Im Abgrund der Macht - Jan Faber - E-Book
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Im Abgrund der Macht E-Book

Jan Faber

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Beschreibung

Politik und andere Verbrechen: Der erschreckend realistische Thriller-Sammelband »Im Abgrund der Macht« von Jan Faber jetzt als eBook bei dotbooks. Sie sollen dem Volk dienen – und verfolgen ganz eigene Pläne … Tatort Berlin: Im Auftrag des Kanzleramts beginnt eine junge Staatssekretärin, undercover in den eigenen Reihen ermitteln. Wird es ihr gelingen, jene verborgenen Bündnisse aufzudecken, die alles daransetzen, um die Regierung zu manipulieren? Natascha weiß, dass dies ihre politische Karriere in ganz neue Bahnen lenken kann – oder sie für ihren Ehrgeiz mit dem Leben bezahlen wird … Aber nicht nur die gewählten Volksvertreter überschreiten die Grenzen des Gesetzes: einen russischen Ölmagnaten wie Aleksander Lewtuschenko scheint nichts und niemand mehr kontrollieren zu können. Warum werden Tatjana, einer Mitarbeiterin des größten deutschen Energiekonzerns, nun brisante Unterlagen über seine Lobbyarbeit zugespielt? Vielleicht hofft jemand, dass sie mutig genug ist, um die Wahrheit ans Licht zu bringen … oder will sie als Spielfigur bei einem riskanten Schachzug opfern! Für die Fans von HOUSE OF CARDS und BORGEN: »Es gelingt Jan Faber, die Atmosphäre des überhitzten Berliner Politikbetriebs darzustellen und ein realitätsnahes Bild von Einsamkeit, Karrieresucht und ständigem Taktieren zu zeichnen.« NDR Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der Sammelband »Im Abgrund der Macht« von Politik-Insider Jan Faber mit den beiden Polit-Thrillern »Kalte Macht« und »Der Lobbyist« erlaubt uns brisante Einblicke in die Welt der deutschen Politik – spannend wie die internationalen Bestseller von Robert Ludlum und John le Caré, brisant wie die Bücher von Marc Elsberg. Wer liest, hat mehr vom Leben! dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 1041

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Über dieses Buch:

Sie sollen dem Volk dienen – und verfolgen ganz eigene Pläne … Tatort Berlin: Im Auftrag des Kanzleramts beginnt eine junge Staatssekretärin, undercover in den eigenen Reihen ermitteln. Wird es ihr gelingen, jene verborgenen Bündnisse aufzudecken, die alles daransetzen, um die Regierung zu manipulieren? Natascha weiß, dass dies ihre politische Karriere in ganz neue Bahnen lenken kann – oder sie für ihren Ehrgeiz mit dem Leben bezahlen wird … Aber nicht nur die gewählten Volksvertreter überschreiten die Grenzen des Gesetzes: einen russischen Ölmagnaten wie Aleksander Lewtuschenko scheint nichts und niemand mehr kontrollieren zu können. Warum werden Tatjana, einer Mitarbeiterin des größten deutschen Energiekonzerns, nun brisante Unterlagen über seine Lobbyarbeit zugespielt? Vielleicht hofft jemand, dass sie mutig genug ist, um die Wahrheit ans Licht zu bringen … oder will sie als Spielfigur bei einem riskanten Schachzug opfern!

Über den Autor:

Jan Faber ist ein Pseudonym. Dahinter verbirgt sich ein Autor, der in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten beratend und strategisch für mehrere hochrangige Regierungsmitglieder sowie für weitere bedeutende Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft tätig war. Er pflegt Kontakte in alle politischen Lager und hat in diversen deutschen Leitmedien publiziert.

***

Sammelband-Originalausgabe Oktober 2022

Copyright © der Originalausgabe KALTE MACHT 2013 by Page & Turner / Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH; Copyright © der Neuausgabe 2018 dotbooks GmbH, München

Copyright © der Originalausgabe DER LOBBYIST 2014 by Page & Turner / Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH; Copyright © der Neuausgabe 2019 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von shutterstock.com

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)

ISBN 978-3-98690-338-1

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Jan Faber

IM ABGRUND DER MACHT

Zwei Thriller in einem eBook: »Kalte Macht« und »Der Lobbyist«

dotbooks.

Die in diesem Sammelband vorliegenden Bücher sind Romane: Das Beschriebene hat sich so nicht wirklich ereignet. Ähnlichkeiten zu lebenden oder verstorbenen Personen waren aber aufgrund der Thematik nicht immer vermeidbar. Sie sind nicht beabsichtigt, aber von der grundgesetzlich geschützten Freiheit der Kunst umfasst.

KALTE MACHT

Sie ist ehrgeizig und zu allem entschlossen – doch als die Staatssekretärin Natascha Eusterbeck ins Kanzleramt berufen wird, ahnt sie nicht, auf welches gefährliche Spiel sie sich damit einlässt. Die Kanzlerin selbst fürchtet um ihre Macht und erteilt der jungen Frau den geheimen Auftrag, jene verborgenen Bündnisse aufzudecken, mit denen sich politische Freunde wie Feinde schon viel zu lange gegenseitig in Schach halten. Schnell gerät Eusterbeck ins Fadenkreuz skrupelloser Gegenspieler … und kommt einer Verschwörung auf die Spur, deren Sprengkraft Deutschland für immer verändern kann!

Pupille, die: vermutlich aus dem Lateinischen (pupilla für »Puppe« oder »kleines Mädchen«) abgeleitete Bezeichnung für die schwarz erscheinende natürliche Öffnung in der Regenbogenhaut des Auges, in der sich der direkte Betrachter wie eine winzige Puppe widerspiegelt.

»Man kann ein ganzes Volk eine Zeit lang belügen, Teile eines Volkes dauernd betrügen, aber nicht das ganze Volk dauernd belügen und betrügen.«

Abraham Lincoln

Prolog

Das Haus war leer. Und doch konnte Henrik ihre Gegenwart in jedem Zimmer spüren. Es war ihr Duft, der ihm begegnete, gleich, ob er im Flur stand oder im Arbeitszimmer, wo die Bäume vor dem Fenster ein strenges Muster bildeten: schwarze Stämme, die sich scharf gegen die weiße Landschaft abhoben. Er hatte sich zuerst im Erdgeschoss umgesehen und war dann nach oben gegangen. Gegenüber der Treppe lag das Arbeitszimmer. Am Schreibtisch brannte Licht, sie musste bis vor kurzem noch hier gewesen sein.

Henrik Eusterbeck trat ins Schlafzimmer nebenan, wo er ihr Bett benutzt und nicht gemacht vorfand. Die andere Seite war unberührt. Er bemerkte, dass der Schrank offen stand. Instinktiv trat er näher. Hinter der zur Seite geschobenen Kleidung starrte ihn die verschlossene Tür des Safes an. Ungewöhnlich, dass Natascha so wenig Wert auf Ordnung legte. Es musste etwas Außergewöhnliches geschehen sein. Er ging in die Hocke und tippte eine vierstellige Nummer ein. Ob sie den Code geändert hatte?

Während die Maschine leise ratterte, lauschte er, ob sich im Haus etwas tat. Doch er war allein. Lautlos schwang die Tür des Safes auf und gab den Blick auf einen Stapel Dokumente preis. Sonst war nichts in dem Tresor. Er zögerte nur einen Augenblick, dann nahm er die Papiere heraus und ging damit wieder hinüber ins Arbeitszimmer, wo er sich an den Schreibtisch setzte. Wie er aus dem Augenwinkel feststellte, blinkte das Telefon. »Neue Nachrichten«. Gewohnheitsmäßig drückte er auf die Abfrage und betrachtete die Liste: mehrmals Rufnummern in Berlin, die sich nur durch ihre Endungen unterschieden. Und einige Anrufe von »Unbekannt«. Keinen hatte sie entgegengenommen. Auch das war sehr ungewöhnlich für sie. Henrik Eusterbeck legte das Telefon beiseite und schlug die Mappe auf, die ganz oben lag. »Nofretete 061 08«.

061, dachte er. Das interne Aktenzeichen des Kanzleramts für Geheimschutz. 08 stand für Indiskretionen. Er blätterte ein wenig in den darunterliegenden Unterlagen. Notizen, Artikel, Bilder. Einiges davon hatte er besorgt. Doch offenbar hatte sie noch andere Quellen gehabt. Gute Quellen. Die Materialien wirkten unschuldig wie ein Fotoalbum aus alten Zeiten. Und doch waren sie gefährlicher als alles, was er jemals in Händen gehalten hatte. Jetzt, da er dieses Kompendium vor sich sah, wurde ihm klar, dass in den zurückliegenden Wochen etwas Entscheidendes geschehen war: Natascha hatte eine Entdeckung gemacht, die sie nie hätte machen dürfen. Und er stand im Begriff, diese Entdeckung zu teilen. Mit angehaltenem Atem las er die ersten Zeilen. Er spürte, wie sich seine Nackenhaare aufstellten. »Oh Gott, Natascha«, stöhnte er und schüttelte ungläubig den Kopf. »In was bist du da bloß hineingeraten?«

Königstein/Taunus, Herrnwaldstraße,31.10.1989, 8:33:12 Uhr.

