Im Sog der Rache - Klara Fall - E-Book

Im Sog der Rache E-Book

Klara Fall

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  • Herausgeber: epubli
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2022
Beschreibung

Als Kaschmir in ihrem eigenen Haus plötzlich überfallen und brutal stranguliert wird, entkommt sie nur knapp dem Tod. Spätestens, als bekannt wird, dass es sich bei dem im Lüßwald gefundenen Skelett um die sterblichen Überreste ihres vor Jahren verschwundenen Freundes Florian handelt, kommt ihr ein furchtbarer Verdacht. Steckt etwa Konrad, ihr Mann, hinter dem Anschlag? Auch Ihre beste Freundin Suse verschwand damals urplötzlich, wurde sie vielleicht ebenfalls umgebracht? Sollten die drei Fälle zusammenhängen? Muss Kaschmir befürchten, dass Konrad ein skrupelloser Mörder ist? Sie ist bestürzt, ahnt jedoch nicht im Geringsten, welch schreckliches Geheimnis hinter all dem steckt.

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Ähnliche


Inhalt

Zum Buch

Friss oder stirb

Kaschmir

Corinna Sterzenbach

Kinderwunsch

Telefonat

Ehestreit

Geburtstagsvorbereitung

Am Boden

Wutentbrannt

Am Strand

Ärger mit Konrad

Verliebt in Garmisch

Auszeit

Überraschender Anruf

Konrads Geburtstag

Erstes Kennenlernen

Finale

Inselurlaub

Einladung

Grilldesaster

Klassentreffen

Verdacht

Besuch in Hamburg

Traummann

Verzweifelt

Skatabend

Alles anders

Argwohn

Entscheidender Anruf

Übergriff

Bittere Enttäuschung

Überredet

Eisdiele

Verrat

Diese Schweine

Tödliche Entscheidung

PC-Fotos

Beobachtet

Böses Erwachen

Stranguliert

Mädelsabend

Nutte

Hannas Entdeckung

Hilfe Polizei

Schneechaos

Frauenpower

Tote-Hosen-Konzert

Notfalltreffen

Gabelstapler

Rachepläne

Tattoostudio

Wanderurlaub

Showdown

Abgang

Beerdigung

Bitte Olga

Ermittlungen

Verhaftung

Endlich frei

Neue Ufer

EPILOG

Die Rechte für die Ausgabe liegen alleine beim Autor.

Das Werk ist einschließlich aller seiner Teile urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung oder Vervielfältigung des Werkes ist ohne Zustimmung des Autoren unzulässig und strafbar.

Alle Rechte sind vorbehalten.

Ohne ausdrückliche, schriftliche Erlaubnis des Autors, darf das Werk, auch nicht Teile daraus, weder reproduziert, übertragen noch kopiert werden. Zuwiderhandlung verpflichtet zu Schadensersatz.

Alle im Buch enthaltenen Angaben wurden vom Autor nach bestem Wissen erstellt. Sie erfolgen ohne jegliche Verpflichtung oder Garantie.

Er übernimmt deshalb keinerlei Verantwortung und Haftung für etwa vorhandene Unrichtigkeiten.

Es besteht keine Absicht, diverse Orte, Firmen oder Markennamen sowie Personen des öffentlichen Lebens in irgendeiner Art und Weise zu schädigen oder negativ darzustellen.

Klara Fall

Im Sog

DER RACHE

Freundschaft bis aufs Blut

Krimi

Texte© Klara Fall

Auflage 1 2022

Umschlag:

©by [email protected]

Bild:

Depositphotos

Satz:

Katharina Georgi

Verlag:

Neopubli GmbH

Köpenicker Straße 154a

10997 Berlin

Kontakt:

Klara Fall

c/o autorenglück.de

Franz-Mehring-Str. 15

01237 Dresden

Autorenglück

Zum Buch

Als Kaschmir in ihrem eigenen Haus plötzlich überfallen und brutal stranguliert wird, entkommt sie nur knapp dem Tod. Spätestens, als bekannt wird, dass es sich bei dem im Lüßwald gefundenen Skelett um die sterblichen Überreste ihres vor Jahren verschwundenen Freundes Florian handelt, kommt ihr ein furchtbarer Verdacht. Steckt etwa Konrad, ihr Mann, hinter dem Anschlag?

Auch Ihre beste Freundin Suse verschwand damals urplötzlich, wurde sie vielleicht ebenfalls umgebracht? Sollten die drei Fälle zusammenhängen? Muss Kaschmir befürchten, dass Konrad ein skrupelloser Mörder ist? Sie ist bestürzt, ahnt jedoch nicht im Geringsten, welch schreckliches Geheimnis hinter all dem steckt.

Friss oder stirb

Wie aus weiter Ferne drang das leise Wimmern eines Babys an sein Ohr.

Er stutzte. Ein Baby? Wieso weinte da ein Baby? Verwirrt hielt er den Atem an und lauschte hochkonzentriert, da sein rasender Puls wie ein Dampfhammer in seinem schmerzenden Schädel dröhnte. Wumm, wumm, wumm. Dazwischen, immer wieder, wenn auch ganz leise, das Wimmern des Babys. Mühsam riss er sich zusammen und fokussierte all seine Sinne auf diese flehenden Töne.

Verdammt! Sobald er den flatternden Atem anhielt, verstummte das klägliche Jammern. Holte er Luft, war es wieder da.

»Das gibt es doch nicht!«, stöhnte er völlig verwirrt. Er konnte es doch deutlich hören. Es war ganz in seiner Nähe. Es war… direkt… bei ihm! Es kam… von ihm!!! Oh Gott! Er selbst war es, der so wimmerte! So erbärmlich flennte, wie ein angeschossenes Tier. »Verdammte Scheiße!«, brüllte er gequält, wollte instinktiv flüchten und sich hektisch vom Boden hochstemmen. Doch so sehr er sich auch bemühte, er konnte sich kaum bewegen, fühlte sich wie festgenagelt. Verzweifelt riss er seine brennenden, blutunterlaufenen Augen auf, doch er sah alles nur doppelt und merkwürdig verzerrt. Sein wilder Blick irrte nervös umher und wurde nur langsam klarer. Verstört erkannte er, dass er auf kalter staubiger Erde lag. Flach auf dem Bauch, mit dem Gesicht halb zur Seite gedreht. Wieso lag er denn auf dem Boden? Irritiert riss er die Augen weiter auf. Und erstarrte. Kaltes Grauen fuhr ihm wie ein scharfes Messer in die Brust und entsetz schrie er auf. »Neeeiiiinnn, oh Gott, nein!«

Sein Atem gefror vor Schreck, so unfassbar war das, was sich langsam aus den nebelumwogenden wabernden Bruchstücken vor ihm zu einem scharfen Bild zusammensetzte. Aus seiner zerfetzten Handfläche rechts vor ihm ragte ein blutiger Holzkeil.

Nein! Nein!! Nein!!!

Schreiend zerrte er an seinem Arm. Wieder und wieder. Doch er ließ sich einfach nicht bewegen. Panisch ruckte sein Blick zur anderen Seite. Entgeistert starrte er auf den blutigen Pflock, der auch aus dieser Hand ragte. Urplötzlich setzte der Schock ein. Unmengen Adrenalin jagten durch seinen Körper, hielten kurzzeitig die Schmerzen in Zaum, bis sie letztendlich wie Brandbomben explodierten. Heißer Lava gleich rollten sie durch seine Adern und ließen ihn wie am Spieß brüllen.

Im wahrsten Sinne des Wortes. Jemand hatte ihn brutal am Boden angepflockt! Entsetzen, Panik, Schmerzen, alles brach wie eine alles verschlingende Welle über ihn herein und ließ ihn seine Qual mit überschlagender Stimme aus sich herausbrüllen. Viel zu schnell wurde ihm die Luft knapp und erste schwarze Punkte begannen wild hinter seinen Lidern zu tanzen. Das war der Zeitpunkt, an dem die überreizten Nerven seinem gepeinigten Körper den Dienst versagten. Ihm wurde schwarz vor Augen und die Welt um ihn herum verlor ihre Konturen.

Kaschmir

»Niemand sollte alleine sterben müssen«, schluchzte Kaschmir mit brüchiger Stimme. Der Nachtdienst hatte ihr wieder einmal alles abverlangt. Konrad saß, wie jeden Morgen um diese Zeit, am Frühstückstisch und studierte intensiv den Sportteil der Tageszeitung. »Guten Morgen, mein Schatz«, flüsterte sie ihm mit rauer Stimme ins Ohr und löste mit ihrem warmen Atem einen prickelnden Schauer bei Konrad aus.

»Hallo, meine Schöne«, brummte er heiser und sah erwartungsvoll auf. »Oh, du siehst ganz schön geschafft aus. Wie war die Nacht?«, fragte er nach einem kurzen Blick in ihr erschöpftes Gesicht.

