Ich will ja nur dich! - Carly Phillips - E-Book
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Carly Phillips

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Beschreibung

Die Liebe kennt kein Drehbuch

Mehr als ein paar knappe Worte hat der Polizist Dare Barron noch nie mit der unnahbaren Liza McKnight gewechselt. Dabei begehrt er sie seit seiner frühen Jugend. Als Liza jedoch in Schwierigkeiten gerät, beschließt Dare kurzerhand, für ihren Schutz zu sorgen – und die beiden kommen sich plötzlich näher, als sie es je für möglich gehalten hätten. Doch Dare ahnt: Wenn er Liza nicht verlieren will, muss er ihr sein dunkelstes Geheimnis anvertrauen und sich seiner eigenen Vergangenheit stellen …

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CARLY PHILLIPS

Ich will

ja nur dich

Roman

Aus dem Amerikanischen

von Ursula C. Sturm

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Die Originalausgabe KARMA erschien 2012

bei The Berkley Publishing Group, New York

Vollständige deutsche Erstausgabe 05/2013

Copyright © 2012 by Karen Drogin

Copyright © 2013 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München

unter Verwendung von © Thinkstock

Satz und eBook: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-641-10270-8V002

www.heyne.de

Kapitel 1

Dare Barron kam auf die Polizeiwache, wo sein Erzfeind Brian McKnight mal wieder wegen Trunkenheit und Unruhestiftung verhaftet worden war. Dare hatte sich gerade bei einem Familientreffen von seiner Nachtschicht erholen wollen, als man ihn informierte, dass man den Kerl im Gerichtsgebäude nebenan dem Richter vorgeführt hatte. Aber jetzt war McKnight wieder da – in der Zelle ein Stockwerk tiefer.

Dare warf einen Blick auf die Uhr und fragte sich, wie lange es wohl dauern würde, bis sie kam, um ihrem Bruder aus der Klemme zu helfen. Jedes Mal, wenn McKnight in Schwierigkeiten geriet, war seine Schwester Liza sogleich zur Stelle, um das Chaos zu beseitigen. McKnight war ein reicher Kotzbrocken, der glaubte, sich mit dem Geld seiner Familie allerlei Sonderprivilegien erkaufen zu können.

Und Liza … Dare hatte keine Ahnung, was in ihrem Kopf vor sich ging. Er wusste nur, dass er sich jedes Mal freute, wenn sie zur Tür hereinkam. Was ihren Bruder anging, so bereute es Dare jedoch bitterlich, je seine Bekanntschaft gemacht zu haben. Seine Abneigung ging auf die Teenagerzeit zurück, genauer gesagt, auf eine Party, die McKnight damals organisiert hatte. Dare, der mit seinen fünfzehn Jahren so getan hatte, als wäre er schon um einiges älter, war auch auf besagter Party gewesen – und seither war sein Leben nicht mehr dasselbe. Ihm war sehr wohl bewusst, dass er die Vergangenheit nicht ändern konnte, doch seither war alles, was er tat, von seinem Drang nach Sühne bestimmt.

Aber wer auch immer den Spruch geprägt hatte, dass kein Verbrechen ungestraft bleibt, hatte noch nie von Brian McKnight gehört.

Oder von seiner Schwester Liza.

Dare sah von seinem Platz hinter dem Schreibtisch auf, als sie hereinstolzierte, als würde ihr die Wache gehören. Er scheute sich nicht zuzugeben, dass sie ihm schon seit seiner Teenagerzeit gefiel. Sie war drei Jahre älter als er. Ihre Eltern hatten sie und Brian aus der öffentlichen Schule genommen und auf eine private geschickt, aber jedes Mal, wenn sie mit ihren Freundinnen in die Stadt gekommen war, hatte sie alle Blicke auf sich gezogen.

Das tat sie auch heute noch. Dare betrachtete sie mit unverhohlenem Interesse. Sie trug einen klassischen schwarzen Rock und eine türkisblaue Seidenbluse. An jeder anderen Frau wäre das ein ganz gewöhnliches Outfit gewesen, aber Liza McKnight war alles andere als gewöhnlich. Der Rock war zwar nicht unanständig kurz, aber doch kurz genug, um die Aufmerksamkeit auf ihre verführerisch langen Beine zu lenken. Die gefährlich hohen schwarzen Lacklederschuhe mit den Schleifchen an der Ferse taten ein Übriges. Alles in allem bot Liza einen atemberaubenden Anblick – damenhaft und umwerfend sexy zugleich.

Das kastanienbraune Haar fiel ihr über die Schultern; der Pony war so geschnitten, dass er den Blick auf ihre goldbraunen Augen freigab.

Als sie beim Schreibtisch angekommen war, stützte sie sich mit beiden Händen auf der kalten Metalloberfläche ab und beugte sich nach vorn.

»Ich bin hier, um die Kaution für meinen Bruder zu hinterlegen.«

Na, das kam ja nicht weiter überraschend. Trotzdem schüttelte Dare den Kopf. Er konnte seine Enttäuschung nicht verbergen. »Wie ich sehe, schaufelst du ihm immer noch den Weg frei.«

Sie runzelte die Stirn, was ihre Grübchen noch besser zur Geltung brachte und sie noch anziehender wirken ließ. »Ich wüsste nicht, was dich das angeht.«

Wahrscheinlich hatte sie recht.

Er sog ihren warmen, exotischen Duft ein: eine verdammt heiße Mischung aus Vanille und Moschus. »Ich bin sicher, dass bereits alle Hebel in Bewegung gesetzt wurden, damit dein Bruder möglichst schnell freikommt«, bemerkte Dare. Er war heilfroh, dass der Schreibtisch seine untere Körperregion verdeckte.

Liza richtete sich auf. Sie wirkte ruhig, als hätte sie alles fest im Griff. »Die Freilassung auf Kaution ist bereits vor einer halben Stunde veranlasst worden. Ich verstehe nicht, wieso das jetzt so lange dauert. Kannst du zumindest schon mal anfangen, den Papierkram zu erledigen?«

Dare schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, ich habe Brian nicht festgenommen. Du musst auf den zuständigen Beamten warten. Nimm doch solange Platz.«

Im Wartebereich in der Ecke gab es drei Stühle. Liza setzte sich auf den, der Dares Schreibtisch direkt gegenüber stand, und schlug ihre herrlich langen Beine übereinander.

»Was hat er denn diesmal ausgefressen?«, fragte Dare, obwohl es ihm bereits bekannt war. Aber er wollte sich mit ihr unterhalten, und Brians Liste an Straftaten war das, was ihnen Gesprächsstoff lieferte.

»Trunkenheit und Unruhestiftung«, erwiderte sie emotionslos. Laut Officer Sam Marsdens Bericht hatte ihr Bruder Joe’s Bar in betrunkenem Zustand verlassen und war zu seinem Auto hinausgegangen, um das er in seinem Zustand einen weiten Bogen hätte machen müssen. Unterwegs hatte er eine Pinkelpause eingelegt und dabei die ganze Zeit über aus vollem Hals gegrölt.

