2,99 €
Im Gegensatz zu seinem Zwillingsbruder Jan ist Jens schüchtern und introvertiert. Während sein Bruder zu einem gut aussehenden, selbstsicheren Mann heranwächst, bleibt Jens in seiner Schüchternheit gefangen. Nachdem er die Hoffnung auf die große Liebe schon fast aufgegeben hat, lernt er Doris kennen, die ihn zwar zum Mann macht, aber auch noch andere, sehr dunkle Eigenschaften mitbringt. Als er begreift, was er sich mit Doris aufgehalst hat, steckt er schon zu tief im Strudel der Geschehnisse. Das ist Jens' Geschichte. HART UNGESCHÖNT SCHONUNGSLOS Mit den Erlösen aus dem Buchverkauf unterstützt Lamia Flos den Weißen Ring e.V.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2025
© 2024 by Lamia Flos
Lektorat, Korrektorat und Satz: Jasmin Kraft
Cover: Jasmin Kraft
Bildnachweis: Adobe Stock #666936988
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist die Autorin verantwortlich. Jede Verwertung ohne ihre Zustimmung ist unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag der Autorin, zu erreichen unter: Stark Autorenservice, Abteilung »Impressumsservice«, Untere Au 6b, 93426 Roding, Deutschland.
Vorwort
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Nachwort
Hilfe für Betroffene
Weitere Bücher von Lamia Flos
Lange Zeit lebte ich mit der Scham, von meiner Partnerin sexuell missbraucht und misshandelt worden zu sein.
Noch heute frage ich mich, wie mir das passieren konnte. So etwas geschieht doch keinem Mann – und mir schon gar nicht. Schließlich bin ich intelligent, habe eine Klasse übersprungen und mir als Autodidakt selbst Programmieren beigebracht. So blöd kann ich doch nicht sein, oder?
Doch das bin ich – beziehungsweise war ich –, denn wenn das ganze Blut ins Gemächt fließt, stirbt das Gehirn den Idiotentod. So war es damals bei mir, und so könnte es jederzeit einem von euch gehen. Ich hinterfragte nichts, ahnte nichts und lief mit einem notgeilen Grinsen in mein Verderben.
Nachdem ich all das hinter mir hatte, war ich überzeugt, dass so etwas nur einem Loser wie mir passieren konnte. Heute weiß ich, dass es jedem passieren kann, wenn er an die falsche Frau oder generell den falschen Partner gerät.
Ich habe im Internet ein wenig recherchiert und herausgefunden, dass wohl nur etwa 18 % der Opfer häuslicher Gewalt Männer sein sollen. Persönlich bin ich aber davon überzeugt, dass die Dunkelziffer sehr viel höher ist, weil ich weiß, wie es sich anfühlt, betroffen zu sein. Nur die Wenigsten zeigen die Täterin an, weil die Scham über das Geschehene viel zu groß und die Bereitschaft, sich die Tatsache des Missbrauchs einzugestehen, viel zu klein ist. Dabei ist dies der erste Schritt in ein neues Leben.
Oftmals sehen andere Menschen das Problem, bevor die Betroffenen es selbst sehen. Ich kann diesen Leuten nur immer wieder zureden, beharrlich zu bleiben, sich nicht mit Ausreden abspeisen zu lassen, sich festzubeißen und nicht locker zu lassen, denn der Weg zur Einsicht ist oft hart und für Betroffene kaum zu beschreiten. Wenn ihr euch abwimmeln lasst, habt ihr schon weggesehen.
Nach all den Jahren habe ich mit vielen anderen Männern gesprochen und geschrieben, die Ähnliches erlebt haben wie ich. Ein großes Bedürfnis Betroffener ist es, herauszufinden, ob man allein mit seinem Erlebnis ist. Nein, das ist man nicht. Auch wir Männer sind viele, wir sind nur schwieriger zu finden.
Leider gibt es kaum Bücher mit männlichen Protagonisten (der Begriff Opfer ist meiner Meinung nach nicht so schön), daher habe ich mich bei Lamia Flos gemeldet und um eine Stimme für mich und alle anderen gebeten.
