses. Durch die zwei Fenster auf der Höhe des Bürgersteigs konnte man die Beine der Leute sehen, die draußen vorbeigingen.
Wie froh wir über diese Kellerwerkstatt waren, als die Flugzeuge mit ihren Bomben über unsere Stadt hinwegflogen! Ich weiß nicht mehr, wie oft wir dort unten Schutz suchten, wie viele Nächte wir auf dem Boden zwischen all den Schuhen verbrachten. Mama hatte eine alte Matratze vor ein Regal gelegt, sodass wir nicht auf dem harten Boden sitzen mussten. Ich bin meistens irgendwann eingeschlafen, aber Mama hat, glaube ich, nicht viel Schlaf gefunden in diesen Nächten, während sie mich im Arm hielt und die unheimlichen Flugzeuge dröhnend über uns hinwegzogen.
Zum Glück war unsere kleine Stadt kaum mehr als ein großes Dorf. Die Bomberpiloten interessierten sich nicht für uns. Sie flogen weiter in Richtung Osten, nach Kassel oder Leipzig, vielleicht auch nach Dresden oder Berlin, sagten die Erwachsenen. Und dass sie dort ihre Bomben abwarfen und die Städte kaputt machten. Aber man konnte nicht sicher sein, dass nicht auch wir bombardiert würden. Die Flugzeuge warfen ihre Bomben manchmal auch über kleinen Städten, sogar über Dörfern ab. Daher verbrachten Mama und ich irgendwann beinahe jede Nacht auf der Matratze unten in der Werkstatt.
Nach einem langen und furchtbar kalten Winter mit viel Eis und Schnee war es endlich wieder Frühling geworden. Die Krokusse streckten schon ihre bunten Köpfe aus dem Boden.
»Es muss bald vorbei sein«, sagte Mama eines Morgens irgendwann im April, als wir nach einer Kellernacht in der Küche am Frühstückstisch saßen und unseren Haferbrei löffelten. »Der Krieg wird nicht mehr lange dauern.«
Ich schaute sie fragend an.
»Ich habe so einiges aufgeschnappt«, sagte sie flüsternd. »Von den Leuten und auch heimlich aus dem ausländischen Radio. Die Russen sind schon in Berlin. Und die Amerikaner rücken von Westen vor. Sie werden bald hier sein.«
»Amerikaner?«, fragte ich überrascht. »In unserer Stadt?«
»Wir sollten froh sein, dass es nicht die Russen sind«, sagte Mama.
»Sind die Russen nicht nett?«, fragte ich.
Mama wich meiner Frage aus und sagte: »Der Bürgermeister hat gestern angeordnet, an den Ortseingängen Panzersperren zu bauen. Um die Amerikaner aufzuhalten.«
»Soll hier gekämpft werden?«, fragte ich entsetzt. »Hier gibt es doch gar keine Soldaten.«
Mama zuckte mit den Schultern. »Dafür aber jede Menge Nazis. Ich habe keine Ahnung, was die vorhaben. Ich hoffe nur, dass alle vernünftig bleiben. Nicht jetzt noch sinnlos kämpfen, wo doch der Krieg fast vorbei ist.«
Tatsächlich machten sich noch am selben Tag einige Leute daran, am westlichen Ortseingang ein merkwürdiges Bauwerk zu errichten. Es bestand aus dicken Holzbohlen, die übereinandergelegt und irgendwie miteinander verbunden wurden. Hinter dieser hölzernen Wand, die vielleicht drei Meter hoch war, wurden Sand und Erde aufgeschüttet. Sehr stabil sah das Ganze nicht aus, fand ich. Es gab ja auch keinen einzigen Handwerker mehr in der Stadt, der das vernünftig hätte bauen können, die waren alle im Krieg. Diese komische Panzersperre war von alten Männern und ein paar Jungen errichtet worden. Die Alten waren zu alt für den Krieg, die Jungen noch nicht alt genug. Ich hatte zwar noch nie einen Panzer gesehen, aber als ich mir dieses komische Bauwerk am Nachmittag zusammen mit Mama anschaute, war ich mir nicht so sicher, ob es auch nur einen einzigen Panzer aufhalten könnte.
