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Robert Lee Walker

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Beschreibung

Matthew Simmons hatte eine schwere Kindheit und Jugend. Aber es gab Menschen die ihm vertrauten und geholfen hatten. Er ließ die schiefe Bahn hinter sich, hat sich um eine liebenswerte Familie bemüht und einen gut gehenden Schreinereibetrieb aufgebaut. Doch nun ist er finanziell wieder in Schieflage geraten. Ein alter Freund und auch sein Kumpel und Angestellter Rusty wollen ihm helfen. Aber nicht alles ist legal und klappt so reibungslos wie erhofft. Die vier Detectives vom Aurora Police Department, an ihrer Spitze David Hodges, werden zu einem Toten in einem Motel gerufen. Viel drängender scheint die Aufklärung eines Raubüberfalls auf ein Pfandleiher im Zentrum der Stadt zu sein.

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Ähnliche


Im Nebel des Kartells

Robert Lee Walker

edition oberkassel

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Danke

Robert Lee Walker

Dank an die LeserInnen

Impressum

Kapitel 1

M

att Simmons stand in seiner Tischlerei, die er für seine kleine Familie, seine Frau Kristy und den gemeinsamen Sohn Cooper, aufgebaut hatte, und packte die Werkzeuge zusammen. Am morgigen Tag musste er die Vitrine beim Kunden abliefern. Diese Vitrine hatte er ohne seine beiden Mitarbeiter gemacht, die bei einem anderen Kunden eine Küche einbauten.

In der Werkstatt hing das Werkzeug an den Wänden, von der Decke herab oder lag auf einer Werkbank. Neben den Werkbänken, von denen es zwei im Raum gab, standen eine Drechselbank, eine Kreis- und eine Bandsäge, eine Hobelmaschine und auch eine Schleifmaschine. Es war eine gut ausgestattete Werkstatt, die notwendig war, um alle Wünsche der Kunden zur besten Zufriedenheit erfüllen zu können. An den Wänden hingen zusätzlich Rahmen mit Spannschrauben, die als Ständer zur Verleimung einzelner Bretter dienten. Es roch nach Sägemehl, ein vertrauter, harziger Geruch für Matt, den er kaum noch wahrnahm.

Zu den Werkstatträumen gehörten ein Büro und ein Aufenthaltsraum. Im Büro hatte Matt Simmons sogar ein Sofa stehen. Seine Frau Kristy hatte ihm den Vorschlag gemacht, gegebenenfalls auf dem Sofa zu schlafen, in dem Fall, dass ein Kunde drängelte und die Arbeit unbedingt erledigt werden musste. Er würde sich dann den Weg durch die Stadt nach Hause und zurück sparen. Es sollte nur nicht die Regel werden. Im Aufenthaltsraum war ein Tisch, an dem vier Leute Platz nehmen konnten. An der Wand stand die gleiche Anzahl Spinde aus Metall.

Die Aufträge täuschten darüber hinweg, dass es nicht gerade rosig mit seinen Finanzen aussah. Das Geschäft lief sehr träge. Die Kunden waren nicht immer zahlungsfreudig. Und wenn einer mit einem großen Auftrag winkte, dann hieß das für Simmons, dass er viel Geld vorstrecken musste.

Simmons hatte gerade das letzte Werkzeug beiseitegelegt und griff zu seinem Handy. Er wählte die Nummer von Rusty Johnson. Nach zweimaligem Klingeln nahm sein Freund und Mitarbeiter ab. »Was gibt’s, Matt?«, fragte er.

»Wie weit seid ihr? Kommt ihr noch zurück in die Werkstatt?«

»Nein, das wird heute nichts mehr. Wir haben hier noch etwa eine Stunde zu tun und werden dann Feierabend machen.« Johnson war mit dem anderen Kollegen und einer Hilfskraft bei einem Kunden zum Einbau der neuen Möbel.

»Seid ihr dann dort fertig?«

»Morgen müssen wir noch einmal her. Aber nur bis Mittag. Dann sind wir hier fertig.«

»Na gut. Dann muss ich heute nicht mehr auf euch warten. Seht zu, dass der Kunde zufrieden ist und nicht rumquängelt.«

»Alles klar, Boss.« Johnson legte auf.

Simmons knipste überall das Licht aus und verließ die Werkstatt. Als er den Schlüssel von außen im Schloss umdrehte, klingelte sein Smartphone. Er ließ den Schlüssel stecken und griff zum Gerät. Ein Blick auf das Display zeigte ihm, dass Kristy anrief. Mit dem Daumen wischte er das grüne Symbol beiseite. »Ich bin schon unterwegs, Schatz«, sagte er.

»Beeil dich bitte, Matt«, forderte Kristy Simmons. »Du hast doch wohl nicht vergessen, dass Leyla heute da ist und mit ihrem Vater zu Abend essen möchte.«

»Oh, schön. Ja, ich beeil mich. Bin schon aus der Werkstatt raus.« Simmons hörte im Hintergrund die Stimme seines Sohnes: »Ich habe Hunger«.

»Keine Sorge, Cooper wird schon nicht verhungern. Sag ihm, er soll sich einen Lolly nehmen«, sagte Simmons.

»Ich werde mich hüten, das auszurichten«, erwiderte Kristy. »Bis gleich dann.«

»Bis gleich. Freue mich auf euch.«

***

Grandma Plummer hatte sich an diesem Abend im Fernsehen eine Serie auf Netflix eingeschaltet. Sie liebte die jungen Leute aus Nashville. Obwohl sie mit Johnny Cash und Dolly Parton groß geworden war, fand sie diese neue Musik und die jungen Musiker sehr erfrischend. Zwar waren das in der Serie alles Schauspieler, das wusste sie, aber sie wirkten so echt in ihren Rollen. Die Musik war auch echt.

