Im Nebel liegt der Tod - Nina Ohlandt - E-Book

Im Nebel liegt der Tod E-Book

Nina Ohlandt

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Beschreibung

Dichter Nebel liegt über der Küste: Hauptkommissar John Benthien und seine Kollegin Lilly Velasco stranden auf einer abgelegenen Landstraße an der dänischen Grenze. Eine alte Pension bietet ihnen Unterschlupf - doch am nächsten Morgen wird die Leiche der Gastwirtin auf der nahegelegenen Kreuzung gefunden. John und Lilly ermitteln im Umfeld der Pension. Jeder scheint etwas zu verbergen, und je mehr sich der Nebel lichtet, desto tiefer dringen die Ermittler in ein Netz aus Lügen, Intrigen und gefährlichen Verstrickungen ein.

Dieser Krimi um John Benthien und sein Team ist zeitlich im Umfeld der Romane von Nina Ohlandt und Jan F. Wielpütz angesiedelt. Wie jeder Roman der "Jahreszeiten-Reihe" kann er eigenständig und ohne Kenntnis der anderen Benthien-Krimis gelesen werden.

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Seitenzahl: 164

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

CoverGrußwort des VerlagsÜber dieses BuchTitelDer NebelNordlichtEin HandelsreisenderIn der Stille der NachtDie LeicheEin aussichtsloses UnterfangenDas Gewicht der VergangenheitKunst und GeheimnisseSchweigende StilleEine seltsame KrankengeschichteDas alte ZollhausFragwürdige SeitenImport/ExportEine KünstlerseeleEin Weg ins NichtsDas dritte LichtFamiliensacheEin unvollständiges BildKein Offizier und GentlemanEin Schuss in der NachtAuf der FluchtEin gesuchter MannEin Strich durch die RechnungOffene WorteAuf den zweiten BlickMaditaEpilogÜber die AutorenWeitere Titel der AutorenLeseprobeImpressum

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Über dieses Buch

Dichter Nebel liegt über der Küste: Hauptkommissar John Benthien und seine Kollegin Lilly Velasco stranden auf einer abgelegenen Landstraße an der dänischen Grenze. Eine alte Pension bietet ihnen Unterschlupf – doch am nächsten Morgen wird die Leiche der Gastwirtin auf der nahegelegenen Kreuzung gefunden. John und Lilly ermitteln im Umfeld der Pension. Jeder scheint etwas zu verbergen, und je mehr sich der Nebel lichtet, desto tiefer dringen die Ermittler in ein Netz aus Lügen, Intrigen und gefährlichen Verstrickungen ein.

Dieser Krimi um John Benthien und sein Team ist zeitlich im Umfeld der Romane von Nina Ohlandt und Jan F. Wielpütz angesiedelt. Wie jeder Roman der »Jahreszeiten-Reihe« kann er eigenständig und ohne Kenntnis der anderen Benthien-Krimis gelesen werden.

Der Nebel

Wenn es so weiterging, würden sie bald ein Problem haben, so viel stand fest.

John Benthien, erster Hauptkommissar der Flensburger Kriminalpolizei, trommelte mit den Fingern auf dem Lenkrad und spähte durch die Windschutzscheibe auf das Stauende vor ihm. Die Rücklichter verschwammen im Nebel.

»Hast du es eilig?«, fragte seine Kollegin Lilly Velasco vom Beifahrersitz aus.

»Ich bin heute Abend mit Ben verabredet.« Johns Vater war am Abend zuvor von einer Reise heimgekehrt, und sie hatten sich lange nicht gesehen.

»Wann denn?«

»Gegen acht.«

Lilly band ihr rostrotes Haar zu einem Pferdeschwanz, dann warf sie einen Blick auf ihr Smartphone. »Es ist kurz nach fünf. Bis dahin werden wir wohl in Flensburg sein.«

»Wenn das so weitergeht, nicht.« John deutete mit einem Nicken auf die Autoschlange vor ihnen.

In der vergangenen Stunde war Nebel aufgezogen, der immer dichter wurde. In der einsetzenden Dämmerung betrug die Sichtweite inzwischen weniger als hundert Meter. Dazu bedeckte buntes Herbstlaub die Fahrbahn. Kein Wunder, dass sich unter diesen Umständen ein Unfall ereignet hatte. John sah im Rückspiegel die Lichter eines Krankenwagens näher kommen. Er fuhr ein Stück zur Seite, um Platz zu machen. Hoffentlich war dort vorne niemand ernsthaft zu Schaden gekommen.

