Insta Love - Nur perfekt ist gut genug - Tine Nell - E-Book
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Insta Love - Nur perfekt ist gut genug E-Book

Tine Nell

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Beschreibung

Fake is the new trend - doch was, wenn die Fassade Risse bekommt? Ein Liebesroman zwischen Social Media Glamour und der Herausforderung, sich selbst nicht zu verlieren »Ich dachte, es macht mich glücklich – der Fame, die Fans, das Geld – bis ich erkannte, dass ich mein reales Leben gegen eine digitale Scheinwelt eingetauscht hatte.«Nach der Trennung von ihrem Freund Dan Hawkins, einem gefeierten Instagram-Star, will sich das Model Jules ein neues, eigenständiges Leben aufbauen. In dieser turbulenten Zeit lernt sie den attraktiven Paul kennen, der sie mit seiner ruhigen und ehrlichen Art gleich in den Bann zieht. Doch ihr Ex und die Schatten der digitalen Welt holen sie immer wieder ein und schon bald weiß Jules nicht mehr, wem sie noch vertrauen kann. ..

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Für alle, die manchmal vergessen,auf ihre innere Stimme zu hören.

 

© 2020 Piper Verlag GmbH, München Redaktion: Cornelia FrankeCovergestaltung: Annika HankeCovermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt

 

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Inhalt

Cover & Impressum

Widmung

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Paul

Jules

Kapitel 3

Paul

Jules

Kapitel 4

Kapitel 5

Paul

Jules

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Paul

Kapitel 12

Paul

Kapitel 13

Kapitel 14

Paul

Kapitel 15

Epilog

Paul

Ausschnitt aus: Immer ein Morgen

Danksagung

Widmung

Weißt du, was das Gute ist?

Es gibt immer ein Morgen.

Immer einen neuen Tag, um es besser zu machen als gestern

Und jeden Tag entscheidest du, wer du sein willst.

Prolog

Ich wollte perfekt sein. Für ihn. Für die Leute da draußen, die jedes Bild von uns tausendfach anklickten. Ich dachte, es macht mich glücklich – der Fame, die Fans, das Geld – bis ich erkannte, dass ich mein reales Leben gegen eine digitale Scheinwelt ausgetauscht hatte.

Es gab Anzeichen, wohin sich unsere Beziehung entwickeln würde, aber ich habe sie ignoriert. Aus Naivität, aus Liebe, aus Angst, ohne ihn dem Druck nicht standzuhalten. Ich habe mich auf Dan verlassen, bin ihm überallhin gefolgt. Und dann kam das Erwachen, der übermächtige Knall, der immer noch zu laut in meinen Ohren nachhallt.

Mein Daumen schwebt über dem Display des Smartphones, folgt meinen brennenden Augen zu unserem ersten gemeinsamen Foto, das er auf seinem Instagram-Profil geteilt hat. Der Post ging durch die Decke. Millionen Likes, Millionen Klicks und Kommentare, die mein Leben veränderten.

Dan liegt bäuchlings und oberkörperfrei auf dem Hotelbett. Er sieht direkt in die Kamera, die wilden, blonden Locken umrahmen seine scharf geschnittenen Gesichtszüge, ein träges Lächeln auf den Lippen, während ich strahlend neben ihm hocke, in das weiße Bettlaken eingehüllt.

Alle dachten, wir wären nackt und spekulierten in den Kommentaren, ob wir eine wilde Nacht zusammen verbracht hätten. Dabei trug ich einen Bikini, den ich nach einem Shooting hatte behalten dürfen. Er war trägerlos, hellrosa, mit goldenen Abnähern.

Dan und ich waren erst ein paar Tage offiziell zusammen gewesen und bis auf heiße Küsse war nichts zwischen uns gelaufen. Es war ein Akt der Geduld, bis das Foto seinen Ansprüchen genügte – die Bettdecke die richtigen Falten schlug, mein Haar perfekt zerwühlt aussah und die hawaiianischen Sonnenstrahlen im vorteilhaften Winkel durch die Gardinen fielen. Damals fand ich nichts Schlimmes daran, dass er so einen Aufwand um ein einziges Foto betrieb. Er war schließlich Dan Hawkins – der bekannteste und heißeste Extremsportler im Netz. Alle lagen ihm zu Füßen. Jedes Bild, jedes Video, das er hochlud, wurde sehnlichst erwartet.

Wenn ich, wie jetzt, durch seine Fotos scrolle, empfinde ich nur Abneigung, Selbsthass und ja … Trauer um die Monate, die ich mit Dan verschwendet habe. Verfangen in einer Traumwelt, die genauso unecht ist wie sein Charakter. Ich habe zu lange gebraucht, um zu begreifen, dass ich vor lauter Liebe zu ihm die Wahrheit ignorierte. Es war wie eine nicht enden wollende Party rund um die Welt, die uns berühmt machte und gleichzeitig zerstörte. Zwei Jahre Fame und Hate, Freunde und Feinde, Liebe und Verrat.

Jetzt klinke ich mich aus. Weil ich all das vergessen muss. Weil ich ihn vergessen will.

Kapitel 1

Sie glaubte, er wäre ihr Fels. Dabei war er nur der Wind, der sie streifte.

 

Debbi sieht mich mit diesem mitleidigen Blick an, der mir seit der Trennung von Dan zu oft geschenkt wird. Von meinen Modelkollegen aus der Agentur, von Mike, meinem Manager, und selbst von dem schmächtigen Typ, der vor ein paar Minuten die Kleiderständer mit den Bikinis in unseren Umkleidebereich geschoben hat.

Ich stöhne und schäle mich aus meinem Kleid.

Der Deckenventilator dreht sich im Akkord, dennoch bringt er bei gefühlten vierzig Grad Innentemperatur keine Abkühlung. Das Team des Labels hat sich Mühe gegeben, uns einen angenehmen Aufenthalt zu ermöglichen. Neben Getränken, Obst und einigen Snacks liegen akkurat gefaltete Satin-Bademäntel für uns bereit.

