Verrückt, aber glücklich! - Klara Fall - E-Book

Verrückt, aber glücklich! E-Book

Klara Fall

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Beschreibung

Die Tabuthemen Burn Out und Depressionen sind heute aktueller denn je. Ob TV-Koch Tim Mälzer, die Sängerin Michelle oder der US-Schauspieler Owen Wilson, ja selbst der stets so lustig erscheinende Bruce Darnell, die Reihe lässt sich unendlich fortsetzen. Sie alle konnten dem ständig wachsenden Druck nicht standhalten. Der Bogen ihrer Belastbarkeit war überspannt. So auch bei Klara, Klara Fall. Mit fünfzig fiel auch sie in ein tiefes seelisches Loch, fühlte sich ausgebrannt und mochte nicht mehr leben. Mit wahren Geschichten aus ihrem bewegten Leben zeigt sie auf humorvolle, manchmal auch ergreifende Art und Weise, was sie erlebt und wie sehr sie gelitten hat, bevor sie wieder in ein zufriedenes und ausgeglichenes Leben zurückfand.

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Inhalt

Zum Inhalt

Widmung

Impressum

Autor

Prolog

1. Supergau

2. Alles ganz normal

3. Witwe

4. Nachwuchs

5. Schwanger?

6. Teneriffa

7. Schwangerschaftsbeschwerden

8. Es geht los

9. Kaiserschnitt

10. Unser Stefan

11. Kotztüte

12. Häuslebau mit Hindernissen

13. Ein zweites Kind

14. Notaufnahme

15. Krebs

16. Virus

17. Unser Markus

18. Überlastung

19. Schokoladenwahn

20. Kinderkrankheiten

21. Fieber

22. Schock

23. Operation

24. Todesangst

25. Chemotherapie

26. Demenz

27. Büroalltag

28. Von Alm zu Alm

29. Hilfe, ein Hund!

30. Hexenschuss

31. Großkampftag

32. Operationsangst

33. Blacky

34. Germknödel

35. Hundebiss

36. Blödmann

37. Gendefekt

38. Nichts geht mehr

39. Verrückt

40. Klapsmühle

41. Sieben wichtige Wochen

42. Entlassen

43. Danke

44. Es geht aufwärts

45. Peinlich

46. Mein neues Hobby

47. Lebensmotto

Epilog

Danksagung

Klara Fall
Verrückt, aber glücklich!
Einmal Burn-out und zurück

Zum Inhalt

Zum Inhalt:

Die Tabuthemen Burn Out und Depressionen sind heute aktueller denn je.

Ob TV-Koch Tim Mälzer, die Sängerin Michelle oder der US-Schauspieler Owen Wilson, ja selbst der stets so lustig erscheinende Bruce Darnell, die Reihe lässt sich unendlich fortsetzen. Sie alle konnten dem ständig wachsenden Druck nicht standhalten. Der Bogen ihrer Belastbarkeit war überspannt.

So auch bei Klara, Klara Fall.

Mit fünfzig fiel auch sie in ein tiefes seelisches Loch, fühlte sich ausgebrannt und mochte nicht mehr leben.

Widmung

Für Rosi
Klara Fall
Verrückt, aber glücklich!
Einmal Burn-out und zurück

Impressum

Ausführliche Information über unsere Autoren und Bücher erhalten Sie unter www.JustTales.de Roman von Klara Fall 1. Auflage März 2019 Ungekürzte Taschenbuchausgabe März 2019 JustTales Verlag, Bremen Geschäftsführer Andreas Eisermann Copyright © 2019 JustTales Verlag An diesem Buch haben viele mitgewirkt, insbesondere: Lektorat: Michaela Marwich Schlusskorrektorat/Buchsatz: André Piotrowski Einbandgestaltung: E-K-Coverdesign Druck & Bindung: Europa Paperback (ISBN 978-3-947221-28-8) Auch erhältlich als E-Book (ISBN 978-3-947221-29-5)

Autor

Klara Fall

Klara Fall lebt mit ihrem Mann seit über 30 Jahren in einer kleinen, verträumten Stadt an der Ruhr. Ihre zwei Söhne sind inzwischen erwachsen.

Nach einem langen Berufsleben entschied sich die Autorin vor zwei Jahren schweren Herzens für die Altersteilzeit und hat es nie bereut.

Mittlerweile genießt sie die ungewohnte Ruhe, die ihr die nötige Zeit für ihre Enkelkinder, ihren Garten und ihr neues Hobby, die Schreiberei, gibt. So entstehen aus vielen verrückten Ideen und oft bewegenden Erlebnissen humorvolle Geschichten in ihrer besonderen Art.

Prolog

Dies ist ein Buch mit vielen kleinen Geschichten aus meinem Leben. Mit vielen lustigen, einigen traurigen, manchen nachdenklich stimmenden Kapiteln.

Lustig vor allem für andere.

Andere, das sind mein Mann, meine Kinder, meine Freundinnen und Freunde, meine guten Bekannten, meine KollegINNen und meine Leser.

Meine Geschichten handeln aber nicht nur von Glück und Freude, sondern auch von Leid, vom Auf und Ab, von Wunden, Tiefschlägen und Schmerzen, die mir das Leben so oft bescherte, dass ich fast daran zerbrochen wäre.

Ich ging durch die Hölle, mal freiwillig, mal bin ich einfach nur hineingeschlittert, oftmals auch brutal vom Schicksal regelrecht hineinkatapultiert worden.

Zu guter Letzt hatte ich mein eigenes Wohl aus den Augen verloren, war verzweifelt, verängstigt, total am Ende, mit meinen Nerven und meinen Kräften. Haderte mit meinem Beruf, meiner Ehe, meinem Leben. Ohne es zu merken, hatte sich der Dauerstress schleichend in ein nagendes Burn-out gewandelt und mich in eine totale Erschöpfung und eine allumfassende Depression rutschten lassen.

Fakt ist: Da wollte ich nie landen.

Bei jedem wirken sich Depressionen anders aus, weshalb ich in diesem Buch keine verallgemeinernden Ratschläge geben kann.

Für mich selber gesprochen war es einfach die Summe aller Ereignisse – Krankheiten und Todesfälle in meiner Familie –, deren Aufarbeitung ich im guten Glauben, alles ertragen und immer „die Starke“ sein zu müssen, achtlos beiseitegeschoben hatte. Bis es dann eines Tages nicht mehr ging und mein Körper sich lautstark meldete, weil er eine Auszeit brauchte; Ruhe vor all den anstürmenden Gefühlen zu bekommen, um die, die sich angestaut hatten, nach all den Jahren der Verdrängung aufarbeiten zu können.

Für mich selber gesprochen kann ich heute sagen: Ich habe es geschafft. Wie ich es aus diesem Hamsterrad herausschaffte und es mir heute geht, zeigt mein Roman.

Es handelt sich also sozusagen um eine humoristisch-psychologisch angehauchte Lebensanalyse.

In der einen oder anderen Situation werden sich sicherlich viele Verzweifelte selbst erkennen. Ich hoffe, Sie können von meinen Erlebnissen und Erfolgen profitieren, und so möchte ich Ihnen sagen: Raffen Sie sich auf, es führen so viele Wege aus dieser Misere, Sie müssen sie nur suchen. Nehmen Sie Ihr Schicksal selbst in die Hand, mir ist es schließlich auch geglückt.

Heute bin ich wieder ganz die Alte, verrückt, aber glücklich.

1. Supergau

Nein, es war nicht Freitag, der 13. Trotzdem war es der schwärzeste Tag meines Lebens.

Mein absoluter Supergau.

Zitternd saß ich vor dem Seelenklempner, der mich mit warmen Augen aufmunternd ansah. Intensiv und abwartend.

Hilfe, ich will hier nicht sein, dachte ich verzweifelt.

Und beschämt. Denn der freundliche Doktor arbeitete in der Klinik Hohe Mark. Ich saß ihm gegenüber. In dieser Klapse. In dieser Irrenanstalt! Diesem Aufbewahrungsort für Verrückte!

Für Leute wie mich.

Ich hatte mein Leben total an die Wand gefahren. Ich brachte es einfach nicht mehr. Ich war absolut über. Denn ich schluderte mit meinen Aufgaben, meine Kraft ließ zu wünschen übrig, und mit der Welt und mir unzufrieden, wollte ich so nicht mehr weitermachen müssen. Ich war an meinem absoluten Tiefpunkt, ich Versager.

Freundlich, aber bestimmt hatte der Doc von meinem seelischen Dilemma, von Burn-out und Depression gesprochen und prompt wehrte sich mein angeschlagenes Ich mit der jahrelang praktizierten Verdrängungsmethode:

Der spinnt doch! Ich richte kurz mein Krönchen und dann gebe ich wieder 150 Prozent, wie bisher. Ich gehöre hier ganz bestimmt nicht hin.

Wütend funkelte ich mein Gegenüber an.

Ich und Depressionen, pah!

