4,99 €
Sonne, Strand und Palmen: Nach einer schmerzhaften Trennung kommt der neue Job als Fitnesstrainerin im Luxus-Resort Pureza auf Fuerteventura für Elana wie gerufen. Doch bereits die Anreise gestaltet sich etwas holprig, als ein Fremder ihr aufgrund einer Doppelbelegung die Kabine auf der Fähre wegschnappt. Ausgerechnet dieser Mann macht Urlaub im Pureza und wird regelmäßiger Gast bei Elana im Fitnessbereich. Beim gemeinsamen Training kommen Adrian und sie unweigerlich näher und die Beziehung zwischen ihnen wächst mit jedem Blick und jeder Berührung. Aber die oberste Regel im Pureza lautet: Keine Flirts mit den Gästen. Und obwohl Adrian alles gibt, um Elana zu beweisen, dass sie ihnen beiden eine Chance geben sollte, scheint er ihr etwas zu verschweigen …
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 465
Veröffentlichungsjahr: 2025
Tine Nell
Roman
Sonne, Strand und Palmen: Nach einer schmerzhaften Trennung kommt der neue Job als Fitnesstrainerin im Luxus-Resort Pureza auf Fuerteventura für Elana wie gerufen.
Doch bereits die Anreise gestaltet sich etwas holprig, als ein Fremder ihr aufgrund einer Doppelbelegung die Kabine auf der Fähre wegschnappt.
Ausgerechnet dieser Mann macht Urlaub im Pureza und wird regelmäßiger Gast bei Elana im Fitnessbereich. Beim gemeinsamen Training kommen Adrian und sie unweigerlich näher und die Beziehung zwischen ihnen wächst mit jedem Blick und jeder Berührung. Aber die oberste Regel im Pureza lautet: Keine Flirts mit den Gästen.
Und obwohl Adrian alles gibt, um Elana zu beweisen, dass sie ihnen beiden eine Chance geben sollte, scheint er ihr etwas zu verschweigen …
Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de
Tine Nell schreibt über große Gefühle und die Suche nach dem eigenen Weg. Ihre Geschichten spielen an Orten, die Fernweh wecken und mitten ins Herz treffen. Sie lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Siegen und findet ihre Ideen meistens, wenn sie unterwegs ist – sei es auf Reisen oder bei neuen Erlebnissen. Nach drei Monaten auf Fuerteventura verliebte sie sich in die Insel und beschloss, einen Roman zu schreiben, der dort spielt.
Erschienen bei FISCHER E-Books
© 2025 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, 60596 Frankfurt am Main
Dieses Buch wurde vermittelt durch die Literaturagentur Langenbuch & Weiß.
Redaktion: Michelle Stöger
Covergestaltung und -abbildung: www.buerosued.de
ISBN 978-3-10-492234-8
Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
Die Nutzung unserer Werke für Text- und Data-Mining im Sinne von § 44b UrhG behalten wir uns explizit vor.
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
Im Text enthaltene externe Links begründen keine inhaltliche Verantwortung des Verlages, sondern sind allein von dem jeweiligen Dienstanbieter zu verantworten. Der Verlag hat die verlinkten externen Seiten zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung sorgfältig überprüft, mögliche Rechtsverstöße waren zum Zeitpunkt der Verlinkung nicht erkennbar. Auf spätere Veränderungen besteht keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.
Dieses E-Book enthält möglicherweise Abbildungen. Der Verlag kann die korrekte Darstellung auf den unterschiedlichen E-Book-Readern nicht gewährleisten.
Wir empfehlen Ihnen, bei Bedarf das Format Ihres E-Book-Readers von Hoch- auf Querformat zu ändern. So werden insbesondere Abbildungen im Querformat optimal dargestellt.
Anleitungen finden sich i.d.R. auf den Hilfeseiten der Anbieter.
[Widmung]
Playlist
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Epilog
Danksagung
Für alle, die den Mut finden, ihren eigenen Weg zu gehen, auch wenn er ins Ungewisse führt. Jeder Neuanfang ist eine Reise, die dich näher zu dir selbst bringt.
Bella Mae – Compatible
Taylor Swift – I Can Do it With a Broken Heart
Eva Snyder – Cape Cod
Taylor Swift – Cruel Summer
Picture This, Dean Lewis – Middle of Love
Hugel – I Adore You
Taylor Swift – Who’s Afraid of Little Old Me
Morgan St. Jean – Me This Time
Karol G, Shakira – TQG
Dylan – The Alibi
Sadie Jean – Locksmith
Ovi Wood TGthekilla – Don’t Say You Love M, Pt.2
Counting Crows – Colorblind
Dean Lewis – The Last Bit of Us
Chance Peña – I am not who I was
Mein Handy vibrierte ununterbrochen. Ich konnte es durch den Stoff meiner Sporttasche spüren, die über meiner Schulter hing. Durch meine Sneakers sickerte Regen, mein blondes Haar klebte an meinen Wangen, die Sportleggins und das Top waren durchnässt. Es war September, zu kalt und zu regnerisch, um in einem knappen Sportoutfit durch die Straßen Berlins zu laufen. Doch das kümmerte hier niemanden. Oder ich bemerkte die Blicke der anderen Passanten nicht, die sich in der Innenstadt tummelten, weil ich höchstwahrscheinlich einen waschechten Nervenzusammenbruch hatte. Ich war so geladen, dass ich sogar kurz davorstand, mir die hautengen Klamotten mit dem dämlichen Pfirsichlogo vom Körper zu reißen. Ein Pfirsich. Natürlich. Ich kam mir unheimlich naiv vor, dass es für mich erst jetzt, nach einem Jahr Sinn ergab. You want to look hot at the Beach? Then get a booty like a Peach. Ich meine, wie dumm war dieser Slogan für ein Fitnessstudio eigentlich? Als wäre das alles, worum es ging, wenn man ein Gym wie das Peach betrat. Ich hätte gleich wissen müssen, dass Leo ein Mistkerl war. Ich war mir nicht mal mehr sicher, ob er es tatsächlich zwölf Monate ausgehalten hatte, keine anderen Hintern im Kopf zu haben, außer meinen. Ich hatte ihm vertraut, und jetzt war dieses bescheuerte Pfirsich-Logo seines Fitnessstudios auf meinen Klamotten das Einzige, was von unserer Beziehung übrig geblieben war. Abgesehen von dem ätzenden Tattoo auf meinem Handgelenk.
Leo hat mit mir Schluss gemacht und mich rausgeschmissen!, hatte ich vor wenigen Minuten meiner Schwester geschrieben. Ein paar Worte und ein Ausrufezeichen, das nicht im Ansatz ausdrückte, wie wütend ich war. Wütend, enttäuscht, geschockt. Clara drehte nach dieser Hiobsbotschaft höchstwahrscheinlich durch, schrieb sich die Finger wund und versuchte, mich zu kontaktieren. Aber ich fühlte mich außer Stande, mit ihr zu sprechen und etwas zu erklären, was ich selbst noch nicht verstand. Wie in Trance war ich aus dem Gym gestürmt, weg von ihm, weg von seinem bekümmerten Blick, den ich ihm nicht abgekauft hatte. Auch wenn er mir versichert hatte, dass er sich einfach nur von mir entliebt und ganz überraschend neu verliebt hatte, spürte ich, dass das nur die halbe Wahrheit war. Es hatte Zeichen gegeben, Ausreden, warum er länger im Studio geblieben war, weshalb er mich auf der letzten Fitnessmesse nicht hatte dabeihaben wollen. Angeblich wegen wichtiger Termine, die er alleine wahrnehmen musste. Früher hatte er mich jedem Geschäftskunden auf der Messe als seine beste Mitarbeiterin vorgestellt, als seine Freundin, die einen Einser-Abschluss im Sportstudium absolviert hatte und jetzt als Fitnesscoach arbeitete. Zwölf Monate später wurde ich eiskalt abgesägt. Ich hatte nicht gefragt, wer meine Nachfolgerin war, weil ich wusste, dass sie jung, sportlich und schön sein musste. Hundertpro mit einem knackigen Pfirsich-Hintern. Ich kannte seinen Geschmack. Jedes Mal, wenn ich ihn gefragt hatte, ob alles okay zwischen uns war, hatte er mich angelächelt und mir versichert, dass er verrückt nach mir war. Meistens hatten wir dann miteinander geschlafen.
Ich zwang die Tränen zurück, die sich in meinen Augen aufs Neue sammelten. An diesen Kerl würde ich keine einzige mehr verlieren.