Mama schüttelte den Kopf, als sie sich die Panzersperre anschaute. Einige eifrige Jungen waren immer noch dabei, mit Schubkarren Sand auf die Rückseite zu karren. Ein paar von ihnen kannte ich flüchtig aus der Schule, sie waren etwas älter als ich, vielleicht dreizehn oder vierzehn Jahre alt. Einige trugen bei der Arbeit das braune Hemd mit dem schwarzen Halstuch, an dem man sie als Hitlerjungen erkennen konnte.
Da bemerkten wir Heinrich. Er war der Sohn unseres Bürgermeisters, sechzehn Jahre alt und genau wie sein Vater ein begeisterter Nazi. Er stand mit verschränkten Armen hinter der Panzersperre und schien die Arbeit der anderen Jungen zu beaufsichtigen. Er war der Chef der Hitlerjugend in unserer kleinen Stadt. Doch was lehnte da hinter ihm an der Hauswand?
»Was hast du mit der Panzerfaust vor, Heinrich?«, fragte meine Mutter.
»Na, was wohl, Frau Wagner?«, gab Heinrich zurück und grinste breit. »Sobald der erste Panzer hier auftaucht, jag ich ihn in die Luft.«
Mama nickte und presste die Lippen aufeinander. Sie hätte Heinrich wohl am liebsten die Ohren lang gezogen und ihm gesagt, dass er das besser bleiben lassen und nach Hause gehen sollte. Stattdessen sagte sie: »Pass gut auf dich auf, mein Junge.«
Heinrich tippte sich lässig an den Schirm seiner Mütze. »Das werde ich, Frau Wagner.«
Mama und ich ließen ihn stehen und gingen mit schnellen Schritten zurück zu unserem Haus, das in einer kleinen Seitengasse nicht weit entfernt vom Marktplatz lag. Als wir den Platz überquerten, fiel uns das Feuer auf, das vor dem Rathaus brannte. Wir sahen, wie einige Frauen, die im Rathaus arbeiteten, Aktenordner und Kartons herausbrachten und ins Feuer warfen. Neben dem Feuer stand Herr Köhn, Heinrichs Vater, unser Bürgermeister. Er war in unserer Stadt auch Vorsitzender der Nazipartei. Herr Köhn nickte Mama und mir zu, als wir an ihm und dem Feuer vorbeigingen. Dabei sah ich, dass dort nicht nur Aktenordner und Papiere brannten, sondern auch Uniformjacken.
»Warum machen die das?«, fragte ich, als wir unsere Gasse erreicht hatten. »Was verbrennen die da?«
»Spuren«, antwortete Mama knapp, als sie den Schlüssel in die Haustür steckte.
»Das verstehe ich nicht«, gab ich zurück.
»Herr Köhn und die anderen Nazis wollen nicht, dass die Amerikaner ihnen irgendetwas nachweisen können. In den brennenden Papieren dort ist alles aufgeschrieben, was die Nazis hier in unserer Stadt seit zwölf Jahren gemacht haben. Beweise für ihre Taten und ihre Untaten.«
»Also glaubt Herr Köhn auch, dass der Krieg verloren ist und dass die Amerikaner bald hier sein werden?«
»Es sieht so aus.«
»Wozu dann die Panzersperre?«
»Ich weiß es nicht, Inge. Ich weiß es wirklich nicht.« Mutter seufzte. »Möge der Irrsinn bald vorbei sein.« Sie öffnete die Haustür und verschwand im Flur. Ich folgte ihr mit einem komischen Gefühl im Bauch.
In dieser Nacht gab es ausnahmsweise keinen Fliegeralarm. Wir konnten ruhig schlafen, ohne in den Werkstattkeller gehen zu müssen. Am nächsten Morgen wurden wir von einem Geräusch geweckt, das wir nicht kannten. Ein dumpfes Dröhnen, das aber nicht aus der Luft zu kommen schien. Doch woher kam es?
»Zieh dich schnell an«, rief Mama mir zu, als ich aus meinem Zimmer kam. »Wir gehen in den Keller. Dort sind wir sicher.«
»Was ist das?«, fragte ich, während ich Strumpfhose, Rock und Pullover in aller Eile anzog. Um meine Haare zu Zöpfen zu flechten, wie ich es sonst am Morgen immer tat, blieb keine Zeit.
»Ich weiß es nicht«, antwortete Mama. »Das könnten Panzer sein. Oder andere Kriegsmaschinen.«
»Die Amerikaner?«, fragte ich.
