Immer wieder du und ich - Juliet Ashton - E-Book

Immer wieder du und ich E-Book

Juliet Ashton

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Beschreibung

Ein Roman über die Liebe. Über die kleinen und großen Abenteuer des Lebens. Und über zwei, die sich lieben, aber immer wieder verpassen. Kate liebt Charlie. Charlie liebt Kate. Das war schon immer so. Sie sind füreinander geschaffen. Aber es ist kompliziert: Denn stets ist Charlie gerade vergeben, wenn Kate bereit ist. Und umgekehrt. Immer wieder kreuzen sich ihre Wege, auf Partys, Hochzeiten und Beerdigungen. Vergessen können Kate und Charlie einander nicht. Aber ist es nicht irgendwann zu spät für die große Liebe? Oder bietet ihnen das Leben noch eine zweite Chance? Nach dem großen Erfolg von «Ein letzter Brief von dir» der neue, berührende Roman von Juliet Ashton

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Juliet Ashton

Immer wieder du und ich

Roman

Aus dem Englischen von Silke Jellinghaus und Katharina Naumann

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

Ein Roman über die Liebe. Über die kleinen und großen Abenteuer des Lebens. Und über zwei, die sich lieben, aber immer wieder verpassen.

 

Kate liebt Charlie. Charlie liebt Kate. Das war schon immer so. Sie sind füreinander geschaffen. Aber es ist kompliziert: Denn stets ist Charlie gerade vergeben, wenn Kate bereit ist. Und umgekehrt. Immer wieder kreuzen sich ihre Wege, auf Partys, Hochzeiten und Beerdigungen. Vergessen können Kate und Charlie einander nicht. Aber ist es nicht irgendwann zu spät für die große Liebe? Oder bietet ihnen das Leben noch eine zweite Chance?

 

Über Juliet Ashton

Juliet Ashton stammt aus Irland und lebt heute mit ihrer Familie in London. Sie hat zahlreiche Romane unter ihrem Klarnamen veröffentlicht. Nach ihrem großen Erfolg «Ein letzter Brief von dir» folgt nun der zweite Roman im Rowohlt Taschenbuch Verlag, den sie unter dem Pseudonym Juliet Ashton schreibt.

 

Weitere Veröffentlichungen:

Ein letzter Brief von dir

Inhaltsübersicht

PrologDas ist wirklich ...Beccas Partys waren ...Kate lehnte sich ...«Ich glaube nicht ...«Ich tu das ...Seit sie bei ...Der Tee war ...«Es ist mir ...Die Henkel der ...Das Geschäft an ...Als hätte jemand ...«Noch eine Runde ...Jedes zweite Wort ...Kate konnte sich ...«Jetzt entspann dich ...Kate wandte sich ...Leseprobe «Das Glück wohnt in der Ivy Lane»

Prolog

Es war ganz still im Haus.

«Happy birthday to me.» Kate beugte sich zum Spiegel ihres Schminktisches und wandte das Gesicht etwas zur Seite, um ihr Spiegelbild aus einer möglichst natürlichen Perspektive begutachten zu können. Nicht schlecht. Auch nicht gerade umwerfend. Aber eben auch nicht schlecht. Frauen in ihrem Alter kamen in der Klatschpresse nicht gut weg, aber Kate sah es nicht ein, sich dem ständigen Druck zu beugen, immer dünner, sexyer und jünger aussehen zu müssen. Sie war nie besonders dünn gewesen, und sie fühlte sich nicht übermäßig sexy, und ganz genau wie der Rest der Menschheit wurde auch sie nicht jünger.

So sieht man also mit vierzig aus. Kate klopfte gegen die Unterseite ihres Kinns, um sicherzugehen, dass es nicht etwa vorhatte, auf der Schwelle zu ihrem – schluck! – fünften Lebensjahrzehnt nach unten zu sacken. Alles in allem sah vierzig noch ganz gut aus, zumindest, wenn sie ihre Kontaktlinsen nicht trug. Sie hatte Lachfalten, aber auch die schöne Haut ihrer Mutter und die gesunde, dunkle Mähne ihres Vaters.

Viele nahmen einen runden Geburtstag als Anlass zum Grübeln, über das Leben zu reflektieren. Kate wollte das nicht. Die Gelegenheiten, die sie verpasst hatte, die Chancen, die sie vermasselt hatte, die Menschen, die sie verloren hatte … Kate wollte nicht in der Vergangenheit leben. Jedenfalls nicht heute.

Für andere mochte der vierzigste Geburtstag der perfekte Grund sein, eine Party zu feiern, mit Karaoke und wildem, betrunkenem Tanzen. Auch das hatte sie nicht vor. An diesem besonderen Tag wollte sie ganz in Ruhe im kleinen Kreise ihrer Lieben sein.

Kate wandte sich vom Spiegel ab und betrachtete das Kleid, das an ihrem Schrank hing. Es war aus alter, beigefarbener Spitze geschneidert, mit Ärmeln, die bis zum Ellbogen reichten, und einem Rock, der weich auf den Boden fiel. Ein Hochzeitskleid, in dem Kate sich wie Audrey Hepburn fühlen würde. Eine etwas pummelige Audrey, zugegeben, mit mehr Kilometern auf dem Tacho, aber eine glückliche.

Wie schade, dass ich darin nie vor den Altar treten werde. Kate wollte gerade den Schrank öffnen, als ein Geräusch von unten sie erstarren ließ. Kate war doch ganz allein im Haus. Das dachte sie zumindest.

«Wer ist da?», rief sie und durchquerte das Zimmer in Richtung Tür.

Das ist wirklich eine tolle Party, dachte Kate.

Überall waren Chips in den Teppich eingetreten. Ballons zerplatzten. Mädchen kreischten. Jungs spielten Fußball im Bad.

Ihre Mum hatte den anderen Müttern Sekt eingeschenkt, ein guter Schachzug, fand Kate. Sekt, das wusste sie inzwischen, ließ Mütter lauter sprechen und ausgelassener lachen, und dann merkten sie nicht mehr, was um sie herum vorging. Nach ein paar Gläsern ließen die Damen den Sekt überschwappen, und es war ihnen egal, ob sie auf ihre Kleider kleckerten oder nicht.

Doch ein plötzlicher Tränenausbruch ließ sie alle in die Küche stürmen. Dort stand Becca in ihrem pinken Kleidchen aus Satin und Tüll und schluchzte.

Kate drückte sich ihr Lieblingsgeschenk an die Brust und wunderte sich, dass ihre Kusine so viel weinte. Und auch noch so laut. Es war ganz schön beeindruckend, wie viel Lärm, Salzwasser und Rotze ein einziges Mädchen produzieren konnte.

Dad flüsterte: «… Und ist entsetzlich wild, obschon so klein!»

«Scheksbier?», fragte Kate. Ihr Daddy war ganz verrückt nach diesem Schriftsteller aus alten Zeiten, der so eine komische Frisur trug.

Daddy lächelte, als ob sie einen Witz gemacht hätte. «Jawohl. ‹Ein Sommernachtstraum› von Shakespeare.»

Mehrere Frauen knieten jetzt neben Becca und schnatterten und gurrten wie große Hennen. Sie überschlugen sich geradezu in ihren Tröstungsversuchen. Zwischen zwei Schluchzern stieß Becca eine Anschuldigung gegen einen der Jungen hervor.

«Charlie», sagte sie unter Tränen. «Charlie hat mich getreten!»

Charlie stand in einer Ecke und schaute mit großen, ängstlichen Augen zu. Er schien unsicher, ob er bleiben und sich rechtfertigen oder lieber gleich fliehen sollte. Er war ein ernsthafter Junge mit einem Helm glatter, dunkler Haare und knubbligen Knien. Als er Kates Blick auffing, zog sie eine Grimasse, um ihn zum Lachen zu bringen.

Kate kannte Charlie, und sie wusste, dass er kein Treter war. Er war ein freundlicher Junge, der sich gerne mit Buchstaben und Zahlen beschäftigte, das Klassenmeerschweinchen streichelte und nach der Schule nicht so gern nach Hause ging.

Kate hatte einmal gehört, wie ihre Mum etwas über Charlies schmutzige Kleider und über die Männer murmelte, die seine Mutter traf. «Sie hat schon wieder einen neuen Freund», sagte sie zu Tante Marjorie. Mums irischer Akzent ließ selbst das allerbanalste Gespräch aufregend dramatisch klingen. Und wenn sie über Charlie oder seine Mum sprach, klang es ganz besonders gefährlich und unheilverkündend.

Wie die anderen Kinder wusste auch Kate, dass Charlie ein bisschen anders war. Ein bisschen merkwürdig. Er war nie ganz sauber. Seine Mum war dünn und sah krank aus, und manchmal konnte sie die Worte nicht richtig aussprechen.

Aber Charlie Garland war trotzdem kein Treter.

Und jetzt merkten auch die anderen, dass Becca ein bisschen übertrieb. Eine Mama nach der anderen ging zurück ins Wohnzimmer. Sie saßen auf den Sofalehnen oder knieten auf dem Teppich und schauten eine Hochzeit im Fernsehen an. Die weinseligen Ahhs und Ohhs hingen wie eine bonbonfarbene Wolke über ihren Köpfen.

Die Braut wirkte verängstigt, fast als ob sie zum Schuldirektor zitiert worden wäre, und nicht, als ob sie gerade vor dem Altar stünde. Kate verstand überhaupt nicht, was ihre Mum an Lady Diana fand. Und was diesen komischen Mann mit der großen Nase und der schrecklichen Frisur anging, den sie da heiratete … Kate konnte kaum glauben, dass dieser Charles ein echter Prinz sein sollte.

