Im Zentrum des Bösen - Charlotte Dittrich - E-Book

Im Zentrum des Bösen E-Book

Charlotte Dittrich

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  • Herausgeber: Buch&media
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2023
Beschreibung

Es hätte alles so schön kommen können … Nach ihrem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst wollte sich Ex-Hauptkommissarin Anne Thoms eine gemütliche Umgebung schaffen: das neue Zuhause einrichten, mitarbeiten als Teilhaberin des »Antikhofs« und sich fit halten. Auf einem ihrer Joggingausflüge trifft Anne Ruth von Barstein, die ihr eine Bekannte vorstellt: Carina Hütter. Einen Tag später wird ihr Auto gefunden – mit Blutspuren. Ihr Spürsinn zwingt Anne, Carina Hütters Vergangenheit wieder aufzurollen. Denn die Frau scheint zwei Identitäten zu haben – und eine davon wird seit dreißig Jahren vermisst ... Wer also ist diese Carina Hütter, die Anne kennengelernt hat? Wer hat es auf die Frau abgesehen? Und wer schleicht des Nachts um Annes Haus?

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Seitenzahl: 158

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CHARLOTTE DITTRICH, geboren 1954, ist Schwäbin mit Herz und Verstand. Sie folgt seit Jahren ihrer Leidenschaft, Bücher zu schreiben – »Im Zentrum des Bösen« ist ihr zweiter Kriminalroman und bereits ihre fünfte Veröffentlichung insgesamt. Bei buch&media sind von der Autorin außerdem der Roman »Susanne und die Gezeiten des Lebens« (2014) sowie der Krimi »Komm schon, böser Wolf« (2020) erschienen.

Diese Handlungen und Personen sind frei erfunden.Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sindrein zufällig und nicht beabsichtigt.

Originalausgabe Dezember 2022© 2022 Charlotte Dittrich© 2022 Buch&media GmbH, MünchenSatz und Umschlaggestaltung: Mona KönigbauerKorrektorat: Dirk PeschlUmschlagmotiv: © ByeByeSSTK, shutterstock.comGesetzt aus der Adobe Garamond Pro und der Futura StdPrinted in Germany

ISBN print 978-3-95780-286-6ISBN epub 978-3-95780-287-3ISBN pdf 978-3-95780-288-0

Weitere Publikationen aus unserem Programm finden Sie aufwww.buchmedia-publishing.deKontakt und Bestellungen unter [email protected]

1. KAPITEL

Locker angelehnt an der Hauswand genoss er die Sekunden des Unentdecktseins.

Alles hier war ihm bekannt. Das Haus, die alte Garage, die angrenzenden Wiesen. Die Sackgasse, die eine Weiterfahrt für Privatmenschen unmöglich machte und vor Martha Ringers Haus mit einem Schlagbaum endete. Und schließlich der Fußweg nach dem Schlagbaum, der um die Burg herum zum Ortskern von Barsteinhausen führte. In der Ferne der Lidl-Neubau und natürlich die Kirche, die mitten im Dorf lag. Es hatte sich nichts verändert bis auf den Holzstapel vor der aufgerissenen Terrasse hier im Garten. Sogar der Rasen war wieder gelb statt grün, wie damals. Unmengen dreckiger Betonklötze und dazwischen Anne.

Fast wehmütig wurde ihm die Vertrautheit von damals bewusst und wie sehr er diese mädchenhafte Gestalt vermisst hatte. Die Gespräche, die Diskussionen, manchmal auch ein Streit und dann die gemeinsame Zigarette. Aber sie hatten doch immer ein gemeinsames Ziel vor Augen gehabt, die Lösung eines aktuellen Falls. Keiner seiner nachfolgenden Partner konnte ihrem Instinkt das Wasser reichen, ihrem untrüglichen Gefühl, das ihn manchmal zur Weißglut brachte. Aber er musste neidlos zugeben, dass sie am Ende meistens recht behielt.

Ihre Haare waren kürzer als damals. Sie erschien ihm dünner in ihrer Latzhose, unter der sie nur ein Sonnentop trug.

Und es war wieder heiß wie damals in dem Sommer, als hier der Mord geschehen war, der sie letztendlich in diese kleine Ortschaft geführt hatte. Der Sommer, der doch einige Leben verändert hatte.