Der Konvoi, bestehend aus drei identischen Fahrzeugen der Marke Mercedes Benz 500, fährt vor dem privaten Wohnhaus des Vorstandssprechers der Nationalbank AG, Dr. rer. pol. Albert Ritter, vor. Im Obergeschoss bewegt sich ein Vorhang, das elektrische Tor gleitet auf, die Wagen legen die letzten vierzig Meter bis zur Eingangstür zurück, vorbei am beinahe noch sommerlich grünen, perfekt getrimmten Rasen. Das mittlere Fahrzeug hält in dem Augenblick, in dem sich die Tür öffnet und Dr. Ritter heraustritt. Er trägt einen dunkelgrauen Anzug, maßgeschneidert, von Boxton & Lampertz/Savile Row, London, dazu eine tiefblaue Krawatte und ein weißes Einstecktuch. Nichts an ihm lässt auf die Anspannung der letzten Tage schließen, nichts vermuten, welche weitreichenden Pläne er gefasst hat. Sein Fahrer Eck, der ihm seit fast zwanzig Jahren treu verbunden ist, springt aus dem Wagen, umrundet ihn und reißt den Schlag mit gewohnter Präzision auf, als Ritter die wenigen Stufen zur ebenen Erde herabgekommen ist. »Guten Morgen, Herr Dr. Ritter.«

»Guten Morgen, Eck. Alles im grünen Bereich?«

»Alles im grünen Bereich, Herr Dr. Ritter.«

Albert Ritter zögert einen Augenblick. »Ein Konvoi nützt nichts, wenn die Wagen immer in der gleichen Reihenfolge fahren. Können wir nach der Einfahrt bitte umsortieren.« Keine Frage. Eine klare Anweisung, wie immer mit einem freundlichen Lächeln.

»Gern, Herr Dr. Ritter. Ich sage den anderen rasch Bescheid.«

Eck schließt die Tür des Fonds und eilt dann zum vorderen Wagen, beugt sich kurz zum Fahrer hinab, dann spricht er mit dem des hinteren Wagens. Schließlich noch einmal mit dem vorderen Fahrer. Als er einsteigt, erklärt er mit Blick über die Schulter: »Wagen eins schert kurz nach der Einfahrt aus und reiht sich dann hinten wieder ein.«

»Gut.« Ritter hat bereits seine Unterlagen aus der Aktentasche geholt und sich in ein Papier vertieft. Er sieht nur kurz auf. Eck wird später berichten, dass Dr. Albert Ritter in dem Moment doch ungewohnt angespannt gewirkt habe.

8:36:01 Uhr. Der Konvoi setzt sich in Bewegung.

Kapitel 1

Das Haus lag etwa hundert Kilometer nördlich von Berlin. Weder von der Straße noch vom See her konnte man das Grundstück einsehen – und das war der Hauptgrund, weshalb sie sich damals für das Anwesen entschieden hatten. Gebaut worden war es noch in der Zeit des Kaiserreichs, was man ihm deutlich ansah. Einerseits war es sinnlos schön mit seinen Erkern und Giebeln, den Stuckdecken und den prachtvollen Schnitzereien im Treppenhaus. Andererseits verging kein Winter, ohne dass die Heizung einen Totalschaden erlitten hätte, und kein Frühling, in dem nicht das Dach zumindest teilweise hätte erneuert werden müssen. Das Haus war alt und schön und heruntergekommen wie die ganze Gegend, die auf wundersame Weise vom Vandalismus der sozialistischen Architektur verschont geblieben war. Sie hatten es entdeckt, als Natascha Referentin im mecklenburgischen Wirtschaftsministerium gewesen war. Eigentlich hatte Natascha es entdeckt. Sie war im Auftrag ihres Ministeriums hierhergekommen, um mit den Bürgern über Strukturförderung zu diskutieren. Es hatte natürlich nie eine stattgefunden. Das Geld wurde in Schwerin gebraucht, nicht zuletzt, um noch ein paar mehr Parteifreunde mit gut dotierten Posten als Staatssekretäre und Referenten auszustatten. Da hatte sich seit der Zeit der römischen Republik nicht viel geändert: Politik war vor allem dazu da, die Provinzen legal zu plündern. Henrik hatte das schon immer geahnt, seit Natascha aber in der Partei aufgestiegen war und auf verantwortungsvollen Positionen eingesetzt wurde, konnte er es sogar belegen. Kurioserweise sah ausgerechnet seine Frau das anders. Sie war nach wie vor davon überzeugt, für das Wahre, Schöne und Gute zu kämpfen. Henrik konnte sich ein bitteres Lachen nicht verkneifen, wenn er daran dachte.

Und nun war sie also Staatssekretärin im Kanzleramt geworden. Ausgerechnet sie, die Politik gar nicht der Karriere wegen betrieb. Und er stand hier, in ihrem Haus am Valmensee, das sie sich zusätzlich zur Wohnung in Berlin Mitte gekauft hatten, und fragte sich, ob sie in Zukunft überhaupt noch Zeit füreinander haben würden. Natascha jedenfalls war nur noch selten hier draußen. Und in Berlin sahen sie sich auch immer weniger.

Ein Reiher stieg auf, Henrik konnte seinen Flügelschlag durch die Bäume erkennen. Dahinter glitzerte der See, von dem man nur einen ganz schmalen Streifen durch die eng stehenden Fichten sehen konnte. Die Politik frisst ihre Macher auf, das war nichts Neues. In ihrem konkreten Fall wurde die Sache dadurch erschwert, dass Henrik selbst einen Beruf hatte, der ihm viel Zeit abforderte. Er war Unternehmensberater im IT-Bereich. Freiberuflich. Eigentlich ein Höllenjob. Denn die Kleinen wurden immer gedrückt, mussten sich ständig um Akquise kümmern und liefen ihrem Geld am längsten hinterher. Außerdem gab es »Berater« wie Sand am Meer. Jeder Loser, der irgendwo wegrationalisiert worden war, nannte sich Berater. Und je mehr schlechte es in dem Gewerbe gab, umso schlechter für alle guten. Also war er ständig auf Reisen, übernachtete immer öfter in zweitklassigen Hotels, verheizte sich täglich für undankbare Kunden und gab trotzdem jeden Tag aufs Neue den Strahlemann mit den perfekten Anzügen, den perfekten Zähnen und dem perfekten Händedruck.

Das Handy vibrierte. »Natti!«

»Hi. Ich vermisse dich.«

Etwas bewegte sich am See.

»Ich vermisse dich auch.« Es fiel ihm nicht schwer, seiner Stimme ein Lächeln zu verleihen, selbst wenn er ganz ernst blieb. »Sind sie auch alle lieb zu dir, in eurem Kanzlerkindergarten?«

»Henrik, bitte!«

Jemand trat ans Ufer. Henrik Eusterbeck nahm ganz automatisch das Fernglas zur Hand.

»Doch, sie sind alle lieb.«

»Und? Was sagt die Kanzlerin?«

Es war eine Frau. Sie zog sich aus und stieg im Bikini ins Wasser. Henrik zoomte sie heran.

»Das kann ich dir nicht am Telefon sagen.«

»Ich denke, das kannst du gar nicht sagen. Oder? Ist es nicht geheim, was ihr da besprecht?« Und sie sah gut aus. Sehr gut sogar. Als ihr Busen für einen Augenblick vom Wasser angehoben wurde, ehe er hineinglitt, hielt Henrik Eusterbeck den Atem an.

»Schatz?«

»M-ja?«

»Hörst du mir zu?«

»Klar.«

»Entschuldige. Ich hatte das Gefühl, du bist abgelenkt.«

Sie war weg. Henrik versuchte, noch irgendetwas zu erkennen, doch die Bäume standen viel zu dicht. »Unsinn«, sagte er. »Von dir kann mich nichts ablenken!«

»Gut zu wissen«, sagte Natascha mit weicher Stimme. »Können wir uns treffen?«

»Sag nicht, du hast Zeit für mich. Haben sie dich schon wieder gefeuert?« Er hielt das Fernglas auf die Stelle gerichtet, an der die Kleider lagen. Schließlich würde sie dorthin zurückkommen.

»Mach keine schlechten Scherze.« Natascha seufzte. »Ich bin noch nicht mal vereidigt. Nein, ich muss etwas mit dir besprechen.«

»Okay. Und wann hätten Sie einen Termin für mich frei, Frau Staatssekretärin in spe?«

»Morgen Abend?«

Henrik nahm seinen Kalender zur Hand und blätterte ihn auf. Der ganze Tag war frei. So wie die halbe Woche. Natascha musste das nicht wissen. Er blätterte gewohnheitsmäßig herum, wie er es immer tat, wenn ein Termin zu vereinbaren war. »Geht klar«, sagte er schließlich. »Um acht im Gianni's?«

»Sagen wir lieber um neun. Oder halb zehn. Und hol mich hier ab, ja? Gib an der Pforte Bescheid, ich komme dann raus.«

»Geht klar.«

»Ich liebe dich.«

»Ich liebe dich auch.« Er drückte den Anruf weg und sah wieder durch das Fernglas. Doch die Kleider und die Frau waren verschwunden.

***

Natascha Eusterbeck war kein politisches Küken, auch wenn die Opposition sie gerne als solches hinstellte. Damit konnte sie leben. Es war auch ein Teil des Erfolgsgeheimnisses der Kanzlerin, immer unterschätzt zu werden. Im Grunde galt das für alle Frauen in der Politik oder in der Wirtschaft. Und so hatte Natascha sich frühzeitig daran gewöhnt, als Leichtgewicht behandelt zu werden und dabei unauffällig ihre Dinge zu regeln. Sacharbeit lag ihr. Sie war keine Show-Politikerin, obwohl ihr ihre Attraktivität durchaus zugutekam. Mit Mitte dreißig hatte sie es bis ins Kanzleramt gebracht. Immer öfter wurde sie in den Medien zitiert. Sie saß in den Bundestagsausschüssen für Inneres und für Verteidigung, und das nicht nur, weil sie eine Frau war. Eher konnte man sagen, obwohl sie eine Frau war. Nein, sie war nicht über die Quote ins Zentrum der Macht gelangt. Dennoch war der Anruf der Kanzlerin und die Frage, ob sie bereit wäre, als Staatssekretärin ins Kanzleramt zu kommen, eine Auszeichnung für sie gewesen, die sie nicht erwartet hätte.