So stellte sie sich die Musikszene in Nashville vor. Vor allem die Skandale, die sie zu überstehen hatten, waren ein Leckerbissen für sie. Das hatte schon etwas von Dallas oder Denver Clan von damals. Aber das hielt sie nicht davon ab, währenddessen ihr Strickzeug auf dem Schoß zu haben und die zwei Stricknadeln wie die Klingen der Musketiere zu kreuzen.

Mit fortschreitendem Abend begann es draußen zu dämmern. Doch Zubettgehen kam für die alte Dame noch nicht infrage. Für eine weitere Folge würde sie wohl noch munter bleiben können, dachte sie.

Dann hörte sie Geräusche an der Tür. Sie hielt die Hände still, damit das Klappern der Stricknadeln einhielt. Sie lauschte in Richtung des Wohnungseingangs. Es reichte nicht. Sie griff zur Fernbedienung des Fernsehers und stellte ihn stumm.

Da. Jetzt war es wieder zu hören. Vorn hatte es doch geklackt, oder? War die Tür gerade ins Schloss geschnappt? Wie konnte sie?

Plummer legte das Strickzeug auf den kleinen Beistelltisch neben ihrem Fernsehsessel. Sie wollte sich gerade aus ihrem Sessel hochdrücken, als sie wieder zurück geschubst wurde.

»Bleib sitzen, Oma, und auf keinen Fall schreien«, fuhr sie ein Mann an und drückte ihr den Lauf einer Pistole an die Schläfe.

»Aber was …«, entgegnete sie. Dabei wurde sie schroff unterbrochen.

»Pscht, nicht doch«, sagte der Mann, der deutlich lateinamerikanische Züge trug. Er hielt einen Zeigefinger an seine Lippen, die von einem schwarzen Oberlippenbart geziert wurden. Am kleinen Finger seiner Hand hing eine leichte Rolle Klebeband. »Ich sagte, nicht schreien. Und auch nicht sprechen. Schön stillsitzen. Wenn du dich nicht rührst, tu ich auch nichts.«

Nun nahm er die Pistole von ihrer Schläfe und steckte sie sich in den Hosenbund. Mit der frei gewordenen Hand griff er die Kleberolle und schwang sie mit einigen kräftigen Bewegungen um die alte Frau.

Eh sie sich es versah, war sie auf ihrem Fernsehsessel gefesselt. Sodann wollte er das Klebeband um ihren Kopf winden. Doch bevor er fortfuhr, hielt er inne.

***

Wenn der Verkehr nicht so stark war, dann brauchte er nur zehn Minuten mit dem Auto, um von der Werkstatt in der De Gaulle Street zur Wohnung am Southshore Drive, egal, ob er die Arapahoe Road oder den Aurora Parkway benutzte.

Es hatte Matt Simmons ein hartes Stück Arbeit gekostet, ein Häuschen in dem gut situierten Viertel am östlichen Fremont Place zu erhalten. Es war eines der üblichen Domizile mittelständischer Familien in Colorado, mit Carport und Vorgarten zwischen vielen anderen Häusern, die alle ähnlich aussahen. Die Gärten waren gepflegt, die Bürgersteige und Straßen sauber. Wer hier lebte, bekam nicht viel von den Gangs mit, die die Innenstadt in Atem hielten. Hier war es ruhig und mit den Nachbarn kam man gut aus. Aber dieses Leben war Matt Simmons nicht in den Schoß gefallen. Zwar gab es viele Amerikaner mit dunkler Hautfarbe, die in gut situierten Berufen ihr Leben gestalten konnten, aber der tiefliegende Rassismus war noch lange nicht überwunden. Matt war ja selbst nicht davor geschützt. Vielleicht hätte er sich auch in eine weiße Frau verlieben können, aber so war es nicht geschehen. Seine Mutter war eine Farbige, seine erste Frau und auch Kristy waren dunkelhäutig und seine Kinder ebenso. Selbst sein Freund Rusty Johnson war schwarz. Und deshalb war ihm das Leben in diesem Viertel nicht in den Schoß gefallen und er musste immer noch darum kämpfen, dass er seiner Familie dieses Leben weiterhin bieten konnte.

Als Simmons das Haus betrat, wurde er von Cooper stürmisch empfangen. »Hey, Dad, wird ja endlich Zeit. Ich habe schon einen riesigen Hunger.«

»Ist mir schon klar, Coop. Du scheinst nur noch aus Haut und Knochen zu bestehen.«

»Schön, dass du da bist«, begrüßte ihn Kristy und gab ihm einen Kuss auf den Mund. »Ich habe dein Lieblingsessen, Kohlrouladen, gemacht.«

»Es kann gleich losgehen, aber erst möchte ich mich noch frischmachen, okay?« Dann wandte sich Simmons an seine Tochter: »Schön, dass du gekommen bist, Leyla. Wie geht es deiner Mom?« Er umarmte sie und erhielt auch von seiner Tochter, die bei ihrer Mutter lebte, einen Kuss.