Endlich erreichte ich mein Auto. Ich starrte auf den Aufkleber auf der Heckscheibe – den Pfirsich. Plötzlich schien dieses Logo überall zu sein. Erfolglos versuchte ich, den Sticker abzureißen, aber meine Finger waren zu nass und rutschten immer wieder ab, sobald ich versuchte, eine Ecke zu erwischen. Resigniert ließ ich es sein, schloss den Wagen auf, warf die Trainingstasche auf die Rückbank und stieg ein. Eine Weile blieb ich mit laufendem Motor in der Parklücke stehen. Neben mir hupte es. Parkplätze in der Innenstadt waren rar. Aber ich konnte mich nicht vom Fleck bewegen. Wie versteinert blickte ich durch die Frontscheibe, auf die der Regen prasselte, als wäre es der finale Trommelwirbel meines bisherigen Lebens. Nichts würde mehr so sein, wie es mal war. Jetzt war ich ganz offiziell arbeitslos, obdachlos und Single.
Vielleicht lag es daran, dass meine Synapsen durchbrannten und mein Gehirn in diesem Moment nicht mehr richtig funktionierte, als ich mein Handy aus der Tasche kramte, ohne von Claras Nachrichten Notiz zu nehmen und in der Suchleiste »Job als Fitnesscoach« eingab. Innerhalb von Millisekunden spuckte mir die Suchmaschine unzählige Einträge aus. Als würde mir die Zeit davonlaufen, scrollte ich mich durch die Anzeigen, überflog die zahlreichen Jobangebote. Bei einem Eintrag blieb ich hängen.
Personal Trainer*in für den Fitnessbereich in einem exklusiven Resort ab sofort gesucht.
Resort & Spa Pureza
Ort: Fuerteventura, Kanaren
Ich wusste nicht, was mich daran ansprach. Es war absurd. Nichts von dem, was ich las, passte zu mir oder meinem bisherigen Leben. Ich schluckte, die Tränen brannten in meinen Augen, brachen meinen Willen, stark zu bleiben. Mein bisheriges Leben. Ein Scherbenhaufen.
Ich machte einen Screenshot von der Anzeige, warf das Handy auf den Beifahrersitz und räumte den Parkplatz für die hupende Nervensäge.
Ich kann es nicht glauben, Elana. Fuerteventura. Das ist …«
»Verrückt, ich weiß.« Ich lehnte im Türrahmen meines Autos. Eine warme Brise wehte salzige Meeresluft zu mir herüber; ein Vorgeschmack auf das, was ich in dreißig Stunden ab sofort täglich einatmen würde.
Ich war die Erste in der langen Autoschlange, die darauf wartet, in den Bauch des riesigen Schiffes zu fahren, das vor wenigen Minuten angelegt hatte. Ich war noch nie auf einer Fähre oder einem anderen Schiff unterwegs gewesen. Von der wackeligen Paddelbootfahrt mit meiner Schwester im Familienurlaub mal abgesehen.
»Wie geht es Mama und Papa?«, fragte ich sie.
»Ich war heute kurz da. Sie haben geweint. Lange.«
»Dachte ich mir.« Ich spürte den Knoten im Magen, der seit ein paar Tagen da war und mich daran erinnerte, dass mein Neuanfang auch einen Abschied bedeutete. Ich hatte nicht mit einer Abschiedsparty gerechnet, weshalb ich fast ununterbrochen geweint hatte. Die Party war klein ausgefallen, mit den Personen, die mir am Herzen lagen. Meine Eltern, meine Schwester Clara und ihr Freund Moritz. Zwei von den vier Personen waren Feuer und Flamme für meine Pläne. Meine Eltern, und das ging nicht spurlos an mir vorbei, kamen nur schwer damit klar, dass ich ins Ausland ging.
»Sie werden es überleben und irgendwann verstehen.« Clara gab sich Mühe, überzeugt zu klingen, aber ich wusste, dass sie selbst nicht sicher war, ob ihre kleine Schwester einen riesigen Fehler machte. Und wenn ich ehrlich war, wusste ich es auch nicht.
»Verstehst du es?«, fragte ich sie frei heraus. Clara war für mich mehr als nur ein Mensch mit gleichem Erbgut. Sie war meine einzige Freundin, meine Verbündete, mein Vorbild, auch wenn ich immer genau das Gegenteil von ihr tat. Das hatte sich bis heute nicht geändert. Clara war die Verantwortungsvolle, die mit einem Plan. Niemand kannte mich so gut wie sie und niemand wusste so viel über mich und mein chaotisches Leben.
»Ja. Nein. Keine Ahnung.« Sie seufzte. »Aber es ist egal, was ich denke. Weil es dein Leben ist, Elana. Dich davon abzuhalten, etwas zu wagen und deinen Weg zu gehen, nur weil ich meine kleine Schwester vermissen werde, wäre egoistisch.«
»Du bist nie egoistisch.«
»Tja, das dachte ich auch. Aber ich habe in den letzten Wochen einige Argumente gesammelt, um dich davon zu überzeugen, bei uns in Berlin zu bleiben. Ich war kurz davor, dir meinen Lieblingspullover anzubieten, nur damit du nicht gehst.«
»Den mit den kleinen Erdbeeren? Den ich mir nie leihen durfte, als wir beide noch zu Hause gewohnt haben?«
»Japp.«
»Wow. Du hast mich wirklich gern.«
»Als ich damals als Erste ausgezogen bin, habe ich dich zurückgelassen. Jetzt gehst du. Ein bisschen weiter weg und nicht nur zwei Wohnblöcke, aber hey, es gibt Flugzeuge, und ich drohe dir jetzt schon mal an, dass ich dich besuchen komme, sobald mir meine Chefin freigibt.«
»Seit du Ärztin in der Kinderklinik bist, hattest du nie mehr als drei Tage am Stück frei.«
»Ich komme auch für drei Tage. Meine Schwester lebt bald auf einer Kanarischen Insel, auf der es nie regnet und es das ganze Jahr über warm ist. Ich habe endlich einen triftigen Grund dafür, das graue verregnete Berlin zu verlassen und stattdessen Cocktails am Pool zu schlürfen.«
»Im Pureza?« Ich schmunzelte. Ich kannte die Preise für Getränke dort nicht, geschweige denn für eine Übernachtung, doch ich war mich sicher, dass allein ein Cocktail ein Vermögen kostete. Laut Interneteintrag urlaubten nicht selten Stars und Sternchen dort, neben gutbetuchten Gästen, für die Geld keine Rolle spielte. Als ich mit Leo zusammen gewesen war, hatte ich ein bisschen Luxusluft schnuppern dürfen. Sein Gym lief gut, eine zweite Filiale war bereits geplant. Früher war ich mächtig stolz auf ihn gewesen, jetzt hoffte ich, dass Karma diese Ungerechtigkeit regeln würde. Vielleicht mit einer Ratteninvasion im Studio oder Schimmel an den Wänden. Ich war froh, dass Leo mich nach der Trennung nicht mehr kontaktiert hatte. Gleichzeitig war ich geschockt, dass sein altes Leben offenbar nahtlos in ein neues überging, ohne zu ruckeln. Meins hatte geruckelt. Sehr sogar. Aber ich war fest entschlossen gewesen, mich nicht dem Gefühl des Versagens hinzugeben. Tja, und jetzt stand ich hier, am Hafen von Cádiz, und wartete darauf, dass mich eine Fähre zu meinem neuen Wohnort brachte.
»Ich suche mir was Günstigeres. Dein Luxus Resort ist nicht das einzige Hotel auf Fuerteventura«, unterbrach Clara meine Gedanken.
Das stimmte. Aber es war das eindrucksvollste, luxuriöseste und einschüchterndste. Merkmale, die mich in der Anzeige, die ich vor ein paar Wochen im Auto gefunden hatte, abgeschreckt und gleichzeitig fasziniert hatten. Die Idee, Personal Trainerin in einem Luxusresort auf einer Insel zu werden, war mir abwegig und gleichzeitig phänomenal erschienen. Am selben Abend hatte ich eine Bewerbung geschrieben, nachdem ich mein Hab und Gut aus Leos Wohnung geschafft und mir bei Clara die Augen ausgeweint hatte. Von meiner Bewerbung erzählte ich ihr erst mal nichts, und um ehrlich zu sein, vergaß ich sie die darauffolgenden Tage, weil ich entweder weinte, schlief oder abends zu viel Wein trank, um mich an irgendwas zu erinnern. Es war hart, einzusehen, dass ich nicht mehr aufstehen musste, um das Peach morgens als Erste zu betreten, die Mails durchzugehen und die Mitglieder zu begrüßen. Leo und ich hatten große Pläne gehabt. Nicht nur, was meine leitende Funktion im Gym betraf, sondern auch privat. Wir wollten eine größere Wohnung für uns suchen, einen Hund adoptieren, den wir Peach nennen und mit ins Studio nehmen wollten. Wir wollten gemeinsam wachsen, die zweite Filiale in Berlin mit einer großen Party eröffnen. Ich dachte wirklich, dass ich bei ihm angekommen war.