Als sie Henrik davon erzählt hatte, hatte sie gemerkt, dass auch er für einen Moment sprachlos gewesen war. Er hatte ihr zugezwinkert, um ihr Mut zu machen und zu zeigen, dass er an sie glaubte. Dann, für die Dauer eines Atemzugs, hatten sie sich angesehen, und sie hatten beide gewusst: Von jetzt an würde alles anders sein. Sie würden noch weniger Zeit miteinander verbringen können, es würde keine spontanen Verabredungen oder gar Besuche mehr geben. Wenn Natascha ihren Termin bei der Kanzlerin gehabt haben würde, wäre sie ein Teil der Macht – und sie würde zu den Geheimnisträgern und zu den meistgefährdeten Menschen der Republik gehören.

Das Handy klingelte. Es war Petra Reber, die Sekretärin ihres Wahlkreisbüros. »Petra, was gibt's?«

»Ich weiß, du hast keine Zeit. Aber da ist diese Frau ... Sie sagt, sie will auspacken. Und sie wird bedroht.«

Natascha Eusterbeck versuchte sich zu konzentrieren, während das Taxi den Fluss überquerte und auf das Kanzleramt zufuhr. »Auspacken? Was?«

»Keine Ahnung. Aber so wie sie aussah, hat sie einige intime Kenntnisse, wenn du verstehst, was ich meine.«

»Sie war im Büro? Und du denkst, sie ist eine Prostituierte?«

»Sie war da, ja. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass sie eine Hure ist.«

»Und sie wird bedroht? Wieso bedroht? War sie bei der Polizei?«

»Sie sagt, sie traut sich nicht. Offenbar kennt sie dich von irgendwoher. Jedenfalls hat sie nur zu dir Vertrauen. Also ich weiß auch nicht, Natascha, aber wenn du kannst, ruf sie an. Sie klang wirklich verzweifelt.«

»Das geht nicht. Ich habe in einer Viertelstunde meinen Termin bei der Kanzlerin.«

»Verstehe ich. Trotzdem. Ich hab kein gutes Gefühl. Sie sah ziemlich fertig aus. Offenbar ist sie geschlagen worden.«

»Warum hast du ihr nicht gesagt, sie soll zur Bürgersprechstunde kommen?«

»Hab ich. Sie traut sich nicht. Sie hat mir eine Telefonnummer gegeben. Ich schicke sie dir per SMS. Dann kannst du dich bei ihr melden, wenn du Zeit hast.«

»Gut, schick mir die Nummer.« Natascha Eusterbeck legte auf. Sie schloss kurz die Augen. Gewalt gegen Frauen war ein immer wiederkehrendes Thema. Vermutlich begegnete es fast allen Frauen, die in der Politik tätig waren. Ein ewiger Kampf gegen die Hydra, denn gewalttätige Männer wuchsen stets nach. Natascha war im Beirat des Frauenhauses in ihrem Wahlbezirk engagiert. Vielleicht hatte die Frau sie dort erlebt und sich jetzt hilfesuchend an sie gewandt.

Eine Baustelle versperrte den Weg, das Taxi musste einige Augenblicke warten. Die Kurznachricht von Petra Reber kam auf Nataschas Handy. Sie sah auf die Uhr. Noch elf Minuten bis zu ihrem Termin. Vier Minuten, bis sie an der Pforte sein würden. Sie seufzte, wählte die Nummer doch. Es klingelte nur einmal, dann meldete sich eine tiefe, angenehme Frauenstimme. »Ja? Hier ist dein schwarzer Engel.«

»Hier spricht Natascha Eusterbeck. Mit wem bin ich verbunden?«

»Frau Eusterbeck!« Der ausländische Akzent war nicht zu überhören. Und der lockende Ton war weg. »Danke, dass Sie mich anrufen. Ich muss Sie unbedingt treffen!«

»Sind Sie die Frau, die in meinem Büro gewesen ist?«

»Ja, das bin ich.«

»Worum geht es denn?«

»Das kann ich am Telefon nicht sagen. Bitte lassen Sie uns ein Treffen ausmachen.«

»Meine Sekretärin sagt, Sie wollen auspacken. Was meinen Sie damit?«

»Nicht am Telefon. Bitte!«, flehte sie. »Wann kann ich Sie sehen?«

»Hören Sie ...«

»Es geht um Leben und Tod. Wirklich.« Die Stimme der Frau war leise geworden. Leise, drängend und panisch.

»Das geht jetzt nicht. Können Sie nicht noch mal in meinem Büro ...«

»Bitte!«

Natascha seufzte. »Ich bin gerade auf dem Weg ins Kanzleramt, ich kann Sie jetzt auf keinen Fall treffen.«

»Später. Oder morgen. Sie müssen nicht denken, dass ich verrückt bin. Ich bin nicht verrückt. Aber ich habe Angst. Um mich und um mein Kind.«

»Okay, hören Sie, ich gehe jetzt in meinen Termin. Das wird ein paar Stunden dauern. Wenn ich fertig bin, rufe ich Sie wieder an, ja?«

»Danke.« Natascha konnte hören, dass die Frau weinte. Sie legte auf und schaltete das Handy aus. Inzwischen hatten sie die Pforte des Kanzleramtsgeländes erreicht. Sie zahlte und stieg aus. Am Eingang legte sie die Ausweiskarte vor, die ihr am Morgen ein Kurier in ihre Berliner Stadtwohnung gebracht hatte. Hier ist dein schwarzer Engel, dachte sie. Zweifellos hatte Petra Reber recht, und es war eine Prostituierte. Eine Farbige offenbar. Natascha mochte sich gar nicht vorstellen, was für ein Schicksal vermutlich hinter ihrer Lebensgeschichte steckte. Aber sie würde es müssen. Schließlich war sie in die Politik gegangen, um zu helfen, wo es möglich war.

***

Es gibt Menschen, die eine ungeheure Ruhe ausstrahlen, während um sie herum das Chaos tobt. Zu diesen Menschen gehörte die Kanzlerin – und doch auch wieder nicht. Denn obgleich es kaum etwas gab, das sie aus ihrer stoischen Haltung riss, hatte man doch niemals das Gefühl, dass sie einem ihre ganze Aufmerksamkeit schenkte. Im Gegenteil: Während ihr Referent ihr außenpolitische Entwicklungen aus den Krisengebieten der Welt vortrug, konnte sie Akten über die jüngsten Arbeitsmarktzahlen studieren und immer noch ein Auge auf ihrem Handy haben, auf dem im Minutentakt Kurznachrichten eintrafen.

Bernhard Bauer, der persönliche Referent der Kanzlerin, war ein blasser, stiller Mann von unverbrüchlicher Loyalität. Vor allem war er unsichtbar, was die Kanzlerin schätzte. Sie konnte am besten mit Mitarbeitern, die keinen Drang zur Selbstdarstellung hatten und sich auch nicht mit persönlichen Meinungen oder gar Ideologien hervortaten. Ideologien oder Dogmen waren ihr verhasst. Meine Ideologie ist die Machbarkeit, pflegte sie zu sagen. Dieser Feststellung hätte sogar die Opposition zugestimmt, wenngleich mit beißendem Spott.

Als Natascha Eusterbeck gemeldet wurde, verließ Bauer den Raum, grüßte in der Tür mit einem Nicken und verschwand in seinem Büro um die Ecke. »Guten Morgen, Frau Eusterbeck.« Die Kanzlerin schenkte ihr ein Lächeln. Natascha atmete innerlich auf. Sie war doch etwas befangen gewesen, aber die Kanzlerin hatte das Eis mit einem einzigen Blick gebrochen. Die Alte war eben ein Profi. »Guten Morgen, Frau Bundeskanzlerin.«

»Setzen Sie sich doch.« Sie machte keine Anstalten, sich zu erheben und mit Natascha zu der Ecke zu gehen, in der die bequemen Sessel und einige verlorene Straßenschachfiguren standen, sinnigerweise eine Dame nebst Bauern. Vermutlich setzte sie sich nie dorthin. Die Kanzlerin war die Effizienz in Person. Was nicht zielführend war, war unnötig, was der Sache nicht diente, nutzlos. Es hatte Jahre gedauert, bis ihre Berater es geschafft hatten, sie von der Notwendigkeit des Smalltalks mit ausländischen Staatsgästen zu überzeugen. Sie wollte immer sogleich ins Herz der Dinge vorstoßen, Schnörkel und Zierrat waren ihr nur überflüssiges Beiwerk.

