Im Zauberland der Weihnachtsbäume - Caroline von Oldenburg - E-Book

Im Zauberland der Weihnachtsbäume E-Book

Caroline von Oldenburg

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Beschreibung

Eine Weihnachtsgeschichte voller Magie Maja und Rollo werden zu ihrer Cousine Lady Venelda ins Weiße Schloss gebracht, wo sie fortan ohne ihre Eltern leben müssen. Die Erziehung im Schloss ist streng, doch Maja und Rollo begegnen Freunden aus einer anderen Welt und erleben mit ihnen gemeinsam zauberhafte Abenteuer.

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Seitenzahl: 231

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhaltsverzeichnis

KAPITEL I: Das Weisse Schloss

KAPITEL II: In den Tannenwäldern

KAPITEL III: Das geheimnisvolle Häuschen

KAPITEL IV: Der Haushalt der Feen

KAPITEL V: Die Geschichte einer Königstochter

KAPITEL VI: Die Geschichte einer Königstochter -Fortsetzung

KAPITEL VII: Eine Wendeltreppe

KAPITEL VIII: Die Eichhörnchenfamilie

KAPITEL IX: Die Vögel

KAPITEL X: Segeln durch die Luft

KAPITEL XI: Der Adlerhorst

KAPITEL XII: Eine Traumwelt voller Weihnachtsbäume

KAPITEL I:

DAS WEISSE SCHLOSS

Es war nicht ihr Zuhause. Das war leicht an den neugierigen und überraschten Blicken der beiden kleinen Gesichter im Inneren des schweren Reisewagens zu erkennen. Doch die Gesichter waren ernst, und in den Augen lag ein müder Ausdruck, denn die Reise war lang gewesen, und sie war nicht zum Vergnügen unternommen worden. Der Abend nahte und der Tag war etwas düster gewesen, aber als das Licht langsam verblasste, breitete sich ein sanftes rosa Strahlen über den Himmel aus. Sie waren eine Strecke durch ein flaches, eintöniges Land gefahren; dann, als es hügeliger wurde, verlangsamte der Kutscher seine Geschwindigkeit, und die Kinder fielen in einen träumerischen Halbschlaf.

Als der Reisewagen anhielt, um den Pferden Zeit zum Atmen zu geben, wurden die Kinder wieder wach und sahen sich um. Die Aussicht hatte sich völlig verändert. Sie befanden sich jetzt auf einer Anhöhe, denn die Straße hatte sich zwischen den Hügeln auf und ab gewunden, die ringsum eine offene Fläche umgaben – eine Art Hochtal, in dessen Mitte etwas Weißes glänzte. Doch das fiel den Kindern zunächst nicht auf. Es waren die immer höher und höher ragenden Hügel, die vom Tal bis zu den Gipfeln mit Tannen bewachsen waren, unzählbar - wie die Sterne in einer klaren, frostigen Nacht. Die Kinder sahen sie mit Überraschung und Bewunderung an. Das kleine Mädchen hielt den Atem an mit einem seltsamen Schauder der Lust, gemischt mit Ehrfurcht.

„Rollo“, sagte sie und griff nach dem Ärmel ihres Bruders, „es ist das Land der Weihnachtsbäume!“

Rollo starrte ein oder zwei Augenblicke wortlos hinaus. Dann stieß er einen Seufzer der Zustimmung aus.

„Ja, Maja“, sagte er. „Das hätte ich mir nie vorstellen können, dass es so viele Weihnachtsbäume gibt. Stell' dir mal vor, wenn auf allen diesen Weihnachtsbäumen Kerzen angezündet wären!“

Maja lächelte.

„Ich glaube nicht einmal, dass die Feen das könnten, so viele Kerzen anzuzünden“, antwortete sie.

Doch hier wurde ihr leises Reden unterbrochen. Die Kutsche stoppte. Zwei Diener, ein älterer Mann und eine junge Frau mit rosigen Gesichtern, deren Augen trotz ihres gesunden und munteren Äußeren Tränenspuren trugen, waren von ihrem offenen Sitz hinten am Heck der Kutsche abgestiegen und schauten in die Kabine.

„Master Rollo“, – „meine kleine Dame“, sagten sie: „Dort drüben ist das Schloss. Der Kutscher hat es uns gerade gezeigt. Das ist der erste Blick darauf.“

„Die weißen Wände, sie sieht man durch die Bäume schimmern“, sagte die junge Frau und deutete in die Blickrichtung, während sie sprach. „Marc kann es nicht so deutlich sehen wie ich.“

„Meine Augen sind nicht mehr, was sie einmal waren“, sagte der alte Diener entschuldigend.