»Das wird toll, Elana. Du bist mutig. Das warst du schon immer. Dafür bewundere ich dich.«
Mutig … Ich liebte es, Neues auszuprobieren. Aber bisher war es bei Dingen, wie Achterbahnfahren, nackt im See baden oder einem Fallschirmsprung geblieben. Auszuwandern und in einem Resort zu arbeiten stand eigentlich nie auf meiner Liste.
»Unsere Eltern glauben, dass es eine Kurzschlussreaktion ist«, erinnerte ich sie. »In ihren Augen bin ich nicht mutig, sondern unreif.«
»Das haben sie nie gesagt.«
»Aber gedacht. Ich habe es ihnen angesehen. Jedes Mal.«
»Sie machen sich Sorgen, dass du was überstürzt. Das ist normal. So sind Eltern.«
»Ja, klar.«
»Es verunsichert dich?«, hakte sie nach und traf damit ins Schwarze.
»Ihre Meinung ist mir wichtig, Clara. Auch wenn es mein Leben ist, ich hätte gerne ihre Unterstützung gehabt.«
»Gib ihnen Zeit. Und dir. Oder hast du etwa auch Zweifel?«
Wir schwiegen, Möwen kreischten über mir. Das Tor der Fähre öffnete sich knackend und knarzend, eine Rampe wurde ausgefahren.
»Ich muss auflegen. Es geht los.«
»Mach’s gut, Elana.« Ich hörte Claras Lächeln in ihren Worten und die Tränen. »Das wird super. Ganz bestimmt.«
Hola«, begrüßte ich die junge Mitarbeiterin am Empfang. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass es einen so einladenden Eingangsbereich auf einer Fähre gab, der ähnlich aussah wie die in einem Hotel. Wahrscheinlich nicht so eindrucksvoll wie der Empfangsbereich des Pureza, aber geschmackvoller, als ich erwartet hatte. Ich hatte Angst vor der Überfahrt gehabt und lange überlegt, ob ich nicht doch mit dem Flugzeug fliegen und alles andere zurücklassen sollte. Doch dann hatte ich mit dem Packen begonnen und musste ernüchtert feststellen, dass ich mehr als nur ein paar Koffer benötigen würde, um mein Leben mitzunehmen. Mit der Fähre auf die Insel zu kommen, hatte außerdem den großen Vorteil, dass ich mein Auto vor Ort hatte und mich nicht um ein neues kümmern musste. Mein lächerlich spärliches Spanisch dankte es mir.
Die Dame hinter dem Empfang nickte lächelnd und sagte etwas auf Spanisch, offensichtlich in der Annahme, dass ich sie verstand.
Ich linste auf meine Handfläche, auf der ich mir wie eine Grundschülerin ein paar Vokabeln und Sätze mit Kugelschreiber notiert hatte. Die wenigen Wochen zwischen dem Entschluss, Berlin zu verlassen und auf eine Kanarische Insel zu ziehen, hatten nicht ausgereicht, um in meiner Lernapp über das Touristenspanisch hinauszukommen. Ich hätte in der Schule besser in Spanisch aufpassen müssen. Alle Vokabeln waren nach den Tests und Arbeiten im Nirwana meines Hirns verschwunden.
»Lo siento, mi espanol es muy malo.« Ich gab mir Mühe, die holprigen Worte wenigstens schön zu betonen.
Die Frau verstand mich zum Glück. Wieder nickte sie.
»Welcome on Board. I need your Name, please.«
»Elana Meiss.«
Sie tippte auf ihrer Tastatur herum. »You’ve booked a cabin?«
»Yes.« Auch wenn die Schlafkabine mehr gekostet hatte, war sie mir jeden Cent wert. Nach der tagelangen Fahrt bis zum Hafen von Cádiz brauchte ich dringend Schlaf. Ich wollte einfach nur duschen und frische Klamotten anziehen.
Die Frau zog die Brauen zusammen, den Blick immer noch auf ihren Bildschirm gerichtet.
»Oh … I am so sorry, but we have a problem.« Sie wandte sich an ihren Kollegen neben ihr. Gedämpft und in einem Tempo, dem ich nicht folgen konnte, sagte sie etwas auf Spanisch. Der Kollege sah zum Computer, beugte sich herunter und tippte ebenfalls etwas ein. Jetzt machte auch er ein ernstes Gesicht.
Ich begann zu schwitzen, was nicht nur an der Temperatur im Eingangsbereich lag. Binnen Sekunden ging ich gedanklich meine Ticketbuchung durch. Ich war mir sicher, dass ich im Internet alles richtig gemacht hatte. Wenn ich nun aber auf der falschen Fähre gelandet war? Oder mich doch im Datum vertan hatte? Meine Hände wurden feucht. Hinter mir hatte sich eine Menschenschlange gebildet. Ein Baby schrie. Der Mitarbeiter rief einen Namen über die Köpfe der Wartenden. Ich war so überfordert, dass ich viel zu spät bemerkte, dass Sekunden später ein Mann neben mir stand, mit dem die Dame vom Empfang jetzt sprach. Erneut wurde auf der Tastatur herumgetippt. Der Typ neben mir sagte etwas auf Spanisch. Der Klang seiner Stimme ließ mich zu ihm blicken. Er war groß, gut einen Kopf größer als ich, hatte dunkles, fast schwarzes kurzes Haar, das er am Oberkopf etwas länger trug. Sein Teint war leicht gebräunt, sein Profil ziemlich perfekt. Eine gerade Nase, eine volle Unterlippe, die er in dem Moment missmutig verzog. Ich schätzte ihn auf Mitte zwanzig, aber auf keinen Fall älter als ich. Er trug ein weißes T-Shirt, auf dem ich keine einzige Falte sehen konnte. Dazu dunkle Jeans und schneeweiße Markensneakers.
»Sorry, Miss Meiss.«
Ich riss meinen Blick von dem Fremden los. Die Empfangsdame sah mich auf eine Art an, die keine guten Nachrichten versprach. »Theres an incorrect booking.«
»A double booking«, schaltete sich ihr Kollege ein, der erst mich und dann den Kerl neben mir zerknirscht ansah.
»Eine Doppelbuchung?«, murmelte ich, obwohl mich niemand verstand. »And that means what exactly?«
»Dass unsere Namen auf dieselbe Kabine gebucht wurden.«
Die dunklen Augen des Typen neben mir streiften mich nur für Sekunden, aber es reichte aus, um mir damit zumindest für den Moment den Atem zu rauben. Wow. Das waren wirklich schöne braune Augen. Erst danach realisierte ich, dass er mit mir auf Deutsch gesprochen hatte, was mich in dieser Situation irgendwie erleichterte.
»Okay, dann nehme ich eine andere. Kein Problem.«
Der Typ schnaubte. »Es gibt keine andere Kabine. Alles ausgebucht.« Sein abschätziger Tonfall machte ihn ein klein wenig unattraktiver. Aber wirklich nur ein wenig. Hinzu kam sein Akzent, die Mischung aus Spanisch und Deutsch, die schön klang. Niedlich. Auch wenn das Wort kein bisschen zu dem Kerl passte, der mich anblitzte als wäre ich seine Erzfeindin.
Ich kapierte langsam aber sicher, dass das hier tatsächlich ein Problem war.
Der Typ sprach wieder auf Spanisch mit den Mitarbeitenden – diesmal schneller und eindringlicher. Der scheue Blick der Frau zuckte zu mir, sie nickte, bevor sie hinter sich nach einem Schlüssel griff und … ihn dem Typen in die Hand drückte!
»Moment, halt«, schaltete ich mich ein. Nur widerwillig sah mich der Kerl an. »Was ist jetzt? Gibt es doch eine Lösung?«
»Die Lösung ist, dass ich die Kabine bekomme.«
Ohne mich noch einmal anzusehen, steckte er den Schlüssel in seine Hosentasche und schulterte seine Reisetasche. Bevor er aus der Reihe treten konnte, stellte ich mich ihm in den Weg.
»Moment. Das ist jetzt ein Scherz, oder?«
Doch der Blödmann ignorierte mich einfach und marschierte an mir vorbei.
Die Frau am Empfang sagte etwas zu mir, aber ich beachtete sie nicht. Sie war mir schließlich eiskalt in den Rücken gefallen.
»Ich habe genauso Anspruch auf die Kabine. Ich habe sie gebucht.«
»Aber ich bekomme sie, rief er zurück.«
Ich schnappte nach Luft und konnte nicht fassen, wie egoistisch dieser Kerl war. Ein paar Leute drängten sich an uns vorbei, warfen uns genervte Blicke zu, weil wir den Verkehr so lang aufhielten. Ich machte ihnen Platz, nahm meine Tasche, eine von vielen, die in meinem Auto lagerten, und folgte dem Mann. Zielstrebig steuerte er die Treppe an.