Lilly holte ein Buch aus ihrer Handtasche und stellte die Rückenlehne ein Stück zurück. Ein alter Maigret-Krimi, wie John aus dem Augenwinkel erkennen konnte.

»Hattest du nicht schon genug Mord und Totschlag?«, fragte er.

Lilly zuckte die Schultern. »Anders als in der Realität wird der Mörder im Buch zumindest immer gefasst.«

»Das ist wahr.« John verstand, was sie meinte.

Sie kamen gerade von einer Ermittlung auf Sylt. Eine verwitwete alte Dame war vor einigen Tagen zu Hause tot in ihrem Bett aufgefunden worden, auf dem Nachttisch eine leere Packung Schlaftabletten. Alles hatte nach einem Suizid ausgesehen. Die Tochter und der Schwiegersohn hatten mögliche Erklärungen geliefert. Der kürzlich verstorbene Ehemann, den die Frau über alles geliebt hatte und ohne den sie nicht hatte weiterleben wollen. Die karge Rente, die ein würdiges Leben nicht möglich machte.

Dennoch hatte es Hinweise gegeben, dass die Angehörigen möglicherweise nachgeholfen hatten. Unter anderem den Umstand, dass die alte Dame pflegebedürftig gewesen war. Der verstorbene Ehemann hatte sich um sie gekümmert, nun hatte eine Heimunterbringung gedroht, die die Finanzen der Nachfahren überstrapaziert und einen Großteil des potenziellen Erbes aufgebraucht hätte.

Handfeste Beweise, die vor Gericht Bestand hätten, hatten John und Lilly allerdings nicht finden können. Und so war die Sache als Suizid zu den Akten gewandert. Mit dem nagenden Zweifel, die Wahrheit dieses Mal vielleicht nicht ans Licht gebracht zu haben, waren sie abgereist. Es war einer jener Fälle, die John noch lange im Gedächtnis bleiben würden, weil sie ihm das Gefühl gaben, seine Arbeit nicht ordentlich erledigt zu haben.

Vor einer knappen Stunde waren sie in Klanxbüll aus dem Zug gestiegen. John hatte seinen Wagen auf der Hinfahrt dort geparkt, um nicht das langwierige Verladeprozedere auf dem Autozug über sich ergehen lassen zu müssen. Auf Sylt hatten sie einen Leihwagen auf Staatskosten benutzt und für die Dauer der Ermittlung in Johns Kapitänshaus in List gewohnt.

Von Klanxbüll aus waren sie der Hesbüller Straße gefolgt, die sie im Verlauf über die Grenzstraße nördlich nach Flensburg bringen würde. Doch dieser Weg war nun versperrt.

John ließ den Motor an und wendete kurz entschlossen.

»Was jetzt?«, wunderte sich Lilly und ließ das Buch sinken.

»Wir fahren runter nach Niebüll und von dort aus weiter.«

»Ist das nicht ein Umweg?«

»Selbst wenn, es kann nur schneller gehen als hier.«

Bei nächster Gelegenheit bog John auf eine schmalere Nebenstraße ab, die in Richtung Süden führte. Er musste das Tempo den Sichtverhältnissen anpassen – aber immer noch besser, als im Stau zu stehen.

Sie fuhren zwischen den Feldern hindurch. Auf einer Weide stand eine Herde Kühe, deren Beine im Nebel versanken.

Als sie sich schließlich Niebüll näherten, war es stockdunkel geworden. Wenige Kilometer weiter, als John auf die Klanxbüller Straße einbog, endete ihre Fahrt erneut im Stau.

Er schlug mit der flachen Hand aufs Lenkrad. »Ist doch nicht wahr! Was ist denn heute los?«

Lilly reckte den Hals. Durch den Nebel war lediglich das Flackern eines Blaulichts zu erkennen. Ein Mann kam aus der Richtung zu dem Wagen vor ihnen gelaufen und wollte auf der Fahrerseite einsteigen.