„Ich sehe es“ – „und ich auch“, riefen Rollo und Maja. „Werden wir bald da sein?“

„Noch eine Stunde“, erwiderte Marc. "Die Straße windet sich“, sagt er.

„Und wir sind schon so viele, viele Stunden zusammen gefahren“, sagte Nanni, das Dienstmädchen, mit trauriger Miene.

„Hoffen wir auf ein helles Feuer und einen guten Empfang, wenn wir ankommen“, sagte der alte Marc fröhlich. „Sofern Master Rollo und Fräulein Maja nicht zu müde sind, sollten wir uns nicht beklagen“, fügte er mit leiser Stimme vorwurfsvoll an Nanni gewandt hinzu. Aber Maja hatte die Worte verstanden.

„Arme Nanni“, sagte sie freundlich. „Sei nicht so traurig. Es wird besser, wenn wir dort ankommen, und du kannst unsere Sachen auspacken und wieder alles in Ordnung bringen.“

„Und dann muss Marc uns verlassen, und wer weiß, wie sie uns in diesem fremden Land behandeln werden!“, sagte Nanni und begann wieder zu schluchzen.

Aber in diesem Moment sah sich der Kutscher um, um zu signalisieren, dass die Pferde ausgeruht waren, und wollte weiterfahren.

„Steh auf, Mädchen – schnell – steh auf“, sagte Marc. Er hob sich seine mahnenden Worte auf, bis sie wieder an ihren Plätzen und außer Hörweite ihres kleinen Herrn und ihrer kleinen Herrin waren.

Der Kutscher trieb seine Pferde an. Sie schienen zu wissen, dass sie sich ihrem Zuhause näherten, und machten sich in zügigem Tempo auf den Weg, während die Glocken an ihrem Geschirr fröhlich klingelten.

Der fröhliche Klang, die schnellere Fahrt der Kutsche hob die Stimmung der Kinder.

„Es ist ein fremdes Land“, sagte Maja und warf sich in die Kissen der Kutsche zurück, als hätte sie es satt, hinauszuschauen. "Trotzdem sehe ich nicht ein, dass wir hier in so unglücklicher Stimmung sein müssen."

„Ich auch nicht“, sagte Rollo. „Nanni ist dumm. Sie sollte es nicht ein fremdes Land nennen. Das kann es für uns nicht sein, denn es ist das Land unserer Vorfahren.“

„Aber das ist so lange her, Rollo“, widersprach Maja.

„Das spielt keine Rolle. Wir sind immer noch vom selben Blut“, sagte der Junge energisch. „Wir müssen, auch ohne zu wissen warum, den Ort lieben, an dem sie zu Hause waren – die Hügel, die Bäume – ach ja, vor allem diese wunderbaren Wälder. Sie scheinen ewig da zu sein, wie die Sterne, Maja.“

„Trotzdem finde ich sie nicht so hübsch wie Wälder mit verschiedenen Baumarten“, sagte Maja nachdenklich. „Sie sind eher seltsam als schön. Stelle dir doch vor, sie sind immer, immer da, im Winter und im Sommer, sie sehen die Sonne auf- und untergehen, fühlen den Regen fallen und die Schneeflocken auf ihre Äste herabschweben, und können sich doch nie bewegen, sich nie verändern. Ich möchte kein Baum sein.“

„Aber sie ändern sich doch“, sagte Rollo. „Sie wachsen in die Höhe und werden breiter. Immer neue Äste sprießen aus ihnen heraus. Es muss so sein, als würde man sich neue Kleider anziehen, das ist doch sehr interessant anzusehen. Denke nur, wie lustig es wäre, wenn uns unsere Kleider so anwachsen würden.“

Maja stieß ein fröhliches kleines Lachen aus.