»Das Übliche also«, stellte Dare fest.

Liza schloss kurz die Augen, und die dunklen Wimpern, die sich deutlich von ihrer zarten Haut abhoben, verliehen ihr ein verletzliches Aussehen. Am liebsten hätte Dare sie in die Arme genommen, um sie zu trösten.

»Es hätte nicht so weit kommen müssen. Officer Marsden hätte ihn auch einfach nach Hause fahren und die Sache auf sich beruhen lassen können.« Liza fixierte Dare mit einem fragenden Blick. Die Verletzlichkeit war wie weggeblasen, sodass er sich fragte, ob er sie sich nur eingebildet hatte.

Dare schüttelte verärgert den Kopf. »Wir sollen also einfach ein Auge zudrücken, wenn er das Gesetz bricht?«

»Habt ihr es denn wirklich so nötig, jemanden einzusperren? Gibt es keine richtigen Kriminellen, die ihr schikanieren könnt?«

Dare verdrehte die Augen. »Dein Bruder ist ein richtiger Krimineller.« Dares Tonfall war sanft, aber ernst. Liza tat ihm beinahe leid.

Sie sprang von ihrem Stuhl auf und begann in einem plötzlichen Anfall von Nervosität vor dem Schreibtisch auf und ab zu gehen, wobei sie wegen ihrer langen Beine nach jeweils zwei Schritten die Richtung wechseln musste.

Aus dem Augenwinkel heraus sah Dare, wie sich Sam näherte. »Da kommt der Officer, der Brian festgenommen hat.« Dare deutete mit dem Kopf auf seinen Freund. »Er weiß bestimmt, wie lange es noch dauert«, sagte er in beschwichtigendem Tonfall, denn er wollte Liza nicht noch mehr aufregen.

Er wusste selbst nicht, warum er sie provoziert hatte, einmal abgesehen von der Tatsache, dass es ihm zutiefst zuwider war, wenn sie die Augen vor der Wahrheit verschloss, was ihren Bruder anging.

»Danke.« Jetzt lächelte sie ihn an, und in ihren braunen Augen glänzte aufrichtige Dankbarkeit.

Dann hielt sie inne und holte zur Beruhigung tief Luft, ohne zu bemerken, dass sie damit Dares Aufmerksamkeit auf ihre sich hebenden und senkenden Brüste lenkte. Sie drehte sich um und steuerte ohne Umschweife auf Sam zu, um sich den Problemen ihres Bruders zu widmen.

Dare atmete tief aus und wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn. Wie gut, dass er gleich wieder nach Hause gehen konnte. Die Klimaanlage des alten Gebäudes pfiff schon aus dem letzten Loch, weshalb es im Inneren der Polizeistation genauso drückend heiß war wie draußen. Trotzdem war Liza vollkommen cool geblieben.

Dare rieb sich den Nacken, wo sich ein hartnäckiger Schmerz breitzumachen drohte. Es trieb ihn schier in den Wahnsinn, dass Liza ständig Entschuldigungen für ihren verkorksten Bruder fand. Dare wusste verdammt gut, was es hieß, einen Unruhestifter in der Familie zu haben, aber es wäre ihm nicht im Entferntesten eingefallen, das Verhalten seines Bruders Ethan zu entschuldigen. Auf der anderen Seite hatte es aufgrund dieser unnachgiebigen Haltung lange Spannungen zwischen ihnen gegeben, selbst als eine Versöhnung bereits möglich gewesen wäre. Zum Glück hatten sowohl er als auch ihr mittlerer Bruder Nash letztendlich doch eingelenkt. Der Unterschied bestand allerdings darin, dass sich Ethan geändert und nach Kräften darum bemüht hatte, seine Fehler in der Vergangenheit in Ordnung zu bringen. Brian McKnight hingegen zeigte keinerlei Reue, was Liza nicht zu stören schien.

Dare seufzte. Eigentlich sollte es ihm egal sein. Es war nicht sein Problem. Aber Liza war eine kluge, gebildete Frau und eine talentierte Architektin. Man könnte eigentlich annehmen, dass sie Richtig von Falsch unterscheiden konnte. Stattdessen holte sie immer wieder einen Mann auf Kaution aus dem Gefängnis, von dem sie sich schon vor langer Zeit hätte distanzieren sollen, ob er nun ihr Bruder war oder nicht. Brian musste für seine Taten zur Rechenschaft gezogen werden.

Und Dare wollte Liza in seinem Bett haben.

Huch? Er schüttelte den Kopf. Wo war denn dieser Gedanke so plötzlich hergekommen? Dare hatte Lizas Anziehungskraft nie geleugnet, zumindest nicht sich selbst gegenüber. Er hatte sie immer begehrt, auch wenn er nicht in ihrer Liga spielte. Aber im Augenblick hatte er eigentlich nicht daran gedacht. Oder vielleicht doch. Immerhin hatte er auf ihre Ankunft gewartet, und sein ganzer Körper war in Alarmbereitschaft gewesen.

Die beunruhigende Wahrheit lautete: Dare konnte es im Grunde kaum erwarten, dass McKnight das nächste Mal verhaftet wurde, denn das bedeutete, er würde Liza wiedersehen. Schlimmer noch, Dare hatte damals die Schule geschwänzt und war zu der verdammten Party gegangen, weil sie bei Liza zu Hause gestiegen war und er eine Gelegenheit gewittert hatte, dem Mädchen seiner Jugendträume zu begegnen. Aber Liza war an dem bewussten Tag gar nicht daheim gewesen, und für Dare war aufgrund der Ereignisse jenes Nachmittags auf einen Schlag alles anders gewesen.

Seitdem war mehr als ein Jahrzehnt vergangen. In der Zwischenzeit hatte sich Dare weiterentwickelt – und seine Gefühle für Liza waren noch stärker geworden. Ursprünglich war es eine jugendliche Schwärmerei gewesen. Er hatte viel an sie gedacht und sich … na ja, dabei ab und zu mal einen runtergeholt. Aber heute? Dare war erwachsen geworden, und wann immer er Liza sah, reizte sie ihn wie keine andere Frau, die er kannte.

Für ihn war sie die Frau, die ihn aus der Dunkelheit, die in seinem Inneren herrschte, ans Licht holen konnte. Er schüttelte energisch den Kopf. Das waren doch alles nur Hirngespinste. Träume, die niemals in Erfüllung gehen würden. Er hätte Liza gern für einen Unschuldsengel gehalten, aber er wusste, das war sie nicht. Indem sie Brian ein ums andere Mal aus der Patsche half, signalisierte sie ihm indirekt, dass sie sein Verhalten billigte – und zwar alles, was er je getan hatte. Genau deshalb war sie auch nicht viel besser als ihr Bruder. Oder Dare, so sehr er sich auch darum bemühte, ein besserer Mensch zu werden.