»Der geht es gut, Dad. Sie lässt dich grüßen.«

»Danke. Grüße sie auf jeden Fall zurück.«

»Das Essen ist fertig, wir können anfangen, wenn ihr so weit seid«, schaltete sich Kristy dazwischen. Der einen Meter neunundachtzig große Matt schaute an sich hinunter. Vorhin hatte er tatsächlich nur Feierabend im Kopf gehabt und auf das Umkleiden verzichtet. Das war natürlich zu kurz gedacht, denn mit den Werkstattklamotten konnte er sich nicht an den Abendtisch setzen. Das mochte er selbst nicht und vor allem würde Kristy etwas dagegen haben. »Geh mich nur schnell umziehen«, rief er seiner Frau zu und ging in den Abstellraum der Wohnung, in welchem er ebenfalls Arbeitskleidung und Werkzeug aufbewahrte. Er wollte immer vorbereitet sein, wenn ein Kunde anrief.

Nun zog er die ledernen Arbeitsstiefel und den blauen Overall aus. An dem blau-rot-karierten Holzfällerhemd hingen Sägespäne, die nichts beim Essen zu suchen hatten. Also streifte er auch das Hemd über den Kopf. Von einem Kleiderhaken griff er sich ein blaues Jeanshemd und ebensolche Hosen. Mit den Füßen glitt er in offene Schlappen, die er nur in der Wohnung trug.

Alle nahmen am Tisch Platz. Er war für vier Personen eingedeckt, Schüsseln mit Kartoffeln und Soße standen auf dem Tisch. Kristy kam mit einer Pfanne vom Herd, in der Hackfleisch in Kohlblättern schmorte.

»Und? Kleiner? Was macht die Schule? Alles paletti?«, wollte Leyla von ihrem kleinen Bruder wissen, neben dem sie sich gesetzt hatte.

»Na klar, was denkst du denn?«

»Oh.«

»Nächsten Monat machen wir mit der Schule einen Ausflug. Drei Tage Campen in den Rockys.«

»Wo denn da?«

»Mom, wo ist das?«

»Bei Boulder, Schatz.«

»Bei Boulder«, wandte sich Cooper wieder an seine Schwester.

»Ist das nicht gefährlich? Was ist, wenn nachts ein Bär kommt?«

Cooper verdrehte die Augen. »Das macht doch gerade Spaß.«

»Ja, wenn du meinst. Dann hab viel Spaß dabei.«

»Werd ich haben.« Cooper steckte sich einen großen Bissen in den Mund.

***

»Moment, sag mir erst, wo du deinen Schmuck versteckt hast«, forderte er die Frau auf.

»Welcher Schmuck?«, fragte Plummer. Sie schien wenig beeindruckt von dem Einbrecher. Zumindest ließ sie es sich nicht ansehen. Doch innerlich vibrierte sie.

»Netter Versuch, Grandma«, sagte der Latino und grinste sie an. »Jede alte Lady hat Schmuck. Und ich will deinen haben. Und falls du noch ein paar Dollars versteckt hast, nehme ich auch die gerne. Also los. Oder muss ich wieder meine Pistole herausholen?«

»Nein, nein. Ist ja schon gut.«

»Also los, tu dir keinen Zwang an, madrecita. Raus mit der Sprache!«

»Wenn Sie mich losbinden, könnte ich es Ihnen zeigen.«

»Ist nicht nötig. Sag mir nur, wo es ist.«

Jetzt beschrieb Plummer ihm die Schublade im Kleiderschrank. Dort hatte sie immer zweihundert Dollar als Reserve versteckt. Und eine Halskette, die sie von ihrer Mutter bekommen hatte und nie trug, weil sie ihr viel zu wertvoll war.

Kaum hatte sie dem Mann das Versteck verraten, rollte er ihr das Klebeband über ihren Mund und den Kopf herum. »Na, geht doch«, sagte er.

Er ließ die Dame in ihrem Sessel allein und stürmte ins Schlafzimmer. Das war nicht schwer zu finden. Die Wohnung war überschaubar. Schnell hatte er die Schublade hervorgezogen und fand darin das Bargeld und die Halskette. Zusätzlich lag eine Kreditkarte unter dem Bargeld. Was haben wir denn da?, dachte er sich. Die könnte auch nützlich sein.

Mrs Plummer hörte Geräusche aus dem Nebenraum, es war ein Klappern und Ratschen, als würde etwas umgestoßen und hin und her geschoben. Dann kam der Kerl zurück ins Wohnzimmer. »Wie lautet die Pin-Nummer zu dieser Karte?«, fragte er die im Sessel fixierte Frau. Er zog die Pistole wieder aus dem Hosenbund und fuchtelte nervös damit herum.

Durch das Klebeband drang ein aufgeregtes Gemurmel zu ihm durch und er merkte, dass er wohl etwas vorschnell gewesen war. Deshalb zog er ihr dies vorne wieder bis zur Unterlippe herunter.

»Ich weiß nicht.« Mrs Plummer atmete schwer und hektisch. Die Situation zerrte an ihren Nerven. »Sie fällt mir nicht ein. Ich brauche sie so selten.«

Der Latino hielt ihr die Waffe wieder unter das Kinn. »Red nicht. Sag mir die Nummer und ich bin verschwunden. Das ist das Beste, was dir je passieren kann, Mütterchen.«

»Aber wenn ich sie doch nicht weiß?«

»Lass dir was einfallen«, brüllte er die Frau nun an.

