Immer mutig! - Paul Scheerbart - E-Book

Immer mutig! E-Book

Paul Scheerbart

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Beschreibung

In 'Immer mutig!' präsentiert uns der deutsche Autor Paul Scheerbart eine Sammlung von Kurzgeschichten, die sich mit Themen wie Mut, Kühnheit und Risikobereitschaft auseinandersetzen. Scheerbarts literarischer Stil zeichnet sich durch eine kühne Experimentierfreude aus, die sich in seiner Verwendung von fantastischen Elementen und unkonventionellen Erzählstrukturen manifestiert. Als wichtiger Vertreter des literarischen Expressionismus im frühen 20. Jahrhundert bringt Scheerbart eine rebellische und avantgardistische Perspektive in die deutsche Literatur ein. 'Immer mutig!' setzt sich kritisch mit gesellschaftlichen Normen und Konventionen auseinander und fordert den Leser dazu auf, traditionelle Denkmuster zu überwinden und mutige Entscheidungen zu treffen. Durch seine einzigartige Mischung aus Phantastik und Kritik bietet das Buch eine faszinierende Leseerfahrung, die sowohl unterhaltsam als auch anspruchsvoll ist. Paul Scheerbarts 'Immer mutig!' ist ein Werk, das sowohl Literaturliebhaber als auch kritische Leser ansprechen wird, die sich für innovative Erzähltechniken und soziale Kritik interessieren. Mit seinen mutigen Ideen und seinem einzigartigen Stil ist dieses Buch eine inspirierende Lektüre, die den Leser dazu ermutigt, über seine eigenen Grenzen hinauszugehen und mutige Entscheidungen zu treffen.

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Paul Scheerbart

Immer mutig!

            Books
Inhaltsverzeichnis
Lichtwunder
Die wilde Kralle
Er hatte ...
Der große Kampf
Die Kummerlotte
Noahs Glück
Nebelsterne
Groß!
Platzende Kometen
Das harte Rot
Freunde
Der Weg zur Schlachtbank
Das neue Leben
Wir maken Allens dot!
St. Georg
Der Mönch
Der tote Palast
Heiliger Klimbim
Der grimmige Igel
Weltprotz
Ein stiller Abend
Zahlenglück
Der Revolutionär
Der höfliche Eremit
Parademarsch
Meerglück
Die drei Denkmäler
Stille Nacht
Die Nußbaumtorte
Der alte Mörder
Trauermarsch
Zwei Knaben gingen ...
Der Wurm
Herbstmorgen
Menschenliebe
Die gebratene Ameise
Die Helden
Schlechtes Publikum!
Katta-Kottu
Adlerflug
Der Todesrausch
Gerettet!
Fritz, der Schweinejunge
Zwei Weltenschöpfer
Die Welt von Eisen
Krebsrot
Der Radaubengel
Mein Großvater
Sonnenschein
Weisheit aus der Kreidezeit
Die Befreiung
Meine Tinte ist meine Tinte
Die siebzehn Spitzen oder Das Quadrat des Ellipsoids
Das neue Konzerthaus
Die Butterblume
Das Knäblein
Mensch und Tier
Kuddel-Muddel oder die vielen Rosinen
Zart!
Leichte Bilder
Das Märchen vom blauen Hund
Der lachende Wolf
Die Roseninsel - Ein Klexmärchen
Silentium!
Ich lass' Dich nicht los!
Tief!
Nackte Kultur
Heiße Luft
Lika
Flausen
Die neuen Storchnester
Die wilde Hummel
General von Bax
Narr Nero
Der Triumphator
Der galante Räuber oder Die angenehme Manier
Die Güter der Erde
Die Türklinke
Lachende Giraffen
Zu Hause!
Kirowátti
Die blaue Blume
Die Fabrik lebenslustiger Kreaturen

Ich hatte mich verstiegen.

Und das kam mir so selbstverständlich vor.

So mußte es kommen.

Jetzt konnte ich nicht mehr weiter; rauf ging's nicht mehr und runter auch nicht.

Allerdings – runter wär's wohl gegangen – runterkommen kann man immer.

Aber die Sache hatte einen Haken.

Neben mir ging's hinunter in die Tiefe – da hätte ich mich kopfüber hineinstürzen können – doch bei dem Sturz wäre mir wohl der Atem vergangen – und mein Körper wäre wohl zu Brei geworden.

Ich befand mich in einem Gebirge, das aus hartem Stein bestand.

Es tat mir schon leid, daß ich so rücksichtslos immer höher gestiegen war.

Ich starrte die glatte Felswand vor mir nicht sehr geistreich an; in die grausige Tiefe wagte ich nicht hinabzublicken, denn ich glaubte, nicht ganz schwindelfest zu sein.

Und siehe, da hob sich vor mir in der glatten Felswand eine Platte heraus und schob sich zur Seite, und ich erblickte in der entstandenen Öffnung ein kleines Nilpferd, das kaum halb so groß war als ich selbst.

»Na, Onkelchen,« sagte das Nilpferd, »wohin willst Du?«

»Ich habe mich verstiegen!« erwiderte ich traurig.

»Das merkt'n Pferd!« rief da das Nilpferdchen. »Tritt nur näher! Oder – willst Du abstürzen?«

»Nein! Nein!« sagte ich schnell.

Und ich folgte dem kleinen Tier, das eine Lampe anzündete und mich durch einen Felsengang führte ... Nach ein paar Augenblicken stand ich in einem sauberen Felsensaal.