Kurz ging mir die Überweisung in diese Klinik durch den Kopf. Sollte er vielleicht doch recht haben? So ganz ohne Grund war ich hier ja nun wirklich nicht aufgeschlagen.

„Ich bin nicht Ihr Feind.“ Die leise Stimme des Psychologen drang durch meine aufgewühlten Gedanken. Warmherzig, ohne überheblich zu wirken, fuhr er fort: „Sie fühlen sich gerade sichtlich unwohl. Das kann ich sehr gut nachvollziehen. Warum erzählen Sie mir nicht einfach, was Ihnen gerade so durch den Kopf geht?“ Er ließ eine kleine Pause, doch mir blieben die Worte im Hals stecken. Sie wollten einfach nicht heraus. Weder aus meinem Kopf noch aus meinem Herzen, schon gar nicht aus meiner Seele. Unmöglich. Das hatte ich noch nie gemacht. Schließlich war ich nicht wichtig. Wichtig war das Erledigen meiner Aufgaben.

„Ich kann mir gut vorstellen, dass es Ihnen sehr schwerfällt, über sich selbst zu sprechen, da Sie sich wahrscheinlich ihr ganzes Leben lang zurückgenommen und hintenangestellt haben, oder?“

„Äh …“

„Bedenken Sie, hier können Sie sich, entschuldigen Sie meine Offenheit, mal so richtig auskotzen. Hier sind Sie das Wichtigste. Und nur Sie. Nutzen Sie Ihre Chance und ich werde Ihnen vorurteilslos zuhören. Dafür bin ich da. Fangen Sie doch damit an, mir zu erzählen, was Sie in Ihrem Leben so stört. Ich garantiere Ihnen, neutral zu bleiben, und, das ist das Wichtigste, es wird alles unter uns bleiben.“

Was mich stört? Überrascht sah ich den Psychologen an. Das hatte ich mich ja noch nie gefragt. Das hatte mich auch sonst niemand gefragt. Ich funktionierte ohne Wenn und Aber, basta!

„Vielleicht fangen Sie ganz von vorne an zu erzählen. Vielleicht finden wir gemeinsam heraus, was Sie dermaßen aus der Bahn geworfen hat. Sie müssen nichts überstürzen, wir haben viel Zeit. Die nächsten Wochen sind Sie ausschließlich nur für sich hier. Auch wenn Sie sich das heute noch nicht vorstellen können, Sie dürfen und werden alles andere ausblenden. Hier dürfen Sie sich endlich einmal fallen lassen.

Darum mein Rat: Genießen und nutzen Sie die Zeit hier.“

Die Zeit genießen? Der war gut. Weißt du Clown eigentlich, wie viele Aufgaben zu Hause auf mich warten? Zeit genießen, haha! Dass ich nicht lache.

Ungläubig schüttelte ich den Kopf. Der hatte ja so gar keine Ahnung vom wahren Leben. Von meinem Leben.

Aufgebracht straffte ich die Schultern und sog zornig die Luft durch die Nase ein.

Ich bin doch nicht verrückt. Jetzt spitz mal deine Öhrchen, du Narr, jetzt erfährst du mal eine ganz normale Geschichte einer ganz normalen Frau:

Leise begann ich zu erzählen.

2. Alles ganz normal

Also, ich bin die Klara. Klara Fall.

Ein typisches Kind der Sechziger. Ein behütetes Einzelkind. Meine Eltern zogen mich liebevoll zu einem freundlichen, humorvollen und aufmerksamen Menschen heran. Dafür bin ich ihnen mein Leben lang dankbar. Denn ich durfte in einer Familie aufwachsen, die mir die wichtigsten Grundregeln des Lebens vermittelte: stets für einander da sein, sich mit Liebe und Respekt begegnen und eine stabile Einheit bilden. Dieses Wissen beeinflusste meine gesamte weitere Entwicklung.

Meine Kindheit verlief also sehr behütet und problemlos. Außer Masern piesackten mich keine nennenswerten Krankheiten. Ein herrlich sorgenfreies Leben.

Bevor ich in die wilde Phase eines pubertierenden Teenagers trat, änderte sich abrupt mein Status von wohlbehütet und sorgenfrei leben zu in einer sorgenvollen Blase aufwachsen müssen. Das wahre Leben zeigte sich mir zum ersten Mal mit aller Härte von seiner fiesesten Seite.

Kurz vor meiner Konfirmation erkrankte Mama lebensbedrohlich, musste ins Krankenhaus eingeliefert und mehrere Stunden operiert werden. Laut behandelndem Arzt standen die Zeiger ihrer Lebensuhr bereits auf fünf vor zwölf. Nur drei Wochen später wäre der Eingriff zu spät gewesen und sie hätte meine große Feier nicht mehr erleben können.

Ich war absolut geschockt. Zum ersten Mal wurde ich auf brutalste Weise mit Krankheit und Tod konfrontiert. Meine heile Welt bekam nicht einfach nur kleine Risse, nein, sie brach ohne Vorwarnung direkt in sich zusammen. Etwas wirklich Schlimmes bedrohte meine Mutter, meine gesamte Familie und wir konnten nichts machen. Hilflos waren wir den brutalen Launen der Natur ausgeliefert.

Meine Familie bestand eh nur aus einer Handvoll Leuten. Mama, Papa, Mamas Mama und Papa, also meine Großeltern, und ich. Nur wir fünf. Wir waren schon immer eine Einheit, eine kleine Familie. Und nun zerrte das Schicksal mit aller Macht an uns. An meinem Kokon, meinem Halt, meinem Rückgrat. Zum ersten Mal erkannte ich: Das Leben blieb nicht, wie es war. Es veränderte sich, es veränderte uns. Ohne Vorwarnung, ohne Rücksicht, ohne Skrupel. Einfach so.

Für uns, die es betraf, gab nur zwei Möglichkeiten: Wir mussten ganz schnell lernen, damit umzugehen, oder wir würden daran zerbrechen.

Unbewusst hatte ich mich dazu entschlossen, nicht daran zu zerbrechen. Noch hatte ich genug Kraft, mich dagegen zu sperren.

Wir alle sperrten uns. Nach Wochen der Sorge wurde unser Hoffen und Beten erhört, Mama erholte sich und wurde wieder vollständig gesund.

Das Glück war uns wieder zugetan und der normale Alltag kam zu uns zurück. Trotzdem dauerte es lange, bis wir nicht mehr jeden ihrer Schritte, ihre Gesten und Gesichtsausdrücke mit Argusaugen beobachteten, da ihre Erkrankung zu schwerwiegend gewesen war. Wir waren nicht in der Lage, unsere Sorgen um sie einfach so abzulegen. Die nackte Angst hielt uns zu sehr mit ihren Klauen fest.

In dieser für mich so belastenden Zeit fand ich Ablenkung in meiner Musik. Stundenlang spielte ich Akkordeon, ohne mir auch nur einer einzigen Note bewusst zu sein. Meine Gedanken flogen mit Leichtigkeit von dannen. Weit weg. In eine heile Welt, ohne Krankheiten, ohne Schmerzen, ohne Sorgen.

Jeden Freitag fuhr mich Mami unermüdlich zum Jugendorchester. Die Proben mit den gleichgesinnten Kindern, wir waren zwischen zehn und siebzehn Jahren, lenkten mich ab und machten viel Spaß.

Und glücklich.

Auch bei meinem zweiten Hobby, dem Reiten, schaltete ich wunderbar ab und genoss wieder meine Teenagerzeit.

Es war die schönste Zeit meiner Kindheit.

Ab Sommer 1973 hatte ich leider keine Zeit mehr dafür. Ich beendete die Schule und begann eine Ausbildung bei der Stadtverwaltung.

Meistens kam ich völlig geschafft gegen drei Uhr nach Hause. Kurz aß ich zu Mittag, legte mich eine halbe Stunde aufs Sofa und widmete mich dann seufzend meinen Büchern. Das enorme Lernpensum hatte nichts mehr mit dem Pillepalle der Schulzeit zu tun. Ich büffelte oft bis spät in den Abend, bis ich geistig völlig geplättet wie tot ins Bett fiel. Mein Musizieren und meine heiß geliebten Pferde rutschten in dieser Zeit auf der Prioritätenliste immer weiter nach hinten. Leider.

Schade. Jetzt war meine Kindheit endgültig vorbei.

Nach meiner erfolgreichen Ausbildung bei der Stadtverwaltung erhielt ich eine Festanstellung, verdiente mein eigenes Geld und kaufte mir mein erstes Auto, einen 73er Opel Kadett. Stolz zuckelte ich fortan mit dem Vehikel durch die Gegend und verließ immer öfter mein familiäres Nest. Ich strampelte mich frei, fühlte mich zufrieden auf dem spannenden Weg ins Erwachsenenleben.

3. Witwe

Wir trafen uns mehrmals die Woche abends in unserer Stammkneipe Zum wilden Zimmerling.

Wir, das war ein wilder Haufen junger Leute so zwischen achtzehn und fünfundzwanzig Jahren.

