Im Spinnhaus - Kerstin Hensel - E-Book

Im Spinnhaus E-Book

Kerstin Hensel

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Beschreibung

Nicht unweit von Dresden, zwischen den Ortschaften Lauter, Neuwelt und Schwarzenberg steht ein ganz besonderes Gebäude mit drei Stockwerken und einem schiefergedeckten Spitzdach: das Spinnhaus. Errichtet um 1860, hat es vielen Menschen eine Heimat geboten, vor allem Frauen. Zu Beginn arbeiteten Spinnerinnen in ihm - »fasernhustend und traumversponnen«. Mit Anbruch des 20. Jahrhunderts kam dann seine große Zeit. Wäscherinnen zogen ein, eigensinnige und zähe Frauen, von denen keine auf die Idee gekommen wäre, die Welt der Frau sei nur der Mann. Genau im Jahr 1900 wird Im Spinnhaus die »alte Uhlig« geboren, die Tochter eines Schindelmachers und einer Strumpfstrikkerin. Stumm geht sie durch ihr Leben, wird mit 60 plötzlich schwanger und ist es mit 70 noch immer. Hier lebt Trulla, von der es heißt: »Sie dachte selten daran, daß ihr etwas fehlte.« Hier ziehen das Kaiserreich, die Nazizeit und der Sozialismus ihre tiefen Spuren. Hier wird eine jüdische Mitbürgerin umgebracht, später zieht ein Trupp vermummter Menschen vorbei, Némci, Deutsche, steht auf den Armbinden. Und hier lernt die Mühl-Susanne Herrn Nobis kennen, der aber, nachdem sozialistisch gegrüßt wird, nicht mehr das sein darf, wofür er von ihr geliebt wurde: Spirituosenfabrikant.
Kerstin Hensel erzählt in ihrer bildreichen, sinnlichen und kräftigen Sprache vom 20. Jahrhundert aus der Perspektive einer nur scheinbar kleinen Welt von Frauen, die von den großen Geschichten und dergroßen Geschichte nicht verschont wird.

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Seitenzahl: 240

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Kerstin Hensel

Im Spinnhaus

Kerstin Hensel

Im Spinnhaus

ROMAN

Luchterhand

© 2003 Luchterhand Literaturverlag, München

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Datenkonvertierung eBook:

Kreutzfeldt Electronic Publishing GmbH, Hamburg

www.kreutzfeldt.de

Alle Rechte vorbehalten. Printed in Germany

ISBN 978-3-641-01106-2

»Frau, schlag mir den Vogel im Munde tot!«

(aus einem deutschen Volksmärchen)

»Alles erfunden!«

K. H.

Der Bär

Mit dem Schnee kam der Bär nach Neuwelt.

Den Schnee brachte die letzte Novemberwoche des Jahres 2003. An einem jener Abende, der vier Uhr nachmittags beginnt, Stockdunkelheit erzeugt und zur Nacht hin heller wird. Der finstere Morgen bereitet den Menschen quälendes Erwachen.

Der Bär war aus dem Böhmischen über Crottendorf und Schwarzenberg gekommen.

Jäger konnten seine Spur zurückverfolgen, zwei Tage lang im Frischschnee. Sie führte geradewegs über die Gleise der Erzgebirgsbahn, verlor sich im Pöhlbach und tauchte östlich hinter der Podlava in der Nähe von Horni Halze im Gehölz wieder auf.

Der Bär trat aus dem Wald, schlug sich stadtwärts, sappte Straßen und Gehsteige entlang. Kein Mensch sah ihn. Tausalz fraß sich in seine Fußballen. Der Bär brummte, verfiel in Galopp. Sein Weg ging am Friedhof vorbei, Sozialamt Landrat Post, Uttmannstraße links, Schneeberger, Straße der Einheit, die aus der Stadt hinausführte zum Ortsteil Neuwelt. Der Bär lief Richtung Schule, die Lutherstraße entlang, es trieb ihn beim Steinbruch den Geringsberg hinauf.

Vor einem der geputzten Felssteinhäuschen blieb er stehen, winselte und schnorchelte. Kein Mensch hörte ihn.

Durch den Schnee in die Finsternis. Hinterm Berg lockte der Wald. Der Bär blickte sich noch einmal um. Es war ihm, als hätte ihm aus der Stadt jemand mit einer Sturmlampe nachgeleuchtet. Er witterte, vom eigenen Atem um- dunstet, die Kälte.

Gegen Morgen erreichte der Bär das Spinnhaus.

Er fand an der Rückseite eine moosige Felssteintreppe, die in die Tiefe führte, glitschig noch vom ersten Schnee. Seit Jahren hatte kein Mensch mehr diese Treppe betreten. Der Bär stieg sie nach unten. Er lehnte sich gegen die Brettertür und brach sie aus den Angeln.

Neben einem schwarzen stählernen Waschkessel legte er sich auf den Boden.

Der Bär pulte sich die Schneereste, die zwischen den stumpfen gebogenen Krallen hingen, heraus, lutschte sie auf und begann mit gebleckten Zähnen und zarten vorsichtigen Zungenbewegungen die Haut von den Fußsohlen zu ziehen und zu verspeisen. Er leckte und saugte angestrengt an seinen gehäuteten Sohlen, bis er einschlief.

