Im Süden - Daniel Woodrell - E-Book

Im Süden E-Book

Daniel Woodrell

4,6
9,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
  • Herausgeber: Heyne
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2012
Beschreibung

Im Sumpf des Verbrechens – ein amerikanischer Albtraum

Nur wenigen Autoren gelingt es, einen Thrillerplot mit poetischer Eindringlichkeit zu verbinden. Daniel Woodrell ist mit seiner Bayou-Trilogie ein solches Meisterwerk geglückt. Folgen Sie ihm in die schwülen Sümpfe Louisianas. Korruption, Gewalt, Rassismus, Armut und der unbedingte Wille zum Überleben zeichnen die Welt Woodrells aus. Was an Woodrells Anatomie des amerikanischen Albtraums fasziniert, ist nicht nur die packende, sprachlich virtuose Schilderung von Kriminalität und Milieu, sondern seine Kunst, in den getriebenen Figuren, den Außenseitern und Verlierertypen, immer wieder Menschlichkeit aufblitzen zu lassen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 741

Bewertungen
4,6 (18 Bewertungen)
13
3
2
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Zum Buch

Die Bayou-Gemeinde St. Bruno, mitten in den schwülen Sümpfen Louisianas gelegen, ist der Hinterhof Amerikas: Hier florieren Verbrechen und Korruption. St. Bruno ist die Heimat der Underdogs, der Hinterwäldler und Zukurzgekommenen, für die der amerikanische Traum zum Albtraum geworden ist. Es regieren Kriminalität, Glücksspiel und geldgierige Politiker. In diesem Sumpf des Verbrechens versucht der Ex-Boxer und Cajun-Ermittler Detective Rene Shade, über die Runden zu kommen. Er ist hart – und er ist ehrlich. Kompromisslos kämpft Shade gegen Gewalt und Verbrechen, oft gegen den Willen seiner Vorgesetzten.

In Cajun Blues ermittelt Shade im Fall eines ermordeten Lokalpolitikers und stößt dabei auf einen weitreichenden Korruptionsskandal. Gegen den Willen seiner Vorgesetzten setzt er die Ermittlungen fort – und gerät immer tiefer in einen Strudel aus Intrigen, Rassismus und Gewalt.

In Der Boss versucht eine Bande ehemaliger Häftlinge, die Kontrolle über St. Bruno zu übernehmen. Nur Detective Shade leistet Widerstand. Er spielt das Spiel wie die Verbrecher – ohne jede Regel.

In John X begegnet Shade nach vielen Jahren seinem Vater wieder. John X, Ex-Spieler und Ex-Frauenheld, kehrt zurück nach St. Bruno, nachdem ihn seine junge Frau sitzengelassen hat. Ihm auf den Fersen ist ein Auftragskiller, dem John Geld schuldet. Für Rene Shade beginnt sein schwerster Fall.

Erstmals in deutscher Sprache versammelt Im Süden Daniel Woodrells große Bayou Trilogie in einem Band.

Zum Autor

Daniel Woodrell, 1953 geboren, wächst in St. Louis und Kansas City auf. Mit siebzehn verlässt er die Highschool und meldet sich bei den Marines. Nach dem College nimmt er am renommierten Iowa Writers’ Workshop teil. Sein Romandebüt Cajun Blues erscheint 1986. Für den Roman Tomato Red erhält er 1999 den Preis des amerikanischen P.E.N., im selben Jahr verfilmt Ang Lee seinen Roman Wer mit dem Teufel reitet. 2010 wird die Verfilmung von Winters Knochen beim Sundance Film Festival als bester Film ausgezeichnet, 2011 für einen Oscar nominiert. Daniel Woodrell lebt mit seiner Frau in Missouri.

Lieferbare Titel

Winters Knochen

DANIEL WOODRELL

IMSÜDEN

Die Bayou Trilogie

WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN

Die Originalausgabe The Bayou Trilogy erschien 2011 bei Mullholland Books/Little, Brown and Company, New York

Under the Bright Lights copyright © 1986 by Daniel Woodrell

Muscle for the Wing copyright © 1988 by Daniel Woodrell

The ones you do copyright © 1992 by Daniel Woodrell

Cajun Blues (Under the Bright Lights) erschien in Deutschland erstmals 1994 bei Heyne

Der Boss (Muscle for the Wing) erschien in Deutschland erstmals 1995 unter dem Titel Zoff für die Bosse bei Heyne

John X (The ones you do) erschien in Deutschland erstmals 1999 bei Rowohlt

Vollständige deutsche Taschenbuchausgabe 12/2012

Copyright © 1986, 1988, 1992 by Daniel Woodrell

Copyright © 2012 der deutschsprachigen Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Der Abdruck des Vorworts erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Frank Göhre

Redaktion: Kristof Kurz

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von © Shutterstock/Krivosheev Vitaly

Satz: Fotosatz Amann, Aichstetten

ISBN: 978-3-641-09682-3

www.heyne.de

Vorwort

Welcome to FrogtownDie Bayou Trilogie von Daniel Woodrell

Von Frank Göhre

Die Stadt liegt dicht an den Louisiana-Sümpfen, und das hier ist ein ganz spezieller Sumpf, mon ami. Es ist der Marais du Croche. Das heißt soviel wie »hinterhältiger Sumpf«. Ein riesiges, endloses schwarzes Monster, sag ich dir. Voller Untiefen und glitschiger Wesen und Sumpflöcher mit Strudeln, und überall sieht es gleich aus, sodass die meisten Leute sich gar nicht merken können, was wo ist und wie man wieder rauskommt und überhaupt. Also drehen sie total durch und sterben schließlich, mon ami, und im Frühjahr werden sie dann am Damm angespült, ein Knochen nach dem anderen.

Alles klar?

Die Stadt im Mississippidelta hat 200000 Einwohner, für die, so lesen wir, eine unangenehme Mischung aus ererbtem Stolz, selbstsüchtiger Härte und opportunistischer Ignoranz typisch ist.

Die Reichen wohnen in Hawthorne Hills, an und auf einer Hügelkette am südlichen Stadtrand, und wer von ihnen ein öffentliches Amt bekleidet, ist durch und durch korrupt.