Jeder kannte jeden, da die meisten seit dem Kindergarten zusammen aufwuchsen. Wir hingen zusammen ab, wie sagt man heute so schön? Wir chillten. Wir unternahmen überhaupt sehr viel als Gruppe. Die meisten der Jungs spielten im selben Verein Fußball, oftmals feierten wir wilde Feten, rockten uns durch den Karneval und standen unseren Kameraden bei diversen Hochzeiten bei.

Eine herrlich verrückte, feuchtfröhliche Zeit, in der ich meinen Willi kennen und lieben lernte. Auch uns standen sie bei, als wir uns trauten.

Unsere Hochzeit im April 1983 war wirklich sehr schön. Bis in die frühen Morgenstunden feierten wir mit unseren Gästen. Ausgelassen und feuchtfröhlich. Mitten in der Nacht brannten mir meine Füße wie verrückt. Vehement forderten sie ihre Befreiung aus den unbequemen Brautschuhen. Kollektiv brannten inzwischen auch Nase und Augen, hatte ich mir doch am Polterabend eine ordentliche Erkältung eingehandelt. Gegen vier Uhr früh ging gar nichts mehr, mein gesamter Körper weigerte sich, weiter an dem Spektakel teilzunehmen. Ich wollte und ich konnte nicht mehr. Also zuckelten wir völlig erschöpft mit dem Taxi nach Hause.

Ach herrje, daran hatten wir ja gar nicht gedacht. Jetzt mussten wir auch noch die Bettwäsche, die wir abends erst aus einem der vielen bunten Geschenkpakete ausgewickelt hatten, um diese nachtschlafende Zeit aufziehen. Schließlich war das unsere allererste Nacht in unserem eigenen Nest. Wir zogen erst jetzt ein, unmittelbar nach der Hochzeit.

Vor lauter Vorbereitungswahn hatten wir an so etwas Profanes wie Betten beziehen nun so gar nicht gedacht. Super Planung! Was sollte man auch sonst in der Hochzeitsnacht machen?

War ja für uns beide schließlich erst die erste. Also Hochzeit, da war es verständlich, dass wir nicht alles vollkommen durchdacht hatten.

Am nächsten Tag, einem Sonntag, standen Gaststättenrechnung bezahlen, restliches Essen und Geschenke abholen, aufräumen und allerlei anderer Kram, der nach so einer Megafeier ansteht, auf dem Plan.

Leider war uns nach der Trauung keine Hochzeitsreise vergönnt, die würden wir frühestens irgendwann im Oktober nachholen können. Mein Mann – ach, das war noch so ein ungewohntes Wort: „mein Mann“ –, also mein Mann hatte erst kürzlich die Firma gewechselt. Daher galt noch die Probezeit und leider der obligatorische Urlaubstopp. Aber für den späten Herbst waren ihm drei freie Wochen zugesagt worden. Da würden wir alles nachholen. Aber jetzt stand erst einmal die Pflicht vor der Kür: Mein Göttergatte begann diese Woche mit Nachtschicht, und da ich sieben Tage Urlaub hatte, konnten wir zumindest ordentlich ausschlafen. Da mein Schatz erst abends um einundzwanzig Uhr losmusste, hatten wir tatsächlich einen ganzen Tag für uns, wie herrlich.

Abends aßen wir noch zusammen, plauderten noch ein wenig über das turbulente Wochenende und schon konnte er sich auf den Weg zur Arbeit machen.

Tolle Kirsche, kaum ist das Bett frisch bezogen, schon liege ich alleine drin.

Am nächsten Morgen, so gegen sieben Uhr, wurde ich wach und dachte: Komisch, wieso bin ich denn immer noch alleine im Bett? Mein Ehemann war noch nicht zu Hause.

Fünf nach sieben auch nicht, und um zehn nach sieben kam mir ein Gedanke: Vielleicht muss sich der Weg erst noch einprägen, eventuell ist er wie die letzten Jahre auch einfach nach Hause zu seinen Eltern gefahren.

Um halb acht wurde mir langsam mulmig zumute, aber einfach bei meinen Schwiegereltern anrufen und sie womöglich auch noch beunruhigen wollte ich nicht.

Also wartete ich weiter ab, lief nervös von Zimmer zu Zimmer, immer einen ängstlichen Blick auf die Uhr werfend. Plötzlich klingelte das Telefon und ich zuckte erschrocken zusammen. In dieser Stille klang der schrille Ton wie ein Schrei. Ein schreckliches Geräusch.

Wie ein schlechtes Omen?!

„Hallo, mein Kind“, meldete sich meine Mutter mit aufgeregter Stimme. „Du, also das ist so und mach dir bloß keine Sorgen, es ist nichts Schlimmes passiert.“

Schluck!

„Also, dein Mann hatte einen Autounfall und der Wagen hat sich überschlagen und hat einen Totalschaden. Aber es ihm wirklich nichts passiert, deinem Mann.“

Tausend Fragen schossen mir durch den Kopf, aber ich saß geschockt ganz still da, mit herunterhängender Kinnlade. Oh, Gott, das darf doch nicht wahr sein! Nichts passiert? Pah!

„Lebt er noch?“, krächzte ich in den Hörer, die Tränen schossen mir nur so in die Augen.

„Ja, natürlich, und es ist ihm nichts passiert, wirklich nicht. Sonst hätte er doch nicht persönlich angerufen. Er ist nur zur Sicherheit für eine Kontrolluntersuchung ins Krankenhaus gegangen.“

Panik und ein Gefühl von Verlust schossen durch meine Adern, nahmen mir abrupt die Luft zum Atmen, mein Herz raste. Brutal erfasste mich eine Angst, die weit über das Maß der damaligen Sorgen um meine Mama ging.

Fassungslos hockte ich in der Küche und weinte leise vor mich hin.

Das kann er doch nicht machen. Schnief, schluck … samstags machte er mich zu seiner Frau, dienstags zu seiner Witwe.

Nur mein leises Wimmern durchdrang diese Stille.

Überschlagen. Totalschaden. Oh mein Gott!

Mir gingen die schrecklichsten Bilder durch den Kopf.

Fehlt ihm eine Hand, hat er innere Verletzungen?

Ein blutiges Szenario breitete sich vor meinem inneren Auge aus.

Nein, wie schrecklich, der Ärmste.

Ungläubig schaute ich aus dem Küchenfenster.

Äh, da … da … da ging er doch gerade putzmunter her, oder hab ich jetzt schon Halluzinationen?

Erst das Geräusch des aufschließenden Schlüssels in der Wohnungstür ließ mich wie ein Blitz aufspringen. Freudestrahlend rannte ich ihm entgegen. Sprang ihn regelrecht an, er konnte sich gerade noch am Türrahmen festhalten.

„Langsam, lass mich doch erst einmal reinkommen“, brummelte er mir in die Haare, auf die er sein Gesicht senkte und mir immer wieder kleine Küsse gab.

Ich lachte, ich weinte, ich küsste ihn, ich drückte ihn, ich lachte wieder, herzte ihn, sodass er fast keine Luft mehr bekam. Weinte wieder, bis bei mir ein heftiger Schluckauf einsetzte.

Wir standen immer noch im Türrahmen und lagen uns selbstvergessen in den Armen. Ich drückte mich immer wieder feste an meinen Mann, wie um mir zu beweisen, dass er wirklich und unversehrt vor mir stand. Er wiederum hielt mich fest umschlungen, wie einen Rettungsanker. Anspannung und Schock standen ihm noch immer ins Gesicht geschrieben. Nur langsam beruhigte sich seine hektische Atmung. Immer wieder drückte er mich fest an sich. Seine Augen, sein Mund, seine Hände sprachen erleichtert ihre eigene Sprache. Wir schwebten auf Wolke sieben, wir hatten uns unversehrt wieder.

Außer kleineren Schnittwunden im Gesicht und an den Händen hatte er wirklich keine weiteren Blessuren abbekommen. Es war einfach unfassbar, ein echtes Wunder. Ich wagte kaum, es zu glauben.

„Ich hatte solche Angst um dich. Warum hast du denn nicht direkt bei mir angerufen? Ich hab meiner Mutter gar nicht glauben können, dass du wirklich lebst.“

„Ach, Süße. Mir ging es doch so weit ganz gut. Ich wollte nur kurz die Bestätigung vom Arzt einholen und dann nach Hause kommen. Und da ich dich kenne, habe ich mich wenigstens bei deinen Eltern gemeldet. Du hättest mir doch ein Loch in den Bauch gefragt und dich nur selbst verrückt gemacht.“

Die Fotos vom total zerstörten Auto, die wir Tage später vom Gutachter erhielten, ließen uns erschrocken die Luft anhalten. Immer wieder schüttelten wir fassungslos den Kopf. Erst hatte sich der Wagen überschlagen, war dann auf dem Dach schlitternd weitergerutscht, bis er an einem Verkehrsschild hängen blieb. Nicht nur Unmengen an Glassplittern, sondern viele messerscharfe Metallstücke und zersplitterte spitze Armaturenteile ragten in den völlig demolierten Innenraum. Dass nur der Wagen zu Schaden gekommen war, grenzte an ein wahres Wunder.