»Wir sind in Miami. Wie kommt man auf die Idee, im Hochsommer seine Badekollektion in einer Fabrikhalle zu shooten?« Ich trete hinter Debbi an den Spiegel des Schminktisches und wische mir mit einem Kosmetiktuch den Schweißfilm von der Stirn. Fahrig reibe ich über mein restliches Gesicht, bis die Haut rot gereizt ist und der Visagist mir gleich mit Sicherheit eine extra Schicht Make-up auflegen wird. Das frustrierte Schnauben gibt es extra dazu. Ich weiß, wie undankbar ich mich verhalte. Dennoch gehen seit Wochen die Emotionen mit mir durch. Ich fühle mich wie fremdgesteuert. Bin nicht ich selbst.

»Wenn du mit dieser Laune gleich am Set auftauchst, dreht dir Mike den Hals um«, warnt mich Debbi. Unsere Blicke begegnen sich im Spiegel.

Debbis volle Lippen verziehen sich zu einem breiten Lächeln und endlich sieht mich meine beste Freundin nicht mehr so an, als wäre ich ein ausgesetztes Katzenbaby. Mit nur drei Beinen. Im strömenden Regen. »Außerdem ist es Indah, Süße. Das Label wird momentan total gehyped.« Sie lehnt sich im Stuhl zurück und schlägt ihre langen Beine übereinander. »Bei deiner ersten Fotostrecke auf Hawaii war es bestimmt tausendmal heißer. Wie hieß die Bucht? Hakuna Matata, oder so was?«

Ich wende mich abrupt von ihrem Spiegelbild ab und fummele an dem Verschluss meines Armbandes herum. Dan hat es mir zu meinem vierundzwanzigsten Geburtstag geschenkt. Er hat es extra anfertigen lassen und mit Sicherheit ein Vermögen dafür hingeblättert. Es ist schmalgliedrig und umfasst einen kleinen, türkisfarbenen Diamanten. Dan meinte, dass er für das Meer steht – unser Meer rund um Hawaii, wo wir uns bei diesem Shooting zum ersten Mal begegnet sind. Damals kannte ich Debbi noch nicht. Sie kann also nicht wissen, dass sie mit dem Namen der Bucht Erinnerungen heraufbeschwört, die ich nur noch vergessen möchte.

Das Armband ist eines der wenigen Dinge, die wir nicht mit der Welt geteilt haben. Ich weiß nicht, wie oft ich es die letzten Wochen über die Kloschüsseln irgendwelcher Hotels gehalten habe, um es doch wieder anzulegen und mich wie eine Versagerin zu fühlen.

»Jules?«

Ich verstaue das Armband sorgfältig in meiner Handtasche und lege sie zurück auf den Schminktisch. Ohne Debbis Blick zu erwidern, murmele ich: »Die Bucht heißt Hanauma.«

Meine Stimme klingt heiser und die letzte Silbe ist kaum zu hören. Es nervt, wie wenig ich meine Emotionen unter Kontrolle habe, sobald ich an ihn denke.

Debbi schlüpft in ihre Sandalen, steht auf und legt einen Arm um mich. Sie hat weiche Gesichtszüge, hohe Wangenknochen und dunkle, mandelförmige Augen. Sie ist ein ganzes Stück größer als ich, was bei meinen Eins fünfundsiebzig in meinem früheren Leben selten vorkam, in der Modelwelt aber ein Kinderspiel ist. Hier zähle ich zu den Zwergen, weshalb mich viele Kunden vor meinem großen Durchbruch abgelehnt haben. Seit dem gemeinsamen Shooting mit Dan kann ich mich vor Angeboten allerdings kaum retten. Ein weiterer Punkt, der mich wahnsinnig und es mir unmöglich macht, ihn zu vergessen.

Ohne Dan würde ich nicht als erfolgreiches Bikinimodel arbeiten.

Dabei war dies nie mein Plan gewesen. Wenn mich meine jüngere Schwester Elli nicht aus Spaß zu diesem Casting an unserem Strand in South Carolina geschleppt hätte, würde ich … tja. Keine Ahnung, wo ich jetzt wäre. Ich hatte damals angefangen, an unserem College Psychologie zu studieren, jedoch schnell gemerkt, dass es wider Erwarten nicht mein Fall war. Dieses Eingeständnis tat weh. Durch das Casting hatte sich eine Chance ergeben und mir eine neue Perspektive eröffnet. Es machte Spaß, in die Rolle der sexy Frau zu schlüpfen, auch wenn ich während der ersten Shootings keinen Schimmer hatte, was ich tat. Doch ich hatte Erfolg. Ein Agent wurde während eines Shootings auf mich aufmerksam und nahm mich unter Vertrag. So kam alles ins Rollen und mein neuer Traum war geboren. Aber ich lernte schnell, wie verdammt hart das Business war. Und wie viel schwerer, in einem Haufen von falschen Menschen gute Seelen zu finden. Debbi ist eine davon.

»Süße, das kann nicht so weitergehen mit dir. Sag mir, wie ich die alte Jules zurückhole.«

Ich lehne mich an ihre Schulter und versuche ein Seufzen zu unterdrücken. »Mir geht es gut.«

»Klar. Du bist das blühende Leben.« Sie streicht in einem beruhigenden Rhythmus über meinen Oberarm und ich wünschte für einen Moment, die Zeit anzuhalten. »Und dieser Mistkerl tut im Netz so, als wäre nichts passiert.«

Ich erstarre und hebe langsam den Kopf. Sofort erfasst mich ein beklemmendes Gefühl. »Hat … hat er etwas gepostet?«

Wie ertappt presst Debbi die Lippen aufeinander und klemmt sich ihre braunen Haare hinter die Ohren, die ihr seidig über die Schultern fallen. Sie hat einen ähnlich sonnengebräunten Teint wie ich und einen sportlichen Körper. Ansonsten sind wir vollkommen unterschiedlich. Und das nicht nur wegen meiner blonden Haare und blauen Augen. Auch charakterlich sind wir gegensätzlich. Debbi ist impulsiv und voller Power, ich die Ruhesuchende, die auch gerne schweigt. Vielleicht ist es gerade der Gegensatz, der uns so zusammenschweißt. Wir freuen uns jedes Mal wie kleine Mädchen, wenn wir gemeinsam gebucht werden. Normalerweise. Wenn ich nicht den sentimentalen Trauerkloß mime.