Natascha setzte sich auf den Stuhl an der gegenüberliegenden Seite des Tisches – es war der große Konferenztisch, auf dem sich Akten stapelten, den eigenen Schreibtisch empfand die Kanzlerin als unpraktisch und unübersichtlich – und stellte ihre Tasche auf den Boden. Im Hintergrund liefen stumm die Bilder mehrerer Sender auf Flachbildschirmen an der Wand. »Ich freue mich, dass Sie meinen Vorschlag angenommen haben.«

»Es ehrt mich, dass Sie an mich gedacht haben.«

»Nun, es geht nicht um die Ehre, sondern um die Sache. Ich habe Sie schon seit einigen Jahren sorgfältig beobachtet.« Die Kanzlerin ließ ihre Augen zum Handy gleiten, hielt kurz inne, dann fuhr sie fort: »Sie haben Ihre Sache gut gemacht in Schwerin. Und auch in den Ausschüssen.«

»Na ja, es war trotzdem eher ein Wunder, dass ich in die Ausschüsse nachgerückt bin. Als Jungabgeordnete ...«

Die Kanzlerin blickte sie mit zweifelndem Blick von unten herauf an. »Das war kein Wunder, meine Liebe, das können Sie mir glauben.« Natascha spürte, wie ihre Hände feucht wurden. Ihr Herz schlug viel zu schnell. Komm schon, Natascha, sie will was von dir, nicht du von ihr! Obwohl ihr Bluffen nicht sonderlich lag, wagte sie ein Lächeln. »Wenn Sie das sagen ... nehme ich das an«, sagte sie souveräner, als sie es selbst erwartet hatte. Unvermittelt nahm die Kanzlerin das Handy und tippte eine Nachricht. Dann legte sie es wieder weg, scannte aus den Augenwinkeln die Bildschirme mit den Nachrichtensendern und beugte sich etwas vor: »Dieses Haus ist groß. Ich habe Ihnen eine Mappe machen lassen, in der Ihre Aufgaben formuliert sind.« Sie reichte einen schmalen Ordner über den Tisch. »Ihre offiziellen Aufgaben. Es geht hauptsächlich um Struktur und Effizienz. Das Kanzleramt braucht eine straffere Organisation. Hier gibt es zu viele Mitarbeiter, von denen kein Mensch weiß, was sie eigentlich tun. Vermutlich wissen sie es selbst nicht.« Jeder andere hätte an der Stelle zumindest gelächelt. Doch die Miene der Kanzlerin war wie in Stein gemeißelt – einschließlich ihrer schweren Lider. Wie lange mochte sie schon nicht mehr richtig geschlafen haben? »Referate zusammenführen, Aufgaben neu verteilen, die Kommunikation nach außen, aber auch die interne neu definieren und ins Werk setzen, das sind für den Anfang die Kernbereiche. Natürlich aber auch das klassische Aufgabenfeld, der Austausch mit den anderen Ämtern von Premiers und Präsidenten und mit den Kanzleien der Despoten im Nahen und Mittleren Osten und in den Bundesländern.« Nun huschte doch ein süffisanter Anstrich über ihr Gesicht.

Natascha nickte. »Und die inoffiziellen?«

Für einen Augenblick schwieg die mächtigste Frau der Republik und ließ ihren Blick auf Natascha ruhen. Nein, sie durchleuchtete sie. Was immer sie in ihren Augen zu finden gehofft oder gefürchtet hatte, sie wischte es mit einer Geste beiseite, indem sie eine weitere Mappe zur Hand nahm. Natascha stockte der Atem. Es war ganz offensichtlich eine Akte über sie. Obenauf lagen kein Zeitungsartikel und kein Memo mit persönlichen Daten, obenauf lag eine Kopie ihrer Heiratsurkunde. »Die inoffiziellen Aufgaben, meine Liebe, müssen ein Geheimnis unter uns beiden bleiben.«

***

Eigentlich lohnte es sich kaum, immer wieder den Koffer zu packen, wenn er das Sommerhaus verließ, um nach Berlin zu fahren. Denn in der Stadtwohnung übernachtete er inzwischen viel seltener als draußen am See, und wenn er dort war, blieb er nie lange. Trotzdem wuchtete er den Trolley, den er auch als Handgepäck nutzte, auf den Rücksitz und nahm die Schmutzwäsche in einem extra Sack mit, den er in den Kofferraum warf. Er war gerade dabei, sich eine CD für die Fahrt herauszusuchen, etwas Leichtes, bei dem er seinen Gedanken nachhängen konnte, da klopfte es an die Beifahrertür. Henrik Eusterbeck ließ die Scheibe herunter und blickte überrascht in das Gesicht einer vielleicht nicht mehr ganz jungen, aber sehr attraktiven Frau. »Ja?«

»Entschuldigen Sie. Ich wollte Sie fragen, ob Sie mich vielleicht ein Stück mitnehmen können.« Sie zuckte mit den Schultern. »Ich bin versetzt worden.«

Henrik spürte, wie seine Lebensgeister erwachten. »Kann ich mir kaum vorstellen«, sagte er und versuchte sein charmantestes Lächeln. »Wo müssen Sie denn hin?«

»Irgendwo, wo ich einen Zug nach Berlin nehmen kann.«

»Steigen Sie ein.« Ihr Haar war feucht, das Kleid, die Figur – als sie die Tür öffnete, wusste Henrik sofort, dass es die Frau war, die er beim Baden beobachtet hatte. »Was führt Sie in die Gegend?«

»Ach, das ist eine lange Geschichte«, sagte sie, während sie den Gurt anlegte und sich dabei weit zu ihm hinüberbeugte und ihm reizvolle Einblicke gewährte. Sie machte nicht den Eindruck, als wollte sie die Geschichte erzählen. »Ich fahre nach Berlin«, erklärte Henrik. »Wenn Sie wollen, kann ich Sie auch bis dorthin mitnehmen.«

»Heute scheint mein Glückstag zu sein!«, lachte sie.

Meiner auch, dachte Henrik, obwohl er es nicht denken wollte. Natascha hatte das gleiche Lachen. Oder vielmehr: Sie hatte es gehabt. Irgendwann aber hatte sie es verloren. Irgendwann war ihr das Unbeschwerte abhandengekommen. Verdammt, Natti war mal ein so lebenslustiges Mädchen gewesen.

»Sorgen?«, fragte die Frau neben ihm.

Er seufzte. »Ach, es ist nichts.« Nein, er würde sicher nicht mit dieser Frau ausgerechnet über seine Frau sprechen. Sie hatten eine gute Stunde Fahrt vor sich. Die würde er nicht verschwenden. Wenn er sie genießen konnte, würde er sie genießen. Er setzte sein strahlendstes Lächeln auf und drehte den Zündschlüssel. »Erzählen Sie mir ein bisschen von sich. Was machen Sie so? Wo kommen Sie her?«

***

Der Himmel über Berlin war diesig, nicht der Hauch eines Lüftchens bewegte sich, als sie mit der Kanzlerin vor die Tür trat bei diesem denkwürdigen ersten Gespräch. »Gehen wir ein paar Schritte draußen spazieren«, sagte die Kanzlerin. Natascha nickte und ging vor.

»Wir gehen in den Kanzlergarten.«

»Ich wusste gar nicht, dass es den gibt.«

»Gibt es auch nicht«, sagte die Kanzlerin leichthin. »Das haben die Planer übersehen.« Dennoch hatte sie, wie Natascha feststellte, einen Winkel in den Außenanlagen des Kanzleramts entdeckt, in dem man ungestört sitzen und sprechen konnte. Die Männer von der Security hielten sich zurück und blieben auf Abstand, nicht ohne die beiden Frauen im Blick zu behalten. »Konnten Sie sich schon mit den Räumlichkeiten und mit einigen Kollegen vertraut machen?«

»Soweit das in der Kürze der Zeit möglich war, ja.«

»Gut.« Die Kanzlerin ließ ihre stechend grauen Augen auf Natascha ruhen, schien ihr Inneres auszuleuchten, ehe sie fortfuhr. »Das Bundeskanzleramt ist ein Paralleluniversum. Hier arbeiten zurzeit fünfhundert Menschen. Auf ein paar von ihnen kommt es an. Es gibt Mitarbeiter, die waren schon in Bonn an Bord. Andere sind ganz neu. Es ist nicht immer so, dass man sich auf die ältesten Mitarbeiter am besten verlassen kann ...« Die Kanzlerin nahm ihr Handy aus der Tasche und warf einen Blick darauf, dann steckte sie es wieder weg. »Natürlich gibt es auch keine Garantie, dass man sich auf die neuen verlassen kann ...«

»Ich versichere Ihnen, dass ich jederzeit und unter allen Umständen loyal sein werde!«, warf Natascha ein, die das ungute Gefühl hatte, einem Test unterzogen zu werden. Sie meinte es ehrlich. Doch sie erntete bei der Kanzlerin nur leicht hochgezogene Augenbrauen. »In der Politik gibt es keine Loyalität.« Ein Hausdiener trat ins Freie und kam mit flinken Schritten auf sie zu. »Entschuldigen Sie, Frau Bundeskanzlerin, der Fraktionsvorsitzende möchte Sie gerne wegen der aktuellen Fragestunde sprechen.«

»Sagen Sie ihm, ich rufe in zwanzig Minuten zurück, und geben Sie im Sekretariat Bescheid.« Der Hausdiener nickte und eilte davon, während die Kanzlerin sich wieder Natascha zuwandte: »Deshalb brauche ich Ihren Mann.«

»Meinen Mann?« Natascha war verwirrt. Die Kanzlerin kannte ihn nicht einmal. Nun war sie wirklich überrascht – und neugierig. »Es geht um die besonderen Aufgaben, für die ich Sie vorgesehen habe«, sagte die Kanzlerin. Natascha sah sie abwartend an. »Wie Sie wissen, gilt das Amt des Parlamentarischen Staatssekretärs als eines ohne Bedeutung, vor allem ohne Aufgaben und Macht.« Sie machte eine kurze Pause, als müsse sie selbst ihren Worten nachlauschen. Dann nickte sie kaum merklich und atmete durch. »Ich habe Ihnen eine Aufgabe zugewiesen, die ich eigentlich an einen beamteten Staatssekretär hätte delegieren müssen. Diese Herren sind auf Strukturen geeicht. Sie beherrschen das Handwerk. Sie sind bürokratisch perfekt. Vor allem: Sie kennen das Kanzleramt wie ihre Westentasche. Doch da liegt genau das Problem.«

Natascha hob reflexhaft die Hand und ärgerte sich, sah sie doch wie eine Schülerin beim Abfragen aus. »Aber genau das scheint mir das größte Problem für einen Einsteiger wie mich: Ich werde einige Zeit brauchen, bis ich die Strukturen des Hauses so gut kenne, dass ich Vorschläge zur Effizienz machen kann, die die langjährigen Mitarbeiter nicht sofort in der Luft zerreißen.«

Ein dünnes Lächeln umspielte die Mundwinkel der Kanzlerin. »Es schadet nicht, wenn man Sie unterschätzt, meine Liebe. Machen Sie sich keine Sorgen wegen der Strukturvorschläge. Da wird einiges nützlich sein, anderes nicht. Mir geht es in Wirklichkeit um etwas anderes.« Das Lächeln war verschwunden. Plötzlich wirkte die mächtigste Frau der westlichen Welt müde, erschöpft. Sie senkte den Blick und die Stimme. »Was mir fehlt, ist eine Vertraute.«

»Bitte?« Mit allem hätte Natascha gerechnet, aber nicht mit einem solchen Bekenntnis.