»Die alte Frau Müller, von der ich dir ja erzählt habe, ist um Mitternacht verstorben«, antwortete sie mit Tränen in den Augen. »Endlich«, fügte sie schnell hinzu. »Die Ärmste hatte Krebs im Endstadium und musste sich seit Monaten entsetzlich quälen. Sie konnte und konnte nicht sterben. Wir alle haben gebetet, sie möge endlich Erlösung finden.«

Eine einzelne Träne kullerte Kaschmir die Wange herab. Das Konrad sie ihr mit dem Zeigefinger abwischte, bemerkte sie in ihrem Kummer gar nicht. »Komm mal her«, bat Konrad leise und zog sie mit sanfter Energie auf seinen Schoß. Einmal in der Geborgenheit seiner starken Arme, konnte sie sich nicht mehr beherrschen. Sie weinte hemmungslos. Obwohl Konrad ihr immer wieder beruhigend über den zitternden Rücken strich, dauerte es lange, bis sie sich beruhigen konnte.

»Geht es wieder?«, fragte er mit einem mitfühlenden Blick in ihre verweinten Augen und drückte sie liebevoll an seine Brust. Sie konnte nur stumm nicken. Sein zartes Streicheln über ihren Rücken beruhigte sie nur langsam.

»Nimm noch einen Schluck heißen Kaffee und dann schleunigst ins Bett mit dir«, raunte er.

Kaschmir schaute entsetzt auf. Doch sie bemerkte sofort ihren Irrtum und ihre Wangen flammten rot auf. »Ja was denkst du denn nur von mir?« Ihr Mann zog beleidigt seine Augenbrauen zusammen.

»Entschuldigung«, murmelte sie peinlich berührt. Konrad lächelte. »Ach, du Dummerchen. Ich will doch nur, dass du schnellstens zu deinem wohlverdienten Schlaf kommst. So fertig, wie du aussiehst, hätte ich eh nicht viel davon, jetzt mit dir in die Kiste zu springen. Das würde ja fast schon an Leichenfledderei grenzen«, feixte er.

»Konrad!« Kaschmir schnaufte auf und knuffte ihm schmunzelnd vor die Schulter.

»Schön, du kannst ja schon wieder lachen, mehr wollte ich gar nicht erreichen«, grinste er zurück. »Und außerdem«, jetzt wackelte er fröhlich mit den Augenbrauen, »aufgehoben ist ja nicht aufgeschoben.« Der Tag ist schließlich noch jung.« Frech kniff er ihr ein Auge zu.

»Du Kindskopf.« Kaschmir konnte nicht anders, liebevoll wuschelte sie ihm durch die dichten schwarzen Locken und küsste ihm dankbar auf seine feuchten Lippen.

»Hey, verführ mich nicht. Es fehlt nicht mehr viel und ich fall doch noch über dich her.« Rigoros hievte er sie von seinem Schoß, drehte sie um und schob sie kurzerhand in Richtung Schlafzimmer.

»Ich liebe dich«, war das letzte, was sie noch herausbrachte. Erschöpft fielen ihr die Lider zu und ihr übermüdetes Gehirn tauchte ins Reich der Träume ein. Dass Konrad sie liebevoll zudeckte und ihr einen zärtlichen Kuss auf die Stirn drückte, bekam sie nicht mehr mit.

Corinna Sterzenbach

Während Julia, ihre Tochter, oben im Kinderzimmer mit ihrer besten Freundin Sofia Mathe lernte, stand Corinna unten in der Waschküche am Bügelbrett. Wenn sie sich beeilte, würde sie alle drei Körbe Wäsche bis siebzehn Uhr schaffen. Dann hatte sie vorläufig vor dieser ihr so verhassten Arbeit Ruhe und musste morgen früh nicht wieder damit beginnen. Es gab wahrlich schönere Aufgaben in diesem Haushalt, Bügeln zählte für sie absolut nicht dazu.

In weiser Voraussicht hatte sie heute Morgen eine leichte Gemüsesuppe vorgekocht und die Zwiebeln für die frischen Mettebrötchen, die es heute als Abendessen gab, waren auch schon in Ringe geschnitten. So konnte sie den gesamten Nachmittag hier unten im Keller verbringen. Mettebrötchen mochten sie alle drei, daher war das heute die einfachste und schnellste Mahlzeit bei der Kürze der Zeit. Gut, dass Claus in dieser Beziehung genauso unkompliziert wie Julia war.

Sie hatte mit ihren beiden schon echt Glück, nicht nur in Bezug auf die Mahlzeiten. Claus hatte sich gestern Nacht, wie stets, sehr ins Zeug gelegt. Es war eine so harmonische traumhaft schöne Nacht. Aber anschließend hatte er, wie aus heiterem Himmel einen Krach vom Zaum gerissen, dass die Wände wackelten. Nie in ihrem Leben hatte sie solch ein Donnerwetter erlebt. Niemalshätte sie einen solch entsetzlichen Ausrastervon ihm erwartet. Das war doch nicht ihr Claus! Was war denn in ihren Mann gefahren? Zunächst lauschte sie ihm noch sprachlos mit offenem Mund, felsenfest überzeugt, er mache nur Spaß. Doch mit Entsetzen registrierte sie eine unterschwellige Wut in seinem Gebaren. Wie er da vor ihr stand, mit seinem ein Meter Neunzig großen muskulösen Körper und einemwütenden Stier gleich auf sie herniederfauchte. Sprachlos stand sie vor ihm, unfähig, sich zu wehren. Er schien regelrecht heiß zu laufen, sein Tonfall wurde so aggressiv, dass es ihr eine Heidenangst einjagte. Zum ersten Mal in ihrem Leben klopfte ihr Herz beim Anblick ihres Mannes nicht vor sexueller Erregung, sondern aus purer nackter Verzweiflung.

»Großer Gott, Claus, nicht so laut. Denk doch an Julia. Mach sie bitte nicht wach. Sie schreibt morgen einen Mathetest und muss dafür ausgeschlafen sein«, wagte sie ihn zu maßregeln.

»Julia, ja natürlich.« Claus nahm sich sichtlich zusammen. Seine Tochter konnte ihn selbst dann noch um den Finger wickeln, wenn sie nicht anwesend war. Corinna atmete auf. Hoffentlich bleibt er jetzt ruhig, betete sie inbrünstig. Diese ungewohnte Aggression hatte sie bis auf die Knochen erschreckt. »Bitte Claus, was ist denn nur mit dir los?« Zaghaft wagte sie zu fragen und schaute ihn forschend unter gesenkten Augenlidern an.

»Ach, lass mich doch in Ruhe«, fauchte er ein letztes Mal. Schnaubend, mit Kopfkissen und Oberbett unter dem Arm verließ er das Schlafzimmer und knallte fluchend die Tür zu. Und ließ seine völlig perplexe Frau erschrocken zurück. Sprachlos sah Corinna zur Tür. Nein, sie würde jetzt nicht anfangen zu weinen. Doch das Funkeln in ihren weit aufgerissenen Augen sprach Bände. Was war denn mit dem los?

Stunden später lag sie immer noch mit offenen Augen auf dem Bett und zermarterte sich den Kopf. Hin und wieder sah sie mit skeptischem Blick zu Claus hinüber, der irgendwann gegen Morgen zurück ins Bett geschlichen war, penibel darauf bedacht, ihr nicht zu nahe zu kommen. Traurig glitt ihr Blick über sein ebenmäßiges Gesicht, das im Schlaf so unschuldig wie eh und je wirkte. Ein Anblick wie immer. Bis der Vollmond, der genügend Licht durch den dünnen Stoff der beigen Vorhänge ins Schlafzimmer warf, von einer Wolke verdeckt wurde. Dieser unheimliche Effekt, wenn ein Schatten auf sein entspanntes Gesicht fiel und die weichen Züge in eine erschreckende Fratze wechselten. Fast schon ängstlich beobachtete sie diesen verblüffenden Wandel von harmlos zu brutal. Sie spürte, wie sich bei diesem Anblick ihre Nackenhaare aufstellten. War ihr Mann so? So grob? So grimmig? Wenn ja, was hatte ihn so werden lassen? Corinna zweifelte an ihrem Verstand. Nein! Nie und nimmer war Clausböse. Er doch nicht, er war der liebste und aufmerksamste Ehemann und Vater, den sie kannte. Er würde sein Leben fürsie beide geben, ohne zu zögern. Aber … sein Ausraster letzteNacht hatte sie nicht nur verunsichert. Er hatte sie aufgewühlt, wütend gemacht und letztendlich maßlos verängstig. Sie war wie vor den Kopf gestoßen.

Kinderwunsch

Wenn Jan ehrlich war, schlummerte der sehnliche Wunsch nach einem Sohn immer noch in ihm.

Selbst eine Tochter wäre ihm recht. Das Geschlecht war ihm wirklich egal, Hauptsache eigener Nachwuchs. Aber ihre mittlerweile acht Jahre dauernde Ehe war bislang leider kinderlos geblieben. Dabei hatten sie alles versucht, jedoch die Jahre zogen ins Land und ihre anfängliche Zuversicht flaute soweit ab, dass sie nicht mehr jedem Kinderwagen, jedem Kleinkind oder gar einer werdenden Mutter einen traurigen Blick hinterherwarfen. Es sollte halt nicht sein und sie arrangierten sich wohl oder übel mit ihrem Schicksal. Umso erstaunter über sich selbst waren sie, als sie eines Tages »Eltern«, von Purzel wurden. Weder Vera noch er konnten sagen, wem der Gedanke an einen Hund zuerst gekommen war. Fest steht jedoch, einmal geboren, ließ sie damals die Vorstellung von einem süßen kleinen Welpen beide nicht mehr los.