Der Bär blieb sieben Wochen im Waschkeller des Spinnhauses, bevor er seine Winterruhe unterbrach und eines Nachts davonschlich. Die Spur führte deutlich zum Ort seiner Herkunft.

Das Spinnhaus

Es wurde um 1860 herum erbaut: ein dreistöckiges Gebäude mit schiefergedecktem Spitzdach. Das Fundament aus Steinen, die von den Granitmassiven des Erzgebirges geschlagen worden waren.

In der unteren Etage befand sich die Fabrik. Dutzende moderne Kämm- und Ringspinnmaschinen, Wollschläger und Klettenwölfe versprachen dem Besitzer Reichtum, etwas, das dem Leben im Erzgebirge nie zugedacht war.

An die hundert Spinner und Spinnerinnen schleppten sortierten wolften mischten schmälzten lösten wogen krempelten nitschelten und spannen Wolle Baumwolle Garn, zwölf Stunden am Tag, faserhustend, traumversponnen des Nachts.

In den oberen Stockwerken hausten sie mit ihren Familien.

Seit jener Zeit war das Haus hinter dem Geringsberg verschrien als Hort der Ausbeutung, Armut und Krankheit, der größte Elendspunkt des westlichen Erzgebirges. Der Profit sächsischer Textilindustrie ließ die Städte stark werden. Die Neuwelter Spinnfabrik war ihr nicht gewachsen. Nachdem vierzig Jahre vergangen waren, standen die Maschinen still.

Der Pleite folgte das neue Jahrhundert. Es versprach, anders zu werden.

Die Leute vernahmen es als Rumoren, das aus Gräben und Tälern drang. Oder es glimmerte unter den Schuttdecken der Berge, vielversprechend wie Edelmetall. Eberesche und Engelwurz nährten sich aus Säften des Miriquidiwaldes, wuchsen gegen die neue lichtungschlagende Zeit, behaupteten sich auf Waldwegen und Wiesen: urtümliche Rispen Dolden, knallrot bitter.

Man sagte dem Spinnhaus Unheimliches nach.

Eine Sammelstelle wurde es für wilde Tiere, Anlaufpunkt für Leute, die dem normalen Leben entsagen wollten.

Es brachte Gerüchte zustande, zumal sich die Menschen, die das Haus nach dem Bankrott der Spinnfabrik bewohnten, in erstaunlicher Vielzahl vermehrten. Es war nicht ungewöhnlich, daß eine Familie zwölf Kinder besaß, die in höchstens zwei Zimmern miteinander auskamen.

Jeder Familie im Spinnhaus war von Gott auch mindestens eine Mißgeburt zugedacht.

Sperrgusche Trulla

Mit sechzig Jahren ließ sich die alte Uhligen endlich schwängern.

Ein Wunder, daß ihr Leib noch den Saft eines Mannes hatte aufnehmen können, da sie doch seit ihrer Jugend nicht einmal richtig zu essen vermochte und nur aus Vernunft täglich ein bißchen Brot und Kompott zu sich nahm. Immer stand sie ganz schmal auf den Beinen, die Knochen von lederner Haut umgeben.

Im Dorf sagte man bei ihrem Anblick:

»Su e dirrs Geprassl.«

Geboren im November 1900 als Tochter eines Schindelmachers und einer Strumpfstrickerin, wurde sie mit Eltern und acht Geschwistern von der Gemeinde aus einer Schwarzenberger Hinterhofkammer ins Spinnhaus verfrachtet. Dort, hoffte man, würde der Teufel die Sippschaft dezimieren, denn sämtliche Mitglieder der Familie Uhlig hatten etwas Unheimliches an sich: sie waren stumm.

Es war ein Stummsein der Seele.

Weder Vater Mutter noch Kinder gaben je einen Laut von sich, der der Verständigung mit anderen diente. Sie redeten nicht, wie es die Leute sonst taten – die Uhligs pflegten nach außen hin erzene Tonlosigkeit.

Untereinander sprachen sie das Nötigste.

Uhlig-Vater schlug Jahr um Jahr Schiefer und ergraute bis ins Weiße der Augäpfel hinein. Mutter Uhligs nadelklappernde Finger krümmten sich unter Rheuma. Immer öfter lösten sich Maschen, zerdröselten die Strümpfe. Bis Mutter das Stricken aufgeben mußte.

Als Trulla, die Jüngste, zur Welt kam, konnte Uhlig-Muttern ihr Kind schon nicht mehr festhalten.

Trulla war anders.

Von Geburt an schrie sie aus kräftigem Guschel, bläkte quäkte brüllte gegen jede Familientradition an.

Als sie ein halbes Jahr alt war, starb Vater an Schieferstaublunge. Die ersten Worte, die Trulla zwei Monate später von sich gab, begleiteten Mutter ins Grab.

Trulla, genannt Sperrgusche, redete, was zehn Uhligs ihr Leben lang nicht gesprochen hatten. Unablässig sprudelten Worte aus ihr heraus. Mit großem Spaß ließ sie Töne steigen, quietschte heitere Reime, brachte Spinnhäusler und Dörfler zum Lachen.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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