Sein eigenes, denn seine Frau lebte jetzt mit ihrem Tanzlehrer in Argentinien. Und nachdem er es nicht geschafft hatte, sie zum Bleiben zu bewegen, musste auch er sein Leben radikal ändern. Schon wegen seiner zwei Kinder und seiner Eltern, die kurzerhand zu ihm zogen. Es ging nicht anders, schon wegen seiner Arbeit. Der Vorteil war die Kinderbetreuung rund um die Uhr, der Nachteil waren die Einschränkungen seitens der Eltern, die langsam auch seine beiden Töchter zu spüren bekamen. Seine Eltern nahmen manchmal das Wort Aufsicht zu genau. Er definierte es so. Einmal Kind, immer Kind.

Auch die Leben der Freundinnen des Opfers Elvira Hoff waren nicht mehr dieselben:

Regina Greenwood lebte wieder in Amerika bei Mann und Kindern, aber mit einer Behinderung am Bein, die von dem schicksalhaften Unfall zurückgeblieben war.

Ruth von Barstein, die durch das beherzte Eingreifen von Martha Ringer dem sicheren Tod entgangen war, arbeitete jetzt beim Deutschen Sportbund als Behindertenbeauftragte. Dann der völlig überraschende Unfalltod von Martha Ringer in Amerika.

Anne hatte geerbt und sich von ihrem Mann getrennt. Schließlich erfuhr Rolf von ihrem ehemaligen und jetzt wieder aktuellen Chef Kurt Manger, was beruflich aus Anne geworden war. Sein Chef und Rolf waren zurück in Tübingen, aber Anne arbeitete nicht mehr bei der Mordkommission. Sie war ausgestiegen aus dem aktiven Dienst und unterrichtete an der Hochschule. Hielt jetzt Vorträge in Kriminalistik und lehrte mal in Böblingen, Freiburg, Villingen-Schwenningen. Eben da, wo man sie gerade anforderte.

Kurt sagte noch: »Fahr mal hin. Der Fund sollte sie interessieren.«

Jetzt stand er hier und sah zu, wie sie mit dem Schleifgerät kämpfte und nichts wahrnahm um sich herum. Ihm wurde heiß, und das kam nicht allein von der Sonne. Da alles Rufen und Winken nicht fruchtete, atmete er tief durch, ging zur Steckdose an der Terrassentüre und zog den Stecker.

Durch ihre Schutzbrille hatte sie ein eingeschränktes Sichtfeld. Amüsiert beobachtete er, wie sie verblüfft zuerst ihr Schleifgerät hochhob und anschaute, dann nach dem Kabel sah und daran zog und sich schließlich umdrehte. Sie riss sich die Brille von den Augen und wollte auf ihn zustürmen.

Er hob in einer Abwehrhaltung seine Arme hoch.

»Halt! Wir haben das karierte Hemd gefunden. Nicht näherkommen.«

Annes Blick war ungläubig bis verwirrt, bevor der Groschen bei ihr fiel. »Nein! Elviras Mann? Der Goldketten-Mann in den karierten Hemden. Wo?«

»Drei Höfe vor ihrem eigenen. Nicht beim Lidl. Sonst hätte man ihn ja gefunden.«

»Wie hat sie den denn versteckt, dass wir ihn nicht gefunden haben?«

»Riechst du es nicht? In der Güllegrube«, lachte Rolf. »Da Elvira ja auch angegeben hatte, er sei mit ihrem Geld abgehauen, hatte man die Suche wahrscheinlich eingegrenzt.«

»Oje. Scheiße.«

»Ja eben. Das ganze Team muss jetzt erst mal nach Hause zum Duschen, und die Pathologie tut mir jetzt schon leid. Ich dachte nur, du solltest es wissen.«

»Das ist lieb von dir und ich hätte dich jetzt wirklich gerne in den Arm genommen, aber …« Anne musste niesen und hielt sich danach die Nase zu.

Rolf grinste. »Ich würde sagen, ich geh nach Hause und dusche ausgiebig. Und morgen, wenn wir unten fertig sind, komm ich noch mal vorbei.«

»Ja genau, dann umarme ich dich zweimal. Kriegst auch ein Radler.«

»Da freu ich mich schon drauf.«

»Aufs Radler?« Anne zwinkerte.

»Auch.«

Anne rieb sich den Staub von den Armen und zog sich ihre Laufkleidung an. Sie lächelte vor sich hin. Es hatte sie gefreut, Rolf wiederzusehen. Weniger glücklich war sie über den Umstand, dass die Handwerker nicht erschienen waren, aber auch nicht abgesagt hatten.