»Ich bin von Deutschland aus vier Tage mit dem Auto gefahren. Ich bin müde und muss duschen. Ich brauche diese Kabine.«
»Das ist nicht mein Problem. Ich brauche sie auch.«
Mit offenem Mund sah ich ihm nach. Er hatte sich nicht mal zu mir umgedreht. Jetzt lief er die Treppe nach oben und ich hatte genau zwei Möglichkeiten: Ihm zu folgen und nicht lockerzulassen oder diesem Arsch die Kabine zu überlassen und meine spärlichen Energiereserven nicht an ihn zu verschwenden. Ich entschied mich für Letzteres. Ich war erschöpft. Ausgelaugt. Kraftlos.
Plötzlich stand die Mitarbeiterin vom Empfang neben mir. Sie wirkte reumütig und deutete auf einen Raum, in dem mehrere Sessel aufgereiht standen, die mich an die Sitze im Flugzeug erinnerten. Sie versprach, dass ich mein Geld zurückbekommen würde, und entschuldigte sich mehrmals. Ich lächelte matt und versicherte ihr, dass es okay sei, obwohl das eine Lüge war. Ich fragte mich, was der Kerl zu ihr gesagt hatte, um seinen Willen zu bekommen. Oder sie hatte sich, wie ich zu Beginn, von seinem verdammt guten Aussehen blenden lassen.
Die nächste halbe Stunde, bis die Fähre ablegte, sah ich mich ein wenig um, damit ich später den Essensraum fand und wusste, wo die Toiletten lagen. Bei dem Gedanken, die Nacht ohne heiße Dusche und ein bequemes Bett hinter mich bringen zu müssen, braute sich wieder Wut in mir zusammen. Doch ich nahm mir vor, mir meinen Start in mein neues Leben nicht von einem egoistischen Kerl mit braunen Augen versauen zu lassen.
Als die Fähre ablegte, nahm ich auf einem der Pullmansitze Platz und schaute aus dem Bullauge hinaus aufs Wasser. Es war anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Es schaukelte nicht, und ich hatte das Gefühl, das Schiff würde auf Schienen fahren. Das beruhigte mich. Ich kaufte mir an der Bar einen Kaffee und ging aufs Deck. Hier standen ein paar Stühle und Sonnenliegen. Ich lehnte mich ans Geländer, trank meinen Kaffee und bestaunte die Aussicht auf das Meer. Der Wind pustete kühlere Luft als an Land über den Ozean, aber der Ausblick war atemberaubend. Ich kam im richtigen Moment, als die Sonne wie ein orangefarbener Ball auf die Meereslinie traf, um dann Stück für Stück darin zu versinken. Mein Herz schlug schneller, und der Anblick ließ mich die Strapazen der Reise vergessen, die letzten Wochen voller Anspannung und Zweifel daran, ob ich wirklich das Richtige tat. Ich dachte an Leo und mein gebrochenes Herz, an meinen Job im Peach und an das komplett neue Leben, das vor mir lag. Ich dachte an meine Familie und hoffte, dass das Vermissen mit der Zeit nicht größer wurde als die Freude auf meine Zukunft.
Mein Hochgefühl verschwand schlagartig, als ich auf dem Deck unter mir jemanden ausmachte, der mir sehr bekannt vorkam. Der Kabinen-Dieb lief zwischen den Autos hindurch, vorbei an den Hundebesitzern, die mit ihren Vierbeinern zwischen den parkenden Wagen spazieren gingen. Dabei achtete er penibel darauf, den Pipipfützen auszuweichen, die die Hunde hinterlassen hatten. Ich rollte mit den Augen und wunderte mich nicht, als er den protzigen schwarzen Geländewagen ansteuerte, der zwischen den anderen Autos wie ein Koloss aufragte. Es hatte ein spanisches Kennzeichen, so viel konnte ich erkennen.
Ich beobachtete, wie er etwas aus dem Seitenfach seiner Tür herausholte und dann zurücklief. Er hob den Kopf und unsere Blicke trafen sich. Ich biss die Zähne aufeinander und sah schnell weg. Ich hoffte, dass dieser Mistkerl in meiner Kabine schlecht schlief.
Nach dem Abendessen war es vor den Fenstern der Fähre stockdunkel. Der Gedanke, auf dem offenen Ozean zu sein, war ein wenig beängstigend, aber das war nicht das Problem, mit dem ich die nächsten Stunden zu kämpfen hatte. Während des Essens hatte ich die Veränderung bereits gespürt. Das Schiff begann zu schwanken, anfangs nur leicht. Aber mit jeder Stunde steigerte es sich, bis ich nicht mehr durch die Gänge laufen konnte, ohne mich irgendwo festzuhalten. Mein Magen fand das alles andere als angenehm, weshalb ich meine Reisetabletten herauskramte, um die Nacht zu überstehen. Der Wellengang nahm immer weiter zu, und ich fühlte mich elend. Ich beanspruchte zwei Sitze für mich, auf die ich mich seitlich legte und zu schlafen versuchte. Gedanklich verfluchte ich den Mann einmal mehr, der mich um mein Bett gebracht hatte.
Vollkommen gerädert stand ich am nächsten Morgen auf. Aber das Schiff schaukelte immer noch. Ich hatte Kopfschmerzen und bekam nur ein Glas Wasser und ein trockenes Brot herunter. Bis zum Anlegen zählte ich die Stunden und war eine der Ersten, die in ihrem Auto saß, als wir endlich den Hafen von Puerto del Rosario erreichten. Ich wollte runter von diesem Teufelsschiff, und zwar so schnell wie möglich.
Ich schwitzte. Ein warmer Wind strich über meine Wangen, als ich mit meinem vollbepackten Auto die Straße entlangfuhr. Ich fühlte mich, als wäre ich auf einem anderen Planeten gelandet. Um mich herum gab es nichts außer sandfarbenes trockenes Gestein, eine Landschaft, die karger und gleichzeitig eindrucksvoller nicht sein konnte. Rechts von mir ragten die Berge der Vulkanlandschaft auf. Am Himmel störte keine Wolke das satte Blau. Es wuchsen kaum Pflanzen, höchstens einige vereinzelte trockene Sträucher oder Kakteen. Es war ein grotesker Anblick, der mich einerseits irritierte, weil es noch viel mehr einer Mondlandschaft glich als auf den Fotos im Internet, aber noch mehr überwältigte mich, wirklich hier zu sein. Vielleicht lag es an dem Stress der langen Reise, der in diesem Augenblick von mir abfiel, oder daran, dass ich in dem Moment, als ich das Türkisblau des Meeres sah, realisierte, dass das hier mein neues Zuhause war. Auf dieser Insel in Braun und Blau würde ich ab sofort leben.
Die einstündige Fahrt vom Nordosten der Insel Richtung Süden verging schnell. Ich hatte das Radio eingeschaltet und lächelnd dem spanischen Radiosprecher gelauscht, den ich kaum verstand. Es folgten Songs, die ich nicht kannte, mir aber gefielen.
Und dann sah ich es. Auf einer Anhöhe gelegen, einsam und majestätisch ragte das Pureza auf. Weiß-beige Flachdachgebäude, neben einem Haupthaus, das einem Schloss glich. Das Resort war ein Mix aus traditionellen und modernen Elementen, umgeben von Palmen und der weiten Gebirgslandschaft.
Je näher ich auf das Gebäude zufuhr, desto mulmiger wurde mir zumute. Der großflächige Parkplatz war leicht zu finden. Vor dem Eingang sprudelte Wasser aus einem Brunnen.
Mit einem Feuchttuch tupfte ich mir den leichten Schweißfilm von der Stirn, schüttelte mein langes Haar auf und puderte mein Gesicht ab, um den Glanz auf meiner Haut zu kaschieren. Die Augenringe von meiner unfreiwilligen durchzechten Nacht ließen sich leider kaum mit Concealer überdecken. In Gedanken zeigte ich dem Kabinen-Dieb den Mittelfinger. Nachdem ich ausgestiegen war, überprüfte ich mein apricotfarbenes Sportoutfit auf Flecken. Es war eine der Kombinationen, die das Logo des Peach trugen und die ich notgedrungen mitgenommen hatte, weil ich in meinem Übereifer an alles, aber nicht an neue Sportklamotten gedacht hatte. Ich liebte die Qualität und den Sitz der Sachen, dennoch hätte ich sie lieber verbrannt. Außerdem wirkte sie hochwertig – zumindest meine Arbeitskleidung sollte den Eindruck vermitteln, dass ich hierhergehörte.
Während ich auf das einschüchternde Gebäude zulief, fühlte ich diese Zugehörigkeit nicht. Aber ich blieb optimistisch, dass sich das noch ändern würde. Es roch nach Rosen, obwohl nirgendwo welche wuchsen, und ein wenig nach Chlor. Vielleicht vom Pool? Eine Mischung, die neu und aufregend war.