Trotzdem haderten wir mit unserem Schicksal. Warum mussten wir es auf solch bescheuerte Weise kennenlernen, dieses „Glück und Leid liegen so nah bei einander“? Eben noch schwebten wir auf der Wolke der Glückseligkeit und schon zeigte uns das Leben, wie schnell es damit wieder vorbei sein konnte.

Uns war nur allzu bewusst, wie knapp es gewesen war.

Danke lieber Schutzengel, Du hast deine Sache sehr gut gemacht.

Überglücklich lagen wir uns in den Armen und ahnten nicht, wie oft wir seine Hilfe in Zukunft noch benötigen würden …

4. Nachwuchs

Natürlich kam kurz nach der Hochzeit auch bei uns der Wunsch nach Kindern auf. Mindestens zwei, das stand von Anfang an fest.

Also gingen wir mit Feuereifer an das Projekt Nachwuchs heran.

Wir stellten uns das so einfach vor: Pille absetzen und ratzfatz schwanger.

Ja denkste, nix ratzfatz.

Warum sollte auch diesmal bei Familie Fall alles nach Plan verlaufen?

Jeden Monat aufs Neue kam der rote Besuch und die Enttäuschung wurde größer und größer.

„So langsam artet das ja in Arbeit aus“, murrte der zukünftige Vater eines Tages herum.

Ich muss zugeben, es ist echt Käse, wenn aus der Kür eine Pflicht wird. Dieses Jetzt müssen wir, die Zeit ist gerade sehr günstig ging uns inzwischen gehörig auf den Wecker.

„Das gibt es doch gar nicht!“ Gefrustet saß ich auf der Toilette, alle Hoffnung war wieder dahin. „So ein Scheißdreck …!“, entfuhr es mir zum tausendsten Male entrüstet.

Die ganzen Monate „harter Arbeit“ – alles umsonst.

Selbst der Blödeste bekam Kinder hin, und wir? Nur bei uns wollte es einfach nicht klappen.

Waren wir inzwischen zu verbissen?

Dabei machten wir uns unser Liebesleben so schön wie möglich, schließlich sahen wir uns durch Willis Wechselschicht eh nicht so oft. Sehnsucht, Verlangen und Begierde ließen uns weder an Kinderwünsche, fruchtbare Tage noch an Familienpläne denken.

»Wenn schon, dann richtig«, lautete unsere Devise, wie das wohl die Mehrheit der Menschen auf der ganzen Welt hielt.

Aber die Zeit zog ins Land und nichts tat sich im Staate Kinderland. Nicht bei Klara Fall, die war mal wieder ein ganz besonderer Fall.

Ein hartnäckiger Fall.

Zum x-ten Male saß ich beim Gynäkologen, der mir immer wieder „Erfolg“ versprach.

„Das wird doch nie was“, raunzte ich ihn mit geblähten Nasenflügeln an.

„Vielleicht sollte ich Sie einmal in eine Uniklinik überweisen. Da kann man sie einmal gründlich auf den Kopf stellen. Sie hatten als Teenager so oft Unterleibsentzündungen, vielleicht hängt Ihre Kinderlosigkeit damit zusammen. Manchmal ist auch ein harmloser Tumor im Bauchraum dafür verantwortlich“, überlegte Dr. Thomas laut.

Na toll, dachte ich bei mir, den letzten Satz hätte er sich auch klemmen können, damit macht er mir nur unnötig Angst.

Nach kurzer Besprechung hielt ich eine Überweisung und einen Zettel mit entsprechender Adresse einer Uniklinik in Köln in den Händen.

Warum ich dorthin sollte und nicht in eine Klinik hier in der Nähe, fragte ich gar nicht erst, das Wort „Tumor“ hatte mich gehörig in meine Schranken gewiesen. Und wenn ich ehrlich bin, auch ein wenig aus der Bahn geworfen, meine innere Alarmanlage funktionierte seit Mamas schwerer Erkrankung leider viel zu gut.

Das war ja echt eine große Hausnummer.

In Köln gelandet, wurde eine Bauchspiegelung durchgeführt. Wieder eine Operation, und es sollten noch viele weitere in meinem Leben folgen. Nun denn, erst einmal hatte ich diese hinter mich gebracht und lag noch leicht benebelt in meinem Bett.

Oha, seit wann dürfen denn Elefanten mit in den OP-Saal?

Mein gesamter Oberkörper schmerzte, als wäre eine ganze Herde der grauen Dickhäuter über mich hergetrampelt.

Kein Mensch hatte mir vorher erklärt, dass es notwendig ist, bei diesem Eingriff Kohlendioxid (CO2) in den Bauchraum zu leiten. Manche Frauen klagen anschließend über rechtsseitige Schulterschmerzen, da sich durch den erhöhten Druck die Leber verlagern und Nervenreizungen verursachen kann.

Ich musste nicht nur eine Leber haben, mir tat der gesamte Oberkörper weh.

Hatten die sich wohl möglich verschnippelt? Oder meinen Unterleib durch die Schulter betrachtet?

Schnell fasste ich unter die Bettdecke und tastete meinen Bauch ab. Beruhigt fuhr ich über die drei Pflaster. Nein, die hatten sich nicht vertan. An den Schmerzen war doch diese blöde Elefantenherde schuld. Stumm litt ich weiter.

Aber was tat man oder eher Frau nicht alles für den heiß ersehnten Nachwuchs!

Wie oft würde ich noch aus Spaß sagen: „Wenn das Kind erst auf der Welt ist, versohle ich ihm erst einmal den Po“? So viele Schmerzen, Sorgen, Aufregungen und Mühen, und das schon, bevor ich überhaupt schwanger war.

Schon da hatte ich wahrscheinlich eine leise Ahnung vom dem, was uns noch alles bevorstand.

„Guten Morgen, Frau Fall“, begrüßte mich der Doktor, „wir konnten massive Verwachsungen bei Ihnen feststellen. Und Sie müssen des Öfteren Entzündungen durchgemacht haben, wir konnten regelrechte Vernarbungen feststellen. Aber einen Tumor haben wir nicht gefunden. Alles in allem steht einer Schwangerschaft nichts im Wege.“

Puh! Beruhigt ließ ich die angehaltene Luft aus zusammengekniffenen Lippen entweichen.

„Wir schicken Ihrem Gynäkologen einen Arztbrief mit der Empfehlung für eine Hormonbehandlung zu. Die wird bei Ihnen endlich einen Eisprung auslösen und dann müssten Sie eigentlich über kurz oder lang werdende Mutter sein.“

Nichts Schlimmes, ich habe nichts Schlimmes. Ein riesengroßer Stein fiel mir von der Seele. Da hatte ich gerade Lust, Dr. Thomas den Hals umzudrehen, mit seiner Tumorvermutung hatte er mich total verrückt gemacht. Für nichts und wieder nichts. Oh menno!

Trotzdem schlug ich kurze Zeit später wieder bei ihm in der Praxis auf, schließlich war das Projekt Nachwuchs jetzt so aktuell wie nie zuvor.

Ich bekam eine Packung Hormontabletten in die Hand gedrückt mit den Worten: „Diese zehn Tabletten nehmen Sie nach Vorschrift ein und auf geht’s. Üben, üben, üben. Ich denke, bei Ihrem nächsten Besuch können wir endlich eine Schwangerschaft feststellen.“

„Üben? Ha, das brauchen wir nun wirklich nicht mehr, das haben wir bis zur Erschöpfung getan“, brach es trocken aus mir heraus.

„Ach, wissen Sie was, ich denke, es ist für den Anfang besser, sie fangen erst einmal nur mit fünf Tabletten an. Das müsste auch zum Erfolg führen.“

Lächelnd verabschiedeten wir uns und voller Zuversicht zog es mich mit neu erwachter Zuversicht nach Hause.

„Nun denn …“ Ratzfatz waren die Pillen geschluckt. Jetzt mussten die nur noch wirken. Der Rest war ein Klacks und eigentlich konnte ich doch schon den ersten Strampler kaufen, oder?

Natürlich widmeten wir uns wieder euphorisch mit neu erwachter Energie unserem Projekt Nachwuchs. Aber genauso schnell schlich sich der altbekannte Frust ein. Ständig nach Stundenplan und ärztlichem Rat in die Kiste zu hüpfen, tötete den größten Ehrgeiz, zusehends den Willen und schließlich das Können.

„Schon wieder …“ Diese Worte wurden langsam zu unserem Leitthema.

Aber ohne Fleiß keinen Preis. Irgendwann, ich nahm es zunächst gar nicht wahr, blieben meine Tage aus.

Sollte es …? Ne, bestimmt nicht. Oder doch?