„Ja“, sagte sie. „Als ob wir morgens aufwachen und nachsehen, ob unsere Ärmel etwas länger geworden sind oder ob unsere Zehen allmählich bedeckt sind! Ich nehme an, das ist es, wovon die Bäume sprechen.“

„Oh, sie müssen bestimmt viel zu besprechen haben“, sagte Rollo. „Denke nur daran, wie gut sie die Wolken sehen müssen, wenn sie so hoch oben stehen. Und die Sterne in der Nacht. Und dann all die Tiere, die in ihren Zweigen und unten zwischen ihren Wurzeln leben – die Vögel und die Eichhörnchen und die Feldmäuse und die –“

„Ja“, unterbrach Maja. „Du hast manchmal ziemlich gute Gedanken, Rollo. Nun denke ich, dass es gar nicht so dumm wäre, ein Baum zu sein. Die Eichhörnchen würden mir am besten gefallen. Ich liebe Eichhörnchen! Kannst du das Schloss jetzt besser sehen, Rollo? Es muss an deiner Seite sein.“

„Ich sehe es gerade überhaupt nicht“, sagte Rollo, nachdem er sich aus dem Fenster gelehnt und einige Augenblicke hinausgespäht hatte. „Vielleicht ist das Schloss jetzt auf deiner Seite, Maja.“

„Nein, ist es nicht“, sagte Maja. „Irgendwo dort drüben, unter dieser abgerundeten Hügelkuppe – wir werden das Schloss gleich wiedersehen, denke ich. Ach, sieh nur, Rollo, da kommt der Mond heraus! Ich hoffe, wir werden hier oft den Mond sehen. Es wäre so hübsch – die Bäume würden im Mondlicht nur wie schwarze Schatten aussehen. Aber was schaust du so, Rollo?“

Rollo zog den Kopf wieder herein.

„Da drüben muss jemand wohnen“, sagte er. „Ich sehe Rauch aufsteigen – du kannst ihn jetzt kaum noch sehen, das Licht wird immer schwächer, aber ich bin sicher, ich habe es gesehen. Irgendwo zwischen den Bäumen muss dort ein kleines Häuschen sein.“

„Oh wie spannend!“, rief Maja. „Wir müssen es genau herausfinden. Ich frage mich, was für Leute darin leben – Gnome oder Waldgeister vielleicht? An einem so einsamen Ort kann es doch keine echten Menschen geben.“

„Gnome und Waldgeister brauchen keine Hütten, und sie machen kein Feuer“, erwiderte Rollo.

„Woher weißt du das? Ich behaupte, dass Gnome zur Abwechslung manchmal gerne in unsere Welt kommen; und ich wage zu sagen, dass es den Waldgeistern manchmal kalt ist und sie sich gerne aufwärmen. Auf jeden Fall werde ich versuchen, dieses kleine Häuschen zu finden und zu sehen, wer darin wohnt. Ich hoffe, sie lässt uns so oft spazieren gehen, wie wir wollen, Rollo.“

„Sie?“, sagte der Junge verträumt. „Ach so, unsere Cousine! Ja, das hoffe ich auch“, aber er seufzte, während er sprach, und diesmal war der Seufzer sehr nachdenklich und traurig.

Maja schmiegte sich näher an ihren Bruder.

„Ich glaube, ich hatte es gerade ein wenig vergessen, Rollo“, sagte sie. „Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, wie ich all unsere Probleme auch nur für einen Moment vergessen konnte. Aber Vater wollte, dass wir versuchen, glücklich zu sein.“

„Ja, das weiß ich“, sagte Rollo. „Ich freue mich sehr, wenn du dich manchmal glücklicher fühlen kannst, Maja. Aber bei mir ist es anders. Ich bin so viel älter.“

„Nur zwei Jahre“, unterbrach ihn Maja.

„Nun, na ja, ich fühle mich eigentlich noch älter. Und dann muss ich mich doch um dich kümmern, bis Vater nach Hause kommt; dadurch fühle ich mich noch älter.“

„Ich wünschte, wir könnten aufeinander aufpassen“, sagte Maja. „Ich wünschte auch, wir würden allein in einem kleinen Häuschen leben, anstatt in Lady Veneldas Schloss. Wir könnten unsere Nanni bei uns haben, nur um das Feuer anzuzünden und das Abendessen zu kochen, mit Ausnahme der Cremes und des Gebäcks und der Kuchen – die würde ich selbst machen. Und sie könnte auch die Zimmer putzen und das Geschirr spülen – ich kann das Geschirrspülen nicht ertragen – und den Rest würden wir selbst erledigen, Rollo.“

„Mehr wäre nicht zu tun?“, sagte Rollo lächelnd.