Die Tür zwischen den Säulen öffnete automatisch. Auf dem glänzenden Boden spiegelte sich der Himmel, der durch die Glaskuppel über mir zu sehen war. Ein junger Concierge, der neben einen Kofferwagen stand, nickte mir zu. Vereinzelte Gäste saßen mit einem Kaffee auf weißen Sesseln im Foyer. Auf Glastischen standen Lampen mit Schirmen in Muschelform. An den Wänden hingen Gemälde in weißen und sandfarbenen Tönen. Leise Instrumentalmusik mischte sich mit dem Rauschen des Meeres, das vom anderen Ende des Raumes zu hören war. Geöffnete Flügeltüren führten auf eine einladende Terrasse.
Die Sohlen meiner Sneakers quietschten, als ich auf die makellos weiße Rezeption zuging. Dahinter standen ein junger Mann und eine Frau, die sich mit ihrer weißen Arbeitskleidung so perfekt in die Umgebung einfügten, als wären sie ein Teil des Mobiliars.
»Bienvenido a Pureza«, begrüßte mich die Frau. Sie hatte haselnussbraunes Haar, das zu einem straffen Zopf gebunden war und große braune Augen mit dunklen Wimpern. Ihr Lächeln wirkte freundlich, aber distanziert professionell. Der Typ neben ihr sah vom Computer auf und nickte mir mit einem ähnlichen Lächeln zu. Beide schätzte ich auf mein Alter.
»Hola.« Meine Stimme klang brüchig, eingerostet vom wenigen Sprechen. Ich räusperte mich und straffte die Schultern. Eine neu gelernte Sprache anzuwenden, war eine Herausforderung. Es war leicht, Vokabeln und Satzstellungen auswendig zu lernen, aber den Mut zu haben, das Gelernte laut auszusprechen, das war die eigentliche Hürde.
»Soy Elana Meiss, la nueve …« Ich stockte. Mist. Was hieß noch mal Personal Trainerin?
Die Miene der jungen Frau hellte sich auf. »Oh hey, Elana. Wir haben dich schon erwartet.« Sie streckte mir ihre Hand entgegen. »Ich bin Sina, aber eigentlich nennen mich alle Sunny.«
»Oh.« Ich schüttelte ihre Hand. »Du sprichst Deutsch.«
»Ich bin in Deutschland geboren, lebe hier aber schon, seit ich sechs bin.«
»Wo in Deutschland?«
»München. Und du?«
»Berlin.«
»Da war ich auch mal. Eine Freundin von mir…«
Der Kerl neben ihr hustete und stieß Sunny mit der Hand gegen die Hüfte, als eine Frau in weißem Leinenanzug, Perlenkette und schulterlangen schwarzen Haaren auf den Empfang zuhielt. Ihre Absätze klackerten auf dem Boden.
Estella – die Hotelmanagerin, die für das Personal zuständig war. Mit ihr hatte ich per Videocall mein Vorstellungsgespräch geführt. Sie war älter als ich, vielleicht Anfang dreißig, wunderschön und selbstbewusst. Das Gespräch mit ihr hatte mich unheimlich beeindruckt, weil sie auf mich wirkte, als wäre sie schon ein alter Hase im Hotelbusiness.
»Elana«, begrüßte sie mich auf Englisch. »Schön, dass du da bist.« Sie berührte meine Schultern und deutete rechts und links Wangenküsschen an. »Wie war deine Anreise?«
»Gut, danke.«
Estella nickte und deutete auf Sunny und ihren Kollegen. »Du hast schon Bekanntschaft mit Sina und Dario gemacht? Sie arbeiten am Empfang. Sina wird dich später herumführen und dir dein Apartment zeigen. Lass uns vorher in mein Büro gehen und kurz sprechen.«
Sina, oder Sunny, zwinkerte mir zu, als ich Estella folgte. Ich realisierte nicht, dass ich ab heute ein Teil des Pureza war, dass ich wie selbstverständlich täglich durch diese hübschen Flure laufen würde. Jeder Winkel in diesem Resort spiegelte wider, dass hier ein Platz für Superreiche geschaffen worden war. Vom Boden bis zu den Türklinken wirkte alles hochwertig und ästhetisch.
Estella führte mich in ein riesiges lichtdurchflutetes Büro mit Blick auf den Ozean. Die bodentiefen Fenster standen offen, die weißen Vorhänge blähten sich im salzig riechenden Wind.
»Schön, nicht wahr?«
Estella war meinem Blick gefolgt. Sie lächelte und entblößte dabei reinweiße gerade Zähne.
»Wunderschön«, sagte ich.
»Wie war das, du warst noch nie auf der Insel?«
»Nein. Auf Teneriffa. Aber das ist schon lang her.«
»Und jetzt lebst du hier.« Sie nahm hinter dem Schreibtisch Platz und deutete auf einen Stuhl davor. Ich setzte mich.
»Ich bin froh, dass wir so schnell jemanden wie dich gefunden haben, Elana. Die Gäste des Resorts legen viel Wert auf einen professionellen Trainer oder eine Trainerin. Du hast eine sehr gute Ausbildung und bereits Erfahrungen in einem Studio gesammelt. Wie lang war das noch mal?«
»Direkt nach meinem Studium habe ich ein Jahr dort gearbeitet.« In meinem Magen zwickte es. Ich hatte in den letzten Tagen viel Zeit dafür gehabt, über die Trennung nachzudenken. Aber eine Handvoll Tage reichte nicht aus, um ein Jahr Beziehung zu verarbeiten.
Sie nickte. »Wir sind ein junges Team im Pureza. Sina, Dario und die anderen werden dich alles Nötige wissen lassen. Mich findest du meistens hier.« Ihr Lächeln war aufrichtig, und das nahm mir die Sorge, dass ich sie nach dem Videocall falsch eingeschätzt hatte. Sie war wirklich nett. Aber auch anspruchsvoll.
»Wir freuen uns auf jeden Fall, dass du ab heute zum Team gehörst, und hoffen, dass es dir gefallen wird.«
»Da bin ich mir sicher, danke.«
Ihre Miene wurde ernster. »Eine wichtige Sache möchte ich aber noch einmal betonen. Unser Resort ist seit vielen Jahren ein Ort, an dem sich unsere Gäste in einem geschützten Rahmen entspannen können. Viele sind prominent und wohlhabend, suchen also einen Ort, an dem ihre Privatsphäre gewahrt wird. Ich habe es dir schon während unseres Videocalls erklärt. Es ist uns außerordentlich wichtig, dass unsere Mitarbeitenden diskret mit Gästeinformationen umgehen. Nichts darf nach außen dringen, keine privaten Details.«
»Natürlich, das ist selbstverständlich.«
»Und«, sie senkte das Kinn und sah mich eindringlich an, »dass das oberste Gebot im Resort eingehalten wird. Keine Beziehungen zu Gästen. Niemals.«
Ich nickte und verkniff es mir, mit einem »Keine Sorge, ich bin frisch getrennt und habe absolut kein Interesse daran, mich in nächster Zeit auf irgendwen einzulassen« zu reagieren.
Estella nickte und wirkte zufrieden. Sie stand auf und holte unter ihrem Tisch eine weiße Sporttasche mit dem goldenen Logo des Resorts hervor.
»Das ist unser Willkommensgeschenk. In der Tasche befinden sich deine Schlüsselkarte für die Mitarbeiterbereiche, dein Namensschild, zwei Trinkflaschen, Beautyprodukte und ein Gutschein für den Shop im Resort, in welchem du Sportkleidung, einen Trainingsanzug und was auch immer du brauchst, aussuchen kannst.«
Ich nahm die Tasche entgegen und war so überrascht, dass ich nicht mehr als ein »Dankeschön« herausbrachte – immerhin auf Spanisch.
Ein paar Minuten später lief ich mit roten Wangen und meiner neuen schicken Sporttasche zurück zu Sunny und Dario an den Empfang. Sie schienen schon auf mich gewartet zu haben.
»Und? Wie war es?«, fragte Sunny.
»Gut … denke ich.« Ich hob die Tasche an. »Ich habe eine Tasche bekommen.«
Sunny lachte. »Das ist sozusagen das Pureza Starterpaket. Bei mir war es ein Rucksack.«
»Bei mir auch.« Dario beugte sich über die Theke und reichte mir seine Hand. Er war groß, hatte auffällige hellblaue Augen, blondes Haar, das sich am Oberkopf leicht lockte und sprach mit einem interessanten Akzent, den ich nicht sofort zuordnen konnte.
»Ich bin eben nicht dazu gekommen, mich vorzustellen. Ich bin Dario.«
»Hey, freut mich.«
In dem Moment kam ein Gast an die Rezeption, und Dario lächelte entschuldigend, bevor er sich abwandte und sich um den Mann kümmerte.