»Was hältst du von einem Pudel?«

Vera saß am Esszimmertisch und googelte in ihrem Laptop, während Jan im Wohnzimmer auf dem Sofa lümmelte. Heute Mittag hatte endlich die neuste Ausgabe seiner Motorradillustrierten im Briefkasten gelegen. Das Abo lief seit vielen Jahren, trotzdem stürzte er sich immer noch mit Euphorie darauf. Auch heute schaute er nur kurz zu ihr auf.

»`n Pudel? Wohlmöglich mit lila gefärbten Locken, nee danke. Wie wäre es denn mit einem kleinen Münsterländer?«, fragte er im Gegenzug. Veras Miene sprach Bände. »Okay, dann eben keinen Pudel.«

»Was ist mit einem Cockerspaniel?«

»Zu lange Ohren, die sind ewig entzündet, sagt Frau Google.«

»Und ein Schäferhund?«

»Zu groß.«

»Ein Terrier?«

»Haart wie verrückt und ist viel zu hibbelig.«

»Schnauzer?«

»Nee, keinen Schnauzer. Ach, das wird doch nie was«, maulte Vera und schloss enttäuscht den Rechner.

»Gib es zu, du willst überhaupt keinen Hund«, knurrte Jan und schlurfte verärgert in die Küche.

»So ein Quatsch. Dann hätte ich mir mit dieser blöden Recherche nicht so viel Arbeit gemacht.«

»Und was ist dabei rausgekommen …?« Unheilvoll hing die Frage in der Luft. Sie mieden tunlichst jeglichen Blickkontakt, brummelten, tief beleidigt über das blöde Verhalten des anderen leise vor sich hin. In diese Stille drang kurz darauf das durchdringende Mahlen der Kaffeemühle.

»Machst du mir bitte auch einen Cappuccino, Schatz?« Trotz ihrer freundlichen Frage fiel seine Antwort recht bissig aus.

»Wenn´s sein muss«, fauchte er.

»Komm schon, ich kann doch nichts dafür, wenn unsere Geschmäcker so weit auseinanderliegen?«, antwortete Vera beleidigt.

»Sorry, aber ich hätte nun mal gerne einen Hund.« Man, er wollte sich nicht streiten. Deshalb strahlte er seine Frau an. »Ich glaube, ich habe die Lösung.«

***

»Nun sag schon, was heckst du jetzt wieder aus?« Vera sah ihn skeptisch von der Seite an. Seit zehn Minuten fuhren sie, scheinbar planlos, durch die Stadt. »Ach du willst zu unserem Lieblingscafe an der Ruhraue?« Wieder keine Antwort. An der nächsten Kreuzung setzte Jan den Blinker und bog in die Neusserstraße ein. »Wieso fährst du denn hierher?«

»Lass dich doch einfach mal überraschen.«

»Nun sag schon«, versuchte sie es wieder.

»Warte es doch ab.« Grinsend fuhr Jan weiter.

»Du sturer Hund«, maulte Vera frustriert, doch er ließ sich nicht provozieren. »Ich möchte dich einfach überraschen, deshalb mach doch mal die Augen zu«, bat er jetzt auch noch. Auch wenn sie genervt eine Schnute zog, kam sie seiner Bitte zögernd nach.

***

»Na bitte, wir sind schon da, du kannst die Augen wieder aufmachen!« Jan grinste sie strahlend an und zeigte mit beiden Armen nach vorne. Vorsichtig blinzelte sie durch die Autoscheibe und sah… einen hohen Drahtzaun.

»Ja, und?«, fragte sie skeptisch. Ihr Mann schien den Verstand verloren zu haben. »War der Kaffee vorhin zu heiß oder was soll das jetzt?«

»Ach, Vera, du kannst einem aber auch jede Freude verderben. Schau doch mal richtig.«

Und sie schaute. Und bekam große Augen. »Das Tierheim!«

»Ja, genau. Vorhin kam mir die Idee, mal hier vorbeizuschauen. Vielleicht finden wir hier einen passenden Hund. Was meinst du?«

»Na ja«, begann sie vorsichtig. Sie wollte ihm keine allzu großen Hoffnungen machen. Sie kannte ihren Mann und seine Enttäuschung lange genug, wenn etwas nicht wie erwartet eintrat. Wieso sollte ausgerechnet hier der Hund schlechthin auf sie warten.

Langsam schlenderten sie an den Boxen entlang, von aufgeregtem Bellen begleitet. Diese verlorenen Seelen, diese hoffnungslosen misstrauischen Blicke würden sie ihr Leben lang nicht mehr vergessen. Ihnen brach das Herz.

»Am liebsten würde ich alle mitnehmen«, raunte Jan tief berührt.

»Ich bin echt überrascht, dass so viele Hunde im Tierheim leben«, gab Vera mit leiser Stimme zu.

Wie angewurzelt starrte sie in die letzte Box. »Ach, schau dir den an.«

Ganz hinten in der Ecke, auf einer alten grauen Filzdecke lag ein zusammengerolltes drahtiges Fellknäul. Große dunkelbraune Augen beobachteten jede ihrer Bewegungen. Ab und an hob sich das Fell bei einem der wenigen Atemzüge, sonst gab es keinerlei Reaktion des Tieres.

»Ja, hallo, wer bist du denn?« Jan hockte sich ganz nah an die Gitterstäbe. Gebannt schaute er den Hund an, aufmerksam schaute der zurück. Veras Herz lief über. Sie hatte sich schockverliebt. Ein Blick zu Jan und sie sah dieselbe Liebe in seinen Augen, als er nickte. Sie waren sich ohne Worte einig, obwohl sie nichts über dieses Tier wussten. Aber dieser Hund sollte es sein.

Der Papierkram war schnell erledigt. Leine, Futter, Körbchen, alles Notwendige war schnell gekauft und der niedliche Rauhaardackel zog bei ihnen ein. Das restliche Wochenende brauchten sie, um sich letztendlich für den Namen Purzel zu entschieden. Seitdem lebte er bei ihnen. Sie freuten sich wie verrückt über den Familienzuwachs und machten sich Gedanken, wie sie ihn abrichten wollten.

Das Purzel jetzt der Chef war, würde er seinen neuen Menschen schon noch früh genug beibringen.

Telefonat

»Ja, Schmirgel hier«, meldete sich Konrad mit sonorer Stimme am Telefon.

»Oh, hallo. Lange nichts voreinander gehört. Wie geht es Dir?«, sprudelte es ihm aus dem Telefonhörer entgegen.

»Gut, aber wer bist du denn überhaupt?«

»Ach so. Klar. Sorry, ich bin´s, Vera.«

»Hallo Vera! Hey, dich hätte ich jetzt nicht einfach so erkannt. Und ja, wir haben uns schon ewig nicht mehr gesehen. Aber das wird sich ja bald ändern.«

»Ändern? Wieso? Helf` mir mal bitte auf die Sprünge, ich steh´ gerade etwas auf dem Schlauch.«

»Jetzt sag´ mir nicht, du hast es vergessen?«

»Äh…?«

»Ich… habe… vielleicht… in… einer… guten… Woche… Geburtstag!?!« Demonstrativ machte er nach jedem Wort eine deutliche Pause.

»Ach stimmt ja! Ist das schon wieder soweit? Man, wie die Zeit rennt. Tut mir leid, aber du kennst mich ja, mit Daten hatte ich es noch nie so dolle.«

»Weiß ich doch. Aber schließlich werde ich vierzig, das ist doch etwas Besonderes. Das hättest du dir wenigsten merken können. Da werden wir ordentlich abfeiern. Die Einladungen gehen endlich Morgen mit der Post raus. Wird ja langsam Zeit, aber wir hatten in letzter Zeit wirklich etwas viel um die Ohren.«

»Kenn ich. Ich nehme mir so viel vor und Schwupps ist die Woche rum. Aber sag`, wo wirst du feiern?«

»Zuhause natürlich. Ich habe keinen Bock auf verräucherte Kneipen oder sterile Gemeindesäle. Hier ist es viel gemütlicher.«

»Bei euch daheim? Wird das nicht ein wenig eng? Ich meine, du wirst schließlich nur einmal vierzig, da musst du doch sicher eine ganze Menge Leute einladen? Verpflichtungen und so?«

»Bah, nie im Leben, so ein Rummel um meine Person ist mir echt zuwider. Außerdem weißt du, dass mir der engste Freundeskreis lieber ist, als unsere buckelige Verwandtschaft. Mit der gehen wir später einmal schick essen und meine Kollegen sind zufrieden, wenn ich Frikadellen und Schnittchen im Büro ausgebe. Das muss reichen«, erklärte Konrad rigoros.

»Okay, es ist dein Jubeltag, du kannst machen, was du für richtig hältst«, antwortete Vera skeptisch.

»Das tue ich sowieso immer«, lautete prompt seine Antwort.

»Ja, stimmt leider.«

»Hey, was soll das denn heißen?«, fragte er, sein Brummen klang leicht aggressiv.

»Ach, nur so, reg dich nicht auf. Jedenfalls wird das eine tolle Feier, nur unter uns. Ich sprech` mal mit den anderen, vielleicht können wir Fahrgemeinschaften bilden. Schließlich wohnt Ihr nicht gerade in unserer Nähe. Für die Rückfahrt wird uns schon noch etwas Gescheites einfallen«, überlegte Vera laut.