«Ist das ein Action Man?» Beccas Tränen waren erstaunlich schnell getrocknet. Sie konnte ihren Fluss an- und ausschalten, als hätte sie einen Wasserhahn an der Schläfe. «Warum hast du einen Action Man? Das ist doch ein Jungsspielzeug!» Dann fiel ihr etwas ein. «Hast du ihn, damit er Barbie heiraten kann?»

«Ärgs, nein!» Kate war einmal ein Blumenkind auf einer Hochzeit gewesen und hatte noch immer Albträume vom Geraschel dieses unbequemen Taftkleides. Niemand schien zu verstehen, warum ein Mädchen einen Action Man haben wollte. Außer Dad, der schlicht gesagt hatte: «Warum nicht?»

Kate mochte einiges aus der Jungswelt, aber das ging natürlich nicht so weit, dass sie auch Jungs aus Fleisch und Blut gemocht hätte. Daher hatte sie geschmollt, als ihre Eltern darauf bestanden, dass sie nicht nur die Mädchen, sondern auch die Jungs aus ihrer Klasse einlud.

«Becca musste auf ihre Party auch keine Jungs einladen», hatte sie gemurrt.

«Tja», hatte Dad auf diese merkwürdige Art entgegnet, mit der Erwachsene etwas sagen wollen, es dann aber irgendwie doch nicht aussprechen. «Da sieht man mal wieder, wie Becca ist.»

Beccas Party vor zwei Monaten war viel, viel besser gewesen als die königliche Hochzeit, die ihre Mütter jetzt schauten. Ein Zauberer hatte einen Bonbon hinter Kates Ohr hervorgezaubert, und jedes Mal, wenn sie daran dachte, fasste sie sich noch immer verwundert an ihr Ohrläppchen. Es hatte bergeweise Marshmallows gegeben und ganze Seen aus Sahnepudding.

Aus dem Wohnzimmer hörte Kate ihre Mutter rufen: «Oh, so eine Märchenhochzeit hätte ich mir gewünscht!» Sie schaute die Wiederholung der Szene, in der Lady (jetzt Prinzessin) Diana zum Altar der Westminster Abbey schritt. Kate hatte das Kleid gesehen und fand es überhaupt nicht toll. Es war ganz knittrig und zerknüllt und so furchtbar lang. Wie sollte die arme Prinzessin darin rennen oder springen, ohne sich zu verheddern?

«Mummy hat sich eine Märchenhochzeit gewünscht.» Kates Dad nahm sie in die Arme und knuddelte sie. «Stattdessen hat die arme Frau vor neun Jahren nur mich bekommen!»

«Du bist doch viel besser als ein Prinz.» Dad hatte immerhin die für einen Prinzen erforderlichen dunklen Locken und blitzenden Augen. Kate wusste aus den Disney-Filmen, dass Könige so aussahen.

Dad behauptete, dass er sein dunkles Haar seinen italienischen Vorfahren zu verdanken hätte und deshalb eigentlich auch noch jähzornig und leidenschaftlich sein müsste. Kate war erleichtert, dass dieses italienische Erbe nicht so recht durchkam – sie liebte ihn genau so, wie er war.

Dank Dad hatte Kate nicht so eine eklige, kreischend pinkfarbene Geburtstagstorte bekommen, wie sie Mum eigentlich hatte backen wollen. Er hatte gerade noch rechtzeitig eingegriffen – «Du verziehst sie, John!», hatte Mum daraufhin missbilligend gemurmelt –, und so konnte Kate die Kerzen auf einer Biskuittorte ausblasen, die aussah wie ein geöffnetes Buch. Sie hatte die verschnörkelten Zuckergussworte gelesen – Das Geburtstagsbuch von Kate Minelli, 5 Jahre alt – und sich den Zuckergussnamen heimlich in die Tasche gesteckt, um ihn später genüsslich im Bett zu verspeisen, bevor Becca Wind davon bekam. Im Dunstkreis ihrer Kusine hatte Kate schnell gelernt, vorsichtig zu sein, wenn ihr etwas besonders gefiel – Becca war nämlich fast immer schneller als sie.

 

Die Party hatte sich in zwei Gruppen aufgeteilt: Die Jungs flitzten die ganze Zeit herum und schrien wie die Verrückten. Die Mädchen kämmten den Puppen die Haare und quälten die mürrische Katze mit ihren Zärtlichkeiten.

Becca, die in ein Phantasiespiel versunken war, für das man sämtliche Tassen des Haushalts brauchte, schaute auf und kam zu Kate. «Darf ich bitte, bitte mal mit deinem Action Man spielen, bitte?» Sie trat ganz nah an Kate heran und rieb ihre Wange an die ihrer Kusine wie ein Kätzchen.

Kate zögerte. Sie wollte eigentlich ja sagen, aber ihre Lippen gehorchten nicht. Ihre Füße dagegen wollten am liebsten wegrennen. Kate hatte diese Situation einfach schon zu oft erlebt und wusste genau, wie sie ausgehen würde.

«Kate!» Mum, die zwischen zwei anderen Frauen eingequetscht auf dem Sofa saß, beugte sich vor, um sich einzumischen. «Sei nicht unhöflich, Mäuschen. Du musst deine Spielzeuge mit Becca teilen.»

Also übergab Kate Becca ihre neue, noch kaum benutzte Action-Man-Figur, die eine schicke Armeeuniform trug (sie überlegte, ihr später einen Smoking anzuziehen), und rang sich ein Lächeln ab.

Ein, zwei Minuten später bewahrheitete sich ihre böse Ahnung.

«Ups.» Becca hielt den Körper der Figur in der einen Faust und den Kopf in der anderen. «Der ist einfach abgegangen! Tut mir so leid!» Ihre Unterlippe bebte bedrohlich.

«Schon gut. Nicht weinen, Becca!» Kate nahm die verstümmelte Figur wieder zurück. Sie hatte sich schon so viele schöne Spiele für ihren Action Man ausgedacht: Er sollte ein Popstar und ein Dad und ein Alien sein. «Macht nichts. Ehrlich.» Am schlimmsten war nämlich, dass Becca nicht nur Kates Spielzeug kaputt machte, sondern danach immer in Tränen ausbrach. Als ob ihre Sachen kaputtgegangen wären.

«Arme Becca!» Mum schoss wie von der Tarantel gestochen vom Sofa hoch. «Was hast du schon wieder zu ihr gesagt, Kate?»

«Aber ich …» Es brachte gar nichts, sich zu verteidigen.

Jetzt zeigten sie wieder den Kuss im Fernsehen, eine peinliche Berührung königlicher Lippen auf dem Palastbalkon. Mum sah mit einem Auge zu, während sie Becca mit dem Versprechen auf Süßigkeiten und Trostkakao wegschob.

Tränen herunterzuschlucken ist Schwerstarbeit. Kate hatte plötzlich genug von ihrer Party und wollte, dass sie vorbei wäre. Mit einem Mal wünschte sie sich nichts sehnlicher, als sich alleine im Pyjama auf dem Sofa einzukuscheln, auf das Abendessen zu warten und mit ihrem (hoffentlich bis dahin reparierten) Action Man zu spielen.

«Wackelpudding?» Jemand hielt Kate einen Pappteller unter die Nase.

«Nein», antwortete sie. Sie hasste Wackelpudding.

«Ich kann dir meinen Action Man leihen, wenn du willst», bot Charlie an. Er war ein wenig kleiner als Kate, und eine Haarsträhne fiel ihm immer wieder in die Augen.

«Nein, danke.» Die anderen Kinder wirbelten um sie herum. Kate starrte ihren kaputten Action Man an, und Charlie starrte Kate an. «Was willst du?», fragte sie ihn gereizt. Sie wollte allein sein mit ihrem Kummer.

«Nichts.» Charlies Blick war sehr ernst, fast als könne er direkt in sie hineinhorchen und schon die Tränen sehen, die sie so mühsam zurückhielt.

Kate runzelte die Augenbrauen. Charlie Garland war wirklich anders, auf ungute Weise anders, mit seinem fleckigen Pulli und den verkletteten Haaren, aber gleichzeitig auch irgendwie gut-anders. Charlie war still, aber nicht langweilig. Er ärgerte die Mädchen nicht einfach so. Und er schien mehr mit Kate und ihrer geköpften Puppe mitzufühlen als ihre eigene Mutter.

«Mir gefällt dein Kleid», sagte Charlie plötzlich. Er sagte es leise und drängend wie ein Spion, der ein Geheimnis offenbart.

Erschrocken blaffte Kate: «Was?» Sie war allergisch gegen Komplimente. Sie misstraute ihnen ebenso sehr, wie ihre Kusine sie liebte.

Charlies Hand hielt den Pappteller so fest, dass er zitterte. «Ich liebe dich», sagte er.

Kate warf ihm den Wackelpudding ins Gesicht.

Weil, wie jeder weiß, Jungs nun mal stinken.

Beccas Partys waren legendär.

Diesmal waren besonders viele Gäste gekommen, weil Becca versprochen hatte, dass ihre Eltern nicht dabei sein würden. Sie hatte wochenlang mit einem Zwinkern garantiert, dass «es die weltweit beste Party ever» werden würde.

Nach ein paar Stunden und dem zweiten Glas abscheulichen Punschs fand Kate das auch. Nicht wegen des Mount Everest aus Cocktailwürstchen, den sie geholfen hatte aufzurichten, oder wegen der Plastikwanne, die sie mit Eiswürfeln und Bier gefüllt hatte, und auch nicht wegen der Lichterketten, die das durchgestylte Wohnzimmer von Tante Marjorie und Onkel Hugh in eine verzauberte Grotte voller Möglichkeiten verwandelten.