»Komm, ich zeige dir dein Apartment«, sagte Sunny. »Wo ist dein Gepäck?«
»Noch in meinem Auto.«
»Du bist mit dem Auto gekommen? Mit der Fähre?«
»Ja. Es war abenteuerlich.« Ich lächelte zerknirscht, als ich an die Nacht auf dem Schiff dachte und an den Kabinendieb.
»Lass mich raten, du bist seekrank geworden?«
»Ich wusste nicht, dass ich es nicht vertrage. Die Nacht war auf jeden Fall die Hölle.«
Sie lachte und kräuselte dabei ihre Stupsnase, die von vielen kleine Sommersprossen bedeckt wurde. »Du Arme. Aber jetzt hast du wenigstens dein eigenes Auto dabei. Auf der Insel gibt es kaum Auswahl an Autohäusern.«
»Im Internet stand, dass man ein Auto haben sollte, da die Entfernungen recht groß sind.«
»Das stimmt. Es gibt zwar Busse, aber die kommen, wann sie wollen. Hier läuft alles ein bisschen anders als auf dem Festland. Fahrpläne werden selten eingehalten. Im Pureza ist das natürlich anders. Estella legt viel Wert auf Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit. Da haben wir Deutschen einen Vorteil.« Sie zwinkerte. »Das wird uns zumindest nachgesagt, oder?«
Der Concierge, der sich mir als Benny vorstellte, half mir, meine Koffer und Taschen aus dem Auto zu hieven und mit einem Kofferwagen zu einem der Aufzüge zu schieben.
»Danke, Benny, ich übernehme«, sagte Sunny und griff nach dem Kofferwagen. Die Aufzugtür öffnete sich, und ein Paar stieg aus, das aussah, als sei es einem Modekatalog für eine Luxusmarke entsprungen.
»Wow«, murmelte ich und sah den beiden fasziniert nach.
Sunny lachte. »Gewöhn dich dran. Hier laufen fast nur schöne Menschen herum. Zumindest äußerlich schön.« Wir stiegen in den Aufzug und fuhren in die oberste Etage.
»Du wohnst auf meinem Flur, nur ein Apartment weiter.«
»Toll! Ich bin so froh, dass ich mir keine Wohnung suchen musste. Ich glaube, das hätte mich komplett überfordert.«
»Ja, es ist schon praktisch und vor allem günstiger, als zur Miete zu wohnen. Die meisten Angestellten, die hier wohnen, sind nur für eine Saison hier. Oder sie leben auf der Insel und wohnen in eigenen Wohnungen. Dario zum Beispiel. Er kommt eigentlich aus Finnland, ist aber nach einem Work and Travel im Pureza gelandet und geblieben. Er wohnt eine halbe Stunde von hier entfernt.«
Wir stiegen aus dem Aufzug und durchquerten weitere Flure.
»In diesem Teil des Resorts liegen alle Apartments des Hotelteams. Das Haupthaus ist schon ziemlich Jahre alt, wurde aber regelmäßig modernisiert. Das Pureza war eins der ersten Hotels auf der Insel, wusstest du das? Es hat eine lange Tradition. Michael Jackson soll angeblich schon hier gewesen sein. Die Gäste sind allerdings in den anderen Neubauten untergebracht, die sich um das Haupthaus verteilen«
Vor einer Tür blieb sie stehen. Mit meiner Schlüsselkarte, die ich aus meiner neuen Sporttasche kramte, schloss ich auf. Sie war golden. Natürlich.
Wir traten in mein Apartment, und ich konnte kaum glauben, was ich sah. Laut Sunny waren die Wohnungen alle gleich geschnitten. Ein breiter Flur mit Einbauschränken, ein heller und offener Wohn-Essbereich mit einer angrenzenden hochmodernen Küche. Das Bad war mini, aber mit einer Wasserfalldusche ausgestattet, die ich bisher nur aus Thermen kannte. Alles sah gepflegt und hochwertig aus. Das Schlafzimmer war ebenfalls klein, dafür mit einem gigantischen Kingsize-Bett ausgestattet. Weiße Häkelkissen waren darauf drapiert, eins hatte die Form einer Muschel. Beim Anblick des Balkons und der wunderschönen Aussicht auf den Atlantischen Ozean hielt ich kurz inne. Ich stützte mich auf die Balkonbrüstung und schluckte. Tränen traten in meine Augen, die ich mit einem Lächeln annahm. Das hier war es also. Mein neues Leben.
»Das ist …«
»Überwältigend?« Sunny trat neben mich. Sie lächelte und legte den Kopf schief, als ich eine Träne von meiner Wange wischte.
»Ja, das trifft es ganz gut. Ich habe Fotos gesehen, aber in der Realität wirkt alles noch viel schöner.«
»Ist es das erste Mal, dass du alleine wohnen wirst?«
Ich nickte. »Während meines Sportstudiums habe ich zu Hause bei meinen Eltern gewohnt, danach bin ich zu meinem Freund gezogen. Ex-Freund«, schob ich schnell nach. »Also ja, das hier ist neu.«
»Es wird dir bestimmt gefallen. Und wirklich alleine bist du nicht.« Sie beugte sich ein Stück über das Geländer und zeigte mit dem Finger auf den Nachbarbalkon. »Ich bin gleich nebenan.«
Ich lächelte sie an. Dankbar und erleichtert, mich nicht ganz so verloren fühlen zu müssen.
Während ich gemeinsam mit Sunny jeden Winkel des Resorts abklapperte, kam ich aus dem Staunen nicht mehr heraus. Sunny zeigte mir den luxuriösen Wellnessbereich im Untergeschoss mit Indoorpool, einem Ruheraum, einem Solebecken und den Zimmern, in denen jede Art von kosmetischen Behandlungen angeboten wurde. Im Erdgeschoss gab es außerdem einen Billardraum mit Bar, einen Festsaal, der mich mit dem Parkettboden und dem Kronleuchter am meisten beeindruckte. Neben dem Empfang und der Lobby lag Estellas Büro sowie der Speisesaal für die Gäste. In großen Abständen standen runde Tische mit weißen Tischdecken im Raum verteilt. An der Decke hing ein riesiger goldener Kronleuchter, Skulpturen in Muschelformen auf Sockeln grenzten die Essbereiche ab.
»Es gibt für die Gäste kein Buffet, wie man es von anderen Hotels kennt«, erklärte mir Sunny. »Alles ist hier à la carte. Auch das Frühstück. Viele Gäste bestellen sich aber auch gerne eine Auswahl auf ihre Zimmer oder sitzen auf der Terrasse.« Sie deutete mit dem Finger zu der geöffneten Flügeltür, die nach draußen führte. Zwischen Palmenblättern blitzte das Blau des Pools durch. »Unser Speisesaal liegt gleich nebenan. Da gibt es auch eine Terrasse, die von den Gästen abgegrenzt ist.« Hinter den Speisesälen befand sich der Außenbereich des Resorts, der mir vollends die Sprache verschlug. Eine bogenförmige Terrasse schlang sich um die riesige Poollandschaft herum. Die Palmen und Büsche mit roten Blüten, die am Poolrand eingepflanzt waren, sorgten für einen beinahe tropischen Eindruck. Im Gegensatz zum sonst kargen Anblick der Insel, war das hier eine grüne Oase.
»Zum Fitnessbereich gelangst du über die Terrasse, am Pool vorbei. Er liegt etwas oberhalb und wird dir gefallen. Wäre ich nicht so ein Sportmuffel, würde ich hier auf jeden Fall trainieren. Von den Laufbändern aus ist der Ausblick der reine Wahnsinn.«
Wir liefen an der riesigen Poollandschaft vorbei, in denen Gäste badeten und andere sich auf den weißen Himmelbetten sonnten. Es gab nicht viele Liegen, und wenn, dann mit großen Abständen zueinander.
»Ist hier immer so wenig los?« Ich dachte an meine wenigen Pauschalurlaube und die Massen an Menschen, die sich um die Liegen am Pool gerissen hatten.
»Die meisten Suiten haben einen Privatpool, daher sonnen sich hier die wenigsten«, erklärte Sunny. »Im Pureza machen viele Prominente Urlaub, die ihre Ruhe haben wollen. Die sind lieber für sich.«
»Hast du schon mal jemanden Berühmten kennengelernt?«
»Klar. Einige. Letzten Sommer hatten wir Pedri vom FC Barcelona zu Gast. Mario Casas, der spanische Schauspieler, kommt auch regelmäßig her.«
Ich starrte Sunny an, die so locker darüber sprach, diese Menschen getroffen zu haben, als wäre es nichts Besonderes. Für sie und alle anderen Angestellten des Pureza war es das wohl auch.