»In meiner Handtasche«, antwortete Plummer mit zittriger Stimme. »In meiner Handtasche dort drüben ist ein Zettel mit der Nummer. Den können Sie mitnehmen.«

Der Mann drehte den Kopf zu der Kommode, auf die Plummer mit dem Kopf gewiesen hatte. Mit einem Satz war er bei ihr, griff sie und kehrte sofort wieder zum Sessel zurück. Er riss die Handtasche auf. »Wo ist der Zettel?«

»Er muss in einer Seitentasche sein. Rosa. Zusammengefaltet.«

Mit dem Revolver in der Hand rührte er in der Handtasche. Dann legte er ihn daneben, griff mit der Hand in die Tasche und sie kam mit einem zusammengefalteten, rosafarbenen Zettel wieder zum Vorschein.

»Ja, ja, das ist er. Da steht die Pin drauf«, beeilte sich Mrs Plummer zu sagen.

Der Einbrecher faltete den Zettel auseinander und tatsächlich stand eine vierstellige Nummer darauf. Er steckte das Papier in die Tasche, in der er das Bargeld und die Karte hat verschwinden lassen. Dann holte er kurz aus und schlug der alten Dame den Pistolenknauf an die Schläfe.

Grandma Plummer sackte sofort in sich zusammen, als würde die Luft aus einem Luftballon entweichen. An ihrem Kopf trat ein Rinnsal frischen Blutes aus einer Wunde.

***

Mrs Plummer hatte ungefähr eine Viertelstunde in ihrem Sessel gelegen, als sie zum ersten Mal wieder die Augen aufschlug. Sie fühlte sich gar nicht gut. Alles um sie herum war verschwommen. Aber sie war nicht mehr an den Sessel gefesselt. Und neben dem Strickzeug lag auch ihr Telefon. Als sie danach griff, fielen die Stricknadeln mit der Wolle auf den Boden. Gut, dass sie die Polizei auf eine Kurzwahltaste gelegt hatte. Sie drückte darauf.

»Aurora Police Department, der wachhabende Officer Bullock am Apparat. Was kann ich für Sie tun?«, meldete sich eine dunkle, männliche Stimme.

»Plummer hier, bitte Detective Alvarez«, sagte Grandma Plummer. Ihre Stimme war fast ein Flüstern. Sie bekam nicht mal einen zusammenhängenden Satz heraus.

Andrew erschrak, als er Mrs Plummers Stimme an der anderen Seite der Leitung erkannte. »Mrs Plummer, was ist passiert? Können wir Ihnen helfen?«, fragte er. Er hörte nur noch ein ganz leises »Alvarez«. Dann schien die Leitung tot. »Mrs Plummer, was ist passiert? Antworten Sie. Mrs Plummer!«

Grandma Plummer war erneut in sich zusammengesunken. Das Telefon war ihr aus der Hand geglitten und lag nun auf der Wolle am Boden.

 

Kapitel 2

D

avid Hodges bekam am nächsten Morgen nicht so viel von den Geräuschen auf der Straße mit. Mit den Kopfhörern im Ohr und der Musik, die darin lief, fühlte er sich ganz im Einklang mit sich selbst. Hierbei konnte er den Kopf freibekommen. Auch wenn das hieß, dass er dabei über verschiedene Dinge nachdachte.

Als er vorhin das Haus verließ, radelte gerade ein Zeitungsbote auf der Straße entlang. Dabei fiel ihm ein, dass die Zeitung aus Papier eigentlich abgeschafft gehörte. Nichts als Anzeigen über Anzeigen, kaum noch ein substanzieller Text mit Informationen. Außerdem las er schon lange die Online-Ausgabe des Aurora Chronicle. Er sollte jetzt wirklich Schluss mit dem analogen Abo machen.

Gestern hatte er nach langer Zeit mal wieder einen schönen Abend mit seiner Tochter verbracht. Seitdem Deborah ein kleines Apartment, nicht mehr als eine Studentenbude, in Denver gefunden hat, treffen beide viel seltener aufeinander. Aber das war ja auch der Sinn ihrer Wohnung in Denver. Die täglichen Fahrten von Aurora zur CU Denver bei verstopften Straßen nervten schließlich gehörig. Es ging so viel Zeit dabei drauf. Dabei war es völlig egal, ob sie den Nahverkehr nutzte oder das eigene Auto, der kleine Toyota, den sie von ihrem Vater geschenkt bekommen hatte.

David Hodges hatte sich über den Besuch seiner Tochter gestern gefreut, obwohl sie täglich miteinander telefonierten. Spontan hatten sie sich im BJ’s getroffen. Die Brauereikneipe wurde hauptsächlich von Polizisten besucht und lag nicht weit entfernt vom APD. Als Brauerei hatte sich das BJ’s auf viele europäische Biere spezialisiert, die sie nicht etwa importierten, sondern selbst brauten. Darunter gab es auch deutsche Biere, wie Weißbier, Kölsch und Bockbier. Sogar die saisonale Bockbierzeit wurde hier alljährlich im Herbst mitgefeiert. Deborah Hodges war hier schon oft mit ihrem Vater und dessen Kollegen gewesen und hatte kurzerhand dieses Brauhaus vorgeschlagen, weil der Vater dann nicht erst nach Hause musste. Er konnte seinen Wagen in der Parkgarage des Police Departments stehen lassen und zu Fuß zum Treffen kommen.