„Oh doch, es würde noch mehr zu tun geben. Wir sollten eine Kuh haben, weißt du, und Hähne und Hühner! Um die sollten wir uns selbst kümmern, auch wenn Nanni sich aufregen würde. Du hast keine Ahnung, wie anstrengend es ist, die Tiere gut zu versorgen. Ich habe es letztes Jahr einmal in unserem Landhaus versucht, und meine Arme schmerzten von den schweren Futtertrögen und Wassereimern so sehr. Und dann wäre da noch der Garten: Er muss so bewirtschaftet werden, dass es das ganze Jahr über immer Erdbeeren und Rosen gibt. Wäre das nicht wunderbar, Rollo?“

„Ja, das wäre es. Aber wir zwei würden das alles sicherlich nur innerhalb des Märchenlandes schaffen können“, antwortete der Junge.

„Gut! Das wäre mir auch recht? Wenn man sich etwas wünscht, kann man sich alles wünschen.“

„Dann würde ich für meinen Teil lieber wieder in unserem eigenen Haus sein, und dass unser Vater nicht hätte fortgehen müssen“, sagte Rollo.

„Ah ja, natürlich!“, erwiderte Maja ernst; und dann verstummte sie, und der besorgte Ausdruck breitete sich wieder auf den Gesichtern beider Kinder aus.

Sie hatten vorgehabt, nachzusehen, ob das Schloss mit den weißen Mauern wieder in Sichtweite kam, aber jetzt war es fast zu dunkel, um etwas zu sehen, und sie blieben still in ihren Ecken auf den gepolsterten Bänken in der Kutsche. Plötzlich spürten sie, wie die Räder auf einen gepflasterten Weg rollten; die Kutsche fuhr langsamer, und nach einem oder zwei Augenblicken hielt die Kutsche an.

„Sind wir angekommen?“, fragte Maja beklommen. Rollo, der hinausschaute, sah, dass sie nur an einer Pforte stehen geblieben waren. Ein alter Mann, gebeugt und müde, kam aus einer efeubewachsenen Hütte, rund und hoch wie ein Leuchtturm, die aussah, als wäre es einmal ein Türmchen gewesen, das an das Hauptgebäude angebaut war. Er beeilte sich, so gut er konnte und öffnete das Tor, das rostig in seinen Angeln knarrte. Der Kutscher wechselte ein paar Worte in der Landessprache, von der die Kinder nur wenig verstanden, und dann rollte der Wagen weiter, immer noch langsam, denn die Straße stieg an, und selbst wenn es hell gewesen wäre, wäre nichts zu sehen gewesen als zwei hohe Mauern, dicht mit Kletterpflanzen bewachsen. Kurz darauf hielten sie wieder an, um ein weiteres Tor zu öffnen – diesmal ging es schneller –, dann rollten die Räder über glatteren Boden, und der Kutscher hielt vor einer Tür, und vor den Augen der Kinder blitzten weiße Wände auf.

Die Tür war bereits offen. Marc und Nanni stiegen sofort von ihrer Bank herunter, denn direkt in der erleuchteten offenen Tür stand eine Gestalt, die sie sofort als die Dame des Hauses erkannten. Diese kam zur Kutsche, um ihre jungen Verwandten zu begrüßen. Zwei alte Diener, älter als Marc und in abgetragener Livree, ließen die Stufenleiter herunter und öffneten die Wagentür. Rollo stieg aus, wartete einen Moment, um seiner Schwester beim Aussteigen zu helfen. Erst dann verbeugte er sich, Maja an seiner Hand, tief vor ihrer Cousine Venelda.

„Willkommen“, sagte diese sofort, als sie sich vorbeugte, um Maja auf die Stirn zu küssen, und gleichzeitig Rollo ihre Hand entgegenstreckte. Ihr Benehmen war förmlich, aber nicht unfreundlich. „Ihr müsst von der langen Reise müde sein“, meinte sie gleich. „Das Abendessen ist bereits im Speisesaal serviert, und dann werdet ihr euch zweifellos gerne für die Nacht zurückziehen.“