Ich rechnete schnell nach. Neun, zehn, elf. Jau, ich war schon elf Tage drüber! Der rote Besuch ließ jetzt tatsächlich schon elf Tage auf sich warten? Ich konnte es nicht glauben. Das konnte doch, bitte, bitte, nur einen einzigen Grund haben. Sollte ich mich schon freuen?

Obwohl … ich wollte nicht schon wieder den mitleidigen Blick unseres Apothekers auf mich gerichtet sehen. Nicht schon wieder einen Schwangerschaftstest umsonst kaufen.

Aber ich musste es jetzt endlich wissen.

5. Schwanger?

Klasse, ich bekam bei meinem Gynäkologen schon für Freitag einen Untersuchungstermin, das war ja schon in zwei Tagen. Viel länger würde ich diese Ungewissheit auch nicht aushalten. Das wäre ja schrecklich.

Endlich war es so weit, ich lag auf der Pritsche neben dem Ultraschallgerät.

Gebannt starrte ich auf die grau-weiße Mondlandschaft dort auf dem Monitor und erkannte: NICHTS.

Rein gar nichts.

Das soll mein Baby sein? Mein Sprössling? Oder Sprosse? Wo denn?

War es wohl eher diese anthrazitfarbene Wolke rechts oben in der Ecke oder vielleicht die etwas hellere Pünktchenansammlung links unten?

Also, Farbfehler traf es wohl eher.

Vor lauter Anspannung lag ich total verkrampft da, wagte kaum zu atmen, weil ich befürchtete, das Baby, falls eins da drin sein sollte, zu verscheuchen.

Dr. Thomas fuhr mir lächelnd mit dem Ultraschallkopf über meinen glitschig eingematschten Bauch und das Gebilde auf dem Bildschirm warf immer wieder neue Schatten, wie von Geisterhand ausgewechselt.

Mein Blick wechselte auch, aufgeregt von dieser spannenden Performance vor mir zu der hoch konzentriert gerunzelten Stirn meines Frauenarztes. Ich wagte kaum zu atmen.

Mann, mach es doch nicht so spannend! Bin ich oder bin ich nicht? Bin ich jetzt schwanger? Nun sag schon!

Mein Blick wechselte wieder zweifelnd auf das Schwarz-Weiß-Gewusel vor mir.

„Mmhh …“ Schweigen, sonst nichts.

„Und?“, wagte ich zu fragen. Bloß jetzt nicht in seiner Konzentration stören, sonst findet er womöglich nichts.

Da! Da war etwas. Da oben in der Mitte des Bildes hatte ich etwas erkannt. Mein Baby. Oh, meine Sprosse.

Äh, wieso zeigt Dr. Thomas an eine ganz andere Stelle? Ach da?!

Respekt, Herr Doktor, ich erkenne nichts.

Und wieso runzelt er seine Stirn jetzt noch mehr als vorhin? Irgendwie besorgt.

Mach mich nicht fertig!

„Sehen Sie das auch?“, brummte er zu mir herüber, ohne den Blick von seinem Finger zu nehmen, mit dem er auf die dunklen Flecke rechts unten deutete.

Ja klar, eine Spiegelung. Jetzt erkenne ich sie auch.

„Ja, und welcher der drei Punkte ist denn jetzt mein Baby?“

„Alle drei …“

Hä? Mir fiel die Kinnlade runter und mein Gesicht nahm in Windeseile den dümmlichsten Ausdruck ever an.

„ALLE?“, kreischte ich entsetzt. Schluck!

STILLE – absolute Stille. Stille im abgedunkelten Untersuchungsraum, Stille in meinem Kopf.

„Äh.“

Langsam setzte meine Atmung wieder ein und mein Herz nahm, wenn auch etwas holprig, seine Arbeit wieder auf. Gut, dass ich schon lag, diese Hiobsbotschaft hätte mich bestimmt, und das zum allerersten Mal, direkt von den Beinen gerissen. Hatte ich einen Dusel. Oder auch nicht. Wie man’s nimmt.

Schluck!

„Äh.“ Los, denken. Du musst denken, Klara.

Irgendwie ließ mein benebeltes Hirn gerade nicht mehr als diese zwei Buchstaben zu: „Äh.“

„Herzlichen Glückwunsch, Sie bekommen Drillinge!“

Mit Gewalt riss mich dieser kleine unscheinbare Satz des Jahrhunderts aus meiner Schockstarre.

Total verdattert hob ich meine Arme und starrte sie an.

Zwei! Das sind doch nur zwei Arme! Wie kann ich denn da drei Kinder bekommen? Wie drei Babys halten? Hey, Mutter Natur, du hast da gerade einen gewaltigen Fehler begangen. Das geht nicht. Herr Doktor, sag mir nach: »Ich habe mich geirrt. Alles wird gut, es ist nur ein Baby …«

Na …? Nun sag es schon …

Dr. Thomas strahlte mich nur an.

Alter Falter, das war ja ein Hammer!

Drei … Drei … Drei … Meine Gedanken kreisten um diese, plötzlich gigantisch groß gewordene, magische Zahl.

Drei!

Langsam bekam ich meine Umwelt wieder mit.

Ups, ich bin ja schon auf dem Weg ins Büro. Mit einem Mutterpass in der Hand und einem dümmlich-entrückten Grinsen im Gesicht ging ich schon die Badstraße entlang. Wann hatte ich denn die Arztpraxis verlassen? Komisch …

Wow! Ich war schwanger. Und wie!

Hey, Leute, ich bin schwanger …

Langsam machte sich ein enorm großes Glücksgefühl in mir breit.

Schwan – ger, schwan – ger, schwan – ger. Ich hüpfte fröhlich zu diesem Worterhythmus Richtung Büro und kam hüpfend an einer Telefonzelle vorbei.

Genau, ich musste sofort anrufen. Die Welt musste es erfahren. Wen rief ich denn mal als Ersten an? Den werdenden Vater konnte ich auf der Arbeit jetzt leider nicht erreichen. Menno … echt schade. Aber bis heute Abend warten? Boa, dann würde ich platzen.

Mama! Genau, ich würde meine Mama anrufen. Die war schließlich auch schon mal schwanger, die wusste ganz genau, wie ich mich jetzt fühlte. Sie würde sich mit mir ’n Wolf freuen.

Wieso tutete es jetzt so lange?

Komm, geh endlich ran!

Oh, wenn ich diese Neuigkeit jetzt nicht gleich loswerde, explodiere ich …

Ungeduldig begann ich die Tut mitzuzählen, von einem Bein zum anderen tretend.

„Meier, hallo!“

„Mami? Ich bin schwanger, wir bekommen Nachwuchs. Und weißt du, der Hammer ist …“

„Was, oh mein Schatz, hat es endlich geklappt? Das ist ja wunderbar!“

„Der Clou kommt doch noch. Warte doch mal …“, unterbrach ich ihren Redefluss und ließ die Bombe direkt platzen: „Ich bekomme Drillinge.“

Peng! Abrupte Stille.

Die kannte ich schon, von vorhin. Bei Dr. Thomas. Aber diese Stille dauerte. Dauerte jetzt aber doch schon ein bisschen zu lange.

Mama? Nun sag doch was. Irgendwas …

Ich lauschte erwartungsvoll in den Hörer hinein, mein glückliches Lächeln verschwand nach und nach, und ganz plötzlich ergriff mich ein Gefühl von Enttäuschung.

Doch dann hörte ich endlich einen tiefen Atemzug durchs Telefon und dann den wohl unglaublichsten Satz der ganzen Welt, den mir meine Mutter entrüstet, wie aus einem Maschinengewehr abgeschossen, entgegenschmetterte: „Und das eine will ich dir mal sagen, so Ärzte erzählen viel, wenn sie Geld verdienen können. Warten wir doch erst mal ab. Das ist bestimmt nur ein Baby.“

Klick.

Entgeistert schaute ich auf den Hörer. Mom hatte aufgelegt. Einfach so, mitten im Satz. Das haute mich jetzt doch echt um. Mit dieser Reaktion hatte ich jetzt aber überhaupt nicht gerechnet.

Enttäuscht und beleidigt, rannte ich regelrecht zum Büro zurück. Mir kullerten unaufhaltsam dicke Tränen aus den Augen.

Die Büros waren leer, ach ja, es war ja schon Mittagszeit, die meisten Mitarbeiter hatten das Gebäude zur Pause verlassen. Das kam mir ganz gelegen, denn irgendwie hatte ich überhaupt keine Lust mehr, meine Knaller-Neuigkeit unter die Leute zu bringen. Meine Gefühle fuhren Achterbahn. Freute ich mich gerade, dass ich endlich schwanger war, oder hatte ich mächtig Bammel, dass es gleich ein Trio wurde? Und das komische Verhalten meiner Mama erst. Ich war mittelschwer verwirrt.

Nach und nach trafen meine KollegINNen wieder in den Büros ein und der Hammer machte doch seine Runde. Alle freuten sich, keiner hatte Bedenken, sah nur unendliches Babyglück.

Tolle Kirsche.