Aber das hielt Dare nicht davon ab, sie zu begehren, und verdammt noch mal, das Verlangen nach ihr war nicht nur körperlicher Natur. Er wollte wissen, wer sie war und wie sie tickte. Warum sie beim letzten Mal in hochhackigen schwarzen Stiefeln und engen Jeans aufgekreuzt war, weit entfernt von dem damenhaften Outfit, das sie heute trug, und mit offenem Haar, das sich in sexy Locken über ihren Rücken ergossen hatte. Natürlich fühlte er sich stets gleichermaßen zu ihr hingezogen, ganz egal, was sie anhatte.

Nicht dass ihm das irgendwie weitergeholfen hätte.

Denn trotz alledem sah sie in ihm nie mehr als einen lästigen Cop, mit dem sie sich abgeben musste, wenn sich ihr Bruder wieder einmal in Schwierigkeiten befand.

Er warf einen Blick auf die Uhr. Sein Dienst war offiziell schon lange vorbei. Dare griff nach seinen Schlüsseln und stand auf.

»Gehst du schon wieder nach Hause?«, fragte Sam grinsend.

Marsden war ein paar Jahre älter als Dare und ein enger Freund von ihm.

»Ja. Meine Schicht ist vorbei«, antwortete Dare.

»Bist du sicher, dass du nicht noch etwas warten willst?«, fragte Sam, wobei er ihn neugierig betrachtete.

»Warten? Worauf?«, fragte Dare.

Sam begann schallend zu lachen. »Du stellst dich absichtlich dumm, oder? Na gut. Willst du nicht warten, bis sie Liza McKnights Bruder rauslassen? Sie wartet in der Vorhalle auf ihn.«

Dare biss die Zähne zusammen, was seinen sich verschlimmernden Kopfschmerzen nicht gerade zuträglich war. »Warum sollte ich?« Ja, er stellte sich dumm. Warum, verdammt noch mal, sollte er auch zu seinen Gefühlen stehen und sich damit zum Gegenstand von Sams Witzen machen?

»Ich hab doch Augen im Kopf, Mann. Man muss schon blind sein, um nicht zu bemerken, wie du sie ansiehst.« Sam lehnte sich an den Schreibtisch und musterte Dare spöttisch.

Na großartig, offensichtlich standen ihm seine Gefühle deutlich ins Gesicht geschrieben.

»Dann hast du vermutlich auch bemerkt, dass sie meine Gefühle nicht erwidert?«

»Meine Güte, was seid ihr Männer bescheuert!«, stöhnte Cara Hartley, eine Kollegin und gute Freundin der beiden. Die drei hatten meistens dieselbe Schicht und verbrachten auch oft ihre Freizeit miteinander.

»Wo kommst du denn auf einmal her?«, fragte Dare.

Cara lachte, wobei ihr dunkler Pferdeschwanz auf und ab hüpfte. »Ich habe mich heimlich angeschlichen, während ihr zwei Hohlköpfe euch über Liza McKnight unterhalten habt.«

Dare schüttelte den Kopf und ließ ein Stöhnen hören. »Deine Meinung interessiert mich nicht die Bohne.«

»Doch, das tut sie.« Cara rempelte ihn mit der Hüfte an. »Du glaubst, du bist ihr egal, aber ich behaupte das Gegenteil.«

Dare blinzelte überrascht.

Sam grinste über das ganze Gesicht, und Dare verdrehte die Augen. Er konnte wirklich darauf verzichten, dass sich die beiden über Liza und ihn den Mund zerrissen.

»Die Sache ist die: Jedes Mal, wenn du dich mit Liza unterhältst, tadelst du sie, weil sie die Kaution für ihren Bruder zahlt. Ist es da ein Wunder, wenn sie gar nicht auf die Idee kommt, dass du auf sie stehst oder dass sie sich mit dir einlassen könnte?«

Dare massierte sich wieder den verspannten Nacken. »Können wir bitte das Thema wechseln?«

»Nein. Das Thema ist auf dem Tisch, und dort bleibt es, bis ich fertig bin. Nehmen wir einmal an, dass du zufällig … aus irgendeinem Grund … deine Einstellung ihr gegenüber änderst. Ich könnte mir vorstellen, dass sie dann auch ihr Verhalten ändern könnte.« Cara hob die Augenbrauen und musterte ihn mit ihren blauen Augen.

Dare ließ sich ihre Worte durch den Kopf gehen, obwohl er nicht vorgehabt hatte, Caras Überlegungen ernst zu nehmen.

»Denkst du, was ich denke?«, fragte Sam. »Dass das, was unser Frollein hier von sich gibt, durchaus einen Sinn ergibt?«

Cara sah Sam mit einem Schmollmund an. »Ich bin nicht euer Frollein«, brummte sie. Cara ging sofort in die Luft, wenn sie das Gefühl hatte, dass man sich ihr gegenüber herablassend verhielt, nur weil sie eine Frau war. »Ich denke gar nichts«, meinte Dare. Und er dachte auch nicht im Traum daran, über seine Gefühle zu reden.

»Aber vergiss nicht, dass du Liza meinem Gefühl nach durchaus rumkriegen kannst. Vorausgesetzt, du willst es überhaupt.« Cara zuckte die Schultern.

»Sagt dir das deine weibliche Intuition?«, fragte Sam. »Auf die ist nämlich Verlass, wie du weißt«, erinnerte er Dare.

Cara nickte zustimmend und grinste. »Danke für das Kompliment, Sam. Vielleicht lasse ich dir deinen unhöflichen Kommentar von vorhin doch noch einmal durchgehen. Eventuell darfst du mir sogar am Mittwochabend in Joe’s Bar einen Drink spendieren.« Dort trafen sie sich für gewöhnlich zur Ladies’ Night, weil sie am Donnerstag alle frei hatten.

Dare lachte, aber Sam hatte recht. Cara lag mit ihrer Intuition sowohl im Job als auch privat normalerweise richtig.

»Also, wie sieht dein Plan aus, Dare?«, fragte Sam.

Dare verdrehte die Augen. »Ich gehe nach Hause, wie ich bereits gesagt habe.«

»Aber …« Cara schüttelte den Kopf und stöhnte. »Okay, mach, was du willst. Wieso hört bloß nie jemand auf mich, obwohl ich immer recht habe?«

Sam grinste.

»Mein Dienst ist ebenfalls vorbei; ich komme mit«, meinte Cara, zu Dare gewandt. »Du auch, Sam?«

Er schüttelte den Kopf. »Nicht, ehe McKnight entlassen worden ist. Wir sehen uns morgen, Leute.«

Dare hob die Hand und nickte ihm zu.