Sondern weil dieser Abend unvergesslich sein würde, geradezu historisch. Weil diese Nacht für Kate die Nacht der Nächte werden würde.

Sie würde es tun. Sie würde ihre lästige Jungfräulichkeit loswerden. Sie würde Sex haben. Allein der Gedanke ließ Kate zusammenzucken, deshalb ersetzte sie das Wort Sex hastig durch Liebe Machen, großgeschrieben, weil das in allen Zeitschriften so stand und Becca behauptete, dass Liebe Machen ein riesiger Schritt im Leben eines Mädchens sei.

Wahrscheinlich musste man diese Worte deshalb ebenfalls groß schreiben: Ein Riesiger Schritt.

Unten lief Things Can Only Get Better, das Kate ständig auf ihrem Walkman hörte. Ihre Freunde, die alle von Kopf bis Fuß superfunky Schwarz trugen, schrien den hymnischen Refrain mit und sprangen dabei auf Tante Marjories in Ehren gehaltenem Perserteppich auf und ab.

Oben im Gästezimmer hörte man von der Musik nur noch ein gedämpftes Pulsieren. Kate saß auf einem Mantelhaufen auf dem Bett und betrachtete ihren Freund, mit dem sie schon sechs Monate zusammen war und so gern knutschte.

Charlie war größer als sie. Sie liebte es, sich auf die Zehenspitzen zu stellen und ihn zu küssen, und sie mochte die kleine Mulde direkt unter seiner Schulter, in die ihr Kopf so perfekt passte, wenn sie sich umarmten. Es gab auch Dinge, die sie nicht so gern an ihm mochte – seine Neigung, sich ewig mit ihrem Dad über langweilige Themen zu unterhalten, wenn sie gerade ausgehen wollten, oder seine Reserviertheit Becca gegenüber – aber das war alles nicht so wichtig.

«Warum denn nicht?» Kate hörte selbst den quengeligen Unterton in ihrer Stimme. «Im Ernst», sagte sie. «Wir sind doch verrückt nacheinander, oder?»

«Ja.» Charlies dunkle Augenbrauen senkten sich, als ob ihn etwas schmerzte. «Natürlich sind wir das. Na ja», fügte er hinzu, und dabei schnellten seine Brauen wieder nach oben, «zumindest bin ich verrückt nach dir.»

Kate knuffte ihn in die Rippen. Ziemlich fest. «Tut mir leid», lachte sie, als er zusammenzuckte. «Also … wir sind verrückt nacheinander, und wir haben ein Schlafzimmer ganz für uns allein, in das keine Eltern reinplatzen können … also, warum sollen wir dann nicht …» Kate hatte ihren verführerischen Blick lange vor dem Spiegel geübt, aber sie hatte den Verdacht, dass er sie jetzt eher wie eine Ente aussehen ließ als wie eine sexy Sirene.

«Es ist hier irgendwie nicht besonders romantisch, oder?» Charlie sah sich in dem karg möblierten Zimmer mit den rosafarbenen Raufasertapeten und den Einbauschränken um. In einer Ecke stand ein Trimmrad, an dessen Lenker Unterwäsche zum Trocknen hing. Ein halb fertig gebasteltes Modellflugzeug stand einsam und verlassen auf dem beigefarbenen Teppich. «Und ich kann mich an kein einziges Liebesgedicht erinnern, in dem ein Jackenhaufen vorkommt.»

«Dann schreib eins.» Kate knuffte ihn erneut. Diesmal entschuldigte sie sich nicht. «Mach mal Pause vom größten Roman, den die Menschheit je gelesen hat.»

«Das hast du gesagt», sagte Charlie. «Nicht ich.»

Kate wusste, wenn sie die Gesäßtasche von Charlies coolen Nadelstreifenhosen befühlte (keine schlechte Idee übrigens, sie war ganz scharf auf Charlies Hintern), würde sie einen winzigen Notizblock und einen Bleistiftstummel finden. «Du sagst, in deinem Roman geht es um Liebe. Wahre Liebe. Ursprüngliche, wichtige Liebe. Kleine, schöne Liebe.» Kate beugte sich vor und schaute ihm von unten ins Gesicht, weil Charlie zusammengezuckt war und den Kopf gesenkt hielt, als sie ihn zitierte. «Sieh es doch einfach als … Recherche.»

Sie rückte näher an ihn heran, in der Hoffnung, dass ihre Nähe und die Hormone überzeugend wirken würden, und legte ihm die Hand auf den Oberschenkel. «Komm her», sagte sie leise. Sie küssten sich, und Kate schmiegte sich an ihn, bis sie vollkommen ineinander verschlungen waren. Seine starken Arme hielten sie ganz fest.

«Katie, nein», murmelte er.

«Aber warum denn nicht?», gab sie zurück. Kate wusste, dass Charlie bereits mit seiner Ex geschlafen hatte. Das wusste jeder. Seine Ex war nämlich keine besonders diskrete Person. Kate erstarrte mitten im Kuss. Ein unangenehmer Gedanke drängte sich ihr auf.

«Charlie!» Sie rückte von ihm ab, sodass die intime Blase, in der sie sich befunden hatten, jäh zerplatzte. «Fandest du Natalie etwa toller als mich?» Sie sprang auf, als er lachte. «Lach mich nicht aus! Antworte auf meine Frage.»

Ergeben breitete er die Arme aus und sagte: «Ich habe nur gelacht, weil das so eine absurde Frage ist, Kate. Ich finde dich viel toller, als ich jemals irgendjemanden toll gefunden habe. Ich finde dich sogar toller als …» Er suchte verzweifelt nach einer Göttin, die jeder normale Mann seines Alters begehrte. «Toller als Demi Moore!», rief er triumphierend.

«Ja, schon klar.» Kate wusste, Demi Moore war knapp eins sechzig, mit Beinen, die eher zuverlässig als elegant waren, und einem schlauen kleinen Gesicht, das unter einem Pony hervorschaute, der irgendwie nie ganz gerade war. Mit vor der Brust verschränkten Armen ging sie im Zimmer auf und ab. Von unten drang das missmutige Rumpeln von Oasis durch die Dielenbohlen.

«Kapierst du es denn nicht?», fragte Charlie leise. «Ich bin nicht nur in dich verknallt, Kate. Ich liebe dich.»

Es war nicht das erste Mal seit Kates fünftem Geburtstag, dass Charlie diese Wort aussprach. Er war sich seiner Gefühle damals sicher gewesen und war es heute noch, aber woher wusste er bloß so genau, dass das hier wirklich Liebe war? Kates Freundinnen gebrauchten das Wort Liebe inflationär und sagten es jede Woche über einen neuen Jungen. Kate hingegen war sehr vorsichtig im Umgang mit diesen fünf Buchstaben, sie hatte Respekt vor ihrer Macht und wusste, dass sie magisch waren.

Charlie streckte die Hand aus, löste sanft ihre verschränkten Arme und nahm ihre Hände in seine. «Du scheinst es mir nie zu glauben, wenn ich es dir sage», flüsterte er. In der Dunkelheit war sein Körper tiefschwarz und beinahe unsichtbar, sein körperloses Gesicht ein bleiches Oval über seinem Rollkragenpullover. Trotz der Unmengen an Gel, die er sich in die Haare geschmiert hatte, fielen sie ein wenig in sich zusammen.

«Ich glaube dir doch.» Kate lächelte. Wie schnell ihre Stimmungen wechselten, wenn es um Charlie ging. «Tu ich wirklich», bekräftigte sie. «Aber warum können wir dann nicht …»

«Ich hab es noch nie gemacht.» Charlie presste sofort die Lippen zusammen, offenbar fürchtete er ihren Kommentar.

«Hast du wohl!» Noch während sie es aussprach, begriff sie, wie lächerlich es war, darauf zu bestehen, dass Charlie unrecht hatte, zumal es doch um seine Jungfräulichkeit ging. «Oder etwa nicht?»

«Ob du’s glaubst oder nicht. Manchmal kriegt ihr Mädchen die Sachen in den falschen Hals, wenn ihr euch in euren Toiletten verkriecht und Geschichten austauscht.» Charlie ließ ihre Hände fallen und stand auf. Vor dem Fenster nahm sein schlanker Körper im quecksilbrigen Licht Gestalt an. «Ich weiß auch nicht, warum Natalie behauptet, dass wir Sex hatten. Wir haben uns nur geküsst und ein bisschen rumgeschmust.» Er lächelte sie über die Schulter hinweg an. «Tut mir leid. Ich weiß, dass du es nicht magst, wenn ich über sie rede.»

«Jetzt, da ich weiß, dass sie eine verlogene Spinnerin ist, macht es mir nicht mehr so viel aus.» Kate ließ sich auf die Bettkante plumpsen. «Ich habe wirklich gedacht, du …»

«Ich wollte es dir sagen. Aber das ist alles ein bisschen peinlich.» Er ließ den Kopf hängen. «Alle anderen Jungs haben es schon getan.» Charlie räusperte sich und sagte spöttisch: «Und jetzt machst du wohl mit mir Schluss, oder?»

«Und was, wenn die anderen Jungs nur sagen, dass sie’s schon getan haben?» Kate streckte ein Bein aus. Es war in den blickdichten Strumpfhosen tintenschwarz wie das einer Spinne und endete in einem plumpen schwarzen Schuh. «Du hast recht, Charlie. Das hier ist nicht der richtige Ort, und es ist auch nicht der richtige Zeitpunkt für unser erstes Mal. Wir können warten.»

Sie wunderte sich, dass er angenommen hatte, sie würde wegen etwas so Banalem mit ihm Schluss machen, und tat so, als ob sie nicht bemerkte, dass sein ganzer Körper erleichtert aufatmete. «Hast du Lust zu tanzen?»