John ließ das Fenster runter und streckte den Kopf raus. »Was ist da vorne los?«

Der Mann kam zu ihnen herüber. »Die Polizei hat die Straße abgesperrt.«

»Haben sie gesagt, wie lange?«

»Nicht genau. Wird wohl noch eine Weile dauern. Umfahren bringt nichts. Hinter Niebüll gibt’s noch weitere Sperrungen.«

»Danke.« John ließ das Fenster wieder hochfahren, und der Mann stieg in seinen Wagen. »Schöner Mist.«

Lilly öffnete das Handschuhfach, nahm das mobile Blaulicht heraus und setzte es auf das Armaturenbrett. »Wie wäre es? Machen wir uns einfach den Weg frei.«

»Dafür gibt es keinen Anlass. Und wir wollen doch nicht noch mehr Chaos stiften.«

»War ein Witz.« Lilly verdrehte die Augen. »Nun tu mal nicht so gestresst.«

John griff nach seinem Smartphone und rief die Navigationsapp auf. »Ein anderer Vorschlag. Wir fahren zurück nach Klanxbüll und dann rüber nach Dänemark. Da ist bestimmt um die Uhrzeit nichts los. Dann können wir gemütlich über die Landstraße nach Hause juckeln.«

»Mir egal.« Lilly hielt ihr Buch in die Höhe. »Ich kann mir die Zeit schon vertreiben.«

John wendete abermals und fuhr in entgegengesetzter Richtung davon. Hinter Klanxbüll wählte er eine schmale Nebenstraße, die in der Nähe des Rickbüller Koogs direkt zur dänischen Grenze führte.

Lilly war auf dem Beifahrersitz in ihrem Buch versunken. Nur ab und an schaute sie auf, wenn John ein Schlagloch übersah und sie durchgerüttelt wurden.

John schaltete das Radio ein. Leonard Cohen sang die letzten Zeilen von »You Want It Darker«. Dann kamen die Nachrichten, gefolgt vom Wetterbericht, der keine Besserung für den Abend und die Nacht vermelden konnte, im Gegenteil.

»Bleiben Sie nach Möglichkeit zu Hause und verzichten Sie auf unnötige Autofahrten«, sagte die Sprecherin. »Auch in den nächsten Tagen ist mit dichtem Nebel zu rechnen.«

John kniff die Augen zusammen und konzentrierte sich auf die Straße, die schmaler wurde und im Nebel verschwamm. Ein paar Nebelscheinwerfer hätten sicherlich geholfen. Leider hatte der Vorbesitzer des Wagens auf das Extra verzichtet.

Die Sicht musste inzwischen bei unter fünfzig Metern liegen. John blickte auf den Tachometer. Er fuhr keine dreißig Stundenkilometer mehr. Das würde ein langer Weg nach Flensburg werden.

Plötzlich machte der Wagen einen Satz. Lilly fiel das Buch aus der Hand.

»Pass doch auf!«, rief sie.

»Schon gut. Ich hab’s nicht gemerkt.« Er war mit dem rechten Reifen vom Weg abgekommen.

»Sag mal …« Lilly blickte ihn von der Seite an. »Siehst du vielleicht nicht mehr gut im Dunkeln?«

John schüttelte den Kopf und deutete hinaus in den Nebel. »Bei der Waschküche gibt es nicht mehr viel zu sehen.«

»Oder du wirst alt.«

»Auf dem Schießstand habe ich neulich erst …«

Sie hob die Hand. »Schon gut. Konzentrier dich lieber auf die Straße. Ich würd gerne lebend ankommen.«

John umfasste das Lenkrad mit beiden Händen und verkniff sich eine Erwiderung. Auch, weil er insgeheim überlegte, ob Lilly recht hatte. Die grauen Strähnen in seinem strubbeligen braunen Haar waren zahlreicher geworden, ebenso die Falten auf seiner Stirn und um die Augen. Und seine Nase – Freunde, die es gut mit ihm meinten, nannten sie Charakternase, andere sprachen von einer Habichtnase oder einfach einem Zinken – war dünner und kantiger geworden. Kurz, auch wenn es ihm nicht gefallen mochte, ähnelte er doch immer mehr seinem Vater.

John trat mit voller Kraft auf die Bremse und brachte den Wagen ruckelnd zum Stehen.