Es tat gut, mir alles von der Seele zu reden, auch mal zu weinen und zu reflektieren. Ich fühle mich jetzt besser. Leichter. Deshalb freue ich mich umso mehr, dass es geklappt hat und meine Geschichte hoffentlich dazu beiträgt, Aufklärungsarbeit zu leisten und andere für mögliche Anzeichen des Missbrauchs und der Misshandlung zu sensibilisieren.
Ihr könnt das, was euch passiert ist, nicht ungeschehen machen, aber ihr könnt die Täter ins Rampenlicht zerren und zeigen, dass ihr nicht schweigen und nicht weichen werdet. Keinen Millimeter.
»Wohin gehen wir?«, fragte der kleine Junge neugierig.
»Weit, weit weg«, sagte der traurige Mann.
»Und wo ist weit weg?« Der Junge schaute neugierig zu ihm auf, und in seinen Augen las der Mann, was er längst verloren geglaubt hatte: Hoffnung.
Mit fliegenden Fingern warf ich die letzten Sachen in meine Reisetasche. Eilig hastete ich von Raum zu Raum, suchte zusammen, was mir wichtig erschien, und versuchte, nicht in Panik zu geraten.
Ruhig, Jens, redete ich mir selbst gut zu, du hast mehr als genug Zeit.
Ich versuchte, etwas runterzukommen, atmete ein paarmal tief durch und packte weiter. Klamotten, Hygieneartikel, eine kleine Reiseapotheke, Dokumente und Bargeld wurden eingesammelt und verstaut. Ich raffte zusammen, was in diese eine Reisetasche passte, denn ich wusste bisher nicht im Detail, was mich in der Zukunft erwarten würde.
Zukunft?
Wenn ich eine haben wollte, dann musste ich jetzt handeln. Jetzt oder nie.
Ich hätte fast gelacht, wenn es nicht so schlimm gewesen wäre. Dass solch eine blöde Floskel einmal wichtig für mich sein würde, hätte ich nie gedacht. Während ich ein letztes Mal durch das Haus ging, flimmerten Bilder von früher an meinem inneren Auge vorbei. Passierte so etwas nicht angeblich, wenn man starb? War das so? Starb ich gerade?
Abschied ist ein bisschen wie sterben, ging mir der Liedtext eines bekannten Schlagers durch den Kopf.
Nein, ich starb ganz sicher nicht, dafür schlug mein Herz zu schnell. Fast schon schmerzhaft hämmerte es gegen meine Rippen, und ich hatte Mühe, genügend Sauerstoff in mich hineinzupumpen.
Was, wenn sie früher zurückkommt? Nur der Gedanke, der Hauch dieser schrecklichen Möglichkeit, ließ mich würgen. Im Minutentakt verlor ich meine Fassung, sammelte mich wieder und brach innerlich erneut zusammen. Es war verstörend, was Angst mit einem machen konnte.
Im Badezimmer entdeckte ich noch etwas Valium. Wenn alles gut lief, würde ich sie nicht mehr brauchen, also riss ich mich zusammen und ließ sie dort.
Mein neues, hoffentlich besseres Leben würde ohne so etwas auskommen, müsste ohne so etwas auskommen, denn es würde ein kompletter Neuanfang werden. Mit allem Drum und Dran.
Das, worüber man sich oftmals nur hinter vorgehaltener Hand unterhielt, war mir passiert. Mir, einem Mann. Und nun floh ich aus meinem eigenen Haus, ließ alles hinter mir und pfiff auf mein altes Leben, das bis hierhin aus vielen Demütigungen und Schmerzen bestanden hatte.
Wie um Himmels willen hatte das alles nur passieren können? War ich das geborene Opfer? Der Prügelknabe?
Es war genug, denn ab jetzt ging es nicht mehr nur um mich.
Zu allem entschlossen riss ich mich zusammen, checkte noch einmal sämtliche Räume, um zu prüfen, ob ich nichts vergessen hatte, und ging zurück ins Schlafzimmer, wo die Tasche stand. Mit einem Seufzen, das fast in ein zittriges Schluchzen übergegangen wäre, schloss ich den Reißverschluss, schob eine Sonnenbrille über meine Augen, von denen eines noch immer leicht geschwollen war und grün-gelblich vor sich hin schimmerte, und rief ein Taxiunternehmen an.