Während sie hinausgingen, redete Cara über das Polizei- und Feuerwehrfest am Wochenende. Sie sollten dort den Verkaufsstand der Polizei betreuen, um Geld für das Jugendzentrum aufzutreiben, wo sie alle ehrenamtlich arbeiteten. Dare lachte zwar über ihre Witze und bewunderte ihren Sinn für Humor, aber auch Caras Gegenwart half ihm nicht dabei, Liza zu vergessen, die sie auf dem Weg nach draußen noch einmal passierten. Sie saß allein in der Vorhalle und wartete auf die Entlassung ihres Bruders. Die Mischung aus Wut und Verletzlichkeit, die sich in ihrem Gesichtsausdruck widerspiegelte, weckte bei Dare einen so starken Beschützerinstinkt, wie er ihn noch nie zuvor einer Frau gegenüber empfunden hatte.

Liza trommelte mit den Fingern auf ihre Tasche, während sie darauf wartete, dass man Brian zu ihr brachte. Eigentlich müsste an der Tür der Ausnüchterungszelle ein Schild mit seinem Namen prangen, nach all der Zeit, die ihr Bruder dort bereits verbracht hatte. Schon bei dem Gedanken daran wurde ihr flau.

Sie schüttelte seufzend den Kopf. »Sei zumindest ehrlich zu dir selbst«, murmelte sie halblaut. Die Verhaftung ihres Bruders war nicht der Grund dafür, dass ihr flau im Magen war.

Der eigentliche Grund war Dare Barron. Der knackige Polizist, der stets im Dienst zu sein schien, wenn ihr Bruder verhaftet wurde. Der Mann, der sie immer musterte, als wäre sie die heißeste Schnitte weit und breit und zugleich die dümmste Verbrecherkomplizin auf Erden.

Als wäre ihr nicht klar, was sie tat. Sie war sich dessen sehr wohl bewusst. Aber sie hatte keine andere Wahl. Brian gehörte zur Familie. Er war ihr Bruder. Außerdem schuldete sie ihm etwas.

Wie dem auch sei, sie musste sich deswegen vor Dare nicht rechtfertigen, wenngleich er der Inbegriff eines »großen bösen Bullen« war. Schon beim Anblick seiner wunderschönen braunen Augen und seines dunkelbraunen Haarschopfs mit den goldenen Strähnen schmolz sie dahin. Aber das bedeutete nicht, dass sie irgendjemandem Rechenschaft schuldig war außer sich selbst. Das war sie noch nie gewesen, seit sie denken konnte. Und gerade jetzt, wo sie erwachsen war, würde sie ihre Unabhängigkeit bestimmt für niemanden mehr aufgeben.

Sie stand verärgert auf, weil Brian noch immer nicht da war. Sie konnte sich einfach nicht erklären, warum das alles so lange dauerte. Ihr Haus- und Hofanwalt, der in solchen Fällen stets zum Einsatz kam, war schon da gewesen und hatte seine Arbeit erledigt, und die Anklageschrift war diesmal zum Glück kurz. Wo also steckte Brian?

Schließlich hörte sie, wie ihr Name von einer rauen, männlichen Stimme genannt wurde. Sie drehte sich um in der Hoffnung, ihren Bruder zu sehen. Stattdessen erblickte sie Dare, der gerade Seite an Seite mit einer hübschen Polizistin zur Tür hinausging. Ihrem einträchtigen Lachen nach zu urteilen schienen sie sich nahezustehen. Liza wusste, dass die Frau Cara Hartley hieß und ein Jahr jünger war als sie selbst. Dare war mit seinen sechsundzwanzig Jahren sogar drei Jahre jünger als sie.

Liza verspürte einen völlig unangebrachten Anflug von Eifersucht, den sie sogleich bewusst verdrängte. Es konnte ihr egal sein, ob Cara und Dare befreundet waren oder mehr. Liza hatte mit ihrem straffälligen Bruder alle Hände voll zu tun. Eine Affäre mit einem der städtischen Polizisten war weiß Gott das Letzte, was sie gerade gebrauchen konnte.

In diesem Augenblick tauchte endlich ihr Bruder auf, als wollte er ihren Gedankengang bestätigen. Liza erhob sich und ging ihm entgegen. Inzwischen war er wohl wieder nüchtern, denn er wirkte eher in sich gekehrt und geknickt als erfreut, sie zu sehen. Da sie die Kaution bereits bezahlt und die entsprechenden Papiere unterschrieben hatte, konnten sie sich gleich auf den Weg machen. Lizas Magen knurrte, was sie daran erinnerte, dass sie den Großteil des Tages im Gericht und auf der Polizeistation verbracht hatte.

»Willst du etwas essen?«, fragte sie, sobald sie im Auto saßen.

Er nickte. »Aber noch dringender brauche ich eine Dusche. In diesem Aufzug kann ich nirgendwohin gehen.«

Ach, jetzt machte er sich auf einmal Sorgen um sein Image?

Sein Hemd mit dem weißen Kragen war verknittert und schmutzig. Er sah aus, als käme er direkt von einer vierundzwanzigstündigen Sauftour. Was nicht der Fall war. Liza hatte ihn am Vormittag noch in McKnights Architecture, der Firma, die ihr Großvater gegründet hatte und für die auch Brian tätig war, bei der Arbeit angetroffen. Brian arbeitete dort als Buchhalter. Er trug allerdings wenig Verantwortung und hatte einen Vorgesetzten, der seine Leistungen überwachte. Dafür hatte ihr Vater wohlweislich gesorgt, ehe er in Rente gegangen war.

»Fahr mich doch erst einmal nach Hause, und während ich dusche, besorgst du etwas zu essen«, fuhr Brian fort.

Es war kein Vorschlag, wie Liza feststellte.

Sie umklammerte das Lenkrad etwas fester. »Wie wäre es, wenn ich dich zu Hause absetze und ich dann wie jeder normale Mensch essen gehe? Du kannst für dich selbst sorgen. Ich habe dich gerade gegen Kaution aus dem Knast geholt. Reicht das nicht?«

Er kniff sie in den Arm. »Du weißt doch, dass ich dir dankbar dafür bin, Liza Lou.« Der Spitzname erinnerte sie an ihre Kindheit, an den Tag, an dem Brian zum ersten Mal den Zeichentrickfilm »Der Grinch« gesehen hatte.

Liza hatte ihr Haar damals meist zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, was Brian an Cindy Lou Who erinnert hatte. Damals hatte sie ihren Spitznamen gemocht; jetzt erinnerte er sie lediglich an den Bruder, den sie verloren hatte. Sie war sich nicht einmal sicher, wann genau er auf die schiefe Bahn geraten war. Fakt war: Seit seiner Jugend steckte er ständig in Schwierigkeiten.