Lilly warf es in den Gurt, ihr Buch flog gegen die Windschutzscheibe. Erschrocken sah sie ihn an.

John atmete tief durch und deutete nach vorne.

Im Scheinwerferkegel stand ein schwarzer Hund vor der Kühlerhaube. Ein Labrador. Er war plötzlich aus dem Nebel aufgetaucht. Es hatten nur wenige Meter gefehlt. Das Tier sah sie mit funkelnden Augen an, dann trottete es weiter.

»Das war knapp«, sagte John. Er öffnete das Fenster einen Spalt weit. Frische Luft drang herein. Kalt, salzig, feucht.

John spähte in die Nacht hinaus.

Sie standen auf einer Kreuzung im Nirgendwo.

Bei näherem Hinsehen entpuppte sie sich allerdings als nicht so verlassen, wie es im ersten Moment den Anschein gehabt hatte.

Rechts von ihnen schälten sich die Konturen eines Hauses aus dem Nebel. Eine verwitterte Backsteinfassade, eine Treppe, die über eine Terrasse zum Eingang führte, darüber ein windschiefes Schild mit der Aufschrift »Nordlicht. Letzte Pension vor der Grenze«.

Im Erdgeschoss brannte Licht.

»Willst du mal eine Pause machen?«, fragte Lilly.

»Ein Kaffee kann bestimmt nicht schaden.«

»Na, dann.«

John parkte den Wagen vor dem Haus. Dann schnappte er sich seinen Parka von der Rückbank und sie stiegen aus.

Auf der anderen Straßenseite trottete der Labrador durch den Nebel an einem weiteren Gebäude vorbei. Einige ausgeschlachtete Autowracks standen davor, außerdem ein Reifenstapel und ein Ölfass. Offenbar handelte es sich um eine Werkstatt.

Der Hund spazierte weiter über die Kreuzung zu einer alten Reetdachkate direkt gegenüber. Dort machte er sich an einer Mülltonne zu schaffen, die umgestürzt war.

Die Haustür wurde aufgerissen, und ein Mann kam heraus.

John konnte durch den Nebel nur einen Schemen erkennen. Das Licht, das aus dem Inneren des Hauses drang, umgab ihn wie eine Aura. Er scheuchte den Labrador fort. Dann blickte er kurz in Johns Richtung und ging wieder hinein.

»Wusstest du eigentlich, dass ein schwarzer Hund im alten Volksglauben und in Sagen als schlechtes Omen gilt?«, fragte Lilly.

»Vielleicht solltest du statt Krimis Liebesromane lesen.«

»Der Hund wurde als ein Nachtgespenst gesehen«, erzählte Lilly weiter. »Seine Erscheinung wurde oft als Zeichen des Todes gewertet.«

»Dann soll er wiederkommen, wenn wir im Dienst sind.« John ging die Stufen zum Eingang hoch.

Er griff nach der Klinke und wollte die Tür öffnen, doch sie klemmte. Anscheinend hatte sich das alte Holz mit der Zeit verzogen. John zog fester und riss die Tür mit einem Ruck auf. In dem Moment gab das Schild über dem Eingang nach und ruckte mit einem Knarzen in ihre Richtung, blieb aber ein Stück weit über ihren Köpfen hängen.

»Wie ich sagte. Immer schön aufpassen.« Lilly schmunzelte und ging hinein.

Der Hund wieselte zwischen Johns Beinen ins Innere der Pension.

Nordlicht

John fühlte sich in der Zeit zurückversetzt. Durch die Eingangstür waren sie direkt in den Schankraum der Pension gelangt. Die Einrichtung erinnerte ihn an die Patina-bedeckten Lokale, die er in seiner Kindheit und Jugend mit seinem Vater auf Sylt besucht hatte. In den Siebziger- und Achtzigerjahren war das gewesen, wenn Feier- oder Geburtstage anstanden oder er ausnahmsweise mal eine gute Note aus der Schule mit nach Hause gebracht hatte.

Die schlichte Theke aus dunklem Eichenholz diente wohl zugleich als Rezeption für die Pension. Links neben dem Regal mit Gläsern und Flaschen mit Hochprozentigem befand sich ein Schlüsselbord, wie man es aus jedem Hotel kannte. Der Anzahl der Schlüssel nach zu urteilen, war das Nordlicht nicht gerade ausgebucht, an allen fünf Haken hingen die Schlüssel.