Deborah hatte ihren Vater bei der Verabredung zum Treffen über ihren Grund völlig im Dunkeln stehen lassen. »Lass dich überraschen«, hatte sie nur gesagt und dann aufgelegt. Hodges war also voller Spannung ins BJ’s gegangen. Er konnte nur ahnen, dass es etwas mit ihrem Studium zum Master’s of Criminal Justice zu tun hatte. Als sie noch die Highschool besuchte, hatte es ihm gar nicht gefallen, dass sie immer davon sprach, später auch mal Polizistin zu werden. Doch seine Tochter hatte keinen anderen Dickschädel als er selbst und setzte sich durch. Wie konnte er ihr denn auch Steine in den Weg legen. Mittlerweile konnte er sich gut mit ihren Karriereplänen arrangieren und war sogar etwas stolz auf sie, dass sie sich auf die Crime Analysis mit den verschiedenen Ermittlungsmöglichkeiten spezialisierte. Anfangs hatte er noch befürchtet, Debby würde sich um eine Karriere im Strafvollzug oder bei Homeland Security bemühen. Aber das war vom Tisch. Allem Anschein nach wollte seine Tochter in genau seine Fußstapfen steigen und Detective werden.

Gestern dann hatte ihm Deborah mitgeteilt, dass sie ein Praktikum für sechs Monate auf einem Denver Polizeirevier absolvieren würde. Neben dem Studium, in welchem sie bislang unerhört viel Theorie hatte schlucken müssen, könnte sie die Arbeit als Polizist von ihrer praktischen Seite, quasi auf der Straße lernen. Zwar als Rookie nur, aber es war ihr sehr viel wert und sie war glücklich, dass sie diesen Job erhalten hatte. Das hatte David Hodges gestern mit großer Zufriedenheit wahrgenommen. Aber er hatte sie auch gemahnt, auf den Straßen von Denver vorsichtig zu sein. Zivilisten machten keinen Unterschied zwischen ausgebildeten Polizisten oder Auszubildenden. Beide trugen die blaue Uniform und die unterschiedlichen Abzeichen machten für Zivilisten keinen besonderen Unterschied. Deborah konnte also auch als Rookie in gefährliche Situationen geraten.

David Hodges gingen beim Joggen viele Gedanken zum gestrigen Abend durch den Kopf. Er musste sich eingestehen, dass ihn die Verbindung zu seiner Tochter immer mehr fesselte. Zwar war er dienstlich heute immer noch sehr eingespannt, aber im Gegensatz zu früheren Jahren hatten sich seine Prioritäten doch merklich verschoben. Seitdem er nach dem Tod ihrer Mutter und seiner Frau für sie alleine die Last der Erziehung trug, hatte er sich nie so stark um Debby bemüht wie seit ihrer Highschool und ihrem Studium.

David Hodges hatte seine morgendliche Joggingrunde fast beendet und war kurz vor seiner Wohnung, als ihn das Klingeln seines Telefons die Musik in den Kopfhörern zersprengte. Über eine Taste am rechten Ohrstöpsel nahm er das Gespräch an. Sein Vorgesetzter Commander Joe Pascian, der Leiter der Kriminalpolizei, war dran. »Hör mal, Dave. Wir haben doch nachher einen Termin wegen des Monatsberichtes, den ich mit dir gerne noch besprechen möchte, bevor ich ihn an die Obrigkeit schicke.«

»Ja, ich weiß, ist bei mir eingetragen im Kalender.«

»Können wir den auch vorziehen? Mir ist ein anderer Termin reingedrückt worden.«

»Wohl schon, wann möchtest du denn?«

Pascian druckste herum. »Eigentlich so schnell wie möglich.«

»Du kannst dir aber schon vorstellen, dass ich momentan noch zu Hause bin und noch erst duschen und mich umziehen muss?«

»Ja, weiß ich doch. Komm einfach, wenn du im Büro bist. Je schneller, umso besser.«

»Alles klar«, sagte Hodges. »Bin sofort unterwegs.«

***

Am Morgen verabschiedete sich Kristy von ihrem Mann und gab ihm an der Tür eine Brotdose in die Hand. »Ich hoffe, dass du heute mit der Vitrine fertig wirst, Matt«, sagte sie. »Ach, und übrigens. Kommst du zum Mittag nach Hause? Dann lass ich mir was Schönes einfallen.«

»Nein, das wird nichts. Ich werde heute noch in der Seniorenresidenz bei Mom vorbeischauen. Die hatten gestern angerufen und darum gebeten.«

»Hast du ja noch gar nicht erzählt.« Kristy Simmons war erstaunt. »Worum geht es denn? Ist etwas passiert?«

»Das wollten sie mir noch nicht erzählen. Ich weiß nicht mal, ob es etwas mit Mom oder nur mit dem Seniorenheim zu tun hat.«

»Hoffentlich ist es nichts Ernstes mit deiner Mutter.«

»Nein, ich glaub nicht. Wir werden sehen. Ich berichte dir, sobald ich von dort zurück bin.« Er gab seiner Frau einen Kuss und ging zum Auto, einen weinroten Buick-Pick-up. Das war sein Dienstwagen, den er am meisten benutzte. Die Limousine stand im Carport und wurde nur für Familienfahrten herausbewegt. Oder wenn Kristy mal irgendwohin musste. Doch Simmons selbst hatte meist etwas zu transportieren, mal waren es Möbel für die Kunden, mal nur das Werkzeug zur Erledigung eines Auftrags. Dafür war sein Dienstwagen besser geeignet.

Matt hoffte, dass es tatsächlich nichts Ernstes mit seiner Mutter war. Er machte sich zunehmend Sorgen um sie, nachdem er sie mit ihrer Demenz in das Heim gebracht hatte. Das kostete eine Menge Geld jeden Monat. Doch es wurde immer schwerer, Geld zu verdienen. Aber er war es seiner Mutter schuldig.