»Tut mir leid. Ist mir rausgerutscht«, flüstert meine Freundin, als würden mich laute Worte verletzen. »Du willst ja nichts mehr von ihm wissen und ich …«

Ich starre sie weiter an, hin- und hergerissen zwischen der schmerzenden Neugier und der Angst, Dinge zu erfahren, die mir den Rest geben. Die Entscheidung, Dan zu verlassen, war längst überfällig. Wir waren schon lange nicht mehr das Traumpaar, welches wir auf den Fotos darstellten. Die Einzige, die für unsere Beziehung gekämpft hat, war ich.

»Story oder Foto?«, frage ich schlicht und versuche, unbeeindruckt zu klingen. Ich will nicht mehr, dass die Gedanken an ihn Macht über mich ausüben.

Nach der Trennung waren die Reaktionen unserer Follower allerdings heftig. Es dauerte Tage, bis ich es wagte, einen Blick auf mein Profil zu werfen.

Alle waren geschockt, dass Dan und ich, das sexy Instagram-Traumpaar, welches um die Welt jettete und seinen aufregenden Lifestyle mit der Welt teilte, nicht länger existierte.

»Foto«, antwortet Debbi verzögert.

Ich schlucke schwer, aber dieser riesige Kloß, der in meinem Hals steckt, bewegt sich nicht vom Fleck.

»Mit ihr?« Die Worte brennen auf meiner Zunge wie pures Chilipulver.

Debbi nickt betreten. »Er ist ein Idiot, Jules.«

»Zeig es mir«, wiederhole ich und hebe entschlossen das Kinn.

»Ich glaube nicht, dass du dir das geben solltest«, gibt sie zu bedenken.

»Zeig es mir, Debbi.«

Sie seufzt, zerrt dann aber ihr Smartphone aus der Hosentasche ihrer knappen Jeansshorts.

Als sie es mir wortlos unter die Nase hält, schlägt mein Herz schnell und hart gegen meinen Brustkorb.

Es ist sechs Wochen her. Sechs Wochen, seit ich Dan verlassen habe. Und er postet ein Foto von sich und Mila. Es ist ein Schnappschuss, vermutlich auf einer Party geschossen. Dan grinst und hält sie im Arm, genauso, wie er mich immer gehalten hat. Als wäre es das Normalste der Welt – als hätte er mich nicht mit ihr, seiner Ex-Freundin, betrogen und mir mein Herz zermalmt.

»Sie sieht wie ein Flittchen aus«, höre ich Debbi sagen. »Dieses rote Kleid ist furchtbar und die Ohrringe sind geschmacklos.«

»Schon okay.« Ich räuspere mich mehrmals, in dem Versuch, die Fassung zu wahren. Es ist lieb von Debbi, dass sie mir beisteht, aber es ändert nichts an der Tatsache, dass Mila an Dans Seite fantastisch aussieht. Dans blonde Locken verhaken sich in ihren dunklen Strähnen, so dicht stehen sie beieinander.

»Ich komme damit klar«, erwidere ich emotionslos. Vielleicht kauft mir Debbi diese Lüge irgendwann ab.

Debbi seufzt, steckt das Smartphone zurück und nimmt mein Gesicht zwischen ihre Hände, die sich angenehm kühl auf meinen heißen Wangen anfühlen. »Vergiss den Typen endlich. Du hast etwas Besseres verdient.«

In dem Moment kommt eine rothaarige Frau ins Zimmer gepoltert. Unzählige goldene Ketten baumeln um ihren Hals. Eine ganze Mannschaft von Leuten folgt ihr, die mit Schminkkoffern, Lockenstäben und Haarspraydosen beladen sind. Sie ist klein und zierlich, besitzt aber eine Ausstrahlung, die sie wichtig wirken lässt. Ihre Augen scannen binnen Sekunden Debbi und mich, danach die provisorisch eingerichtete Umkleide und wieder mich. Auf ihrer Stirn bildet sich eine Falte. Mit Sicherheit fällt ihr auf, wie rot meine Haut und wie verquollen meine Augen sind.

»Oh mein Gott, ihr seht umwerfend aus«, ruft sie dennoch aus. Die Falte verschwindet, als sie uns ein Lächeln schenkt und flüchtige Wangenküsse an Debbi und mich verteilt. »Ich bin Lizzy und organisiere heute das Shooting.« Sie deutet auf die Horde hinter sich. »In der nächsten Stunde wird sich unser Styling-Team um euch kümmern und euch für die ersten Bilder zurechtmachen. Jules, du beginnst. Den weiteren Ablauf besprechen wir dann am Set.« Sie linst auf die goldene Armbanduhr und auf ihrem Dekolleté bilden sich rosafarbene Flecken. »Wenn ihr irgendetwas braucht, sagt Eliot Bescheid«, meint sie und zeigt auf einen breit gebauten Typ in schwarzem Shirt und Headset.

Eliot, ein Gorilla mit Glatze, nickt uns zu, ohne die todernste Miene zu verziehen.

»Wir sehen uns am Set.« Und schon stapft Lizzy in einem Mordstempo weiter.

Eine Stunde später stehe ich, drapiert mit großen, blonden Beach-Waves, einem metallisch glänzenden Bikini und mattschwarzen High Heels zwischen den verrosteten Rohren der Fabrikhalle und folge den Anweisungen des Fotografen. Die stickige Luft riecht nach einer Mischung aus Öl und diesem metallischen Geruch, der sich nur schwer beschreiben lässt. Bei Nacht und ohne die hellen Neonröhren an der Decke wäre es hier verdammt gruselig.

»Mehr ins Hohlkreuz, Jules! Spann den Bauch an und nimm das Kinn ein Stück tiefer.« Christian ist klein und drahtig, hat einen weißen, gepflegten Ziegenbart und trägt eine zitronengelbe Brille, die ihm tief auf der Nase sitzt.