Sie biss die Zähne zusammen, bevor sie weitersprach. »Wenn das stimmt, dann tu mir einen Gefallen und wirf mal einen Blick in den Spiegel.« Sie klappte die Sonnenblende herunter, auf deren Rückseite sich ein Spiegel befand. »Wer bist du, und was hast du mit meinem Bruder gemacht?«, fragte sie sanft.

Er schüttelte den Kopf und klappte den Blendschutz wieder hoch. »Du weißt, dass die Bullen in Serendipity alle Schweine sind«, murmelte er. »Sie haben es auf mich abgesehen.«

Sie hob eine Augenbraue, tat ansonsten aber, als hätte sie es nicht gehört. »Warum warst du heute Nachmittag nicht im Büro?«

»Ich hatte ein Geschäftsessen.«

»In Joe’s Bar?«, fragte sie bissig.

»Es ist doch wohl nichts falsch daran, einem Klienten einen Drink zu spendieren.«

»Und was für ein Klient war das?« Seit wann musste er sich als Buchhalter bei seinen Klienten einschmeicheln?

Brian ließ ein verärgertes Grunzen hören. »Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig«, schnarrte er, verschränkte die Arme vor der Brust und stierte aus dem Fenster.

Wieder tat sie, als wäre nichts gewesen. Es hatte keinen Sinn, ihn in ein Streitgespräch zu verwickeln. Außerdem waren sie ohnehin fast zu Hause.

In der Ferne sah sie das Haus auf dem Hügel, eines der Wahrzeichen der Stadt Serendipity, das sich stolz und majestätisch vor dem wolkenlosen Himmel abzeichnete. Früher war sie dort häufig zu Gast gewesen – sie war mit Faith Harrington befreundet gewesen, die in der Villa aufgewachsen war. Ihre Eltern hatten bis voriges Jahr dort gewohnt, bis Faiths Vater wegen schweren Betrugs ins Gefängnis gewandert war. Daraufhin hatte Dares Bruder Ethan Barron das Haus bei einer Auktion der Börsenaufsichtsbehörde erstanden.

Dare, Dare, Dare. Wie sollte sie je aufhören, an ihn zu denken, wenn er ihr allenthalben begegnete?

Liza schüttelte den Kopf und zwang sich, ihre Aufmerksamkeit auf etwas anderes zu lenken. Zum Beispiel auf die Villa, an der sie gerade vorbeigefahren war, und auf deren frühere Bewohner.

Liza war mit Faith zur Schule gegangen, zumindest bis Brian begonnen hatte, sich danebenzubenehmen und aus der öffentlichen Schule geflogen war. Lizas Eltern waren derart erzürnt gewesen, weil man ihren Sohn in einer Institution, für die sie Steuern bezahlten, so schlecht behandelt hatte, dass sie beide Kinder in einer Privatschule in der Nachbarstadt untergebracht hatten.

Sie hatten Liza einfach aus ihrem vertrauten Umfeld und Freundeskreis herausgerissen, ohne sich groß Gedanken darüber zu machen. Brian war ihnen schon immer wichtiger gewesen.

Eine Zeit lang war es Liza gelungen, mit Faith und ihren anderen Freundinnen in Kontakt zu bleiben, doch dann hatte sie sich mit den Mädchen an ihrer neuen Schule angefreundet, die fast alle in der Nachbarstadt wohnten. Sie war zwar noch ab und zu nach Serendipity gekommen, um ihre alte Clique zu treffen, aber es war nicht mehr dasselbe gewesen. Irgendwann hatte sie die alten Freundinnen aus den Augen verloren, und der Kontakt zu ihnen war abgebrochen.

Es hatte in ihrem Leben schon zu viele Menschen gegeben, die ihr den Rücken gekehrt hatten, deshalb hatte sie bereits früh gelernt, sich auf niemanden zu verlassen. Das einzige Mal, dass sie jemanden an sich herangelassen hatte, damals, im zweiten Studienjahr, war sie mit Timothy Barker belohnt worden, einem charmanten Kommilitonen, der etwas älter gewesen war als sie, und sie hatte den Impuls später bereut.

Liza schüttelte den Kopf. Sie wollte nicht an all die alten Geschichten denken. Es lag wohl an der Villa auf dem Hügel, dass ihre Erinnerungen sie einholten. Das alte Herrenhaus war nicht bloß ein Wahrzeichen der Stadt, es hatte für viele Menschen auch Symbolcharakter. Bei Liza beschwor es die Vergangenheit wieder herauf, und darauf konnte sie gut und gern verzichten.

Solange sie sich auf die Gegenwart konzentrierte, war alles bestens.

Sie dachte an ihre morgigen Termine. Zufällig stand als Erstes ein Treffen mit Faith Harrington an, die neuerdings mit Nachnamen Barron hieß und den Vorsitz des Spendenkomitees im städtischen Verschönerungsverein übernommen hatte, dem Liza vor Kurzem ebenfalls beigetreten war.

Inzwischen hatten sie ihr Ziel erreicht. Liza bog in die lange Einfahrt ihres Elternhauses ein, in dem Brian immer noch lebte. Das Haus war riesig und befand sich in einem der vornehmeren Viertel der Stadt, auch wenn es nicht ganz so nobel war wie die Villa auf dem Hügel. Lizas Eltern hatten ihren Hauptwohnsitz nach Palm Beach in Florida verlegt, hatten das Haus in Serendipity aber behalten, damit Brian weiterhin dort wohnen konnte. Liza hatte keine Ahnung, ob er ihnen Miete zahlte oder nicht, und sie wollte es auch nicht wissen. Sie trugen alle dieselbe Schuld, wenn es darum ging, ihm sein Lotterleben zu ermöglichen.

Liza war sich dessen bewusst, und ihr war klar, dass Dare mit der Einschätzung der Situation recht hatte. Aber, verdammt noch mal, was sollte sie denn sonst tun? Sollte sie Brian im Gefängnis verrotten lassen?

Nein. Nicht nachdem sie ohne es zu wollen ihren Beitrag geleistet hatte, damals, an jenem fatalen Tag, der sie beide nach wie vor verfolgte. Außerdem hatte Brian sie einst vor ihrem eigenen schlechten Urteilsvermögen gerettet und sie vor einem kolossalen Fehler bewahrt. Brian mochte zwar viele Fehler gemacht haben, aber er war das eine Mal, als Liza ihn gebraucht hatte, für sie da gewesen. Wer weiß, was ihr Exfreund ihr angetan hätte, wenn Brian nicht gewesen wäre.

Was nicht bedeutete, dass es ihre Pflicht war, auf Brian aufzupassen oder sich öfter als nötig mit ihm abzugeben. Sie hatte nicht vor, sein Kindermädchen zu spielen. Er war alt genug und konnte selbst entscheiden, ob er Hilfe brauchte oder nicht.

»Wir sind da.« Liza stellte den Motor ab und sah zu ihrem Bruder hinüber, der auf dem Beifahrersitz eingeschlafen war.