Gleich hinterm Frechette Park am Flussufer liegt Pan Frey, ein fast ausschließlich von Schwarzen bewohntes Stadtviertel: kleine Holzhäuser, die unter der Last der hundert Jahre, die sie auf dem Buckel hatten, fast zusammenbrachen, und neuere dreistöckige Gebäude, bei denen die Hälfte der Wohnungen aber auch schon vermoderte Fensterrahmen hat.

Verfall also und somit begehrte Spekulationsobjekte.

Der Großteil der Bevölkerung ist allerdings in Frogtown zu Hause, einem dem Feuchtgebiet abgetrotzten Viertel und so genannt, weil sich hier einst die Franzosen, die Frogs, angesiedelt haben. Doch inzwischen ist die Zahl der kriminellen Deutschen, ehrgeizigen Iren und Hillbilly-Gauner ebenso groß wie die der Franzosen. Und damit nicht genug.Was die Alteingesessenen wirklich beunruhigt, ist dieser neue Zustrom illegaler Einwanderer aus Mexiko. Diese Leute verpesteten die Straßen mit dem Gestank von Paprika und verbrannten Bohnen, und sie kapierten einfach nicht, wer hier das Sagen hatte. Wenn die Einwohner von Frogtown nicht bald aus ihrem süßen Schlummer erwachten, dann würden sie demnächst feststellen müssen, dass sie am Pancho Villa Boulevard wohnten. Okay, aber so weit kommt es dann doch nicht.

St. Bruno heißt diese an dem großen, schmierigen Fluss liegende Stadt im südlichen Louisiana.

Sie ist aber auf keiner Landkarte verzeichnet. Und in den Reiseführern findet man sie erst recht nicht.

St. Bruno ist eine Fiktion.

Ein Autor aus der wohl härtesten Gegend Amerikas hat sich diesen Ort ausgedacht, in den er auf etlichen hundert Seiten seiner Bayou Trilogie abgedrehte Gangster schickt, die mit beiden Händen tief in den sagenumwobenen Geldtopf dieser Stadt greifen wollen.

Here we go!

Daniel Woodrell wuchs in den Ozarks auf, einer zerklüfteten Hochlandregion, die sich über die südliche Hälfte von Missouri und einen großen Teil des nordwestlichen und zentralen Arkansas erstreckt. Es ist Amerikas trostloser Hinterhof. Die Welt der Underdogs, der White-Trash-Familien und debilen Hinterwäldlern, die vom American Way of Life ausgeschlossen sind, hat ihn geprägt. Woodrell spricht die Sprache der Outlaws, der Verlorenen und Verdammten.

Mit siebzehn geht er zu den Marines – weniger, um dem Vaterland ehrenhaft zu dienen, scheiß drauf, vielmehr, um ordentlich Kohle zu greifen. Schotter, Asche, dicke Bündel Greenbacks, Bucks. Allzu lange muss sich Woodrell bei den Marines nicht drillen lassen. Er hat was mit Drogen laufen, hat Stress und zeigt der Armee schließlich den Mittelfinger.

Sein Ziel ist, sich als Schriftsteller zu etablieren. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Der stämmige Typ aus den Ozarks nimmt jeden ihm sich bietenden Job an, um Zeit für seine ersten Storys frei zu hauen. Letztlich kommt er nach Iowa und nimmt an einem Uni-Workshop für kreatives Schreiben teil.

Beharrlich arbeitet Woodrell an einem Roman, einem Krimi. Handlungsort Louisiana. In den Bayous: »Born on the bayou, born on the bayou, born on the bayou …«, singt John Fogerty (Creedence Clearwater Revival).

Woodrell erzählt die Geschichte von Rene Shade, Detective im fiktiven St. Bruno. Geboren und aufgewachsen als mittlerer von drei Söhnen der Billardsalon-Betreiberin Ma Blanquis. Der Vater John X, ein Glücksspieler und Frauenheld, hat sich verdrückt. Rene kennt in der Stadt ’ne Menge Leute, die meisten seit seiner Kindheit. Sein jüngerer Bruder Francois ist Rechtsanwalt und hat reich geheiratet. Shade mag ihn nicht sonderlich. Und auch seinem älteren Bruder Tip gegenüber hegt er gemischte Gefühle. Tip ist Besitzer der Catfish Bar und pflegt Umgang mit Gangstern, Dieben und deren Freunden. So zählt auch der Auftraggeber eines von auswärts angereisten Möchtegern-Killers zu seinen Gästen.

Also: Welcome to Frogtown.

Cajun Blues, der Auftakt der Bayou Trilogie, ist Daniel Woodrells literarisches Debüt. Der Roman erschien 1986, ein Jahr bevor James Lee Burke seine ebenfalls in den Bayous angesiedelten Dave-Robicheaux-Serie begann. Der Krimikritiker Martin Compart schreibt, dass einige Rezensenten Woodrell damals »als eine Art James Lee Burke ohne Abitur« bezeichnet haben. Woodrell soll darüber so wütend gewesen sein, dass er angeblich vier Jahre nichts mehr schrieb. Er wollte diese Leute nur einmal persönlich treffen »und ihnen die Scheiße aus dem Leib prügeln«.

Wenn aber überhaupt, kann er sich nach Erscheinen seines zweiten Rene-Shade-Krimis nur für einige Zeit Schreibabstinenz auferlegt haben. Der Boss wird nämlich schon 1988 veröffentlicht und setzt die Geschichte des Südstaaten-Detective fort.

Im zweiten Band verstärkt Woodrell das Beziehungsgeflecht seiner Protagonisten, erzählt mehr von ihrer Geschichte, von ihrer Jugend in Frogtown. So muss Shade erfahren, dass er während seiner Zeit als Profiboxer nicht aufgrund seiner Qualifikation an einen Titelkampf gekommen ist. Einer der ganz großen kriminellen Bosse hat dafür gesorgt und mit Shades Niederlage eine fette Börse kassiert. Nun hat es ausgerechnet dieser heimliche Herrscher über St. Bruno mit drei Ex-Knackis zu tun, die gierig und dumm sind und überhaupt alles durcheinanderbringen. In ihrer grenzenlosen Dummheit haben sie sogar einen Cop umgelegt, und Shade wird als Kollege des Getöteten auf die schießwütige Gang angesetzt.