Im Schankraum standen mehrere Tische, zwei davon unter den Fenstern. Das Interieur wurde ganz von der Seefahrt bestimmt. An der Decke spannten sich Fischernetze, dazu ein Kronleuchter in Form eines alten Steuerrads. Bilder eines Leuchtturms und der aufgepeitschten Nordsee schmückten die Wände. In der Luft hing der kalte Geruch einer unbelebten Kneipe, eine Mischung aus Alkohol, Essen und muffigen Polstern.

Wie es den Anschein hatte, waren sie mitten in eine Familienstreitigkeit geplatzt.

Auf einer der beiden Eckbänke im hinteren Teil des Raums saß eine ältere Dame mit einer jüngeren Version ihrer selbst. Mutter und Tochter. Der schwarze Labrador hatte sich unter dem Tisch neben die Füße der alten Dame gelegt.

Ein Plan oder eine größere Karte, so genau konnte John das nicht erkennen, lag zwischen den beiden Frauen auf dem Tisch. Die Ältere saß vorgebeugt da, tippte mit einem Finger auf das Papier und sah die Tochter mit giftigem Blick an.

»Das wird nicht passieren«, zischte sie, »zumindest nicht, solange ich lebe …«

Die Tochter bemerkte John und Lilly als Erste. Der Blick der Mutter folgte ihrem, und sie verstummte.

Ein Moment unangenehmer Stille trat ein. Dann erhob sich die alte Dame und kam zu ihnen herüber. Sie hatte die kurzen grauen Haare zu einem Seitenscheitel gekämmt. Die zahlreichen Falten in ihrem Gesicht zeugten von Jahrzehnten harter Arbeit. Über einer schwarzen Jeans trug sie einen einfachen Strickpullover. Die kleinen, tief liegenden blauen Augen musterten sie beide. »Herzlich willkommen, suchen Sie sich doch gerne einen Tisch.« Es klang nicht gerade so, als käme es von Herzen.

Während die Frau hinter die Theke ging und sich eine Schürze umband, setzten John und Lilly sich an einen Fenstertisch.

Die Tochter klappte den Laptop auf, der vor ihr stand, und begann zu tippen.

»Was möchten Sie trinken?«, fragte die Frau hinter der Theke.

»Ein alkoholfreies Pils«, sagte Lilly.

»Vielleicht besser als ein Kaffee um die Uhrzeit. Da schließe ich mich an«, schob John hinterher.

Die Frau öffnete einen Kühlschrank unter der Theke und holte mit mürrischem Gesicht zwei Bierflaschen hervor. John hatte sich selten weniger willkommen in einer Gaststätte gefühlt.

In seinem Rücken wurde die Eingangstür geöffnet, und ein Schwall kalter Luft wehte herein. Er drehte sich um.

Ein älterer Herr mit grauer Lockenpracht hatte das Lokal betreten.

»Wo hast du gesteckt?«, blaffte die Frau ihn an. »Wir haben Gäste.«

»Kann ich nicht ahnen«, gab er zurück und bedachte John und Lilly mit einem knappen »’n Abend«.

Mit unsicheren Schritten ging er zur Theke hinüber. Er trug ein rotschwarzes Karohemd, Hosenträger sicherten seine verwaschene Bluejeans.

Die Frau stellte ihm ein Tablett mit zwei Flaschen und Gläsern hin. »Mach dich mal nützlich.«

»Soll ich das nicht lieber übernehmen?«, fragte die junge Frau über den Rand des Laptops hinweg. Der Mann musste ihr Vater sein. Sie hatte seine Nase und Augenpartie, und auch die Locken schien sie von ihm geerbt zu haben.

Der alte Mann winkte ab. »Ich schaff das schon.«

Er nahm das Tablett mit zittrigen Händen und kam in ihre Richtung. Ungefähr auf der Hälfte des Weges, wo die Fliesen vor der Theke in einen Holzboden übergingen, gab es eine kleine Kante. Für jeden Menschen, der im Vollbesitz seiner Kräfte war, stellte sie vermutlich kein Hindernis dar. Doch der alte Mann konnte kaum die Füße anheben. Er blieb an der Kante hängen, stolperte, und das Tablett glitt ihm aus der Hand. Die Gläser und Flaschen zersprangen scheppernd auf dem Boden.