»Drei Tage. In drei Tagen steht Ihre Pergola.«

Genau, dachte sie. Der erste Tag ist schon vorbei.

Sie zog die Haustüre zu, schloss ab und war nach wenigen Metern im Wald verschwunden.

Es war jetzt nach siebzehn Uhr schon angenehmer zu laufen, auch weil die Strecke im Schatten lag. Immer noch wütend über die verlorene Zeit, nahm Anne aus dieser Wut heraus den steileren Anstieg hinauf zur Burg. Sie rannte über teilweise unbefestigte Wege und wenig begangene Trampelpfade, wo man seinen Gedanken freien Lauf lassen konnte. Wo man nicht ständig irgendwelchen Mountainbikern oder Nordic-Walking-Menschen ausweichen musste.

Umso mehr erschrak sie, als plötzlich ein Mann, ganz in Schwarz gekleidet, quasi aus dem Gebüsch fiel und sie ihm in den Rücken prallte.

»Verdammt!«, schrie er sie an. »Dieser Weg ist für Unbefugte verboten! Er soll die Tiere schützen!«

»Dann gilt das Gleiche auch für Sie«, gab Anne ungehalten zurück. »Oder sind Sie Forstbeamter oder Tierschützer? Dann weisen Sie sich aus!«

Wütend drehte er sich ab, um seinen Weg quer durch den Wald fortzusetzen.

»Arschloch!«, sagte Anne laut vor sich hin.

Atemlos erreichte sie nach kurzer Zeit den Wasserturm unterhalb der Burg, wo sie auf die drei »Bunten Damen« traf, wie sie das Trio heimlich nannte. Behäbig klapperten sie den Weg hinauf zum Burghof, um immer wieder zwischendurch anzuhalten und, auf ihre Stöcke gestützt, ein Schwätzchen zu halten.

»Hallo die Damen«, grüßte Anne lächelnd.

Sie bekam ein dreifaches »Hallo« in drei unterschiedlichen Stimmlagen zurück. Anne schüttelte ihren Kopf. Alle Stirnbänder, die wahrscheinlich den Schweiß abhalten sollten, waren neonfarben. Nie im Leben würde ihre Mutter so etwas anziehen. Nun gut, aber ihre Mutter würde auch nie mit Freundinnen durch den Wald laufen.

Oben auf dem Burghof sah sie Ruth von Barstein angeregt im Gespräch mit einer unbekannten Frau. Anne stemmte die Hände gegen die Burgmauer und dehnte abwechselnd ihre Waden. Normalerweise hätte sie jetzt ein paar Worte mit Frau von Barstein gewechselt, aber sie wollte nicht stören. Das Stöcke-Trio traf ebenfalls auf dem Burghof ein, kurzatmig und dennoch lebhaft über die Gestaltung ihres Aufenthaltes hier oben diskutierend. Mit oder ohne Kaffeegenuss? Schicksalhafte Frage.

Anne lachte in sich hinein. Sie wollte gerade aufbrechen und zurücklaufen, da hörte sie ihren Namen und drehte sich um.

»Haben Sie eine Minute?«, rief Ruth von Barstein. Sie wies auf die Frau neben ihr, während Anne näherkam. »Darf ich vorstellen: Das ist Carina Hütter. Sie überprüft gerade, ob das Gelände geeignet wäre für einen Kletterpark. So eine Art Erlebnispark wie bei der Burg Liechtenstein. Die Gemeinde wäre auch dabei.«

Anne sah kurz auf die Aufschrift des Autos. Irgendeine Firma aus Stuttgart. Carina Hütter schien ein bisschen älter als sie selbst zu sein. Sie war durchtrainiert und sonnengebräunt, hatte wache Augen.

»Ist doch schön«, sagte Anne. »Oder?«

»Unbedingt. Wissen Sie, Frau Hütter, das ist Anne Thoms. Kriminalhauptkommissarin aus Tübingen. Sie hat damals den Mord an unserer Freundin Elvira aufgeklärt …«

Anne wollte sie schnell ausbremsen, aber die Gräfin plapperte weiter.