Der Blitz seiner Kamera prasselt auf mich ein. Es dauert heute eine Weile, bis ich in der Rolle der sexy Frau angekommen bin. Es ist wie schauspielern, wie eine hübsche Maske, die ich aufsetze. Doch ich bin unkonzentriert, die Verwandlung gelingt mir nicht, solange Dans Post meine Gedanken bestimmt. Und selbst nach Minuten habe ich nicht den Punkt erreicht, an dem ich alles um mich herum ausblende. Die Dutzenden Leute, die mir zwischen den Schüssen immer wieder das Haar richten, die Stirn abpudern oder Faltreflektoren über mich halten, Debbi, die etwas abseits an ihrem Wasser nippt und auf ihren Einsatz wartet, und Lizzy, deren Argusaugen nichts am Set entgeht. Alles ist mir zu bewusst.

Mike hat nicht übertrieben, als er meinte, dass Indah als erfolgreiches Newcomer-Label einiges für dieses Shooting auffahren wird. Wie unwirklich mir jetzt, nach zwei Jahren auf der Erfolgswelle, meine ersten Jobs vorkommen. Simple Shoots am Strand für unbekannte Bademodenhersteller. Es war kleiner, netter – nicht so hektisch und durchgetaktet.

»Hey«, ermahnt mich der Fotograf entnervt. »Was ist das denn für ein Gesicht, Babe? Ich brauche Feuer in den Augen! Feuer!«

Ich blinzele, murmele ein »Sorry« und konzentriere mich auf Christian, der wie ein Häschen auf Speed umherrennt, auf Gerüste klettert, sich auf den dreckigen Boden legt und aus jedem erdenklichen Winkel Fotos schießt. »Komm schon, Jules. Mach irgendetwas. Beweg dich. Ich weiß, dass du es besser kannst.«

Ich presse die Kiefer aufeinander, stemme eine Hand in die Taille und wandele meine negative Energie in Körperspannung. Bewusst ziehe ich Luft durch die Nase und mit dem Ausatmen schiebe ich jeden negativen Gedanken an meinen Ex und die letzten zwei Jahre von mir. Eine Weile wird dieser Zustand halten. Aber ich weiß, dass sobald ich die Maske nach dem Shoot abnehme, alles zu mir zurückkommen wird.

***

»Oh, ja. Darauf habe ich die letzten Wochen gewartet. Nur auf dich, Baby.«

Debbi rutscht auf ihrem Barhocker weiter nach vorne, zieht ein Stück Schinken aus der Packung und legt es auf eine Brotscheibe, bevor sie einen ordentlichen Klecks Mayo darauf gibt. Das Ganze verschließt sie mit einer zweiten Scheibe und beißt stöhnend hinein.

»Na, wie schmeckt die Ananas?«, fragt sie mit vollem Mund und grinst hämisch.

»Das ist Folter.« Missmutig stochere ich in meinem Obstsalat herum. »Wir hätten Models für Skianzüge werden sollen.«

Debbi leckt sich die Fingerkuppen ab und zieht eine Augenbraue nach oben. »Du hast morgen ein Shooting für shells, Jules. Dafür würde ich mein Leben lang auf Mayo verzichten. Freu dich mal.«

»Tu ich ja auch. Aber für nichts in der Welt würde ich Mayo aufgeben.« Ich ziehe angestrengt einen Mundwinkel nach oben. Ich bin dankbar für diese Chance und bin mir bewusst, was für ein großes Ding dieser Job ist. Aber seit der Trennung fühle ich mich seltsam erschöpft – von der Modelwelt, den oberflächlichen Menschen und den Ernährungsplänen. Ich weiß nicht, ob es nur eine Phase ist, dass ich momentan alles hinterfrage. Sie hält jedenfalls schon viel zu lange an.

»Holst du mich morgen nach dem Job am Set ab und wir gehen Pizza essen? Ich lade dich ein.«

Debbi verengt die Augen, grinst dann aber von einem Ohr zum anderen. »Nur wenn ich extra Käse bekomme.«

»Deal.«

Ich seufze, rolle den Kopf abwechselnd nach links und rechts, um meine schmerzenden Nackenmuskeln zu dehnen. Das Shooting für Indah war anstrengend. Das dreistündige Sporttraining danach mit Cecil, meiner gnadenlosen Drillinstruktorin, hat mir den Rest gegeben. »Mike wird uns umbringen, wenn er das herausbekommt.«

»Ach, der soll die Klappe halten. Du trainierst wie eine Irre und ziehst einen großen Job nach dem anderen an Land. Da wird eine Pizza zur Belohnung drin sein.«

Sie schiebt sich den letzten Rest ihres Sandwiches in den Mund und lehnt sich in ihrem Stuhl zurück. »Jetzt noch einen heißen Kerl, der mir die Füße massiert und mir einen wahnsinnigen Orgasmus schenkt, und der Tag wäre perfekt.«

Ich schnaube verachtend. »Geh ins Spa und kauf dir einen Vibrator. Das ist besser für dein Herz und deine Seele, glaub mir.«

Debbi wischt sich die Finger an einer Serviette ab. Seit ihrem Schulabschluss versucht sie, den großen Durchbruch zu schaffen, und es ist mir schleierhaft, warum sie so wenig gebucht wird. Ich wünsche mir von Herzen, dass das heutige Fotoshooting ihrer Karriere einen ordentlichen Schub geben wird.

»Du denkst zu viel über den Idioten nach, Jules. Dan hat dich mit seiner Ex hintergangen. Du kannst froh sein, dass ihn ein Paparazzo erwischt hat. Wer weiß, wann du sonst davon erfahren hättest.«

Meine Finger umklammern die Gabel fester, als mich die Erinnerung an die Schlagzeile wie eine Welle überrollt. Zu dumm, dass ein Paparazzo auf den Auslöser drückte, als Dan und Mila Hand in Hand ein Hotel verließen. Von einem Tag auf den anderen wurde Dans Versessenheit auf die Präsenz im Netz zu seinem eigenen Verhängnis. Binnen Stunden sah unsere Community die eindeutigen Aufnahmen seines Seitensprungs. Zwar erfuhr ich als Letzte davon, aber ich hatte meine Koffer bereits gepackt, als er nach Hause kam.