Das erklärte, warum es plötzlich so still gewesen war, dass sie allen möglichen Gedanken hatte nachhängen können.

Liza packte ihn am Arm und schüttelte ihn. »Brian!«

»Was ist?«, bellte er mürrisch.

»Du bist zu Hause. Geh rein und stell dich unter die Dusche«, befahl sie sanfter, als er es verdient hatte. »Und iss etwas.«

»Du bist die Beste, Liza Lou.« Er beugte sich zu ihr rüber und küsste sie auf die Wange.

Sie verzog das Gesicht und unterdrückte ein Würgen, als ihr der Geruch von Alkohol, Schweiß und Gefängnis in die Nase stieg, der ihn umgab. Mit Müh und Not presste sie ein »Gute Nacht« hervor.

Er öffnete die Autotür, stieg taumelnd aus und schwankte benommen zur Tür.

Liza wartete, bis Brian sicher im Haus war, bevor sie davonfuhr. Sie war erschöpft und freute sich darauf, in ihre Jogginghose zu schlüpfen und früh schlafen zu gehen. Bevor sie ins Bett fiel, würde sie sich nur noch schnell die Reste vom Vortag warm machen und essen. Morgen musste sie ausgeschlafen sein, denn da hatte sie eine Besprechung nach der anderen. Die erste um neun mit Faith.

Liza war dem Verschönerungsverein nicht ohne Grund beigetreten. In den vergangenen Jahren hatte er auf seinen Veranstaltungen ein Vermögen eingenommen, hatte das Geld aber in Stadtteile investiert, die bereits bestens in Schuss waren. Dieses Jahr hoffte Liza, die Mitglieder dazu animieren zu können, dass ein Teil der Gelder in das Jugendzentrum der Stadt floss, wo es wirklich gebraucht wurde.

Das Zentrum fungierte als Treffpunkt für Kinder, die von freiwilligen Helfern organisierte Kunst- und Musikkurse besuchen wollten. Sie konnten dort aber auch in einer sicheren Umgebung Sport treiben, Basketball spielen und dergleichen mehr. Das Zentrum lag Liza am Herzen, weil es Kindern eine Zukunft bot, die sonst womöglich keine gehabt hätten. Außerdem fragte sie sich zuweilen unwillkürlich, ob sich Brian anders entwickelt hätte, wenn es das Zentrum schon gegeben hätte, als er noch jünger gewesen war und angefangen hatte, aufmüpfig zu werden.

Wem machst du hier eigentlich etwas vor?, fragte sie sich mit einem Kopfschütteln. Ihrem Bruder hatte in seiner Jugend einfach eine feste Hand gefehlt, die ihm die nötige Disziplin beibrachte.

Aber im Zentrum gab es freiwillige Berater und Lehrer, denen es nichts ausmachte, den Kindern gegenüber eine strenge Haltung an den Tag zu legen. Unglücklicherweise herrschte in der Einrichtung jedoch chronischer Geldmangel. Auf dem Polizei- und Feuerwehrfest, das am kommenden Wochenende stattfinden sollte, wurde zwar für das Jugendzentrum gesammelt, aber auch damit konnten die Kosten nicht annähernd gedeckt werden. Und alles nur, weil die reicheren Einwohner von Serendipity, darunter auch Lizas Eltern, keine Lust hatten, den weniger Begüterten unter die Arme zu greifen.

Liza hoffte außerdem, dank ihrer Arbeit im Verein die Glaubwürdigkeit ihrer Firma in Serendipity etwas aufpolieren zu können. McKnights Architecture florierte nur aufgrund von Aufträgen für Geschäftspartner von außerhalb der Stadt. Ihre Arbeit sprach für sie. Aber hier, wo sie aufgewachsen war, hatte Brians schlechter Ruf auch dem ihren geschadet.

In den vergangenen zwei Jahren hatte Liza zwar an den Sitzungen des Verschönerungsvereins teilgenommen, hatte aber die hochnäsigeren Mitglieder gemieden, die versuchten, sie auszugrenzen. Erst allmählich hatte sie neue Bekanntschaften geschlossen und ihre Meinung kundgetan. Bei der Versammlung vorigen Monat war dann überraschend verkündet worden, dass Faith Harrington die neue Vorsitzende des Spendenkomitees wurde.

Das kam deshalb überraschend, weil Faith dem Komitee bislang gar nicht angehört hatte und die anderen Mitglieder teils enorme Vorurteile ihr gegenüber hegten, genau wie gegenüber Liza. Bei Faith lag es an den kriminellen Machenschaften ihres Vaters, aber ihr Mann hatte Geld. Gerüchten zufolge hatte Ethan Barron seiner Frau das Herrenhaus zur Hochzeit geschenkt. Damit war Faith zur aktuellen Besitzerin des Wahrzeichens der Stadt avanciert, was natürlich für ihre Eignung als Vorsitzende des Spendenkomitees sprach.

Liza hätte erfreuter nicht sein können. Sie hatte Faith schon als Kind gemocht, und es schien, als müssten sie sich nun beide gegen die Snobs der Stadt durchsetzen. Der Verein organisierte alljährlich eine Benefizveranstaltung – einen Ball für die soziale Elite, die Reichen und Schönen, und Liza hatte sich in den Kopf gesetzt, dass die dabei gesammelten Spenden diesmal an das Jugendzentrum gehen sollten. Sie hoffte, Faith für ihre Mission gewinnen zu können.

Liza war der Meinung, dass ihre Chancen ganz gut stehen müssten, es sei denn, Dare hatte seiner Schwägerin von der letzten Verhaftung ihres Bruders erzählt. Dann konnte es natürlich sein, dass sie sich mit ihrer Idee bei Faith einen Korb holte.

Liza seufzte. Wie auch immer es ausgehen mochte, sie würde es schon bald erfahren.

Kapitel 2

Liza betrat das Cuppa Café, den Coffeeshop an der Hauptstraße der Stadt, und hielt nach Faith Ausschau. Obwohl sie Faith seit vielen Jahren nicht gesehen hatte, erkannte sie die hübsche Blondine an einem der hinteren Tische sofort. Faith trug schlichte Jeans und ein pinkfarbenes, fließendes Top, das sie zerbrechlich wirken ließ. Doch Liza ließ sich davon nicht täuschen. Sie hatte das Interview gelesen, das Faith Elisabetta Gardelli vom News Journal im Herbst vorigen Jahres gegeben hatte, und sie wusste, Faith Harrington war kein bisschen zerbrechlich, sondern unglaublich stark und belastbar. Das musste sie auch sein, sonst wäre sie am Verrat ihres Vaters und ihres Exmannes zerbrochen.

Liza ging auf sie zu. »Faith?«

»Liza!« Faith erhob sich, und als sie sich umarmten, kam es Liza so vor, als wäre es erst gestern gewesen, dass sie sich gesehen hatten.