«Nein.» Charlie kam mit einem langen Schritt auf sie zu, schubste Kate rücklings auf die Mäntel und legte sich auf sie. «Ich habe Lust auf dich.» Er küsste sie, und sein Haar fiel in ihr Gesicht. Sie glitten beinahe auf den Boden, fingen sich aber gerade noch ab, ohne die Lippen voneinander zu lösen.

«Hast du es dir anders überlegt?», kicherte Kate in seinen Hals und zog an seinem Pulli, während er ungeschickt an den Knöpfen ihrer Bluse herumfummelte.

«Wir brauchen gar keine Romantik», keuchte Charlie und löste sich nur so lange von ihr, wie er brauchte, um sich den Pulli vom Leib zu reißen und ihn auf den Boden zu schleudern. «Wir sind Romantik.»

Plötzlich wurde die Musik lauter. Ein goldener Streifen Licht fiel ins Zimmer. Die Tür hatte sich einen Spalt geöffnet.

Sofort tauchte Kate unter die Mäntel ab.

«Scheiße!» Charlie tat es ihr nach und zog hastig Blousons und Jeansjacken und Secondhand-Regenmäntel über sie. Als das Lichtdreieck so groß war, dass es das Bett erleuchtete, hatten sie sich schon tief in dem Haufen vergraben und waren unsichtbar für die Eindringlinge.

Nase an Nase lagen sie in ihrer finsteren Höhle beieinander, und Kate formte Becca mit den Lippen. Mit der Stimme, mit der ihre Kusine immer ihre Freunde abzurichten pflegte – neunzig Prozent Zuckerwatte und zehn Prozent Napalm –, sagte Becca gerade: «Julian! Hör mir mal zu! Das ist mir jetzt wirklich wichtig.»

«Das hier ist auch wichtig.»

Kate und Charlie unterdrückten ein Kichern, als Knutschgeräusche durch die vielen Mantelschichten drangen. Ärgs!, machte Kate tonlos. Sie hatte überhaupt keine Lust, Zeugin von Beccas Geturtel zu werden.

«Nein!», sagte Becca. «Wenn ich nicht bekomme, was ich will, dann du auch nicht.»

«Ach, komm schon.» Julian, ein Meter neunzig britischer Upperclass gekleidet in Cord und Tweed, war es genauso gewohnt, seinen Willen zu bekommen. Er und Becca verkörperten das allgemein bekannte Paradox: Unaufhaltsame Macht trifft auf unbewegliches Objekt. Sie waren beide gleichzeitig unaufhaltsam und unbeweglich, aber für Kate war es natürlich keine Frage, wem sie im Falle eines Kampfes zur Seite stehen würde.

Die Musik von unten wurde noch etwas lauter. Bon Jovi johlte jetzt so laut, dass die Regale wackelten. Die Nachbarn würden sich beschweren, aber Kate wusste, dass Becca morgen mit Blumen und Wein bei ihnen auftauchen und mädchenhaft zerknirscht um Entschuldigung bitten würde, und dann würde alles vergeben sein. Becca war unübertroffen darin, für Unordnung zu sorgen, aber sie konnte auch ganz gut wieder aufräumen. Unzählige Male hatte die Kusine Kate schon vor Ärger bewahrt. Beinahe so oft, wie sie ihr welchen verschafft hatte.

«Mein Gott, du bist so … hinreißend», stöhnte Julian.

Charlie tat so, als müsse er sich übergeben.

«Kate hat mir bei der Auswahl geholfen.» Becca drehte sich in ihrem weinroten Mikromini vor Julian. «Sie hat mir auch ihr Halsband geliehen.»

«Dir steht es viel besser.»

Kate zog in der Dunkelheit ihres Verstecks ein empörtes Gesicht, aber sie musste Julians uncharmantem Kommentar beipflichten. Alles stand Becca besser als ihr. In der Familie hatte Becca von Anfang an die Rolle der «Hübschen» gehabt, und sie machte diesem Titel alle Ehre mit ihren teuren blonden Strähnchen und dem diätgeformten Körper.

Fremde spürten dennoch meist, dass die beiden Mädchen miteinander verwandt waren, obwohl die eine langbeinig und atemberaubend und die andere etwas kleiner, unscheinbarer und normalerweise über ein Buch gebeugt anzutreffen war («die Schlaue»). Es waren die Augen: Sowohl Kate als auch Becca schauten durch porzellanblaue Augen in die Welt, die ihr gemeinsames irisches Erbe verrieten.

Jetzt hörte Kate durch die Stoffschichten, dass ihre Kusine sie verteidigte.

«Wehe, du sagst etwas Schlechtes über meine Kate. Sie ist die beste Freundin auf der ganzen Welt.»

«Ich habe keine Ahnung, warum sie dich erträgt», bemerkte Julian.

«Sie liebt mich eben», erwiderte Becca gelassen und selbstsicher. «Genauso, wie ich sie liebe. Ich würde ihr mein letztes Hemd geben.»

«Und dann würdest du es dir von ihr wieder ausleihen.» Julian wagte es, etwas näher an sie heranzurücken.

«Nein, hör auf!» Becca schlug ihm auf die Finger. «Wir müssen reden.»

Julian stieß laut die Luft aus, ganz offenbar hatte seine Leidenschaft einen gehörigen Dämpfer bekommen. «Was habe ich jetzt wieder getan?» Er ließ seinen blonden Kopf hängen und biss sich auf die Unterlippe.

«Es geht eher darum, was du nicht getan hast.»

«Oh herrjemine.» Julian klatschte sich mit der flachen Hand an die Stirn. «Das ist jetzt aber wirklich ein weites Feld. Können wir das Thema nicht vielleicht ein bisschen eingrenzen?»

«Wie lange sind wir jetzt schon zusammen?»

«Sechs großartige Monate, meine Geliebte.» Julian schlang seine Arme um ihre Taille.

«Genau wie wir», wisperte Charlie.

«Ich werde nie vergessen», sagte Julian und knabberte an Beccas Ohrläppchen, «wie überrascht ich war, dass gute katholische Mädchen es schon beim ersten Date tun.»

Kate riss die Augen auf. Darüber musste sie demnächst unbedingt mit Becca sprechen. Denn das verschlagene kleine Biest hatte behauptet, sie habe Julian wochenlang warten lassen.

Als ob Sex eine Belohnung für Wohlverhalten wäre, dachte Kate, wie wenn man einem folgsamen Labrador einen Kauknochen zuwirft.

«Lass mich.» Becca schob Julian von sich. Sie hatte erstaunlich viel Kraft. Er stolperte über das Modellflugzeug, um dann hart auf dem Trimmrad zu landen.

«Hey, jetzt reg dich mal ab.»

Kate hörte an Julians gereiztem Ton, dass Becca ein wenig zu weit gegangen war. Im Gegensatz zu Kates Beziehung zu Charlie, die einfach fröhlich vor sich hin plätscherte, war die Liebesbeziehung ihrer Kusine im Grunde eine Reihe strategischer Scharmützel.

Vor ein paar Wochen erst hatte eines der für Becca und Julian so typischen Geplänkel an Tante Marjories sonntäglichem Mittagstisch stattgefunden. Über den Bratkartoffeln hatten sie ihre Machtspiele ausgetragen.

«Wir hatten uns schon gefragt, ob wir Beccas Freund jemals kennenlernen würden», hatte Tante Marjorie geflötet und Julian einen Teller gereicht, der mit genug Essen für eine hungrige vierköpfige Familie beladen war.

«Hmm», sinnierte Becca neckisch. «Und ich hatte schon das Gefühl, dass er sich meiner Familie gar nicht vorstellen wollte.» Ihr schelmischer Blick ließ Julian auf seinem Stuhl erstarren. «Fast, als sei es ihm nicht ernst mit uns.»

Julian lachte unsicher.

«Aber es ist Ihnen schon ernst mit Becca, oder?», hatte Kates Mutter gefragt. Etwas Soße klebte an ihrem Kinn.

«Natürlich ist es ihm ernst», hatte Tante Marjorie entgegnet. «Stimmt doch, Julian? Ein so gut erzogener junger Mann wie Sie würde meine Tochter nie auf den Holzweg führen.»

«Und?» Becca hatte tatsächlich mit ihren Wimpern geklimpert. Julian sah aus, als hätte er am liebsten das Besteck auf den Tisch geschleudert und sie gewürgt.

«Ich habe wirklich sehr starke Gefühle für Ihre Tochter», brachte er schließlich heraus.

Tante Marjorie knuffte ihren Ehemann, und Onkel Hugh schreckte hoch. Er versank öfter in seine Tagträume von Golf und schweigsamen Ehefrauen. Jetzt stotterte er unbeholfen: «Äh, ja. Sind Ihre Absichten … ehrenhaft, Julian?»

Ehrenhaft? Kate und Becca mussten sich beide das Lachen verkneifen und fühlten sich plötzlich wie in ihrer Kindheit: zwei kleine, kichernde Mädchen. Das Universum, das sie teilten, zu dem sie Zuflucht suchen konnten, wann immer sie wollten, war ein Ort der Freude und des Unsinns. Ihre Freunde wunderten sich oft über Kates Zuneigung zu ihrer Kusine, und ihr fiel es schwer, zu erklären, warum sie so an der schwierigen Becca hing, die immer mit großem Getöse auftrat. Es hatte wohl etwas damit zu tun, wie sie sich in ihrer Nähe fühlte: mutiger. Und ein bisschen leichtsinnig. Für jemand so Umsichtigen wie Kate sogar geradezu verwegen.