Die müssten ja auch nicht demnächst als Bierfass rumwatscheln und als Mega-Mengen-Mama eine Horde hungrig brüllender Windelschieter bewältigen.

Oh Mann, wo kann ich meinen Schwanger-Bauch-Inhalt reklamieren? Ich will das nicht … Ich glaub das alles nicht. Warum so viele? Warum ich?

Panik kam in mir hoch, überrollte mich regelrecht. Warum hatte mein Schutzengel das nicht verhindert?

Mein Telefon klingelte mich aus meinen trüben Gedanken, mechanisch nahm ich ab.

„Büro Fall“, meldete ich mich.

„Kind, das hab ich nicht so gemeint. Meine Reaktion tut mir so leid, entschuldige. Ich war so verdattert und entsetzt. Natürlich sind es drei Kinder und ihr werdet das ganz toll meistern. Und wir werden euch helfen und unterstützen, wie wir nur können.“

Tränen verschleierten schon wieder meinen Blick und ein Schluchzen schnürte mir die Kehle zu.

Dankbarkeit, Ergriffenheit und Erleichterung wechselten sich in einem rasanten Tempo ab.

Schnief … Schluchz …

Mom und ich unterhielten uns nur noch durch Weinen.

Und Schluchzen.

Und Lachen.

Wir verstanden uns auch so, ohne Worte.

Oh, ein Fels in der Größe des Matterhorns war mir vom Herzen gefallen. Unsere Zukunft zeigte sich wieder in rosigen Farben. Jetzt freute ich mich auf die Schwangerschaft und auf alle drei Sprossen. Und auf heute Abend, auf meinen Mann.

Der würde Augen machen.

6. Teneriffa

Endlich hatte es geklappt, ich war schwanger. Unsere Kinder waren unterwegs, ich fühlte mich supergut und hatte genug Energie, um die ganze Welt aus den Angeln zu heben.

Die ersten drei Monate der Schwangerschaft verliefen, von leichter Übelkeit am Morgen mal abgesehen, ganz ohne Probleme. Nach der gründlichen Untersuchung durch Dr. Thomas und dem Okay für eine Reise mit dem Flugzeug buchten wir für Mitte April einen Urlaub nach Teneriffa. Im dritten Monat sei das alles kein Problem, hatte mir der Arzt bestätigt und so flogen mein Mann und ich zusammen mit meinen Eltern für vierzehn Tage in den Urlaub. Bis dahin hatten wir keinerlei Ahnung von Schwangerschaftsproblemen und traten völlig unbedarft die Reise an.

Der Flug war etwas turbulent, das Hotel sehr lebhaft und in meinem Bauch – na ja, da war noch absolute Ruhe. Für Krawall war es noch viel zu früh.

Dachten wir.

Nun denn. Das Wetter spielte prima mit und wir genossen die wärmenden Sonnenstrahlen, die wir in Deutschland, trotz der fortgeschrittenen Jahreszeit, leider immer noch vermissten. Entspannte Spaziergänge am Strand, Ausflüge rund um das Gebiet des Teides und in dem weitläufigen Loro Parque mit der herrlichsten Fauna und Flora der Insel ließen uns die Zeit auf angenehmste Weise genießen.

Sehr zum Leidwesen unserer Männer standen natürlich auch Shoppingtouren (nur mal gucken) auf unserem Programm. Die Zeit verlief harmonisch und erholsam, Teneriffa gefiel uns allen sehr gut. Bis auf …

… das Meer. Es stank entsetzlich nach Fisch, mein Gott, war mir übel! Ständig. Aber besonders morgens. Rochen die anderen das denn nicht?

Natürlich nicht.

Dabei hatten mir viele Mütter erzählt, dass sich das Elend mit der Übelkeit und dem veränderten Geruchssinn nach dem dritten Monat wie von selbst erledigen würde. Nee, bei mir nicht. Da ging es bei mir erst richtig los. Und wurde auf dieser stinkenden Insel immer schlimmer.

Und überhaupt, was hatte mein Schatz denn für ein entsetzlich miefendes Rasierwasser mitgenommen? Iiihhh, pfui Deibel!

Mein Lieblingsparfüm hatte ich gleich zu Hause gelassen; entweder war das Haltbarkeitsdatum überschritten oder es war aus irgendeinem Grunde „umgeschlagen“.

„Häh, bäh!“ Muffig war kein Ausdruck.

Ja und meine Blase machte dauernd einen Aufstand; das war wirklich lästig. Es war unglaublich, aber in den vierzehn Tagen Urlaub hatte ich bestimmt die Hälfte aller öffentlichen Toiletten ganz Teneriffas aufgesucht.

Hatte sie aufsuchen müssen. Es war schon enorm, dass in der Schwangerschaft ein Tropfen Urin so viel bewirkte wie sonst 100 ml.

Eine echte Tortur stellten jedoch die Mahlzeiten im Hotel dar. Auch da sagte mir mein Geruchssinn: Es mieft hier. Natürlich hatten wir all-inclusive gebucht, also war für mich dreimal täglich Stinke-Tour angesagt.

Schon der Kaffeegeruch, der so gegen halb sieben morgens durch die Flure zog, ließ meinen Magen rebellieren. Ein grausiges Gefühl, wenn sich der nicht vorhandene Mageninhalt auf Höhe Oberkante Unterlippe befand. Es krabbelte mir ekelig die Kehle hoch.

Schluck – würg – atmen, schluck – würg – atmen … Morgendliches Fitnessprogramm für Schwangere sozusagen; prima, und ich war der Vorturner.

Beziehungsweise der Vorkotz… äh, sorry.

Während meine Familie beim Frühstück kräftig zulangte, mümmelte ich an meinem trockenen Brötchen herum. (Vielleicht überträgt sich das aufs Baby und man sieht deshalb so oft Kleinkinder trockene Brötchen essen?!)

Der zweifelnde Blick von unserem für die nächsten zwei Wochen zugeteilten Kellner sagte alles. Aber sicherlich war ich nicht die erste Verrückte, die er in seinem Berufsleben schon hatte erdulden müssen, denn er ließ mich in Ruhe mümmeln.

Und abends? Oha! Die Übelkeit wurde zum Abendessen noch schlimmer als am Tagesanfang! Eine Katastrophe! Eine echte Tortur!

Dampfende Suppen in großen Töpfen neben riesigen silbernen Servierplatten, belegt mit allerlei frischen und angemachten Salaten müffelten mir entgegen, rosa glänzendes Meeresgetier (das stank ja noch doller als das Meer!), Antipasti, Pommes, Nudeln, ein sechs Meter langes Buffet mit verschiedenen Sorten Fleisch und … für mich war nichts dabei.

Meine Unterlippe zitterte postwendend bei dem Gestank, mein Magen zog sich unangenehm zusammen und ein heftiger Würgereiz stieg mir unaufhaltsam die Kehle hinauf.

Angewidert ging ich das Buffet entlang und wollte gerade bei meinem aufmerksamen Kellner mein obligatorisches Brötchen ordern, da erblickte ich ganz hinten in einer kleinen silbernen Schüssel, versteckt hinter den Erbsen und Möhren, meine Rettung.

Ein köstlich aussehendes Kartoffelpüree zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Das könnte das Nonplusultra für die nächsten Tage werden. Das beste Festessen ever.

Aber wie sollte ich das denn, bitte schön, meinem netten Kellner begreiflich machen?

Leider sprach er kein Englisch und ich kein Spanisch. Das alleine war schon ein Problem. Mit Händen und Füßen versuchte ich ihm also, mein Anliegen zu erklären. Hilfreich mischte sich meine Familie in die Vermittlung ein und versuchte mit holperigem Denglisch, der Truppe Kellner meinem Wunsch nach täglichem Kartoffelbrei, und zwar ausschließlich Brei, für den restlichen Urlaub, begreiflich zu machen. Es traten immer mehr Kellner an unseren Tisch, um zu helfen. Gott, war mir das peinlich!

Als sich zu guter Letzt auch noch ein Koch zu uns gesellte, hatte ich definitiv den Kaffee auf.

Sensationen sind bei Touristen ja an sich sehr beliebt, da kommt man gerne näher und schaut und betrachtet und tratscht. Aber doch nicht über mich. Wie peinlich ist das denn? Das wurde mir definitiv zu viel.

Kurzerhand hob ich meinen Zeigefinger, zog mit meinem intensiven Blick die Konzentration aller auf mich und zeichnete mit beiden Händen einen schwangeren Bauch vor mir in die Luft. Dann fuhr ich mir resolut mit der Handkante quer über die Kehle und streckte zeitgleich die Zunge heraus. Das erleichterte Strahlen auf den Gesichtern um mich herum zeigte mir, man hatte mich verstanden: Schwangere Frau muss kotzen. So weit, so gut.

Nun schnappte ich mir kurzerhand den Teller meines Nachbarn am Nebentisch und deutete heftig nickend darauf, also auf den Teller. Er hatte sich genau das Richtige genommen: Kartoffelpüree. Danke, Herr Nachbar.