Woodrells Dramaturgie der Geschichte erinnert stark an Elmore Leonhard in Bestform und sein grimmiger Humor an Chester Himes’ Romane mit »Coffin« Ed Johnson und »Grave Digger« Jones.

In beiden Shade-Romanen geht Woodrell von einer im Prinzip simplen Konstellation aus: Auf der einen Seite das Louisianastädtchen St. Bruno, in dem dank Hand in Hand gehender Mauscheleien und Korruption – natürlich auch bei der Polizei – alles glatt und locker läuft, und auf der anderen Seite irgendwelche dämlichen Arschlöcher, die nicht kapieren, dass man in einer von Gaunern regierten Stadt nicht noch mehr Abzocker braucht.

Im letzten Band seiner Trilogie John X aber ist es die Vergangenheit, die unheilvoll hereinbricht. Shades Vater John X taucht in seiner alten Heimat auf, seine zehnjährige Tochter Etta im Schlepptau.

Eine zehnjährige Tochter! Das muss man erst mal sacken lassen.

Immerhin ist der alte Zocker weit über sechzig, hat eine Säuferleber, knirschende und zitternde Knochen und wenn er länger als fünf Sekunden eine Billardkugel fixiert, füllen sich seine Augen mit Tränen. Er ist also praktisch im Arsch und hat sich zudem noch von Ettas Mutter siebenundvierzig Riesen klauen lassen, die er für einen echt üblen Typ sicher aufbewahren sollte. Und der ist ihm auf den Fersen.

Woodrell schaltet in diesem Roman erst einmal einen Gang runter, lässt sich viel Zeit damit, dem alten John X Kontur zu geben.

Es gibt längere poetische Passagen, Gucklöcher auf eine Jugend in St. Bruno, eine tief eingeprägte Jugend in Frogtown. Und St. Bruno – das wird in diesem Vater-Sohn-Roman besonders deutlich – steht nicht allein für eine Stadt im südlichen Louisiana. Dieses vermeintlich verschlafene Kaff ist Sinnbild des gesamten Landes in seiner Pubertät und auch Gewalttätigkeit.

Nach der Bayou Trilogie schreibt Woodrell seit nun schon zehn Jahren ausschließlich über die Menschen in den Ozarks, hart und kompromisslos.

Er ist ein Außenseiter. Doch unterkriegen lässt er sich nicht. Ein Überfall. Ein Anschlag. Das ist jeder der bislang acht Woodrell-Romane: eine Kampfansage an das Establishment, an all die Dummschwätzer und Schönredner, ein Anschlag auf Ignoranz und Mittelmaß.

CAJUN BLUES

Aus dem Amerikanischenvon Christine Strüh und Adelheid Zöfel

Für Katie, aus allen möglichen Gründen

»Man kann einen Schlacht- oder Lebensplan ausarbeiten, doch wenn die Dinge erst mal ins Rollen kommen, verläuft unter Umständen nicht alles so, wie man es geplant hat. Dann kommt es darauf an, dass man richtig reagiert und flexibel ist. Dann zeigt sich, ob man seine Hausaufgaben gemacht hat. In der Morgendämmerung kann man sich viel vormachen, doch das helle Licht der Sonne bringt es an den Tag.«

Joe Frazier

1

In seinen mitternächtlichen Träumen war Jewel Cobb schon lange ein legendärer Killer, und jetzt war er in die Stadt gekommen, um zu beweisen, dass er auch in wachem Zustand die gleichen Techniken beherrschte und genauso eiskalt sein konnte. Er hockte auf dem durchgesessenen grünen Sofa und schrammte dumpf auf der Gitarre, während er mit dem Fuß den Takt dazu klopfte.

In diesem Zimmer Musik zu machen war nicht leicht, fand Jewel. Man hatte zwar ein Dach über dem Kopf, aber es war undicht, und in allen Ecken breiteten sich große rostbraune Flecken aus. An den Wänden klebten dicke, blasenwerfende Tapetenschichten, die sich im Lauf eines Jahrhunderts angesammelt hatten. Das wackelige Ofenrohr verschwand in einem Loch in der Decke, das irgendein eifriger Versager mit plattgedrückten Bierdosen abzudichten versucht hatte. Ein Mann mit Geld würde so einen Raum gar nicht erst betreten; ein Mann, der knapp bei Kasse war, würde sich nicht lange darin aufhalten – ein Mann ohne Geld jedoch war gezwungen, darin zu hausen. Eine Weile jedenfalls.

»Suze«, rief Jewel. »Bring mir ’ne Tasse Kaffee!«

»Was?«, brüllte Suze. »Ich versteh nichts, ich bin auf dem Klo.«

Nachdem Jewel noch ein paar Akkorde geschrammt hatte, gab er den Versuch auf, der alten Gitarre einen Song abzuringen und schob sie unters Sofa. Er trug ein ärmelloses rotes Hemd, eine glänzende schwarze Hose und spitze Cowboystiefel. Auf dem nackten linken Bizeps war ein verwischtes Kreuz mit sternförmigen Spitzen in die blasse Haut tätowiert. Die langen blonden Haare waren zu einer fettigen Tolle zurückgekämmt, die schon zum Zeitpunkt seiner Geburt aus der Mode gewesen war. Jewel hatte jedoch bei seinen nächtlichen Heldentaten ein Bild von sich entworfen, bei dem die altmodische Frisur ein entscheidendes Merkmal darstellte.

Er rief noch einmal nach Suze. »Dann runter vom Klo! Und bring mir ’ne Tasse Kaffee, verstanden?«

»Eine Tasse?«

»Ja, ’ne Tasse Kaffee, verdammt noch mal!«

Vielleicht hätte er sie doch nicht mitnehmen sollen, überlegte Jewel. Dann hätte sie sich den Rest ihres Lebens in der Imbissbude vor Fettspritzern ducken können. Dafür sorgen, dass die Schweinefarmer am Samstagabend im Autokino ihren Spaß hatten, und sich dabei fragen, warum ihr Jewel Cobb durch die Lappen gegangen war. Das wäre wahrscheinlich das Richtige gewesen. Er hatte ihr die große Welt gezeigt, sie mit nach Saint Bruno genommen, einer Stadt voller Möglichkeiten – und war sie dankbar dafür?