«Meine Absichten», hatte Julian damals staatsmännisch und mit unbewegtem Gesicht verkündet, «sind zutiefst ehrenhaft. Ich liebe Ihre Tochter, Mr. und Mrs. Neely, und ich würde ihr niemals weh tun.»

«Nenn mich doch Marjorie!», quakte Tante Marjorie, vollgepumpt mit Hormonen gegen Wechseljahrbeschwerden. Die Pillen schienen eine geradezu berauschende Wirkung auf sie zu haben.

Als Julian Becca anschließend beim Geschirreinräumen zur Hand ging, unterhielten sich die anderen leise am Tisch.

«So gute Manieren …» Kates Mutter war von Julians Erziehung ganz hingerissen.

«Und diese Stimme …» Tante Marjorie erbebte unter einem wohligen Schauer.

«Ja, ein wunderbar anständiger Junge», stellte Kates Mutter fest, die natürlich noch nicht ahnen konnte, dass der anständige Junge ihrer Nichte just in diesem Moment in der Besenkammer den Slip auszog.

Später, als sie wie jeden Abend Kate angerufen hatte, gab Becca damals zu: «Julian war so wütend auf mich. Einen Augenblick lang hatte ich schon befürchtet, dass ich zu weit gegangen wäre.»

«Du gehst doch immer zu weit. Zu weit ist der Ort, an dem du lebst, Becca.» Mit jemandem verwandt zu sein, der ständig alle Grenzen überschritt, hatte den Vorteil, dass Kate jede von Beccas Eskapaden praktisch aus zweiter Hand miterleben durfte.

«Meine Mum pfeift schon den Hochzeitsmarsch.» Becca schnaubte. «Sie glaubt, die Sache sei in trockenen Tüchern.»

«Ist sie das denn nicht?» Kate wusste, dass Becca großen Ehrgeiz an den Tag legen konnte, wenn es um Männer ging. Sie war davon überzeugt, dass ihr auf diesem Gebiet nichts misslingen würde.

«Mehr oder weniger.»

Kate hatte plötzlich Mitleid mit Julian, als wäre er ein verwundeter Löwe und Becca eine Großwildjägerin. Sie konnte das versonnene Lächeln am anderen Ende der Leitung fast hören. Beccas Opfer hatte praktisch keine Chance mehr.

Und hier unter den Mänteln im Gästezimmer war Kate im Begriff, Zeugin seiner Niederlage zu werden.

«Du liebst mich doch, oder, Honigbärchen?», murmelte Becca.

«Das weißt du doch», erwiderte Julian. «Ich bin verrückt nach dir, Zuckerlippe.»

Kate und Charlie wagten es nicht, sich anzusehen. Honigbärchen. Zuckerlippe. Das war wirklich zu viel.

«Und warum zeigst du mir dann nicht, wie sehr?»

«Aber das versuche ich doch gerade – autsch!» Julian befühlte sich die Wange, auf die Becca ihm einen verspielten Klaps gegeben hatte. «Jetzt mach aber mal halblang, Süße.»

Kate und Charlie kannten diese Angespanntheit zwischen den beiden schon von den Pärchenabenden, die sie hin und wieder miteinander verbrachten. Jedes Mal brachen Becca und Julian einen kleinen Zank vom Zaun und bliesen ihn zu einem Riesenstreit auf. Leidenschaftlich und demonstrativ, wie sie waren, gingen die beiden vor allem Charlie heftig auf die Nerven. Er bat Kate oft darum, nicht so viel Zeit mit ihnen verbringen zu müssen, ihm war das viel zu viel Drama.

«Aber es ist doch meine Becca …», sagte Kate dann immer. Als Einzelkind schätzte sie es besonders, eine so enge Freundin zu haben. Manchmal behaupteten die beiden Mädchen sogar, Schwestern zu sein. Die Nähe, die sie in ihrer Kindheit aufgebaut hatten, bestand auch dann noch, als sie längst flügge geworden waren. So sehr fühlten sie sich voneinander verstanden. Becca kannte jeden dunklen Winkel, jede scharfe Kante in Kates Seele und feuerte sie dennoch unermüdlich an, war immer auf ihrer Seite, stand ihr immer bei. Charlie fand, dass Becca sich wie eine Diva benahm und Kate sich zu viel von ihr gefallen ließ.

Statt einer Antwort zerzauste Kate ihm dann stets die Haare. «Du ärgerst dich ja bloß, weil sie dich wie einen kleinen Bruder herumkommandiert.»

Charlie zuckte dann die Schultern, und sie küssten sich, weil er schließlich schon immer gewusst hatte, dass Kate nur im Doppelpack mit Becca zu haben war: Wenn er die eine wollte, musste er sich mit der anderen arrangieren.

«Becca ist nun mal Becca», lächelte Kate nachsichtig, wenn ihre Kusine sie mal wieder alle ins Kino schleppte, um einen Film zu sehen, der nur sie allein interessierte.

Aber Kate spürte auch jedes Mal ganz genau, wenn Becca es mit Julian zu weit trieb, wenn sie seinen guten Willen zu sehr ausreizte.

Vermutlich war der Moment, als Becca ihn durch das Gästezimmer geschubst hatte, mal wieder der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte und ihren Plan fehlschlagen lassen würde.

«Das hier ist aber wichtig, Julian, und du willst wieder nur knutschen.»

«Wie poetisch du dich immer ausdrückst!»

In der Dunkelheit rümpfte Kate die Nase. Wenn Julian ein bis drei Drinks zu viel intus hatte, bekam seine Stimme diesen scharfen Unterton, dann nahm er Beccas mangelnde «Kultur» aufs Korn. Kannst du nicht ein bisschen mehr so wie Kate sein? Sie liest richtige Bücher statt immer nur Modezeitschriften, sagte er dann. Kate schmeichelte es, dass Julian sie ernst nahm und mit ihr tiefschürfende Gespräche führte, aber sie mochte es gar nicht, dass er Becca damit jedes Mal einen Dämpfer versetzte. Das sagte sie ihm auch direkt ins Gesicht. Was vermutlich einer der vielen Gründe war, weshalb sie annahm, dass sich Julian nicht allzu viel aus ihr machte.

Becca ignorierte den hämischen Unterton, oder sie tat so, als hätte sie ihn nicht gehört. Denn ihre Fähigkeit, genau das herauszufiltern, was sie hören wollte, war der Schlüssel zu ihrem Erfolg beim anderen Geschlecht.

«Denk doch mal nach, Julian. Was würde meinen achtzehnten Geburtstag vollkommen und total und komplett unvergesslich machen?»

«Ein Mord?» Julian lachte. Er schien gar keine Ahnung zu haben, dass die Situation langsam brenzlig wurde. Kate wusste, dass er drauf und dran war, in Beccas Falle zu tappen. «Hör auf, mir Rätsel aufzugeben, Becca. Ich bin ein bisschen betrunken und habe zu viel von der merkwürdigen Quiche deiner Mutter gegessen. Also sag mir, Zuckerlippe, was willst du von mir? Denn genau das bekommst du. Du weißt doch, dass ich alles für dich tun würde.»

«Alles?» Becca schnurrte jetzt fast.

Kate wusste nicht genau, warum, aber sie hatte die Beziehung zwischen Julian und Becca nie richtig gutheißen können. Es lag nicht daran, dass er ihre Clique für unreif hielt. Es war ganz natürlich, dass ein Haufen Teenager einem erfolgreichen Mittzwanziger kindisch vorkommen musste. Es war auch nicht seine Arroganz, die ihr nicht gefiel. Im Gegensatz zu einigen ihrer Freunde fand Kate es amüsant, dass Julian darauf bestand, nur die besten Weine zu trinken und immer, aber auch wirklich immer, einen Schlips zu tragen, weil er überzeugt war, dass ein schlipsloser Mann nur ein halber Mann sei. Nein, es war etwas anderes, was sie irritierte. Etwas fehlte in seinem Blick, wenn er Becca ansah. Und dieses Etwas war Liebe.

Kate wusste, wie ein liebender Mann aussah. Charlie hatte sie das gelehrt. Plötzlich ging ihr das Herz auf für den merkwürdigen, albernen, wunderbaren Jungen an ihrer Seite. Sie küsste ihn so unvermittelt und so heftig auf den Mund, dass er erschrak.

Becca und Julian waren offensichtlich nur mit sich beschäftigt und merkten nicht, wie sich der Mantelhaufen bewegte.

«Denk doch mal nach. Was tut ein Mann, wenn er sich in eine Frau verliebt hat?» Beccas Stimme war so süß, dass man davon hätte Karies bekommen können.

«Er kauft ihr einen Haufen schöner Dinge», antwortete Julian, nahm ihre Hand und küsste ihr Handgelenk direkt über dem goldenen Bettelarmband, das sie nur eine Stunde zuvor ausgewickelt hatte. «Und er erträgt ihre Mutter. Er kutschiert sie herum, selbst wenn er genug Arbeit hat. Und er sagt ihr stündlich, dass sie wunderschön ist. Genauso, wie ich es tue, Liebling.»

«Nein, ich meine, was fragt er sie?»

«Keine Ahnung.» Julian tat so, als denke er nach. «Wie war’sdenn für dich?» Er duckte sich unter ihrem Schlag und sagte dann leidend: «Jetzt komm mal zum Punkt, damit ich dich vögeln kann, Becca, okay?»

Wie reizend. Aber Kate wusste genau, was Becca im Sinn hatte.

Manche Leute sahen im bitteren Nachspiel von Prinzessin Dianas Märchenhochzeit den Beweis dafür, dass Erwachsene nicht mehr an Märchen glauben sollten. Andere – so auch die siebzehnjährige Kate – erkannten in der ganzen Geschichte eine feministische Parabel, in der es um ein Jungfrauenopfer an das Patriarchat ging. Becca dagegen sah schlicht, dass die Stelle einer Prinzessin frei geworden war. Sie hatte sich ihr Hochzeitskleid ausgemalt, seit sie in der Lage war, einen Buntstift zu halten, und jetzt war der Bräutigam ihrer Träume endlich in Reichweite.