»Damit warte noch. Ich habe mir etwas Besonderes einfallen lassen, aber das werdet ihr alles der Einladung entnehmen können.«

»Jetzt machst du mich aber neugierig. Was m…?«

»Stopp, du brauchst es gar nicht erst zu versuchen, ich werde dir heute nichts verraten.«

»Ach komm schon, nur ein klitzekleiner Tipp?« Vera bettelte mit säuselnder Stimme.

»Nein.«

»Dann eben nicht!«, schnauzte sie beleidigt zurück. Das leise hintergeworfene »Bastard«, kam nicht besonders gut an.

»Vera, hör auf damit«, fauchte Konrad in den Hörer. »Du weißt, dass das bei mir nicht fruchtet!«

Mit einem diabolischen Grinsen stellte er sich ihren verbissenen Schmollmund vor, den sie sicher gerade zog. Er wusste genau, dass sie jetzt sauer war, schließlich kannte er sie nur zu genau. Ihre Charaktere ähnelten sich in vielen Punkten und eine der hervorstechendsten Wesenszüge war ihre ausgeprägte Sturheit. Bei beiden. Was sie wollten, wollten sie. Und bekamen es auch. Immer. Nur bei ihm zog Vera stets den Kürzeren.

Shit happen, dachte er selbstgefällig.

»Na ja, jedenfalls freue ich mich auf die Feier und jetzt gib mir bitte deine Frau. Vor lauter Quatschen mit dir vergesse ich fast noch, warum ich überhaupt anrufe.« Nervös ratterte sie die Sätze herunter, nur um von ihrer Niederlage abzulenken. Dieser Mistkerl grinste sicher über alle vier Backen, weil sie bei ihm, wie so oft, auf Granit gebissen hatte. Dabei war sie eigentlich richtig gut im Ausfragen, aber in Konrad, dass musste sie neidlos zugeben, hatte sie ihren Meister gefunden. Gegen ihn kam sie einfach nicht an. Was ihr irgendwie auch imponierte.

»Warte, ich schau mal, wo sie sich rumtreibt.« Kurz knisterte es im Telefon, dann hörte sie ein dumpfes »Einen Moment bitte, ich nehme dich kurz mit in den Garten. Hier muss sie irgendwo sein.«

»Karoline? Hallo, wo steckst du denn? Vera ist am Apparat. Sie möchte dich sprechen.«

Oh, wie sie das hasste, wenn Konrad sie Karoline nannte. Seit ihrer Heirat hatten ihre Freunde sie Kaschmir, ein Mix aus den ersten Silben ihres Namens, also Ka von Karoline und schmir von Schmirgel genannt. Aber Konrad ignorierte ihren Wunsch, obwohl er wusste, dass es sie maßlos ärgerte.

Vera lauschte, als das Knistern lauter wurde.

Dann rauschte es kurz, schließlich meldete sich ihre Freundin japsend.

»Hallo, Vera?« Sie hechelte wie ein Hund nach einer wilden Verfolgungsjagd. »Entschuldige, aber du hast mich zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt erwischt.«

»Meine Güte, aus welcher Ecke habe ich dich denn jetzt getrieben?«, fragte Vera lachend.

»Na ja. Ich krabbelte gerade auf allen vieren in der hintersten Gartenecke herum. Du weißt ja, wie sehr ich Unkraut hasse. Der blöde Löwenzahn hat sich bis unter den großen Rhododendronbusch ausgesät. Als Konrad mich rief, hob ich neugierig den Kopf und stieß volle Kanne unter einen der tieferen Äste. Man, hat das gescheppert, ich sah Unmengen an funkelnden Sternen. Und das am helligten Tag. Und da eine Beule allein ja nicht reicht, blieb ich in der Eile auch noch mit meinen Haaren in den dichten Zweigen hängen.«

»Ach Mensch, sorry. Vielleicht hätte ich doch besser erst gegen Abend anrufen sollen«, meinte ihre Freundin zerknirscht.

»Quatsch, ich bin doch selbst schuld. Außerdem könnte ich jetzt eine Pause mit einer Tasse heißen Kaffee sehr gut gebrauchen. Ich wasche mir nur kurz die Hände, dann können wir quatschen, ja?«

Die Sonne stand schon tief am Himmel, als die beiden die heiß gelaufenen Hörer aus den Händen legten. Ihre hochroten Ohren sprachen Bände. Wie so oft hatten sie beim Telefonieren die Zeit vergessen. Es gab so viel zu erzählen. Sie sahen sich in letzter Zeit eindeutig viel zu selten und beendeten das lange Gespräch ganz euphorisch: »Wir trommeln spätestens nächsten Monat die anderen zum Mädeltreffen zusammen und setzen uns endlich mal wieder auf einen Kaffee zusammen. Mal sehen, wie sich der anschließende Abend gestalten lässt. Es wird höchste Zeit, wieder regelmäßig etwas zu unternehmen.«

Sie versprachen, ihre Treffen nicht wieder schludern zu lassen und grinsten selig zum Abschied.

»Also dann bis nächsten Samstag.«

»Ja, wir werden es ordentlich krachen lassen auf Konrads Geburtstagsfete. Tschüss meine Liebe.« Kaschmir rieb sich ihre kalten Arme, sie fröstelte, da die Terrasse inzwischen im Schatten lag. Sie schätzte die Zeit so auf halb acht. Na logisch, dass mir kalt geworden ist, dachte sie kopfschüttelnd und betrachtete missmutig ihre Gartenhandschuhe, die vor ihr auf dem Tisch lagen. Jetzt hatte sie absolut keine Lust mehr auf irgendetwas hier draußen. Von Konrad war nichts zu sehen. Er hatte sich klammheilig verdünnisiert. Na toll. Ihre gute Laune rauschte in den Keller. Rasch schleppte sie die Sitzpolster ins Gartenhäuschen und räumte wütend ihre Gartengeräte weg. Den Müllsack flog mit Karacho in die Abfalltonne.

»Na warte, du bekommst gleich was zu hören. Ich habe sowieso noch ein Hühnchen mit dir zu rupfen«, grummelte sie wütend vor sich hin und blieb plötzlich wie angewurzelt stehen.

»Das darf doch wohl nicht wahr sein.« Seine guten Schuhe standen ja immer noch neben der Eingangstür. Kaschmir hatte sie bereits morgens früh geputzt und zum Lüften rausgestellte. Doch er hatte sie einfach stehen lassen. Nicht einmal seine Zeitung konnte der feine Herr wegräumen. Kaschmir schnaufte wütend durch die Nase. Musste sie ihm denn heute wirklich alles hinterherschleppen?

»Ich glaube, es hackt«, fauchte sie und stürmte wütend ins Haus. »Konrad!«

Ehestreit

Die Terrassentür stand weit offen und eisige Luft flutete ins Wohnzimmer. Corinna ignorierte die Gänsehaut, die ihr unangenehm über den Rücken lief. Tief in Gedanken versunken nahm sie nur die Kälte in ihrem Inneren wahr. Eine Kälte, die seit gestern Abend zwischen Claus und ihr herrschte. In sich gekehrt strich sie immer wieder vorsichtig über ihre mit blauen Flecken übersäten Arme. Dass er nicht einmal seiner Tochter zuliebe einlenken würde, damit hatte sie ja insgeheim gerechnet. Dass er aber so ausrasten würde, hatte sie völlig erschüttert. Sie stand jetzt noch unter Schock. Wie ein Despot hatte er sich aufgeführt, war aus heiterem Himmel mit blinder Gewalt explodiert, hatte wie von Sinnen gewütet und sie in seiner Raserei nicht nur mit beleidigenden Worten tief verletzt. Als habe er all den Frust und Ärger der letzten Wochen aus sich herausgelassen und in sie hineingeprügelt. Ja, im Nachhinein erinnerte sie sich an Tage der letzten Wochen, an denen Claus ungewöhnlich nervös wirkte. Fahrig und hibbelig war er mehrmals grundlos aus der Haut gefahren und hatte sie äußerst aggressiv angefaucht. Was war nur in ihn gefahren? Da stimmte doch etwas nicht. Ganz und gar nicht. Sie konnte sich keinen Reim darauf machen und zitterte vor Angst, als sie an heute Abend dachte. Wie würde er sich verhalten, wenn er von der Arbeit kam. Würde er wieder austicken? Oder sich reumütig entschuldigen, wie es eigentlich seine Art war. Er war kein brutaler Schläger, eher der zärtliche Teddybär, an dessen Schulter sie sich vertrauensvoll und behütet anlehnen konnte. Vom ersten Tag ihrer Begegnung ihr Held, ihr ruhiger Fels in der Brandung, ihre Erdung, der sie mit all seiner Liebe stets auf Händen trug. Wie oft ließ er sich die tollsten Dinge einfallen, nur um sie zu überraschen und sie einfach nur so zum Lachen zu bringen. Wie an diesem einen speziellen Tag vor genau zehn Jahren. Dabei war dieser besagte Tag schon früh morgens ganz bescheuert angefangen:

Hätte Claus sie nicht geweckt, sie hätte glatt verschlafen. Vor Müdigkeit stand sie komplett neben sich und quälte sich mühsam aus dem Bett. Claus kannte seine Schlafmütze und stand jeden Morgen mit ihr auf, zumindest bei ihren Frühschichten, obwohl er Gleitzeit hatte und nicht vor halb neun Uhr bei der Arbeit erscheinen musste. Bevor sie noch einen Unfall baute, sorgte er für extrastarken Kaffee. Doch weder der Kaffee noch die eiskalte Dusche nützten heute.