„Ja, herzlichen Dank, liebe Cousine“, sagten die beiden Kinder, und erst als sich Venelda umdrehte, um ihnen den Weg zu weisen, wagten sie es, zu ihrer Gastgeberin aufzublicken, obwohl sie noch immer geblendet waren von dem plötzlichen Licht nach der tiefen Dunkelheit draußen. Lady Venelda war weder jung noch alt, noch konnte man sich gut vorstellen, dass sie jemals anders gewesen wäre oder jemals anders sein würde, als sie war. Sie war groß und dünn, einfach gekleidet, aber mit einer würdevollen Ausstrahlung, als wäre sie es gewohnt zu befehlen. Ihr Haar war grau und von einer hohen weißen Kappe gekrönt, eine Anzahl von Schlüsseln, die an ihrem Gürtel befestigt waren, klirrten, als sie ging. Ihr Schritt war fest und entschlossen, aber nicht anmutig, und ihre Stimme war ziemlich hart und kalt, wenn auch nicht direkt unfreundlich. Ihr Gesicht war, wie Rollo und Maja es nun besser sahen, als sie sich umdrehte, um zu sehen, ob sie ihr folgten, ebenfalls blass und dünn, mit nichts Auffälligem außer einer scharf geschnittenen Adlernase und einem Paar hellblauer Augen mit einem prüfenden Blick. Trotzdem war sie im Großen und Ganzen keine Person, vor der man sich fürchten musste, entschied Rollo. Sie war vielleicht nicht sehr nachsichtig oder mitfühlend, aber ihr Gesicht und ihr allgemeiner Ausdruck hatten nichts Grausames oder Hinterlistiges.

„Ihr dürft euch dem Feuer nähern, Kinder“, sagte sie, als wäre dies ein besonderes Privileg; und Rollo und Maja, die da gestanden hatten, als wären sie unsicher, was sie als Nächstes tun sollten, näherten sich dem riesigen Kamin, wo etwas glühendes Holz vor sich hin schwelte, genug, um eine angenehme Hitze auszusenden, obwohl die knackenden Holzscheite in dem riesigen Kamin, der tief aussah und breit genug war, um einen Ochsen zu rösten, nur ein dürftiges Häufchen bildeten.

Ihre Augen wanderten neugierig durch das große Zimmer, in dem sie sich befanden. Der Raum war so groß, dass man ihn fast schon als eine Halle bezeichnen konnte. Die Wände im Raum waren, wie auch schon der lange Korridor, durch den die Kinder hier hergeführt wurden und von dem aus die meisten Zimmer des Hauses zu erreichen waren, ganz weiß gestrichen – das Einzige, was die monotone Einheitlichkeit durchbrach, war eine außerordentliche Zahl hoch aufgehängter Hirschköpfe mit Geweih in regelmäßigen Abständen. Die Wirkung war seltsam und barbarisch, aber diese Dekoration passte in dieses Schloss.

„Wie viele Hirsche muss es hier geben?“, flüsterte Maja ihrem Bruder zu. „Siehst du, sogar die Stühle sind aus ihren Geweihen gemacht.“

Sie hatte recht. Was Rollo zunächst bei den Stuhllehnen und -füßen für grob verdrehte Baumzweige gehalten hatte, waren in Wirklichkeit die Hörner verschiedener Hirscharten, und er konnte nicht umhin, sie zu bewundern, obwohl er bei sich dachte, es sei traurig, sich die Zahl von wunderschönen Geschöpfen vorzustellen, die getötet worden sein müssen, um den skurrilen Möbelgeschmack seiner Vorfahren zu befriedigen. Doch er sagte nichts, und Lady Venelda, obwohl sie die beobachtenden Augen der Kinder bemerkte, sagte auch nichts. Es war nicht ihre Art, das Gespräch mit jungen Leuten zu fördern. Sie war formell erzogen worden und glaubte fest daran, dass dies so das Beste sei.

In diesem Augenblick erklang im Hof laut eine Glocke. Bevor das Läuten aufgehört hatte, öffnete sich die Tür, und zwei Damen, beide in einem ähnlichen Alter, beide genau gleich gekleidet, traten feierlich in den Raum, gefolgt von zwei alten Herren, von denen man nicht sagen konnte, dass sie genau gleich waren. Der eine war außerordentlich groß und dünn, der andere außerordentlich klein und kräftig. Diese Herrschaften, die die Kinder später kennenlernten, waren die beiden Hofdamen von Lady Venelda sowie ihr Kaplan und ihr Arzt. Sie alle näherten sich der Lady, verbeugten sich und knicksten. Dann zogen sie sich zurück, als warteten sie darauf, dass ihre Herrin ihren Platz an dem langen Tisch einnahm, bevor sie sich setzten. Lady Venelda warf einen Blick auf die Kinder.