»Das Kanzleramt ist ein Haifischbecken. Seit Jahren versuche ich, die heimlichen Machtstrukturen zu durchleuchten. Es gibt hier Netzwerke und Querverbindungen, die ihre ganz eigenen Interessen verfolgen. Die meisten Mitarbeiter agieren nach der Devise: Mir ist egal, wer unter mir regiert. Das Problem ist: Je größer das Eigenleben des Amts, umso gefährlicher ist das Regieren.« Die Kanzlerin sah ihre junge Mitarbeiterin von unten herauf an. Es war dieser Hundeblick, von dem man nicht sagen konnte, ob er nur die Wirkung prüfen wollte oder ob er für die ganz große Last stand, unter der die Kanzlerin litt.

»Heißt das, Sie gehen von einer Verschwörung aus?«

»Von einer Verschwörung? Gott, nein, das ist ja hier nicht Hollywood.« Die Stimmung der Kanzlerin schlug um, mit einem Mal bekam ihr Blick etwas Angriffslustiges. »Mit einer Verschwörung könnte ich leicht selbst fertigwerden. Nein. Mir geht es um die heimlichen Machtstrukturen im Amt. Wenn das hier ein Netz ist, will ich die Spinne sein.«

»Und Sie glauben, dass ich diese Strukturen durchleuchten kann?«, fragte Natascha ungläubig. Entweder hielt die Kanzlerin sie für naiv, oder sie war es selbst. Wenn diese Meisterin der Macht es nicht vermochte, das Gewirr an Einflüssen und Abhängigkeiten zu erhellen, wie sollte sie es schaffen?

»Natürlich können Sie es. Sie sind klug, haben einen unbestechlichen Blick – und Sie sind unauffällig. Ich weiß, was Sie denken. Sie denken, ich wüsste sowieso alles. Alle Codes, alle geheimen Dossiers, alle diplomatischen Tretminen. Das stimmt sogar. Ich bin ja nicht erst in der Politik, seit ich Kanzlerin bin. Und ich war immer ganz gut im Durchschauen von Seilschaften und Hinterzimmervereinen. Vielleicht weiß ich auch zu viel.« Sie drehte sich um und gab einem der Security-Leute ein Zeichen, zu ihr zu kommen. »Sagen Sie bitte in meinem Bundestagsbüro Bescheid, dass wir um elf Uhr die Fraktionsführer erwarten. Alle Fraktionen. Danke.« Der Mann, der mindestens anderthalb Köpfe größer war als die Kanzlerin, nickte, hob seine Hand an den Mund und gab, noch während er sich abwandte, durch: »Bin kurz vom Posten. Auftrag von der Kanzlerin. Bitte Ersatz.« Und er war kaum um die Ecke, als schon ein anderer, zweiter Mann neben dem verbliebenen auftauchte. »Sehen Sie«, fuhr die Kanzlerin fort, »es gibt zwei Probleme. Zum einen weiß ich unendlich viel, aber es ist angesichts der Fülle von Details kaum noch möglich, die Zusammenhänge zu überblicken. Zum anderen kann ich selbst nicht fragen, wer mit wem vertraut ist oder wer wen ausbooten will. Als Kanzlerin bin ich hier der einsamste Mensch. Niemand weiß so viel, und niemand erfährt so wenig wie ich.«

»Aber das wird mir nicht anders gehen, Frau Bundeskanzlerin«, erklärte Natascha und versuchte, während sie sprach, einen klaren Gedanken zu fassen. »Wer wird mir schon etwas erzählen? Mich kennt kaum einer im Amt. Es wird lange dauern, bis ich allein zu den wichtigsten Mitarbeitern ein Vertrauensverhältnis aufgebaut habe ...«

Die Kanzlerin winkte ab. »Das brauchen Sie doch gar nicht«, sagte sie in einem Ton, als müsste sie einer Drittklässlerin zum achten Mal erklären, was der Unterschied zwischen Multiplizieren und Dividieren ist. »Keiner wird Ihnen etwas erzählen wegen des besonderen Vertrauensverhältnisses, das Sie miteinander unterhalten.« Sie beugte sich zu Natascha und sah ihr direkt in die Augen. »Alles, was man Ihnen erzählen wird, wird aus Eigennutz an Sie herangetragen werden. Wenn erst einmal bekannt ist, dass Sie sich gerne informieren, wird man Ihnen viel erzählen. Jeder wird das wissen und an Sie weitergeben, was ihm nützt und was seinem jeweiligen Gegner schadet. Ihre Aufgabe wird sein, aus dem Destruktiven dieser Informationen ein positives Bild zu zeichnen. Ich habe Sie auf diese Position geholt, weil ich eine Agentin in diesem Haus brauche. Und eine Kartografin.«

»Eine Kartografin?«

»Der Macht. Stellen Sie sich vor, Sie kennen jede Strömung, jede Klippe, jede Landzunge, jede Sandbank – aber Sie haben keine Ahnung, wo alle diese Orte auf der Seekarte liegen. Ich kenne das meiste. Aber ich kann die Zusammenhänge nicht mehr herstellen. Es ist zu viel. Was ich von Ihnen will, ist, dass Sie mir eine Karte der Macht zeichnen. Nein, viele Karten. Legen Sie Archive an, werten Sie Quellen aus, zeichnen Sie mir die unterschiedlichsten Karten. Ich meine das absolut wörtlich. Ich will Karten, Bilder, auf denen ich Zusammenhänge sehen kann. In jedem Bereich. Wirtschaft. Militär. Justiz. Stiftungen. Männerbünde. Frauencliquen. Wer mit wem. Warum. Wann. Wie oft. Zeichnen Sie mir Verbindungen. Wo verlaufen die unsichtbaren Strömungen? Wer beschäftigt welche U-Boote?«

Natascha schüttelte den Kopf. »Wie soll das gehen? Solange ich die Lüge nicht von der Wahrheit unterscheiden kann und jede Verleumdung und jedes Gerücht für bare Münze nehmen muss, laufe ich Gefahr, in jede Falle zu gehen – und Ihnen Falschinformationen zu liefern. Ich brauche Vertraute, mit denen ich zumindest einen Gegencheck machen kann.«

»Da haben Sie recht«, sagte die Kanzlerin und stand auf. »Und da kommt Ihr Mann ins Spiel.«

Natascha Eusterbeck ahnte nicht, dass sie selbst der Spinne ins Netz gegangen war.

***

Als sie das Gebäude wieder betraten, wartete bereits Gerhard Jäger auf sie, der Sicherheitschef des Kanzleramts, ein langer, hagerer Mann Ende vierzig, der ständig mit einem Knopf im Ohr herumlief, dessen Kabel im Kragen seines Jacketts verschwand. »Herr Jäger«, sagte die Kanzlerin, »ich bringe Ihnen hier unsere neue Kollegin. Seien Sie so nett und zeigen Sie ihr alles, statten Sie sie aus. Und vor allem stehen Sie ihr zur Verfügung. Sie hat unter anderem die Aufgabe, unser Amt noch effizienter zu machen und unsere Strukturen zu optimieren.« Dann wandte sie sich wieder Natascha zu: »So, ich muss mich jetzt wieder um andere Dinge kümmern. Meine Handynummer gibt Ihnen Herr Jäger. Schreiben Sie mir jederzeit eine SMS. Und ansonsten wissen Sie ja, wo Sie mich finden. Alles Weitere haben wir besprochen.« Sie lächelte freundlich und unverbindlich, drückte Natascha die Hand und ging dann die Treppe hoch, nicht ohne ihre Kurznachrichten zu checken.

»Willkommen im Club«, sagte Jäger und ließ eine Hand in sein Jackett fahren. »Wir machen jetzt die kleine Tour«, sagte er, offenbar nicht zu Natascha. »Wir sehen uns in zwanzig Minuten im Lageraum. Entschuldigung, jetzt bin ich für Sie da.« Er blickte Natascha an, und es war dieser prüfende Blick, der automatisch unter die Achseln, an die Ärmel, Körpermitte und Füße zielte, also dorthin, wo das Waffenpotenzial eines Menschen am höchsten war. »Können wir?«

»Gerne«, sagte Natascha und folgte ihm. Sie gingen in einen gesicherten Raum hinter dem Empfang und von dort einen Gang entlang, der Natascha vage an die Stasiunterlagenbehörde erinnerte. Die Kälte dieses Trakts war beinahe körperlich zu spüren. »Zu den Verhaltensregeln im Haus«, begann Jäger zu dozieren. »Das Kanzleramt ist in mehrere Bereiche eingeteilt, für die unterschiedliche Sicherheitsstufen gelten. Im ›Heiligtum‹ waren Sie ja vorhin schon. Der Kanzlertrakt und die umgebenden Räume, das Sicherheits-, das Lagezentrum und die Kommunikationszentrale sind Sicherheitsstufe drei. Alles andere ist Sicherheitsstufe zwei, nur die Außenbereiche gelten als Sicherheitsstufe eins. Für die Eins reicht Ihr Ausweis ... ach so«, er griff in sein Jackett und holte eine Plastikkarte mit Magnetstreifen, Chip und Hologramm hervor. »Das ist Ihre. Sie wird freigeschaltet, sobald Sie sie zum ersten Mal benutzen. Das wird vermutlich der Fall sein, wenn Sie das Haus wieder verlassen.« Er sah sie an. »Es sei denn, Sie betreten heute noch einmal das Heiligtum.«