»Ne, ne, ne. Sie waren schon mit Ihrer Hartnäckigkeit maßgeblich an der Aufklärung beteiligt. Meine verstorbene Freundin Martha war ganz begeistert von Ihnen.«

Anne wurde es peinlich. Und sie bemerkte, wie sich das Interesse von Carina Hütter an ihrer Person veränderte. Sie war immer noch Ermittlerin, wenn auch ohne Auftrag, sodass ihr nicht entging, wie sich Frau Hütter ihr auf einmal zuwandte, was sie vorher nicht getan hatte. Nun lächelte sie sogar, wenn auch mit verbittertem Zug um den Mund. Ihr Gesicht war vom Leben gezeichnet und wies keinerlei Lachfalten auf. Dagegen waren auf der Stirn zwischen den Augen und um den Mund Sorgenfalten sichtbar.

Lief nicht immer so rund in deinem Leben, dachte Anne.

»Wenn wir schon dabei sind«, sagte Anne. »Sie werden es ohnehin bald in der Zeitung lesen: In der Nähe vom Lidl hat man …«

»Das weiß ich schon, Frau Thoms, wir leben auf dem Land. Sie haben Elviras Mann gefunden. Aber das passt doch genau zu dem, was ich immer gesagt hatte. Sie war einfach ein durchtriebenes Luder. Für diesen Bürgermeister hat sie sogar ihren Mann getötet. Von wegen, er ist mit ihrem ganzen Geld abgehauen …«

»Also, ich muss dann wieder«, sagte Anne schnell. »Ach so: Es gibt ja wieder einen Burglauf, habe ich gesehen. Schön, dass das Leben sich wieder normalisiert. Ist Ihr Geheimgang denn auch schon fertig und kann besichtigt werden?«

Frau von Barstein schüttelte den Kopf. »Nein, noch nicht. Aber es wird mit der Zeit.«

»Okay, ich sollte jetzt zurück«, sagte Anne. »Meine Dusche ruft nach mir!«

Sie nickte den Damen zu und lief zurück Richtung Wald. Dieses Mal rannte sie den Berg auf dem ausgewiesenen Weg nach unten.

2. KAPITEL

Heute schien alles zu klappen. Die Sägen draußen liefen zu Hochform auf, Tobias, Annes Sohn, hatte sich zum Essen angemeldet und Rolf wollte gegen Mittag fertig sein da unten beim Lidl und dann ebenfalls kommen.

So weit, so gut. Aber wie sagte ihre Mutter immer: »Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben.« Aber jetzt konnte sie schon mal zufrieden sein. Sie stand am Herd und rührte gedankenverloren in ihrer Bolognese-Soße. Gut hatte er ausgesehen, ihr Rolf. Abgesehen von seiner gestrigen Duftwolke war er ein sehr attraktiver Mann. Die grauen Haare standen ihm ausgezeichnet. Schön blöd, seine Frau. Wegen eines Traumtänzers Mann und Kinder zu verlassen. Es war bestimmt nicht einfach für Rolf, das alles zu meistern. Bei Gelegenheit würde sie ihn mal fragen. Wenn er überhaupt Auskunft geben wollte. Über Vergangenes zu reden, war ja nicht jedermanns Sache.

Als Anne damals in einer überstürzten Aktion spontan hier in Marthas Haus eingezogen war, schlief sie in der ersten Nacht auf dem Fußboden.

Aber sie hatte sich gut gefühlt … richtig gut.

Am nächsten Tag beantragte sie ihren Resturlaub und fing an, ihr neues Leben zu ordnen.

Als Erstes veräußerte sie Möbel und Hausrat von Martha und Elvira. Durch Zufall stieß sie auf den Antikhof. Er lag in der Nähe und Laura Claasen, die Betreiberin, war ihr sofort sympathisch. Was Anne selbst brauchen konnte, behielt sie. Immerhin hatte sie ihren ganzen Hausstand ihrem Mann Herbert hinterlassen.

Und finanziell ging es ihr gut.

Tobias war schon oben in seinem Zimmer und lernte. Weil es, wie er sagte, daheim »unmöglich« war. »Ständig steht sie in der Tür. Und dann flucht sie auf Russisch und ich weiß nicht mal, wie sie mich jetzt genannt hat.«

Ja, Corona hatte viel verändert.