Oben in den hohen, schwarzen Gewölben brannten weiße Ampeln aus Milchglas; Birnenform hatten die Ampeln – die Stengel hingen unten als dicke Schnüre.

Jetzt erst bemerkte ich, daß das kleine Nilpferd, das wie ein Mensch auf den Hinterbeinen ging, einen dunkelblauen Flanellrock anhatte; der ließ nur den Kopf und die vier Füße frei.

»Nimm Platz!« sagte das Nilpferd, und es setzte sich auf einen Schaukelstuhl. Ich setzte mich neben dem großen grünen Ofen auf eine Holzbank.

Eine dunkelgraue Plüschdecke war über den ganzen Fußboden gespannt.

Von Möbeln sah man nicht viel; es schien eine Art Empfangsraum zu sein.

Es war mir aber außerordentlich gleichgültig, wo ich mich befand; ich war müde und abgespannt und durchaus nicht froh über meine Rettung.

»Dir ist wohl nicht ganz wohl!« sagte das Nilpferdchen nach einer Weile.

Und ich erwiderte hastig:

»Wenn das nicht stimmt – dann weiß ich nicht mehr, wie viel drei mal drei ist.«

»Die Antwort,« flüsterte mein Retter, »ist von einer geradezu seltsamen Bestimmtheit.«

Ich starrte den hohen, grünen Ofen an und war stumm wie ein Stockfisch.

Wir hörten im Hintergrunde langsam eine große Uhr ticken und rührten uns nicht.

So mochten wir wohl eine gute halbe Stunde gesessen haben, als das Nilpferdchen leise fragte:

»Hast Du vielleicht ein Manuskript bei Dir, das recht traurig stimmt? Du hast doch sonst immer Manuskripte bei Dir.«

Ich drehte den Kopf langsam um, sah das Nilpferdchen groß an und sagte unsicher:

»Woher weißt Du denn, daß ich sonst immer Manuskripte bei mir habe? Ich muß mich doch wundern.«

Da sprang das Nilpferdchen von seinem Schaukelstuhl auf und hopste im Felsensaal herum und rief laut:

»Er muß sich doch wundern! Er muß sich doch wundern! Daß ein redendes Nilpferdchen ihn gerettet hat – das wundert ihn nicht. Aber daß das Tierchen so viel weiß – das wundert ihn.«

Und dann sprang das kleine Vieh ganz dicht an meine Seite und sprach im tiefsten Baß:

»Ich freue mich ganz eklig, daß Du Dich noch wunderst. Leute, die sich noch wundern können, sind noch nicht ganz tot. Und daß Du noch nicht ganz tot bist, das ist sehr gut. Denn – wärest Du ganz tot, so hätte ich's bedauern müssen, Dich gerettet zu haben; Leichen rettet man doch nicht.«

Ich blickte dem Nilpferdchen ins Gesicht und wunderte mich jetzt, daß es so gut reden konnte. Und ich fragte leise und höflich:

»Was soll ich tun?«

»Gib mir,« antwortete das Tier, »eine Geschichte zu lesen, die recht traurig stimmt.«

Da suchte ich denn in meinen Taschen und blätterte in allen meinen Sachen, schüttelte oft den Kopf und gab dem freundlichen Nilpferd schließlich eine Geschichte, die mir in diesem Falle zu passen schien.

Das kleine Tier setzte sich eine blaue Brille auf, ging mit meinen Blättern wieder zum Schaukelstuhl, ließ sich auf diesem vorsichtig nieder und las:

Lichtwunder

Inhaltsverzeichnis

Nacht! Nacht!

Lauter dunkle, schwarze Räume.

Ich schwebe so dahin und weiß nicht, wo ich bin – aber ich schwebe in der unendlichen Finsternis ruhig weiter.

Da zuckt was in der Ferne auf – ein kleines Pünktchen Licht!

Und nun weiß ich, wo ich mich befinde – ich fliege durch jene große Nachtkugel, die weit hinter dem leeren Raume mitten im großen Lichtmeere schwimmt, das in jedem Atome so hell ist wie eine echte Sonne ohne dunklen Kern.

Es gibt im Lichtmeere viele hohle Nachtkugeln – aber meine Nachtkugel ist die dunkelste.

Und doch – es ist nicht Alles so dunkel, wie's aussieht.

Da drüben der Lichtpunkt wird immer größer – und jetzt schießen zwei feine Lichtkegel, die so schwanken, an mir vorüber.

Und – in den Lichtkegeln?

Lichtwunder!

Da fängt es gleich zu leben an – Milliarden zierliche Flügelchen glitzern und flimmern – und leben – einen kurzen – aber seligen – Lichttag.

Und nach dem schwebe ich wieder in der unendlichen Finsternis.

Es dauert aber nicht lange – und von neuem schießt aus einem Spalt der Kugelschale ein linsenförmiger Lichtstreifen – breit wie ein Schwert.

Und wie vorhin lebt gleich in dem Lichtstrahl was auf – eine wilde Weltenjagd – unzählige kleine schillernde Blasen – dies Mal sind's lauter Welten mit edelstem Weltengewürm.

So ist das Dasein im großen Reiche der Nacht.

Es wird immer wieder hell.

Und die Lichtstrahlen erzeugen mit immer wieder frischer Kraft unzählige Lichtwunder – Engel und Sterne, Fledermäuse und Paradiesvögel – Diamanten und Weltgestalten in immer neuer Lichtwunderform.