«Er kniet vor ihr nieder», fuhr Becca fort. Sie sprach langsam, ganz deutlich, sodass kein Zweifel mehr daran bestand, auf was sie anspielte. «Und er fragt sie, ob sie seine …»

«Becca, Liebling, ich liebe dich heiß und innig, aber …»

Becca legte ihm einen Finger auf die Lippen. «Er fragt sie, ob sie seine Frau werden will», flüsterte sie.

Es war ganz still im Zimmer. Unter den Mänteln hielten Charlie und Kate den Atem an. Die Partygeräusche klangen plötzlich nur noch ganz gedämpft herauf. Das kann sie doch nicht machen! Kate bereitete sich innerlich schon auf den tränenreichen Zusammenbruch vor, der auf Julians Ablehnung folgen musste. Sie kann doch einen Mann wie ihn nicht zur Ehe zwingen wollen!

«Du bist die unerträglichste, anstrengendste, verwöhnteste kleine Madame, die ich je kennengelernt habe», sagte Julian schließlich. «Willst du mich heiraten?»

«Ja!», schrie Becca. Sie sprang in seine Arme und riss ihn dabei beinahe erneut um. «Ja, ja, ja! Oh Gott, wo ist denn bloß Kate! Sie wird sterben!» Sie bedeckte Julians Gesicht mit Küssen. «Ich muss sofort meine Mum anrufen!» Sie küsste Julian erneut, diesmal langsamer. «Möchtest du Rind oder Hühnchen für die Feier?», fragte sie, ohne ihre Lippen von den seinen zu lösen.

«Du kleines Monster», murmelte Julian schmunzelnd.

«Können wir es allen sagen? Sofort?»

«Jetzt warte doch noch ein bisschen.» Julian legte ihr die Hände um den Kopf. «Wenn schon, dann wollen wir es doch so machen, wie es sich gehört. Ich muss erst deinen Dad anrufen und ihn um deine Hand bitten.»

«Die gibt er dir! Die gibt er dir!», kreischte Becca. «Mum würde etwas anderes gar nicht zulassen.»

Niemand, dachte Kate, spricht hier von Liebe. Sie hatte ein komisches Gefühl in der Magengegend, das irgendwie nicht zur Situation passen wollte. Sie kuschelte sich an Charlie, weil sie sich nach seiner Wärme, seiner Stabilität sehnte. Plötzlich hatte sie Angst um ihre Kusine, die so wahnsinnig enthusiastisch und gleichzeitig so starrköpfig war. Dieses Vermögen, sich einzufühlen, der Wunsch, diese Frau zu beschützen, die gar nicht schutzbedürftig wirkte, war ein wichtiger Teil ihrer Zuneigung zu Becca.

Becca plapperte weiter, aber Julian schob sie aus dem Zimmer, nicht ohne immer wieder zu versuchen, ihre überbordende Begeisterung ein wenig zu dämpfen.

Als sich die Tür hinter dem frisch verlobten Paar schloss, krochen Kate und Charlie vorsichtig wie zwei kleine verschreckte Waldtiere aus ihrem Unterschlupf.

«Verdammt», sagte Kate.

«Das», fügte Charlie hinzu, «war ein verdammt schrecklicher Antrag.»

«Ach, komm, du findest doch jeden Antrag schrecklich.» Es war allseits bekannt, dass Charlie gegen die Ehe war.

«Ja, aber wenn ich einen Antrag machen müsste», erklärte Charlie vollkommen verschwitzt und zerzaust, «würde ich das wesentlich besser machen. Es war so unromantisch. Fast wie ein dummer Scherz.»

«Julian würde nie einen Witz über Hochzeiten machen, nicht, solange Becca in der Nähe ist.» Kate kicherte, allerdings nicht aus Heiterkeit, sondern weil sie plötzlich einen gewaltigen Kloß im Hals spürte und seltsam hysterisch wurde. «Sie haben es vermasselt, Charlie. Richtig schlimm. Ich glaube nicht, dass er sie liebt.»

«Ich glaube auch nicht, dass sie ihn liebt», bemerkte Charlie trocken.

«Oh Mist!» Kate schlug die Hand vor den Mund. «Jetzt muss ich auch noch Brautjungfer spielen!»

«Ha!» Das schien Charlie zu erheitern. «Chiffon! Ballerinas an den Füßen! Und so ein riesiges Blumendings am Kopf!»

«Sollten wir, äh, nicht nach unten gehen?» Kate deutete halbherzig auf die geschlossene Tür. Sie war sich nicht sicher, ob sie bereit für die grenzenlose Begeisterung war, die Becca gleich an den Tag legen würde. Wenn sie ehrlich war, fand sie es nicht immer leicht, die Statistenrolle in Beccas Theaterstücken zu spielen.

«Das sollten wir wohl», sagte Charlie.

Unschlüssig standen sie da. Keiner von beiden wagte den ersten Schritt zu tun, aber sie wollten Becca ihren Auftritt auch nicht verderben.

«Ich bin ja so froh, dass du du bist», sagte Kate plötzlich mit Inbrunst. «Und nicht Julian!»

«Ähm, dann ist es ja gut», erwiderte Charlie ein wenig unsicher.

«Du bist so …», begann Kate und hielt eine Hand hoch. «Und er ist so …» Sie hielt die andere Hand hoch.

«Schön, dass du es so erschöpfend dargelegt hast.»

«Ach, du weißt schon, was ich meine.»

«Das Dumme an der Sache ist», sagte Charlie, «dass ich wirklich weiß, was du meinst.»

Theoretisch war Julian die perfekte Partie. Sein Aussehen, sein Vermögen und sein Benehmen entsprachen all dem, was gemeinhin von einem Traummann erwartet wurde.

Charlie dagegen kleidete sich nachlässig, saß immer über seinen Notizblock gebeugt und konnte so albern kichern, bis die Tränen aus seinen Augen traten. Er konnte hinreißende Zeichnungen kritzeln, Liebeslimericks schreiben und mit ihr Pferde stehlen – er entsprach all dem, was Kate von einem Traummann erwartete.

«Ich bin so glücklich, dass ich dich gefunden habe, Charlie.»

Sie sahen sich tief in die Augen. «Und ich bin glücklich, dass ich dich gefunden habe», erwiderte er.

Sie umarmten sich und ließen sich erneut aufs Bett fallen, fummelten an Knöpfen, zogen an Trägern.

«Wir brauchen ein …» Kate setzte sich auf. Das Haar hing ihr im Gesicht, die Wangen waren gerötet.

«Ein … oh ja, das brauchen wir.»

Das Wort Kondom brachten sie beide nicht über die Lippen.

«Ich, äh, ich hätte da zufällig eins dabei.» Kate biss sich auf die Lippe.

«Du schamloses Weibsstück, du», frotzelte Charlie.

Es war ein ziemlich glitschiges kleines Dingsda, das eine wertvolle Kondom, das Kate sich aus Beccas Kommode stibitzt hatte.

«Ups!» Damit flog es durch das Zimmer. «Au!» Es geriet ihr ins Auge. Endlich tat es, was es sollte, und Kate legte sich auf den Rücken. Charlies Gesicht kam ihrem so nah, dass sie ihn gar nicht mehr richtig erkennen konnte. Sie hielt den Atem an.

«Ich liebe dich», sagte er.

Sie atmete aus und lächelte.

«Ich liebe dich», sagte sie.

Ihre Münder, ihre Körper und ihre ungeduldigen jungen Herzen verschmolzen miteinander.

Kate hatte einen scharfen Schmerz erwartet, aber es kam keiner, nur eine wilde, wunderbare Erregung, die aus ihrer Mitte aufstieg. Bis Charlie und sie endlich erschöpft dalagen und sich wie zwei Schiffbrüchige aneinander festklammerten.

Wie zwei sehr glückliche Schiffbrüchige.

«War ich zu laut?», flüsterte sie in sein feuchtes Haar.

«Nur ein bisschen.» Er war noch ganz atemlos.

Ein lauter Jubel brach unten los, und einen schrecklichen Moment lang dachten sie, dass es der Applaus für ihr erstes Mal sei.

Aber dann begriff Kate. «Becca hat die große Neuigkeit verkündet.»

Sie rührten sich nicht.

Kate versuchte, nicht zu analysieren, was sie da gerade getan hatten, sondern einfach zu sein. Als sie schließlich aufstanden, hatte sie das Gefühl, gar keine Knochen mehr zu haben. «Ich bin ein bisschen wackelig auf den Beinen», sagte sie.

Sie stießen gegeneinander, als sie versuchten, mitten in der Lawine aus Mänteln, die auf den Boden gerutscht war, ihre Unterwäsche zu finden. Trotz der sehr erwachsenen Natur dessen, was sie in den letzten fünfzehn Minuten getan hatten, fühlte sie sich ganz kindisch und aufgedreht.

«Warte mal.» Charlie legte ihr den Finger unters Kinn, als sie gerade ihrer Bluse zuknöpfte, und suchte ihren Blick. «Wenn ich an die Ehe glauben würde, Kate, dann würde ich dich jetzt bitten, mich zu heiraten.»

«Wenn ich an die Ehe glauben würde», erwiderte Kate, «würde ich ja sagen.» Sie zog ihm den Reißverschluss der Hose hoch. «Aber wir glauben beide nicht an die Ehe, also …» Sie küsste ihn. Es fühlte sich anders an als die «Vorher»-Küsse. Etwas hatte sich geändert. Sie waren noch enger miteinander verbunden. Sie schauderte, teils von der Aufregung, teils aus Angst vor dem grenzenlosen Erwachsenenuniversum, auf das sie gerade eben einen Blick hatte erhaschen können.