»Verdammt«, gab er mit brüchiger Stimme von sich.

»Herman!«, entfuhr es seiner Frau hinter der Theke.

Die Tochter klappte den Laptop zu und kam ihrem Vater zur Hilfe. »Setz dich, ich kümmere mich drum.«

Der alte Mann schlurfte zu einem der Barhocker an der Theke und nahm mit erschöpftem Gesichtsausdruck Platz. Die Tochter holte Aufnehmer und Kehrblech.

Als sie das Malheur beseitigt hatte, kam sie mit neuen Flaschen und Gläsern zu John und Lilly an den Tisch.

»Sie müssen entschuldigen«, sagte sie, »mein Vater …«

John hob eine Hand. »Alles gut, kein Problem.«

Sie öffnete eine Flasche und schenkte Lilly ein. »Es geht ihm nicht gut in letzter Zeit. Eigentlich sollten er und Mutter das hier nicht mehr machen. Sie hängen nur unheimlich an dem Laden und … Na ja, ich schätze, das Alter macht einen nicht unbedingt einsichtiger.«

John schmunzelte, er musste an seinen Vater denken. »Kommt mir bekannt vor.«

Sie stellte Flasche und Glas vor Lilly ab. »Die beiden wollen sich nicht mal helfen lassen. Dabei habe ich mir extra Urlaub genommen.«

»Ich vermute, der gute Wille zählt.« John bedeutete ihr, dass er sich auch selbst einschenken konnte. »Mein Vater ist im selben Alter. Am Ende können wir unsere Hilfe nur anbieten.«

»Da haben Sie wohl recht. Irgendwie beruhigend, dass es mir nicht allein so geht.« Sie wischte sich eine Hand an dem Tuch ab, das sie bei sich hatte, und streckte sie ihm hin. »Madita Ahrends.«

»John Benthien«, erwiderte er. »Das ist meine Kollegin Lilly Velasco.«

»Sie sind beruflich unterwegs?«

»Mehr oder weniger.«

»Sie wollen aber bei dem Wetter doch nicht noch weiterfahren, oder?«

»Ich weiß nicht …« John blickte zum Fenster hinaus.

Der Nebel war noch genauso dicht wie vorhin. Selbst die Autowerkstatt gegenüber konnte er nur schemenhaft erkennen.

Rechts davon, dort, wo John vorhin die Reetdachkate gesehen hatte, schälte sich der Schemen eines Mannes aus dem Nebel. Er kam langsam über die Straße herüber. Bei Johns Wagen blieb er kurz stehen, schien durch die Windschutzscheibe zu lugen, wo die mobile Sirene zu erkennen war, die Lilly auf das Armaturenbrett gestellt hatte. Dann ging er weiter und betrat das Lokal.

Der Mann hatte langes grau meliertes Haar, das er zu einem Pferdeschwanz trug. Sein weißes Hemd und die Cordhose waren über und über mit Farbklecksen übersät.

Er stellte sich an die Theke und nickte der alten Dame und dem Mann zu. »Elke. Herman.«

Der alte Mann ging hinter die Theke. »Pils?«

Ein stummes Nicken.

Während ihr Vater an der Zapfanlage ein Glas füllte, erklärte Madita Ahrends: »Wigalt von der Wettering. Er wohnt in der Kate gegenüber. Ist Künstler. Er kommt jeden Abend auf ein Bier rüber.«

Während er auf sein Bier wartete, studierte der Mann John, Lilly und Madita mit interessiertem Blick, gab aber keinen Ton von sich. Erst als Herman Ahrends das volle Glas zu ihm rüberschob, brummte er: »Danke.«

»Wenn Sie nicht weiterfahren wollen«, nahm Madita Ahrends den Faden wieder auf, »können Sie auch gerne hier übernachten.«

John blickte Lilly fragend an. Da sich die Wetterlage offenbar nicht deutlich verbessern würde, war das tatsächlich eine Option. Natürlich würde er sein Abendessen mit Ben verschieben müssen, doch das war allemal besser, als in irgendeinem Straßengraben zu enden. Lilly dachte wohl ähnlich. Sie nickte. »Können wir machen.«