Nachdem sein Vater, ein Trinker und Kleinkrimineller, der nie auf ehrliche Weise Geld verdient und es schon gar nicht zu Hause bei seiner Ehefrau abgeliefert hatte, verschwand, als Simmons sechs Jahre alt war, hatte seine Mutter Lizzy Simmons sich um ihn gekümmert. Sie versuchte, dem kleinen Jungen, Halt zu geben. Aber der Lohn, den sie für das Putzen erhielt, reichte oft nicht mal den ganzen Monat. Deshalb sorgte sich der kleine Matt schon damals um sie. In seiner kindlichen Naivität hatte er sich damals vorgenommen, seinen Vater zu ersetzen und sich um die Mutter zu kümmern. Doch das ging fast nach hinten los.

Seine Mutter schaute voller Sorgen auf den kleinen Matt Simmons, der zwar hin und wieder ein bisschen Geld nach Hause brachte, aber eigentlich keine Möglichkeit hatte, solches zu verdienen. Er war ein Kind und sollte die Schulbank drücken. Doch er schwänzte gerne die Schule und begab sich auf Wege, die sie als Mutter gar nicht so genau kennen wollte. Ihre Ahnung wurde im Laufe der Jahre immer mehr zur Gewissheit. Ihr Sohn stieg in die Fußstapfen seines Vaters. Er hing mit Leuten ab, die ihm nicht gut taten. Und aus ihrer Sicht war es das alles nicht wert. Es gab nie einen großen Batzen Geld, mit dem sie beide hätten glücklich werden können. Meist wirkten diese Beträge eher wie Almosen, welches zusätzlich zu ihrem geringen Lohn kam.

Bis dann eines Tages die Polizei vor der Tür stand. Da war Matt zwölf Jahre alt. Er gehörte zu einer Gang im Süden von Aurora. Nach Gesprächen mit der Mutter wurde er immer wieder nach Hause gelassen, weil es nie etwas Großes war, was er verbockt hatte. Aber Lizzy Simmons wusste, dass es dabei nicht bleiben würde. So hatte sie es bei ihrem Mann erlebt.

Schließlich kam Matt Simmons eines Tages nicht mehr nach Hause. Die Cops und eine Staatsanwältin kamen zu Lizzy und sagten ihr, dass ihr Sohn bei einem Raubüberfall mitgemacht hätte. Er hätte das Fluchtfahrzeug gefahren und sei nun in Untersuchungshaft. Bis zur Verhandlung könne sie Kaution beantragen.

Woher sollte Lizzy das Geld für eine Kaution nehmen? Woher sollte sie überhaupt das Geld für einen Anwalt nehmen? Ihrem Sohn wurde ein Pflichtverteidiger beigestellt, mit dem sich beide zufriedengeben mussten. Viel gab es für den aber nicht zu erreichen. Denn alles, was Matt Simmons zur Last gelegt wurde, stimmte.

Matt Simmons wurde damals zu zwei Jahren Haft verurteilt. Er war zwanzig Jahre alt, als er das Gefängnis verließ. Doch es hatte ihn mehr als beeindruckt. Er schwor sich, nie wieder hierher zurückzukehren. Von nun an wollte er alles daransetzen, keine Straftaten mehr zu begehen, die Schule abzuschließen und seine Mutter nur noch auf legale Weise zu versorgen.

***

Samuel Alvarez stand an der Kaffeemaschine und befüllte sie für den heutigen Tag. Kaffee war sein Steckenpferd. Und wenn er nicht Cop wäre, dann wäre er bestimmt Barista. Nicht zuletzt stand die teure und gute Maschine, die sie hier im Büro hatten, auf sein Bestreben hin im Büro. Er hatte sich dafür eingesetzt, dass sie immer sehr guten Kaffee trinken konnten, ohne dafür in den nächsten Starbucks laufen zu müssen.

Alvarez’ Vorliebe hatte sich inzwischen im PD herumgesprochen. Zwar standen die Kollegen nicht Schlange - sie wussten sich immer noch zu beherrschen -, aber wenn jemand eine Einladung aus dem Team von Hodges bekam oder jemand zu einem Gespräch bei ihnen im Büro war, sagte niemand nein zu einer Tasse. Besonders Amy Westergard von der Gerichtsmedizin und George Strait von der CSU hielten sich gerne beim MCSD auf. Sie ließen kaum eine Chance vergehen, um ihre Ermittlungsergebnisse selbst ins Büro der Detectives zu bringen.

Es war inzwischen wie ein festes Ritual, sofern sich die Zeit dafür ergab. Der Morgen begann für Alvarez damit, dass er die Kaffeemaschine in Betrieb nahm, schaute, ob sie gereinigt werden musste, Wasser nachfüllte, Milch und Kaffee. Und er war stets der erste, der den Automaten einschaltete. Im Laufe des Tages machten das auch mal die anderen, aber morgens war es immer nur Sam. Erst, wenn der Kaffee seinen wohltuenden Duft ausströmte, war Alvarez zufrieden.

»Du möchtest bestimmt auch gleich eine Tasse, oder?«, fragte er Jacqui Monaghan, die gerade die Tür des Büros öffnete.

»Dir auch einen schönen guten Morgen, Samuel«, antwortete sie.

»Sorry, ja, guten Morgen.«

»Gerne. Was fragst du überhaupt? Du weißt doch, dass ich morgens auch erst einen Kaffee trinken muss, bevor ich irgendetwas anderes machen kann.«

»Spitze, kommt gleich.«

Jacqui Monaghan ging zum Spind, um aus ihrem Schließfach den Holster mit der Glock herauszunehmen. Wenn sie im Einsatz waren, trug sie die Waffe stets am Körper, aber für den Fall der Fälle legte sie sie auch gerne auf ihren Schreibtisch. So hatte sie die Waffe schnell griffbereit. Am Schreibtisch schaltete sie zunächst den Computer an und setzte sich dann.