»Oh je.« Sie musste sich sputen, der Dienst begann schon in wenigen Minuten. Hastig trank sie ihre Tasse aus, schnappte sich ihre Tasche und rannte wie eine Wilde zum Auto. Mit quietschenden Reifen brauste sie los. Claus saß am Frühstückstisch und schaute ganz verdattert. »Hallo? Wo ist mein Abschiedskuss?« Nicht einmal Tschüss hatte sie gesagt.

Sie sahen sich eh so selten und besprachen nur noch das Nötigste. Von all den anderen Dingen, die Eheleute eigentlich miteinander machten, ganz zu schweigen. Er konnte sich kaum noch erinnern, wie Corinna im Evakostüm aussah. Langsam hatte er die Faxen dicke. Frustriert schlug er die Zeitung zu und begann den Tisch abzuräumen. So konnte es nicht weitergehen. Es bestand dringender Klärungsbedarf.

Heute Abend würde er sich seine Frau vorknöpfen.

***

»Grüner wird es nicht«, brüllte Corinna und hupte wie eine Besessene. Nur langsam setzt sich der Wagen vor ihr in Gang.

»Na endlich«, du lahmes Fischgesicht«, schimpfte sie und knallte den Hebel mit Karacho in den ersten Gang. Das Getriebe schrie entsetzt auf, die Kupplung protestierte auf ihre Weise. »Sorry«, murmelte sie zerknirscht.

Meine Güte, jetzt spreche ich auch noch mit meinem Auto. Das sollte ich lieber mit meinem Mann machen, dachte sie bestürzt. Sie konnte Claus wirklich verstehen, ihre Urlaubsvertretungen nahmen allmählich überhand und die erneute Grippewelle zwang sie zusätzlich, immer wieder einzuspringen. Sie liebte ihren Job als OP-Schwester im städtischen Krankenhaus und ging mit der vollen Kraft ihres Herzens darin auf. Doch die zahlreichen Überstunden, die knappe Freizeit und der daraus resultierende Schlafmangel zerrten zunehmend an Corinnas Kräften. Kein Wunder, dass sie bei der kleinsten Kleinigkeit völlig überreagierte und ihren Frust anClaus ausließ. Nachher rede ich mit Claus darüber, nahm sie sich fest vor.

Als sie gegen Abend total geschlaucht zu Hause eintraf, war Clauslängst von der Arbeit zurück und seine Laune entsprechend im Keller.

»Sorry, ich konnte nicht eher.«

Gott, wie stumm er sie anschaute. Ohne ein Wort drehte er sich um und ließ sie im Flur stehen. Kein Hallo, kein schön, dass du da bist, nichts. Nur dieser vorwurfsvolle Blick. Das tat so weh, warum hatte er keinerlei Verständnis für sie. Traurig zog sich Corinna um, ging in die Küche und machte sich ihr Abendbrot. Natürlich hatte Claus schon gegessen und natürlich hatte er nicht auf sie gewartet. Das war seine Art von Protest. Sie wünschte sich von ganzen Herzen, die verfahrene Situation möge sich wieder beruhigen, bevor es endgültig zwischen ihnen eskalieren würde. Fieberhaft überlegte sie. Erst der Blick durchs Wohnzimmerfenster auf die verwelken Blumen brachte ihr die rettende Idee. Ja, so konnte sie ihren brummigen Sturkopf von seinem Zorn ablenken.

»Vielleicht begleitest du mich ins Gartencenter?«, hatte sie ihn damals versöhnlich gefragt. »Der Balkon sieht ohne Blumen so nackt aus. Die Herbstsaison ist schon fast vorbei und die frische Luft tut unseren erhitzten Gemütern sicherlich ganz gut«, schlug Corinna zuversichtlich vor.

»Hmh, können wir machen«, hatte er damals brummend geantwortet und sich mit verbissener Miene den Autoschlüssel geschnappt. Lächelnd dachte sie an den verrückten Kaufrausch, der daraufhin folgte.

Geburtstagsvorbereitung

Sonntagmorgen, so gegen elf Uhr, Kaschmir wirbelte gerade mit dem Staubsauger durchs Wohnzimmer, als Konrad fröhlich pfeifend von oben die Treppe herunterschlenderte. Wütend ob dieser Unverfrorenheit fauchte sie entrüstet: »Ich bin sowas von sauer, das kann ich dir aber sagen, du, du… ach egal.« Zornig winkte sie ab, als wolle sie ihn wie eine lästige Fliege vertreiben.

»Was ist dir denn über die Leber gelaufen?«, fragte er lächelnd, umschlag sie mit seinen Armen und wirbelte sie übermütig umher. Der Morgen war für ihn bisher so optimal gelaufen, da fehlte ihm der sensible Draht für Kaschmirs Gereiztheit vollkommen.

»Lass mich runter, du Tölpel. Falls du es nicht bemerkt haben solltest, ich… bin… total… sauer!« Verdutzt stellte er sie wieder auf die Beine.

»Sauer? Warum das denn?«, fragte er überrascht.

»Sauer steht überhaupt nicht zur Debatte. Du solltest besser fragen, auf wen?«, keifte sie bissig zurück. »Aha!?! Also, auf wen?« Seine dichten Brauen rutschten fragend in die Höhe.

»Wie kann man nur so doof sein, auf dich natürlich«, fauchte sie ihn böse an.

»Natürlich.« Obwohl er keine Ahnung hatte, warum sie sich so aufregte, nickte er zustimmend mit dem Kopf. Er verzog keine Miene und brachte sie damit nur noch mehr auf die Palme. Kaschmir fuhr schäumend mit ihrer Tirade fort, ohne Luft zu holen. »Nicht genug, dass du deinen großen Tag lieber mit Vera besprichst, anstatt mit mir. Das alleine empfinde ich schon als bodenlose Frechheit. Aber dass du dir nicht einmal den kleinsten Gedanken machst, wie die Feier ablaufen soll, grenzt an eine ausgewachsene Beleidigung. So wie ich dich kenne, überlässt du mir mal wieder die Planung ganz alleine.« Kaschmir holte kurz Luft und fuhr japsend mit ihrer Tirade fort. »Kommenden Samstag ist doch schon der dreizehnte September. Warum sagst du denn nichts. Es ist höchste Zeit für die Planung. Wann wolltest du denn damit anfangen?«, fragte sie kiebig und schaute ihn funkelnd an. Scheinbar unbeeindruckt setzte sich Konrad lässig an den Küchentisch, ergriff die Zeitung unter Kaschmirs Arm und begann demonstrativ, darin zu lesen. Oh, wie sie es hasste, wenn er sich so asozial benahm und sie provozierend ignorierte. »Mensch Konrad, schau mich an, wenn ich mit dir spreche.«

»Du sprichst nicht, du keifst. Wie ein Waschweib«, kam seine bissige Antwort postwendend.

»Das schlägt ja wohl dem Fass den Boden aus. Du kannst deine Feier gleich allein wuppen, du Idiot.«

»Sorry, ich hatte noch etwas für die Arbeit zu erledigen. Und das war wichtig.«

»Tatsächlich, das war wichtig?«, fragte sie süffisant und zog eine Schnute. Als Konrad nicht antwortete, sog sie pfeifend den Atem durch die Nase.

»Ach und ich bin nicht wichtig, oder was?«

Das war ja wohl der Gipfel. Irgendeine Ausrede hatte der feine Herr immer parat. Vorgestern war er zu kaputt zum Helfen, gestern spielte er sich, wie so oft in letzter Zeit wie ein ekelhafter Macho auf und heute musste er was für die Arbeit tun.

Das ich nicht lache. Gedankenverloren ruhte ihr Blick auf ihrem Mann. In letzter Zeit war ein harmonisches Miteinander verdammt schwierig. Scheinbar völlig unbeeindruckt brachte er sie mit seinem deutlich zur Schau gestellten Desinteresse mit Leichtigkeit auf die Palme. Erste Tränen sammelten sich in ihren Augen.

»Konrad!«, fauchte sie enttäuscht und schlug blindwütig mit der Hand auf die Zeitung. Konrad zuckte erschrocken zusammen. »Ja spinnst du denn?«, brüllte er gereizt zurück.

»Nein, ganz und gar nicht. Aber ich würde es echt begrüßen, wenn du bezüglich der Planung deinesGeburtstages nur eine winzige Sekunde deiner wertvollen Zeit mir…«, zur Bestätigung schlug sie sich mehrmals mit der geballten Faust vor die Brust, deiner ach so unwichtigenKüchensklavin widmen könntest.«

Fuchsteufelswild knüllte Konrad die Zeitung zusammen, stand langsam auf und schnauzte aufgebracht zurück: »Mach doch, was du willst. Ich bin es leid, mich ewig rechtfertigen zu müssen. Bis du dich wieder normal verhalten kannst, bin ich oben im Büro. Du kannst mich mal kreuzweise.«

Kaschmir sah ihm perplex hinterher. »Man löst doch keine Probleme, indem man den Schwanz einzieht, du Arschloch.«

So schnell konnte Kaschmir gar nicht schauen, wie Konrad wieder vor ihr stand. Mit zu Fäusten geballten Händen funkelte er sie von oben herab bebend an: »Also bitte, jetzt widme ich mich meiner Sklavin.« Bedeutungsschwanger zog er seine dichten Augenbrauen zusammen und versenkte sie fast mit seinem giftigen Blick. Überdeutlich jedes Wort betonend,zählte erbedrohlich leise mit erhobenem Zeigefinger auf:

»Erstens: Ich werde hier zuhause feiern, mit unserer gesamten Clique und einigen wichtigen Kollegen…«

– Die Clique, das waren, Claus Sterzenbach, Ullrich von Stetten, Jan Vöckelmeyer, RoccoZöllner und Konrad Schmirgel, die sich seit dem Kindergarten kannten. Und ihre Frauen, die allesamt Kaschmirs Freundinnen waren.