»Ich weiß, es klingt komisch, aber mit der Zeit beeindruckt einen das nicht mehr. Man merkt schnell, dass es auch nur ganz normale Menschen sind, die schlafen, essen und aufs Klo gehen. Obwohl ich bestimmt anders darüber denken würde, wenn mal jemand hier eincheckt, den ich persönlich feiere.« Sie lehnte sich zu mir. »Es wird gemunkelt, dass die Sängerin Suki Loveless ins Pureza kommen wird, aber das hast du nicht von mir.«
Sie grinste und mir fiel ein Stein vom Herzen. Ich war unendlich dankbar dafür, dass Sunny so nett und aufgeschlossen war. Es erleichterte mir meinen Start in dieses fremde Leben. Die Eindrücke überwältigten mich, sie schüchterten mich ein. Es war eine vollkommen andere Welt, in die ich gerutscht war, und ich wusste nicht, wie ich zwischen all dem Luxus und den reichen Gästen meinen Platz finden sollte. Passte ich überhaupt hierher, oder war das Ganze eine Nummer zu groß für mich?
»Keine Sorge. Ich weiß, es wirkt alles super einschüchternd. Aber die überwiegenden Gäste sind nur reich und nicht besonders berühmt. Immobilienmakler, Banker, Rich Kids und so. Ein paar benehmen sich wie Divas und beschweren sich darüber, dass die Bettlaken angeblich kratzen, oder der Pool zwei Grad zu kalt ist. Das ist schon mal anstrengend. Anderen merkst du ihren Status gar nicht an. Wobei das vielleicht auch nichts mit ihrem Bankkonto zu tun hat. Keine Ahnung.« Wir blieben vor einem Gebäude stehen, das neben einem weiteren kleineren Pool lag.
»Da wären wir«, verkündete Sunny. »Dein Arbeitsplatz. Der Pool gehört übrigens dazu.«
Ich betrat den Raum, der durch die bodentiefen Fenster lichtdurchflutet war. In akkuraten Reihen standen Fitnessgeräte verteilt. Auf den ersten Blick waren sie mir durch meine Arbeit im Peach alle vertraut. Kurz dachte ich an Leo, der höchstwahrscheinlich jetzt in seinem Studio im herbstlichen Berlin stand, während der Regen gegen die Scheibe schlug. Ich fragte mich, ob er wusste, dass ich Deutschland verlassen hatte, und spürte Genugtuung, als ich mich in dem schicken kleinen Studio mit Blick auf den Ozean umsah.
»Wow. Es ist wahnsinnig schön.« Ich lief durch die Gänge, begutachtete die Geräte, den Thekenbereich mit einem Kühlschrank.
»Im hinteren Bereich sind die Toiletten und ein Regal, in dem Yoagamatten, frische Handtücher und so was lagern. Die Türen zur Terrasse kann man komplett aufschieben. Ach, und es gibt auch eine richtig gute Musikanlage«, erklärte Sunny. »Ist nicht der schlechteste Arbeitsplatz im Resort.«
»Ich liebe es, ehrlich. Es ist besser, als ich es mir vorgestellt habe.«
»Wenn du irgendwelche Fragen hast, dann kannst du immer zu Dario und mir kommen. Du weißt ja, wo du uns findest.« Sie lächelte. »Ich muss jetzt leider wieder zurück zum Empfang. Kommst du klar?«
Ich nickte. »Ich muss sowieso meine Koffer ausräumen und dringend duschen.«
»Wenn du willst, hole ich dich nach meinem Feierabend zum Abendessen ab?«
»Klingt gut.«
»Super, dann bis später.«
Ich lächelte Sunny nach, dann blickte ich wieder auf das Meer und in den Himmel, der in einem makellosen Blau darüber spannte. Ich schob eine Tür zur Terrasse auf und machte ein paar Fotos, die ich Clara und meinen Eltern schickte. Danach ging ich wieder in den Fitnessbereich, testete die Musikanlage, von der Sunny nicht zu viel versprochen hatte, und verschaffte mir einen Überblick über die Theke, an der man sich bei Proteinriegeln, Shakes, Wasser und frischem Obst bedienen konnte. Morgen würde mein Arbeitsalltag beginnen, und ich war schon jetzt nervös, aber auch voller Vorfreude.
Mit einem positiven Gefühl wollte ich mich wieder auf den Rückweg machen, als jemand das Studio betrat. Jemand, der mir viel zu bekannt vorkam und den ich, trotz unseres kurzen Aufeinandertreffens, zwischen Hunderten Menschen wiedererkennen würde. Es war der Typ, der für die schlimmste Nacht meines Lebens verantwortlich war.
Zeitgleich blieben wir stehen und starrten uns an. Seinem schockierten Gesichtsausdruck nach wusste er ebenfalls sofort, wer ich war. Auf der Fähre hatte er Jeans und Shirt getragen, jetzt steckte sein Körper in kurzen Hosen und einem lockeren ärmellosen Shirt. Obwohl ich es mir verbot, scannten meine Augen seine durchtrainierte Statur. Japp, der Typ war definitiv nicht zum ersten Mal in einem Fitnessstudio.
»Das ist jetzt ein Witz«, murmelte ich. Dabei hatte ich ganz vergessen, dass der Kerl Deutsch sprach und mich verstand.
Seine perplexe Miene wechselte zu einem Ausdruck, der irgendwo zwischen Verwunderung und Belustigung schwankte.
»Ich schätze nicht.« Er musterte mich, wesentlich offensichtlicher, als ich es getan hatte. »Das ist ja mal ein Zufall.«
»Ja, allerdings. Nur leider kein schöner.« Ich biss mir auf die Unterlippe, als mir klar wurde, dass ich einen Gast des Pureza beleidigt hatte. »Sorry, das meinte ich nicht so, ich…«
»Schon okay«, unterbrach er meinen Erklärungsversuch. »Ich habe wohl keinen guten Eindruck bei dir hinterlassen.«
»Nicht wirklich. Du hast mir immerhin meine Kabine geklaut.«
Der Typ schürzte die Lippen und für einen kurzen Moment nahm ich ihm seine schuldbewusste Miene ab.
»Es war zwar auch meine Kabine, aber ja, du hast absolut recht, das war nicht okay. Es tut mir leid.«
»Dafür ist es jetzt zu spät. Aber was soll’s.« Ich drehte meine Schlüsselkarte in meinen Händen und überlegte, wie ich dieses Gespräch schnell abwürgen und verschwinden konnte. Ich hatte keine Lust, mich weiter mit diesem Mann zu unterhalten, der offenbar nicht nur egoistisch, sondern auch reich genug war, um im Pureza Urlaub zu machen.
»Moment, du arbeitest hier?« Sein Blick klebte an der Karte, die ich in der Hand hielt. Auf ihr stand Team Pureza.
»Ja. Ab morgen.«
Seine Augenbrauen hoben sich, bevor er sie nachdenklich zusammenzog. »Das bedeutet dann wohl, dass wir uns öfter sehen werden.«
Öfter? Ein Anflug von Panik überkam mich. »Weil du auch hier arbeitest?« Wenn ich diesem Kerl nun täglich über den Weg laufen müsste, wäre das mein Untergang. Ich spürte die Wut in mir prickeln wie eine geschüttelte Champagnerflasche. Es war schwer, ihm nicht an den Kopf zu werfen, wie unverschämt er sich auf der Fähre verhalten hatte, wie dreckig es mir in der Nacht wegen ihm gegangen war.
»Nein, ich mache Urlaub … Für ein paar Wochen.«
Ein paar Wochen? Dieser Typ musste Geld wie Heu haben, dass er sich in solch einem Resort ein paar Wochen Urlaub gönnen konnte. Ich erwischte mich dabei, wie ich ihn zu analysieren versuchte, und mich fragte, welcher Beruf zu ihm passte. Unterwäschemodel? DJ? Oder er war der Inbegriff eines reichen Millionärssöhnchens. Das würde auch den schicken Neuwagen erklären, mit dem er auf der Fähre gewesen war.
»Okay, dann wünsche ich dir einen schönen Urlaub und viel Spaß beim Training«, wiegelte ich das Gespräch betont höflich ab, das ich nie hatte führen wollen. Mit gestrafften Schultern lief ich an ihm vorbei und hoffte inständig, dass er nicht so sportlich war, wie er aussah, und nur ausnahmsweise den Fitnessraum besucht hatte.