Gleich darauf kam Alvarez mit zwei Tassen cremigen Kaffees an Monaghans Schreibtisch. »Voilà, bitte schön, gnädige Frau«, sagte er und stellte eine Tasse auf die Schreibunterlage ihres Tisches. Er selbst behielt seine Tasse in der Hand und setzte sich auf den Rand des Tisches. »Was meinst du«, setzte er seinen Smalltalk fort, »sollten wir nicht mal wieder ins Kino gehen? Wir waren lange nicht mehr dort.«

»Klingt gut. Das sollten wir unbedingt mal wieder machen. Hast du schon einen Film für uns ausgespäht?«

»Nein, habe noch keine Ahnung, was gerade angesagt ist. Aber ich kann mich gerne schlau machen.«

»Prima, das wäre super. Du kennst ja meinen Geschmack.«

»Ich lag aber auch schon daneben.« Alvarez nippte an seiner Tasse.

»Nicht der Rede wert.« Monaghan hielt einen Moment inne und schaute sich im Büro um. »Wo ist Saul eigentlich?«

»Der hatte heute schon einen Termin, den er als allererstes wahrnehmen wollte. Der kommt etwas später.«

Plötzlich wurde die Tür erneut geöffnet und David Hodges stürmte ins Büro. Während er an seinen Schreibtisch eilte, begrüße er die beiden Detectives und unterbrach ihren morgendlichen Plausch. »Der Commander will mich statt nachher unbedingt sofort sehen. Ich denke, das Büro ist bei euch in guten Händen, oder?«

Während Alvarez seine Stirn krauste und mit einem fragenden Blick antwortete, verdrehte Monaghan die Augen. Der Commander machte immer aus einer Mücke einen Elefanten. Wenn der rief, konnte keiner sicher sein, dass er etwas Ernsthaftes hatte. »Aye, aye, Captain«, antwortete sie aber dem Chef. »Als ob wir das Büro schon mal auf den Kopf gestellt hätten.«

***

Matt Simmons hatte es geschafft. Zumindest dachte er es lange Zeit. Als er damals aus dem Strafvollzug entlassen wurde, wusste er, dass er nie wieder hierher zurückkehren und ebenso wenig jemals wieder auf seinen Vater treffen wollte. Er würde von diesem nie wieder zu einer Sauftour überredet werden und nie wieder krumme Dinger drehen, nur um an Kohle zu kommen, mit der die nächste Sauferei finanziert werden konnte. Er war im Correction Center nicht gebrochen worden, im Gegenteil, die harte Zeit dort drinnen, der Umgang mit anderen Verbrechern, solchen, die viel schlimmere Dinge gemacht hatten als er, hatten ihm den Weg gewiesen.

Seine ersten Wege führten Simmons damals zu seiner Mutter, die ihn einige Male im Knast besuchte und wusste, dass er entlassen werden sollte. Matt Simmons hatte nicht erwartet, dass sie ihn abholen würde. Sie arbeitete schwer. Er wusste, dass sie nicht mal eben so eine Schicht in dem Diner ändern konnte. Dazu gehörten immer noch Kolleginnen, die mit ihr tauschten, und auch ein Chef, der dies genehmigte.

Dafür hatte ihn seine Mutter umso herzlicher begrüßt, ihn in ihre Arme geschlossen. Sie ergriff seine Oberarme, drehte ihn leicht nach links, dann nach rechts. »Du bist in den zwei Jahren ein richtiger Mann geworden«, sagte sie. »Jetzt muss ich dich wohl mit Mister anreden?«

»Mom, lass das. Ich bin immer noch Matt.« Er strahlte sie mit einem Lächeln, welches zwei Reihen schneeweißer Zähne freigab, an. Dann drückte er sie ganz fest an sich.

»Na, komm erst mal. Ich habe uns Kaffee vorbereitet und frischen Kuchen mitgebracht.« Lizzy Simmons zog ihren Sohn damit in die Küche. Beim Kaffee wollte sie wissen, wie es ihm seit ihrem letzten Besuch bei ihm ergangen war. Das war schnell erzählt. Ihm erschien es viel wichtiger, von seiner Freundin Lisa und der gemeinsamen kleinenTochter Leyla zu erfahren. Ihn drängte nichts mehr, als die beiden in die Arme schließen zu können.

»Und wie geht es Lisa? Hast du sie in der letzten Zeit gesehen? Was macht meine kleine Leyla?«

»Lisa und Leyla habe ich eine Weile schon nicht mehr gesehen. Gleich nach meinem letzten Besuch bei dir hatte sie bei Jack’s Diner gekündigt. Sie hat sich nie wieder gemeldet.«

Simmons starrte gedankenverloren an die Wand. »Seit dem Zeitpunkt habe ich sie auch nicht wieder gesehen«, sagte er. »Eigentlich begann es aber schon früher. Sie hat mich ja nicht oft besucht. Hat immer die Kleine als Grund vorgeschoben. Es hat ihr nicht gefallen, dass ich verurteilt worden bin.«

»Aber das hat doch keinem von uns gefallen. Deshalb hätte sie den Kontakt zu dir nicht abbrechen müssen. Schließlich bist du Leylas Vater.«

»Ja, ich weiß. Ich werde sie suchen. Ich möchte, dass es wieder gut zwischen uns wird.«

»Kann ich dir dabei helfen, Matt?«

»Vielleicht, ich weiß noch nicht.«

Schließlich konnte Lizzy Simmons doch einige Tage später ihrem Sohn helfen. Eine Kollegin im Diner hatte noch Kontakt zu Lisa. Hierüber bekam Matt Simmons die neue Arbeitsstelle seiner Freundin.