Ich weiß: unsre Augen könnten das Lichtmeer draußen nicht ertragen – wir würden draußen erblinden – daher die schützende Kugelschale.

Aber unsre Augen sind nicht schlechte Augen – sie sind nur so fein und empfindlich, daß die dämpfende Nacht die feinen empfindlichen Augen immer wieder stärken muß – zum Genuß der ewigen Lichtwunder in der Nachtkugel.

Augen, die draußen das Lichtmeer ohne Schaden ansehen können, sind schrecklich grob.

Das Nilpferdchen hatte beim Lesen auf jeder der beiden dicken Vorderpfoten eine Pincette. Und mit den beiden Pincetten konnte das Tier sehr gewandt meine Blätter halten und umdrehen.

Nach der Lektüre fächelte sich das Tier vom Strande des heiligen Nil mit meinen Blättern ein wenig Kühlung zu und sagte leise:

»Das war so schmerzlich grade nicht, denn der Wert der Dunkelheit wird ja auch gleich im richtigen Lichte gezeigt. Hast Du nicht eine längere Sache, die wenigstens schmerzlich endet? Mir scheint – doch davon nachher.«

Ich suchte wieder in meinen Taschen, und dann ließ ich das kluge Nilpferd dies hier lesen:

Die wilde Kralle

Inhaltsverzeichnis

Ein Raketen-Scherzo

Ich kletterte immer höher; es ging ja so leicht.

Die Astknorren waren nicht zu dick und nicht zu dünn – grade so recht.

Aber die Spitze der Tanne konnt' ich nicht erreichen, so eifrig ich auch klettern mochte.

Es war doch ein schrecklich hoher Baum.

Er war bedeutend höher, als ich dachte.

Einmal, als ich runtersah, kam mir's so vor, als wäre die Erde unten längst unsichtbar geworden.

So hoch im Weltall zu sein, erschien mir da ein stolzes Vergnügen zu sein.

Ringsum kein andrer Baum – kein Stück Erde – kein Stück Wasser – nur Himmel – nichts als Himmel – mit unzähligen seligen Sternen.

Mit stiller Andacht starrte ich in den großen Himmel.

Und der Himmel schien mir plötzlich so eng und begrenzt – wie eine kleine Dorfkirche.

Da knisterte was unter mir.

Ich weiß nicht mehr genau, wie's war – ich sah nur allmählich, vor mir an der sternbestickten Himmelsdecke eine weiß schimmernde Riesenkralle zitternd emporsteigen.

Und die Riesenkralle krallte sich in die sternbestickte Himmelsdecke fest und riß ein großes unregelmäßiges Loch hinein; die Eckfetzen flatterten steif ab, als wenn ein starker Wind durch das Loch mich anbliese.

Und ich schaute durch die flatternden Eckfetzen in eine andre Welt, die größer ist als unsre kleine Dorfkirchenwelt.

Dort hinten – weit hinter unserm Fixsternhimmel – war der Hintergrund tiefschwarz und unendlich tief.

Und in der Mitte dieser anderen Unendlichkeit stiegen langsam zwei goldene Riesenraketen empor, die aus lauter goldenen Sonnen bestanden; sie perlten immer höher wie langsam aufsteigende Riesenfontänen.

Aber die Raketen gehen nicht grad in die Höhe, sie biegen sich nach allen Seiten wie alte Baumstämme, die oft vergeblich nach dem Lichte strebten.

Und sie werden immer größer.

Und sie bekommen wie die Baumstämme Äste.

Die rechts sich aufreckende Rakete hat keine Ecken; sie biegt sich, wie Schlangenleiber sich biegen. Die links sich aufreckende Rakete hat jedoch sehr viele Ecken und Kanten wie knorrige Eichen.

Es sieht anfänglich alles ganz friedlich aus – leider darf man keinem Frieden trauen.

Die goldenen Sonnenraketen biegen sich vor und zurück, als wenn der Sturmwind an ihnen rüttle. Und bald wird mir's ganz klar: Die Raketen stehen sich gegenseitig im Wege.

Ich hatte wohl vorher gedacht, dieses Schwanken, Drängen, Schieben und Stucksen wäre nur eine Äußerung der Zärtlichkeit. Mir fiel jedoch zur richtigen Zeit ein, daß ordentlichen Feindschaften ein zärtliches Vorspiel was ganz Natürliches ist.

Die Atmosphäre scheint mir recht heiß zu werden. Die Schlangenrakete dehnt oft ganz beängstigend ihren gierigen Sonnenleib. Und die Eichenrakete schwankt und zittert wie ein wilder Trotzkopf, der gern seine Wutkrone aufsetzt.

Die beiden Ungeheuer stehen sich im Wege – das ist mir bald völlig klar.

Und ich nehme Partei für die goldene Eiche, die mir der Schlange an Schlauheit unterlegen zu sein scheint.

Der Schlauheit mag ich stets an den Hals.

»Ich schütze die Dummheit!«

Also ruf' ich laut. Und ich erschrecke, da mir tausend Echos – der Himmel mag wissen woher – antworten – höhnend antworten.

Hei! Jetzt kommen die goldenen Sonnen ordentlich in Bewegung! Das Gold glitzert und zuckt! Die Raketen machen Ernst! Das ist keine Zärtlichkeit mehr! Ich recke mich auch! Meine sehnigen Muskeln schwellen an wie springende Wildbäche im Frühling!

Es zittern die Spitzen der weichen und der knorrigen Äste so stark, daß ich mitzittern muß.