Ich schiele zu meinem Smartphone, das neben mir auf der Theke liegt. Mir juckt es in den Fingern und mich überkommt wieder der drängende Wunsch nach Rache.

»Lass es bleiben«, ermahnt mich Debbi und taxiert mich mit scharfem Blick. Natürlich hat sie meine dunklen Gedanken sofort durchschaut. Sie hat mich in den letzten Wochen nicht nur einmal davon abgehalten, etwas Dummes und Unüberlegtes auf Dans Account zu hinterlassen. Dafür bin ich ihr genauso dankbar, wie für die Tatsache, dass sie mich bei sich aufgenommen hat. Nicht ein einziges Mal hat sie sich darüber beklagt, wenn ich aus heiterem Himmel in Tränen ausgebrochen bin oder mit wilden Beschimpfungen gegen Dan um mich geworfen habe.

»Ich mache doch gar nichts.«

Debbi kräuselt die Lippen, sie glaubt mir kein Wort.

»Mach mir nichts vor. Ich kenne dich. Und seit wir zusammenwohnen, lese ich jeden deiner Blicke.«

Ich seufze resigniert. »Tut mir übrigens leid, dass ich wohnungstechnisch immer noch nicht weiter bin. Wenn der Job morgen vorbei ist, knie ich mich endlich in die Suche rein.«

»Das hat keine Eile. Du kannst gerne bleiben, das weißt du.«

Ich schiebe meine Schüssel zur Seite, stelle die Ellbogen auf und stütze das Kinn in die Hände. »Du hast schon genug für mich gemacht, Debbi. Ich muss mein Leben wieder auf die Reihe bekommen.«

Es ist in Worten kaum auszudrücken, wie dankbar ich für ihre Freundschaft bin. Ohne sie hätte ich die Trennung von Dan nicht durchgestanden.

Debbi nickt und mustert mich einen Augenblick schweigend. »Das verstehe ich. Aber du wirkst nicht so, als hättest du Dan überwunden.«

Ich stoße ein kehliges Lachen aus, das selbst in meinen Ohren falsch klingt. »Von mir aus kann er ganz Amerika abschleppen und es ginge mir am Hintern vorbei.«

Debbi runzelt die Stirn, sagt aber nichts. Sie weiß, wie es mir zuletzt in unserer Beziehung ergangen ist, aber sie weiß ebenfalls, wie sehr ich ihn geliebt habe. Zumindest den Mann, den ich zu Beginn kennengelernt habe.

Ich schüttele den giftigen Gedanken an ihn ab, rutsche vom Barhocker und gehe um die Theke zu der Küchenzeile. Debbis Wohnung liegt mitten in Downtown, in einem ehemaligen Firmengebäude, das in mehrere Einheiten umgebaut wurde. Der moderne Loft-Charakter hat Charme, aber auch seinen Preis. Ihre Eltern stehen hinter ihr und unterstützen sie finanziell, wenn es eng wird. Die gesamte hochwertige Einrichtung ist von ihnen gesponsert. Nicht mal meine anteilige Miete wollte sie annehmen. Dazu stammt Debbi aus Chicago. Sie ist das Pulsieren der Stadt gewöhnt und liebt die hektische Stimmung, die ich privat immer vermeide. Und so wohl ich mich in ihrer Nähe fühle, der Wunsch nach einer eigenen privaten Ruhequelle wächst von Tag zu Tag.

Ich trage meine leere Schüssel in die Küche und räume das schmutzige Geschirr, das sich im Spülbecken stapelt, in die Maschine. Debbi und ich sind beide keine Ordnungsfanatiker. Was man der Wohnung zugegebenermaßen ansieht. Auf jeder noch so kleinen Fläche liegt etwas herum. Selbst hier, auf der Arbeitsplatte, häufen sich Modezeitschriften, Haargummis und eingetrocknete Make-up-Fläschchen.

»Hey, guck mal.« Debbi winkt mich zu sich. »Die von Indah haben schon ein paar Fotos vom Shooting mit uns verlinkt.«

»Das ging aber schnell«, meine ich überrascht, trete neben sie und betrachte die Bilder auf ihrem Smartphone. Die meisten davon zeigen mich alleine in verschiedenen Bikinis und Posen.

Ich scanne mit kritischem Blick meinen Körper, mein Gesicht, meine Haare und bin, wie immer, erstaunt, wie befremdlich anders ich auf den Fotos wirke. Klar, jeder Zentimeter Haut wird ordentlich bearbeitet und es kommt nicht selten vor, dass ich plötzlich ein volleres Dekolleté oder längere Haare habe. Ich sehe perfekt aus – zumindest für die Ideale der Modewelt. Meine Beine wirken glatt und straff, obwohl sich in Wirklichkeit kleine Dellen und Pigmentflecken über der Haut verteilen. Dabei sieht Haut nun mal so aus. Es ist normal, menschlich. Doch in meinem Job gelten andere Standards. Das ist die Kehrseite des Business. Eine weniger glänzende Seite, mit der ich nur schwer zurechtkomme. Manchmal habe ich das Gefühl, dem Druck, stets vollkommen auszusehen, überdrüssig zu sein. Möchte ich dieses gefälschte Bild einer Frau wirklich vermitteln?

»Du siehst scharf aus, Jules«, bemerkt Debbi anerkennend und vergrößert die Aufnahmen, auf denen ich meine negative Energie in pure Entschlossenheit umgewandelt habe. »Wie eine Raubkatze, bereit zum Angriff.«

»In dem Moment habe ich an Dan gedacht«, gebe ich zu und spiegele Debbis schmales Lächeln.

»Irgendwann wird er es bereuen, dich so behandelt zu haben.«

Ich zucke mit den Schultern. »Ich hätte eher reagieren müssen. Es lief schon länger nicht mehr gut zwischen uns.«

»Er hat dich mit seiner Ex betrogen, Jules. Hör auf, dir die Schuld zu geben.«

Als ich nichts darauf erwidere, seufzt sie nur und wischt weiter über das Display, bis zu einem Foto, auf dem wir beide in einem rostroten Monokini vor einem riesigen Rohr posieren.