«Etwas macht mir Sorgen, Charlie», gestand sie.

«Was denn?», fragte er erschrocken.

«Du dachtest, ich würde mit dir Schluss machen.»

«Ach das.» Charlie wischte ihre Sorge mit leichter Hand vom Tisch. «Ich bin nur kurz in Panik geraten. Ich weiß doch, dass du das nicht getan hättest. Ich weiß, dass wir ein gutes Paar sind. Sind wir doch, oder? Gut?»

«Hör mal, wir wollen zwar nicht heiraten, aber könnten wir uns doch gegenseitig versprechen, dass wir nie miteinander Schluss machen? Wie wäre das?»

Charlie legte die Hand aufs Herz und sagte feierlich: «Ich schwöre hiermit, niemals mit dir Schluss zu machen.»

«Und ich schwöre, niemals mit dir Schluss zu machen.»

Eng umschlungen wie verliebte siamesische Zwillinge verließen sie das Zimmer und wurden ihr verschwörerisches Grinsen für den Rest der Nacht nicht mehr los.

Kate lehnte sich an den Tampon-Automaten und versuchte, zu Atem zu kommen. Die Rüschenrollos und vergoldeten Spiegel auf der Damentoilette waren geradezu eine Erholung nach all dem Pomp im Tanzsaal. Die Leute, die sie gewarnt hatten, dass der Hochzeitstag nur so an ihr vorbeirauschen würde, hatten nicht recht behalten. Stattdessen hatte Kate vielmehr das Gefühl, schon seit ungefähr einem halben Jahrhundert zu heiraten.

Der Gottesdienst war überwältigend gewesen, ein wahrer Gefühls-Tsunami. Als sie ihr Ehegelübde im märchenhaften Licht der Buntglasscheiben leisteten, kam es ihr so bedeutsam vor wie sonst noch nie etwas in ihrem Leben.

Seitdem hatte sie unzählige Hände geschüttelt, ein üppiges Mahl zu sich genommen, ohne auch nur etwas davon zu schmecken, eine Rede nach der anderen lächelnd ertragen, das Mikrophon genommen, um ihren Eltern zu danken, sie hatte getanzt, getrunken, wieder gegessen, mit den Blumenkindern gespielt und für Fotos mit entfernten Verwandten posiert. Und alles mit einem Schleier auf dem Kopf.

Vor dem Spiegel fragte sie sich einen Augenblick lang, wer diese Drag Queen in Weiß da eigentlich war. Ihre Lippen waren blutrot geschminkt, die Lider schimmerten in drei verschiedenen Bronzenuancen. Der Make-up-Artist hatte leichthin bemerkt: «Die meisten meiner Bräute behaupten, ‹natürlich› aussehen zu wollen, aber wenn sie die Fotos sehen, sind sie froh, dass ich nicht auf sie gehört habe.» Obwohl ihr Kleid weit schlichter war als Beccas Seidentraum mit Korsett, hatte Kate das Gefühl, dass der weiße Satin im Grunde sie trug und nicht umgekehrt. Die Schleppe war schwer und lästig, die Nadeln ihrer Hochsteckfrisur piekten, und die Schnürung drückte ihr die Rippen zusammen wie ein mordlustiger Geliebter. Am liebsten hätte sie sich alles vom Leib gerissen und wäre in Unterwäsche durch die kitschig vergitterten Fenster geklettert.

«Herrjemine!» Becca rauschte zur Tür herein und lehnte sich erschöpft auf die marmorne Armatur, als sei ein Lynchmob hinter ihr her. Sie trug ihr gesträhntes Haar hoch aufgetürmt, glänzte und glitzerte, und jeder Quadratzentimeter an ihr war gebräunt, lackiert oder mit Diamanten besetzt. «Ich brauch eine Kippe, Kate.»

Umständlich kletterte sie über das Waschbecken auf die Fensterbank. Das war irgendwie vollkommen unbrautmäßig, aber Kate hatte längst festgestellt, dass fast alles, außer starr dazustehen und engelsgleich zu lächeln, in einem Hochzeitskleid unangemessen aussah. Es war das unpraktischste Kleidungsstück, das man sich vorstellen konnte, aber sie nahm an, dass genau das auch beabsichtigt war.

Becca blies Rauch durch das Fenster und schnaufte: «Opa ist betrunken. Er tanzt den Twist. Zumindest hoffe ich, dass das Twist ist. Vielleicht hat er auch nur eine Serie von Schlaganfällen. Und Mum versucht verzweifelt, Pater Gerry in ein Gespräch zu verwickeln, damit er es nicht merkt.»

«Pater Gerry», bemerkte Kate, «ist noch weit betrunkener als Opa. Und Charlies Mum ist betrunkener als alle beide zusammen.» Kate hatte versucht, sie von der Bar fortzubugsieren, aber das war ihr leider vollkommen misslungen. Mrs. Garland wurde zuletzt dabei beobachtet, wie sie einem der Trauzeugen Avancen machte. «Sag mal, wäre es nicht an der Zeit, dass du deiner Mutter und deinem … äh, Ehemann gestehst, dass du rauchst?»

Sie machten beide eine Grimasse bei dem Wort «Ehemann», als sei es ein verbotener Ausdruck, den sie plötzlich benutzen durften.

«Ich rauche nicht. Also, nicht richtig.» Becca blies ein perfektes «O». «Nur hin und wieder mal eine.» Sie warf die Kippe in die Dunkelheit und glitt von der Fensterbank, wobei ein paar Pailletten von ihrem Kleid auf den Boden rieselten. «Mein Gott, du siehst hinreißend aus, Kusinchen.»

«Ach. Das ist nur ein teures Faschingskostüm.»

«Ich will meins am liebsten gar nicht mehr ausziehen.» Becca wirbelte im Kreis herum und stolperte um ein Haar auf ihren schwindelerregend hohen Absätzen. Sie griff nach Kates Arm. «Es ist schon nach Mitternacht. Wir haben es fast geschafft. Ist das nicht der Hammer», sagte sie aufgeregt, «dass wir das hier zusammen gemacht haben?»

«Es war sehr süß, was du da in deiner Rede gesagt hast.»

«Über dich?» Becca zog vor dem Spiegel einen Schmollmund und rückte ihre Oberweite zurecht. «Ich habe jedes einzelne Wort genau so gemeint.»

«Das habe ich gemerkt.» Kate wusste, dass das stimmte, weil Becca kein einziges dramatisches Tränchen dabei verdrückt hatte.

«Und wenn man mal daran denkt», fuhr Becca fort und fing Kates Blick im Spiegel auf, «wie Charlie und du immer behauptet habt, dass ihr nicht an die Ehe glaubt …»

Es klopfte an der Tür, und Kates Dad steckte vorsichtig seinen Kopf herein. «Eure Mütter sind im Anmarsch», sagte er. Der Zylinder hatte einen Ring in seinen ergrauten Locken hinterlassen. «Sie sind ein bisschen aus der Fassung, also …» Er sprang aus dem Weg, als sich die Frauen plappernd und kreischend näherten.

«Vielleicht ist sie ja auch okay, wir wissen es ja nicht.» Tante Marjorie zerpflückte mit den Fingern ein Taschentuch.

«Sie haben gesagt, dass er tot ist.» Mum heulte. «Tot, Marjorie!»

«Wer?» Kate und Becca richteten sich alarmiert auf.

«Di.» Mums Stimme zitterte.

«Di …?» Kate konnte sich nicht einmal an eine Kusine dritten Grades mit diesem Namen erinnern.

«Prinzessin Di?» Becca verstand als Erste. Sie schlug erschrocken die Hand vor den Mund.

«Es gab einen Unfall in Paris.» Dad sah Kates Mutter mit einem Blick an, als wäre sie ein gefährliches Paket, das jederzeit explodieren könnte. «Prinzessin Diana liegt im Krankenhaus, und ihr junger Freund ist tot.»

«Auf ihr liegt ein Fluch, John!» Wie alle irischen Frauen ihrer Generation liebte Kates Mum einen ordentlichen Fluch mindestens genauso inbrünstig, wie sie ihn fürchtete. «Ich war doch erst dreißig, als sie diesen alten Schürzenjäger Charles geheiratet hat. Ich meine, ihr Mädchen seid praktisch mit ihr aufgewachsen, und jetzt …»

«Es gibt doch noch Hoffnung, Mum», sagte Kate. Es hätte nahegelegen, sich über die Hingabe einer Vororthausfrau mittleren Alters zu einer Adeligen lustig zu machen, aber Mum hatte tapfer jeden Haarschnitt, jeden sperrigen Hut und jedes Paar Lackpumps nachgemacht, die ihre geliebte Prinzessin trug. Auf Lady Di ließ sie gar nichts kommen.

«Wer», klagte Mum, «kümmert sich denn jetzt um die Aidspatienten?»

Tante Marjorie sprang ihr bei. «Lasst uns alle ein Gebet sprechen und auf den Herrgott im Himmel vertrauen.»

Kate wusste, dass die Zehen ihrer Mutter in den neuen Satinpumps schmerzten und sie sich auch mit ihrer figurformenden Unterwäsche ziemlich abquälte.

«Vater unser, der du bist im Himmel …»

Ein lautes Hämmern an der Tür unterbrach die fromme Szene. «Aufmachen!», rief eine tiefe Stimme.