Und aus den Spitzen fliegen nun blaue, grüne und rote Lichtblasen heraus – die brennen in dunklen Farben und werden immer größer. Und aus den Lichtblasen schießen in die Nacht gelbe und weiße Lichtkegel, die wie weite Scheinwerfer blitzschnell den Himmel durchfliegen – von einem Ende zum andern – wie rasend!

Eine Lichtschlacht!

Zwei goldene Milchstraßen liefern sich eine Lichtschlacht – eine lautlose.

Ich muß mich sehr wundern.

»Himmel! Wetter!« ruf ich wieder ganz laut, »ist denn da hinten auch alles so eng, daß nicht mal zwei Sonnenbäumchen Platz haben? Sind denn ›sämtliche‹ Weltwinkel zu klein?«

Über mir hör ich ein heftiges Brummen, und seltsam hüstelnd antwortet mir eine dunkle Baßstimme:

»Was weißt Du von Weltwinkeln? Tu doch nicht so, als ob Du kosmische Größenverhältnisse besser ausrechnen könntest als unsereins. Die Naseweisheit steht Dir nicht gut. Verkrieche Dich in der alten Weltpauke! Da ist noch Platz für dich.«

Ich ducke mich, obgleich ich Keinen sehe.

Die Raketen kämpfen weiter.

Es wird furchtbar lebhaft da hinten.

Ich möchte noch mehr sehen; das Loch in der Himmelswand erscheint mir zu klein. Doch da kommt auch schon die weiß schimmernde Riesenkralle wieder höher und macht das Loch größer.

Jetzt kann ich bequemer dem Kampfspiele zuschauen. Die weißen und gelben Lichtkegel flirren immer heftiger. Die roten, grünen und blauen Gasblasen werden mordsmäßig groß und platzen dann – wie Alles, was zu groß wird. Dafür spritzen die Spitzen der weichen und der knorrigen Äste immer wieder neue Blasen hervor, die auch mit weißen und gelben Lichtkegeln herumflirren.

Die Schlangenrakete wird offenbar noch schlauer; sie bedrängt die Eiche wie ein unheimliches Krötenweib.

Ich kann's kaum ansehen; die Schlange wird mit ihren langen Schläuchen, die ihr immer dicker aus dem Leibe herauswachsen und gar nicht mehr was Astartiges haben, so aufgedunsen – so scheußlich groß.

Der Hintergrund, von dem sich die Raketen abheben, ist so bunt wie eine riesige zitternde Opalfläche; die roten, blauen und grünen Gaskugeln mit den gelben und weißen Lichtkegeln flattern umher, als wenn sie ein Weltföhn durchbrause.

Da kann ich mich nicht mehr halten.

Die Schlangenrakete wird von oben bis unten gemein.

Das ist die ewige Niedertracht!

Ich möchte der Schlange an den Hals.

»Eine Kralle möcht' ich haben!«

Das schrei' ich.

Und im selben Augenblick fühl ich, daß die wilde Kralle, die unsern alten dösigen Dorfkirchenhimmel aufriß, ›meine‹ wilde Kralle ist.

Und mit meiner weiß schimmernden Riesenkralle pack' ich durchs Loch, mitten in den Schlangenleib rinn.

»Ich will nicht die Schlauheit siegen lassen!« brüll' ich auf und drück' mit meiner wilden Kralle zu – den ganzen Leib der Schlangenrakete entzwei.

Doch dabei muß ich »Au!« schreien.

Ich habe mich verbrannt.

Horngeruch – widerlicher – steigt mir betäubend in die Nase.

Ich sehe nichts mehr.

Ich reiße die Hand mit der Kralle aus dem Loche raus, um mich auf meiner Tanne festzuhalten.

Aber die Hand mit der Kralle tut mir zu weh, und ich kann mich mit der Linken allein nicht halten.

Und ich falle mit der Kralle.

Mich ergriff eine namenlose Wut.

»Die Schlauheit siegt! Sie ist zu kaltblütig!« schrie ich noch.

Dabei fiel ich immer tiefer.

Ich hielt den Atem an, indessen – ich fiel trotzdem.

Das Horn roch – brenzlich.

Es war mir auch so, als ob der Docht einer alten, großen Wachskerze verglimmte – in einer Dorfkirche.

Ich fiel – der Teufel – mochte wissen – wohin.

Ich glaube, ich fiel in die alte Dorfkirche unserer greulich beschränkten Fixsternwelt zurück.

Ich fiel immer tiefer – immer tiefer – immer tiefer!

Und ich wunderte mich, daß unsre beschränkte Welt so tief sein konnte.

Nach der Lektüre dieser Geschichte sprang das Nilpferd wieder sehr erregt von seinem Schaukelstuhl auf und stampfte aufrecht auf den Hinterbeinen in der Stube herum, drehte sich öfters auf dem einen Fuße um sich selbst, wehte mit den Blättern durch die Luft, stellte sich wieder dicht vor mich hin und hielt mir mit wunderbarer Geschwindigkeit eine Rede – ohne mir einen Einwurf zu gestatten.