»Hallo, Wilms hier.« Ich nannte meine Adresse und ergänzte: »Die Fahrt geht zum Flughafen Frankfurt. Zwei Personen, mein Sohn und ich. Wir warten unten.«
»Woher kommst du?«, fragte der kleine Junge den traurigen Mann.
»Hm, meine Eltern haben mich gemacht«, antwortete dieser.
»Haben deine Eltern dich lieb gehabt?«, löcherte der kleine Junge den traurigen Mann weiter.
Der schluckte schwer, wurde sehr nachdenklich und erwiderte schließlich: »Das weiß ich nicht so genau, aber ich hoffe, dass es vielleicht ein bisschen so war.«
Mein Name ist Jens, und ich bin jetzt Mitte vierzig.
Geboren wurde ich in den Achtzigern als einer von zweieiigen Zwillingen. Mein Bruder Jan kam einige Minuten vor mir auf die Welt. Damit war er der Ältere von uns beiden, was er mir zukünftig mehr als einmal unter die Nase reiben würde.
Unsere Eltern waren nicht unbedingt wohlhabend. Als wir geboren wurden, lebten wir im zehnten Stockwerk eines Plattenbaus in einer Großstadt in NRW. Unser Vater arbeitete Schichten in einem Stahlwerk, und unsere Mutter war eine ungelernte Schreibkraft bei einem Steuerberater. Diese Stelle hatte sie sich hart erkämpft, denn zuvor hatte sie in ebendieser Kanzlei nur als Putzhilfe gearbeitet, bis bei ihrem Chef eines Tages Not am Mann geherrscht und er dringend jemanden gebraucht hatte, der sich um die Ablage kümmerte, weil seine Vorzimmerdame unerwartet verstorben war. Ehe meine Mutter wusste, wie ihr geschah, tauschte sie Putzeimer gegen Schreibtisch und wurde zügig angelernt. Schon bald fand sie sich gut zurecht und wuppte das Vorzimmer, als hätte sie nie etwas anderes getan.
Sie besaß eine Eigenschaft, die ich von ihr geerbt haben sollte: Sie war Autodidaktin. Oftmals musste man ihr – wenn überhaupt – nur gewisse Grundinformationen liefern, und den Rest brachte sie sich selbst bei. Einfach so. Learning by doing.
So geschah es, dass meine Eltern zwar keine großen Sprünge machen konnten, aber auch keine Schulden hatten, und beschlossen, dass es nun an der Zeit sei, sich fortzupflanzen.
Als sie schließlich erfuhren, dass der gewünschte Nachwuchs im Anmarsch war und es auch noch Zwillinge würden, hielt sich die Freude zunächst in Grenzen, da zwei Kinder zudem eine größere Herausforderung wären als eins.
Wie bereits erwähnt, kam mein Bruder Jan vor mir auf die Welt. Er war ein kräftiges, gesundes Baby, mit einem blonden Lockenflaum, süßen runden Öhrchen und einem genügsamen Gemüt.
Ich war das genaue Gegenteil, und damit fing das Ganze auch schon an.
Bereits als Säugling war ich das schwache Glied in der Familie. Ich wog ein gutes Kilo weniger als mein Bruder, hatte kein einziges Haar auf dem Kopf und für einen so kleinen Menschen absurd große, abstehende Ohren. Noch dazu war ich ein Schreikind. Während mein Bruder klaglos jeden Tropfen Milch in sich hineinsog, den Mutters Brüste produzierten, hampelte und strampelte ich in ihren Armen und war kaum dazu zu bewegen, mich von ihr stillen zu lassen. Wenn es dann doch halbwegs klappte, nagte ich mehr an meiner Mutter, als dass ich saugte. Sie erzählte Jahre später immer wieder mal davon und nannte mich einen Vampir, der ihr die Nippel blutig gekaut hätte, und ich schämte mich stets entsetzlich, obwohl ich nichts dafürkonnte.