»Den Kanzlertrakt.«

»Zum Beispiel.«

»Und wie lange ist sie gültig?«

»Bis wir sie wieder sperren.«

Natascha stellte überrascht fest, dass auf der Karte kein Name stand, sondern nur eine Nummer. »Sind diese Karten nicht namentlich zugeordnet?«

»Sicher doch. Aber es reicht, wenn wir wissen, wem sie gehört. Dritte müssen das nicht wissen. Nicht nötig zu erwähnen, dass die Karte ausschließlich Ihnen persönlich Zugang gewährt. Wenn Sie Begleitung haben, braucht die Begleitung einen Sonderausweis. Das ist normalerweise ein Tagesausweis, den man an der Pforte bekommt – wenn man einen Termin im Kanzleramt hat.«

»Ich nehme an, es gibt keine Partnerkarte«, versuchte Natascha zu scherzen. Doch für solche harmlosen Späße hatte Jäger kein Gehör. »Gibt es nicht«, sagte er freundlich und trocken. »So, hier ist der Security-Raum. Wenn es ein Problem mit Ihrer Karte oder mit irgendwelchen Sicherheitsfragen im Haus gibt, dann ist dies Ihre erste Anlaufstelle.« Er öffnete die Tür zu einem fensterlosen Raum, in dem etwa ein halbes Dutzend Mitarbeiter vor Bildschirmen saßen. Eine Wand war zusätzlich mit Bildschirmen gepflastert, die offenbar die Perspektive der Überwachungskameras zeigten. Jäger fing Nataschas Blick auf und erklärte: »Die oberen Bildschirme zeigen alles, was wir im Außenbereich abdecken, die unteren, was im Haus aufgezeichnet wird. Dazu kommen Kameras, die in Spezialfällen aktiviert werden.« Er deutete auf eine kleinere Monitorwand an der Seite. »Die Kollegen hier arbeiten in drei Schichten. Wir haben in« – er blickte auf seine Uhr – »vierzehn Minuten Wechsel. Also, ich habe Ihnen vorbereitet, was Sie benötigen, um im Haus zurechtzukommen. Wenn Sie sonst noch etwas brauchen, geben Sie mir jederzeit Bescheid.« Er trat an einen verwaisten Tisch, offenbar seinen eigenen, und nahm eine Mappe zur Hand. »Den Hausausweis haben Sie schon bekommen. Hier sind Ihre Legitimationsdokumente, und zwar in zweifacher Ausfertigung, von der Sie mir bitte eine unterschreiben. Dann die Hausordnung, lachen Sie nicht, ich garantiere Ihnen, es gab noch keinen neuen Mitarbeiter, der nicht damit in Konflikt geraten wäre. Außer David Berg.«

»Der Streber«, hörte Natascha im Hintergrund jemanden murmeln.

»Alle Infos im Umgang mit den Codes im Haus stehen hier drauf. Auch Ihre PIN, die Sie im Bereich Sicherheitsstufe drei brauchen.« Er deutete auf die Karte, die Natascha immer noch in der Hand hielt. »Ohne PIN kommen Sie mit der nur in die Bereiche eins und zwei. Übrigens werden wir demnächst biometrische Chips anschaffen. Dann brauchen Sie den Code nur noch für Stufe drei – zusätzlich zu Ihrem Fingerabdruck.«

»Okay. Ich muss mir also keine Sorgen machen, von hier entführt zu werden.«

»Nette Idee«, sagte Jäger. »Wenn Sie es trotzdem schaffen, muss ich mir jedenfalls meinerseits keine Sorgen darum machen, von hier wegzukommen. Das wird dann ziemlich schnell gehen. Aber zurück zu den Sicherheitsmaßnahmen. Darf ich mal Ihren privaten Haus- und Wohnungsschlüssel sehen?«

»Äh, ja.« Reflexartig griff Natascha nach ihrer Handtasche, die sie aber in ihrer Nervosität im Büro der Kanzlerin stehen gelassen hatte. »Tut mir leid, den habe ich nicht bei mir.«

»Ich vermute, Sie haben ein ganz normales Sicherheitsschloss?«

»Klar. Was man halt so hat.«

»Das werden wir ändern müssen. Ich schicke Ihnen in den nächsten Tagen jemanden vorbei, der Ihnen einen angemessenen Standard einbaut. Vermutlich werden wir die Tür auch auswechseln müssen.«

Natascha nickte, aber diese Einweisung in die Welt des Kanzleramts und seiner Mitarbeiter nahm eine Richtung, die ihr nicht gefiel. So wichtig war sie doch gar nicht. In der Öffentlichkeit war sie kaum bekannt. Als parlamentarische Staatssekretärin hielt man sie ohnehin für eine unwichtige Nebenfigur. »Sie arbeiten in allernächster Nähe zur Kanzlerin«, erklärte Jäger, der offenbar ein feines Gespür für die Gedanken seiner Gesprächspartner hatte. »Indem wir Sie schützen, schützen wir die Kanzlerin.«

»Verstehe. War's das?«

»Nein. Ich habe noch eine schlechte Nachricht.« Jäger reichte ihr noch eine weitere, wenn auch sehr viel dünnere Mappe. »Es geht um Ihren Dienstwagen. Als Staatssekretärin haben Sie Anspruch auf Wagen und Fahrer. Leider. ist Ihr Wagen noch nicht fertig. Der Hersteller wird morgen ausliefern. Aber dann brauchen wir noch zwei Tage für Sicherheitschecks und einige Extras.«

»Bordraketen und Nebelwerfer?« Irgendwie provozierte Jägers beherrschte Art Natascha, ihm ein Lächeln zu entlocken. Doch vermutlich fehlten ihm dafür die Gesichtsmuskeln. Jedenfalls blieb er völlig ungerührt, sondern sagte nur: »Nicht ganz so speziell. Aber eine Notfallfunkverbindung, verschlüsselte Peilung und natürlich eine Codierung auf Ihre persönlichen Daten leisten wir uns schon.« Er deutete auf die Mappe. »Das sind die Informationen zum Umgang mit Wagen und Fahrer, Sie wissen schon: wann Sie den Wagen benutzen dürfen, wie Sie die Nutzung abrechnen müssen, wenn Sie privat fahren, welche Aufgaben der Fahrer hat, was zu tun ist, wenn ein Notfall eintritt, und so weiter.«

Natascha seufzte. Vermutlich war Humor in dem Job zu gefährlich. »Alles klar. Danke, Herr Jäger. Und wenn ich irgendwelche Fragen habe ...«

»Dann melden Sie sich einfach bei mir. Ich bin dafür da.«

»Danke.« Sie drehte sich um, um den Raum zu verlassen, war kurz verwirrt, weil es von innen scheinbar mehr Türen gab als von außen. Doch dann ging sie zielstrebig auf die Tür zu, durch die sie gekommen waren, um sie aufzuziehen. Vergeblich.

»Die Türen hier und im Lageraum sind auch von innen mit Code gesichert«, erklärte Jäger und ließ seine Karte über den Scanner gleiten. »Weshalb wir ihn gerne ›Falle‹ nennen.«

Natascha trat nach draußen und ging mit schnellen Schritten Richtung Pforte, die beiden Mappen unter dem Arm. »Ach, Frau Eusterbeck!«, rief Jäger hinter ihr her.

»Ja?«

»Viel Glück in Ihrer neuen Stelle.« Und tatsächlich flog ein Lächeln über sein Gesicht.

***

»Sie wird Ihnen gefallen.«

»Ich kenne sie.«

»Ach ja, richtig. Ich hätte sagen sollen: Sie gefällt Ihnen sicher.«

»Sie müssen nicht annehmen, dass jede Frau, bei der Sie nicht landen können, eine Lesbe wäre.«

»Sicher nicht jede ...« Sein Schweigen hatte etwas Lauerndes. »Aber Gefahr hat doch immer etwas Verlockendes, finden Sie nicht?«, sagte er schließlich mit leiser Stimme.

»Gefahr? Für wen soll denn diese zweitklassige Person eine Gefahr sein?«

»Ich bin überrascht, dass Sie das nicht selbst sehen. Wirklich, ich hätte Ihnen mehr Instinkt zugetraut.« Ohne eine Antwort abzuwarten, legte er auf. Er liebte diese Spielchen. Sie waren der Kick in diesem Job. Natürlich wusste er, dass die Kanzlerin es darauf abgesehen hatte, dass er die Kollegin in Panik versetzte. Nur wusste die Kanzlerin nicht, dass er diesen unausgesprochenen Auftrag mit dem größten Vergnügen erledigte. Vor allem wusste sie nicht: warum.