»Was willst du hier?«, fragte Lisa, als Matt plötzlich bei ihrem neuen Job auftauchte. »Ich will dich nie wieder sehen. Verschwinde hier.«

»Lisa, hör zu. Ich möchte doch nur mit dir reden«, bettelte Matt. »Dann werde ich auch wieder verschwinden.«

»Was willst du denn schon mit mir bereden. Zwischen uns gibt es nichts mehr zu bereden. Du hast alles verbockt.«

»Lisa, bitte. Ich möchte es doch wieder gut machen. Gib mir doch bitte eine Minute.«

»Na komm schon. Aber nicht hier«, Lisa zog Matt am Arm in einen anderen Raum von der Tür weg. »Aber nur eine Minute. Also? Was willst du?«

»Eigentlich weißt du, was ich will, Lisa. Ich möchte meine Tochter sehen.«

»Damit du sie in deine kriminellen Tätigkeiten hineinziehen kannst?«

»Es gibt keine kriminellen Tätigkeiten. Ich werde nichts mehr anstellen. Ich werde eine Firma aufmachen, habe im Knast zu schreinern und zu tischlern gelernt.«

»Wer’s glaubt.«

»Du musst mir glauben, Lisa. Ich habe einen Kredit bekommen, um eine kleine Firma zu gründen. Es gibt einen Menschen, der an mich glaubt und mir hilft. Man hat mir eine Chance gegeben. Gib du mir bitte auch noch eine Chance. Ich weiß, unsere Beziehung habe ich kaputt gemacht. Aber lass mich doch der Vater für Leyla sein, den sie braucht.«

Lisa trat einen Schritt zurück und maß den Vater ihrer Tochter erneut mit ihren Augen ab. Es war der Junge, den sie mal geliebt hatte.

»Okay, und wie stellst du dir das vor?«

»Lass mich Zeit mit ihr verbringen. Du kannst gerne dabei sein. Aber du musst auch so keine Angst haben. Ich möchte ihr und auch dir zeigen, dass ich ein guter Vater sein kann. Meine Vergangenheit können wir hinter uns lassen.«

Daraufhin vereinbarten sie mehrmals Termine, an welchen sie sich trafen und Simmons endlich seine kleine Tochter Leyla in den Arm nehmen konnte. Es waren Momente, in denen er sehr stolz auf die Kleine war. Aber er hatte auch Respekt vor Lisa. Sie hatte die Tür nicht komplett zugeschlagen. Er konnte mit ihr sprechen, ohne zu streiten und sich gegenseitig anzuschreien, wie er es aus vielen anderen Familien kannte. Er war in der Lage, seiner Freundin auf Augenhöhe begegnen. Auch wenn sie ihm klarmachte, dass sie ihn nicht mehr lieben würde.

Heute hatte er ein sehr freundschaftliches Verhältnis zu Lisa Walters. Er konnte jederzeit mit ihrer Unterstützung rechnen, besonders wenn es um die Belange ihrer gemeinsamen Tochter ging. Leyla war ein fester Bestandteil seiner Familie. Wann immer es ging, verbrachte er Zeit auch mit ihr und schloss sie in seinen engsten Kreis ein. Als er Kristy kennenlernte, war es ihm sehr wichtig, ihr nicht vorzuenthalten, dass er bereits eine Tochter hatte. Er wollte kein Gemauschel, er wollte klare Verhältnisse. So lernte ihn Kristy kennen und liebte ihn deshalb. Für sie gab es keinerlei Bedenken gegenüber Leyla.

Als dann später Cooper kam, war es Leyla, die den engeren Kontakt suchte. Noch als er im Bauch von Kristy war, war Coop bereits ihr kleiner Bruder. Beinahe mehr noch als ihr Vater fieberte sie der Geburt des kleinen Bruders entgegen. Leyla war es nie anzusehen, dass sie zwischen zwei Familien pendelte. Auf der einen Seite ihre Mutter, für die es immer schwerer wurde, einen passenden Partner zu finden. Auf der anderen Seite ihr Vater, der in Kristy eine sympathische Lebensgefährtin gefunden hatte, die ihr in manchen Situationen trotz des Altersunterschieds eine verständnisvolle Freundin war. Für Leyla gehörten beide Seiten zusammen. Sie machten ihre Familie aus.

***

Sam Alvarez saß an seinem Schreibtisch und schrieb den Bericht eines Diebstahlvorgangs, in dem er in den letzten drei Tagen ermittelt hatte. Eigentlich fiel Diebstahl nicht in die Zuständigkeit des MCSD. Doch es gibt immer wieder Einsätze, die abteilungsübergreifend behandelt werden.

Wenn z. B. gegen eine Bande von Taschendieben vorgegangen werden soll, dann wird, wie in diesem Fall, eine größere Aktion geplant, um die kleinen Ganoven in eine Falle zu locken. In solchen Fällen ist es manchmal hilfreich, wenn nicht die Gesichter der Robbery Unit an den Schauplätzen auftauchen, weil sie dem einen oder anderen Kriminellen schon bekannt sind. Die Gesichter der Polizisten aus den anderen Abteilungen sind dann in diesen Kreisen unverbraucht, die Cops selbst eher unbekannt.

---ENDE DER LESEPROBE---