Nicht im Geringsten. Sie lackierte lieber jeden Zehennagel in einer anderen Farbe oder zählte die Tauben unter der Brücke, statt zu lernen, wie man eine anständige Mahlzeit kocht. Viele Frauen wussten Sachen, von denen Suze keine Ahnung hatte, und vielleicht sollte er sich nicht länger mit ihrer Faulheit abfinden, sondern seinen Krempel zusammenpacken und sich woanders umsehen.

Tja, andererseits konnte er sie jetzt nicht einfach so sitzenlassen. Er war nach Saint Bruno gekommen, um sein Leben zu verändern, mit beiden Händen tief in den sagenumwobenen Geldtopf dieser Stadt zu greifen, und wenn sein Vetter Duncan ihn nicht verarscht hatte, dann war heute vermutlich der erste Abend, an dem er das süße neue Leben kosten konnte.

Jewel erhob sich und schaute aus dem Fenster hinaus auf die Voltaire Street, eine Straße mit Elektrogeschäften, Discount-Kleiderläden, einer Billardhalle namens Chalk & Stroke, einem Kautionsbüro und zwei Friseurläden, die sommerliche Haarschnitte und granitharte Dauerwellen versprachen.

»Ich lass’ den Kaffee für dich abkühlen, Jewel.« Man hörte Suzes Stimme, ehe sie selbst das Zimmer betrat. An ihrem lasziven Gang merkte man, wie sehr solche banalen physischen Tätigkeiten sie anödeten. Sie wollte den Eindruck vermitteln, dass ihr Körper für Besseres bestimmt war – womit sie auch recht hatte. Suze war immer noch anfällig für Pickel, und mehrere rosarote Make-up-Flecken markierten die jüngsten Schlachtfelder. Die schwarzen Haare fielen wirr über ihre Schultern, wobei sich die längeren Strähnen im tiefen Ausschnitt ihres geblümten Sommerkleids verfingen.

Suze stellte die Tasse auf die Sofalehne. »Die meisten Leute wollen heißen Kaffee. Aber du hast dir bestimmt mal im Suff auf ’nen Nerv gebissen oder so, weil’s bei dir genau andersrum ist.«

»Ich will ihn ja auch trinken, mein Schatz, nicht nur dran rumnuckeln. Das wär ja so, als ob mir schon die Zähne wackeln würden und ich gar nicht mehr aus dem Schaukelstuhl hochkomme.«

»Manche Leute tun sogar Eis rein. Wie in ’ne Cola.«

»Was du nicht sagst«, brummte Jewel. »Hab ich irgendwo schon mal gehört. Bei Walter Cronkite wahrscheinlich.«

Suze ließ die Schultern noch tiefer hängen als üblich. »Du sollst dich nicht über mich lustig machen«, sagte sie. »Alle machen sich lustig über mich.«

»Hmm«, knurrte Jewel, nahm die Kaffeetasse und leerte sie in einem langen Zug. Dann fiel ihm Duncan wieder ein.

»Wie spät ist es?«, fragte er.

Suze grinste ihn unschuldig an, die Hände dabei aufreizend in die Hüften gestemmt. »Noch nicht zu spät, wenn du in Form bist, Hillbilly.«

»Ich bin immer in Form«, entgegnete Jewel grinsend. Er betatschte, immer noch lächelnd, seine Frisur. »Du weißt, dass ich immer in Form bin, aber was sagt die Uhr?«

»Ungefähr Viertel nach acht.«

Jewel spähte hinaus auf die Straße. Die Häuser verdeckten die Strahlen der untergehenden Sonne, wodurch die ganze Szenerie noch düsterer wirkte.

»Dann wird’s Zeit.« Er ging zur Kommode an der gegenüberliegenden Wand, zog die oberste Schublade auf, holte ein kurzes, gefährlich aussehendes Messer mit gelb-schwarz gestreiftem Griff heraus und steckte es samt Scheide in die hintere Hosentasche. »Weißt du, was das für ein Job ist?«

»Hat sicher was mit Duncan zu tun.«

»Also, vergiss das einfach schnell wieder. Du weißt von gar nichts.«

Er durchwühlte die Schublade, bis er zwischen der Wäsche ein rotes Handtuch fand, das zu einem Ball verknotet war. Er schlug das Tuch auf, nahm eine .32er Beretta heraus und steckte sie in den Hosenbund. Er zog das Hemd aus der Hose und ließ es drüberhängen.

»Ach du Scheiße«, sagte Suze. »Ich seh schon, so ein Job ist das wieder.«

Jewel zuckte die Achseln und ging zur Tür.

»Es ist auch immer noch so ein Leben.«

Jewel sollte an der Ecke Napoleon und Voltaire Street auf Duncan warten, also ging er ins Chalk & Stroke und kaufte sich zwei Tüten Kitty-Clover-Kartoffelchips und ein Six-Pack. Wäre er vor die Wahl gestellt worden, hätte er in jedem Fall Kartoffelchips lieber gegessen als Steak, und da er diese Entscheidung nur selten treffen musste, lebte er fast ausschließlich von Kitty Clover.

Er stellte sich in eine Telefonzelle, machte eine Dose Bier auf und stopfte sich die Chips in den Mund. Inzwischen war ziemlich viel los, die Leute gingen in die Kneipen, andere wankten nach Hause, und alle wichen den jüngeren Zeitgenossen aus, die mit bloßer Brust in Satinjacken durch die Straßen schlurften und darauf warteten, dass etwas passierte, worüber sie entweder verächtlich schnauben oder sich totlachen konnten, oder dass es Ärger gab, sodass sie ihre Härte unter Beweis stellen konnten. Falls aber auf die Langeweile nur noch mehr Langeweile folgte, würden sie sich einen weichgepolsterten, glänzenden Schlitten borgen müssen, um diesem miserablen Zustand zu entfliehen.

Niemand beachtete Jewel Cobb.

Duncan war pünktlich. Er fuhr in einem langen blauen Mercury vor, der schon bessere Tage gesehen hatte, aber immer noch protzig genug war, um einen Jungen aus Willow Creek schwer zu beeindrucken.