»Gut möglich. Komm jetzt, Inge. Das ist vielleicht das letzte Mal, dass wir uns in Papas Werkstatt verstecken müssen. Hoffentlich schießen sie nicht.«
Was in den nächsten Stunden in unserer kleinen Stadt passierte, haben Mama und ich von anderen Leuten erfahren. Wir selbst sind auf der Matratze in Papas Werkstatt geblieben und haben nur den Lärm gehört. Als der erste Panzer sich dem Ortseingang näherte, sind einige Frauen aus unserer Stadt auf die Panzersperre geklettert. Sie müssen sich vorher verabredet haben, denn sie hatten weiße Handtücher und Bettlaken dabei, mit denen sie dem Panzer und den Soldaten, die hinter ihm gingen, zuwinkten. Der Panzer blieb stehen, die Soldaten senkten ihre Gewehre. Dann fingen die Frauen an, mit Seilen die Bohlen der Panzersperre auseinanderzuziehen, sodass das ganze Bauwerk nach kurzer Zeit krachend auseinanderfiel. Die amerikanischen Soldaten haben zuerst erstaunt geguckt, dann haben einige den Frauen geholfen. Der Panzer wartete mit laufendem Motor, bis die Sperre weg war und nur noch der große Sandhaufen vor ihm lag, den die Hitlerjungen am Tag zuvor aufgeschüttet hatten. Aber der Sandhaufen war für den Panzer kein Problem, er fuhr einfach über ihn hinweg. Die Soldaten folgten ihm in die Stadt.
Und plötzlich sprang dieser verrückte Heinrich aus einem Hauseingang auf die Straße. Auf seiner Schulter hielt er die Panzerfaust, die Mama und ich gesehen hatten. Er schrie laut »Heil Hitler!« und zielte auf den Panzer, der direkt auf ihn zurollte. Doch die Soldaten waren schneller. Sie schossen Heinrich nieder, bevor er selbst auf den Panzer schießen konnte. Er war sofort tot. Warum Heinrich das getan hat, habe ich nie verstanden. Wollte er die Amerikaner ganz allein aufhalten?
Die Frauen suchten Schutz in den umliegenden Häusern. Die Amerikaner waren jetzt vorsichtiger. Sie stürmten zu zweit oder zu dritt in jedes Haus und schauten, ob da nicht noch andere Hitlerjungen mit Panzerfäusten auf sie warteten. Hin und wieder fielen Schüsse. Ein zweiter Panzer fuhr über den Sandhaufen und weitere Soldaten folgten ihm. Schon hatten sie den Markplatz erreicht. Vor dem Rathaus waren auf den Pflastersteinen noch die Spuren des Feuers zu sehen, das gestern dort gelodert hatte: verkohlte Papierfetzen und Reste verbrannter Uniformen. Und dann schoss irgendjemand aus dem Rathaus auf die Soldaten, die sich auf dem Marktplatz versammelt hatten. Die Amerikaner feuerten zurück, warfen Handgranaten in die Rathausfenster. Auch die Panzer schossen aus ihren dicken Kanonenrohren. Unser schönes altes Rathaus war danach nur noch ein Trümmerberg, es stürzte mit lautem Getöse in sich zusammen.
Später erfuhren wir, dass Bürgermeister Köhn sich mit einigen älteren Männern und ein paar Hitlerjungen im Rathaus verschanzt und auf die Amerikaner geschossen hatte. Keiner von ihnen hat diesen Tag überlebt.
Mama und ich haben den furchtbaren Lärm gehört, unser Haus lag ja nicht weit entfernt vom Rathaus, und uns aneinander festgehalten. Wir wussten nicht, was geschah. Kurz darauf hörten wir Männerstimmen, die in einer fremden Sprache irgendetwas riefen, das Dröhnen der Panzermotoren, den Hund von gegenüber, der aufgeregt bellte, und schließlich schwere Soldatenstiefel, die über das Pflaster liefen. Wir konnten sie durch die kleinen Fenster in der Werkstatt sehen.
Dann hämmerte jemand mit einem harten Gegenstand gegen die Tür.
»Open the door!«, hörten wir einen Mann rufen. Ich hatte keine Ahnung, was er von uns wollte. »Open the door! Quickly!«
»Ich geh schon«, sagte Mama und ließ mich auf der Matratze sitzen.