Debbi versteift sich neben mir. »Nicht im Ernst! Guck dir das mal an! Ich bin nur total verschwommen im Hintergrund.«

Wieder scrollt sie die Aufnahmen durch. Auf ihrem Hals bilden sich unterdessen rote, unregelmäßig große Flecken.

»Es gibt bestimmt bessere Aufnahmen. Christian hat jede Menge Fotos von uns beiden gemacht«, versuche ich, sie zu beruhigen.

Aber Debbis Kiefer verkrampft sich. »Dafür habe ich mich wochenlang abgerackert beim Training? Für eine verschwommene Silhouette?«, presst sie mit zusammengebissenen Zähnen hervor.

»Das verstehe ich nicht«, murmele ich leise. »Du solltest Mike anrufen. Er kann mit den Leuten von Indah darüber sprechen.«

Doch Debbi verdunkelt das Display und springt auf. »Du weißt, wie das läuft. Nur lahme Ausreden. Ich war nicht gut genug. Das ist der Grund.«

»Debbi …«

Sie hebt die Hand, um mich zu stoppen. »Schon gut. Du musst nichts dazu sagen. Ich muss … das erst mal verdauen.«

»Wollen wir was trinken gehen? Oder ins Kino? Du wolltest doch so gerne diesen Horrorfilm sehen«, schlage ich vor, weil ich es nicht ertrage, dass Debbi so bekümmert ist.

Sie seufzt und reibt sich mit der freien Hand über die Stirn. »Ich glaube, ich will mich in Selbstmitleid suhlen. Ich gehe ins Bett. Wir sehen uns morgen nach deinem Job, okay?«

»Okay.«

Ich sehe Debbi nach, die mit hängenden Schultern in den Flur bis in ihr Schlafzimmer schlurft.

Ich folge ihr nicht, ich kenne das Gefühl von Enttäuschung. Verdammt gut sogar. Bei mir lief es nicht immer so reibungslos wie jetzt. Ich wurde abgelehnt, kritisiert und von den Kunden mit hochnäsigen Blicken abgetan. Bis durch die Beziehung zu Dan mein Bekanntheitsgrad um Welten gestiegen ist.

Ich lösche das Licht in der Küche und gehe ins Bad, putze mir die Zähne und schlüpfe in mein Zimmer, was bis vor Kurzem als Abstellraum diente. Es wäre wesentlich komfortabler in einem schicken und geräumigen Hotelzimmer zu leben, statt in einem Schuhkarton auf einer Schlafcouch zu schlafen. Dennoch bevorzuge ich es, bei meiner Freundin zu wohnen. Denn so bin ich wenigstens nicht allein. Vor meinem Umzug zu Dan nach L.A. wohnte ich zu Hause bei meinen Eltern und meiner Schwester Elli. Die Vorstellung, bald in einer eigenen Wohnung zu leben, mich alleine durchzuschlagen, macht mir deswegen wahnsinnige Angst. Aber mir ist bewusst, dass ich diesen Schritt gehen muss. Ich will es schaffen. Weil ich einen Neuanfang brauche.

Außerdem lebt Debbi in Downtown. Dem kompletten Gegenteil von dem besonnenen Örtchen in South Carolina, wo ich aufgewachsen bin. Ich habe keine Ahnung, was ich mir für die Zukunft vorstelle. Wo ich genau leben will, abgesehen davon, dass der Ort abseits des Trubels sein soll. Ich hatte mir so gewünscht, zusammen mit Dan eines der knuffigen Strandhäuschen direkt am Litchfield Beach zu kaufen. Aber er zerriss meinen Traum in der Luft. Seiner Meinung nach haben die Häuser dort zu wenig angesagte Nachbarn und zu wenig hippe Treffpunkte in der Nähe. Schon in jungen Jahren hatte er ein Haus in L.A. gekauft, in das ich auf sein Bitten hin einzog. Dort hielten wir uns allerdings selten auf, weil Reisen und Partys unser Leben bestimmten. Ein Leben, dessen ich irgendwann überdrüssig wurde. Jeden Tag hoffte ich, dass er mir zuhörte und mich verstand.

 

»Dan?« Ich lehne mich gegen den Türrahmen und schlinge fröstelnd meine Arme um meinen Oberkörper. »Kommst du zu mir ins Bett?«

Er blickt über die Schulter. Seine meeresblauen Augen sind mir so vertraut und doch erkenne ich sie nicht mehr wieder. Er seufzt. »Später, Baby, okay? Ich habe noch einen Haufen Arbeit vor mir. Die Bilder von unserem Tauchgang müssen hochgeladen werden. Die Leute warten darauf.«

Ich öffne den Mund, möchte ihm mit Nachdruck sagen, wie sehr ich ihn vermisse – neben mir im Bett, im Alltag, in meinem Herzen und wie viel Angst mir seine Veränderung macht. Doch Dan hat sich schon wieder von mir abgewandt. Meine Worte sacken unausgesprochen in meine Kehle zurück, während er das Foto postet, auf dem wir, durch einen Käfig geschützt, einem sechs Meter langen Hai in die Augen sehen.

350.000 Likes.

 

Ich schlüpfe in meinen kurzen Pyjama, löse meinen Haarknoten und lege mich, mit meinem Smartphone bewaffnet, bäuchlings auf mein Bett. Ich überfliege die Nachricht von Mike, in der er mir zu dem erfolgreichen Fotoshooting gratuliert und mich daran erinnert, morgen pünktlich am Set von shells zu erscheinen. Dabei weiß er genau, dass er sich auf mich verlassen kann.

Ich öffne meinen Instagram-Account und scrolle durch die verlinkten Fotos des Shootings und gebe ein paar lieben Kommentaren ein Herz. Dan teilte meine Bilder von den Shootings oft in seinem Feed. Manchmal lud er ein Live-Video hoch, wie ich von Visagisten zurechtgemacht wurde. Ich habe keinen Schimmer, ob auf Dans Profil noch irgendetwas daran erinnert, dass wir zwei Jahre unseres Lebens miteinander verbracht haben. Auf meiner Seite existiert kein gemeinsames Foto mehr.