«Auf keinen Fall!» Becca rannte für eine Frau, deren Kleid so viel wog wie ein Kleinwagen, erstaunlich flink zur Tür. «Bräutigame sind hier nicht erlaubt! Nur Bräute!»

«Zu viele verdammte Bräute auf dieser Hochzeit», lachte Julian auf der anderen Seite der Tür. «Charlie, Kumpel!», rief er. «Hilf mir mal.»

Becca kreischte vor Begeisterung und versuchte, den Eindringlingen die Tür zuzuhalten, aber dann ließ sie los, und die Bräutigame stolperten in die Damentoilette. Wundersamerweise schafften sie es, dabei keinen Tropfen des Inhalts ihrer Whiskygläser zu verschütten.

«So, Frauchen», sagte Julian und richtete sich auf. Seine Wangen waren gerötet und die blonden Haare ein wenig zerzaust. «Wie fühlt es sich an, Mrs. Ames zu sein?»

«Toll.»

Julian schlang den Arm um Kates Taille und zog sie an sich, um sie leidenschaftlich zu küssen. Kate bog sich ein wenig nach hinten. «Whisky-Atem.» Sie krauste die Nase.

«Das magst du doch», raunte er ihr ins Ohr.

«Stimmt.»

Julian war ein Mann wie aus dem Bilderbuch, und Kate überraschte es immer wieder, wie sehr sie das anmachte. In ihren Teenagerjahren hatte sie sich nach eher weiblichen, exzentrischen Jungs verzehrt, die Gedichte lasen und mit leerem Blick in die Ferne starrten, weil sie tiefsinnigen Gedanken nachhingen. Jungs wie, na ja, wie Charlie eben, der sich jetzt von seiner frischgebackenen Ehefrau die Krawatte richten ließ. Julians Selbstbewusstsein, sein Lebenshunger und die unbeschwerte Überzeugung, dass sich die Dinge auf jeden Fall so entwickeln würden, wie es ihm passte, waren wie ein exotischer Cocktail nach langen Jahren des Teetrinkens.

«Autsch.» Trotzdem übertrieb er es hin und wieder ein wenig. «Du quetschst mein Korsett zusammen», beschwerte sich Kate. Sie fühlte sich wunderbar klein und zierlich an Julians Brust.

«Tschuldigung. Du riechst so verdammt göttlich.» Julian küsste sie aufs Haar, mitten auf ihre betonharte Frisur. Kate konnte es kaum erwarten, sie auszukämmen.

Becca trat einen Schritt zurück, um die Krawatte zu begutachten, die sie gerade gebunden hatte, und wirkte hochzufrieden mit ihrer Leistung. «Mein Gott, Charlie, ich finde dich total scharf im Frack.»

«Ich sehe aus wie ein Idiot.» Charlie hatte sich während des Hochzeitsplanungstornados mit aller Kraft gegen den Zylinder, die Krawatte und all den anderen Klimbim gestemmt.

«Nein, du siehst wirklich gut aus», bemerkte Kate aufrichtig. Der Weg zurück zu so etwas wie Freundschaft war lang und voller Schlaglöcher, und das meiste, was sie zueinander sagten, klang irgendwie unbeholfen.

«Ohne Zylinder wäre es keine Hochzeit», stellte Becca wieder einmal fest. Ohne Blumenbogen/einen Harfenisten/eine achtstöckige Torte ist es keine Hochzeit. Um hysterische Anfälle zu vermeiden, hatten die anderen drei, einzeln und gemeinsam, in allen Punkten nachgegeben. Und dennoch hatte ein winziger Fehler auf den Einladungskarten, der erst bemerkt worden war, nachdem alle hundertfünfzig verschickt waren, einen Tobsuchtsanfall bei Becca ausgelöst. «Das sieht ja aus, als ob ich Julian und Kate Charlie heiraten würde!», hatte sie gewütet. «Als ob wir die Zeit zurückgedreht hätten!»

Als ob sie die Zeit um zwei Jahre zurückgedreht hätten, um genau zu sein. Zurück zu dem verhängnisvollen Streit, der alles verändert hatte.

 

Der Streit, der die Beziehung zwischen Kate und Charlie beendet hatte, hatte zu Beginn ganz alltäglich gewirkt. Wie eine kleine Kabbelei.

Während eines ihrer langen Telefongespräche hatte Kate Charlies Entscheidung angesprochen, am Wochenende nicht nach Hause zu kommen.

Aber wie bei den meisten Streitigkeiten war es in Wirklichkeit um etwas anderes gegangen.

«Ich muss einiges nachholen. Ich komm echt nicht mehr hinterher.»

Kate stellte sich Charlies Bude auf dem Campus der Keele University vor, eine rechteckige Schuhschachtel, die er sich mit Postern und Fotocollagen gemütlich gemacht hatte. Sie stellte sich vor, wie er auf seinem 70er-Jahre-Bettüberwurf lag, umgeben von Büchern und schmutzigen Bechern und CDs. Er sagte geduldig, und es klang irgendwie herablassend: «Staffordshire ist weit weg von London, Liebling. Ich komme wirklich häufig nach Hause, das weißt du. An diesem Wochenende muss ich mich aber einfach mal reinknien.»

Normalerweise hatte Kate Verständnis. Sie wusste, dass Charlie unbedingt seinen eigenen Weg machen wollte, nicht zuletzt wegen seines chaotischen Zuhauses. Wenn er nur hart genug arbeitete, würde er mit Auszeichnung abschließen, und damit könnte er sich seinen literarischen Ambitionen widmen. Aber an diesem Abend interessierte sich Kate weniger für seine literarischen Ambitionen als für die Korkpinnwand über seinem Kopf.

Jedes Mal, wenn sie ihn besuchte, hingen daran mehr Fotos. Ein Schnappschuss nach dem anderen von megatollen Partynächten, von Charlie, der an einem Tisch voller halbleerer Flaschen saß, flankiert von seinen neuen besten Freunden, die der Blitz der Kamera mit vor Lachen aufgerissenen Mündern erwischt hatte. Kate freute sich – und das ganz ehrlich –, dass seine Entscheidung, sein Studium so weit von zu Hause zu beginnen, offenbar die richtige gewesen war und dass er neue Freunde gefunden und Spaß hatte.

Aber.

Aber … mussten all diese neuen Freunde unbedingt Frauen sein? Frauen mit Wallemähnen, mit denen sie hätten Shampoo-Werbung machen können? Die unzählige Spaghettiträgerhemdchen besaßen und offenbar noch nie von BHs gehört hatten?

Kate musste ständig an diese Pinnwand denken, auch während der Arbeit. Ihr Wunsch, die Schule vor dem Abitur zu verlassen, hatte Charlie sehr verblüfft. Er sah Schulbildung als Chance, die man sich auf keinen Fall entgehen lassen durfte. Aber Kate wollte sich unbedingt sofort in das stürzen, was sie für das wahre Leben hielt.

Auch wenn ihre Familie zu bedenken gab, dass sie keinen richtigen Schulabschluss haben würde, hatte Kate längst einen langfristigen Plan für ihr Leben. Sie hatte einen guten Geschäftssinn, und um den weiterzuentwickeln, hielt sie es für das Beste, praktische Erfahrung zu sammeln und jeden Tag etwas Neues zu lernen.

Aber das wahre Leben war ziemlich banal. Frühes Aufstehen. Die Stechuhr. Im Einzelhandel zu arbeiten («Du meinst, an der Kasse zu stehen», pflegte ihre Mum sie zu verbessern) war genauso frustrierend wie bereichernd und eine echte Schufterei.

Kate war so naiv gewesen zu glauben, dass die Arbeit in einem Geschäft für Partyzubehör «lustig» sein würde, aber Einzelhandel war nun mal Einzelhandel. Und der konnte mit einer Collage aus Partyschnappschüssen und Charlies wildem Studentenleben leider nicht mithalten.

«Wie geht’s denn mit deinem Buch voran?», fragte sie, um das Thema zu wechseln.

«Langsam.»

«Vielleicht würde es etwas schneller gehen, wenn du nicht so viel Party machen würdest. Dann hättest du auch Zeit, nach Hause zu kommen.»

«Ist gut, Oma!», platzte Charlie heraus, und normalerweise hätte Kate darüber gelacht, aber an jenem Abend hatte die Unsicherheit von ihr Besitz ergriffen. Beim Gedanken an seine schlanken neuen Kumpels mit ihren mädchenhaften Namen – sie hießen alle entweder Emma oder Sophie – fühlte sie sich wie eine abgehärmte Figur aus einem viktorianischen Roman: die arme Kate, die kleine Verkäuferin, die in einem Dachkämmerchen an Schwindsucht stirbt …

Statt zu lachen, legte Kate einfach auf.

Erschrocken über sich selbst, starrte sie das Telefon an. Und plötzlich wünschte sie, sie hätte sich nicht so, na ja, beccahaft benommen. Als es klingelte, fuhr sie zusammen.

«Hallo», sagte sie, beklommen und gleichzeitig erleichtert, dass Charlie die Situation rettete.

Aber ihre Erleichterung löste sich in nichts auf, denn ihr stets freundlicher und friedliebender Charlie fauchte: «Also, nur, damit ich das recht verstehe. Ich soll also tun, was man mir befiehlt, oder?»

«Nein, hör doch mal», fing Kate an. Sie schloss die Augen, weil ihr das Gespräch so rettungslos entglitten war. «Ich wollte nur …»

«Ich bin kein Pudel, Kate. Ich komme nicht angerannt, wenn du mit den Fingern schnipst.»

«Das weiß ich doch!» Kate atmete tief durch. Charlies Mutter hatte immer den Hörer auf die Gabel geworfen, wenn er angerufen hatte, um zu hören, wie es ihr ging. Um zu hören, dass sie noch lebte