***

Es war schon nach 21.00 Uhr, als Natascha plötzlich wieder die Frau einfiel, mit der sie am Morgen telefoniert hatte. Dein schwarzer Engel, dachte sie. Sie hatte die Stimme noch gut im Ohr. Zuerst hatte sie ihre Rolle gespielt, dann hatte sie geklungen wie jemand, dessen Fassung nur noch Fassade ist, jemand am Ende seiner Kräfte. Sie griff nach ihrem Handy und rief die Nummer auf. Immerhin hatte sie der Frau versprochen, sich später wieder zu melden. Dass es so viel später würde, das hatte sie nicht einkalkuliert. Es klingelte. Zweimal, dreimal, viermal – dann meldete sich die Mailbox. Wieder die dunkle, samtene Stimme: »Du kannst mir alles sagen.« Es piepste. Natascha unterdrückte den Impuls, sich mit Namen zu melden. Stattdessen sagte sie: »Wir haben heute Morgen gesprochen. Tut mir leid, dass ich mich nicht früher gemeldet habe. Rufen Sie mich bitte zurück, wenn Sie das hören. Danke.« Dann legte sie auf und packte das Handy in ihre Tasche, um endlich nach Hause zu gehen, als ihr Kollege Frey unangemeldet im Büro erschien. »Gratuliere«, sagte er und musterte sie mit seinem typischen lauernden Blick. »Haben Sie Ihren Eid schon geleistet?«

»Morgen.« Dr. Marcus Frey war ihr schon immer unangenehm gewesen. Dass ihn die Kanzlerin zum Geheimdienstkoordinator gemacht hatte, war absolut passend. Ihn umgab stets etwas Drohendes. »Wie schön.« Er trat unaufgefordert näher und betrachtete die Fotos, die Natascha auf ihr Fensterbrett gestellt hatte: Henrik, sie und Henrik, ihr Kater Bravo, der schon lange nicht mehr lebte – und noch mal Henrik. »Sie haben es ja sehr schnell weit gebracht.«

»Es hat sich so ergeben.«

»Sieht so aus.« Seine Finger glitten über die Bilderrahmen. Klavierspielerhände, fuhr es Natascha durch den Kopf. Er hat die Hände eines Pianisten. Wie überhaupt sein ganzes Aussehen im Gegensatz zu seinem Benehmen tadellos war. Sein Körper durchtrainiert. Sein Anzug maßgeschneidert. Seine Brille perfekt geputzt. Und sein Blick stets frisch geschliffen. Natascha kannte ihn aus dem Innenausschuss des Bundestags. Dort pflegte er mit scharfen Reden zu glänzen, die keinen Widerspruch duldeten. Wenn er nicht das letzte Wort hatte, konnten die Sitzungen des Ausschusses bis in die frühen Morgenstunden gehen. Er war vermutlich der härteste Politiker, dem Natascha bisher begegnet war. Eigentlich ein Wunder, dass er es noch nicht zu einem eigenen Ministerium gebracht hatte. Andererseits: Vielleicht war es auch gerade das, dass er eben nicht zum Kompromiss fähig war und dass er auf andere Meinungen nicht eingehen konnte. »Nun, dann begrüße ich Sie hiermit herzlich im Kanzleramt. Wenn ich etwas für Sie tun kann, Sie finden mich vier Büros weiter auf der rechten Seite. Ich erwarte, dass wir gut zusammenarbeiten.« Das war nicht der Ausdruck einer Hoffnung, sondern ein Befehl. Unmissverständlich.

»Davon gehe ich aus.« Natascha hatte nicht die Absicht, sich Frey unterzuordnen. »Wir werden uns sicher gut ergänzen.«

Frey blickte von Henriks Foto auf. »Oh ja«, sagte er leise. Ganz leise. »Das werden wir.«

Dann war er weg. Natascha aber suchte noch einmal das Organigramm des Kanzleramts heraus, das sie sich von ihrer Sekretärin Jana Berling hatte geben lassen. Unter der Kanzlerin standen die Staatssekretäre. Links die beamteten, rechts die »parlamentarischen Staatssekretäre«, Bundestagsabgeordnete, die den Rang eines stellvertretenden Bundesministers bekleideten und im politischen Betrieb der Nation als hochbezahlte Proporzamtsträger galten: Parlamentarier, die man mit einem Extrapöstchen ausgestattet hatte, das außer Spesen für das Staatswesen nichts brachte. Neben Dr. Stephanie Wende stand auf diesem Papier nur Dr. Marcus Frey, MdB. Natascha selbst war noch nicht auf dem Dokument verewigt worden. Aber genau genommen war sie ja auch erst morgen offiziell Staatssekretärin. Wenn sie ihren Eid vor der Bundeskanzlerin abgelegt haben würde. Sie entschloss sich, noch ein wenig in den Unterlagen zu lesen, die ihr der Sicherheitschef Jäger gegeben hatte. Nach wie vor läutete das Telefon im Fünf-Minuten-Takt, und weiterhin kam E-Mail auf E-Mail herein. Es war nahezu unmöglich, sich zu konzentrieren.

***

Kurz nach 22.00 Uhr riss der Sturm so plötzlich ab, dass es sich anfühlte, als wäre sie gegen eine Wand geschleudert worden. Es verwirrte sie, dass das Telefon schwieg, kaum noch E-Mails eintrafen und sogar die Hauspost, die ihr seit dem Vormittag Unterlagen auf den Schreibtisch geschaufelt hatte, scheinbar in den Feierabend gegangen war. Linkisch türmten sich die gelben Mappen auf dem polierten Holz. Und nun das:

Von: Die PupilleAn: [email protected]:Text: DU WIRST HIER NICHT ALT, PRINZESSIN.

Du wirst hier nicht alt, Prinzessin. Natürlich, sie hatte schon schlimmere Mails bekommen. Viel schlimmere. Es war nicht so sehr der Inhalt, diese unverhohlene, aber unbestimmte Drohung, die sie wie ein Schlag in die Magengrube traf, sondern die Tatsache, dass die Nachricht von hier gekommen war. Von ihrem Arbeitsplatz. Aus dem Herzen der Macht. Dem Bundeskanzleramt. An ihrem ersten Tag. War es möglich, dass sie jetzt schon Feinde in diesem Haus hatte? Feinde, die ihre private E-Mail-Adresse kannten?

»Geht's gut?« Sie hatte ihn nicht kommen hören und fuhr zusammen, obwohl sie seine wohlklingende Stimme sofort erkannte. Lässig stand er in der Tür, die Krawatte hatte er abgelegt, das Jackett offen, das Haar, sonst immer sehr sorgfältig gekämmt, war ihm etwas verwegen in die Stirn gefallen. »Sie wirkten gerade etwas angegriffen.«

»Alles in Ordnung, Herr Berg. Danke.« Schnell klappte sie ihr Notebook zu. »Ich war nur irritiert, weil plötzlich nichts mehr reinkam.«

David lachte leise und kam näher. »Nennen Sie mich doch bitte David. Jetzt, wo wir so häufig zusammenarbeiten werden ...«

»Okay. David.« Natascha versuchte ein Lächeln.

»Es ist nach zehn. Da machen die Sklaven Feierabend. Die schönste Stunde des Tages!« Seine Zähne blitzten wie aus der Zahnpastareklame. David Berg sah einfach verdammt gut aus. »Wollen Sie eine Runde durchs Haus mit mir drehen? Dann zeige ich Ihnen mal Ihre neue Wirkungsstätte.«

»Nichts für ungut, David. Aber ich gehe hier schon länger ein und aus als Sie.« Es war besser, gleich klarzumachen, dass sie zwar eine neue Position bekleidete, aber doch seit einigen Jahren zum politischen Stammpersonal gehörte und das Kanzleramt von zahlreichen Besuchen her kannte. Der Pressesprecher hob beschwichtigend die Hände. Natürlich, er sah sich nicht als Konkurrentin, und sie musste ihn auch nicht so behandeln. »Und ich habe noch eine Menge abzuarbeiten«, erklärte sie und deutete auf den Aktenstapel, der ihr wie ein abstraktes Monstrum vorkam: ein Sisyphos-Projekt, schon jetzt. David Berg nickte. »Kann ich verstehen«, sagte er und zuckte mit den Achseln. »Aber wenn Sie mal Lust auf eine private Führung haben, Sie wissen ja, ich bin öfter hier als drüben im Presseamt. Mein Büro ist nur ein paar Türen weiter. Zwischen den Redenschreibern der Kanzlerin.« Natascha kannte die Herren. Ein nahezu unmöglicher Job, den sie da taten: die Politik der Kanzlerin in packende Ansprachen und Artikel zu übersetzen. »Was Sie bei Ihren bisherigen Visiten kennengelernt haben, ist wenig mehr als das, was die Touris zu sehen bekommen. Die wichtigen Orte haben Sie bestimmt noch gar nicht gesehen. Obwohl Sie schon so oft hier waren. Also dann ...« Er war schon durch die Tür, da überlegte Natascha es sich anders: »Warten Sie!«, rief sie. »Ich nehme Ihr Angebot an.« Sie steckte ihr Notebook in die Tasche, knipste das Licht an ihrem Schreibtisch aus und folgte ihm. Den großen PC ließ sie laufen. Den hatte sie noch nicht einmal auf ihre persönlichen Daten einrichten lassen. Und sie hatte es auch gar nicht vor.

***

Henrik Eusterbeck faltete die Quittung zusammen und steckte sie in seine Jackentasche. Natürlich war das ein Geschäftstermin gewesen. »Projektbesprechung« würde er für die Steuer angeben. Er fragte sich nur für sich, ob er Michelle als Projekt betrachten sollte. Sicher, sie war attraktiv, sie war intelligent, sie war aufregend. Wahrscheinlich war sie auch interessiert. Keine Frau ließ sich von einem Mann in eine Bar abschleppen und blieb dort bis spätabends mit ihm, wenn sie nicht aufgeschlossen war. Die Signale waren eindeutig. Er selbst dagegen hatte sich eher zögerlich verhalten. Immer wieder hatte er sie in den vergangenen fünf Stunden mit seinem Charme umtänzelt. Aber vor der entscheidenden Frage, ob sie noch mitkommen wollte, hatte er gekniffen. Es war ja nicht so, dass er ein Muster an ehelicher Treue gewesen wäre. Aber mal auf eine schnelle Nummer in einem Club abzusteigen war eine Sache, sich zu einer Frau innerlich hingezogen zu fühlen eine ganz andere. Er liebte Natti! Und doch hatte er das ungute Gefühl, dass er dabei war, sich auch in Michelle zu verlieben.

Er nahm die Quittung wieder hervor. Sie hatte ihm ihre Nummer aufgeschrieben. Wenn er den Zettel wegwarf, war alles gut. Keine Möglichkeit mehr, in Kontakt zu ihr zu treten. Sie würde nur noch eine schnell verblassende Erinnerung an einen schönen Abend im »Kennedy's Speach« sein. Und den Laden musste er auch nicht wieder betreten. Teuer. Wichtig. Dumm. Die typische Prenzlauer Mischung eben.