„Wie kommt es ...?“, begann sie, aber dann schien sie sich an etwas zu erinnern und hielt inne. „Natürlich sind sie gerade erst eingetroffen“, sagte sie nun wie zu sich selbst. Dann wandte sie sich an einen der alten Diener: „Führen Sie den jungen Herrn in seine Zimmer“, sagte sie, „damit er seine Kleidung ordnen kann, bevor er zu uns zum Abendessen kommt.“ „Und du, Delphine“, fuhr sie zu einer der alten Burgfräulein gewandt fort, die erschrocken den Kopf hob, „hast die Güte, das gleiche Amt für diese junge Dame zu erfüllen, deren Kammerzofe wird zweifellos anwesend sein. Ausnahmsweise“, fügte sie abschließend hinzu, diesmal zu den Kindern gewandt, „soll diese Mahlzeit um zehn Minuten verschoben werden. Aber nur einmal! Pünktlichkeit ist eine nicht zu überschätzende Tugend.“

Rollo und Maja sahen sich an. Dann folgten beide ihren jeweiligen Führern.

„Ist meine Cousine böse auf mich?“ Maja wagte es, schüchtern zu fragen. „Wir wussten den Beginn des Abendessens nicht – wir konnten nicht anders. Ich vermute, der Kutscher kam so schnell er konnte.“

„Perfekt, perfekt, Mademoiselle“, antwortete Delphine beruhigend. Armes Ding, sie war einmal Französin gewesen – vor langer, langer Zeit, in den Tagen ihrer Jugend, die sie beinahe vergessen hatte. Aber sie behielt noch einige französische Ausdrücke und die Angewohnheit, allem zuzustimmen, was ihr gesagt wurde, was sie für die höchste Vornehmheit hielt. „Natürlich konnte Mademoiselle nicht anders.“

„Warum ist meine Cousine dann wütend?“, fragte Maja und blickte aufmerksam mit ihren hellbraunen Augen auf.

„Mylady Venelda wütend?“, wiederholte Delphine, ziemlich verlegen darüber, wie sie ihre Treue zu ihrer Gönnerin, an der sie hingebungsvoll hing, mit Höflichkeit gegenüber Maja in Einklang bringen konnte. „Ah nein! Meine Herrin ist nie wütend. Verzeihen sie meine Worte.“

„Ach, dann habe ich mich wohl vertan“, sagte Maja, die eine philosophische Ader hatte, etwas erleichtert: „Ich nehme an, manche Leute scheinen wütend zu sein, trotzdem sie es nicht sind, bis man sie besser kennengelernt hat.“

Und dann ließ Maja Nanni eilig ihren Umhang abnehmen und ihr Haar ordnen, damit sie zum Abendessen hinuntergehen könne: „Denn ich habe schrecklichen Hunger“, sagte Maja zu Nanni, „und es ist sehr merkwürdig unten, Nanni“, fuhr sie fort. „Es ist wie etwas aus einem sehr alten Buch, wie vor Hunderten von Jahren. Ich kann jetzt gut verstehen, warum Vater uns gesagt hat, dass wir so genau sein sollen, immer „unsere liebe Cousine“ zu sagen, und solche Sachen. Ist das nicht komisch, Nanni?“

Nannis Stimmung schien sich verbessert zu haben.

„Es ist sicherlich nicht wie zu Hause, Miss Maja“, erwiderte sie. „Aber ich wage zu behaupten, dass wir ziemlich gut angekommen sind. Sie scheinen sehr nett und freundlich unten in der Küche zu sein, und es gibt ein sehr schönes Abendessen, das vorbereitet wurde. Und außerdem bin ich nie jemand, der das Schlimmste aus den Dingen macht, was auch immer dieser mürrische alte Marc sagen mag.“

Maja war bereits auf dem Weg zu gehen. Sie blieb nur einen Moment stehen, um sich im Zimmer umzusehen. Es war groß, aber etwas spärlich eingerichtet. Die Wände weiß wie der Rest des Hauses, der Boden poliert wie ein Spiegel. Majas kleines Bett ohne Vorhang in einer Ecke sah unverhältnismäßig klein aus. Das Kind erschauerte ein wenig.

„In diesem großen kahlen Raum ist es sehr kalt“, sagte sie. „Ich hoffe, du und Rollo seid nicht weit weg.“

„Für Master Rollo weiß ich es nicht“, erwiderte Nanni. „Aber das ist mein Zimmer“, und sie öffnete eine Tür, die in eine kleine Kammer führte, die ordentlich, aber schlicht eingerichtet war.

„Oh, das ist sehr schön“, sagte Maja anerkennend. „Wenn Rollos Zimmer nicht weit entfernt ist, werden wir uns überhaupt nicht einsam fühlen.“

Ihre Zweifel wurden bald beseitigt, denn als sie die Tür öffnete, erschien Rollo, als er aus einem Zimmer auf der anderen Seite des Korridors kam.