»… Zweitens: Unsere Freunde werden hier übernachten, damit keiner Gefahr läuft, seinen Führerschein wegen Trunkenheit am Steuer zu verlieren.

Drittens: Reicht das? Sklavin?«

»Ich glaub, ich spinne…«, setzte Kaschmir an, wurde aber gleich von weiteren barschen Worten gestoppt. »Ach, leck mich doch am Arsch. Du kannst mich mal gerne haben.« Ungestüm drehte er sich um, nahm im Vorbeieilen eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank und stürmte auf die Treppe nach oben zu.

»Stopp. Wage es ja nicht, so zu verschwinden.« Kaschmir war außer sich. Das schlug doch dem Fass den Boden aus! Der hat ja wohl ‘n Knall. Wütend schlug sie erneut mit der geballten Faust auf den Tisch. Peng. Die Kaffeetassen sprangen allesamt in die Luft und knallten scheppernd zurück auf die Tischplatte, dass es nur so krachte. Mit blitzenden Augen und versteinerter Miene ging Kaschmir energisch auf Konrad zu, schob sich nur wenige Zentimeter vor sein Gesicht.

»Wenn… acht… deiner…Gäste… hier… übernachten… sollen, gibt… es… noch… eine… ganze… Menge… zu… tun.« Jedes Wort überdeutlich betonend, hielt sie nach jedem ausgespuckten Wort bedeutungsschwanger inne. »Unser Haus ist zwar recht groß, aber sicherlich kein Hotel. Wie hast du dir das denn vorgestellt, bettentechnisch meine ich?«, keifte sie aufgebracht. Postwendend verengten sich seine strafenden Augen und starrten sie durchdringend an. Seine Haltung wurde raubtierartig. »Nicht in diesem Ton, Sklave«, konterte Konrad gereizt. Flugs stellten sich ihre Nackenhaare auf und kalte Schauer rieselten ihren schmalen Rücken herunter, da ihr Instinkt Gefahr witterte.

Zornig schnauften sie durch die Nase, die Flügel weit gebläht, wie wütende Stiere. Nicht bereit, als erster den Blickkontakt zu unterbrechen, starrten sie sich verbissen an. Ganz langsam bildete sich ein überhebliches Lächeln auf seinem Gesicht, als Konrad mit seinen eisblauen Augen auf sie herabblinzelte. »Du elender unverschämter Macho.« Kaschmir war zutiefst beleidigt und sann auf Rache. Er musste endlich kapieren, dass das Maß voll war. So was von voll. Krampfhaft hielt sie ihre wutentbrannte Miene bei. Doch Konrad wusste genau, wie er seine Wildkatze zähmen konnte. Die Gelegenheit war zu verlockend. Kurzerhand schnappte er nach ihr und strich verspielt über ihren linken Oberschenkel.

»Verdammt, hör damit auf, das ist nicht fair«, flehte Kaschmir halbherzig.

Mit einem kurzen: »Du kleines Biest«, gab er ihr einen festen Hieb auf ihre Kehrseite.

»Aua, bist du denn verrückt.« Schockiert zuckte sie zurück und rieb sich den brennenden Po.

»Was schlägst du auch wie eine Verrückte auf den Tisch. Mir ist das Herz bis in die Hose gerutscht?« »Ach, du Ärmster. Hast du jetzt Herz-Rhythmus-Störungen? Ja, was machen wir denn da?«, fragte sie süffisant und strich ihm tätschelnd über die Brust. Sie würde ihn bis zur Weißglut reizen und dann stehen lassen. »Vielleicht sollte ich einmal nachsehen, ob noch alles in Ordnung ist mit deinem armen Herzchen.« Bedächtig fuhr sie mit dem Zeigefinger durch seine Brusthaare, kraulte behutsam den kleinen Wollteppich. Mit verschlagenem Lächeln schob sie langsam eine Hand in sein Hemd. So ein Mist. Seine berauschende Hitze fuhr ihr elektrisierend in die Hand und ihr schöner Racheplan war dahin. Sie hatte vergessen, dass sie seinem Charme nie lange hatte widerstehen konnte. Auch Konrad kämpfte mit seinen Gefühlen. Verbissen riss er sich zusammen, wollte um nichts eine Reaktion zeigen. Als ihr Handballen wie zufällig seine linke Brustwarze streifte, kroch ihm ein wilder Schauer über die Haut und er konnte das leichte Zittern nicht mehr unterbinden.

»Ooohhh maaannn«, knurrte er, »du bist und bleibst ein durchtriebenes Biest.« Genüsslich verdrehte er die Augen. Ehe sie sich versah, lagen seine Lippen auf ihrem Mund und sie spürte seine forschende Zunge. In diesen Kuss legte er all seine Überzeugungskraft. Es sollte doch mit dem Teufel zugehen, wenn er sein aufmüpfiges Weibchen nicht wieder zur Räson bringen konnte. Für eine lange Weile vergaß Kaschmir alles um sich herum, bis sie atemlos und völlig zerzaust aus ihrer Traumwelt auftauchte.

»Du lenkst mal wieder von der eigentlichen Problematik ab, du Schuft«, beklagte sich Kaschmir japsend. Doch ihre kratzige Stimme hörte sich längst nicht mehr ganz so vorwurfsvoll an. Mit einem verkniffenen Lächeln auf den Lippen griff sie nach Block und Bleistift.

»Kommen wir mal wieder aufs Wesentliche. Wie hast du dir das nun mit deiner Feier gedacht? Du kannst von Glück sagen, dass ich da mein freies Wochenende habe, sonst hättest Du ein echtes Problem. Zurzeit würde ich nicht mal eben Urlaub gekommen. Und die Vorbereitungen machen sich nun mal nicht eben in fünf Minuten.«

»Ja, weiß ich doch.«

»Ja, dann wird es Zeit, dass Du mal damit anfängst. Du kannst dich ja wenigstens um den Einkauf kümmern? Notier dir gleich mal, was wir alles brauchen.«

»Klar, mach ich. Als ich denke, acht Kästen Bier müssten genügen. Schnaps und so haben wir noch genug im Haus.«

»Ist ja typisch. Das Wichtigste hast Du wieder mal vergessen. Wir Frauen würden diesmal liebend gerne bis zum Schluss der Feier etwas Anständiges zum Trinken haben.«

Beleidig setzte Konrad gerade zu einer scharfen Antwort an, da hielt sie ihn mit ausgestecktem Arm auf. »Stopp, sag jetzt nichts Verkehrtes, sonst fliegen hier gleich doch noch die Fetzen. Also schreib den Sekt auf.«

»Pfff, was du wieder hast…«

»Ja, was wohl? Bier ist für euch Männer schließlich immer reichlich vorhanden, oder etwa nicht?«, maulte Kaschmir.

»Ich hab’s ja jetzt verstanden, lass es endlich gut sein, Karoline.«

Na toll, jetzt war Konrad echt sauer. Dazu hatte er ja wohl absolut keinen Grund. Wer benahm sich denn in den letzten Wochen so nervig? So unausgeglichen, so…, so… getrieben. Irgendetwas schien ihn zu bedrücken, denn diese Unruhe war nicht seine Art. Schon gar nicht diese extreme Aggressivität. Ihre Beschwerde über den fehlenden Sekt hätte er normalerweise einfach akzeptiert und abgewunken. Aber heute? Er benahm sich so merkwürdig und ungerecht und bissig.

»Ich erwähne es lieber zweimal, bevor du es wieder mal vergisst«, maulte sie frustriert.

»Wenn ihr auch sauft, wie die Löcher«, brummte er leise in seinen Bart.

»Was hast du gesagt, ich habe dich nicht verstanden?«, hakte sie fauchend nach. Konrad verkniff sich wohlweislich eine Antwort.

Oh, Mann. Er hatte es geschafft, sie auf die Palme zu bringen. Als hätte er einen tierischen Gefallen daran. Und überhaupt, wenn sie es genau bedachte, der Klapps gerade eben war nicht nur ein einfacher Klapps. Der Hieb hatte ganz schön wehgetan und ihr Hintern brannte immer noch. Seit wann hatte er an so etwas Spaß? Grübelnd zog sie sich ins Esszimmer zurück und ließ Konrad kurzerhand in der Küche stehen.

»Du kannst deine Feier auch gerne alleine ausrichten, ich bin nicht scharf auf den ganzen Stress«, musste sie noch kurz loswerden, sonst würde sie platzen vor Wut. Gereizt blätterte sie in den vielen bunten Rezeptseiten. Sie kochte ja gerne für so viele Personen, aber der Idiot da in der Küche hatte ihr die Vorfreude gründlich vermiest.