Dem eindeutigen, kräftigen Nicken des Koches folgte kurze Zeit später eine riesige Schüssel mit dampfendem Kartoffelbrei. Und das täglich, jeden Abend. Ich liebte diesen Koch.

Das Entrecôte-Steak, das mir unser Kellner (er verlor nie die Geduld mit mir) trotzdem jeden Tag zudachte, schob ich vehement und mit angeekelter Miene jedes Mal meinem Schatz auf den Teller. Davon bekam mein Steak-Fan nie genug und belohnte mich immer dankbar mit einem Strahlen über alle vier Backen. Mahlzeit!

Nachdem meine Probleme derart einfach gelöst werden konnten, verbrachten wir herrlich entspannte Tage auf der Sonneninsel. Die Wärme stieg stetig und bei 26° trauten wir uns endlich in den Pool, der uns vom ersten Tag an mit seinem türkisfarben schimmernden Wasser gelockt hatte.

Uiii, war das kalt! Ein Bibbern ließ meine Lippen erzittern. Meine Mama kam nur bis zur Hüfte ins Wasser und verharrte angespannt auf der Treppe. Ihre Taille wollte einfach nicht ins kalte Nass. Diese eine Stelle am Rücken kennt wohl jeder, die ganz besonders empfindlich ist und sich vehement weigert, ins Wasser zu gleiten. Aber ist man erst einmal drin, will man nicht wieder so schnell hinaus.

Wir bespritzten uns gegenseitig, juchzten und plantschen wie kleine Kinder, nachdem wir uns an die Kälte gewöhnt hatten. Bei den Temperaturen war das kühle Wasser eine willkommene Erfrischung, doch die sollte sich rächen.

Plötzlich durchfuhr mich ein scharfer Schmerz im Unterleib. Oh, nein! Bitte lass nichts mit meinen Kindern sein!, durchfuhr es mich sofort. Gekrümmt kletterte ich aus dem Pool und legte mich, nach Luft schnappend, auf die erstbeste Liege. Drei besorgte Augenpaare musterten mich erschreckt.

Mein Mann trocknete mich hilflos lächelnd ab und ich wurde schnellstens auf unser Zimmer und ins Bett verfrachtet. Zitternd und total verängstigt, lag ich unter meiner Bettdecke. Angst um meine Kinder hatte sich schon im Wasser schlagartig in mir ausgebreitet und wurde zusehends größer. Nagte schon der Mutterinstinkt an mir und machte mir ein schlechtes Gewissen? Wenn jetzt bloß nichts mit den Babys passiert war! Mir wurde ganz schlecht vor Sorge.

Mein Bauch verkrampfte sich immer mehr, mir wurde nicht warm, sondern immer kälter. Mein Mann saß nervös neben mir auf der Bettkante und streichelte verzweifelt meine Hand.

Meine Eltern standen am Fenster und unterhielten sich leise. Ich konnte nur Wortfetzen, wie „nicht besser wird“, „Arzt holen“, „Krankenwagen“ verstehen.

Oh, Gott, oh Gott, was hatte ich getan? Nein, bitte, bitte nicht!

Was war das denn? Es wurde nass und warm an meinen Oberschenkeln und ein Gang zur Toilette bestätigte mir meine schlimmste Befürchtung. Ich hatte Blutungen. Nicht sehr starke, aber immerhin Blutungen. Die Tränen schossen mir in die Augen und schluchzend warf ich mich in die Arme meines Mannes. Er streichelte mir unbeholfen über den Rücken. Mein Vater verließ fluchend das Zimmer, als meine Mutter auch noch zu weinen begann, Alles, was mit Kranksein zu tun hatte, konnte er noch nie gut ab.

Absolute Bettruhe, ich wagte mich nicht, mich zu bewegen. Diese schreckliche Stille in mir, um mich herum, sie brachte mich immer mehr ins Grübeln, obwohl sich meine Familie rührend um mich kümmerte. Aber alle Ablenkungsversuche nützten nichts. Wir hatten alle schreckliche Angst. Ich erlebte eine nie gekannte Angst. Die Angst einer Mutter um ihre Kinder. Da war wohl die grausamste auf der Welt und es sollte nicht meine letzte sein. Gott sei Dank konnte ich am nächsten Tag wider Erwarten mit in den Frühstücksraum gehen. Das Ausruhen und die Bettwärme hatten mir sehr gutgetan. Sowohl die Schmerzen als auch die Blutungen hatten schon abends zusehends nachgelassen und waren jetzt am Morgen gänzlich verschwunden. Mir ging es wieder gut und so konnten wir letztendlich unseren Urlaub ohne weitere Probleme fortsetzen und unbeschwert genießen.

Danke, Danke, Danke!

Das war noch einmal gut gegangen.

Dachte ich …

7. Schwangerschaftsbeschwerden

Wieder zu Hause angekommen, besorgte ich mir sofort einen Termin beim Gynäkologen. Ich schilderte ihm den Poolvorfall und ließ mich untersuchen.

„Hm, komisch …“ Was?

„Hm, verstehe ich nicht.“ Was denn?

Mein angespannter Blick wechselte unstet von der gerunzelten Stirn von Dr. Thomas zu der grau-weißen Pünktchenwolke auf dem Monitor.

Da! Ein kleiner Kreis, der regelmäßig pulsierte. Wupp, wupp, wupp. Rasend schnell. Ein kleines schlagendes Herzchen, prima! Die Nebel wechselten mehrmals von hell nach dunkel und wieder zurück – und da! Jetzt konnte ich noch mehr erkennen. Zwei kleine Kreise, die rasend schnell pulsierten. Zwei Herzchen. Oh, wie schön. Sie lebten noch. Meine Tränen nahmen wieder ihren gewohnten Lauf.

Nebel auf dem Monitor, hell, dunkel; der Ultraschallkopf fuhr über meinen eingegelten Bauch hin und her. Die Minuten verstrichen und der Doktor gab noch immer keinen Ton von sich. Und wo ist Baby Nummer 3?

Mein glückliches Lächeln verschwand nach und nach von meinem inzwischen enorm angespannten Gesicht.

Dr. Thomas holte tief Luft und sagte mit ernster Miene: „Ja, leider haben Sie ein Baby verloren. Das war wahrscheinlich nur möglich, weil es sich um dreieiige Föten handelte. Aber schließlich ist Mutter Natur eine ganz Schlaue. Wenn etwas mit einem Kind nicht in Ordnung ist, sondert sie es instinktiv aus. Das hört sich jetzt zwar brutal an, ist aber ganz natürlich und gleichzeitig ein notwendiger Schutz, sowohl für die anderen Kinder als auch für die Mutter.“

Ich verzog mein Gesicht. Meine ureigenste Natur, also mein Mutterinstinkt, sah das aber ganz anders:

Was war mit diesem Kind, war es krank gewesen? Hatten die beiden anderen das vielleicht auch? Oder lag es nur am kalten Wasser und ich hatte es aus Unbedacht umgebracht?

Die wildesten Gedanken schossen mir durch den Kopf. Ich hatte ein Baby verloren. Oh, wie schrecklich!

So trauerte ich um den Verlust dieses Babys und hatte wahnsinnige Angst um die zwei verbliebenen Kinder.

Zwillinge! Eine ganz neue Situation.

Mein Blick ruhte auf meinem inzwischen schon gut sichtbaren Babybauch, obwohl es erst Mitte Juni war.

Na, auch wenn es Zwillinge sind, habe ich vielleicht doch bereits ein wenig zu viel Gewicht zugelegt?, fragte ich mich ärgerlich.

Bei dreien konnte ich mich noch selbst bemogeln. Jetzt ging das nicht mehr so gut.

Zwillinge! Ich würde Mama von Zwillingen!

Ich schaute an mir herab. Zwei Arme. Zwei Kinder. Das passte. Das passte sogar sehr gut.

Langsam ließ sich mein Verstand auch auf diese Tatsache ein. Obwohl … Mein Herz würde wohl mein ganzes Leben lang um dieses verlorene Kind trauern.

Aber die Zeit nimmt dem Schmerz die Kraft und senkt ihn auf ein erträgliches Maß herab.

Es wurde Juli und wir waren in der 16. Schwangerschaftswoche.

Die Routineuntersuchungen ergaben ein klares Bild: Beide Kinder und die werdende Mutter waren wohlauf.

Es war immer ein berauschendes Gefühl, das „Alles okay“ bestätigt zu bekommen. Herz, was willst du mehr?

Langsam zeigte sich der Sommer auch in Deutschland von seiner schönsten Seite und von Übelkeit war nichts mehr vorhanden. Das Leben lief wieder in ruhigeren Bahnen. Bienen und Schmetterlinge flogen emsig im Garten von Blume zu Blume. Und auch in meinem Bauch begann es zu flattern.

Ganz leicht erst, kaum wahrnehmbar. Immer wieder blieb ich verdutzt stehen und horchte in mich hinein. Mit verklärtem Blick und einer entrückten Miene.