„Oh, das ist dein Zimmer“, sagte Maja. „Ich habe nicht gesehen, wohin du gegangen bist. Ich habe mit Mademoiselle Delphine gesprochen. Ich bin so froh, dass du so nah bist, Rollo.“

„Ja“, sagte Rollo. „Diese großen kahlen Zimmer sind nicht wie unsere Zimmer zu Hause. Ich hätte mich ziemlich einsam gefühlt, wenn ich ganz am anderen Ende des Hauses gewesen wäre.“

Dann nahmen sie einander an der Hand und gingen langsam die weiße Steintreppe ohne Teppich hinunter.

„Rollo“, sagte Maja und nickte vielsagend mit dem Kopf in Richtung Speisesaal, „glaubst du, sie wird uns gefallen? Glaubst du, sie wird nett zu uns sein?“

Rollo zögerte.

„Ich denke, sie wird nett sein. Vater sagte, sie würde es sein. Aber ich glaube nicht, dass sie sich um Kinder kümmert, und wir müssen sehr leise sein und möglichst nicht weiter auffallen.“

„Das Beste sind lange Spaziergänge im Wald“, sagte Maja.

„Ja, wenn sie uns lässt“, erwiderte Rollo zweifelnd.

„Nun, ich werde dir sagen, wie es geht. Wir werden ihr zeigen, dass wir furchtbar brav und vernünftig sind, und dann wird sie keine Angst haben, uns alleine gehen zu lassen. O Rollo, diese herrlichen Weihnachtsbaumwälder! Uns wird niemals langweilig werden, wenn wir nur im Wald herumgehen dürfen!“

„Nun, dann wollen wir es versuchen, wie du gesagt hast: Zu zeigen, wie gut und vernünftig wir sind“, sagte Rollo.

Und mit diesem weisen Entschluss gingen die beiden Kinder zum Abendessen hinein.

KAPITEL II:

IN DEN TANNENWÄLDERN

Das Abendessen war eine förmliche und prächtige Angelegenheit. Die Kinder wurden auf jeder Seite ihrer Cousine platziert und sie half ihnen bei der Auswahl der Gerichte, die sie für geeignet hielt, ohne sie zu fragen, was sie mochten. Aber sie waren keine verwöhnten Kinder, und sie waren auch zu Hause mehr Strenge gewöhnt, als es heutzutage der Fall ist, meine lieben Kinder. Denn das waren noch die Zeiten, in denen kleine Leute (Kinder) gesehen, aber nicht gehört werden sollten, die nur antworten durften, wenn sie angesprochen wurden, und nicht anders. So waren Rollo und Maja nicht übermäßig niedergeschlagen darüber, wie Cousine Venelda sie behandelte, zumal es für ihre wachen Augen viel Vergnügen bereitete, die sonderbaren, pompösen Manieren von Lady Veneldas Dienern zu beobachten, um sie später gemeinsam zu besprechen. Der Tisch war mit seltsamem und kuriosem Porzellan und Silber gedeckt, und sogar über das Essen staunten die Kinder. Obwohl gut, war vieles davon völlig unbekannt und neu für sie.

Hin und wieder richtete ihre Gastgeberin ein paar Worte an sie und fragte über ihre Reise, den Gesundheitszustand ihres Vaters, als sie ihn verlassen hatten, und dergleichen, worauf Rollo und Maja mit großem Anstand antworteten. Lady Venelda schien erfreut.

„Sie sind gut erzogen worden, wie ich sehe. Meine Cousine hat sie nicht vernachlässigt“, sagte Lady Venelda mit leiser Stimme, als spräche sie zu sich selbst, was eine Angewohnheit von ihr war. Rollo und Maja zwinkerten sich zu, und jeder verstand so gut, als hätte der andere es laut gesagt: 'Es läuft gut! Wenn wir so weitermachen, werden wir bald die Erlaubnis bekommen, allein herumzuwandern.'