»Hast du das schon mit den anderen geklärt?«

Kaschmir fuhr zusammen. Konrad stand mit scheinheiligem Gesichtsausdruck an der Türe gelehnt und schaute sie ausdruckslos an.

»Ja bist du denn von allen guten Geistern verlassen?« Ihr Herz raste wie wild. »Mich so zu erschrecken!« Schon wieder hatte sie ihn nicht kommen hören.

»Och, hast du jetzt Herz-Rhythmus-Störungen? fragte er böse grinsend.«

»Man, Konrad, warum machst du das immer wieder? Scheint dich ja ungemein zu amüsieren?« Sie hätte ihn erwürgen können.

»Stell dich doch nicht immer so an. Meine Güte, was hab` ich denn schon schreckliches verbrochen? So langsam entwickelst du dich zu einer nervenden Furie. Komm mal wieder runter.«

Beleidigt zog Konrad wieder ab. Augenblicklich schlug Ihr Gewissen an. War sie wirklich so schrecklich? Hatte sie überreagiert? Sie war sich nicht sicher, ob sie Gespenster sah oder Konrads Verhalten doch richtig deutete. Es schien ihm einen Mordsspaß zu machen, sie immer wieder zu erschrecken, nur um sich anschließend aufs heftigste auszusöhnen. Dieses ständige Gut und Böse machte sie langsam, aber sicher kirre. Verwirrt schaute sie ihm nach. Was war nur los mit ihm; das hätte er früher nie gemacht. Doch seit einigen Wochen schwebte diese merkwürdige Stimmung wie eine giftige Wolke über ihnen.

Irgendwie hatte sich ihr Verhältnis zueinander verändert. Irgendwie hatte Konrad sich verändert.

Und das gefiel ihr ganz und gar nicht.

Am Boden

Er musste tot sein. Schließlich hörte er gerade die Engel singen. Er stutzte. Engel? Nein, das waren keine Engel. Angestrengt lauschte er den geträllerten Klängen. Sein Verstand schien wie in Watte gepackt und ließ nur zögerlich zu, dass er seine Umwelt wahrnahm. Benommen zwar, aber immerhin. Ah, jetzt erkannte er es. Das waren Vögel. Amseln, um genau zu sein. Denen hatte er schon immer gerne zugehört. Irritiert riss er die Augen auf. Was sollte das denn da vor ihm sein? Trotz heftigem Blinzeln konnte er nur ein wildes Durcheinander von Hell und Dunkel erkennen, alles vollkommen verschwommen und äußerst schemenhaft. Er musste all seine Kräfte sammeln, um langsam und schwerfällig seinen dröhnenden Kopf anheben zu können. Mehrere mühsame Versuche später gelang es ihm endlich, ein Auge soweit zu öffnen, um erkennen zu können, was das da direkt vor seinem Gesicht war. Ein leises Lächeln überzog sein angespanntes Gesicht, als ihm die Lösung einfiel. Natürlich, das ist ein Huhn. Er schaute skeptisch. Ein Huhn? Häh? »Was zum Teufel…?« Oh Gott, jetzt halluzinierte er auch noch und sein verwirrter Verstand gaukelte ihm bunte Visionen der wildesten Trugbilder vor. Wie in einem schlechten Traum. Ein Traum! Natürlich!

»Oh bitte, lass mich bitte aufwachen und über diesen ganzen Quatsch herzlich lachen«, murmelte er und blinzelte hoffnungsvoll die braune Wolke vor sich an. »Scheiße.« Dieser Alptraum war leider nur zu real. Da stand tatsächlich ein echtes Huhn vor ihm und pickte in aller Seelenruhe Körner vom Boden auf. Jetzt gerade, oh verdammtes Mistvieh, drehte es sich mit seiner schmutzigen Kehrseite direkt zu ihm hin. Er konnte nicht anders, als gebannt den Hintern dieses elenden Federviehs anzustarren. Bei dem lächerlichen Versuch, diesen blöden Mistkratzer mit Hilfe seiner Gedanken zu verscheuchen, warf seine Stirn vor Anstrengung tiefe Falten. Doch sosehr er sich auch bemühte, allein durch seine Willenskraft konnte er das blöde Viech nicht vertreiben. Ja, war das denn zu fassen? Diese dämliche Henne scharrte doch tatsächlich völlig unbeeindruckt weiter. Jetzt wirbelte sie auch noch Staub mit ihren Krallen auf, direkt in seine Augen. »Aaah.« Schreiend sackte er zurück auf den Boden, scheuchte das Tier auf, das aufgeregt mit den Flügeln schlagend im Zickzackkurs davonflüchtete. Entgeistert folgte sein Blick dem wildgewordenen Tier, bis es empört gackernd hinter einer Hecke verschwand. Fast schon lächelte er und stemmte sich hoch.

»Aaah!« Ein brennender Schmerz schoss ihm wie glühender Stahl durch den Körper, überrollte ihn in gigantischen Wellen und schlug mit messerscharfen Klauen bis in seine Eingeweide. Seine Finger verkrampften sich im Dreck, bis seine gepeinigten Muskeln unkontrolliert zuckten. Mit schmerzverzerrtem Gesicht japste er verzweifelt nach Luft, unaufhaltsam kroch bittere Galle seine raue Kehle hinauf. Mit letzter Kraft drehte er den Kopf zur Seite und erbrach sich. Ein bestialischer Gestank drang ihm direkt in die Nase und ließ ihn erneut würgen, bis sich sein gequälter Körper zu einer einzigen gepeinigten Masse verkrampfte. Ein dünner Schweißfilm überzog seine eiskalte Stirn mit der er mitten in seinem eigenen Erbrochenen lag. Er konnte sich nicht einmal davor ekeln, da bleierne Müdigkeit seinen Körper überflutete und er erschöpft die Augen schloss. Sein Brustkorb pumpte im wilden Rhythmus seiner gierigen Atmung. Sein Puls jagte unnatürlich in die Höhe, bis er in seinen Ohren dröhnte. Ihm wurde entsetzlich schwindelig. Was war nur mit ihm los? Völlig durcheinander wanderte sein Blick unruhig umher, bis er an einem blutigen Holzpflock hängenblieb. Mit einem markerschütternden Schrei brach das Entsetzen der Erkenntnis angstgeladen aus ihm heraus. Grelle Blitze explodierten in seinem schmerzenden Kopf und er stöhnte gequält auf. Alles tat ihm weh. Überall. Überall?

Jetzt erst wurden ihm die vielen Stellen in seinem Körper bewusst, in denen unsägliche Schmerzen tobten. Nicht nur in seiner Hand pochte es mit jedem Herzschlag. In Rücken und Schulter brannte es wie Feuer. Weg! Nur weg von hier! Das nackte Grauen im Nacken robbte er, zappelte, wand sich wie ein Wurm. Doch was war das? Seine Beine! Himmel, er konnte seine Beine nicht mehr spüren! Er zuckte zusammen. Wie ein Blitz schlug sie ein, die Panik. Ganz unerwartet und plötzlich. Sie pulsierte durch seine Adern und trieb ihm die Tränen in seine überreizten Augen. Er wollte nicht heulen, wie ein kleines Kind. Er heulte nie.

»Verfluchte Scheiße!« Er jaulte auf, brüllte, schrie sich die Seele aus dem Leib. Doch nichts und niemand reagierte. Selbst der Wind wehte weiter unbeeindruckt über diese irreale Szene, als wäre sie ganz normal. Erfasste mit einer kühlen Brise sein verschwitztes Haar, spielte eine Weile damit und blies ihm letztendlich eine dicke Strähne in die bleiche Stirn. Prompt reagierte sein geschundener Körper mit einer dicken Gänsehaut, obwohl die Sonne warm auf ihn herabschien.

»Na, mein Lieber, fühlst du dich wohl, da unten im Dreck?«

Was? Vor Überraschung riss er die tränenden Augen weit auf. »Hilfe, bitte helfen Sie mir.«

Keine Reaktion. »Hallo, bitte. Zu Hilfe«, bettelte er verzweifelt.

»Ja, genau da gehörst du hin, in den Dreck, du mieses Stück Scheiße!«

Diese Stimme, die kenn` ich doch… Wer war denn das da hinter ihm? So sehr er sich auch bemühte, er konnte sich nicht zur Stimme hindrehen. Plötzlich erstarrte er. Siedend heiß wurde ihm bewusst, was er da gerade gehört hatte. Scheiße. Sein Herz stolperte vor Grausen und setzte ein, zwei Schläge aus, spürte instinktiv die Gefahr, die von dieser Person ausging. Verzweifelt wandte er sich auf dem Boden.

»Waas soll den das?«, lallte er entkräftet. Er lallte? Oh, Gott! Wieso lallte er denn? Warum gehorchte ihm seine Zunge denn nicht mehr richtig? Sein gequälter Blick senkte sich erschöpft. Nur langsam nahm sein benebeltes Hirn die rotbraune Lache neben sich wahr. Wie in Trance verfolgte er wie sie sich gleichmäßig ausbreitete. Äußerst schwerfällig bildete sich ein einziges Wort vor seinem inneren Auge, dafür in schreiend roten Buchstaben:

Blut

Nacktes Grauen entlockte ihm verzweifelte Schluchzer. Oh Gott…! Das ist Blut … Ich liege in Blut! …

Ich liege in meinem Blut!!!… Entsetzt schnappte er nach Luft.