Jewel setzte sich auf den Beifahrersitz.

»Hey, Vetter Dunc«, sagte er mit einem Kopfnicken. »Nette Karre.«

Duncan musterte seinen jüngeren Vetter geringschätzig. Der Junge war zwar so zäh wie ein Hinterwäldler nur sein konnte, hatte aber auch einen fiesen Zug an sich. Eine Warnung an alle Bullen, Mitbürger und potenziellen Opfer: Vorsicht, gleich gibt’s Ärger.

»Da hast du dir ja ein tolles Viertel ausgesucht«, meinte Duncan, als er sich wieder in der Verkehr einfädelte und die Kopfsteinpflasterstraße nach Norden fuhr. »Frogtown.«

»Die Miete ist okay.«

Duncan war Ende zwanzig, mit einem hübsch gewölbten Bierbauch und dicken, starken Armen. Sein blasses, schlaffes Gesicht strahlte etwas Behäbiges aus, was aber durch das ehrgeizige Glitzern in den grünen Augen Lügen gestraft wurde. Er war einfach gekleidet: blaues Strickhemd mit offenem Kragen, beiges Sportjackett, graue Hose. Seine weizenblonden Haare waren kurz, aber nicht zu auffällig geschnitten. Er schien sehr darauf zu achten, dass er nichts an sich hatte, wodurch er in einer Gruppe von drei oder mehr Leuten Aufmerksamkeit auf sich ziehen würde.

»Das Viertel heißt Frogtown«, erklärte Duncan, »weil sich die Franzosen da angesiedelt haben – die Frogs. In der Gegend gibt’s jede Menge Frogs.«

Jewel hatte die Chips verschlungen und sein Bier fast ausgetrunken. Er kippte den Rest der Dose hinunter, stopfte sie unter den Sitz und machte eine neue auf.

»Frogs, ja? Warum heißen die eigentlich Frogs?«

»Weiß ich auch nicht. Wahrscheinlich mögen sie Wasser und Sümpfe und so was. Keine Ahnung. Ist halt so ein Ausdruck. Wie Nigger oder Redneck.« Er erwiderte Jewels Blick. »Aber man sagt es ihnen nicht ins Gesicht. Vor allem, wenn man selber keiner ist. Also, es ist nicht so schlimm wie Nigger, aber höflich ist es auch nicht grade.«

»Hmm«, brummte Jewel. »Man lernt nie aus.«

Sie verließen das enge, belebte Viertel und kamen in einen Stadtteil, der etwas großzügiger angelegt, aber nicht weniger ungemütlich war. In östlicher Richtung konnte man jetzt den riesigen und majestätischen Fluss sehen. Wohnmobile und Stelzenhäuser drängten sich dicht am Wasser. Die beiden Männer hatten nur vier Straßenblocks zurückgelegt, aber es hätten genauso gut Meilen sein können.

»Hier sieht’s aus wie in Willow Creek, nur mit Wasser statt mit Bergen«, meinte Jewel.

»Ist aber nicht Willow Creek. Und die Leute sind auch nicht wie die daheim.«

Sie fuhren unter einer Eisenbahnbrücke hindurch. Das Tageslicht wich der Dunkelheit. Nach der Brücke begann Duncan die kleinen Feldwege zu zählen. Beim dritten bog er in Richtung Wasser ab. Auf beiden Seiten war glucksender, stinkender Sumpf. Bald tauchte ein gelber Lichtschein auf, dann ein weiteres Licht, das sich im Wasser vor einer Pier spiegelte.

»Da wären wir«, sagte Duncan. Er stellte den Motor ab, machte die Scheinwerfer aus und sah Jewel an. »Das Bier lässt du im Wagen. Pete Ledoux ist ein erwachsener Mann, der hat was gegen solche Mätzchen. Jedenfalls würd ich dafür meinen Kopf verwetten, wenn ich müsste.«

»Dann kann er mich mal.«

»Ich würd lieber unterm Scheißhaus campieren, als mich mit Pete Ledoux anlegen, Freundchen. Mach nur so weiter, Jewel. Nur weiter so.« Duncan seufzte, ein sorgenbeladener Mann. »Wenn du nicht mit mir verwandt wärst, würd ich dir jetzt ’ne Abreibung verpassen.«

»Ich brauch die Kohle, das ist alles.«

»Dann benimm dich entsprechend. Du hast hier ’ne erstklassige Chance, du Schwachkopf. Das hier ist nicht die jährliche Dorfschlägerei zwischen Willow Creek und Mountain Grove, Jewel. Wir wollen ’nen Typen kaltmachen und sein Fell an die Scheunenwand nageln. Das wird manchen Leuten nicht gefallen, kapiert? Wehe, du vermurkst das.«

»Schon gut«, sagte Jewel. Er schob trotzig den Unterkiefer vor, als wäre so etwas für ihn ein ganz alltägliches Unternehmen. »Nörgel bloß nicht an mir rum, Dunc. Du weißt genauso gut wie ich, warum ich hier bin.«

»Erklär’s mir noch mal.«

»Weil ich treffe, wenn ich schieße. Deshalb bin ich hier.«

Duncan sah Jewel an, dann grinste er stolz.

»Du bist nicht besonders clever, Jewel, aber man kann auch nicht behaupten, dass du dumm bist.« Er öffnete die Wagentür. »Also los.«

Ledoux’ Haus war ein kompaktes, winterfestes Wochenendhaus, umgeben von geschlossenen Veranden. Von der Hintertür führte ein mit Planken ausgelegter Pfad hinunter zu der gut fünfzehn Meter entfernten Pier.

Duncan klopfte.

Eine Frau mit hübschem, leicht aufgedunsenem Gesicht und wirren blonden Haaren öffnete die Tür. Die Veranda hinter ihr war vollgestopft mit Angelgerät, Milchtüten und Sportzeitschriften. Die Frau sah aus, als würde sie’s drauf anlegen, ständig enttäuscht zu werden. In der Hand hielt sie eine Bierdose. Sie musterte erst Duncan, dann Jewel.