»Du mußt,« sagte es, »nicht gleich so schlecht gelaunt werden, wenn Du Dir mal die Finger verbrannt hast. Sieh nur unsere Pfoten an, da sind keine Finger dran – und wir wissen uns doch zu helfen; die Pincetten sind noch viel feiner als die Finger. Intelligente Leute müssen sich zu helfen wissen. Du darfst Deine Empfindungen nicht so ernst nehmen. Wenn schon unsre Gliedmaßen nicht als Realitäten von uns genommen werden wollen, so dürfen wir doch die Empfindungen dieser Gliedmaßen erst recht nicht als reale betrachten. Der Schmerz wird erst dadurch für uns zum Schmerze, daß wir ihn so nennen. Wir können den Schmerz auch als potenzierte Wollust auffassen. Intelligente Leute müssen sich zu helfen wissen. Wenn Dir ein Bein abgehauen wird, so bedenke sofort, daß Dir dieses scheinbare Unglück auch eine große Portion sehr angenehmer Augenblicke verschafft – denn man wird Dich verhätscheln dafür. Glaube mir, es ist nicht Alles Pech, was schwarz aussieht. Es tut auch nicht alles weh – was sich krümmt. Intelligente Leute müssen sich zu helfen wissen. Und ich finde, daß Du Dir in Deinen Geschichten sehr wohl zu helfen weißt, denn beim Runterfallen amüsierst Du dich gleich wieder über die köstliche ›Tiefe‹ der Dorfkirchenwelt. Merkwürdig ist es nur, daß Du Dir in Deinem Leben nicht zu helfen weißt – denn Deine Mienen lassen nicht den geringsten Grad von Heiterkeit erkennen. Dir scheint die Grütze sehr stark verhagelt zu sein.«

Ich wollte was erwidern, aber das Nilpferd ließ mich nicht zu Worte kommen; es wollte bloß noch ein paar »schmerzliche« Manuskripte lesen – es wollte gleich mehrere haben – und ich gab ihm diese drei:

Er hatte ...

Inhaltsverzeichnis

Eine Nachtscene

Er hatte sehr viel getrunken – das stand fest.

Und er hatte sehr lange getrunken – so drei bis vier Tage – genau wußte man's nicht.

Er hatte sich auch geärgert – natürlich!

Wer viel und lange trinkt, hat sich immer geärgert. Das ist nun mal so auf diesem großen Erdball.

Und er hatte natürlich keinen Sechser mehr – das sagten Alle, die ihn umstanden. Und die mußten es wissen, denn sie waren dabeigewesen.

Er hatte sich ja in ihrer Gegenwart die Gurgel durchgeschnitten und war dabei umgefallen, obgleich er sich am Laternenpfahl gehalten hatte.

Jetzt lag er da – in der Gosse.

Er hatte endlich genug.

Er hatte in seinem ganzen Leben niemals genug gehabt.

Blut hatte er noch. Das merkten Alle, die ihn umstanden und nicht wußten, wie sie ihm helfen sollten. Das Blut floß plätschernd in die Gosse. Die Laterne leuchtete und blitzte in dem roten Blut.

Warum hatte er sich die Kehle durchgeschnitten?

Ja – warum hatte er?

Er hatte das Leben plötzlich dick bekommen.

Sich selbst hatte er niemals dick bekommen – wohl aber das Leben.

»Er hatte Talent!« sagten die Leute.

Und bei diesen Worten hatte sich ein Arzt vorgedrängt – der hatte natürlich sein Verbandzeug nicht bei sich.

Aber die Umstehenden hatten Taschentücher.

Wer hatte nicht Taschentücher?

Er hatte Talent.

Ja – warum hatte er denn Talent?

Er hatte einen Vogel.

Er hatte mir's ja gesagt.

Er hatte nie genug.

Jetzt erst hatte er genug – mit der durchschnittenen Kehle.

Ja – die Kehle!

Die Kehle hatte schuld an Allem.

Die Kehle!

Er hatte eine Kehle!

Er hatte eine Kehle!

Lautlos wälzte sich eine Wolke die Straße entlang, und in der Wolke saß ein Fleischer mit einem ellenlangen Messer.

Der Fleischer hatte ein Messer, aber keine Kehle dazu.

Mein Freund hatte eine Kehle.

Er hatte jetzt genug.

Aber er hatte trotzdem kein Talent.

Ich weiß das ganz genau.

Er hatte ...

Er hatte wieder zu viel getrunken.

Er hatte ...

Der große Kampf

Inhaltsverzeichnis

Ein Dualisticum

Langsam fallen glühende Sonnen in die schwarze Nacht – und machen Alles hell.

Und dann kommt der Erzengel Michael mit seinem langen Schwert. Mächtige Eisenmassen rasseln auf seiner Brust, die Beinschienen knacken, und die Armschienen platzen beinah – so schwellen dem Erzengel die Muskeln an.

Und dann taucht aus dunklen Wolken der Kopf des Drachensatans heraus. Aber dessen Augen sind nicht leuchtend wie die des Michael; des Drachensatans Augen sind so matt.

»Ich hau' Dich zu Brei!« brüllt der Michael.

Doch der Satan schüttelt den Kopf und sieht dem Engel traurig ins lachende Angesicht.

»Dein Schwert ist zu kurz!« erwidert der müde Satan.

Michael funkelt mit den Augen, seine Stahlrüstung kreischt, und das lange Schwert blitzt durch die Wolken.

Satan zieht den Kopf ein, und seine ungeheuere Körpermasse kommt zum Vorschein – Millionen weltendicke Schlangenarme winden sich aus den Wolken heraus.

Michael schlägt zu und haut unzählige Schlangenarme ab – aber die abgeschlagenen Glieder verbinden sich wieder mit dem Drachenrumpf.

Und des Erzengels Arm erlahmt.