Tobias musste von zu Hause aus studieren, und wenn er »zu Hause« sagte, meinte er jetzt »bei Papa«. Und bei Papa war Konzentration nicht möglich. Eben aus den oben angeführten Gründen. So richtete Anne ihren Computer unten im Esszimmer ein und er seinen oben in seinem Zimmer. Da Anne ebenfalls online unterrichten musste, störten sie sich nicht.

Deshalb war im Großen und Ganzen alles gut gegangen.

»Außerdem habe ich das Gefühl, sie will uns alle loswerden. Niemand darf in IHRE Küche.« Originalton Tobias. »Oma und Opa kommen schon ganz selten. Papa klagt über Magenschmerzen, das darf sie aber nicht wissen. Immer dieses fettige Zeug, und wenn man mal sagt, man hat keinen Hunger, rennt sie weinend in die Küche.«

Es hatte nicht lange gedauert, bis diese Ludmilla, die langjährige Geliebte seines Vaters, bei ihm eingezogen war. Während Herbert noch um Anne warb, sie zum Zurückkommen bewegen wollte, stand Ludmilla schon in den Startlöchern. Bereit zum Einzug in das Haus. Und sie wollte unbedingt geheiratet werden. Aber Anne und Herbert waren noch nicht mal geschieden.

»Und jetzt erzähl. Was habt ihr herausgefunden?« Anne brannte regelrecht auf Antworten.

»Die sind noch nicht so weit«, sagte Rolf. »Was sie schon festgestellt haben, ist ein massiver Schädelbruch. Goldketten trug er jedenfalls keine mehr. Die hat sie ihm wahrscheinlich danach abgenommen. Freiwillig hat er sich bestimmt nicht von seinen Schätzen getrennt. Die haben wirklich die ganze Kuhpisse ausgepumpt und durchgesiebt. Ein Wagenheber kam zum Vorschein. Tja, das war’s dann mit dem karierten Hemd. Wir haben ihn schon aus den Fahndungslisten entfernt.«

»Wenn das wirklich alles so gelaufen ist. Keine Zweifel?«

»Ne, Anne, diesmal nicht. Und hier bei dir? Läuft, oder? Ich dachte eigentlich, es wäre auch schon alles zugebaut. Das ist ja eigentlich ein riesiger Bauplatz.«

»Geht nicht. Hinter meinem Haus ist ein ›Wasserschutzgebiet‹«, erklärte Anne. »Ich hätte verkaufen sollen. An die Gemeinde. Die sind mir vielleicht hinterhergelaufen. Hab ich aber nicht. Jetzt hat man mir den Neubau einer Garage verweigert. Stört die freie Sicht in die Natur. Dafür baue ich jetzt meine Terrasse um, da vorne kommt statt der Garage ein Carport hin, und diese alte nutzlose Garage bau ich aus zu einem Partyraum oder Gästehaus oder …« Sie hob beide Hände in die Luft.

»Okay, das darfst du?«

»Ja, das darf ich. Solange ich den Schuppen nicht vergrößere oder aufstocke. Ich darf eine andere Türe und andere Fenster einbauen. Aber eins nach dem anderen.«

»Und die Möbel von der Hoff? Die antiken?«

»Das weißt du ja noch gar nicht. Ich bin jetzt Teilhaberin eines Antikmarkts. Im Nachbarort. Laura, die Betreiberin, wollte die Möbel, hat sie auch geholt, auf Kommission. Sie standen und standen und dann kam Corona. Da wäre sie beinahe pleitegegangen und da bin ich eingestiegen. Wenn sie mich braucht, ruft sie an, und wenn ich kann, geh ich vorbei. Wir haben schon einige Kuriositäten aus Haushaltsauflösungen rausgezogen. Sie ist sehr gewissenhaft. Und es macht Spaß, ist mal was anderes.«

»Du erstaunst mich wieder aufs Neue. Dann brauch ich auch nicht zu fragen, ob du jemals wieder zu uns ins Team kommst.«

»Im Moment nicht. Und du möchtest wirklich keine Spaghetti haben?«

Er machte eine abwehrende Handbewegung. »Danke, bin versorgt. Ich bekomme jeden Tag, wie auch meine Kinder, eine Vesperdose überreicht. Und mein Vater steht immer anerkennend hinter meiner Mutter, wenn sie sie übergibt. Und abends wird nachgeprüft, ob die Dose leer ist. Einmal Kind, immer Kind. Im Kommissariat freuen sich einige Kollegen, wenn ich die Dose auf den Tisch stelle.«

Anne schlug sich lachend auf ihre Schenkel.