»Lass sie nicht rein!«, flüsterte ich.
»Wenn ich nicht aufmache, werden sie die Tür einschlagen. Wir haben keine Wahl.«
Mama ging die Treppe hinauf in den Flur und öffnete die Haustür. Sie war nicht abgeschlossen. Der Soldat hätte einfach nur die Klinke drücken und eintreten können. Ich hörte, wie er mit Mama sprach, aber ich verstand kein Wort. Dann ging er wieder fort und Mama kam zurück zu mir in die Werkstatt.
»Was wollte er?«, fragte ich.
Mama zuckte mit den Schultern. »Sie brauchen unser Haus.«
»Wofür?«
»Um hier zu wohnen. Die Soldaten können ja schlecht auf dem Marktplatz schlafen.«
»Bei uns?«, rief ich entsetzt. »Die wollen hier bei uns wohnen? Aber das geht nicht, das ist doch unser Haus!«
»So ist das im Krieg«, sagte Mama. »Der Sieger nimmt sich, was er kriegen kann. Immerhin haben sie Bescheid gesagt. Und wenn ich ihn richtig verstanden habe, können wir beide hierbleiben.«
»Wie großzügig!«, schnappte ich.
Plötzlich lächelte Mama. »Ich habe ihm erzählt, dass ich eine Tochter habe. Ei häv a liddel doter, habe ich gesagt.«
Mama konnte etwas Englisch. Sie hatte sich diese Sprache in den letzten Monaten mit einem Buch selbst beigebracht. »Das ist gar nicht schwer«, hatte sie mir einmal erzählt. »Aber ich weiß nicht, ob ich die Wörter immer richtig ausspreche.«
»Warum lernst du überhaupt Englisch?«, hatte ich sie da gefragt. »Das braucht man in Deutschland doch nicht.«
»Man kann nie wissen«, hatte sie lächelnd geantwortet.
Jetzt hielt sie mir ihre ausgestreckte Hand entgegen. Auf ihrer Handfläche lag etwas, das aussah wie ein winziges silbernes Päckchen.
»Was ist das?«, fragte ich.
»Mach es auf«, sagte Mama grinsend.
Ich nahm das Päckchen und entfernte vorsichtig die silberne Folie. Darin eingewickelt war ein kleines Stück – Schokolade! Ich konnte es nicht fassen. Ich hatte schon seit Jahren keine Schokolade mehr gegessen. Sie war im Krieg unglaublich teuer geworden, am Ende gab es sie in unserer Stadt gar nicht mehr zu kaufen. Sie war herrlich weich und begann zwischen meinen Fingern zu schmelzen. Mir lief das Wasser im Mund zusammen.
»Die teilen wir uns«, sagte ich.
»Iss nur«, sagte Mama lächelnd. »Wenn die anderen Soldaten auch so freundlich sind, bekommen wir vielleicht noch mehr davon.«
Noch am selben Tag kamen vier amerikanische Soldaten in unser Haus. Stanley und Richard zogen ins Schlafzimmer und schliefen nachts in Mamas und Papas Ehebett. Die beiden anderen richteten sich in meinem Zimmer ein. Der eine von ihnen war etwas kleiner, er hieß Jimmy und sicherte sich mein Bett. Matthew hieß der andere, er schlief auf dem Fußboden. Mama und ich schliefen in der nächsten Zeit auf der Matratze unten in der Werkstatt, aber das waren wir ja schon gewohnt.
Es dauerte noch drei Wochen, dann war der Krieg endlich vorbei. Das war am 8. Mai 1945. Die Nachricht war über das Radio verbreitet worden und hatte sich in Windeseile in unserer Stadt herumgesprochen. Besonders überrascht war niemand. Und niemand hat gefeiert, obwohl es doch eigentlich eine gute Nachricht war. Es gab keine Bombenflugzeuge mehr. Und alle Soldaten konnten ihre Waffen wegwerfen und nach Hause gehen. So dachte ich damals. Mama hat mir später erklärt, dass viele deutsche Soldaten gefangen genommen wurden und jahrelang in Lagern bleiben und dort schwer arbeiten mussten. Und dass viele diese Lager nicht überlebten.