»Na, so was«, sagte sie. »Wir kriegen hier nicht oft Besuch von Lexikon-Verkäufern.«

»Glaub ich sofort«, meinte Duncan. »Ich würd gern mit Pete sprechen.«

»Ich hätt sowieso keins gekauft, höchstens ein paar von den Bildern ausgeschnitten.« Die Frau machte eine Kopfbewegung zu dem Licht hin, das auf dem Wasser leuchtete. »Der heilige Franziskus vom Marais du Croche ist da unten und redet mit den Fischen.«

Duncan lächelte sie an. Sie war eine gutaussehende Trinkerin, mit der es rapide bergab ging. Solche Frauen waren normalerweise genau sein Typ, aber die hier gehörte Pete.

»Danke.«

»Wollt ihr ein Bier oder so?«

»Nein, danke.«

»Umso besser, wir haben sowieso keins übrig«, sagte sie und schloss die Tür.

Der Holzsteg schwankte unter ihren Schritten, als sie zur Pier gingen. Der Lichtstrahl tanzte auf dem Wasser und erhellte den morastigen, brackigen Sumpf.

»Hey, Pete«, rief Duncan. »Ich hab meinen Vetter Jewel mitgebracht!«

»Hiya«, antwortete Pete und leuchtete Jewel ins Gesicht.

Jewel versuchte, seine Augen mit der Hand zu schützen, dann wandte er das Gesicht ab.

»He, Mann! Haben Sie das von den Bullen gelernt oder was?«

Pete richtete den Lichtstrahl nun zwischen sich und Duncan.

»Ziemlich hässlicher Vogel, das Bürschchen«, meinte Pete.

Die beiden behandeln mich nicht grade mit Respekt, dachte Jewel. Er hatte sich schon mal mit zwei Männern gleichzeitig angelegt, die beide stärker gewesen waren als die hier. Damals war er in Memphis auf ’ner Sauftour mit drei Kahnführern zusammengerasselt, und er hatte es ziemlich gut überstanden, nachdem man seine Zunge wieder zusammengenäht hatte.

»Ich bin kein Bürschchen«, protestierte er und hob sein Hemd, sodass der Pistolengriff zu sehen war. »Sehen Sie das? Ist ja wohl Beweis genug, dass ich kein Bürschchen bin. Sind sogar sechs Beweise.«

Ledoux tauschte düstere Blicke mit Duncan. Dann ging er zu einem Pfosten und bediente einen Schalter, woraufhin mehrere Lampen die Pier und die Männer anstrahlten. Ledoux trat an den Rand der Pier und signalisierte seinen beiden Besuchern mit einer Handbewegung, ihm zu folgen.

»Ich muss mich um meine Katzenfische kümmern«, erklärte er. Er war eher klein, Mitte vierzig, aber immer noch beweglich und flink. Seine sonnengebräunte Haut hatte etwa die gleiche Farbe wie der Schlamm, und durch sein braunes Haar zogen sich graue Strähnen. Er ließ sich auf ein Knie nieder und griff ins Wasser. Als er wieder aufstand, zog er ein Netz mit Katzenfischen und Welsen auf die Pier. Mit einem schweren, nassen Platschen landeten die Fische auf der Holzbank unter der hellsten Lampe.

Ohne den Blick von den Fischen abzuwenden, fragte er Jewel: »Du weißt, was du zu tun hast?«

»So in etwa. Ich soll so ’nen Porno-König umlegen.«

Ledoux drehte sich langsam zu Duncan um. Als ihre Augen sich trafen, nickte er und grinste höhnisch, als würde sich gerade eine Voraussage bewahrheiten, die ihm keiner geglaubt hatte. Duncan senkte den Blick und starrte auf seine Schuhspitzen. »Der ist nicht mal der König von seinem eigenen Schwanz, Jewel. Ihm gehört der Stripschuppen, das ist alles.«

Ledoux spuckte auf den Boden, gleich neben Duncans Füße. »Was du tun sollst und was du ›so in etwa‹ weißt, ist Folgendes: Du machst ’nen Nigger kalt und lässt dich nicht erwischen. ›So in etwa‹ nicht erwischt werden hat vielleicht früher mal gereicht, anno siebenunddreißig oder so, aber die Kennedys und der alte Johnson haben uns ordentlich Scheiße in die Suppe gerührt. Mit ›so in etwa‹ kann ich nichts anfangen, kapiert, mon ami?«

»Ich bin alles mit ihm durchgegangen«, sagte Duncan. »Er ist dabei. Mehr als dabei, stimmt’s, Jewel?«

»Ich bin ein Cobb, oder?«, erwiderte Jewel mit stolzgeschwellter Brust.

Ledoux hatte die Fische aus dem Netz genommen und befestigte sie jetzt einen nach dem anderen an der Bank, indem er ihnen einen Nagel durch den Kopf trieb. Manche gaben merkwürdige Grunzgeräusche von sich, die Ledoux nachzuahmen schien. Dann ergriff er ein Messer, führte die Spitze jeweils unterhalb der Schwanzflosse ein und nahm die Fische mit behutsamen, knappen Bewegungen aus. Die Eingeweide lappten seitlich von der Bank herunter.

Ledoux blickte von seiner Arbeit auf. »Ich mag Fische«, sagte er.

Jewel nickte kurz. »Ohne Scheiß?«, murmelte er.

Duncan stieß ihn unsanft an. »Erklär ihm den Plan, Junge! Wenn’s um dich geht, kannst du ja dein Maul aufreißen, aber momentan blamierst du mich!«

Jewel reckte sich, als überlegte er, ob er sich wehren sollte, aber dann entspannte er sich wieder.

»Okay«, sagte er. Die Wirklichkeit schien seine Träume zu umarmen, und er lächelte, weil sich diese Umarmung gut anfühlte. »Klar. Hier geht’s ums Geschäft. Nur ums Geschäft.«

Ledoux beugte sich über die Fische, steckte die Hand in ihre ausgehöhlten Körper und zerrte die festsitzenden Organe heraus.

»Schon besser, mon ami«, sagte er, während er eine Handvoll Innereien in die Dunkelheit jenseits des Lichtkegels schleuderte.