»Ich stehe in ihrer Schuld«, sagte Rolf. »Solange die Mädels noch Großeltern brauchen.«

»Und Freundinnen und so?«, fragte Anne und bemühte sich, beiläufig zu klingen.

»Nicht bei mir zu Hause. Ich habe die leise Befürchtung, meine Eltern stehen sonst bei mir vor der Tür … Ne.«

Pünktlich um siebzehn Uhr ließen die Handwerker die Sägen verstummen. Am nächsten Tag wollten sie die Balken setzen, dann die Bodendielen legen. Und am Wochenende wären sie fertig. Schön, dachte Anne, klappt doch. Sie lief ihren Weg nach oben auf die Burg, und die Schwüle drückte jetzt, um achtzehn Uhr, doch ganz gewaltig. Genauso heiß wie damals. Die Sommer hatten sich in den letzten Jahren so aufgeheizt, dass man erst nach zweiundzwanzig Uhr Abkühlung fand, wenn überhaupt. Ihr Sporttop war schon schweißnass. Auch heute Abend waren sehr wenige Wanderer und Läufer unterwegs. Selbst die Mountainbiker fehlten. Auch die »Bunten Frauen« waren nicht zu sehen.

Auf dem unteren Parkplatz stand ein alter Opel Corsa. Sie kannte die Automarke, weil ihr Sohn einen neueren fuhr.

Auch Anne machte die Schwüle zu schaffen. Sie atmete kurz durch und machte dann ihre Dehnübungen an dem Ruhebänkchen. Als sie sich bückte, sah sie durch ihre Beine die offene Wagentüre und richtete sich auf.

»Hallo?«, rief sie und gleich darauf erneut: »Hallo?« Sie blickte sich um und beschloss, ein paar Minuten zu warten. Vielleicht sprang gleich jemand mit offener Hose aus dem Gebüsch und hatte nur vergessen, die Türe zuzumachen. Notdurft eben. Das passiert, wenn’s pressiert. Aber es kam niemand.

Was mach ich?, dachte Anne. Einfach weiterlaufen? Nachher noch mal vorbeischauen? Während sie noch überlegte, lief sie schon um das kleine Auto herum. Dann griff sie zu ihrem Telefon.

»Rolf, bist du schon zu Hause? Nicht? Du, es ist so, hier steht ein Corsa auf dem unteren Burgparkplatz und die Wagentüre ist auf. Stuttgarter Nummer. Ich habe jetzt eine Viertelstunde gewartet und es kam niemand. Nun, jetzt hab ich festgestellt, dass da Blut ist. An der Türe sowie am Lenkrad. Soweit ich das einschätzen kann. Ich habe keine Handschuhe dabei. Ja, ich kann warten.«

Rolf kam mit seinen Kollegen Gaby Strobel und Peter Pfister, die Anne noch von früher kannte, besah sich das Ganze und machte eine schnelle Halterabfrage.

»Der Wagen gehört einer gewissen Carina Hütter«, klärte er Anne auf.

»Ach, die kenn ich.« Anne war erleichtert. »Wenn sie Hilfe gebraucht hat, dann ist sie vielleicht oben auf der Burg bei Frau von Barstein. Und hat nur vergessen, ihr Auto zuzumachen.«

»Das prüfen wir jetzt nach. Ich rufe geschwind oben an«, sagte Rolf und verschwand Richtung Wald.

Anne wandte sich an Gaby Strobel und Peter Pfister, die sichtbar verstimmt waren.

»Tut mir leid, Kollegen, dass ihr jetzt kurz vor Feierabend noch mal ausrücken musstet. Aber wenn ich eine Autotür mit Blut sehe, muss ich einfach was tun. Berufskrankheit.«

Rolf kam mit besorgter Miene zurück. »Gestern Abend wurde sie das letzte Mal gesehen. Ihre Mutter hat auch schon bei der Gräfin angerufen. Sie kam anscheinend nach Hause, hat sich umgezogen und ist mit dem Privatauto – dem Opel – los. Seither? Nichts mehr.«

Die Kollegen schienen besänftigt, und man rief vorsorglich die Leute von der Spurensicherung an.

»Vielleicht liegt sie auch irgendwo hilflos im Wald«, meinte Anne. »Vielleicht hat sie sich irgendwo verletzt oder ihr ist schlecht geworden.«