Ich kaue auf meiner Lippe, ermahne mich gedanklich, das Smartphone beiseitezulegen. Wie von selbst geben meine Finger Dans Namen in die Suchleiste ein. Und wie von selbst stockt mir der Atem, als er mir auf dem ersten, brandaktuellen Foto entgegen lächelt, während er sich rücklings aus einer Propellermaschine stürzt – mit diesem draufgängerischen, verführerischen Lächeln, das einmal mein Inneres in heiße Lava verwandelt hat. Jetzt verursacht es einen brennenden Schmerz in meiner Brust.

 

»Du bist total verrückt!«

Dans wahnwitziges Lächeln ist so breit, dass es wehtun muss. Mit einem Ruck zieht er den Gurt um seine Brust fest. Er lacht. »Und genau deshalb liebst du mich!«

»Willst du da wirklich runter?« Die Motoren des Hubschraubers dröhnen so laut, dass ich mit einem Brüllen dagegenhalte.

Ich schwenke die Kamera nach unten, Richtung Meer, das aus dieser Perspektive wie eine riesige blaue Decke aussieht. Dann halte ich wieder auf Dan – genauso wie besprochen.

»So sehr wie ich dich will, Baby.« Ein Augenzwinkern in die Kamera ist das Letzte, was man von seinem Gesicht sieht, bevor er sich mit dem Rücken voran in die Tiefe stürzt.

1,5 Millionen Likes.

 

Ich schiebe das Foto mit dem Daumen weiter und foltere mich mit dem Schnappschuss von Mila und ihm, den ich auf Debbis Smartphone gesehen habe und der mich gegen meinen Willen mitten ins Herz getroffen hat. Wie magnetisch angezogen fixiert sich mein Blick auf das strahlende Paar.

Ich habe Mila nur auf einzelnen Fotos gesehen, als Dan und sie glückliche Teenies auf der High-School waren.

Tränen drängen sich aus meinen Augenwinkeln, die ich nicht aufhalten werde. Es ist ein erlösendes Gefühl, den angestauten Emotionen freien Lauf zu lassen. Hier erlaube ich es mir. In diesem kleinen, fensterlosen Raum, wo weder mein Manager noch irgendein Fotograf zusieht.

Ich schluchze zitternd, als ich die Kommentare unter dem Foto lese:

Wer ist das heiße Teil?

Ist das nicht seine Ex?

Mila ist heißer als Jules.

Jules ist eine falsche Schlange. Sie hat’s nicht anders verdient.

Mit der hast du Jules betrogen? Krass … Ich finde, sie hat besser zu dir gepasst.

 

Ich schnaube und tupfe mir die feuchten Wangen mit den Fingerspitzen trocken. Wenigstens ein paar Leute da draußen sind auf meiner Seite. Nach der Trennung beobachtete ich ernüchternd, dass meine Follower nach und nach verschwanden. Als wäre ich diejenige, die Mist gebaut hat. Das machte mich rasend, obwohl mir klar war, dass diese Menschen nichts über mich und Dan wussten. Sie sind keine Freunde, sie kennen mich nicht. Sie wissen nicht, dass mein Lächeln auf Dans letzten Fotos falsch war. Sie sind Zuschauer, die nur die augenscheinlich schöne, aufregende Seite unseres Lebens zu Gesicht bekommen haben.

»Ich hasse dich, Hawkins!«, platzt es unkontrolliert laut aus mir heraus und ich lasse mein Smartphone auf die Matratze fallen. Der winzige Raum kommt mir plötzlich noch kleiner vor und ich habe das Gefühl, dringend frische Luft zu brauchen.

»Okay … wow.«

Mein Blick schießt zur Tür, von wo aus Debbi mich mit hochgezogenen Brauen mustert.

»Wie lange stehst du schon da?«

»Lange genug, um zu bestimmen, dass wir jetzt feiern gehen.«

»Feiern? Jetzt? Ich dachte, du bist müde und musst dich in Selbstmitleid suhlen?«

Sie schnalzt mit der Zunge, wedelt meinen Einwand mit einer Handbewegung davon und marschiert zu den provisorisch aufgestellten Kleiderständern. Zielsicher zieht sie ein weißes Stretch-Kleid heraus.

»Stimmt. Aber dann fiel mir ein, dass das gar nicht meine Art ist und Drinks besser helfen als Tränen. Also, zieh dich um.«

Vehement schüttele ich den Kopf. »Vergiss es, Debbi! Ich bin total fertig und außerdem habe ich morgen das Shooting für shells. Ich muss fit sein.«

»Sei nicht so eine Langweilerin. Deine Disziplin ist echt übertrieben.« Sie kramt unbeirrt in dem Koffer mit meinen Schuhen und wirft ein paar nachtblaue High Heels auf mein Bett. »Du musst dich ja nicht abschießen. Wir tanzen und haben ein bisschen Spaß. Du vergisst Dan und ich meine miserable Modelkarriere.«

Ich seufze, weil ich weiß, dass ich gegen Debbis Entschlossenheit keine Chance habe. Außerdem möchte ich ihr dabei helfen, ihren schlechten Tag zu vergessen. Und wenn das eben Party bedeutet, bin ich dabei.

»Drei Stunden, Debbi. Maximal. Dann muss ich zu Hause im Bett liegen.«

Ihre Mundwinkel ziehen sich zu einem Grinsen auseinander. »Klar, du Streber.«

Kapitel 2

Der Wechsel der Musik ändert jedes Mal die Stimmung. Unsere bleibt gleich. Im beengten Raum ist plötzlich so viel Platz für mehr.

Paul

Ich frage mich, warum ich diesen Job nicht längst geschmissen habe. Wieso es mir mit siebenundzwanzig immer noch nicht gelungen ist, mein eigenes Ding zu machen? Weil mir der Mut fehlt, ohne Perspektive auf der Straße zu sitzen? Eventuell. Weil ich mit meinem besten Kumpel Ethan zusammenarbeite und mir das den Arbeitsalltag um einiges angenehmer macht? Definitiv.