Warum nicht gefeiert wurde? Ich glaube, alle waren erschöpft nach beinahe sechs Jahren Krieg. Viele Familien hatten den Tod des Vaters, eines Onkels, eines Sohnes oder Bruders zu betrauern. Deutschland hatte andere Länder angegriffen und nun diesen Krieg verloren, war von fremden Soldaten besetzt worden. So viele Städte waren zerstört worden. So viele Menschen hatten kein Dach mehr über dem Kopf: Ihre Wohnungen waren zerbombt und sie wussten nicht, wo sie leben sollten. Millionen waren auf der Flucht, hatte Mama mir erzählt, oder aus ihrer Heimat vertrieben worden. Schließlich gab es kaum noch etwas zu kaufen, vor allem keine Lebensmittel und keine Kleidung. Unser Geld, die deutsche Reichsmark, war nichts mehr wert. Keiner interessierte sich für die alten Münzen und Scheine. Man tauschte lieber: eine Hose gegen ein Stück Butter, ein Tischtuch gegen eine Wurst, ein Kopfkissen gegen ein Brot. Nein, nach einer fröhlichen Feier war in diesen Wochen niemandem zumute.
Aber wir waren doch erleichtert, zumindest Mama und ich. Wir mussten keine Angst mehr vor den Bomben haben, die aus den Flugzeugen geworfen wurden. So konnten wir nachts wieder ruhig schlafen. Das war doch immerhin etwas. Und Mama war froh, dass die Nazis nicht mehr das Sagen hatten. Die hatten so viele schlimme Dinge angerichtet.
Aber Mama war in diesem Frühjahr auch oft verzweifelt, weil sie nicht wusste, wie sie uns satt bekommen sollte. Es gab ja so wenig zu essen! Als die vier Amerikaner bei uns gewohnt hatten, kamen wir gut zurecht. Der kleine Jimmy brachte uns immer wieder mal ein Weißbrot, mal ein Säckchen Mehl, mal ein paar Konservendosen mit Erbsen oder Bohnen aus der Soldatenküche mit, die die Amerikaner in der Turnhalle unserer Schule eingerichtet hatten. Doch als er und die anderen wieder fort waren, mussten wir uns allein versorgen.
Darum fing Mama an zu hamstern. Das klingt niedlich, ist aber keine schöne Sache. Sie packte ein paar Dinge aus unserem Haus in einen Rucksack und machte sich zu Fuß auf den Weg zu den Bauernhöfen, die es rund um unsere kleine Stadt gab. Dort tauschte sie dann ein Paar Socken und ein Hemd von Papa gegen eine Kanne Milch. Oder Opas alte Taschenuhr gegen eine Tüte Graupen. Oder das Spitzendeckchen, das Oma gehäkelt hatte, gegen zwei Pfund Mehl.
Manchmal nahm Mama mich mit zu ihren Hamstertouren. Ich hatte ja auch sonst nicht viel zu tun in diesen Monaten. Die Schule fiel aus. Es gab einfach keine Lehrer mehr, die uns hätten unterrichten können. Diesmal hatten wir Bettwäsche dabei und die letzten Hemden von Papa, die Mama im Kleiderschrank gefunden hatte. Wir hatten drei oder vier Bauernhöfe abgeklappert und am Ende alles eintauschen können. Der erste Bauer hatte uns noch vom Hof gejagt (»Hier gibt es nichts zu holen, schert euch fort!«), sein Hund hatte uns wütend angeknurrt. Doch die anderen Bauern waren freundlich gewesen, hatten uns Würste und Mehl, Eier, etwas Butter und sogar Käse gegeben, dazu einen großen Beutel voller schrumpeliger Kartoffeln aus dem vorigen Jahr, die sonst wohl die Schweine bekommen hätten. Aber Mama meinte, dass wir sie gut gebrauchen könnten, und die nette Bauersfrau hatte die Kartoffeln dann alle in meinen Rucksack geschüttet. Der war ganz schön voll und schwer, die Kartoffeln drückten in meinen Rücken. Aber weil ich wusste, dass sie Mama und mich viele Tage satt machen würden, beklagte ich mich nicht, als wir uns auf den Rückweg machten.