»Duncan hat mir alles erklärt. Ungefähr siebenundzwanzigmal. Mindestens. Ich hab’s kapiert, Mann.«

»Ist ja eigentlich gar nicht so kompliziert«, fügte Duncan hinzu. »Zielen und peng. Er hat’s kapiert, glaub ich.«

»Sehr beruhigend«, brummte Ledoux. »Wirklich, sehr beruhigend. Damit kann ich mich dann trösten, wenn ich drüben in Jeff City einsitze. ›Zielen und peng.‹ Nur gut, dass wir uns so ’nen einfachen Mord ausgesucht haben. Ich kann dir auf Anhieb acht oder zehn Männer nennen, die’s anscheinend viel schwieriger hatten – mon Dieu, wenn die nur so viel Durchblick gehabt hätten wie du, dann würden sie jetzt nicht für den Staat Unterhosen bügeln.«

»Herrgott, Pete«, sagte Duncan mit flacher Stimme. Nur die Lippen bewegten sich. »Du brauchst hier keine Reden zu schwingen. Wenn du Probleme hast, spuck sie aus.«

»Vielen Dank«, erwiderte Ledoux, als wäre ihm gerade ein seltenes Privileg zuteilgeworden. »Ich glaub, ich hab wirklich ein paar Probleme, Richter Cobb.« Er deutete auf Jewel. »Zum Beispiel – weiß er alle Einzelheiten, weiß er genau, wie’s laufen soll?«

»Stopp«, sagte Jewel und ging auf ihn zu. »Sehen Sie sich mal die Ohren hier an, Mann. Die sind zu klein für ’nen Hund, oder? Und das heißt, ich kann selber für mich reden. Und weil Sie’s schon mal ansprechen – da ist eine Sache, die ich nicht hundertprozentig weiß.« Er tippte Ledoux mit dem Finger auf die Brust. »Wie viel genau krieg ich dafür? Duncan, also mein Vetter Dunc, der hat das mit den Zahlen nicht so ganz klargestellt.«

»Das klingt schon vernünftiger«, meinte Ledoux. »Du fängst ja gerade erst bei uns an. Fünfzehnhundert Dollar kriegst du. Das ist ungefähr zehnmal so viel wie ich gekriegt hab, als ich beschlossen habe, endlich erwachsen zu werden. Läuft alles über Micheaux Construction, kommt von den Lohnlisten der Baufirma.«

»Aber so ’ne Arbeit mach ich nicht«, erklärte Jewel. »Ich bin nicht hierhergekommen, um mich für ’ne Lohntüte abzurackern.«

»Oh Mann«, schimpfte Ledoux und tippte sich mit dem Finger an die Schläfe. »Kann der wirklich noch mehr als den Hühnern die Eier klauen?«

Duncan zuckte teilnahmslos und gelangweilt mit den Schultern. Ledoux wandte sich wieder an Jewel.

»Du. Du bist ein harter Bursche, stimmt’s, mon ami? Ich wollt nur wissen, von wegen Generationsunterschied und so, verstehst du, da wüsst ich gern – was hast du denn schon so alles gemacht?«

»Vor allem Sachen, die Sie nichts angehen.«

Ledoux nickte. Dann machte er sich wieder an den Fischen zu schaffen.

Duncan ging zu Jewel und bohrte ihm den Finger in die Rippen. Jewel entfernte sich ein paar Schritte.

»Okay«, verkündete Ledoux. »Mein Instinkt sagt mir, dass sich Streiten hier nicht lohnt. Du bist vielleicht doch der Richtige für uns, Cobb. Jeder verdient seine Chance.« Ledoux setzte sich auf ein Stück Bank, das nicht mit Blut bespritzt war. »Also, du kriegst ’ne Lohntüte, damit wir das dem Finanzamt erklären können, verstanden? Das Finanzamt ist schlimmer als der schlimmste Bulle, der dir je über den Weg gelaufen ist. Schlimmer als sechs Bullen auf einmal, sag ich dir. Wenn ich je erwischt werden sollte, dann wegen so ’nem Nazi mit ’ner Rechenmaschine, nicht wegen ’nem Iren mit Dienstmarke.«

Jewel nickte langsam. Das wusste er aus dem Fernsehen. Das Finanzamt. Al Capone – hatte den nicht die Steuerfahndung drangekriegt? Und überhaupt, die meisten schweren Jungs waren aufgeflogen, als sie anfingen, bei ihren kriminellen Machenschaften Rechenfehler zu begehen.

»Ganz schön clever«, sagte Jewel schließlich. Die komplizierten Finanztransaktionen machten diese Art des Geschäftemachens noch attraktiver für ihn.

»Ich will dir mal was sagen«, begann Ledoux. Er nahm eine Taschenlampe und leuchtete damit über den Sumpf. Der Lichtkegel erfasste schattenhafte Bäume, Treibholz, grüne Schaumwellen auf der Wasseroberfläche, gespenstische Spiegelungen. »Das da – weißt du, was das ist?«

»Ich bin neu hier«, antwortete Jewel. »Ich kenn noch nicht alle Sümpfe.«

»Das hier ist ein ganz spezieller Sumpf, mon ami. Es ist der Marais du Croche. Das heißt so viel wie hinterhältiger Sumpf. Ein riesiges, endloses schwarzes Monster, sag ich dir. Voller Untiefen und glitschigen Viechern und Sumpflöchern mit Strudeln, und überall sieht alles gleich aus, sodass die meisten Leute sich gar nicht merken können, was wo ist und wie man wieder rauskommt und überhaupt. Also drehen sie total durch. Sie drehen durch und sterben schließlich, mon ami, und im Frühjahr werden sie dann am Damm angespült, ein Knochen nach dem andern.«

»Ich war schon in andern Wäldern, auch mit großen Bäumen und schreienden Käuzchen und dem ganzen Scheiß, Mann.«

»Aber das hier ist was anderes.« Ledoux leuchtete hin und her und zeigte die ganze Bedrohlichkeit des Sumpfs, der ihm im Laufe der Zeit offenbar ans Herz gewachsen war. »Was glaubst du, wer kennt sich hier aus?«

Jewel sah Duncan an, dann Ledoux’ verwittertes Gesicht.