Mit einem schweren Seufzen streife ich mir das Hemd ab und ziehe mir ein frisches Shirt über. Dann öffne ich meine Aktentasche und stecke mir eine Handvoll Visitenkarten in die hintere Jeanstasche. Es ist nicht so, dass ich meine Arbeit hasse. Immerhin darf ich mich Juniorchef nennen und verdiene gutes Geld.

Das sollte mich glücklich machen.

Ich schalte die Lichter im Haus aus und werfe einen Blick Richtung Garten. Im gelblichen Schimmer der Solarleuchten schwingen die Palmenblätter und hohen Halme der Gräser im warmen Abendwind Floridas. Wehmütig denke ich an die Hängematte, in der ich lieber mit einem Feierabend-Bier liegen würde, statt einen überfüllten Edelschuppen nach neuen Talenten abzugrasen. Bevor ich die Einfahrt zu meinem Wagen hinuntertrabe, texte ich Ethan, dass ich definitiv etwas bei ihm guthabe. Schließlich ist er der Projektleiter und das hier eigentlich sein Job. Ich sorge für die Positionierung und das Wachstum der Marke, steigende Verkaufszahlen sind mein Ding. Zahlen für Bademode und Strandaccessoires oberster Preisklasse.

Es ist mir schleierhaft, wieso Ethan in diesem Business aufgeht. Er liebt es, neue Gesichter für das Label zu entdecken und Sets für Fotostrecken zu suchen. Es ist eine oberflächliche Branche, in die er quasi reingeboren wurde. Sein Vater war selbst im Modegeschäft tätig, besaß zu Lebzeiten ein kleines Unternehmen für Herrenausstattung. Ich hingegen brauchte nach meinem Studium einen Job und die Stelle kam wie gerufen. Meine Eltern waren zufrieden und ich war es irgendwie auch.

Ja, ich gebe zu, es war in den ersten Tagen wie ein wahr gewordener, feuchter Männertraum, bei Shootings schöne Frauen in Bikinis zu beobachten und Sedcards durchzublättern. Doch dieser Eindruck kehrte sich schnell in das Bild einer harten und schnelllebigen Branche, in der nur sehr wenige bestehen. Damals hatte ich keinen Schimmer, was mich erwarten würde. Jetzt, mit vier Jahren Berufserfahrung, bin ich mehr als ernüchtert …

Nach einer halben Stunde Fahrtzeit erreiche ich Downtown und umrunde fünfmal den Block, bis ich eine Parklücke in Clubnähe erwische. Vor dem Eingang hat sich bereits eine lange Schlange gebildet. Die meisten werden den Abend woanders verbringen müssen, denn Dave, der Besitzer, achtet penibel darauf, dass die Türsteher die weiblichen Gäste in der Überzahl halten. Stars, Sternchen und andere Gutbetuchte sind besonders willkommen und werden an der Warteschlange vorbei in den VIP-Bereich gelotst.

Ich schlendere zum Eingang, vorbei an den Menschen in stylishen Anzügen und knappen Kleidchen.

»Paul Edwards von shells«, murmele ich und reiche dem breitschultrigen Typen, der außerhalb des abgegrenzten Bereiches steht, meine Visitenkarte. Ich spüre, wie mich die Wartenden neugierig mustern, als versuchten sie herauszufinden, ob ich eine berühmte Persönlichkeit sei. Nein, Leute. Ich bin nur ein Kerl, der seinen Job erledigen muss und viel lieber im Garten abhängen würde.

Die schmalen Augen des Türstehers fixieren die Karte und dann wieder mich. »Schönen Abend«, sagt er, löst die Kette der dicken Kordel und lässt mich durch den Eingang schlüpfen.

Bevor ich mich in die Menge stürze, lese ich noch Ethans Nachricht, die in dem Moment bei mir eintrudelt.

Was kann ich dafür, dass ich am Flughafen feststecke? Glaub mir, ich würde lieber in einem Club nach schönen Frauen Ausschau halten, als am Gate zu hocken und einer Oma beim Stricken zuzusehen. Obwohl es echt krass ist, wie schnell sie einen Socken fertig hat. Und sie sieht total entspannt aus. Vielleicht sollte ich stricken lernen.

 

Ich lache in mich hinein, schiebe mein Smartphone in die Gesäßtasche und steige die Treppe zum VIP-Bereich hinauf.

Jules

Das stars platzt aus allen Nähten, als Dave, der Besitzer des Clubs, uns in den VIP-Bereich führt. Er liegt oberhalb der Tanzfläche und ist, bis auf einen Tisch in einer Nische, voll besetzt. Mein Blick schweift über die Gäste. Alle sehen unheimlich wichtig aus. Mit ihren perfekten Frisuren, maßgeschneiderten Anzügen, teuren Kleidchen und goldenen Uhren an den Handgelenken. Es würde mich nicht so sehr stören, wenn sich der Großteil von ihnen nicht wie der Nabel der Welt verhalten würde.

Debbi nimmt meine Hand und zieht mich auf einen der riesigen roten Lounge-Sessel, die mit ihren dicken, weichen Polstern unfassbar gemütlich sind. Silbrige Lichtstrahlen flackern durch den meterhohen Raum. Gläserne Zapfen hängen zu Hunderten von der Decke und brechen die bunten Lichtpunkte. Ich bin kein Feierbiest, aber wenn mich die Tanzlust packt, kommen Debbi und ich am liebsten hierher. Die Luft ist durch die Höhe nicht stickig wie in anderen Clubs und vom VIP-Bereich, der von einem Glasgeländer umsäumt wird, hat man einen tollen Blick auf die Tanzfläche und das DJ-Pult.

Jeder Clubbesitzer hofft darauf, dass prominente Menschen zum Feiern kommen. Das bringt ordentlich Publicity. Das stars ist ein Geheimtipp der Szene. Hier herrscht eine hohe Dichte an Models, millionenschweren Geschäftsleuten und aufstrebenden Persönlichkeiten aus Film und Fernsehen. Viele kommen nur deshalb her. Ich will bloß Spaß haben und tanzen.

»Danke dir, Dave. Super, dass wir noch rein konnten.«