Bevor ich zurück zum Apartment lief, streifte ich im Resort herum, bis ich das Gefühl hatte, mich in dem Komplex einigermaßen orientieren zu können. Immer wieder begegneten mir Gäste in weißen Bademänteln, teuren Sonnenbrillen, goldenen Uhren am Handgelenk und Schmuck um den Hals, der mit Sicherheit mehr Wert war, als mein Kleinwagen. Ich sah auch ein paar Angestellte, in weißer Uniform und festgetackertem Lächeln. Ich nickte ihnen zu, obwohl sie vermutlich nicht wussten, dass ich eine neue Kollegin war. Beim Vorstellungsgespräch hatte mir Estella berichtet, dass die meisten Mitarbeiter Saisonkräfte waren und es nur ein kleines Stammteam gab. Dazu zählte auch Sunny, die später am Abend an meine Apartmenttür klopfte. Nach meinem Streifzug hatte ich mich auf mein Bett fallen lassen, den frischen Duft der Laken eingeatmet und war ungewollt eingeschlafen. Zum Glück war ich früh genug aufgewacht, um noch zu duschen und mich umzuziehen. Ich glättete mein Haar, trug frisches Make-up auf und zog ein knielanges, schlichtes Sommerkleid an. Als ich Sunny die Tür öffnete, war ich beruhigt, sie in einem ähnlichen, wenn nicht sogar lockereren Kleidungsstil zu sehen.
»Wir Angestellten haben ein eigenes Buffet, das echt gut ist. Wenn du nicht deine Arbeitskleidung anhast, kannst du im Prinzip tragen, was du willst«, erklärte sie mir auf meine Nachfrage hin, ob es in der Freizeit eine Kleiderordnung für Angestellte gab. »Wobei es angemessen sein sollte.«
»Also kein Pyjama zum Frühstück?«
Sunny kicherte. »Besser nicht. Estella sieht man zwar nur selten im Speisesaal, aber ihr entgeht trotzdem nichts.«
»Sie scheint nett zu sein. Zumindest ist das mein Eindruck von ihr.«
»Ja, sie ist nett.« Sunny senkte die Stimme. »Solange man sich an die Regeln hält. Besonders an die Regel.«
Mit dem Aufzug fuhren wir in die Etage, wo auch der Empfangsbereich und die Speisesäle lagen. »Dario sitzt bestimmt auf der Terrasse. Da essen wir meistens. Es regnet hier so gut wie nie. Man lebt quasi draußen.«
»Anders als in Deutschland.« Ich grinste. »Sonnenschein ist Mangelware. Besonders in den langen Wintermonaten drückt das auf die Stimmung.«
»Dafür ist es grüner als hier.« Sie seufzte. »Ich liebe die Insel, aber manchmal sehne ich mich nach Wäldern und Wiesen.«
»Du hast doch bestimmt Verwandtschaft in Deutschland, die du besuchen kannst, oder?«
Sunnys Lächeln verblasste. »Nein. Mein Papa lebt hier auf der Insel, und sonst habe ich keine Verwandten mehr, zu denen ich Kontakt habe.« Ihre Augen wurden stumpf, als sie mich ansah.
»Das tut mir leid.« Ich fühlte mich schlecht, weil ich offensichtlich in einer Wunde herumgestochert hatte. Aber Sunny machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ach, schon okay. So ist das eben.«
»Hey, da seid ihr ja.« Dario hob die Hand und winkte uns zu seinem Tisch auf der Terrasse. Der Speisesaal für die Angestellten war wesentlich kleiner, aber ebenso edel eingerichtet. Ich ließ meinen Blick über die fremden Gesichter schweifen, die zum Team des Pureza gehörten. Einige musterten mich neugierig, andere lächelten mich offensiv an. Ich fühlte mich ein wenig wie am ersten Tag an der Uni und bemühte mich um einen offenen Gesichtsausdruck, der verbarg, wie nervös ich war. »Es gibt kanarische Kartoffeln. Wenn ihr noch was abbekommen wollt, müsst ihr schnell sein.«
»Oh super!« Sunny klaute sich eine der kleinen Kartoffeln, die auf Darios Teller lagen.
»Hey«, beschwerte er sich, lächelte sie aber dabei an.
»Kartoffeln waren hier eine ganze Weile knapp. Das kommt immer mal wieder vor. Fuerteventura wird vom Festland aus beliefert, und wenn die Ernte schlecht lief, bekommen wir das hier schnell zu spüren.«
Sunny schob mich zu den Tischen, in der Mitte des Raumes, auf denen eine Auswahl an warmen und kalten Speisen stand. »Hatte ich dir schon gesagt, dass du Getränke und Obst hier jederzeit bekommst? Es steht immer was bereit.«
»Ja, das hast du erwähnt, glaube ich.« Ich lächelte sie schuldbewusst an. »Tut mir leid, aber ich werde dich in den nächsten Tagen bestimmt häufig dasselbe fragen. Es sind so viele Informationen und Eindrücke.«
»Das ist doch klar. Ich bin mir sicher, dass ich mit meinem löchrigen Gedächtnis oft etwas zweimal erzähle.«
»Oder dreimal«, schaltete sich Dario ein, der plötzlich hinter uns stand und sich Nachtisch, eine Art Pudding, in eine Schüssel lud. Ich bediente mich am Salatbuffet, das mein Herz höherschlagen ließ und meinen Magen hungrig zusammenzog. Darauf drapierte ich die kleinen salzigen Kartoffeln und einen Haufen Oliven.
»Team Olive, also?«, kommentierte Sunny meinen Teller, nachdem wir uns gesetzt hatten. Über unseren Köpfen spannte sich ein weißer Sonnenschirm, um uns herum standen Pflanzenkübel mit kleinen Palmen. Sunny stieß Dario mit dem Ellbogen an. »Du hast eine Verbündete. Er liebt Oliven auch. Mich kann man damit jagen.«
»Elana, ich mag dich«, sagte Dario kauend und grinste mit vollen Backen. Während des Essens musterte ich Sunny und Dario und verfolgte ihre liebevollen Sticheleien. Die Anspannung rutschte nach und nach von meinen Schultern. Ich konnte kaum glauben, dass mein Start im Pureza so gut lief – mal abgesehen von dem egoistischen Kabinen-Dieb. Ich war unendlich dankbar, dass ich an meinem ersten Tag nicht alleine an einem Tisch essen musste.
»Arbeitet nur ihr beide am Empfang?«, fragte ich sie irgendwann, als auch ich beim Nachtisch angekommen war und einen Klecks von dem Pudding probierte. Er nannte sich Flan de Huevo, ein Karamellpudding, der verdammt süß, aber zum Reinlegen gut schmeckte.
»Ja«, antwortete Dario, der sich in seinem Stuhl zurückgelegt hatte. »Aber wir haben eine Vertretungskraft, die ab und zu aushilft, je nachdem, wie unsere Schichten liegen. Sunny und ich sind ansonsten alleine verantwortlich.«
»Tag und Nacht«, seufzte Sunny. Ihr Blick ging an mir vorbei, und ein Stöhnen entwich ihr. »O nein.«
»War ja klar, dass er hier aufkreuzt«, murmelte Dario, der ihrem Blick gefolgt war. »Er hat davon Wind bekommen, dass du heute kommst, Elana, und mich versucht, über dich auszuquetschen.«
Ich wollte mich gerade umsehen, von wem Dario sprach, da wurde auch schon der Stuhl neben mir zurückgezogen und ein Typ ließ sich darauf fallen, der das dreckigste Grinsen draufhatte, das ich jemals gesehen hatte.
»Hola.« Seine stahlgrauen Augen scannten mich unverhohlen. Er hatte kurzes braunes Haar und wirklich ein Lächeln drauf, bei dem ich mir gut vorstellen konnte, wie er damit die ein oder andere Urlauberin um den Finger wickelte. Nicht, dass ich ihm das unterstellen würde. Er sagte etwas auf Spanisch, was ich aber nicht verstand.
»Sie ist Deutsche, Aleksej«, seufzte Sunny. »Sprich Englisch.«
»Ah, Deutsche, sagte er in gebrochenem Deutsch. »Guten Tag. Ich bin Aleksej.« Er räusperte sich und führte auf Englisch fort: »Mehr kann ich nicht. Dafür spreche ich eine Sprache, die jede Frau versteht.« Als er mit den Brauen wackelte und Sunny und Dario gleichzeitig aufstöhnten, schwante mir, was für ein Typ Mann Aleksej war.
»Hey. Ich bin Elana.«
»Ich habe gehört, dass du heute angekommen bist, und da dachte ich, dass du auch den wichtigsten Mitarbeiter des Resorts kennenlernen musst.«
»Wo arbeitest du denn?«
»An der Poolbar. Wo alle Chicks abhängen.«
Chicks? O je … Aleksej war offensichtlich ein sehr selbstbewusstes Exemplar von Mann.
Die nächsten fünf Minuten erzählt er von sich, wann er von Russland nach Spanien gekommen war und dass er die besten Cocktails der Insel mixen würde. »Aber genug von mir, erzähl mal was von dir, Elana.« Aleksej stützte sich auf den Tisch und musterte mich ungeniert. »Was treibt dich nach Fuerteventura?«