Er zerknüllte die Quittung, schob sie dann aber doch in die Hosentasche. Man konnte ja nie wissen.

Um diese Zeit dauerte der Weg zur Wohnung in den Hackeschen Höfen keine Viertelstunde. Henrik Eusterbeck stellte den Wagen in der Tiefgarage ab und fuhr hinauf zu der kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung im vierten Stock, die er und Natascha seit kurzem bewohnten. Er hasste die Stadtwohnung. Wann immer er kam, war sie leer. Nie brannte Licht, nie durchzog der Duft von Essen die Luft, nie standen frische Blumen auf dem Tisch. Gut, Blumen wären sicher in seine Zuständigkeit gefallen. Aber Natti war ja sowieso praktisch nie zu Hause. Sie arbeitete meist bis spät in die Abendstunden hinein, kam nur zum Schlafen und Duschen, schon beim Frühstück nahm sie irgendeinen politischen Termin wahr – und oft genug hatte sie gleich auf dem Sofa in ihrem Wahlkreisbüro übernachtet. Es würde vermutlich nicht lange dauern, bis sie das auch im Kanzleramt praktizierte. Wozu sollte er also Blumen bringen. Niemand würde ihnen beim Welken zusehen.

***

»Waren Sie schon in der Cafeteria?« Lässig zückte David Berg seine Karte und hielt sie zwischen zwei Fingern vor den Scanner. Sogar die Falten, die er am Ende eines langen Arbeitstags im Anzug hatte, sahen aus, als wären sie Absicht. Nataschas Füße brannten. Sie hatte die Pumps seit dem Morgen nicht mehr ausgezogen, die meiste Zeit war sie hinter irgendwelchen Mitarbeitern des Hauses durch das Kanzleramt getrabt. Und nun tat sie es erneut. Dass es der Pressesprecher der Bundesregierung war, einer der begehrtesten Männer der Republik, machte es nicht besser. Sie hätte ihn gerne gegen ein entspannendes Bad eingetauscht. »Die Küche wird ja vermutlich geschlossen sein«, sagte sie. »Ich glaube, die Cafeteria können wir uns sparen.«

»Die Küche ist nie geschlossen!« Berg hielt ihr die Tür auf. »Solange im Haus gearbeitet wird, ist hier eine Art Grundversorgung gewährleistet. Kommen Sie, setzen wir uns ein bisschen, und Sie berichten mir von Ihrem ersten Tag im Kanzleramt. Sie können schon mal probieren, wie es sich anhört, ehe Sie es irgendwann Ihren Enkeln erzählen. Was wollen Sie trinken?«

Natascha ließ sich auf einen Stuhl sinken und versuchte, nicht zu stöhnen. »Einen ... Cappuccino?«

Berg schlenderte zur Theke, klopfte gegen das Holz und rief: »Noch jemand da für zwei müde Krieger?« Während er seine Bestellung aufgab, holte Natascha unauffällig ihr Handy heraus und sah nach, ob sie Nachrichten hatte. Achtzehn. Achtzehn! Obwohl sie todmüde war, musste sie grinsen. Ja, dachte sie, du bist angekommen. Willkommen im Club. Zwischen 21.00 und 22.45 Uhr achtzehn neue Nachrichten. Im Kanzleramt zu arbeiten bedeutete ein Leben in der Zentrifuge: Die Welt drehte sich hier um ein Vielfaches schneller als draußen. Und die Fliehkräfte waren unvorstellbar. Sie steckte das Handy wieder weg. Keine Nachricht von Henrik, schoss es ihr noch durch den Kopf, da kam David Berg auch schon wieder an den Tisch und stellte behutsam zwei Tassen ab. »Einer der Räume, die nicht abgehört werden«, erklärte er, während er sich setzte.

»Wie, abgehört?«

»Zu viele Hintergrundgeräusche. Zu diffuse Gesprächssituation. Das zu filtern, zu sortieren und zu interpretieren kann sich kein Geheimdienst leisten.«

»Sie wollen mir nicht im Ernst sagen, dass das Bundeskanzleramt von Nachrichtendiensten abgehört wird?«

»Sie wollen mir nicht im Ernst sagen, dass Sie von etwas anderem ausgegangen sind?« Er warf ihr einen Blick zu, der Natascha fatal an den Blick der Kanzlerin erinnerte, als sie von den Ausschüssen gesprochen hatten. Hatte er ihn sich von ihr abgeschaut? Sie sich von ihm? Nein, das sicher nicht. Vielleicht war es der Blick des politischen Sarkasmus.

»Und wer hört uns ab?«

Bergs Miene verzog sich zu einem amüsierten Lächeln. »Schon wieder stellen Sie die Frage falsch.« Er nippte an seiner Tasse. »Sie muss lauten: Wer hört uns nicht ab?«

Königstein/Taunus, Herrnwaldstraße, 31.10.1989,8:36:08 Uhr.

»Ritter möchte eine andere Reihung.«

»Hat er gesagt, wie die Wagen fahren sollen?«

»Nein. Wir haben gesagt, wir scheren aus und hängen uns hinten an.«

»Also fährt er voraus?«

»Ja.«

»Und damit war er einverstanden?«

»Ja.«

»Klingt ja, als wäre er selbst unser bester Mann bei der Operation.« Ein Rauschen unterbrach die Verbindung, ausgelöst womöglich durch die sich hinter den Wagen schließende elektrische Toranlage. »Hallo?«

»Wir sind kurz unterbrochen worden. Also, irgendwelche Anweisungen?«

»Ja. Schert aus, und nehmt dann eine andere Strecke. Am besten, ihr rückt auf dem kürzesten Weg ein.«

»Alles klar. Over.«

»Over.« Die Funkverbindung brach ab.

8:36:29 Uhr. Der erste Wagen des Konvois fährt auf die Abzweigung Herrnwaldstraße/Fuchstanzstraße zu.

Kapitel 2

War es wirklich ihre eigene Vereidigung, die Natascha Eusterbeck hier erlebte? Oder war es in Wirklichkeit die ihres Mannes, nur dass dieser keinen Eid zu schwören hatte? Unter normalen Umständen hätte sie weiche Knie gehabt, als sie vor der Kanzlerin stand, die schon die Ernennungsurkunde in der Hand hielt. So aber hatte sie das Gefühl, als schwebe sie über der Szenerie und betrachte das alles von außen oder von oben, jedenfalls entfernt von sich selbst – mit Blick auf die Anwesenden: außer der Kanzlerin der Kanzleramtsminister, Staatsministerin Wende, mehrere Abteilungs- und Referatsleiter, ein Fotograf – wobei sie nicht wusste, ob er ein Vertreter der Presse war oder ein Mitarbeiter des Kanzler- oder des Bundespresseamts. Letzteres war vertreten durch David Berg und zwei seiner Assistenten. Dazu die Büroleiterin und der persönliche Referent der Kanzlerin. Nataschas Sekretärin. Und eine Handvoll Büromenschen, die sie nicht zuordnen konnte. Sie alle hatten sich in der Nähe der Tür aufgestellt, zweifellos um nach der Zeremonie rasch wieder zum Tagesgeschäft übergehen zu können. Für Natascha Eusterbeck freilich wirkte es, als wollten sie ihr den Fluchtweg abschneiden. Eine Armee von Kanzleramtszombies. Zumindest würde es ihr später so vorkommen. In ihrer Erinnerung würde ihr diese Stunde immer wie eine Hommage an den Eagles-Song »Hotel California« erscheinen. They stab it with their steely knifes, but they just can't kill the beast.

Der Eid ging so automatisch, dass Natascha sich seiner erst bewusst wurde, nachdem sie ihn geleistet hatte. Die Kanzlerin reichte ihr die Hand und dann die Urkunde. »Schön«, sagte sie. »Das hätten wir also erledigt. Ich wünsche Ihnen viel Glück und Erfolg in Ihrem neuen Amt.« Zu den anderen gewandt erklärte sie: »Bitte unterstützen Sie unsere junge Kollegin, wo und wie Sie können. Sie hat es verdient.«

»Danke, Frau Bundeskanzlerin.« Natascha drehte sich zu dem professionell lächelnden Publikum um. Sie musterten sie alle. Vermutlich hatte sie glühende Wangen, vielleicht auch feuchte Augen. Egal, sie alle hatten einmal am Anfang gestanden, und es war ihnen nicht anders ergangen. Oder vielleicht ja doch. Vielleicht hatten sie alle ihre Ämter sehr viel unbefangener angetreten als Natascha Eusterbeck, deren unruhige Augen sinnlos Henrik suchten, von dem sie doch wusste, dass er nicht da war. Er war gemeint gewesen. Und hatte die Kanzlerin ihr nicht einen Blick hinter dem offiziellen Blick zugeworfen? Einen Blick für die inoffiziellen Aufgaben? Hatte sie ihre Hand nicht einen winzigen Moment zu lange gedrückt? Nicht einen fast unmerklichen Unterton in ihrer Stimme gehabt, einen Ton, den nur eine Eingeweihte hören und verstehen konnte?

Es folgten die Hintersassen. Kanzleramtsminister Steiner drückte ihr die Hand. Staatssekretärin Wende, David Berg, die Leiter der Abteilungen Inneres und Sicherheit, deren Namen sich Natascha noch nicht gemerkt hatte. Der persönliche Referent der Kanzlerin, Bernhard Bauer ... Man wünschte ihr Glück, freute sich mit ihr. Irgendwer hielt ihr plötzlich ein Glas Sekt oder Champagner vor die Nase, es wurde angestoßen. Ihr fiel auf, dass niemand trank, man stellte die Gläser unauffällig wieder weg, nachdem man sie routinemäßig erhoben hatte. Dann verlief sich die Gesellschaft. »Ja, also«, sagte die Kanzlerin. »Alles Gute noch mal.« Das hieß: Nun bitte an die Arbeit und raus aus meinem Büro.