Und dann passierte es. Wir hatten sie zu spät gesehen, sonst wären wir ihnen ausgewichen und hätten einen anderen Weg genommen. Aber als wir durch den Wald gingen und die Hügelkuppe erreicht hatten, konnten wir nicht mehr zurück, das hätte uns verdächtig gemacht. Dabei hatten wir doch die Hauptstraße gemieden und diesen Feldweg genommen, damit uns so etwas nicht passierte.
Als ich die vier großen Kerle neben ihrem Soldatenauto sah, blieb ich ruckartig stehen. Jeder von ihnen rauchte eine Zigarette. Aber das war es nicht, was mich so erstarren ließ. Diese vier Soldaten waren schwarz! Ich hatte in meinem ganzen Leben noch keinen Menschen mit so dunkler Haut und solch weißen Zähnen gesehen.
Sie hatten uns auch bemerkt. Einer winkte uns zu: »Come on, girls!«, rief er. »Go on. Don’t be afraid. We don’t eat German Frolleins.« Darauf lachten die anderen drei schallend.
»Was hat er gesagt?«, fragte ich Mama, die auch stehen geblieben war.
»Wir sollen weitergehen«, antwortete sie.
»Aber wenn sie unsere Rucksäcke mit den guten Sachen sehen?«
Mama zuckte mit den Schultern. »Die können wir jetzt nicht verstecken, Inge.«
Mamas Rucksack war größer als meiner und mindestens doppelt so schwer. Nee, verstecken konnten wir die wirklich nicht.
»Sollen wir weglaufen?«, fragte ich und merkte, wie meine Knie weich wurden.
»Das ist zwecklos. Die Männer sind schneller als wir. Oder sie schießen auf uns.«
»Aber wenn sie uns das Essen wegnehmen?«
»Don’t be shy!«, rief da der große Soldat, der uns gerade zugewinkt hatte. Er schnippte den Rest seiner Zigarette in die Büsche.
»Wir werden sehen«, sagte Mama. »Komm, Inge. Immer freundlich bleiben, dann tun sie uns vielleicht nichts.«
»Die sind so schwarz!«, flüsterte ich.
»Das sehe ich«, sagte Mama und setzte sich in Bewegung.
Mir blieb nichts anderes übrig, als ihr zu folgen. Oh Gott, hatte ich Angst! Am liebsten wäre ich davongelaufen. Schon hatten wir die vier Soldaten erreicht. Sie lächelten uns freundlich an. Ich starrte in ihre dunklen Gesichter – und muss dabei wohl reichlich bescheuert ausgesehen haben.
Die vier unterhielten sich, ich verstand kein Wort, einer zeigte dabei auf unsere Rucksäcke. Ein anderer ging zu Mama, nahm ihr den Rucksack ab, schaute hinein und zeigte den Inhalt seinen Kameraden. Die nickten. Dann nahmen sie mir meinen Rucksack ab.
Das war’s, dachte ich. Jetzt haben wir nichts mehr zu essen.
»What are your names?«, fragte einer Mama.
»Elisabeth and Inge Wagner«, sagte Mama.
»Is that your daughter?«, fragte er und zeigte dabei auf mich.
Mama nickte wortlos, um zu bestätigen, dass ich ihre Tochter bin.
»And where do you live? Where is your home?«
Mama zeigte den Feldweg geradeaus am Jeep der Soldaten vorbei auf unser Städtchen.«
Der Soldat nickte und wandte sich seinen Kameraden zu. Sie besprachen wieder etwas miteinander, das ich nicht verstehen konnte. Auch Mama zuckte nur mit den Schultern, als ich sie fragend anschaute. Dann schienen sie sich geeinigt zu haben. Einer nahm unsere beiden Rucksäcke. Für seine starken Arme waren sie wohl kaum schwerer als eine Schultasche.
Ein anderer sprach Mama an: »Take us to your home!«
Mama nickte, sie hatte ihn verstanden.
»Was hat er gesagt?«, fragte ich vorsichtig.
»Wir sollen ihn zu uns nach Hause bringen«, antwortete Mama. Sie sah furchtbar blass aus.
»I am Robert«, sagte der Große, der unsere Rucksäcke hielt. »You can call me Robby. This is my friend Sam.«
Mama nickte. »Sie heißen Robby und Sam«, sagte sie zu mir.