»Oh, schlimm, nicht wahr? Da läuft der schöne Lebenssaft aus Dir heraus. Und weißt Du was? Du kannst nichts, aber auch rein gar nichts daran ändern«, meldete sich die Stimme zurück. Fast schon schmeichelnd, ganz leise, überdeutlich betonend und irgendwie – süffisant grub sie sich in seine verzerrte Wahrnehmung. Fassungslos verharrte er auf dem Boden. Nur das gequälte Stöhnen, das über seine aufgeplatzten trockenen Lippen drang, zeigte seine abgrundtiefe Verzweiflung. Er wollte weg von hier, wollte aufspringen, wollte flüchten. Doch nichts von allem geschah. Die grausamen Schmerzen lähmten seinen gequälten Körper und raubten ihm die Kraft für die einfachste Bewegung.

»Tja, mein Lieber, du brauchst dich wirklich nicht anstrengen. Hier kommst du nicht mehr weg. Nie im Leben lasse ich das zu. Ich werde so lange hier stehen bleiben, bis du endlich verreckt bist«, flüsterte die Stimme ganz nah. Hellbraune Wildlederstiefel traten in sein Blickfeld. Die Stiefel! Die … kannte er doch. Aber … woher? Diese Stiefel mit den … den abgewetzten Spitzen und den … leicht nach innen abgelaufenen … Absätzen.

»Ja, die kennst du, die hatte ich damals an. An jenem verfickten Abend.«

»Nein. Niemals.« Was, hatte er das etwa laut gesagt? Das Dröhnen in seinen Ohren wurde schlimmer und er konnte kaum noch denken. Mit einem Schlag wurde ihm bewusst, was die Person neben ihm gerade gesagt hatte. Er kannte nicht nur die Stiefel, er kannte die Person. Ihm wurde übel. Denn plötzlich war sie da, die Angst. Todesangst.

Bitte…, ich… will… nicht… sterben…, waren seine letzten Gedanken.

Wutentbrannt

Nach ihrem furchtbaren Streit über ein Haustier hatten sie den halben Blumenladen leergekauft, weniger als Notwendigkeit als zur Frustverarbeitung.

Gott, was hatte Claus gekrächzt, als er stöhnend die schweren 80 Liter Säcke Blumenerde ins Auto hievte und vor Anstrengung kaum noch Luft bekam. Bei dem Gedanken an sein hochrotes Gesicht musste sie jetzt noch schmunzeln. Einer der sportlichsten war ihr Mann noch nie gewesen.

»Schau Dir das an. Die Blumen verlieren viel zu viele Blätter und die Säcke sind dreckig, ich versau mir damit den ganzen Kofferraum«, maulte er in einem fort.

»Du und dein blödes Gehabe um dein olles Auto. Du stellst dich an, wie ein kleines Kind, dem man das Spielzeug klaut.«

Erneut flammte Streit auf und sie zankten sich, bis beide während der restlichen Heimfahrt beleidigt schwiegen. Verbissen luden sie ihren Einkauf vor der Haustüre aus. Als der Kofferraum endlich leergeräumt war, sprang Claus ins Auto und brauste mit einem knappen »Ich fahre kurz zur Tankstelle und sauge den Wagen fix aus«, von dannen.

»Was?« Corinna blickte ihm ungläubig hinterher und sah entgeistert auf die vielen Kisten und Tüten, die den Weg zur Eingangstüre versperrten. »Das glaub ich doch jetzt wohl nicht. »Du Idiot, du«, rief sie ihm wütend hinterher. Dieser Mistkerl hatte sich doch echt aus dem Staub gemacht. »Verdammter Dreckskerl.«

Stöhnend wuchtete sie die erste Palette Blumen hoch und trug sie ins Haus. Der Flur war zu schmal, um sie dort zu deponieren und draußen würden sie ruckzuck geklaut werden. Also schleppte Corinna sie fluchend die vielen Treppenstufen zur Wohnung hinauf. Warum wohnen sie auch ausgerechnet hoch oben im fünften Stock? Und warum war der Aufzug immer dann kaputt, wenn sie ihn brauchte? Na warte, mein Freund, du kannst was erleben. Die Blumenerde kannst du stinkfauler Knilch aber getrost selber tragen, grummelte sie wütend vor sich hin. Schwer nach Luft japsend kam sie gerade zum dritten Mal oben an. Nassgeschwitzt setzte sie ihren Einkauf mit verkrampften Armen auf den Boden, um nach ihrem Schlüssel zu kramen. Doch weder in ihrer Jacke, noch in den Hosentaschen wurde sie fündig.

Ach, du Scheiße, das durfte doch jetzt nicht wahr sein! Dieses verdammte Mistding lag in ihrem Rucksack und der wiederum im Kofferraum, den Claus gerade liebevoll aussaugte. Na, prima. So ein Mist aber auch. Sie war auf hundertachtzig. Bis ihr toller Göttergatte hier auftauchen würde, konnte es noch eine ganze Weile dauern. Frustriert setzte sich Corinna auf die oberste Treppenstufe und legte ihr verschwitztes Kinn in beide Hände, die Ellbogen auf die zitternden Knie gestützt.

Ich sollte wirklich zum Sport gehen, überlegte sie erschöpft und schloss müde die Augen. Nur langsam verschwanden die schmerzhaften Seitenstiche. Wie ein Häufchen Elend saß sie da im dunklen Treppenhaus. Sie war es leid, alle paar Minuten aufzustehen, um das Licht einzuschalten. Abgekämpft, durchfroren und ordentlich angepisst, forderte der Stress der letzten Tage ihren Tribut. Ihre Atmung wurde tiefer und langsam fielen ihre Lider zu.

Genauso fand Claus sie vor. Die Aufzugstür öffnete sich mit einem lauten Ping und warf einen hellen Lichtstrahl auf dieses ungewöhnliche Stillleben.

Erschrocken sprang Corinna auf und schaute verwirrt in das blendende Licht und keuchte entsetzt auf. Eine bedrohlich wirkende düstere Gestalt streckte gerade die Hand aus und – betätigte den Lichtschalter.

»Mein Gott hast du mich erschreckt!« Schwer atmend hielt sich Corinna das heftig klopfende Herz.

»Ich konnte ja nicht ahnen, dass du hier rumsitzt. Was machst du überhaupt hier?«, fragte Claus grinsend.

Ja, was wohl?«, fauchte sie ihn an, »ich sitze gerne hier in der Kälte rum.«

»Aber warum gehst du denn nicht rein?«, wunderte sich Claus.

»Tut doch nicht so scheinheilig«, fauchte sie aufgebracht, »vielleicht, weil ich nicht reinkomme!«

»Häh?«

Corinna verdrehte genervt die Augen. »Du Idiot bis wie blöde abgerauscht. Dabei lag mein Rucksack, in dem unter anderem auch der Wohnungsschlüssel ist, noch im Auto. Aber der feine Herr musste sich ja unbedingt um seine heilige Schrottmühle kümmern. Anstatt erst mal dafür zu sorgen, dass der ganze Krempel nach oben kommt. Aber dafür ist ja dein dummes Frauchen zuständig. Oh, ich hasse Dich.«

Claus stand der Mund vor Staunen sperrangelweit auf. Mit dieser Begrüßung hatte er nun wirklich nicht gerechnet. Unbeirrt keifte Corinna weiter: »Also musste ich ja wohl oder übel auf dich warten! Und überhaupt, wieso kommst du erst jetzt? Schaust dubitte mal auf die Uhr. Wo warst du so lange?«

Claus zog perplex die Augenbrauen hoch. »Äh. Als ich von der Tanke zurückkam, waren gerade zwei Handwerker von der Aufzugsfirma dabei, den Lift zu reparieren. Bevor ich die schweren Säcke mit der Blumenerde die gefühlt tausend Stufen hier raufschleppe, habe ich den Moment gewartet, bis die Männer fertig waren. Und, tadaaaa, da bin ich.« Mit weit gespreizten Armen präsentierte sich Claus feixend vor ihr. Corinna zog böse die Stirn kraus und schob ihren Mund ganz nah an sein linkes Ohr. Jedes einzelne Wort überdeutlich betonend, fauchte sie: »Mein Held, ich bin ja so stolz auf dich«, und tätschelte ihm spöttisch die Wange. Am liebsten hätte sie ihm vor Wut eine gescheuert.

»Ich lauf schnell nach unten und hole die restlichen Säcke hoch, bis gleich.« Ein kurzes verkniffenes Lächeln und sie hörte, wie er die Treppen hinunterhastete.

»Du Meister aller Helden, willst du jetzt auch noch einen Kniefall von mir vor lauter Dankbarkeit oder was«, rief sie ihm gereizt hinterher. Die Anspannung der letzten Tage fand ihr Ventil in diesem bekloppten Gefühlsausbruch. Ihr Held schaffte es nur noch, die Sachen bis auf den Balkon hinaus zu schleppen, dann verabschiedete er sich schnaufend mit den Worten: »Ich bin total verschwitzt, ich muss jetzt erst mal dringend duschen.« Und weg war er.