»Wie geht es dir?«, fragten sie beide wie aus einem Mund.

Lachend machte Liza es sich in einem Sessel bequem, und auch Faith nahm wieder Platz.

»Du zuerst«, befahl Liza. »Du bist verheiratet!«, bemerkte sie, weil der Klunker, der an Faiths linker Hand funkelte, unwillkürlich ihre Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. »Wunderschön«, kommentierte Liza den Diamantring und den dazu passenden Ehering.

»Danke!« Faith grinste breit und glücklich. »Wir haben uns ja eine Menge zu erzählen. Aber was hältst du davon, wenn wir uns erst einen Kaffee holen?«

Liza nickte, und sie gingen zum Tresen. »Dann lass mal hören«, sagte sie, als sie ein paar Minuten später mit ihren Tassen zum Tisch zurückkehrten.

»Im Grunde gibt es nicht viel zu berichten. Ich habe ein Geschäft für Inneneinrichtung eröffnet und helfe Ethan bei der Erziehung seiner Halbschwester Tess. Ich bin also ziemlich beschäftigt. Was ist mit dir?«

»Halbschwester?«, hakte Liza sogleich nach. Ehe sie über sich redete, wollte sie mehr über Faith und über diese Tess erfahren, die ja auch Dares Halbschwester war.

»Sag bloß, das hat sich noch nicht bis zu dir herumgesprochen?«, fragte Faith lachend.

Liza grinste. »Das kommt davon, wenn man nur die Arbeit im Kopf hat. Ich habe so viel zu tun, dass ich nicht viel Zeit für soziale Kontakte habe.« Und wenn sie Freunde traf, dann nicht in Serendipity.

Faith umschloss ihre Tasse mit beiden Händen. »Niemand hier wusste von Tess, ehe sie und ihre Schwester Kelly im Sommer letzten Jahres plötzlich aufgetaucht sind. Tess war ganz schön schwierig, aber inzwischen hat sie sich richig gut entwickelt«, berichtete Faith sichtlich stolz.

»Und Ethan? Wie habt ihr euch gefunden?«

»Ethan ist mir eines Tages über den Weg gelaufen, nachdem ich in die Stadt zurückgekehrt war.« Bei der Erwähnung ihres Mannes leuchteten Faiths Augen auf. »Das war kurz bevor Tess auf der Bildfläche erschienen ist. Ethan und ich haben … nun, nicht unbedingt dort weitergemacht, wo wir aufgehört hatten, wir waren als Teenager ja nicht zusammen. Aber wir haben uns schon damals definitiv zueinander hingezogen gefühlt …« Faith lief rot an.

Das klang für Liza, als würde mehr dahinterstecken. Und in Anbetracht der glänzenden Augen, die Faith gerade bekommen hatte, wollte Liza unbedingt eines Tages mehr darüber erfahren. Sie selbst glaubte zwar nicht an die große Liebe, aber deshalb war ja nicht ausgeschlossen, dass andere Menschen sie fanden.

»Ich freue mich riesig für dich, ehrlich.«

»Danke.« Faith lächelte. »Und nun zu dir.«

Liza nickte, wohl wissend, dass sie ein klein wenig von sich preisgeben musste. Sie beschloss, mit den unkomplizierten Details anzufangen. »Da gibt es eigentlich nicht allzu viel zu erzählen. Ich habe vier Jahre in New York studiert und gelebt, und nach dem Abschluss bin ich hierher zurückgekommmen, um ins Familiengeschäft einzusteigen.«

»Das war eine gute Entscheidung, oder?«

Liza überlegte kurz und nickte dann. »Ja. Meine Eltern sind nach Florida gezogen, sobald sie in Rente waren, deshalb kann ich jetzt das Unternehmen so leiten, wie ich es für richtig halte. Ich liebe es, alte Gebäude zu renovieren und auszutüfteln, wie man sie modernisieren und zugleich dafür sorgen kann, dass ihr ursprünglicher Charakter erhalten bleibt.«

»Klingt gut.« Faith blickte auf Lizas Hand. »Du trägst keinen Ring; bist du nicht verheiratet?«

Liza schüttelte rasch den Kopf. »Nein, bin ich nicht.« Um zu heiraten, müsste sie Vertrauen zu einem Mann fassen und ihn an sich heranlassen, auch auf die Gefahr hin, dass er ihr das Herz brach und ihre Seele verletzte oder womöglich sogar noch Schlimmeres.

Nein. Nie wieder.

»Mir sind unverbindliche Affären einfach lieber«, fuhr sie fort, wohl wissend, wie das klang, aber es war ihr egal.

Faith hob eine Augenbraue, enthielt sich jedoch jeglichen Kommentars.

Liza sagte auch nichts weiter dazu. Sie hatte schon vor langer Zeit aufgehört, sich dafür zu entschuldigen, wer sie war und was sie wollte. Was war schon dabei, dass hinter ihrer Entscheidung die Angst steckte, noch einmal jemanden völlig falsch einzuschätzen? Sie verhielt sich definitiv nicht wie jemand, der Angst hatte, und sie würde es auch niemals offen zugeben. Auf diese Weise konnte sie das Leben und ihre kurzen Affären genießen und ihren Spaß haben, ohne jemanden an sich heranzulassen und sich irgendwelchen Gefahren auszusetzen, und das war ihr ganz recht so.

»Jedem das Seine«, sagte Faith schließlich leichthin. Trotzdem fühlte sich Liza unter dem Blick ihrer goldbraunen Augen, denen nichts entging, unbehaglich. »Ich war vor Ethan schon einmal verheiratet, musst du wissen«, setzte Faith zu Lizas Überraschung hinzu. »Der Kerl war ein egoistisches Schwein. Er hat mich nur benutzt, um an meinen Vater heranzukommen und mich vermutlich vom ersten Tag an betrogen.«

Dieses unerwartete Bekenntnis bestätigte nur Lizas Vermutung, dass Faith viel mehr mitbekam, als sie sich anmerken ließ.

»Das tut mir leid«, sagte Liza, ohne zu erwähnen, dass sie den Artikel über Faith in der Zeitschrift gelesen hatte.

Faith lächelte. »Mir nicht. Es hat mich stärker gemacht, und ich habe Ethan gefunden.«

Eine bewundernswerte Einstellung, wie Liza fand.

»Wenn man uns so zuhört, könnte man glatt meinen, die Zeit wäre stehen geblieben«, sagte sie. Sie war erleichtert, dass ihre alte Freundin sich nicht verändert hatte und dass sich die Unterhaltung mit ihr so mühelos gestaltete.