»Yeah!«, rief der Große, der Robby hieß, und grinste. »Robby and Sam! That’s right! Come on, ladies!« Dann stiefelte er los, in jeder Hand einen schweren Rucksack. Sam, Mama und ich folgten ihm. Was sollten wir auch sonst tun?
Auf dem Weg in unsere kleine Stadt versuchten die beiden Soldaten sich mit Mama zu unterhalten. Mama war tapfer und versuchte alles zu verstehen und immer zu antworten, aber ihr war anzumerken, dass sie sich furchtbar unwohl fühlte und bestenfalls ein Viertel von dem verstand, was Robby und Sam sagten oder fragten. Was hatten sie nur vor?
Als wir durch die Stadt gingen, staunten die Leute nicht schlecht, dass zwei amerikanische Soldaten Mama und mich begleiteten. Schließlich hatten wir unser Haus erreicht. Mama schloss die Tür auf und ging vor. Robby, Sam und ich folgten ihr ins Wohnzimmer. Dort stellte Robby die Rucksäcke auf den Boden. Sofort fiel sein Blick auf das Klavier, das an der Wand stand und auf dem Mama schon lange nicht mehr gespielt hatte. Als ich noch klein war, hatte sie sich oft an das Klavier gesetzt und mir etwas vorgespielt, oft auch mit mir gesungen. Aber seitdem Papa im Krieg umgekommen war, hatte sie den Deckel, der über den weißen und schwarzen Tasten lag, kein einziges Mal mehr geöffnet.
Robby ging zu unserem Klavier, öffnete den Deckel und drückte mit seinen kräftigen Fingern auf ein paar Tasten. Nein, er konnte nicht Klavier spielen, das merkte ich sofort.
Er nickte Mama zu: »Can you play, Elizabeth?«
Mama wiegte den Kopf und sagte: »Yes, I can.«
Robby strahlte. »Please, play for us!«, rief er. »We love music, don’t we, Samy?«
»Yes, we do«, sagte Sam.
Was sollte Mama tun? Sie zog den Hocker unter dem Klavier hervor, setzte sich darauf und griff nach den Notenblättern, die oben auf dem Klavier lagen. Sie schaute sie durch, entschied sich für ein Blatt, stellte es vor sich auf den Notenhalter und begann zu spielen. Robby blieb neben dem Klavier stehen, Sam setzte sich auf unser Sofa. Mama spielte eine schöne Melodie, etwas Klassisches, so viel konnte ich erkennen. Vielleicht ein Stück von Schubert oder von Beethoven. Als sie fertig war, klatschten die beiden Soldaten in die Hände.
»And now something funny!«, rief Robby.
»Etwas Lustiges wollen sie hören«, murmelte Mama, griff wieder zu ihren Notenblättern, schien aber nichts Passendes zu finden. Da fiel mir ein Lied ein, das sie früher für mich gespielt hatte.
»Spiel doch den Kaktus!«, sagte ich.
Mama drehte sich zu mir um. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Aber nur, wenn du mitsingst, Inge.«
»Ich kann es probieren«, sagte ich.
Dann begann Mama zu spielen und zu singen:
Blumen im Garten,
so zwanzig Arten
von Rosen, Tulpen und Narzissen,
leisten sich heute
die kleinsten Leute.
Das will ich alles gar nicht wissen.
Mein kleiner grüner Kaktus steht draußen am Balkon.
Hollari, hollari, hollaro!
Was brauch’ ich rote Rosen? Was brauch’ ich roten Mohn?
Hollari, hollari, hollaro!
Das Lied hatte vier oder fünf Strophen, Mama konnte sie alle auswendig. Ab der zweiten Strophe sang ich mit. Doch nicht nur ich! Auch Robby und Sam fielen ein, jedenfalls bei jedem »Hollari, hollari, hollaro«. Sie hatten kräftige Stimmen und konnten gut singen. Robby klatschte im Takt, Sam trommelte mit seinen Händen auf der Tischkante. Dann fiel sein Blick auf die Trommel, die neben dem Sofa auf dem Boden stand – auf meine Trommel!
Er nahm sie auf den Schoß und begann, darauf zu trommeln, während er und Robby fröhlich im Takt wippten und bei jedem »Hollari, hollari, hollaro« mitsangen. Das war doch die Trommel, die Papa mir geschenkt hatte! Ich schaute besorgt auf Sams starke Finger, die er auf dem Trommelfell tanzen ließ.