Da kommt des Satans Kopf wieder an die Oberfläche des Rumpfes und grinst den Engel an wie ein Totenschädel.

Der Engel will zuschlagen, doch er kann das Schwert nicht mehr heben – seine Arme zittern.

Und die Millionen dicker Schlangenarme umhalsen den eisernen Engel, so daß der schier erstickt wird.

»Hör auf!« schreit der Engel.

Der Satan läßt nach, die weichen schlaffen dicken Schlangenarme lösen sich von dem Engel los.

Und langsam sinkt der Drachensatan zurück. »Nächstens kämpfen wir wieder von Neuem!« flüstert höhnisch der müde Teufel.

Der Engel stöhnt und schwebt mit hängendem Kopfe davon; nur ganz allmählich kehrt die Kraft in die zitternden Muskeln zurück.

Bunte Wolken nehmen den Engel auf und erfrischen ihn. Langsam steigen starke Marmorsäulen in den Himmel empor. Die Säulen steigen immer höher und verschwinden zwischen den Sternen.

Die Kummerlotte

Inhaltsverzeichnis

Die Morgensonne glühte in die Resedabüsche, die vor Lottens Dachfenster blühten.

Und sie saß still vor ihrer Nähmaschine und machte ein trauriges Gesicht.

Die Lotte war sonst immer so glücklich gewesen – früher, als sie so wenig Geld verdiente und so oft nur Häringe zu Mittag aß.

Früher war sie eigentlich stets so recht lustig gewesen – so seelenvergnügt.

Das war jetzt Alles so anders geworden.

Seit drei Tagen war die Lotte die richtige Kummerlotte geworden. Wie kam das?

Die Nähmaschine stand seit drei Tagen still.

Und das Unglück? Wie sah's denn aus? Oh – es sah merkwürdig gut aus – das Unglück. Andere Menschen hätten das Unglück ein großes Glück genannt.

Die arme Lotte hatte geerbt – zweimal!

Zweimal geerbt in drei Tagen!

Von einem alten Großonkel hatte sie zehntausend Thaler geerbt – und von einer Kusine dreihundert Thaler.

Das war das Unglück!

So sah Lottens »Unglück« aus!

Traurig schaute die Kummerlotte ihre Resedabüsche an – ihr traten ganz dicke Thränen in die Augen.

Die Leute im Hause schüttelten den Kopf und meinten, bei dem guten Mädchen sei's da oben nicht ganz richtig.

»Dumme Trine!« riefen die beiden heiratsfähigen Töchter des Hauswirts.

»Kummerlotte!« riefen die Gassenjungen.

Sie aber sagte nichts dazu, sie gab keine Erklärung – sie seufzte und schloß sich ein.

Da saß sie nun am Fenster in der Morgensonne und grübelte.

»Das Geld ist mein Unglück!« flüsterte sie immer wieder.

»So lange ich kein Geld hatte,« meinte sie so recht vergrämt, »war ich immer frisch und jung. Doch wie das Geld kam, war meine Jugend fort. Muß ich da nicht traurig sein? Kann mir das Geld das traurige Gefühl ersticken? Ach ja – es ist nicht angenehm, wenn man merkt, daß man alt geworden ist. Es kam so plötzlich – als ich nicht mehr arbeiten brauchte – und über alles nachdachte.«

Sie nahm ihren Wandspiegel und betrachtete kummervoll ihr Gesicht! Alt sah sie eigentlich noch nicht aus – und doch – sie fühlte, daß sie's war.

Niemand verstand die Kummerlotte.

Sie aber verstand sich.

Und abermals sprang das Nilpferdchen auf, trampelte wild im schwarzen Felsensaale herum und hielt dann wieder eine Rede. »Onkelchen,« sagte es, »über die Vorteile, die die Armut bietet, ist schon so viel gesagt worden, daß es bald wirklich Not tut, die Vorzüge des Reichtums zu verteidigen und ein bißchen in Schutz zu nehmen; die reichen Leute bedauern sich schon ein wenig zu viel; so furchtbar schlimm ist der Reichtum doch auch nicht. Wenn die Verherrlichung der Armut so große Dimensionen annimmt, so brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn sich schließlich die bedauernswerten Geldbesitzer zusammentun und sich gegen die protzenhafte. Alles unterdrückende Macht der armen Leute empören. Das gäbe dann eine nette Bescherung. Das wäre eine schöne Revolution. Wer die Verhältnisse in Europa so gut kennt wie ich, wird eine solche Revolution gar nicht für unmöglich halten. Das Ridiküle ist tatsächlich das Modernste. Manche Leute, denen das Verschleiern und Umdrehen zur Gewohnheit geworden ist, verdrehen die Dinge so lange – bis sie selber verdreht werden. Die Reichen sind wirklich auf das Glück der Armen viel neidischer als man glaubt – und demnach ist es wohl geboten, den Kurs der sozialen Poesie wieder etwas zu ändern. Doch davon brauchen wir eigentlich nicht so viel zu reden. Wichtiger ist Dein Teufel der Lebensmüdigkeit, der Gurgeln abschneidet und sich selber nichts abschneiden läßt.«

Ich wollte wieder was sagen, doch das kleine Tier fuhr eifrig fort:

»Bedenke, daß die einfache tierische Luft bloß ein einfacher Lebensreizer ist, der nur einfachen Lebewesen zum Weiterleben genügenden Anreiz verschafft. Wer nur ein bißchen höher hinaus will, wird durch die einfachen Lebensreizer – wie da sind: Schinken, Champagner, Chansonette, Leberwurst und Paprika – nicht am Leben erhalten. Der höhere wendet sich an Kunstspäße ernster Güte, an Philosophie und überirdische Herrlichkeit. Diese letzteren Dinge ziehen schon mehr an. Indessen – Rückfälle in die gewöhnliche Schinkenluft kommen immer wieder vor. Und wenn diese Rückfälle zu oft vorkommen, so wird der Weg zum höheren zu mühsam, und das arme Lebewesen steht dann zwischen zwei Bündeln und – verhungert beinahe. So ungefähr gelangt die Lebensmüdigkeit in unsre Erscheinungswelt; das Eine genügt nicht, und das Andre ist nicht zu erreichen. Ich spreche, wie Du merken wirst, ganz wie Deinesgleichen, nicht wahr? Na ja! Nun muß man aber doch, wenn man ein bißchen vernünftig ist, zugeben, daß man nicht so ohne Weiteres zwei Herren dienen kann. Entweder – man steigt, so gut man kann, über die simplen Luftspäße hinweg in die höheren hinein – oder – ja! da liegt der Hase im Pfeffer! Wenn man mal angefangen hat, über das Simple hinüberzusteigen, so wird man im Simplen nie wieder die Befriedigung finden, die Hinz und Kunz darin zu finden vermögen. Ja! Ja! Die Mutter Natur hält es doch für gut, Leute, die was werden könnten, mit einer kleinen Zwangserziehung zu beglücken – und wenn's auch weh tun sollte. Was ist also die große Müdigkeit? Sie entsteht, wenn man Spießerglück will – und doch zu Sternenglück erzogen werden soll. Es gibt auch höhere Wesen, die sich zu Gunsten noch höherer Lebensreizer auch das Sternenglück abgewöhnen müssen – u.s.w. – immer höher – mit Grazie ad infinitum! Rede nicht. Onkelchen. Denke darüber nach.«

Und ich tat's.

Und dann wollte der Kleine wieder was lesen.

Und ich fand gar nichts Rechtes; mir genügten meine Sachen plötzlich nicht mehr, was mir sehr schmerzhaft war.

Doch schließlich gab ich zögernd wiederum drei Sachen raus.

Noahs Glück

Inhaltsverzeichnis

»Die Leute denken immer,« sagte Noah, als er seine Barke vollgepackt hatte, »ich hätte das Reisen so gern. Das ist aber gar nicht wahr. Es gefällt mir hier überall nicht – und daher reise ich – das ist die ganze Geschichte.«

Mit diesen Worten stieg Noah in seine Barke.

Diesmal war's eine Luftbarke.

Und mit der Luftbarke fuhr er rasch in den freien Äther hinaus – an Mond und Sonne vorbei – in die große Sternenwelt.

Und bald war Noah jenseits von unserm Milchstraßensystem.

Er war also schon recht weit gefahren, und seine Frau wunderte sich schon.

Doch Noah fuhr noch weiter – er steuerte auf einen großen Nebelfleck zu, der aus lauter Pilzsternen bestand – aus sehr vielen bunten und mannigfaltig geformten Pilzsternen.

Und Noah fuhr mit seiner Barke hinter den Nebelfleck und begann dann plötzlich ein lustiges Liedchen zu pfeifen.

Da kamen Noahs sämtliche Anverwandte aufs Deck hinauf und lachten.

»Jetzt sind wir endlich so weit!« rief der alte Noah mit seiner hellen Geisterstimme.

Und Noahs Frau fragte ihren Mann:

»Na, bist Du jetzt glücklich?«

»Jawohl,« rief der alte Noah, »jetzt bin ich vollkommen glücklich. Hier können wir bleiben – die Pilzsterne sind undurchsichtig – und von dem Milchstraßensystem, in dem sich die alte Erde dreht, werden wir nimmermehr was sehen können.«

»Das ist man gut!« riefen Alle.

Und Noah pries sein Glück.

Und Noahs Anverwandte lachten – mitsamt seiner Frau.

Noah jedoch weinte vor Freude – so groß war sein Glück.

Und die Pilzsterne blieben undurchsichtig für alle Ewigkeit.

Und Noahs Luftbarke blieb fest verankert.

Die Bewohner der Luftbarke sahen woanders hin.

Und Noah pries sein Glück tagtäglich hundertmal und konnte sich viele Billionen Jahre gar nicht beruhigen – so sehr freute er sich über die totale Unsichtbarkeit jenes Milchstraßensystems, in dem sich jener »Erde« genannte Stern bewegte.

Da kam eines Nachts ein kluger Vogel an der Barke vorbeigeflogen – sah den Noah und sprach redselig:

»Noah, das ganze Milchstraßensystem, von dem Du nichts mehr hören und sehen willst, existiert ja gar nicht mehr. Flieg nur um die Ecke Deines Nebelflecks herum – da wirst Du Augen machen. «

Noah löste vorsichtig die Anker und fuhr ganz sachte, ohne daß die Schläfer und die Schläferinnen unten in den Kajüten was bemerkten, um die Ecke seines Nebelfleckes rum – und fiel – vor Schreck rücklings aufs Deck.

Ein kolossaler Weltdrache füllte die ganze Gegend und glotzte den Noah mit Millionen Augen so eklich an, daß dem Armen ganz plümerant zu Mute wurde.