»Das überrascht mich nicht weiter. Ich habe mich schon sehr auf unser heutiges Treffen gefreut, und ich bin froh, dass uns die Arbeit im Komitee wieder zusammengeführt hat.«

»Ich auch. Wo wir gerade davon sprechen: Wie kam es eigentlich, dass du den Vorsitz übernommen hast? Ich meine, nicht dass ich etwas dagegen hätte; ich arbeite natürlich viel lieber mit einer Freundin von früher zusammen als mit irgendeiner alten Schachtel.«

Liza grinste, und Faith brach in Gelächter aus.

»Caroline Bretton, die Präsidentin des Verschönerungsvereins ist eine Kundin von mir und eine Freundin meiner Mutter. Der Verein war ganz versessen darauf, die jährliche Benefizveranstaltung in meiner Villa abzuhalten, aber den Zuständigen war natürlich klar, dass Ethan sein Haus der Oberschicht von Serendipity niemals zur Verfügung stellen würde, nur weil man ihn höflich darum bittet.« Faith rümpfte die Nase als Zeichen ihrer Verachtung für diesen auserwählten Personenkreis.

Da Liza über die Vergangenheit der Barron-Brüder, die ursprünglich aus einem der weniger noblen Viertel der Stadt stammten, Bescheid wusste, konnte sie das gut verstehen. »Was hat dich denn bewogen, ihn dazu zu überreden und zudem eine so große Verantwortung zu übernehmen?«

Faith seufzte. »Ach, keine Ahnung. Ich weiß nur, dass Caroline mir geholfen hat, als ich mich selbstständig gemacht habe. Sie hat mir als eine meiner ersten Kundinnen einen Vertrauensvorschuss gewährt. Außerdem hat sie meiner Mutter zur Seite gestanden, als diese ihre Freundschaft offen gesagt gar nicht verdient hat.« Faith zuckte mit den Achseln. »Ich dachte wohl einfach, dass ich das Richtige tue.«

»Und Ethan? Was hält er davon, eure Villa für eine derart große Gala zur Verfügung zu stellen?«, wollte Liza wissen.

Faith verzog das Gesicht. »Es ist ihm ein Gräuel, aber er tut es für mich.« Plötzlich hatte sie wieder diesen verliebten, verträumten Ausdruck in den Augen.

Der Anblick verursachte Liza eine Gänsehaut. Sie war nicht nur ein wenig neidisch, sondern auch traurig. Da sie nicht gewillt war, eine Beziehung einzugehen, würde sie wohl nie einen Mann finden, der bereit war, alles für sie zu tun, nur weil sie darum bat. Aber das war ihre eigene Entscheidung, und solange sie sich dadurch frei und sicher fühlte, war sie zufrieden.

»Sollen wir dann mal zum geschäftlichen Teil übergehen?«, schlug Faith vor, ohne zu ahnen, woran Liza gerade dachte.

»Gern. Ich habe zwar überhaupt keinen Einfluss auf das Komitee und könnte nie den Vorsitz übernehmen, aber ich will unbedingt bei der Benefizveranstaltung mithelfen.« Liza breitete die Arme aus. »Ich stehe dir zur Verfügung. Du musst mir nur verraten, was ich tun soll.«

»Ich kann dir gar nicht sagen, wie dankbar ich dir bin.« Faith entnahm ihrer großen Handtasche einen Notizblock, Liza tat es ihr nach. Wie es schien, waren sie beide gleichermaßen organisiert.

Liza wusste, dass sie Faith ihr Vorhaben möglichst bald unterbreiten musste. Je früher, desto besser. Da sie sich gut mit Faith verstand, beschloss sie, keine Zeit zu verlieren. »Ich habe eine Frage zu den Einnahmen. Habt ihr schon darüber gesprochen, welche Projekte dieses Jahr finanziert werden sollen?«

Faith klickte mit ihrem Kugelschreiber. »Es war davon die Rede, einen neuen Pavillon auf dem Stadtplatz zu errichten«, antwortete Faith. Ihr Tonfall verriet allerdings, dass sie davon nicht allzu viel hielt. »Warum fragst du?«

»Ich habe da so eine Idee. Ich weiß mit Sicherheit, dass niemand einen Vorschlag ernst nehmen wird, wenn er von mir kommt …«

»Warum nicht? Als mir Caroline Bretton mitgeteilt hat, dass ich mit dir zusammenarbeiten werde, hat sie erwähnt, dass du schon seit mehreren Jahren im Komitee bist. Warum sollte man dir dann kein Gehör schenken?«

Liza schlug die Augen nieder. Jetzt war es wohl doch an der Zeit, das anzusprechen, worüber sie eigentlich lieber nicht reden wollte. »Der Name McKnight ist hier in Serendipity nicht gerade vertrauenerweckend, es sei denn, es geht um Architektur.«

»Wegen Brian?«, hakte Faith nach.

Liza schaute sie an. »Du hast es also schon gehört.«

Faith seufzte. »Natürlich erinnere ich mich an die Party damals und an den Tod von Stuart Rossman.« Sie sprach leise, voller Mitgefühl und ohne jeden Vorwurf in der Stimme.

Liza wurde flau bei der Erwähnung des Jugendlichen, der auf der Party ihres Bruders eines so sinnlosen Todes gestorben war. »Ja. Brian hat sich seither nicht groß geändert. Er ist kein bisschen besonnener geworden.« Genau genommen war es mit Brian sogar schlimmer geworden, woran sich Liza zum Teil selbst die Schuld gab. »Er war wegen allerlei kleinerer Delikte auch immer wieder im Gefängnis.«

»Das tut mir leid.«

Liza zuckte mit den Achseln und errichtete einen Schutzpanzer um ihre Gefühle, wie sie es immer tat, wenn es um Brian ging. »Danke, aber es ist, wie es ist. Das ist allerdings genau der Grund, weshalb niemand vom Komitee meine Ideen ernst nimmt. Du weißt ja, wie die meisten dieser alten Damen sind. Von denen werde ich mehr recht als schlecht geduldet.«

Faith seufzte. »Ja, ich weiß genau, was du meinst. Das nennt man dann wohl Sippenhaft. Meine Mutter haben sie ja auch geschnitten, und zur Vorsitzenden haben sie mich nur gewählt, weil sie unsere Villa brauchen.«

Liza konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Tja, wie heißt es so schön? ›Geteiltes Leid ist halbes Leid.‹« Sie schüttelte lachend den Kopf. »Wie ich diese Klischees liebe. Kein Wunder, dass sie sich so hartnäckig halten.«

Faith nickte. »Also, wie lautet dein Vorschlag?«

Liza wärmte sich die Hände an ihrer Kaffeetasse. »Ich würde die Einnahmen gern dem Jugendzentrum zukommen lassen, statt damit die ohnehin bereits perfekten Stadtteile von Serendipity noch weiter zu verschönern, was höchstens dem Namen unseres Vereins Ehre machen würde.« Sie begann zu erläutern, warum sie sich für das Zentrum engagieren wollte, doch Faith nickte bereits zustimmend und mit leuchtenden Augen.