Nach dem Abendessen forderte Lady Venelda die Kinder auf, ihr in das zu folgen, was sie ihr Ruhezimmer nannte. Dies war ein ziemlich hübscher Raum am äußersten Ende der langen weißen Galerie, aber anders als der Teil des Schlosses, den die Kinder bereits gesehen hatten. Die Wände waren nicht weiß, sondern mit Wandteppichen behangen, was ihm ein viel wärmeres und gemütlicheres Aussehen verlieh. Aber auch hier wurde man Reh und Hirsch nicht los, denn der Wandteppich rund um das Zimmer stellte eine Jagdszene dar, und es brachte Maja fast zum Weinen, als sie ihn später bei Tageslicht betrachtete: Sie sah arme gehetzte Tiere, verfolgt von grausamen Hunden und den Reitern, die ihre Pferde peitschen und offensichtlich den Hunden etwas zuriefen, um sie anzutreiben. Es war ein seltsames Motiv für das Boudoir einer Dame, aber Lady Veneldas Geschmack wurde von nur einer Regel geleitet – dem tiefsten Respekt und der Verehrung für ihre Vorfahren, und weil sie es für richtig gehalten hatten, den schönsten Raum im Schloss so zu schmücken, wäre es der Lady nie eingefallen, die Ausstattung der Räume zu ändern.

Sie setzte sich auf eine Couch mit Geweihstangen als Armlehnen unter einem der Fenster, die tagsüber einen wunderschönen Blick auf die dichten Wälder boten, jetzt aber von ziemlich abgenutzten Vorhängen in verblichenem Blau verdeckt waren, und das einzige Licht im Raum kam von einer seltsam geformten Öllampe, die von der Decke hing, die nur hier und da Teile des Wandteppichs beleuchtete und viel zu schwach war, um es möglich zu machen, zu lesen oder zu arbeiten. Aber es war nicht viel Zeit, die die Schlossherrin in ihrer Kemenate verbrachte, und selten fand sie Muße zum Lesen, denn sie war eine sehr beschäftigte und praktische Person, die ihren großen Besitz ganz für sich selbst verwaltete und sich nur wenig um die Vergnügungen oder Beschäftigungen, an denen die meisten Damen Gefallen finden, kümmerte. Sie winkte den Kindern, zu ihr zu kommen.

„Ihr seid müde, denke ich“, sagte sie gnädig. „Ich erinnere mich, dass in etwa eurem Alter der edle Graf, mein Vater, mich einmal auf eine zwei- oder dreitägige Reise mitnahm, und als ich an meinem Ziel ankam, schlief ich zwölf Stunden, ohne aufzuwachen.“

„Oh, aber so lange brauchen wir nicht zu schlafen“, sagten Rollo und Maja zugleich. „Wir werden morgen früh ganz ausgeruht sein“, worüber Lady Venelda sichtlich erfreut lächelte.

„Das ist gut“, sagte sie. „Dann werde ich euch gleich mitteilen, wie ich eure Zeit einzuteilen gedenke, obwohl ich beabsichtigt hatte, euch morgen nicht vor acht Uhr zu wecken. Um wie viel Uhr stehst du zu Hause auf?“

„Um sieben, liebe Cousine“, sagte Rollo.

„Das ist nicht sehr früh“, antwortete Lady Venelda. „Da ihr aber nur für eine gewisse Zeit meiner Obhut anvertraut seid, kann ich nicht alles so regeln, wie ich es mir wünschen würde.“

“Wir würden gerne früher aufstehen“, sagte Maja hastig. “Vielleicht nicht morgen“, fügte sie hinzu.

„Ich werde euch zuerst meine Wünsche mitteilen“, sagte Lady Venelda streng. „Um acht Uhr werden dem Haushalt in der Kapelle Gebete vorgelesen. Ihr werdet zu diesem Zeitpunkt bereits eine leichte Erfrischung zu euch genommen haben. Um neun erhaltet ihr eine Stunde Unterricht von Mademoiselle Delphine. Um zehn wird der Kaplan für zwei Stunden ihren Platz einnehmen. Um zwölf dürft ihr eine halbe Stunde auf dem Gelände um das Haus spazieren gehen. Um eins essen wir. Um zwei habt ihr noch eine Stunde bei Mademoiselle Delphine. Von drei bis fünf könnt ihr mit einer Begleitung spazieren gehen. Abendessen ist um acht; und während des Abends könnt ihr eure Hausaufgaben für den nächsten Tag machen.“

Rollo und Maja sahen sich an. Es war nicht so sehr schlimm, was sie gehört hatten. Dennoch klang es ziemlich streng. Rollo fasste Mut.

„Wenn wir früher aufstehen und unsere Aufgaben erledigen, dürfen wir dann manchmal länger draußen bleiben?“, fragte er.

„Manchmal – wenn das Wetter sehr schön ist und du sehr fleißig warst“, erwiderte seine Cousine.