Irgendwann war sie so entnervt von dieser Prozedur, dass sie es nicht mehr ertrug und mich ans Fläschchen gewöhnte. So kam es, dass der bis dahin einzige innige körperliche Kontakt zu meiner Mutter sich vorerst erledigt hatte. Während sie meinen Bruder in ihren Armen stillte, lag ich neben ihr auf einem Kissen und nuckelte an der Flasche mit Fertigmilch, die sie mir mit ihrer freien Hand hinhielt. Fürs Bäuerchen kam ich noch kurz auf den Arm, danach wurde ich wieder in meine Wiege gelegt, in der Hoffnung, dass ich wenigstens für die nächsten zwei Stunden Ruhe geben würde.
Was ich nicht tat.
Meine Mutter versuchte alles, um mich zufriedenzustellen, aber ich war und blieb das schwierigere von uns beiden Kindern. Während Jan ein zufriedenes Baby war, das schon früh durchschlief, raubte ich meinen Eltern den letzten Nerv. Ich litt unter Koliken, trank eher schlecht als recht meine Milch und schrie so viel, dass ich bereits im zarten Alter von sechs Wochen einen Leistenbruch erlitt.
So ging es auch während der ersten drei Lebensjahre weiter. Jan entwickelte sich prächtig. Als er längst laufen konnte, war meine Mutter froh, dass ich immerhin schon allein saß, ohne umzukippen. Er krabbelte, lief und sprach eher als ich. In jeder Hinsicht war mein nur wenige Minuten älterer Bruder mir einen großen Sprung voraus, während ich hinterherhinkte wie ein nutzloser Klotz am Bein.
Auch äußerlich war Jan stets auf der Überholspur. Unsere Familienfotos zeigten ihn als pausbäckigen, kräftigen Jungen mit einem spitzbübischen Lächeln und gesunder Gesichtsfarbe, während ich wie ein kränklicher Troll neben ihm stand.
Meine Eltern erzählten mal, dass sie immer gedacht hätten, dass mein Bruder mich vermutlich absorbiert hätte, wenn nicht jeder von uns in einer eigenen Plazenta herangewachsen wäre. Und Jan fand das witzig und meinte, dass er mich dann vielleicht aufgefressen hätte. Damals wusste ich noch nicht, dass es einmal viele Momente in meinem Leben geben würde, in denen ich mir genau das wünschen würde.
Als wir etwa drei Jahre alt waren, kamen wir in den Kindergarten. Niemand hätte uns für Zwillinge gehalten. Jan war ein gutes Stück größer als ich und einfach ein bildhübscher Junge. Ich hingegen war klein, dürr, schwach und hatte Segelohren. Gegen Jans blonde Locken kam ich nicht an, mit meinen dünnen, nahezu weißen Flusen, die man kaum als Haare bezeichnen konnte. Während mein Bruder sich einer kindlich-niedlichen Haarpracht erfreute, reichte es bei mir nicht einmal für einen Haarschnitt, sodass ich immer noch wie ein Baby aussah, dem gerade der erste Flaum wuchs.
Auf dem Spielplatz war ich immer das Kind, das nicht allein auf die Rutsche klettern konnte, immer zuerst gefangen oder zuletzt zum Mitspielen aufgefordert wurde. Dafür hatte ich aber immer zuerst alle Puzzles fertig und konnte aus Lego die komplexesten Bauten zaubern.
Schnell kristallisierte sich heraus, dass ich zwar nicht der Stärkste und Hübscheste von uns beiden war, dafür aber andere Qualitäten besaß. Diese reichten jedoch nicht für eine unbeschwerte Kindheit.
Klug zu sein, brachte mir als kleiner Junge nicht viel, wenn es darauf ankam, mit den anderen mitzuhalten. So wurde ich schon als Kleinkind zum Außenseiter, der ständig im Schatten seines Bruders stand und von diesem mehr oder weniger mitgeschleift wurde, damit ich nicht vollkommen abseitsstand. Jan bemühte sich trotz seines jungen Alters nach Kräften, mich einzubeziehen, aber er war nicht immer zur Stelle, und was das bedeutete, würde mir über kurz oder lang schmerzhaft bewusst werden.
Der kleine Junge zupfte am Ärmel des traurigen Mannes.