Da! Da war es wieder. Meine kleinen Engel bewegten sich. Das war ein so erhebendes Gefühl. Das erste zarte Lebenszeichen unserer Kinder.

Das kann nur eine werdende Mutter spüren. Mein Mann hätte sich gefreut wie ein Schneekönig. Leider musste er auf die Kindsbewegungen noch ein paar Wochen warten.

In diesem Monat kamen mein Mann und ich auf die glorreiche Idee, für ein paar Tage in den Bayerischen Wald zu fahren. Meine Eltern besuchen, die seit einer Woche mit drei befreundeten Pärchen in Zwiesel ihren Urlaub verbrachten.

Die würden Augen machen und sich sicherlich riesig freuen, wenn wir plötzlich auf der Matte standen.

Schnell war in ihrer Pension ein Zimmer für uns geordert, der Koffer für vier Tage gepackt und ab ging es auf die Autobahn.

War das ein freudiges Hallo, als wir eintrafen. Die Begrüßung endete feuchtfröhlich und erst sehr spät in der Nacht, so gegen halb drei. Alle hatten, außer mir natürlich, dem dortigen Bier ordentlich zugesprochen. Auch das eine oder andere Stamperl Schnaps machte seine Runde, schließlich musste man unseren Überraschungsbesuch gebührend feiern.

Mein Göttergatte konnte mich am nächsten Morgen sehr gut verstehen, sein Magen rebellierte so ordentlich wie meiner in den ersten vier Schwangerschaftsmonaten.

Willkommen im Club!

Es wurde ein durchgehend warmer sonniger Sommer. Die Temperaturen stiegen maximal auf 29°, trotzdem hatte ich enorme Probleme mit Wassereinlagerungen im gesamten Körper.

Über Nacht war ich fünf (!) Pfund schwerer geworden, meine Hände und Beine waren dermaßen angeschwollen, dass es richtiggehend wehtat, sie zu bewegen. Kettchen, die eigentlich halsfern waren, quetschten mir meine Gurgel zu, Ohrringe fielen mir fast von alleine aus den Ohrläppchen, da mir meine Löffel durch die enorme Wassereinlagerung prall wie Knödel vom Kopf ragten, und Ringe … Ja, meine Ringe bekam ich nur mithilfe von Spucke, Seife und einer Rohrzange von meinen hübschen Wurstfingern.

Na, tolle Wurst.

Eine Ente hatte wahrlich einen grazileren Gang, als ich ihn in Zwiesel über Nacht entwickelt hatte. Meine Quanten glichen denen von Bigfoot und so kaufte ich mir im nächstbesten Schuhladen weite Schlappen in Größe 42.

Sie waren nicht wirklich schön, na ja, fast schon hässlich, aber das einzige Schuhwerk, das sich meine Füße gefallen ließen. Und bitte schön, höchstens für eine bis zwei Stunden. Dann konnte ich auch die wieder ausziehen. (Nach der Schwangerschaft habe ich sie im hohen Bogen in den Mülleimer geschmissen.) Aber erst einmal taten sie ihren Dienst.

Und nicht nur meine Schuhe drückten, meine Hosen wurden immer enger. Eine neue mitwachsende Schwangerschaftshose hatte ich mir widerstrebend vor Monaten gekauft (der eingebaute Gummizug-Beutel sollte wohl für ein Känguru-Baby sein) und meine T-Shirts verwandelten sich nach und nach in sackartige Hängerchen, Marke: Zwei-Mann-Eigenheim-Zelt.

Alle fanden, ich sei eine strahlende werdende Mama. Die mussten allesamt blind gewesen sein. Mir kam es immer öfters so vor, als mutiere ich immer mehr zu einer kalbenden Kuh, mit genau deren Ausmaßen und deren eierndem Gang. Eine echt schlimme Zeit, denn die Hitze setzte mir immer mehr zu. Ich machte das Beste daraus, da ich schon immer eine Frohnatur war.

Alles in allem wurde es trotzdem ein schöner Kurzurlaub und eine gelungene Überraschung für meine Eltern.

Da ihr Büro ganz in der Nähe unserer Wohnung lag, besuchte uns meine Freundin Annette des Öfteren nach Dienstschluss. Sie hatte sich mit Freuden bereit erklärt, Patin unserer zukünftigen Sprossen zu werden, und so schaute sie immer wieder mal nach dem Rechten.

An einem Freitag, es muss so Mitte August gewesen sein, kam sie kurz nach Mittag wieder einmal zu Besuch, um uns überschwänglich von ihrer neuen Wohnung mitten in der Stadt zu erzählen. Sie hatte so lange suchen müssen, um endlich etwas Passendes zu finden. Nun war es endlich so weit und wir freuten uns sehr für sie.

Besorgt zählte sie uns auf, was sie alles planen, besorgen und zeitgleich erledigen müsse. Sie wisse gar nicht, wo sie anfangen solle. Sie hatte vor, alles in Kisten zu verpacken, und zwar mit System. Und alles wolle sie ordentlich beschriften, sodass man später alles schnell wiederfinden werde. Die Tapeten in der alten Wohnung müssen abgezogen, zeitgleich die neue Wohnung tapeziert werden, und das bei ihrem Vollzeitjob. Und alles ziemlich zügig, sonst müsse sie zu lange doppelte Miete zahlen. Die Ärmste hatte ein Riesenprogramm vor der Brust.

Mein Schatz und ich sahen uns an und nickten uns zu. Wir waren uns ohne Worte einig: Wir würden helfen. Mindestens zwei Zimmer würden wir in der neuen Bleibe für unsere Freundin tapezieren. Wie immer machten wir uns mit Feuereifer an unsere Aufgabe heran, das heißt, mein Mann war für den Kleister, den Quast, die Putzlappen, die Tapeten und den Tisch zuständig.

Ich stand lediglich auf der Leiter und pappte die Bahnen an die Wand.

Diese Aufteilung hatte sich schon vielfach bewährt. Denn mein Göttergatte weigerte sich jedes Mal standhaft, die Wände mit dem glibberigen Papier zu verunstalten. Das lag und liegt ihm halt nicht. („Und du meckerst hinterher ja sowieso, weil es nicht akkurat genug ist.“ „Gar nicht!“ „Wohl!“)

So machten wir uns täglich an die Arbeit, beziehungsweise an die Tapeten. Nicht nur mein gigantischer Bauch war mir dabei ständig im Weg, noch viel mehr mein Schatz. Och, langsam verlor ich die Geduld. Ewig musste ich um ihn herumwuseln. Ich meckerte, Schatzi meckerte zurück. Nicht lange, und wir stritten wie die Besenbinder.

Das war und ist bei uns ganz normal. Wir sind wirklich die friedlichsten Menschen und handwerkeln viel zusammen. Aber wir scheinen einem göttlichen Gesetz zu unterliegen: Wir beide tapezierend in einem Raum? Geht gar nicht!

Das würde tödlich enden. Besser man trennte uns vorher. Das gilt bis heute.

Im Laufe der Jahre hatten wir uns ein sicheres System angeeignet: Jeder werkelte in einem anderen Zimmer. Oder der eine kratzte in der einen Zimmerhälfte die alte Tapete ab, während der andere in der gegenüberliegenden tapeziert. So kamen wir uns nicht ins Gehege, und die Gefahr von Mord und Totschlag war gebannt.

Das funktionierte auch in Annettes neuer Wohnung. Wir rissen uns zusammen, blieben auf unseren Seiten und das Ergebnis konnte sich wirklich sehen lassen.

Annette würde sich bestimmt sehr freuen.

Im September ging es mir saugut. Ein paar Reistage und salzarme Kost halfen, meinen Gigantenkörper von dem lästigen Wasser zu befreien; meine radikale „Wasser-Diät“ vertrieb meine immer wieder aufkommende Übelkeit dauerhaft und erleichternd kam hinzu, dass die Temperaturen auf angenehme 25° zurückgingen.

Wir vier, also der werdende Vater, unsere beiden Sprossen in mir und ich, genossen diese schwangere Zeit ausgiebig. Abends gegen sieben, wenn alle Arbeit getan war, setzte ich mich oft auf unser gemütliches Sofa, lehnte mich wohlig nach hinten ins Polster und streckte meine Beine leicht angewinkelt vor mir auf dem Wohnzimmertisch aus. Das entspannte meinen Rücken und meinen Bauch.

Meistens wurde diese Entspannung dankbar mit ausgelassenem Toben in mir angenommen. Knuffe und Tritte meiner Untermieter ließen mich oft den Atem anhalten. Manchmal vor Staunen, sehr oft vor Schmerzen. Die zwei Racker hatten schon ganz ordentliche Kraft. Ob Geschwisterliebe, Konkurrenzkampf oder schlichte Lebensfreude dieses Gezappel auslöste, konnten wir nicht sagen. Meine gewölbte Bauchdecke hob und senkte sich im Sekundentakt und ihre Konturen wurden manches Mal bedenklich krumm und verbeult.