»Sie wahrscheinlich.«

»Très bien.« Ledoux richtete den Lichtstrahl wieder auf Jewel. »Ich und noch zwei oder drei andere Männer aus Frogtown. Sonst niemand. Wenn du da drinsteckst, können nur die dir helfen – und ich. Und die andern kennen dich nicht.«

Jewel verschränkte die Arme vor der Brust, wippte auf den Fersen und blinzelte ins Licht.

»Ich hab nicht vor, da reinzugehen.«

»Weiß ich. Solang du alles richtig machst, hab ich auch keinen Grund, dich da reinzustecken. Haben wir uns verstanden?«

Jewel nickte finster, antwortete aber nicht.

»Du machst also diesen Coon Crane kalt. In der Seventh Street. Vor dem Club. Morgen Nachmittag. Klar?«

»Wie Kloßbrühe«, erwiderte Jewel.

»Das ist unser ganz spezielles Geheimnis, richtig, Jewel?«, sagte Duncan. »Deine kleine Nutte weiß nichts davon, oder?«

»Soll das ein Witz sein oder was?«

Duncan ging auf Jewel zu und gab ihm einen kräftigen Klaps auf die Schulter.

»Dann sind wir uns ja einig. Wie wär’s? Geh doch zum Auto und hol den Rest von deinem Bier. Wir müssen das begießen.«

»Klar«, meinte Jewel und ging den Holzsteg zum Auto zurück.

Duncan und Ledoux sahen ihm nach. Als die Innenbeleuchtung des Mercury anging, stieß Ledoux Duncan an.

»Er ist dein Vetter – ist das ein Problem für dich?«

»Nein«, antwortete Duncan kopfschüttelnd. »Er ist ein Arschloch.«

Ledoux stapelte die ausgenommenen Fische aufeinander, um sie ins Haus zu tragen.

»Ausgezeichnet«, sagte er. »Wir müssen pünktlich sein, und ich glaube, der Depp ist gerade dumm genug, um abzudrücken, wenn wir’s ihm sagen.«

»In puncto Dummheit kannst du dich auf ihn verlassen«, meinte Duncan, als er Jewel den Steg herunterkommen sah. »Wenn’s ’nen Versandkatalog für Deppen gäbe, könntest du dir keinen besseren bestellen. Ich glaub, der Schwachkopf ist genau der Richtige für uns.«

2

Detective Rene Shade saß in schwarzem T-Shirt und Jeans lässig auf einem Hocker in der Ecke von Tip’s Catfish Bar und beobachtete die Gäste. Er sah Männer mit roten Gesichtern, die mit ihren Zigaretten wild in der Luft herumfuchtelten; Männer mit zusammengekniffenen Augen, die sich in die Nischen verzogen hatten, deren Köpfe beruflich bedingt zuckten und sich zur Seite neigten; grauhaarige Männer mit Fäusten, so schwielig wie alte Baumwurzeln, und mit stummen, klugen, unerschrockenen Gesichtern. Frauen fanden sich hier nur selten ein, ängstliche Männer nie.

Shades Bruder war der Besitzer dieser Bar, und auch das beschäftigte ihn. Auf der Wache hatte es für ihn schon einige peinliche Situationen gegeben, als er zugeben musste, dass Tip Shade, der die Catfish Bar schmiss und Umgang mit Gangstern, Dieben und deren Freunden pflegte, tatsächlich sein älterer Bruder war. Er hatte versucht zu erklären, dass die Bar das Zentrum des Viertels war, in dem sie aufgewachsen waren, und die Stammgäste seien zuerst und vor allem Nachbarn und erst an zweiter Stelle eine Gefahr für die Öffentlichkeit. Es lief alles auf persönlicher Basis, und da war es gar nicht so eindeutig, wo man die Grenze ziehen konnte oder überhaupt sollte. Solche Erklärungen klangen in den Ohren von Shades Vorgesetzten verdächtig nach metaphysischer Spinnerei. Zumal sein Vater John X Shade eine regionale Legende war und sich unter Menschen bewegte, die er selbst Sportfreunde nannte, die andere jedoch genauso hartnäckig als Glücksspieler bezeichneten.

Die Bar war ein grober Holzbau auf einem Hügel mit Blick über den Fluss. Eichenbalken stützten das Dach, und Fischernetze mit Korkschwimmern, ein verwirrend raffiniertes Dekorationselement, hingen zwischen den Balken herunter. Die Stühle und Tische waren aus Holz und knarzten vom ständigen Gebrauch. An den Wänden hingen Sporturkunden und Fotos von Lokalchampions, und hinter der Bar prangte ein großes Wandgemälde. Darauf war Tip in Footballmontur zu sehen, wie er gerade ansetzte, mit seinen zweihundertzwanzig Pfund einen dürren, spinnenbeinigen Halfback zu rammen; wie er einen abgefangenen Ball in der Endzone hochhielt; und wie er einen schockierten Fullback, den er an der Ein-Yard-Linie zu Fall gebracht hatte, drohend anfauchte.

Daneben hingen ein Mannschaftsbild der Saint Bruno Pirates, einer Baseballmannschaft der Regionalliga, und ein kleines Foto von Eldon Berenger, der eine Basketball-Saison in der Continental League gespielt hatte. Außerdem Konterfeis von diversen Boxern. Auf der Rückseite eines dicken Eichenpfeilers befand sich ein kleines Foto von Rene Shade, wie er, die Hände mit den Boxhandschuhen triumphierend erhoben, in den vielversprechenden Anfangstagen seiner inzwischen ausgeträumten Karriere einen Sieg feierte. Neben dem Eingang befand sich ein großes Bild von Shade, das gegen Ende jenes Abends aufgenommen worden war, an dem der Halbschwergewichtchampion Foster Broome ihn mit einer Serie linker Haken durch den Ring gejagt hatte, bis sein Gesicht aufgeplatzt und sich bis zur Unkenntlichkeit verformt hatte, als könnte es dadurch weiteren Schlägen ausweichen. Wenn Shade die Bar betrat, konnte er dieser Erinnerung an eine beinahe ruhmreiche Vergangenheit nicht entgehen, und es drehte sich ihm jedes Mal der Magen dabei um. Das Bild war typisch für Tips oft reichlich derben Humor, doch Shade brachte es nur selten fertig, sich dabei ein Lächeln abzuringen.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!