Doch der Drache sagte nach einer Weile höchst gemütlich:

»Lieber Noah, ich habe soeben siebenmalsiebenundsiebzig Tausend Milchstraßensysteme verspeist – glaubst Du da, daß ich noch Appetit haben könnte?«

Und der Drache lächelte sehr blöde und flog empor und ließ eine weite Leere hinter sich.

»Er hat sich satt gefressen!« rief der kluge Vogel.

Noah sprang auf, drehte rasch seine Barke um und machte, daß er weg kam, und befestigte die Anker wieder an den alten Stellen hinter dem Pilzsternnebelfleck.

Niemand auf der Barke erfuhr was von Noahs nächtlicher Fahrt um die Ecke rum.

Noah aber pries nicht mehr sein Glück.

Es kam dem alten Noah für die Folge sein Leben zeitweise komisch vor, so daß er oftmals lächeln mußte.

Und er freute sich nun, daß Niemand auf der Barke sein Lächeln verstand; die Pilzsterne blieben undurchsichtig.

Nebelsterne

Inhaltsverzeichnis

Sieben Nebelsterne empfanden den Dunst, in dem sie viele Billionen Jahre gelebt hatten, eines Tages als etwas Unerträgliches.

Aber der Dunst gehörte zu ihnen; er war ein Teil ihres Körpers. Der Dunst war die Haut ihres Körpers. Abstreifen konnten sie also ihre Dunsthaut nicht so ohne Weiteres. So was können wohl kriechende Schlangen – aber nicht die Nebelsterne.

Die anderen Sternwelten in der Umgegend hatten keine Dunsthaut. Und das ärgerte die Nebelsterne am allermeisten.

Und das Herz der Nebelsterne ward verbittert, so daß sie ganz gallig wurden und tückischen Gedanken Raum gaben.

Die Nebelsterne wollten den anderen Sternwelten auch so gern eine unbequeme Dunsthaut anhängen.

Und was beschlossen da die Bösen?

Sie beschlossen, sich so weit aufzublasen, daß ihr Dunst ihrer gesamten Nachbarschaft zur Empfindung gelangen mußte.

Und die Sieben bliesen sich auf.

Und der ganzen Nachbarschaft ward unwohl; die anderen Sternwelten, die so lange so klar die Welt durchleuchtet hatten, verloren ihren Glanz, denn der Dunst der Nebelsterne umzog Alles wie ein feiner Rauch.

Da war den sieben Bösen so recht vergnügt zu Mute; jetzt hatten sie nicht mehr allein unter ihrer Dunsthaut zu leiden.

Aber die anderen Sternwelten wurden ergrimmt und wollten den Dunst fortblasen. Und bei dem Fortblasen erregten sie sich alle dermaßen, daß allgemach eine kriegerische Stimmung in jener Weltecke die Oberhand gewann.

Und bald zogen die einstmals hellen Sterne gegen die Nebelsterne zu Felde; mächtige Weltblöcke flogen wie Kugeln von allen Seiten in die sieben bösen Nebelsterne hinein, daß denen die Eingeweide platzten und das Mark verbrannte.

Es war ein schauerlicher Krieg.

Was aber war die Folge dieses schauerlichen Sternkrieges?

Die Folge war, daß sich die Körper der sieben Nebelsterne bloß noch mächtiger aufbliesen, daß ihre ganze Galle überfloß und in die anderen Sternwelten überging.

Und die ganze Wut der sieben Nebelsterne erfüllte bald die ganze große Weltecke, so daß sich die einstmals hellen Sterne schließlich auch gegenseitig bekämpften wie tolle Hunde. Alle schlugen aufeinander los – ganz gleich, wohin es traf – so daß es brannte an allen Ecken.

Es war ein rasender Krieg Aller gegen Alle.

Wie sie nun so mitten in ihren kriegerischen Aktionen dahinlebten wie die Verrückten, kam doch einigen älteren Sternen die Besinnung wieder, und die sprachen mit gewaltiger kosmischer Stimme ungefähr so:

»Haltet ein, Brüder! So kann das doch nicht fortgehen. Wir gehen ja schließlich dabei sämtlich zu Grunde. Wir müssen Frieden schließen – wie's auch sei! Den Dunst der Nebelsterne werden wir wohl nicht wieder los. Aber wir wollen doch versuchen, auch trotz dieses Dunstes wieder froh zu werden. Jedenfalls sind wir um eine große Weisheit reicher geworden: Wenn uns böse Buben angreifen und belästigen, so sollen wir nicht gleich wütend werden. Mit der Wut richten wir doch nichts aus. Giftigen Dunst bläst man nicht so leicht fort. Man tut besser, sich an den giftigen Dunst zu gewöhnen. Hört auf mit dem Herumwerfen der großen Weltblöcke! Wenn Ihr nicht aufhört, gehen wir Alle zu Grunde.«

Da ging ein leises Murren durch die Weltecke. Aber man sah die Nutzlosigkeit des Kampfes ein und schloß wieder Frieden.

Alle Sterne suchten danach ihre Wunden, so gut es ging, wieder zu heilen.

Die Nebelsterne hatten am meisten gelitten. Doch auch sie waren mit der großen Friedenserklärung einverstanden; ihre Dunsthaut verblieb ja in der ganzen Weltecke – das ließ sich nicht mehr ändern.

Indessen – die einstmals hellen Sterne gewöhnten sich allmählich an den giftigen, lästigen Dunst und erklärten ihn schließlich für ein höchst interessantes kosmisches Schleiergebilde.

Und so beruhigte man sich nach und nach.

Und dann wards wieder still in der Weltecke.